Der "kleine" Kongress 2022 - Stärke deinen Glauben (Part III)Es geht noch weiter.
... 130, 26.01.2023:
Der "kleine" Kongress 2022 - Stärke deinen Glauben (Part I)... 132, 02.02.2023:
Der "kleine" Kongress 2022 - Stärke deinen Glauben (Part II)Und wenn ihr denkt, dass kann ja kaum besser werden, kommen wir auch schon zur Vortragsreihe "Anderen helfen, ihren Glauben zu stärken".
Den Anfang machen die armen Jugendlichen. Ich weiß nicht, ob ihr es schon wusstet, aber an Schulen wird, wenn auch stark vereinfacht und manchmal auch nur schemenhaft, Wissenschaft gelehrt. An öffentlichen, staatlichen und sogar an privaten Schulen. Stellt euch das mal vor. Und dazu gehört halt leider auch die Evolutionstheorie, sowie im Ethik- und Religionsunterricht das Betrachten anderer Philosophien und Glaubensrichtungen als der eigenen.
Wie jungen Menschen weiter in der Zeugen-Bubble verharren können, ist der altbekannte Weg: Sie sollen sich selbst von der Bibel überzeugen, am Besten unterstützt durch ein regelmäßiges Familienbibelstudium und einem zusätzlichen regelmäßigen Studium mit den einzelnen Kindern. Wie sieht aber so ein Studium aus? Mit vorgefertigten Fragen werden vorgefertigte Antworten in vorgefertigten Schriften gesucht. Wer fertigt diese Schriften? Die Wachtturm-Gesellschaft. Die Kinder, die in aller Regel gar nicht den Überblick haben und auch nicht die Menschenkenntnis, Betrug sicher zu erkennen, kommen dann natürlich zu den "richtigen", den "eigenen" Schlussfolgerungen. Das alles soll ihnen helfen, biblische Standpunkte zu verteidigen, zum Beispiel, wenn sie mit verschiedenen Themen konfrontiert werden.
Die Evolution zum Beispiel oder ob es einen Gott gibt. Ich frage mich, wo diese Leute zur Schule gehen, dass sie derart maltretiert werden. Eine US-amerikansiche kann es kaum sein. In vielen US-Bundesstaaten und manchmal auch in vereinzelten Schuldistrikten haben Biologie Aufkleber, der vor Büchern mit Inhalten zur Evolution warnt.
In einen gut sortierten Biologieunterricht gehört aber nun mal diese Aufarbeitung einfach dazu. Niemand käme auf die Idee, solche Sticker auf Bibeln zu kleben, mit der Aussage, das die Geschichte in Genesis ein unbewiesener Mythos ist und deswegen offen diskutiert werden sollte. Versuch mal den Priester in seiner Predigt zu unterbrechen und ihn zu fragen, wie Gott wohl dieses oder jenes gemacht hat. Da sitzt man schnell vor der Tür. Es geht nicht um Offenheit oder einen wissenschaftlichen Diskurs. Es geht um die Verteidigung eines kreationistischen Weltbildes, dass in der modernen Gesellschaft keinen Platz mehr haben sollte. Es geht darum, einen Mythos gegen die moderne Wissenschaft zu verteidigen und das bald 170 Jahre.
Was auch dazu kommt, ist das Thema Homosexualität. Natürlich kann man da die Bibel verteidigen. Aber die beschreibt diese Form der Sexualität, beziehungsweise der Liebe und jene andere von der "Norm" abweichende Art als Unzucht, als abartig und als sündhaft. Mit jemanden, der einen solchen Standpunkt vertritt, kann man sowieso nicht vernünftig argumentieren. Es gibt keine Studien, die belegen, dass Schwule für irgendwelche Leiden verantwortlich sind (auch wenn HIV und AIDS immer wieder aufgezählt werden) oder Lesben keine guten Mütter sein können. Homosexualität ist keine sündhafte Einstellung, ja nicht einmal ein bewusstes Handeln. Die Studienlage der letzten Jahre zeigt immer deutlicher, dass es wohl sehr stark von Genen abhängt. Für seine sexuellen Preferenzen kann man also recht wenig.
