Rezension: Whatsapp 29. Mai 2021 - Kameras und Augen (Teil 4 - Entstehung des Sehflecks)
Nun ist es schon eine Weile her, dass wir in dieser Artikelreihe waren.
Ich musste eine Seite allein aus Videos zusammenstellen. Erstens: Es sind bereits mehr als 50 Videos in der Warteschleife und ich will euch diese unbedingt zeigen. Und zum Zweiten: Ich habe so etwas Zeit gehabt, diesen und den folgenden Artikel hier auszuarbeiten, ohne euch in diesem Bereich auf dem Trockenen sitzen zu lassen.
Ich verknüpfe hier dennoch einmal ein Video. Es geht dabei nicht um das Auge, sondern um die Kameratechnik. Die Fussball-Weltmeisterschaft ist ja noch nicht so lange her und es kommen ja in nicht einmal 2 Jahren schon wieder die Kontinentalmeisterschaften. Ich habe ein Video gefunden, dass alle Tore in den Finalen von 1930-2022 beinhaltet. Daran kann man sehr deutlich die immer besser werdende Kameratechnik beobachten und daraus einen Werdegang, eine Evolution dieser Technik ableiten.
World Cup Finals 1930-2022 - All Goals
https://www.youtube.com/watch?v=NI7tTQFxD8k
Da aber nun schon einige Zeit ins Land gezogen ist, möchte ich die zuvor erschienenen Artikel dieser Reihe noch einmal verlinken:
... 248, 03.01.2023: Rezension: Whatsapp 29. Mai 2021 - Kameras und Augen (Teil 1 - Die Mär vom Vergleich)
... 249, 27.01.2023: Rezension: Whatsapp 29. Mai 2021 - Kameras und Augen (Teil 2 - Faszinierende Fakten rund ums Auge)
... 250, 07.02.2023: Rezension: Whatsapp 29. Mai 2021 - Kameras und Augen (Teil 3 - Kurze Geschichte der Augenforschung)
Im ersten Part hatte ich über die Geschichte der Kamera und der Fotografie geschrieben und damit dargelegt, dass die Entwicklung des Auges einen ebensolchen Weg gegangen sein kann. Immerhin ist die Fotografie nicht einfach aufgeblobbt und wenn sie als Vergleich immer wieder herhalten muss, um das "geniale Design" des Auges zu erklären, das ja wohl auch irgendwoher stammen muss, dann ist es durchaus legitim, danach zu fragen, wie die Entwicklung einer Technik, die nach den gleichen Mechanismen wie die Evolution verfährt (Mutation durch die Einbindung oder Entwicklung neuer Verfahren, Selektion durch die Weiterverwendung der besseren, simpleren, effizienteren Verfahren bleiben, die andere Verfahren verdrängen oder ablösen), darauf schließen lassen soll, dass das Auge eine perfekte Konstruktion sein soll, die von Anfang an alles hatte, was man so für ein Auge braucht.
Im zweiten Part wurde ein Bild eingefügt, für das ich mir echt viel Zeit genommen habe, um die Erforscher, Entwickler und Bastler auf einer Zeitskala zu erfassen, die an der Entwicklung der Fotografie beteiligt waren und ein paar Zwischenschritte auch durch Technik oder Fotos darüber. Und es wurden auch ein paar wissenswerte Dinge über das Auge aufgelistet.
Im dritten Part wurde darüber gefachsimpelt, wie die Augenforschung und damit auch die Idee einer stufenweisen Entwicklung des Auges von Statten ging. Und jetzt im vierten Teil schauen wir uns an, wie sich die Entwicklung des Auges selbst nach den aktuellen wissenschaftlichen Theorien aufgrund der Datenlage darstellt.
