Sacra Tibia: Hexagon - Die Mönche




Unterhaltungsliteratur in ihren verschiedenen Formen, wie beispielsweise Romane, Erzählungen, Kurzgeschichten, Berichte, Märchen und Sagen

Sacra Tibia: Hexagon - Die Mönche

Beitragvon almafan » Sa 20. Dez 2014, 11:17

Hexagon - Die Mönche

[Für all jene, die anzumerken versuchen, dass diese Geschichte im "Ich"-Stil geschrieben wurde. Ich weiß das und es ist bewusst so gewählt. Hexagon schreibt diese Geschichten in einem Buch nieder. Es sind quasi seine Erzählungen und in den Anekdoten bin ich Hexagon.
Auslassungspunkte zum Beginn und zum Ende einer Geschichte kennzeichnen Lücken in Hexagons Berichten, da man immer nur Teile des Berichts zu lesen bekommt. Diese aber zusammenhängend sind.
Kapitelbezeichnungen und Überschriften sind von mir gewählt, gehören also nicht zu Hexagons Erzählungen. Sie sind nicht Bestandteil seiner, sondern meiner Welt. Sie dienen einzig der Übersichtlichkeit und Unterordnung.]

Im Frühjahr des Herrn 998
Dem Jahr des Beginns der "renovatio imperii romanorum" durch die Urkunde Ottos III.
Dem Jahr der Sieges Herzog Stephans von Ungarn über den Stammesfürsten Koppány
Dem Jahr der Einsetzung des Sohnes Almansor im nordöstlichen Magreb, Abd al-Malik


Inhaltsverzeichnis

VÖ: 15.01.2019: Des Weges
VÖ: 16.01.2019: Die falsche Frage
VÖ: 18.01.2019: Das Wesen der Frage
VÖ: 03.09.2019: Ein speckiges Buch
VÖ: 18.09.2019: Wer ist schuld?
VÖ: 20.09.2019: Ein Name
VÖ: 07.10.2019: Was für ein Name
VÖ: 19.08.2022: Gottes Vorsatz
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"If the biggest problem that you're having in the twenty-first century involves
what other people's genitals look like, and what they're doing with those genitals
in the presence of other consenting adults, you may need to reevaluate your
priorities." - Forrest Valkai


("Wenn das größte Problem, das du im 21. Jahrhundert hast, darin besteht, wie
anderer Leute Genitalien aussehen und was diese damit in Gegenwart anderer
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von Anzeige » Sa 20. Dez 2014, 11:17

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Re: Sacra Tibia: Hexagon - Die Mönche

Beitragvon almafan » Di 15. Jan 2019, 22:23

Des Weges

Das Leben ist manchmal schon verwirrend. Hier sitze ich nun und lehre Mönche. Dabei ist mir ihr Gott nicht eigen und ich bete ihn nicht an. Diese unsichtbare und doch höchste Macht des Schaffens. Der Herr aller Dinge. Der Befreier des Volkes Israel. Der Sender des Erlösers. Der Ewigvater und König über die Welt. Was auch immer man in ihm sieht, geht mir nicht ab.
Die Liebe zu ihm kann ich, in gute Bahnen gelenkt, wohlweißlich gut heißen. Liebe ist das höchste Gut, das man im Besitz meinen sollte.

Wenn ich mich recht erinnere, war es einer der ersten Frühlingstage im Märzen, an denen die Bergpässe wieder passierbar werden, als sich das Spiel ereignete, von dem ich den Leser unterrichten will.
Der Schnee zog sich zurück in die hohen Gipfel. Die Winde aber waren noch deutlich zu spüren. Ich war des Weges nach der großen Stadt am Tiber. Rast habe ich zweimal mir wohl erlaubt. Sowohl bei meinem Freund Mario in Amelia, einem kleinen Bergdorf mit eigenem Bistum, in Umbrien, einer Gegend voller langgezogener Bergrücken, als auch bei meinem Freund Carlo in Napoli, einer großen und alten Küstenstadt, die unter rhomäischer Hegemonie steht. Sie ist wunderschön malerisch gelegen, allerdings an einem feuerspukendem Berge, der einst Pompeii und Herculuneum unter seinen aschenen Fängen begrub.
Nun aber war ich aber etwas weiter. Doch die Müdigkeit und der Müßiggang hatte meine Knochen erfasst, so dass nun eine weitere Pause anstand. Ein Baumstamm an einem kleinen Weiler lud dazu gerade ein. Ich hob mein Umhang, empor von den Beinen weg, und zog mir meine Schuhe aus. Diese viel geschundenen Treter hatten meinen Füßen nichts gutes getan. Doch ich war ja auch schon lange unterwegs. Ich walkte meine armen unteren Fortsetze durch, um zu spüren, dass sie auch anderes vernehmen können als nur Schmerzen. Doch genau dies war das erste Gefühl in den Gliedern als meine Hände sie greifen hießen. Die Freiheit aber schien ihnen schon recht bald zu gefallen. Und auch ich selbst war wieder etwas ermunterter, frohen Schrittes weiter zu gehen.