Homosexuelle sind übrigens genauso an stabilen Beziehungen interessiert und genauso an einem normalen Miteinander. Das zeigen Bewegungen zur Legalisierung der Ehe für Alle, nicht nur heterosexuelle Paare. Sie versuchen nicht jeden davon zu überzeugen, dass ihre Art der Liebe, die beste ist und dass sie gefälligst alle Praktizieren sollen. Homosexuelle wollen Leute nicht therapieren oder ins Gefängnis stecken, weil die nicht auch schwul, lesbisch, pan- oder a-sexuell sind. Homophobe und andere Verteidiger des Abendlandes aber schon. Homo- und Anderssexuelle wollen Heterosexualität nicht verbieten oder kriminalisieren. In die andere Richtung ist es aber so.
Die moderne Gesellschaft kommt mit den Gesinnungen einzelner deutlich besser klar, als noch vor vielen Jahren. Es gibt diese Szene in einem der Videos der Zeugen, wo alle ein sichtbares Zeichen für die Unterstützung der Gay-Community tragen, die man am Markt zum Einkauf dazu bekommt. Die Zeugin lehnt natürlich ab und hat sofort einen Shitstorm um sich. Das mag das Bild stützen, dass die ganze Welt hinter ihnen her ist. Aber es hat nichts mit der Realität zu tun. In der echten Welt kümmert es die Umherstehenden nicht, ob du es annimmst oder nicht. Denn jeder weiß, dass es verschiedene Gründe geben kann. Vielleicht war man schon da und hat so ein Armband in Regenbogenfarben schon. Oder man kann es sich aktuell nicht leisten, weil man jeden Penny zweimal umdrehen muss. Oder es passt aus modischen Gründen nicht. Whatever. Niemanden interessiert es. Wer es unterstützen mag, tut es. Wer nicht, der nicht.
Auf dem Kongress wurde aber nicht das Video gespielt. Das war vor ein paar Jahren. Ich kann es nicht mehr genau sagen. Die Kongress fühlen sich alle irgendwie gleich an. Auf diesem Kongress wurde ein Bruder gefragt, wie das bei ihm war. Der kam ins Zweifeln durch Fragen eines Interessierten. Er hat jetzt aber nicht die Frage zum Anlass genommen, sich selbst ein Bild zu machen, denn offenbar ist eine kritische Grundeinstellung falsch. Dieser verfluchte Skeptizismus des Interessierten hat auf ihn abgefährt und nun hat er sich selbst gefragt: "Gibt es überhaupt einen Gott?" Erst war er schockiert, dass er als jahrelanger Verkündiger der guten Botschaft überhaupt auf die Idee kommt, sich diese Frage zu stellen. Aber sorry. Das sollte am Anfang eines jedes Bibelstudiums stehen, auch dem eigenen. Egal, ob man durch die Eltern einfach in der Religion aufgewachsen ist oder ob man konvertiert wird. Der Bruder jedenfalls hat dann versucht, passende Artikel zu lesen, unter anderem die Schöpfungsbroschüren. Das Lesen von hauseigenen Publikationen einer kreationistschen Vereinigung wird nur leider kein differenziertes, wissenschaftliches Bild liefern, sondern lediglich Cherry-Picking zum Bestätigen, des eh schon verwurzelten Weltbildes. Er hätte sich damit beschäftigen sollen, was zum Beispiel Evolutionsbiologen wirklich zum Beispiel zur Entwicklung der Arten zu sagen haben. Und dann hätte er immernoch abwägen können, was ihm mehr zusagt. Der Interviewer fragt dann auch, ob damit alle Zweifel ausgeräumt waren. Der Bruder antwortet, dass es zwar schon gut war, aber ihn noch nicht zu dem Punkt brachte, wo er eine feste Überzeugung hat. Ja, mein Freund. Das wäre vermutlich der Punkt gewesen, abzuspringen. Das war noch kein älterer Bruder, also hat er, aufgewühlt wie er war, sich dem Papa geöffnet und der hat geduldig zugehört. Zusammen haben sie tief studiert (was auch immer das ist) und zwar das Buch "Gibt es einen Schöpfer, der sich für uns interessiert?" Boom, er war wieder auf Linie gebracht.
Später hat ihn sein Ausbilder auf Arbeit gefragt, ob Jesus überhaupt existiert hat. Er hat sich eine Beweiskette aufgebaut und beim nächsten Mal vorgetragen. Dadurch hat er seine eigenen Zweifel ausgeräumt.