Die Komplexität des Wirbeltierauges gab in der Vergangenheit wiederholt Anlass zu Kritik an der Evolutionstheorie. Die Unklarheiten in dieser Frage können heute als historisch und überwunden gelten. Die Evolutionsschritte von einfachen Augenflecken und Lochaugen bis zum hochentwickelten Wirbeltierauge sind heute als Progressionsreihe darstellbar. Voraussetzung für die Evolution von Augen waren lichtempfindliche Pigmentzellen in frühen ein- oder mehrzelligen Augenflecken. Darauf aufbauend evolvierten seit dem Beginn des Kambriums echte Augen. Evolutionäre Unterschiede existieren bis heute nicht nur zwischen verschiedenen Augentypen, sondern auch beim Wirbeltierauge selbst. In der Evolution existieren bei rezenten Tieren für alle stammesgeschichtlichen Komplexitätsgrade von Augentypen ökologische Nischen.
Aber genau diese einfache Erklärung gereicht Kreationisten nicht, obwohl deren Idee von der Entstehung im Grunde nichts anderes als Magie ist.
Damit kann man in Computerspielen und Fantasygeschichten gerne hantieren, da es dort sicher auch ein elementarer Bestandteil ist. Aber wir sehen keine Wunder um uns herum. Ich rede hier nicht von der Art Wunder, die Gott in "Bruce Allmighty" beschriebt. Ein Teenager, der trotz schlechten Einfluss zu Drogen nein sagt, ist bemerkenswert und definitiv zu unterstützen. Und eine Mutter, die trotz zweier Jobs und kaum Zeit für Verschnaufen es schafft, ihren Sohn rechtzeitig zum Fussball zu bringen, sollte nicht nur Hochachtung erhalten, sondern einen Job, der es ihr ermöglicht aus einer Quelle genug Geld für sich und den Nachwuchs zu bekommen. Man kann dies gern Wunder nennen, aber es ist nicht die selbe Kategorie, wie das Versetzen von Bergen, von dem Jesus sprach (Matthäus Kapitel 17, Vers 20). Oder von dem Befehlen, dass Bäume sich selbst entwurzeln und woanders hinlaufen (Lukas Kapitel 17, Vers 6). Von erstem Wunder sprach auch Paulus im ersten Korintherbrief. Aber die beiden meinten damit nicht irgendwelche Gleichnisse, im Sinne vom Überwinden irgendeiner schwierigen Situation im Leben, sondern vom tatsächlichen Versetzen von Bergen und Bäumen. Diese Art Wunder sehen wir nicht und wir haben nicht einen einzigen Beweis, dass es je anders war. Das ist Magie. Alle Magier heute können früher oder später als gute Trickster oder Betrüger entlarvt werden. Alle Tricks, die sie ausspielen, lassen sich naturwissenschaftlich erklären. Wenn irgendwas von den biblischen Wundern tatsächlich passiert ist, dann haben die Leute damals einfach den Trick nicht verstanden und es daher für Magie bzw. göttliche Intervention gehalten. Es stellt sich für mich sowieso die Frage, wie man das eine vom anderen unterscheidet.
Und diese Art von Wundern und Magie vermutet man einfach auch in der Entstehung der uns umgegeben Welt. Einfach, weil es jahrtausende so erklärt wurde. Vermutlich weil Gläubige sich um etwas betrogen fühlen, wenn es nicht so wäre. Die Entwicklung des Auges ist aber, wie ich bereits schrieb, recht gut dokumentiert und erklärbar.
95 % der Tierarten besitzen Augen. Unter den 38 Bauplänen im Tierreich sind es sechs. Unter den Tieren mit Augen sind der Stamm der Chordatiere bzw. deren Unterstamm die Wirbeltiere mit ca. 40.000 Arten, die Mollusken mit Muscheln, Schnecken und Tintenfischen ca. 100.000 Arten und die Arthropoden mit Krebstieren, Spinnen und Insekten mit mehr als einer Million Arten. Die Stämme mit Augen dominieren somit das Tierreich. Diese Dominanz wird darauf zurückgeführt, dass bereits im Verlauf der kambrischen Explosion vor 540 Millionen Jahren bei Trilobiten entwickelte Augen existierten und das Auge die Evolution der Tierstämme in der kambrischen Explosion steuerte, einer Periode evolutionär sehr schneller Ausbildung der Diversität im Tierreich. Dabei entstanden nach Andrew Parker durch Sehen und Gesehenwerden ausgeprägte Anpassungen in Form von Räuber-Beute-Strukturen. Sehen und Gesehenwerden hatten grundlegenden Einfluss auf die sexuelle Selektion im Tierreich.
