11 Scheinargumente, die jeder erkennen sollteDas hier ist auch wieder was ganz besonderes. Es ist der 300. Beitrag der Rubrik "Der Kritiker". Dafür kann es schon mal Applaus geben.
Alle Beispiele beziehe ich auf das Thema "Evolution oder Schöpfung", weshalb ich den Text hier veröffentliche und nicht bei den Verschwörungstheorien, wo ja von MaiLab bereits 2 Videeos mit ähnlichem Inhalt kursieren. Dieser Text ist aber älter als die Video-Verlinkungen. Er schlummmerte bereits locker 1 Jahr in meinen Speichern herum.
Nicht zwangsläufig festgenagelt, aber doch orientiert, ist dieser Text an Carl Sagans Argumentationstypen aus seinem Buch "
The Demon-Haunted World: Science as a Candle in the Dark" (in Deutsch erschienen mit dem Titel "
Der Drache in meiner Garage oder die Kunst der Wissenschaft, Unsinn zu entlarven").
In diesem Buch zeigt Sagan an zahlreichen Beispielen den Mangel an kritischem Denken auf. Zum Großteil beruht dies auf unzureichender naturwissenschaftlicher Aus- und Allgemeinbildung. Die wichtigsten Grundprinzipien der Naturwissenschaft sind Überprüfbarkeit und eine kritische Haltung gegenüber dogmatischen Sätzen beliebiger Autoritäten.
Hier möchte ich mich mit elf der häufigsten Scheinargumente beschäftigen. Wie erkennt man diese? Alltägliche Situationen können sich schnell in hitzigen Diskussionen niederschlagen. Scheinargumente zu kennen und auch als solche zu entlarven, kann Debatten die Hitze entziehen. Doch merke: Selbst die besten "echten" Argumente helfen nicht, wenn man sich nicht zurücknehmen kann. Argumenatives Festnageln ist nicht hilfreich, den eigenen Standpunkt zu vermitteln und das Gegenüber zu überzeugen.
Wenn man Scheinargumente erkennt, sind sie eigentlich ganz einfach zu entkräften.
Fangen wir an:
Argumentum ad hominem - Das Argument auf die PersonVermeintliche Schwächen des Diskussionpartners werden ins Spiel gebracht, um dessen Standpunkt und seine Argumente zu delegitimieren.
Beispiel: "Du bist schon zweimal durch die Bio-Prüfung gerasselt. Woher willst du etwas über die Mendel'schen Vererbungsregeln wissen?"
Es gilt allerdings, die Argumente selbst auf ihre Tauglichkeit zu prüfen, nicht das vermeintlich schlechte Bildungsniveau des Argumentierenden. Fakten und Daten ändern sich nicht durch den Mund, der sie äußert.
Argumentum ad verecundiam - Das Argument der AutoritätDieses Scheinargument ist artverwandt dem ersten. Nur geht es diesmal nicht um, den Diskussionpartner, sondern um irgendeine "Autorität", die zu irgendwas die gleiche Meinung vertritt, wie man selbst oder das Gegenüber. Negative Assoziationen werden bei gegenteiligen Standpunkten propagiert, positive bei gleichem Standpunkt.
Beispiele: "Ernst Haeckel war für seinen Antsemitismus bekannt und befürwortete Euthanasie, um im Sinne der Evolution nur die Stärksten überleben zu lassen. Die Evolutionstheorie ist also überhaupt nicht moralisch haltbar."
Oder: "Albert Einstein hat gesagt, Gott würfelt nicht. Es kann also nicht alles auf den Zufall geschoben werden."
Mit Autoritäten sind hier Personen gemeint, die nicht tatsächlich Macht innehaben müssen, aber deren Meinung aufgrund von Bekanntheit oder anderer zutreffender Aussagen besonders gewichtet wird. Wenn eine Person des öffentlichen Lebens dieselbe Meinung vertritt wie man selbst, dann ist dies sicherlich erfreulich, aber es ist definitiv kein Argument. Es ist nicht einmal eine Begründung, warum dessen Aussage eine andere Gewichtung aufweisen sollte, als die jedes x-beliebigen anderen. Auch hier gilt, dass das Argument für sich sprechen muss.
Argumentum ad ignorantiam - Das Argument der IgnoranzDieses Argument appelliert an das Nichtwissen. Eine These wird dann für falsch erklärt, allein weil sie bisher nicht bewiesen werden konnte. Oder umgekehrt: Eine These wird für richtig erklärt, allein weil sie bisher nicht widerlegt werden konnte. Es fehlt der Bezug zu den Sachargumenten. Der so Argumentierende sieht seine mangelnde Vorstellungskraft oder seine Ignoranz als hinreichend für die Widerlegung bzw. Bestätigung einer These an.