Für die Eltern war das ein Zeichen: Wenn die Kinder den Glauben hinterfragen, kann das erschüttern und vielleicht sogar verletzten. Aber mit viel Spucke und permanenter Wiederholung zu Hause und in der Versammlung wird es bei den meisten schon fruchten. Man soll ein guter Beobachter sein, um möglichst früh in den Prozess des Zweifels einzugreifen. Beten, geduldig sein und demütig soll wohl auch helfen. Nur die Analogie mit dem Wasser in der Wüste zum Schluss ist wieder schwierig. Wasserquellen in der Wüste versiegen und tauchen woanders wieder auf und ihr Vorrat ist irgendwann aufgebraucht. Besonders, wenn man mehr rausnimmt als von unten nachfließt. Aber es ist wieder ein wunderbares Bild des Wir-gegen-die. Die Wüste, dass sind alle, die nicht auf Jehovas Wegen wandeln, die Wasserquellen sind die Brüder und Schwestern, die sich gegenseitig geistig erfrischen. Vorträge sind in der Regel durchzogen von solchen Schwarz-Weiß-Bildern.
Als nächstes in dieser Vortragsreihe "Anderen helfen, ihren Glauben zu stärken" sind Bibelschüler dran.
Es muss dem Schüler nicht nur Wissen vermittelt werden, sondern er muss dazu gebracht werden, dass zu glauben und eine Liebe zu diesen Dingen zu entwickeln. (klinge gerade selber wie die)
Wichtig dabei sind auch Freizeitaktivitäten oder das Anbieten von Hilfe. So kann dem Schüler gleich auch gezeigt werden, was für freundliche Leute sie doch durch Gottes Wort geworden sind. Nicht so, wie diese Schurken, die man sonst so um sich hat. Denn was kann dem Bibelschüler Probleme bereiten einen starken Glauben zu entwickeln? Die gottlose Welt. Obschon die meisten Menschen auf Erden irgendeiner Religion zugehörig sind (besonders in Europa ist das aber rückläufig). Manche von denen sind strenger in ihren Auslegungen und ihrer Alltagsgestaltung nach den Glaubenssätzen und andere nicht. Aber im Grunde ist das für einen Zeugen Jehovas egal, auch wenn sie laut Webseite offiziell jeden Glauben respektieren. Nicht, dass dem tatsächlich so ist, wie ja bereits die Bezeichnung "gottlose Welt" (vom Redner, nicht von mir) nahelegt.
Da die Leute untereinander ein fehlendes Vertrauen haben, vertrauen viele auch nicht mehr Gott. Man muss dabei aber beachten, dass die Gesellschaft ihren Sitz in den USA hat, die schon noch sehr viele, sehr religiöse Menschen haben. Sie beten vor dem Essen, vor dem nächsten Spielzug im Football oder vor der Zeugnisausgabe. Als könnte Gott irgendwas daran ändern kann, dass die Zensuren so sind, wie sie sind, wenn Klein-Justin das Jahr über lieber auf TikTok und Instagram war, als im Unterricht aufzupassen. Und warum sollte Gott sich für das eine Team einsetzen und für das andere nicht? Auf beiden Seiten beten Spieler. Und Gott macht auch das Gift im Essen nicht weg, sollte man die unbekannten Pilze doch irgendwie unsachgemäß zubereitet haben. Also offenbar können Leute anderen Personen misstrauen und gleichzeitig fromm sein.
Gottes Moralgesetze sind den Bibelschülern fremd. Zum Beispiel beim Thema Freizügigkeit. Aber hätte Gott die Menschen ohne sexuelle Interessen haben wollen, dann hätte er uns nicht so fabelhafte Vorrichtungen gemacht. Und insbesondere den Männern diese instinktartigen, animalischen Triebe selbst beim Anblick einer Anziehpuppe rammlig zu werden. Es gibt Studien, die zeigen, dass Männer auf optische Reize deutlich stärker reagieren als Frauen. Ein nackter Mann wirkt vielleicht attraktiv, aber bringt Mädels in der Regel nicht so sehr um den Verstand wie eine Frau in Kleidung, die lediglich ihre Beine zeigt und das auf einem Plakat. Für jede Männer-Piepshow auf diesem Erdenrund gibt es mindestens 100 Stripclubs, wo hübsche Frauen oder hübschgebaute Frauen, die Hüllen fallen lassen. Die Werbeleute wissen das. Perfüm für Männer verkauft sich signifikant besser, wenn eine heiße Lady das Produkt anpreist, während es umgekehrt deutlich weniger Einfluss hat. Die Studienlage bei Homosexuellen ist noch etwas wage, um da jetzt dedizierte Aussagen zu treffen.