Die Größenentwicklung der Tiere in dieser Phase wird als notwendige Voraussetzung für die Evolution echter Augen gesehen. Eine große Linse, eine großflächige Netzhaut und ein Gehirn zur Signalverarbeitung sind nur größeren Tieren möglich, wie sie das frühe Kambrium in vielen Bauplanvarianten hervorbrachte.
(Abbildung rechts: Augentierchen. Eukaryotischer Einzeller mit Pigment-Augenfleck und Fähigkeit, sich in Lichtrichtung zu bewegen (Fototaxis). 1. Geißel, 2. Augenfleck, 3. Stärkekörnchen, 4. Chloroplasten, 5. Vakuole, 6. Zellkern)
Die Voraussetzung zur Entwicklung echter Augen bilden abgewandelte Nervenzellen in Form lichtempfindlicher Sinneszellen, sogenannte Fotorezeptoren, mit dem Sehpigment Rhodopsin, auch Sehfarbstoff genannt. Dieses Pigment besteht aus einer jeweils bestimmten Variante des Proteins Opsin und aus Retinal, einer Vitamin A Variante.
Ein Sehpigment kann immer nur einen bestimmten Ausschnitt aus dem Lichtspektrum absorbieren, z. B. violettes, kurzwelliges Licht oder rotes, langwelliges Licht. Die Opsine sind sich in ihrer Struktur weitgehend ähnlich und gehen auf einen gemeinsamen Opsinvorfahren zurück. Ihre Unterschiede, die evolutionär durch Duplikation und Divergenz entstanden, ermöglichen, dass Evolutionsstammbäume der Opsine abgebildet werden (#1).
Eine Darstellung, dass Rhodopsin in der Evolution nur einmal entstand, lieferte dann eine Studie 2004 (#2). Danach besitzt Platynereis dumerilii (ein rezenter Ringelwurm), beide der bekannten Typen von Rhodopsin, sowohl dasjenige in den Augen der Wirbeltiere, das zum Sehen verwendet wird, als auch dasjenige im Gehirn von Nicht-Wirbeltieren, das in Zellen vorkommt, die nicht zum Sehen verwendet werden. Vorfahren des augenlosen Ringelwurms zählen zu den gemeinsamen Vorfahren der Wirbeltiere und der Wirbellosen und haben die beiden Rhodopsintypen aus einem gemeinsamen evolviert. Es kann daher als wahrscheinlich angenommen werden, dass beide Rhodopsintypen in dieser Wurmlinie ihren gemeinsamen Vorfahren haben.
Noch 1996 schloss Dan-Erik Nilsson nicht aus, Photorezeptorzellen könnten mehrfach evolviert worden sein (#3). Einen Hinweis darauf, dass neben der auf eine Linie zurückgehenden Evolution von Rhodopsin auch die beiden Sehpigmentzelltypen (Bild hier drunter) aus einem gemeinsamen Vorgänger entstanden, ergab jüngst die Entdeckung von Augen beim Seeigel. Seeigel wurden bis zur Entdeckung von äußerlich nicht sichtbaren, clusterartig gebündelten Fotorezeptoren in den Füßen der Tiere als augenlos angenommen. Seeigel sind Neumünder. Bisher unterschied man Urmünder (Protostomia) mit generell mikrovillären Fotorezeptoren, das sind solche mit der Einlagerung des Sehpigments in Ausstülpungen der nach außen gerichteten Fotorezeptorzelle und Neumünder (Deuterostomia) mit generell ziliären Fotorezeptoren mit Wimpernhärchen. Die Fotorezeptoren des Seeigels sind vom mikrovillären Typ. Da die Seeigel zu den Neumündern gehören, hatte man hier den ziliären Fotorezeptortyp erwartet. Da aber, wie jetzt ersichtlich, beide Fotorezeptortypen bei den Neumündern vorkommen, muss nun entgegen früherer Sichtweise für alle Typen ein gemeinsamer Vorgänger angenommen werden (#4).