Da sah ich zwei Kutten kommen. In Ihnen selbst waren freilich die Mönche. Die Farbe ihrer Kutten, sie trugen braun, verriet mir, dass sie nicht zur Buße gingen. Es waren Benediktinermönche. Vermutlich gingen sie von einem Kloster zum anderen, hatten Botengänge oder dergleichen zu tun. Und dieser Grund lag ja nicht fern. Denn über meinem Kopfe auf den Gipfeln der umherstehenden Berge, da befand sich eines ihrer Kloster. Es ist eines jener Kloster die zurückgezogen stehen. Fern der Welt, um nicht deren verderblichen Einfluss zu erliegen und den Mönch, und damit einhergehend den ganzen Konvent, der Begehrlichkeiten und dem Müßiggang Preis zu geben. Die beiden Mönche unterhielten sich angeregt. Erst konnte ich es nicht recht verstehen. Doch als sie näher kamen, vernahm ich einen Disput über die Idee der Theodizee. Und die Frage war und ist immer noch berechtigt: Wenn Gott so mächtig ist und zugleich die liebende Güte, warum gibt es dann Gewalt und Tod?

Eigentlich ist dies nicht meine Art, aber ich rang mit mir, ob ich die beiden Mönche zu mir rufen sollte, um mit ihnen das Thema anhand ihrer heiligen Schrift zu erörtern. Auf meiner Höhe schauten sie misstrauisch zu mir, der ich da allein und barfüßig auf dem Baumstamm saß. Sie schwiegen. Und als sie vorbei waren, fasste ich mir Mut und rief ihnen hinterher: "Ihr liegt ganz falsch!"
Kurz stockten sie, wollten offenbar nur noch rascher sich von mir entfernen. Doch ich bemerkte, wie sie abermals kurz inne hielten. Also rief ich abermals: "Gott straft nicht, wer gerecht ist! Ich würde dies gern mit euch erörtern." Die Mönche drehten sich tatsächlich zu mir um.
Ich fühlte mich etwas in der Klemme. War ich zu weit gegangen? Wer war ich, dass ich zwei Mönchen etwas lehren sollte? Vermutlich waren dies aber auch nur Laienbrüder. Die können weder lesen noch rechnen, je weiter es der Zahl ihrer Finger entgleitet. Wenn es aber Mönche mit hohem Studium sind, wäre diese Aufgabe eine knifflige. Viele Fragen schossen mir durch den Kopf.
"Wie sagtest du?", hob einer der beiden an, "Sprachest du mit uns?" Ich war wieder etwas leiser: "Mit wem denn sonst? Wer ist noch hier und unterhält sich angeregt über die Idee der Gottesstrafe, wenn es nicht die zwei Mönche sind, die mir hier auf dem Wege begegneten?" Die Mönche schauten sich kurz an und einer kam auf mich zu. Er beugte sich über mich und stierte mir in die Augen: "Hast du dazu etwas zu sagen?" Und es entspricht nicht der Höflichkeit, aber ich erwiderte abermals mit einer Frage: "Hätte ich euch es wissen lassen, wenn ich nichts zu sagen hätte? Ich hätte keinen Ton gegeben, wenn es nicht so wäre." Ich roch seinen fauligen Atem und gedachte der besseren Hygiene in den orientalen Ländern. Der zweite Mönch, etwas feister, trat herzu: "Dann sprich, wir haben Zeit. Hast du Laie uns Geistlichen etwas zu sagen, dass von Wert sein kann?" Der erste beugte sich wieder zurück und grinste nur schelmisch, ja man mag versucht sein, es unheimlich zu nennen.