Was hatte er noch erwähnt? Oh ja, Sorgen das die Familie und Freunde einen verachten, weil man sich taufen lässt. Das war auch bei mir der "Rettungsanker", es so lange hinauszuzögern, wie ich konnte. Und dabei ist unsere Familienbande oberflächlich betrachtet, gar nicht so stark. Schade eigentlich, man könnte sich gegenseitig noch besser schützen. Aber wenn es bereits soweit ist, in unserem aufgeklärten Land, wo die Stammes- und Religionszugehörigkeit nicht mehr so wichtig sind, wie in Afrika oder Südamerika zum Beispiel oder den arabischen Ländern, sollte etwas wie Verachtung seltener sein, auch wenn es leider immer noch der Fall ist. Meist ist es aber nicht das. Es geht nicht um Verachtung. Freunde und Familie sind vermutlich eher enttäuscht, dass man diesen Weg geht, obwohl man gewarnt hat. Nicht, weil man Gott hasst, sondern weil man sich um dieses früherer Mitglied der eigenen Gruppe sorgt. Es ist zwar nicht alles wahr, was über Zeugen so in der Mundpropaganda kursiert (das sie zum Beispiel keine Jeans tragen oder Haare färben dürfen), aber so manches leider doch. Zum Beispiel, dass es eine strikte Doktrin gibt, die von oben vorgegeben ist. Es macht den Anschein, dass sie sich für andere Ansichten interessieren, aber das nur, um einen Hebel für ihre Argumentation zu finden. Ein offener Austausch über Glaubensansichten ist weder mit einer Person im Haus-zu-Haus-Dienst, noch mit einem Bibelstudierenden und auch nicht in der Versammlung untereinander möglich, ja nicht einmal erwünscht. Gespräche darüber werden geblockt. Man sucht keinen Diskurs, sondern Gleichschaltung.
Das letzte Hindernis sind die Selbstzweifel "Gott will mich doch gar nicht". Und das mag stimmen. Aber für "die irdische Organisation" sind neue Geldgeber ... eh Mitglieder ... und kostenfreie Arbeitskräfte gern gesehen. Zu dieser Frage kam ich persönlich nie. Wenn Gott mich aber hätte haben wollen, sollte er aufhören, irgendwelche Leute in seinem Namen sprechen zu lassen, sondern selber mal in Erscheinung treten. Mit Entwicklung der Fotografie nahmen die göttlichen Wunder ab. Mit Entwicklung der Fotofälschung, zuletzt Photoshop, nahm sie wieder zu. Wenn man Wunder faken muss, hat Gott offenbar kein Interesse an uns, sonst würde er sich mal persönlich vorstellen. Armageddon und die damit einhergehende Vernichtung aller Nicht-Zeugen wäre somit nur ein weiterer Armutsbeweis für den doch so allweisen Skydaddy. Denn wenn er alles kann, sollte er sich auch unmissverständlich und für alle klar ersichtlich zu erkennen geben können.
Zum Unterscheidungsvermögen, dass beigebracht werden soll, könnte man ganze Bücher schreiben. Denn das hier angesprochene Unterscheidungsvermögen hat mit tatsächlich selbstständiger Urteilsfindung und ausgewogener Betrachtung unterschiedlicher Quellen herzlich wenig zu tun. Unterscheidungsvermögen bedeutet hier lediglich, dass man unterscheiden soll, welche Quellen man zu Rate zieht. Kritische Quellenanalyse ist damit aber nicht gemeint. Und wenn euch ein Zeuge sagt, er habe selbst studiert und sich mit den Argumenten beider Seiten vertraut gemacht, dann könnt ihr davon ausgehen, dass er lediglich in den Publikationen der Wachtturm-Gesellschaft das gelesen hat, was er auch in jedem Wachtturm hätte lesen können. Es gibt keine faire Betrachtung der Gegenseite in der Literatur der Wachtturm-Gesellschaft und da Zeugen eingebläut wird, möglichst nur die hauseigenen Schriften zu verwenden, wird der typische Zeuge nie mit der akademischen Sichtweise von gegenteilige Argumenten aufmerksam werden. Das Studium ist daher eher als Selbstindoktrination zu betrachten.