Bei der Absorption von Licht wandelt der Fotorezeptor, bzw. Retinal die Lichtenergie mittels einer räumlichen Umformung seiner Proteinstruktur (Konformationsänderung) in spezifische Nervenimpulse um, die als elektrische Signale über Nervenbahnen weitergeleitet werden. Fotorezeptoren existierten in der Stammesgeschichte, lange bevor die Evolution von Augen im Kambrium einsetzte. Das früheste Vorkommen von Rhodopsin, und damit die frühesten Augenflecken, waren vermutlich in Vorfahren der heutigen Algen. So besitzt die Grünalge (Volvox) einen Augenfleck mit dem Pigment Rhodopsin.
Von den Algen existiert keine stammesgeschichtliche (phylogenetische) Verbindung zu den Tieren, so dass der gemeinsame Vorfahre mit Rhodopsin bei den Cyanobakterien, der Vorgängerlinie von Chloroplasten gesucht werden muss. Diese sind auch die Vorfahren der Einzeller und damit der Tiere.
Einzeller (Abbildung rechts) wie Dinoflagellaten besitzen bereits in einer einzigen Zelle das kleinste bekannte Miniauge und verwenden Rhodopsin (#5). Ebenso hat die einzellige Grünalge Chlamydomonas bereits eine komplexe optische Struktur mit vielfältigen Pigmentschichten, die als Reflektoren wirken, die Licht sammeln und bündeln. Sogar eine kugelförmige, transparente Linse existiert bei dem Einzellern Erythropsis (#6).
Augenflecken sind häufig unter einzelligen Organismen, darunter auch beim Augentierchen und später in nahezu allen größeren Tiergruppen. Wegen der großen Verbreitung ist es wahrscheinlich, dass die Mehrzahl von Tieren mit Augenflecken und Fotorezeptoren noch nicht entdeckt ist (#7). Der Augenfleck erlaubt dem Lebewesen Hell und Dunkel zu unterscheiden. Dies ist für die Erkennung der Tageslänge und die Synchronisierung mit dem Tagesrhythmus (Photoperiodismus) ausreichend. Zusammen mit einer Geißel (Flagellum) kann es sich gezielt zum Licht hinbewegen (Lokomotion). Das heißt, schon diese einfachen Augen haben einen evolutionären Vorteil, ganz ohne Linsen und Glaskörper, Sehnerv oder Hirn.

Rhabdomerischer Fotorezeptor bei Wirbellosen und ziliare Fotorezeptorzelle bei Wirbeltieren
#1 - Georg Glaeser u. Hannes F. Paulus. Die Evolution des Auges. Springer-Spektrum 2014
#2 - D. Arendt, K. Tessmar-Raible, H. Snyman, A.W. Dorresteijn, J. Wittbrodt: Ciliary Photoreceptors with a Vertebrate-Type Opsin in an Invertebrate Brain. In: Science. 306. Jahrgang, Nr. 5697, 29. Oktober 2004, S. 869–871, doi:10.1126/science.1099955, PMID 15514158.
#3 - Dan-Erik Nilsson (1996). "Eye ancestry: old genes for new eyes". Current biology : CB 6 (1): 39–42. doi:10.1016/S0960-9822(02)00417-7. PMID 8805210
#4 - Unique system of photoreceptors in sea urchin tube feet. Esther M. Ullrich-Lüter, Sam Dupont, Enrique Arboleda, Harald Hausen and Maria Ina Arnone. Proceedings of the National Academy of Sciences. PNAS May 2, 2011
#5 - IR Schwab: You are what you eat. In: British Journal of Ophthalmology. 88. Jahrgang, Nr. 9. BMJ Group, September 2004, S. 1113, doi:10.1136/bjo.2004.049510, PMID 15352316, PMC 1772300 (freier Volltext).
