Ein Name
Die beiden lauschten meinen Ausführungen sehr genau. Offenbar hatte ich einen Wunden Punkt in ihrer Lehre entdeckt, denn ein gütiger, allmächtiger Gott, der das Leiden auf Erden zulässt, wirkt nicht sonderlich glaubhaft. Also muss es Gründe geben, die erklären, warum es dennoch so ist. Und über diese schienen die Mönche gerade nachzudenken. Ich ließ sie eine Weile grübeln und dann stellte ich eine interessante Frage.
"Wie heißt Gott?"
Beide schauten mich verwundert an. So, als hätte ich mit Ihnen nicht schon seit mehr als einer Stunde über wichtige Fragen des Glaubens gesprochen. "Gott ist Gott.", stammelt etwas entgeistert Thorben. "Wie soll er denn sonst heißen?", will Ignatius mit finsterem Blick wissen: "Doch nicht etwa Allah?" Er mustert mich, als hätte er mich erst jetzt gesehen. Aber wie ein Muselmann bin ich nicht gekleidet. Also erläutere ich meine Frage: "Wenn ich jemanden kennen lernen will, frage ich in der Regel nach seinem Namen. Mit diesen verknüpfe ich dann alle Dinge, die ich über ihn erfahre. Wie groß ist er? Welche Gesichtsfarbe hat er? Hat er Krankheiten? Ist es ein Mann oder eine Frau? Wie alt ist er? Wie alt ist sie? Ist das Gegenüber verheiratet? Welchen Beruf hat er? Ist er aus reichem Hause? Das alles sind Eigenschaften einer Person. Und so ist es doch sicher auch bei Gott. Gott ist allmächtig. Gott ist Liebe. Gott ist gerecht. Gott ist barmherzig. Gott ist weise. Aber das alles ist nicht sein Name. In den verschiedenen Gruppen der Christenheit wird mir erzählt, der Name Gottes sei 'Gott' oder 'Herr'. Aber das sind doch nur Titel, wie"'König' oder 'Fürst'. Selbst der Engel, der Maria ihre Empfängnis verkündet hatte einen Namen, Gabriel."
Dann forderte ich Ignatius auf, die Psalmen zu öffnen. Ich verriet ihm auch die genaue Stelle: Der 18. Vers im 83. Kapitel.
"Lies ruhig vor und übersetze es.", gab ich zu verstehen. Ignatius kam nun, übereinstimmend mit Thorben, zur Übersetzung: "Damit man erkenne, dass du dessen Name 'Herr' ist, Du allein, der Höchste bist über die ganze Erde."
Jetzt ließ ich Ruhe einkehren und wartete auf die Überlegungen meiner beiden Gesprächspartner. Sie kamen nicht selbst auf den Gedanken. Also erläuterte ich auch diesen: "Meine Herren, es liegt ja auf der Hand, dass ein jeder seinen Dienstoberen 'Herr' nennt. Der Graf seinen König, der Dienstmann seinen Grafen, der Bauer den Dienstmann und der Stallknecht den Bauern. Meine Herren, es ist weiterhin klar, dass nicht alle diese auch Götter sein können. Und meine Herren, dass ich sowohl das Wort 'Herr' als auch 'Gott' in eine Vielzahl setzen kann, zeigt dass beide Worte nicht als Name taugen. Es gibt keine 'Ignatien', aber wohl viele mit dem Namen Ignatius. Es gibt keine 'Thorbens', aber wohl viele mit dem Namen Thorben."
Ich holte kurz Luft: "Wie klar zu erkennen ist, muss aber an dieser Bibelstelle ein Namr stehen und kein Titel. Wenn ich euch doch nur eine Abschrift aus der Bibliothek in Alexandria mitbringen könnte oder ein Psalm aus der Feder Davids. Ihr würdet das Tetragramm sehen, dass den Eigennamen Gottes aufzeigt."
Ich griff nach einem Stock neben mir am Wegesrand. In den staubigen Boden vor mir ritzte ich damit vier hebräische Buchstaben " יהוה ". Die Mönche schienen das Gekrakel zu erkennen. "Meine Herren, ist ihnen dieses Zeichen bekannt?" Beide schüttelten den Kopf. Aber Thorben schaute es an, als habe er es schon einmal gesehen.
"Das ist das Tetragramm in hebräischer Schrift. Das alte Testament ist fast vollständig in der Schrift der Juden verfasst. Ein Rabbi würde diese Zeichen erkennen, aber euch den Sinn nicht erklären. In unserer Schrift entsprechen diese Buchstaben JHWH oder IHWH. Denn es ist nicht ganz geklärt, wann der Buchstabe J sich aus dem lateinischen I entwickelte und welche Zeichenfolge den Namen Gottes tatsächlich richtig wieder gibt."
Sie schauten mich an, als erzählte ich von der Rückseite der Sterne. Doch ich setzte unbeirrt daran: "Die Juden haben ihn wohl 'Jahwe' oder 'Jehova' genannt."