Wichtig ist es, den Bibelschüler nicht nur intellektuell zu unterhalten, sondern ihn emotional zu binden. Also gehört es auch dazu, seine Confirm Bias auf diesen zu übertragen. Jedes Gebet, das Gott "erhört" hat, ist dabei eine weitere persönliche Erfahrung, die man weiter geben kann. Wer gut konditioniert ist, merkt nicht mal mehr, wie oft Gott ein Gebet nicht erhört hat, beziehungsweise blendet es komplett aus. Man soll sich halt als Freund anbieten, nicht nur als Lehrer. Das macht die Bindung zur Gruppe leichter und hilft bei der Immunisierung gegenüber Außerstehenden, auch Freunden, die man schon seit dem Sandkasten kennt. Alte Freundschaften lösen sich auf. Und das wird innerhalb der Glaubensgemeinschaft sogar gewünscht. Denn "weltliche" Freunde sind unterbewusst von Satan gesteuert oder zumindest beeinflusst. Je größer der Abstand, desto besser die Beziehung zu Gott. Wenn man aber Psychotricks braucht, um Gott "ins Herz zu lassen", kann er so mächtig nicht sein.
Der nächste Part der Vortragsreihe behandelt Glaubensbrüder.
Die müssen sich ja gegenseitig Mut machen. Besonders in dieser bösen Welt, in der alle nach den Zeugen Jehovas trachten. Dabei gibt es aber auch immer den Druck durch die Gruppe, immer noch mehr zu leisten. Auch wenn man sagt, man solle seine Kräfte richtig einschätzen, gibt es in den entsprechenden Vorträgen und Artikeln immer auch die Aufforderung, dass man sich selbst prüfen soll, ob man nicht doch noch irgendwas mehr machen kann. Diesen oder jenen Posten, vielleicht Pionier oder Dienstamtgehilfe. Besonders an jungen Männern scheint immer Mangel zu herrschen. Nachvollziehbar, Jugendliche und junge Erwachsene, die sich selbst nie als Zeugen identifiziert haben, sondern lediglich den Glauben ihrer Eltern nachspielen, fühlen sich irgendwann nicht mehr wohl in dieser kontrollorientierten Gruppe und brechen aus. Ein eigenes Leben zu starten und sich unabhängig zu machen, macht auch vor den Zweifeln, ob es sich um die richtige Religion handelt, nicht halt. Und das ist auch gut so. Er kann nur gewinnen. Entweder der Bruder hat Zweifel und die Wahrheit holt ihn zurück und sein Glauben ist stärker als zuvor, da sie sich ihm immer und immer bewiesen hat oder es ist nicht die Wahrheit und er sollte frei sein, einfach zu gehen.
Man soll sich gegenseitig aufbauen. Aber oft greift auch immer wieder der Mechanismus, dass derjenige, der gerade Zweifel hat, irgendwann in ein Gespräch mit den Ältesten kommt. Der Gruppenaufseher oder gleich im Tag-Team. Dann wird gefragt, was er getan hat, um die Zweifel zuzudecken oder zu zerstreuen, sie irgendwie weg zu machen. Als ob es die andere Option, der Zweifel hat recht und es ist nicht die Wahrheit, gar nicht zur Debatte steht. Es darf nicht sein. Es darf einfach nicht sein.
Man soll Gespräche in eine positive Richtung lenken. Im Grunde wird man immer wieder dazu aufgefordert, Gespräche zu lenken, bestimmte Richtungen auszublenden, bestimmte Gedanken einfach auszublenden. Natürlich spricht nichts dagegen, sich gegenseitig mit guten Worten aufzumuntern. Aber es sollte nie in der Art geschehen, dass der freie Austausch dabei zum Opfer fällt.
Wir haben es fast geschafft.