#6 - Simon Ings: Das Auge'. Meisterstück der Evolution. Hoffmann und Campe Hamburg. 2008. Orig.: The Eye: A Natural History, Bloomsbury, 2007, ISBN 978-0-7475-7805-5
#7 - Dan-Erik Nilsson: Eye evolution and its functional basis. Visual Neuroscience (2013), 30, 5-20
Nun ist es schon eine Weile her, dass wir in dieser Artikelreihe waren.
Ich musste eine Seite allein aus Videos zusammenstellen. Erstens: Es sind bereits mehr als 50 Videos in der Warteschleife und ich will euch diese unbedingt zeigen. Und zum Zweiten: Ich habe so etwas Zeit gehabt, diesen und den folgenden Artikel hier auszuarbeiten, ohne euch in diesem Bereich auf dem Trockenen sitzen zu lassen.
Ich verknüpfe hier dennoch einmal ein Video. Es geht dabei nicht um das Auge, sondern um die Kameratechnik. Die Fussball-Weltmeisterschaft ist ja noch nicht so lange her und es kommen ja in nicht einmal 2 Jahren schon wieder die Kontinentalmeisterschaften. Ich habe ein Video gefunden, dass alle Tore in den Finalen von 1930-2022 beinhaltet. Daran kann man sehr deutlich die immer besser werdende Kameratechnik beobachten und daraus einen Werdegang, eine Evolution dieser Technik ableiten.
World Cup Finals 1930-2022 - All Goals
https://www.youtube.com/watch?v=NI7tTQFxD8k
Da aber nun schon einige Zeit ins Land gezogen ist, möchte ich die zuvor erschienenen Artikel dieser Reihe noch einmal verlinken:
... 248, 03.01.2023: Rezension: Whatsapp 29. Mai 2021 - Kameras und Augen (Teil 1 - Die Mär vom Vergleich)
... 249, 27.01.2023: Rezension: Whatsapp 29. Mai 2021 - Kameras und Augen (Teil 2 - Faszinierende Fakten rund ums Auge)
... 250, 07.02.2023: Rezension: Whatsapp 29. Mai 2021 - Kameras und Augen (Teil 3 - Kurze Geschichte der Augenforschung)
Im ersten Part hatte ich über die Geschichte der Kamera und der Fotografie geschrieben und damit dargelegt, dass die Entwicklung des Auges einen ebensolchen Weg gegangen sein kann. Immerhin ist die Fotografie nicht einfach aufgeblobbt und wenn sie als Vergleich immer wieder herhalten muss, um das "geniale Design" des Auges zu erklären, das ja wohl auch irgendwoher stammen muss, dann ist es durchaus legitim, danach zu fragen, wie die Entwicklung einer Technik, die nach den gleichen Mechanismen wie die Evolution verfährt (Mutation durch die Einbindung oder Entwicklung neuer Verfahren, Selektion durch die Weiterverwendung der besseren, simpleren, effizienteren Verfahren bleiben, die andere Verfahren verdrängen oder ablösen), darauf schließen lassen soll, dass das Auge eine perfekte Konstruktion sein soll, die von Anfang an alles hatte, was man so für ein Auge braucht.
Im zweiten Part wurde ein Bild eingefügt, für das ich mir echt viel Zeit genommen habe, um die Erforscher, Entwickler und Bastler auf einer Zeitskala zu erfassen, die an der Entwicklung der Fotografie beteiligt waren und ein paar Zwischenschritte auch durch Technik oder Fotos darüber. Und es wurden auch ein paar wissenswerte Dinge über das Auge aufgelistet.
Im dritten Part wurde darüber gefachsimpelt, wie die Augenforschung und damit auch die Idee einer stufenweisen Entwicklung des Auges von Statten ging. Und jetzt im vierten Teil schauen wir uns an, wie sich die Entwicklung des Auges selbst nach den aktuellen wissenschaftlichen Theorien aufgrund der Datenlage darstellt.