Nun war ich da, ich armer Tor, und vor mir diese Mönche, denen ich nun die Idee ihres eigenen Gottes zu erklären mich ebenselbst ebenhier verpflichtet habe. Wie sollte ich nur beginnen?
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Re: Sacra Tibia: Hexagon - Die Mönche

Beitragvon almafan » Mi 16. Jan 2019, 17:01

Die falsche Frage

Ich nahm meinen Mut beisammen und hub zur Rede an:
"In den alten Schriften einer jeden Kultur und in den mündlichen Überlieferungen ebenso, wie im Tagesgespräch ist zu vernehmen, ständig von Kriegen, Verbrechen und Seuchen. Gleichzeitig sucht ein jeder seine Sorgen zu zerstreuen oder zu bekämpfen. Menschen werden krank, alt und sterben. Jeder hat schon mal einen lieben Mitmenschen verloren und ist deshalb sehr traurig. Man fühlt sich manchmal wie Hiob im Buche Kapitel 10, ich denke Vers 15, 'mit Trübsal und Elend gesättigt'. Findet Ihr nicht auch, dass dies gar selten zu einem guten und mächtigen Gott passt?" Ich schaute in verdutzte Gesichter. Offenbar waren die beiden überrascht, dass sich einer fand, der das Thema vom biblischen Standpunkt aus mit ihnen durchdenken wollte. Noch dazu einer, der nicht ihrer Mitte entspringt. "Du bist ein beredeter Mann. Hast du dir Gedanken darüber gemacht?"

"Selbstverständlich und ich habe viel Zeit mit solchem Denken verbracht. Aber nach einem ausgiebigem Studium, kam ich zu dem Schluss, dass viele Fragen generell falsch gestellt werden. Manche fragen sich, ob Gott wollte, dass sein Leben und das Leben anderer Menschen so aussieht. Sie fragen sich, was ihnen helfen könnte, mit ihren Problemen fertig zu werden. Wird jemals auf dem ganzen Erdenrund Frieden herrschen?" - "Und wo hast du deine Antworten gefunden?"
Ich holte aus, ich hatte hier tatsächlich zwei Interessierte gefunden, die ihr eigenes Buch nicht verstanden. "Überlegt doch einmal. In der Bibel sind viele tröstende Worte enthalten. In der Offenbarung steht 'Er wird jede Träne von ihren Augen abwischen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch wird Trauer noch Geschrei noch Schmerz mehr sein'. In Jesaja ist niedergeschrieben 'Der Lahme wird klettern wie ein Hirsch' und 'Die Augen der Blinden werden geöffnet' und 'Kein Bewohner wird sagen: 'Ich bin krank' '. Auch im Evangelium des Johannes wird verheißen 'Alle, die in den Gedächtnisgrüften sind, werden herauskommen'. Und in den Liedern und Gedichten der Psalmisten findet sich 'Es wird Fülle an Getreide auf der Erde geben'. Gott verspricht durch die Bibelschreiber also Gesundheit, Überfluss und die Erlösung vom Tod."
Der dünnere, der beiden Mönche stellte sich mir, jetzt freundlich gestimmt, als Ignatius vor. Der feiste wollte seinen Namen noch nicht nennen. Sie waren aber beide ganz Ohr. Ich fragte sie auch, ob sie diese Vorstellungen als Wunschdenken abtun. Doch darauf konnten sie keine eindeutige Antwort geben. Sicher es klingt zu utopisch, insbesondere wenn man sich die Welt um sich herum angeschaut hat. Aber ihrem Glauben nach ist Gott allmächtig und hat diese Dinge versprochen. Die Bibel wird in sich selbst als der Schlüssel angeboten, den Weg zu finden, auch nun schon in der Welt, die so grausam ist, ein glückliches Leben zu führen. So gibt sie Antworten auf die Fragen, warum Menschen leiden müssen, wie man mit Ängsten und Sorgen fertig wird, wie man ein glücklicheres Familienleben organisiert, was mit uns geschieht, wenn wir sterben, ob wir unsere geliebten Verstorbenen jemals wiedersehen, und überdies, wieso man diesen Versprechen von Gott glauben darf.

Dies aber den beiden einzuhellen wäre zu viel, da sie bereits in ihrem Studium, das grundlegende Werk ihres Glaubens zumindest in so fern verstanden haben sollten, dass es weiterer Erklärung zur Quelle des Suchenden in jenem Buche keine Fragen mehr geben sollte. Die Bibel ist die letzte Instanz des Christen und für dies die höchste und heiligste Offenbarung Gottes auf Erden. Hier wäre der falsche Ansatz.
Selbstverständlich legen sie das Werk nach eigenem Geist aus und deuten und missverstehen. Aber wer bin ich, dass ich nicht auch einem falschen Geist folgen kann?
Ich bin ebenso auch Geber und Opfer meiner eigenen Sicht auf die Dinge der Welt.