Nach dieser dreiteiligen Vortragsreihe kam der Schlussvortrag "Den Blick auf Jesus gerichtet halten, den Hauptvermittler und Vervollkommner unseres Glaubens". Der Beginn dieses Vortrags war wieder die Geschichte, als Jesus über den See Genezareth im Sturm spaziert und Petrus fragt, ob er das auch mal probieren darf. Zuerst läuft der Apostel auf dem Wasser, aber als er seinen Blick von Jesus auf den Sturm richtet, geht er plötzlich unter. Eine tolle Geschichte, die das Thema des Vortrags gut wiedergibt. Aber es ist eben eine Geschichte, die wir in Matthäus Kapitel 14 finden. Und ohne Petrus im Wasser, aber dem spazierenden Jesus finden wir die Geschichte auch in Markus Kapitel 6 und Johannes Kapitel 6. Wenn die Schreiber wirklich die Schreiber sind, nachdem die Evangelien benannt wurden, dann ist Johannes der einzige Apostel, der diese Geschichte aufgeschrieben hat. Komisch, dass von Petrus auf dem Wasser gerade bei ihm nichts zu lesen ist, aber bei dem anderen Typen, der nicht einmal Augenzeuge gewesen sein kann. Ein Schelm, wer hier zu kritisch denkt. Aber es ist nur eine Geschichte, die nicht nur ziemlich wahrscheinlich nie passiert ist, sondern die auch gegen den gesunden Menschenverstand spricht, weil so etwas zuvor nie passiert ist und auch nachher nie wieder. Das ist eines der Geheimnisse von Jesus Wundern. Sie hinterlassen keine Beweise, nur "Augenzeugen". Aber nicht jeder, der mal einen Straßen- oder Bühnenmagier gesehen hat, glaubt deswegen gleich an echte Magie. Man kann sich ziemlich sicher sein, dass es wohl einfach nur ein Trick ist, der die Augen täuscht. Sobald aber irgendeine Religion involviert ist, muss es real sein.
Was soll aber das aktuelle Publikum mitnehmen? Die Welt ist katastrophal. Ein toller Vergleich zum Sturm in der Geschichte. Wir, die wir nicht Zeugen sind, gehören zu diesem Sturm und die armen Fische rund Jünger Jesu im Boot sind die Zeugen Jehovas. Jesus ist der Schlüssel und Mittelpunkt aller Vorsätze Jehovas. Wenn wir uns also auf ihn konzentrieren, konzentrieren wir uns auch auf Gottes Weg. Wer es nicht tut, geht unter.
Jesus rettet Paulus, indem er ihm die Hand reicht und er schlussendlich auch wieder ins Boot steigt. Für uns auch wieder ein doppeldeutiges Zeichen: Wir müssen Jesus Hand nehmen und in sein Boot steigen, also uns seiner "irdischen Organisation" anschließen. So interpretiert es zumindest der Vortragsredner. Außerdem zeige diese Geschichte, wie mitfühlend Jesus doch als Hohepriester und König sein wird, wenn er denn erst mal regiert und das Böse vernichtet. Also alle, außer denen, die im Boot sind. Also auch mich und dich.
Es wird auch erwähnt, dass wenn wir die Organisation betrachten und wie sich die verschiedenen Strukturen darin unterstützen, muss das ein Vorgeschmack auf den Himmel sein. Nur macht die Spitze halt nichts. Sie zeichnet sich dafür aus, dass die Leute an der Basis, freiwillig irgendwelche Spenden sammeln, Sachen packen, Briefe schreiben, zu Arbeitseinsätzen reisen und so weiter. Alles auf deren eigene Kosten. Sie werden weder finanziell noch logistisch unterstützt. Sie opfern ihre freie Zeit und Teile ihres Jahresurlaubs ohne Entlohnung für eine Organisation und deren Hilfsprojekte, die in aller Regel den eigenen Leuten in Krisengebieten zu gute kommen. Wow. Wenn das ein Vorgeschmack auf den Himmel ist, können wir uns wohl vorstellen, wie Jesus und Skydaddy die Lorbeeren dafür ernten, wenn eine Schar niederer Engel irgendwas aus eigener Anstrengung geschafft hat. Ist das der Gott, dem ich folgen soll?