Die Komplexität des Wirbeltierauges gab in der Vergangenheit wiederholt Anlass zu Kritik an der Evolutionstheorie. Die Unklarheiten in dieser Frage können heute als historisch und überwunden gelten. Die Evolutionsschritte von einfachen Augenflecken und Lochaugen bis zum hochentwickelten Wirbeltierauge sind heute als Progressionsreihe darstellbar. Voraussetzung für die Evolution von Augen waren lichtempfindliche Pigmentzellen in frühen ein- oder mehrzelligen Augenflecken. Darauf aufbauend evolvierten seit dem Beginn des Kambriums echte Augen. Evolutionäre Unterschiede existieren bis heute nicht nur zwischen verschiedenen Augentypen, sondern auch beim Wirbeltierauge selbst. In der Evolution existieren bei rezenten Tieren für alle stammesgeschichtlichen Komplexitätsgrade von Augentypen ökologische Nischen.
Aber genau diese einfache Erklärung gereicht Kreationisten nicht, obwohl deren Idee von der Entstehung im Grunde nichts anderes als Magie ist.
Damit kann man in Computerspielen und Fantasygeschichten gerne hantieren, da es dort sicher auch ein elementarer Bestandteil ist. Aber wir sehen keine Wunder um uns herum. Ich rede hier nicht von der Art Wunder, die Gott in "Bruce Allmighty" beschriebt. Ein Teenager, der trotz schlechten Einfluss zu Drogen nein sagt, ist bemerkenswert und definitiv zu unterstützen. Und eine Mutter, die trotz zweier Jobs und kaum Zeit für Verschnaufen es schafft, ihren Sohn rechtzeitig zum Fussball zu bringen, sollte nicht nur Hochachtung erhalten, sondern einen Job, der es ihr ermöglicht aus einer Quelle genug Geld für sich und den Nachwuchs zu bekommen. Man kann dies gern Wunder nennen, aber es ist nicht die selbe Kategorie, wie das Versetzen von Bergen, von dem Jesus sprach (Matthäus Kapitel 17, Vers 20). Oder von dem Befehlen, dass Bäume sich selbst entwurzeln und woanders hinlaufen (Lukas Kapitel 17, Vers 6). Von erstem Wunder sprach auch Paulus im ersten Korintherbrief. Aber die beiden meinten damit nicht irgendwelche Gleichnisse, im Sinne vom Überwinden irgendeiner schwierigen Situation im Leben, sondern vom tatsächlichen Versetzen von Bergen und Bäumen. Diese Art Wunder sehen wir nicht und wir haben nicht einen einzigen Beweis, dass es je anders war. Das ist Magie. Alle Magier heute können früher oder später als gute Trickster oder Betrüger entlarvt werden. Alle Tricks, die sie ausspielen, lassen sich naturwissenschaftlich erklären. Wenn irgendwas von den biblischen Wundern tatsächlich passiert ist, dann haben die Leute damals einfach den Trick nicht verstanden und es daher für Magie bzw. göttliche Intervention gehalten. Es stellt sich für mich sowieso die Frage, wie man das eine vom anderen unterscheidet.
Und diese Art von Wundern und Magie vermutet man einfach auch in der Entstehung der uns umgegeben Welt. Einfach, weil es jahrtausende so erklärt wurde. Vermutlich weil Gläubige sich um etwas betrogen fühlen, wenn es nicht so wäre. Die Entwicklung des Auges ist aber, wie ich bereits schrieb, recht gut dokumentiert und erklärbar.
95 % der Tierarten besitzen Augen. Unter den 38 Bauplänen im Tierreich sind es sechs. Unter den Tieren mit Augen sind der Stamm der Chordatiere bzw. deren Unterstamm die Wirbeltiere mit ca. 40.000 Arten, die Mollusken mit Muscheln, Schnecken und Tintenfischen ca. 100.000 Arten und die Arthropoden mit Krebstieren, Spinnen und Insekten mit mehr als einer Million Arten. Die Stämme mit Augen dominieren somit das Tierreich. Diese Dominanz wird darauf zurückgeführt, dass bereits im Verlauf der kambrischen Explosion vor 540 Millionen Jahren bei Trilobiten entwickelte Augen existierten und das Auge die Evolution der Tierstämme in der kambrischen Explosion steuerte, einer Periode evolutionär sehr schneller Ausbildung der Diversität im Tierreich. Dabei entstanden nach Andrew Parker durch Sehen und Gesehenwerden ausgeprägte Anpassungen in Form von Räuber-Beute-Strukturen. Sehen und Gesehenwerden hatten grundlegenden Einfluss auf die sexuelle Selektion im Tierreich.