Das grundlegende Schema ist: Das Fehlen von Evidenz für eine These wird als Beweis gesehen, dass stattdessen eine andere Behauptung wahr ist.
Beispiel: "Da das Bindeglied zwischen Mensch und Affe fehlt, glaube ich, dass ein Schöpfer uns separat erschaffen hat."
Fern ab, dass es sehr wohl stammbaumartig in diversen Gesteinsschichten verschiedene Vorfahren der Homini zu finden sind und der Mensch kein Nachfahre heute lebender Affenarten ist, belegt das Fehlen einer vollständigen Ahnenggalerie nicht, dass Gott irgendeinen Anteil am Entstehen des Menschen hatte.
Shifting the burden of proof - Die BeweislastumkehrDie Beweispflicht wird umgekehrt. Plötzlich soll derjenige den Standpunkt widerlegen, den der andere aufgestellt hat. So versucht man zu umgehen, dass man seine These selbst belegen muss. Das Argument der Ignoranz versucht, die These dadurch zu stützen,da sie bisher nicht widerlegt scheint.
Beispiel: "Widerlege doch die Existenz eines Schöpfers, um deine Evolutionstheorie zu stützen."
Diese Argumentation kann in alle Richtungen umgekehrt werden und dann hat jeder recht, da er nicht widerlegt wurde. Doch dies ist kein Beweis für die Richtigkeit des Arguments. Es gilt, dass immer derjenige, der eine These aufstellt, diese auch belegen muss. Es ist nicht Pflicht des Konterparts, diese zu widerlegen.
Fallacia compositionis - Das KompositionsargumentVon Einzelereignissen wird auf generelle Sachverhalte geschlossen. Zum Beispiel wird das Verhalten einzelner auf das Verhalten einer ganzen Gruppe ausgewalzt.
Beispiel: "Die Evolutionstheorie musste schon mehrfach angepasst werden. Einige Äußerungen müssten zurück genommen werden. Man siehe nur auf die Geschichte des Pilt-Down-Menschen, die komplett gefälscht war. Das ganze Gebilde ist doch nur Lug und Drug."
Auch hier kann wieder genauso in die Gegenrichtung geschossen werden. Aber das Verhalten eines Einzelnen ist nicht automatisch repräsentativ für die Gruppe, der er angehört.
Argumentum ad antiquitatem - Das Argument der TraditionWeil Dinge früher so gedacht oder getan wurden, sind sie nicht automatisch richtig. Doch mit dem Argument der Tradition wird besonders in alterntivmedizinischen, spirituellen, astrologischen und kreationistischen Kreisen argumentiert.
Beispiel: "Jede Kultur der Welt geht von einer höheren Macht oder ähnlich gearteten Wesen oder Kräften aus, die die Welt geschaffen haben. Jede Kultur hat ihren Schöpfungsbericht."
Das Alter einer Aussage steht nicht für ihre Richtigkeit. Der Verweis auf das Früher zeigt lediglich, wie einst darüber gedacht wurde, nicht was wahr und was falsch ist. Man beachte auch etwaige Widersprüche in den alten Aussagen untereinander. Welche Schöpfungslegende ist denn da die richtige?
Argumentum ad novitatem - Das InnovationsargumentSo wenig das Alte als Argument taugt, so wenig taugt das Neue.
Beispiel: "Die neuere Theorien zur Entstehung des aufrechten Ganges beim Menschen, gehen davon aus, dass der Mensch nicht wegen dem Tragen und dem Aufrichten in der Steppenlandschaft immer häufiger auf zwei Beinen lief, sondern weil er in Ufernähe in seichtem Wasser watete. Daher ist die gängige Theorie falsch."
Aber "neuer" ist nicht gleichbedeutend mit "richtiger". Neues steht genauso auf dem Prüfstand, wie Altes. Das eine löst das andere nicht automatisch ab.
Circulus vitiosus - Das ZirkelschlussargumentHäufig werden Meinungen über Umwege durch sich selbst begründet. Man argumentiert für eine Meinung durch ein Argument, welches seine ursprüngliche Berechtigung aber in genau jenem ersten Argument hat.
Beispiel: Römer 1:20 "Schließlich sind seine unsichtbaren Eigenschaften seit Erschaffung der Welt klar zu erkennen, denn sie sind in den Schöpfungswerken wahrnehmbar, ja seine ewige Macht und Göttlichkeit, sodass sie keine Entschuldigung haben."