Außerdem gibt es da ja noch ganz andere Sachen, die nicht so recht ins "geistige Paradies" passen. Was ist mit den undurchsichtigen Spenden- und Einnahmestrukturen? Oder der fehlenden Aufarbeitung von Kindesmissbrauch in den eigenen Reihen? Oder den Strukturen und Regularien (z.B. Zwei-Zeugen-Regel), die systematischen Kindesmissbrauch und dessen Vertuschung überhaupt erst ermöglichen, ja sogar begünstigen?
Es wurde dann auch wieder von Gehorsam und Vertrauen gesprochen. Komisch, dass diese autokratischen Strukturen bei Jesus gar nicht bekannt waren. Seine Gesellschaft würde man heute eher als Hippie-Kommune verstehen. Ein loser, veränderlicher Tross an Leuten, die dem Mann folgen, der durch die Lande zieht und seine Weisheiten unters Volk bringt. Noch nichts zu sehen, von den Strukturänderungen mit denen Paulus im Grunde ein ähnlich starres Regelwerk errichten will, wie er es aus seiner Zeit als Pharisäer gewohnt war. Auch wenn der Ausrichtungspunkt hier Jesus ist. Der Grund der vielen Regeln zum Christsein verdanken wir also nicht Jesus, der ja im Grunde das Regelwerk mit den zwei Regeln: "Liebe Gott und liebe deinen Nächsten wie dich selbst." abgeschafft hat, sondern Paulus. Vermutlich einer der Gründe, warum seine Briefe im Neuen Testament, nach den 4 Evangelien den größten Teil einnehmen.
Der 4. Grund (ja es war in Parts unterteilt, habe ich aber bislang unterschlagen, weil es für die Betrachtung keinen Unterschied macht) unseren Glauben zu stärken, ist der Zweifel. Dies sei eine der wirksamsten Waffen Satans. Die anderen sind Sex-Sells (immerhin ist das Ausschlussgrund Nr. 1 bei den Zeugen Jehovas) und Fakten. Gemeint wird im Vortrag Selbstzweifel, Zweifel an der leitenden Körperschaft, Zweifel an Brüdern, Zweifel an der Wahrheit, Zweifel an Jehova. Ich habe nie an Jehovas Existenz gezweifelt. Für mich war es immer klar, dass es keinen Beweis für seine Existenz gibt und damit kann es auch keine Zweifel geben. Dann wird Hebräer Kapitel 11, Vers 6 zitiert:
Denn Gott hat nur an den Menschen Gefallen, die ihm fest vertrauen. Ohne Glauben ist das unmöglich. Wer nämlich zu Gott kommen will, muss darauf vertrauen, dass es ihn gibt und dass er alle belohnen wird, die ihn suchen.
- Hoffnung für alle
Wie kann Gott also Ungläubigen helfen. Denn in den Wachttürmen finden sich immer wieder Geschichten von bis dato Ungläubigen, die sich irgendwie selbst in diese Religion hineinbuchsieren wollen und Gott sie dabei unterstützt hat. Wie? Sie gefallen ihm bis dahin doch gar nicht. An welchem Punkt setzt der Glaube ein, wenn Gott bis dahin durch nichts für sie tätig wurde? Und wenn er tätig wurde, warum dann schon bevor Glauben da war?
Der Glaube soll die Zweifel vertreiben. Aber auch das beißt sich. Glaube muss sich entwickeln, wenn der Zweifel noch da ist. Und warum ist Zweifel etwas, dass es zu vertreiben gilt? Zweifel ist wichtig, um die Wahrheit überhaupt zu erkennen. Aber das kennt man schon aus anderen Schriftstücken: Bezweifeln darf man gern seine alten Ansichten, aber bitte doch nicht die eine wahre Religion. Allerdings muss sich so eine Behauptung immer wieder an der Realität messen. Immer wieder muss man Daten sammeln und zusammenführen.
Man soll dann wieder so eine Liste erstellen und sich überlegen, wofür man Gott danken könne. Und wow. Diese Liste bliebe bei mir leer. Immernoch.