Ich nahm war, dass meine Gedanken kurz den Raum hier verließen und strömten an Welten rein aus Gedanken. Der bohrende Blick des Feisten holte mich zurück.

Ich hatte die beiden gut im Griff. Ignatius setze sich auf den freien Platz neben mir, der Feiste stand im Lichte der Sonne schräg vor mir. Sein Gesicht war nicht so leicht zu erkennen. Und während Ignatius voller Wissensdurst mich aufgeregt ansah, war der Feiste noch immer skeptisch. Wieso sollte man auch mit einem Wildfremden, unter freiem Himmel über die Theodizee reden? Aber vorerst plante ich auch, dass ganze Thema bei der Wurzel zu packen. Bevor man sich aber an ein so schwieriges Thema wendet, sollte man ja in der Tat das Grundlegende geklärt wissen. Denn auch wenn man weiß, über welchen Gott man hier spricht, weiß man leider nicht, ob man tatsächlich die gleiche Ausgangslage kennt.
Es gibt, in aller Klarheit hier dargelegt sicherlich so einige Richtungen innerhalb der Christenheit, die sich allesamt für die Wahrheit betrachten und gern mehr nach den Unterschieden, denn nach den Gemeinsamkeiten schauen. Das ist tatsächlich schade. Denn ich halte diesen Zwist für einen der Grundpfeiler der so durchwühlten Welt. Und das war auch schon damals so.
Ich war nie besonders religiös und es verpuffte, als ich selbst das ewige Leben erlangte. Nicht, dass ich nicht dankbar wäre. Aber ich bin dem zu Dank verpflichtet, der mich der sterblichen Hülle entledigte. Und auch, wenn ich eine lange Zeit sehr unglücklich war, nicht sterben zu können, sehen zu müssen, wie andere, liebgewonnene um mich herum sterben, und ihnen nicht einfach folgen zu können, so konnte ich mich nie zu einem Selbstmord durchringen. Aber auch dieser Schmerz vergeht wieder. Meine Erinnerungen sind im Umfange ungetrübt und so lange ich dieser Menschen, die einen Teil meines Lebens mich begleiteten, gedenke, so lange leben sie in meinem Herzen. Ich will die Zeit mit ihnen nicht missen, aber ich kann sie nicht zurückrufen. Und ihnen nachzuhängen wäre hinderlich meines Lebens.
Ich habe Gott einfach nie wieder gesucht. Nicht aber, ich habe mich nicht für ihn interessiert. Ich habe verschiedene Schriften gewälzt. Mich hierein gelesen, mal da. Mir viel gemerkt und im Grunde nichts daraus gelernt. Aber so etwas nennt man Leben.

Wie aber immer wieder festgestellt werden kann, erweitert und verfestigt sich das Wissen, auch in einem selbst, wenn man es weiter gibt. Und vielleicht, so dachte ich, könnte ich bei dieser Gelegenheit auch meine beiden Zuhörer besser kennen lernen.
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Re: Sacra Tibia: Hexagon - Die Mönche

Beitragvon almafan » Fr 18. Jan 2019, 10:20

Das Wesen der Frage

Wie fängt man ein religiöses Thema besser an, als über die allererste Ursache des Glaubens zu sprechen? Natürlich geht es nicht ohne Gott. Und so will auch ich meine Erörterungen an einem Bilde über Gott festmachen, dass sich auf die Schriften stützt, um daran gehend die Idee der Theodizee zu ergründen.