Die Größenentwicklung der Tiere in dieser Phase wird als notwendige Voraussetzung für die Evolution echter Augen gesehen. Eine große Linse, eine großflächige Netzhaut und ein Gehirn zur Signalverarbeitung sind nur größeren Tieren möglich, wie sie das frühe Kambrium in vielen Bauplanvarianten hervorbrachte.

Die Voraussetzung zur Entwicklung echter Augen bilden abgewandelte Nervenzellen in Form lichtempfindlicher Sinneszellen, sogenannte Fotorezeptoren, mit dem Sehpigment Rhodopsin, auch Sehfarbstoff genannt. Dieses Pigment besteht aus einer jeweils bestimmten Variante des Proteins Opsin und aus Retinal, einer Vitamin A Variante.
Ein Sehpigment kann immer nur einen bestimmten Ausschnitt aus dem Lichtspektrum absorbieren, z. B. violettes, kurzwelliges Licht oder rotes, langwelliges Licht. Die Opsine sind sich in ihrer Struktur weitgehend ähnlich und gehen auf einen gemeinsamen Opsinvorfahren zurück. Ihre Unterschiede, die evolutionär durch Duplikation und Divergenz entstanden, ermöglichen, dass Evolutionsstammbäume der Opsine abgebildet werden (#1).
Eine Darstellung, dass Rhodopsin in der Evolution nur einmal entstand, lieferte dann eine Studie 2004 (#2). Danach besitzt Platynereis dumerilii (ein rezenter Ringelwurm), beide der bekannten Typen von Rhodopsin, sowohl dasjenige in den Augen der Wirbeltiere, das zum Sehen verwendet wird, als auch dasjenige im Gehirn von Nicht-Wirbeltieren, das in Zellen vorkommt, die nicht zum Sehen verwendet werden. Vorfahren des augenlosen Ringelwurms zählen zu den gemeinsamen Vorfahren der Wirbeltiere und der Wirbellosen und haben die beiden Rhodopsintypen aus einem gemeinsamen evolviert. Es kann daher als wahrscheinlich angenommen werden, dass beide Rhodopsintypen in dieser Wurmlinie ihren gemeinsamen Vorfahren haben.
Noch 1996 schloss Dan-Erik Nilsson nicht aus, Photorezeptorzellen könnten mehrfach evolviert worden sein (#3). Einen Hinweis darauf, dass neben der auf eine Linie zurückgehenden Evolution von Rhodopsin auch die beiden Sehpigmentzelltypen (Bild hier drunter) aus einem gemeinsamen Vorgänger entstanden, ergab jüngst die Entdeckung von Augen beim Seeigel. Seeigel wurden bis zur Entdeckung von äußerlich nicht sichtbaren, clusterartig gebündelten Fotorezeptoren in den Füßen der Tiere als augenlos angenommen. Seeigel sind Neumünder. Bisher unterschied man Urmünder (Protostomia) mit generell mikrovillären Fotorezeptoren, das sind solche mit der Einlagerung des Sehpigments in Ausstülpungen der nach außen gerichteten Fotorezeptorzelle und Neumünder (Deuterostomia) mit generell ziliären Fotorezeptoren mit Wimpernhärchen. Die Fotorezeptoren des Seeigels sind vom mikrovillären Typ. Da die Seeigel zu den Neumündern gehören, hatte man hier den ziliären Fotorezeptortyp erwartet. Da aber, wie jetzt ersichtlich, beide Fotorezeptortypen bei den Neumündern vorkommen, muss nun entgegen früherer Sichtweise für alle Typen ein gemeinsamer Vorgänger angenommen werden (#4).