Gottes Macht wird aber nicht dadurch ersichtlich, dass man ihm die Erschaffung der Welt ohne jeglichen Beweis zuschiebt. Und von daher bleibt die Aufgabe, die Schöpfung als solche zu beweisen, verfehlt.
Aussagen können nicht aus sich selbst heraus begründet werden.
Argumentum ad nauseam - Das Argument der penetranten WiederholungIm Internet nennt man sie "Trolle", im wahren Leben "Nervensägen": Leute, die einfach immer und immer wieder genau das Gleiche und lediglich in anderen Worten sagen. Aber sie argumentieren nicht wirklich. Häufig gibt das Gegenüber einfach nach. Nicht weil es überzeugt ist, sondern weil es im wahrsten Sinne des Wortes "überredet" wurde.
Beispiel: "Die Schöpfung zeigt uns unseren liebevollen Schöpfer." - "Die Erde ist ein guter Planet für Leben, wie wir es kennen, aber sie ist kein Paradies." - "Aber sieh doch wie schön die Natur ist. Und der Sternhimmel in seiner Pracht. Gottes Liebe spiegelt sich auch im Federkleid der Vögel, den Flügeln des Schmetterlings und der Mähne des Löwen. Alles ist so schön gemacht."...
Die stetige Wiederholung macht nur nichts wahr, sondern die Diskussion nur nervig.
Straw man fallacy - Das Strohmann-ArgumentDiese Art, eine Diskussion zu eskalieren, funktioniert wie folgt: Man interpretiert das Argument des Gegenübers völlig falsch und zieht aus dem gegnerischen Argument absichtlich falsche Schlussfolgerungen. Diese verzerrten Standpunkte werden dann angegriffen und entkräftet, obwohl man sie ja gar nicht vertritt.
Beispiel: "So ein Quatsch wie die Evolution glaubst du? Neue Arten können doch gar nicht durch Selektion entstehen. Selektion funktioniert doch wie ein Sieb."
Klar ist die Aussage richtig, nur eben kein Standpunkt der Evolutionstheorie. Das war schon zu Darwins und Wallace Zeiten nicht der Fall. Mutationen erschaffen in vielen Schritten neue Arten, die sich dann im Wettbewerb behaupten müssen und durch die Selektion begünstigt oder ausgesiebt werden.
Aber: Nicht das, was man in das Argument hinein interpretiert, muss in Diskussionen entkräftet werden, sondern das, was das Argument wirklich aussagt.
Whataboutism - Das Argument des VergleichsIch behandel hier nur elf Scheinargumente, beziehungsweise Strategien sich echter Argumentation zu entziehen, aber die Liste ist definitiv nicht vollständig. Sie erhebt auch nicht den Anspruch darauf. Als letzten, aber nicht minder wichtigen Punkt, ist "Whataboutism" eine Methode aus der Propagandastrategie. Prangert man ein Fehlverhalten von jemanden an, wird dieses relativiert, indem man es in Relation zu jemanden setzt, der augenscheinlich ein noch größeres Fehlverhalten begangen hat.
Beispiel: "Die Religion hat vielleicht Hexenverbrennung und Inquisition verursacht, aber der Darwinismus ist für ethnische Kriege verantwortlich."
Das ist selbstverständlich Blödsinn, da ethnische Konflikte so alt wie die Menschheit sind und Religion auch heute noch hinter weit mehr Gräueltaten steckt, als New-Age-Exorzismus. Man bedenke, dass der deutsche Wikipedia-Artikel zu sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche über 132 ausgedruckte DIN A4-Seiten in Schriftgröße Arial 10 ergeben würde, um nur einen kleinen Teilbereich aktueller Unfassbarkeiten aufzuzeigen.
Unabhängig davon sagt die Auslegung als Hetzwerkzeug leider rein gar nichts über das zugrundeliegende Argument aus. Auch wenn damit Gräueltaten legitimiert werden, macht es weder andere Gräueltaten weg, noch Argumente richtiger oder falscher.
Man sieht, in die Fallstricke von Scheinargumenten kann man schnell geraten. Und daher ist es gut, diese zu erkennen und rechtzeitig entkräften zu können.
Nachtrag 30.08.2021:Auch Quarks und Co haben eine Liste mit Scheinargumenten erarbeitet.
https://www.quarks.de/gesellschaft/scheinargumente-hier-solltest-du-in-diskussionen-aufpassen/