Ich stelle meinen beiden gelehrten Zuhörern also vier Fragen zum Eingang: "Interessiert sich Gott wirklich für jeden Einzelnen von uns? Wie soll man sich Gott vorstellen? Hat er einen Namen? Kann man Gott näher kommen?"
Nun warte ich kurz ab. Ignatius erklärt, Gott sei zu groß, um sich mit jedem einzelnen zu befassen. Zu unbedeutend ist der einzelne Mensch. Ich erwiderte: "Warum betet ihr dann?" Ignatius stockte. Doch der Feiste wusste sich zu melden. Gott sei groß. Ihm allein gehört Anbetung. Doch nahbar ist er nicht. Ich erwiderte ebenso: "Wofür gibt es dann Geheiigte und Reliquien?" Nun auch stutzte er.
Ich erkläre abermals höflich, dass meine Fragen nicht des Ärgernisses gestellt werden. So komme ich auf die Finte vor der Frage nach Gottes Natur erst einmal die Natur der Frage zu klären: "Ich möchte nicht euren Grimm auf mich laden. So gestattet mir folgende Ausführung. Kinder stellen sehr gern Fragen. Das fängt schon oft dann an, wenn sie sich des Sprechens bemächtigen. Sie schauen mit neugierigen Augen in die Welt und möchten wissen, warum der Himmel blau ist, aus was die Sterne gemacht sind, warum die Vögel so schön singen können. Und selbst wenn wir uns große Mühe geben, ihnen die Antworten zu gereichen, die uns so schwer fallen, so haben wir ihren Durst nach immer Neuem nicht gestillt. Oft folgt darauf die nächste Frage. Und man muss sich eingestehen, dass man nicht immer befriedigende Antworten findet. Ein harrsches 'Sei still!' ist da leider keine gute Alternative. Und genau deshalb habe ich euch diese Fragen gestellt. Ich möchte nicht, dass wir hier vielleicht stundenlang über ein Thema streiten oder philosophieren, über das Konsens herrscht und demnach des Streitens nicht rühmt."
Ich holte den Weg zurück einen erneuten Bogen über die Fragen: "Wenn wir aber älter werden, hören die Fragen nicht auf. Sie verschieben sich nur. Man will alles richtig machen, also sucht man Anleitung. Diese findet man aber nur durch fragen. Doch viele Leute stellen sich die wichtigsten Fragen irgendwann nicht mehr. Oder zumindest suchen sie nicht wirklich nach Antworten."

Ignatius war gespannt: "Was sollen das für wichtige Fragen sein?" Ich rügte ihne scharf, dass ich diese Fragen bereits stellte. Es zeigte mir aber auch deutlich, dass der dünnere Mönch offenbar auch der ungelehrigere war. Augenscheinlich aber auch der interessierte.
Also frug ich erneut: "Wollte Gott das Leid? Was hilft mir persönlich, mich in dieser Welt aus Leid zu orientieren? Wird es dereinst einmal eine Zeit geben, in jener es allerorten Frieden gibt? Was ist denn nun der Sinn des Lebens?"
Ich schilderte die resignierte Haltung der meisten Menschen. Und dabei war es egal, wo ich auftrat, welche Ware und welche Botschaft ich von wo nach wo brachte. Die meisten Menschen, die ich kannte und kenne, haben es aufgegeben, nach antworten zu suchen. Andere verorten diese Antworten zwar in der Bibel, finden aber, dass dieses Buch zu schwierig ist. Die meisten können nicht lesen. Und sie legen keinen gesteigerten Wert darauf, es zu erlernen. Anderen ist es unangenehm oder peinlich, Fragen zu stellen. Nochmals andere sind der Meinung, es ist nicht ihre Aufgabe, sich mit solchen Fragen auseinander zu setzen. Dies sei den Geistlichen und Religionslehrern vorbehalten. Ich frage die beiden Mönche, wie sie diese Sache sehen.
Der Feiste strich sich das bärtige Kinn: "Hm ... Selbstverständlich sollte meine Antwort schnell wie der Pfeil meinen Mund verlassen. Doch ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich eine Instanz geben sollte, die diese Fragen für einen jeden beantworten kann. Ich denke, solche Antworten obliegen nur Gott. Aber es ist fürwahr ein dickes und schweres Buch, dass er hat schreiben lassen." Er schien doch nicht so mürrisch, wie er sich anfangs gab. Aber dadurch, dass sie nun beide sich der Diskussion widmeten, war erkenntlich, dass sie auch beide nach Antworten auf die wichtigen Fragen des Lebens suchten.

Ich belobigte meine Interessierten, dass sie mir so offen und ehrlich sagten, was sie dachten und nicht einfach, das ihnen eingeprägte Dogma widerspiegelten. Der freie Geist ist eine Gabe, die ich sehr schätze. Ich bin auch der Ansicht, das jener der um diese Gabe weiß, sie auch nutzen sollte. "Ich begrüße jeden, der nicht aufgibt, solche Fragen zu stellen, bis er zufriedenstellende Antworten findet. Denn Jesus sagte einst schon: 'Bittet fortwährend, und es wird euch gegeben werden; sucht unablässig, und ihr werdet finden; klopft immer wieder an, und es wird euch geöffnet werden'. Ich glaube das war im Evangelium des Matthäus'.", hob ich an.