Man solle auch sich selbst nie zu sehr vertrauen. Was auch immer das wieder für eine schwammige Aussage ist. Wie viel ist zu sehr? Ist Selbstvertrauen generell böse. Ich denke nicht. Jedes Kind, das Bestätigung dafür erhält, dass es zum ersten Mal auf zwei Beinen steht oder das gerade Lesen lernt oder was auch immer, wird von außen angefeuert, um Selbstvertrauen in die neu erworbene Fähigkeit zu gewinnen und weiter daran zu arbeiten. Ohne Selbstvertrauen wäre auch der Predigtdienst nicht durchführbar. Offenbar aber hat die Pandemie da sowieso schon ihre Zeichen hinterlassen. Die Pflichtstunden für einen Pionier und Hilfpionier sind fast halbiert worden, damit überhaupt noch Leute für diesen Titel auf Achse sind. Aber dieser Titel bedeutet tatsächlich nichts weiter als einen Status. Er bringt keine Bonuspunkte im Himmel und auch keine Beförderung in der Versammlung. Für die meisten ist außer diesem Titel sowieso nichts drin, denn der deutlich größere Teil der Pioniere, Hilfspioniere und Sonderpioniere sind Frauen und deren einzige Möglichkeit der Versammlung zu nützen ist, Predigtdienst und Kinderaufzucht. Sie dürfen keine Ämter bekleiden, keine Ausschüsse leiten oder bewohnen, keine Bestimmungen erlassen oder mitbestimmen. Sie haben eine Art Wahlrecht bei Resolutionen, aber außer ja und nein bei vorgefertigten, zielgerichteten Vorträgen zur Resolution ist nichts drin. Diese Wahlen sind auch nicht geheim. Das sind sie allgemein nie. In der Versammlung wird die Resolution verlesen und durch Handzeichen dafür oder dagegen gestimmt. Aufmerksame Brüder und Schwestern in den hinteren Reihen können also dann schon erkennen, wer der gleichen Gesinnung ist und mit wem man lieber nix zu tun haben will.
Zum Glück bin ich diesem toxischen Umfeld entkommen. Wenn auch noch nicht ganz, denn meine Frau versucht mich wieder mit weinerlicher Stimme und nun auch über unseren gemeinsamen Sohn da wieder rein zu holen. Sie schrieb meine Anwesenheit bei würde mir auch gut tun. Nein, wird sie nicht. Ich bin ausgeschlossen und für die Versammlung im Allgemeinenund für ein paar einzelne im Speziellen schon faktisch tot, ein Störenfried. Sobald Jehova seinen Genozid beginnt, gehöre ich zu den Totgeweihten. Und eine Religionsgemeinschaft zu der ich nicht mehr zurückwill, im Kopf nie dabei war, wird mir nicht gut tun. Eine Audio-Nachricht vom Kind kam ein paar Tage später hinterher. Der kann die Dimension nicht begreifen und merkt sicher nicht einmal, dass es nicht sein eigener Wunsch ist, sondern er diesen Gedanken beigebracht bekommt.
Wie dem auch sei, passt mein abweisendes Beispiel zum letzten Punkt:
Thomas, der Ungläubige, wird immer wieder als schlechtes Beispiel angeführt. Sein Zweifel, ob es sich beim erschienen Geist auch wirklich um Jesus handelt, wurde auch hier wieder in ein negatives Licht gerückt. Ich frage mich, wie der Vortragsredner reagiert, wenn er an einer Bank vorbeigeht, auf der steht "Frisch gestrichen"? Wir wissen nicht, wie lange dieses Schild schon da ist. Ist die Farbe mittlerweile getrocknet oder ist die Bank tatsächlich erst vor kurzem gestrichen worden? Bereits das er sich diese Fragen stellen kann, bedeutet, dass er an der Richtigkeit Zweifel hat. Es ist nichts weltbewegendes. Aber nur durch das sanfte Berühren der Bank wird er herausfinden, ob das Schild noch aktuell ist oder nicht mehr. Zweifel gehört zum gesunden Menschenverstand genauso dazu, wie das Ablegen vereinfachter Erklärungen, wie der Weihnachtsmann oder die Zahnfee.
Thomas wollte nicht blind glauben. Er wollte Gewissheit. Etwas das bei allen anderen Dingen im Leben völlig selbstverständlich akzeptiert wird. Das zeigt aber auch ganz gut, was für diese religiöse Gruppe wichtiger ist. Die Gläubigen sollen keine Gewissheiten haben, sie sollen gehorchen.
Schade.
Damit hätten wir aber diese Märchenstunden auch endlich abgeschlossen und können uns wieder neuen Projekten widmen.