Bei der Absorption von Licht wandelt der Fotorezeptor, bzw. Retinal die Lichtenergie mittels einer räumlichen Umformung seiner Proteinstruktur (Konformationsänderung) in spezifische Nervenimpulse um, die als elektrische Signale über Nervenbahnen weitergeleitet werden. Fotorezeptoren existierten in der Stammesgeschichte, lange bevor die Evolution von Augen im Kambrium einsetzte. Das früheste Vorkommen von Rhodopsin, und damit die frühesten Augenflecken, waren vermutlich in Vorfahren der heutigen Algen. So besitzt die Grünalge (Volvox) einen Augenfleck mit dem Pigment Rhodopsin.
Von den Algen existiert keine stammesgeschichtliche (phylogenetische) Verbindung zu den Tieren, so dass der gemeinsame Vorfahre mit Rhodopsin bei den Cyanobakterien, der Vorgängerlinie von Chloroplasten gesucht werden muss. Diese sind auch die Vorfahren der Einzeller und damit der Tiere.
Einzeller (Abbildung rechts) wie Dinoflagellaten besitzen bereits in einer einzigen Zelle das kleinste bekannte Miniauge und verwenden Rhodopsin (#5). Ebenso hat die einzellige Grünalge Chlamydomonas bereits eine komplexe optische Struktur mit vielfältigen Pigmentschichten, die als Reflektoren wirken, die Licht sammeln und bündeln. Sogar eine kugelförmige, transparente Linse existiert bei dem Einzellern Erythropsis (#6).
Augenflecken sind häufig unter einzelligen Organismen, darunter auch beim Augentierchen und später in nahezu allen größeren Tiergruppen. Wegen der großen Verbreitung ist es wahrscheinlich, dass die Mehrzahl von Tieren mit Augenflecken und Fotorezeptoren noch nicht entdeckt ist (#7). Der Augenfleck erlaubt dem Lebewesen Hell und Dunkel zu unterscheiden. Dies ist für die Erkennung der Tageslänge und die Synchronisierung mit dem Tagesrhythmus (Photoperiodismus) ausreichend. Zusammen mit einer Geißel (Flagellum) kann es sich gezielt zum Licht hinbewegen (Lokomotion). Das heißt, schon diese einfachen Augen haben einen evolutionären Vorteil, ganz ohne Linsen und Glaskörper, Sehnerv oder Hirn.

Rhabdomerischer Fotorezeptor bei Wirbellosen und ziliare Fotorezeptorzelle bei Wirbeltieren
#1 - Georg Glaeser u. Hannes F. Paulus. Die Evolution des Auges. Springer-Spektrum 2014
#2 - D. Arendt, K. Tessmar-Raible, H. Snyman, A.W. Dorresteijn, J. Wittbrodt: Ciliary Photoreceptors with a Vertebrate-Type Opsin in an Invertebrate Brain. In: Science. 306. Jahrgang, Nr. 5697, 29. Oktober 2004, S. 869–871, doi:10.1126/science.1099955, PMID 15514158.
#3 - Dan-Erik Nilsson (1996). "Eye ancestry: old genes for new eyes". Current biology : CB 6 (1): 39–42. doi:10.1016/S0960-9822(02)00417-7. PMID 8805210
#4 - Unique system of photoreceptors in sea urchin tube feet. Esther M. Ullrich-Lüter, Sam Dupont, Enrique Arboleda, Harald Hausen and Maria Ina Arnone. Proceedings of the National Academy of Sciences. PNAS May 2, 2011
#5 - IR Schwab: You are what you eat. In: British Journal of Ophthalmology. 88. Jahrgang, Nr. 9. BMJ Group, September 2004, S. 1113, doi:10.1136/bjo.2004.049510, PMID 15352316, PMC 1772300 (freier Volltext).
#6 - Simon Ings: Das Auge'. Meisterstück der Evolution. Hoffmann und Campe Hamburg. 2008. Orig.: The Eye: A Natural History, Bloomsbury, 2007, ISBN 978-0-7475-7805-5
#7 - Dan-Erik Nilsson: Eye evolution and its functional basis. Visual Neuroscience (2013), 30, 5-20