"Bevor ich jedoch mit den Herren über all dies sprechen mag, will ich sicher gehen, dass diese auch je eine Bibel mit sich führen." Beide nickten und holten unter ihren Kutten einfache, gebundene Bücher hervor. Ich war zufrieden. "Wir werden diese Bücher oft gebrauchen, um auch zu prüfen, ob wir uns recht unterhalten.", ermahnte ich sie.
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Re: Sacra Tibia: Hexagon - Die Mönche

Beitragvon almafan » Di 3. Sep 2019, 12:33

Ein speckiges Buch

Die Mönche unterhielten sich eingangs über die Theodizee. Also über die Frage, warum Gott Leid zulasse. Wie könnte man besser argumentieren, als mit jener Schrift, die sie als höchstes heiliges Gut sehen? Ich wollte die Sicht ihrer eigenen Schrift näher bringen, nicht meiner eigenen. Selbstverständlich versuchte ich, wie für gewöhnlich, auch meinen eigenen Verstand zu schärfen. Eine hoffentlich tiefgreifende Debatte regt das eigene Denken an und erweitert den Horizont aller Beteiligten, nicht nur den der Lernenden.

"Meine Herren", hob ich an: "ich will lediglich darlegen, was die Bibel selbst über dieses Thema sagt." Beide rümpften die Nase, als hätte ich stinkenden Fisch auf einen in der Sonne liegenden Stein gelegt, damit sein Gestank noch viel weiter reicht. Ich merkte verwundert an: "Ist das denn nicht das Buch, auf das schlußendlich eure Autorität liegt? Ist das denn nicht das Buch, dass den Grundpfeiler des Christseins begründet?" Der Dicke lenkte kurz ein: "Doch schon. Aber wir sind Mönche und ihr ein Wanderer. Was willst du uns über Gott belehren?"

"Nun," erwiderte ich: "Es wäre schon gut zu wissen, ob die beiden Mönche vor mir des Lesens mächtig sind." Der Feiste nannte mir nun seinen Namen, Thorben. Und mit einem lauten Lacher holte er aus der Kutte ein schmantiges Buch, gefasst in schwarzbraunem Leder und verranzt, als sei es schon seit Generationen in Benutzung: "Hier siehst du, ob ich lesen kann."
Er überreichte mir seinen gehorteten Schatz, als sei auch nur der Einband noch irgendeinen Groschen wert sei. Manches Blatt war befleckt. Teilweise war der Text von den Seiten gerieben und daher kaum mehr verständlich. Andere Seiten waren überschrieben und so für mich kaum lesbar. Auch fehlten ab und an ganze Seiten. Beim Durchblättern fiel auf, dass es sich lediglich um das Neue Testament mit den Plasmen und Sprüchen handelte. Es fehlten die Bücher Mose, die das Gesetz und die Ursprünge der Juden enthielt. Auch waren die Geschichten der Richter und Könige nicht vorhanden oder die Propheten Jesaja und Jeremia. Die rührenden Erzählungen über Ruth und Esther fehlen ebenso, wie die sogenannten kleinen Propheten. Und genau, wie diese alle sind die Schriften des Samuel, des Hesekiel, des Esra und des Daniel nicht vorhanden. Aus allen diesen kann man viel über Gottes Wesen herleiten.
Ich stützte kurz, fasste mich aber wieder. Sicherlich ein interessanter Anblick, wie ein Fremder kritisch in ein klassisches Gebetsbuch eines Mönches schaut. Vielleicht verrät es auch viel über mich, wenn mir erst einmal die Bücher einfallen, die nicht darin enthalten sind, anstatt jener, die es sind.
Ein klassisches Gebetsbuch eben. Es war im Grunde nicht anders zu erwarten. Weder zum Predigen, noch für das eigene Studium - nicht viel mehr als das Rezitieren von biblischen Passagen - bräuchten sie das ganze Wort Gottes. Sondern sie beschränkten sich allein auf Jesus und die Apostel, allen voran Petrus und Paulus.

Dadurch konnten die beiden keine vollständige Sicht auf alle Aspekte Gottes gewinnen. Er konnte nicht anders, als mysteriös und unnahbar sein. Ein ferner Schatten, eine Wirkungsweise, ein Prinzip. Kalte Begriffe für den Gott der Liebe. In jedem Falle schien Gott Ihnen irgendwie abstrakt.
Ignatius stieg in die Diskussion ein: "Wenn sich Gott für uns interessieren würde, dann müsste die Welt doch ganz anders aussehen."

Da waren wir also wieder: Bei der Theodizee.
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Re: Sacra Tibia: Hexagon - Die Mönche

Beitragvon almafan » Mi 18. Sep 2019, 16:30

Wer ist schuld?