Ignatius unterbrach mich auffordernd: "Und warum tun sie es heute nicht mehr?" Ich überlegte kurz: "Nun, ich denke man kann das Ganze auf zwei wesentliche Gründe herunterbrechen. Erstens wird oft gesagt, dass der Name Gottes nicht gebraucht werden soll, weil man heute nicht mehr weiß, wie er ursprünglich ausgesprochen wurde. Das alte Hebräisch erlebte in Schriftform und im gesprochen Stil zwei Brüche. Das heißt, was wir in hebräischen neueren Schriften zeitgenössischer Rabbiner lesen könnten, ist nicht gleich dem, wie es ein levitischer Priester zur Zeit Jesu geschrieben hätte. Und so sind jene Worte auch nicht in der gleichen Form, wie die jüdischen Texte aus der Zeit vor der Gefangenschaft in Babylon. Sprache entwickelt sich, Sprache ändert sich. Sprache passt sich neuen Situationen an. Es werden Wörter erfunden, für Dinge, die es vorher nicht gab. Und es werden Worte fallen gelassen, für Dinge, die man nicht mehr verwendet. So ist auch das Rhomäisch, das meine Herren hier sicher entsprechend gut sprechen, nicht das Gleiche, wie zu Zeiten des Julius Augustus. Obendrein ist es eine Sprache, die sich von den gelebten Sprachen unserer Tage dahingehend abhebt, dass sie nur eine reine Verkehrssprache geworden ist, aber in keiner lokalen Gruppe tatsächlich als Umgangssprache verwendet wird. Doch lasst mich beim Althebräischen bleiben. Dieses wurde ohne Vokale geschrieben. Das erschwert die Suche nach der rechten Aussprache, auch der des Gottesnamens."
Nun war es Thorben, der mich unterbrach: "Aber Jesus benennen wir doch auch bei seinem Namen. Er wurde von einer jüdischen Frau geboren, lebte inmitten jüdischer Gemeinden, ging in die Synagoge und wurde von einem Juden verraten. Deine Antwort ist nicht vollständig."
"Sicher", sagte ich: "Du hast recht gesprochen. Man weiß nur heute nicht, wie Jesus zu seinen Zeiten auf Erden ausgesprochen wurde. Denn der Name Jesus ist wohl eine grekische Aussprache des Namens eines Juden. Vielleicht wurde er von seinen Eltern Jeschua genannt, vielleicht Jehoschua. Wir wissen es nicht. Trotzdem verwenden wir seinen Eigennamen. Niemand schreckt davor zurück, im Namen Jesu zum Vater zu beten, obwohl wir nicht sicher sein können, seinen Namen korrekt auszusprechen. Und klingt nicht auch unser eigener Name ganz anders, wenn ihn Menschen in einem anderen Land in ihrer Sprache aussprechen? Das ändert nichts an unserem Namen und vernünftigerweise sind wir nicht dadurch gekränkt. Die Zunge und der Gaumen und der Rachenraum des anderen vermögen es oft nicht, unseren Namen in uns gewohnter Art und Weise auszusprechen. So wird auch der Name Jesus in Leonien oder Scota anders ausgesprochen als bei uns. Wer spricht ihn - verzeiht mir den Ausdruck - richtiger aus?"
Die Gesichter wurden wieder milder. Also setzte ich an dieser Stelle an: "Nun, meine Herren, ist dieser Name denn überhaupt wichtig?"
Ignatius musste schmunzeln: "Niemand führt so lange reden, wenn es nicht wichtig wäre." Ich kannte die grekischen und rhomäischen Philosophen und widersprach ihm dennoch nicht. Das war in dieser Situation nicht angebracht und hätte den Fluss unseres Gespräches gestört.
"Ihr könnt mir glauben oder nicht, aber ich hatte in Kymeia einmal eine Abschrift der Heiligen Schrift in Händen in denen das Tetragramm, dass ihr hier vor euch seht, mehrere tausend Mal vorkam. Ich habe es nicht gezählt. Er steht nicht lediglich an dieser Stelle. Offenbar war es Gott wichtig, dass wir seinen Namen kennen. Und unsere Unkenntnis über die korrekte Aussprache sollte uns nicht daran hindern, Gottes Namen, ob nun 'Jahwe' oder 'Jehova' in unserer Zunge zu gebrauchen."
Thorben lenkte ein: "Führt uns das nun zum zweiten Grund? Warum sprechen ihn die Rabbiner nicht aus?"
Ich antwortete: "Das liegt an einer alten jüdischen Tradition. Gott hat das Gebot aufgestellt, seinen Namen nicht in unwürdiger Weise zu verwenden. Das könnt ihr gern im Buche Exodus, im zwanzigsten Kapitel nachprüfen. Nun kann eine Fehldeutung oder eine über alle Maßen vorsichtige Reaktion dazu führen, dass man ihn lieber gar nicht nutzt. So vermeidet man, ihn absichtlich oder unabsichtlich in unwürdiger Weise zu gebrauchen. Nach dem Satze: Was ich nicht tu, kann ich nicht falsch machen. Der Einfluss dieser jüdischen Tradition wird wohl auch auf die ersten Christenversammlung im späten ersten Jahrhundert abgefärbt haben. Also nach dem Tod der treuen Apostel. Aber denken wir an David. In jedem seiner Psalmen findet sich Gottes Name. Die kleinen Propheten Habakuk, Haggai und auch Jona verwenden ihn allesamt. Die Psalmen sind als Loblieder komponiert. Sie sollen laut gesungen werden. Gott, ob nun 'Jahwe' oder 'Jehova' genannt, weist seine Anbeter sogar ausdrücklich an, seinen Namen anzurufen. So schreibt der Prophet Joel, dass jene gerettet werden, die den Namen Jehovas anrufen. Und das wiederholt Lukas in seiner Apostelgeschichte. Und Jesus sagte im Evangelium des Johannes..." Ich griff nach dem speckigen Buch: "... Hier in Kapitel siebzehn, das er den Menschen auf seinen Predigtreisen den Namen Gottes bekannt gemacht hat. Das Vaterunser beginnt mit 'Vater, der du bist in den Himmeln, geheiligt werde dein Name.' Offenbar ist Gottes Name äußerst wichtig."