In Ignatius Aussage verbarg sich zugleich eine Frage. Warum gibt es das Leid auf Erden überhaupt, wenn Gott doch so liebevoll sein soll? Und man muss ihm augenscheinlich beipflichten, da es überall Krieg, Krankheit und Tod gibt.
Ich brach Ignatius verdeckte Frage auf folgende herunter: "Interessiert sich Gott wirklich für jeden Einzelnen von uns?" und stellte sie sogleich. Und ebenso fügte ich dem Ganzen darauf aufbauende Fragen hinzu, als da waren: "Wie soll man sich Gott vorstellen? Hat er einen Namen? Kann man Gott näher kommen?"

Jene Fragen warf ich in den Raum und es war allen Beteiligten klar, dass sie erst im Laufe des Diskurses geklärt werden. Doch die neuerliche Frage wollte ich sofort klären: "Ist Gott gleichgültig und gefühllos? Die Geistlichkeit selbst verleitet mit ihrer Interpretation von Gottes Wort zu solchem Denken." Da die beiden zur angesprochenen Gruppe gehörten, funkelten sie mich finster an.
Ich fuhr fort: "Ist es nicht so, dass ein tragischer Unfall zu einem Gottesurteil umgedeutet wird. Geschiet jemandem etwas Schlimmes, so wird gesprochen, dies sei Gottes Wille. Und in der Tat lassen sich besonders im Alten Testament Bibelpassagen dazu finden. Etwa das Erdbeben, dass Korah und seine Hausgenossen verschlingt, als sie sich gegen Gottes auserwählten Sprecher Moses stellen. Der Rest des Lagers der Israeliten bleibt unberührt. Wenn Gott aber das Leid bringt, warum sollten wir ihn anbeten und nicht eine Schutzmacht, die uns vor seinem Treiben schützt?"
"Was sollte das für eine Mächt sein? Gott steht über allen Geistermächten. So steht es ebenso in den Büchern Mose.", unterbricht mich Thorben. Und ich pflichte ihm bei, ergänze aber: "In Jakobus steht die Antwort: 'Keiner sage, wenn er versucht wird: 'Ich werde von Gott versucht.' Denn Gott kann nicht von üblen Dingen versucht werden, noch versucht er selbst irgendjemand.' Das Böse und Schlimme, dass wir überall um uns herum sehen, kommt also niemals von Gott."
Ignatius las murmelnd den Bibeltext, als er ihn gefunden hatte. Um die Kunst des Lesens war es bei ihm aber nicht zum Besten bestellt. Ich erörterte, dass Zulassen etwas anderes sei, als es verursachen. Doch für die beiden schien meine Argumentation nicht schlüssig.
Thorben warf ein: "Wenn er es zulässt, dann kümmert es ihn offensichtlich doch nicht, was mit uns geschiet."

Ich antwortete durch ein Beispiel: "Stellt euch vor ein guter, liebevoller Vater hat seinem Sohn alles Rüstzeug gegeben, um aus ihm ebenfalls einen guten und liebevollen Menschen zu machen. Dieser Sohn lehnt sich aber eines Tages gegen seine Eltern auf und begeht ein Verbrechen. Ist der Vater daran schuld?" Beide waren sich einig. Selbstverständlich ist er es nicht. Und dann verstanden sie. Thorben sagte auch: "Alles gute kommt von oben. D'rum wollen wir den Himmel loben." Wir lachten herrlich. Aber erkannten auch, dass, wenn dieser Spruch die Wahrheit enthalten soll, Gott nicht Schuld am Übel sein kann.

Doch Ignatius war mit der Antwort nicht vollends zufrieden: "Wenn er aber nicht schuld ist, wer dann? Und warum verhindert Gott es nicht?" Ich gab zur Antwort, dass es doch ein Jüngstes Gericht geben wird und ziterte frei aus den Psalmen: Die Menschen der Bosheit werden getilgt, doch die auf Gott hoffen, werden die Erde besitzen. Und sie werden größte Freude verspüren an Frieden im Überfluss."
Dann machte ich eine kurze Pause und fuhr fort: ""Gott hat einen guten Grund uns Menschen ein Zeit lang den eigenen Weg gehen zu lassen, wie ein Vater seinen Sohn auch seine Schritte machen lässt. Er muss uns diese Gründe nicht nennen, aber er tut es trotzdem, durch die Bibel. Das zeigt seine liebevolle Art." Ich kam auch auf die Heiligkeit zu sprechen, die ja bedeutet, dass alles Unreine nicht ist. Und da Gott heilig ist, kann er keine Spur von Schlechtigkeit haben. Also fragte ich die beiden neuerdings: "Wie berührt es wohl Gott, dass wir unter Ungerechtigkeit leiden? Immerhin heißt es in den Psalmen 'Gott liebt das Recht'. Es kann ihm doch also nicht gleichgültig sein. Im Sintflutbericht wird auch gesagt, 'es schmerzte in seinem Herzen', dass die Welt so voller Unrecht war." Die beiden schienen erstaunt über mein Bibelwissen. Auch waren sie sicher verplüfft, über die vielen Zitate, die ich aus ihrer heiligen Schrift zu entnehmen anmutete. Meine Rede war beschwingt, ja beflügelt möchte man sagen, also setzte ich fort: "Auch Petrus hat sich zu diesem Thema geäußert: 'Werft all eure Sorge auf ihn' und ergänzte: 'denn er sorgt für euch'. Wieso sollte Gott also Leid verursachen? Um sich das Geschrei und Flehen anzuhören? Um einer etwaigen Langeweile zu entgehen, die er seit dem letzten Schöpfungstage erliegen würde, wenn er sich nicht sorgte? Meine Herren, es entsagt der Logik, dass ein Gott die Ungerechtigkeit fördert, die er anschließend wieder zu erdrücken versucht." Das leuchtete den beiden Brüdern ein.

Ich ging aber noch etwas weiter, denn meine Argumentation erschöpfte sich nicht darin: "Wenn Gott, wie die Bibel sagt, uns in seinem Bilde erschaffen hat, und der Mensch fähig zu leiden ist, so ist es Gott doch allemal. Wenn uns also Unrecht und Leid berührt, so berüht es ihn doch durch seine Vollkommenheit umso mehr. Der Mensch aber kann auch lieben, so spiegeln wir Gott wieder. Denn der erste Brief des Johannes besagt, dass Gott Liebe ist. Wie passt dies denn zum Hass der Welt?"
Und ich fuhr fort, die Mönche zu belehren: "Dein Gebetsbuch enthält es nicht, doch in dem Bericht des Jesaja heißt es auch, dass Gott heilig ist. Das heißt, er ist durch und durch rein. An ihm ist nicht die leiseste Spur von Schlechtigkeit. Selbst gute Menschen haben bei aller Liebe nicht die Macht, die Boshaftigkeit der anderen und die Katastrophen zu verhindern oder wieder gut zu machen. Gott ist dagegen allmächtig. Wenn wir nun aber wissen, dass Gott heilig ist und rein und voll Liebe und mitfühlend und machtvoll, dann ist die Frage um so brennender, warum es auf Erden überhaupt Schlechtigkeit gibt und warum der Böse offenbar immer Gelingen hat."
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Re: Sacra Tibia: Hexagon - Die Mönche

Beitragvon almafan » Fr 20. Sep 2019, 21:17

Ein Name

Die beiden lauschten meinen Ausführungen sehr genau. Offenbar hatte ich einen Wunden Punkt in ihrer Lehre entdeckt, denn ein gütiger, allmächtiger Gott, der das Leiden auf Erden zulässt, wirkt nicht sonderlich glaubhaft. Also muss es Gründe geben, die erklären, warum es dennoch so ist. Und über diese schienen die Mönche gerade nachzudenken. Ich ließ sie eine Weile grübeln und dann stellte ich eine interessante Frage.

"Wie heißt Gott?"

Beide schauten mich verwundert an. So, als hätte ich mit Ihnen nicht schon seit mehr als einer Stunde über wichtige Fragen des Glaubens gesprochen. "Gott ist Gott.", stammelt etwas entgeistert Thorben. "Wie soll er denn sonst heißen?", will Ignatius mit finsterem Blick wissen: "Doch nicht etwa Allah?" Er mustert mich, als hätte er mich erst jetzt gesehen. Aber wie ein Muselmann bin ich nicht gekleidet. Also erläutere ich meine Frage: "Wenn ich jemanden kennen lernen will, frage ich in der Regel nach seinem Namen. Mit diesen verknüpfe ich dann alle Dinge, die ich über ihn erfahre. Wie groß ist er? Welche Gesichtsfarbe hat er? Hat er Krankheiten? Ist es ein Mann oder eine Frau? Wie alt ist er? Wie alt ist sie? Ist das Gegenüber verheiratet? Welchen Beruf hat er? Ist er aus reichem Hause? Das alles sind Eigenschaften einer Person. Und so ist es doch sicher auch bei Gott. Gott ist allmächtig. Gott ist Liebe. Gott ist gerecht. Gott ist barmherzig. Gott ist weise. Aber das alles ist nicht sein Name. In den verschiedenen Gruppen der Christenheit wird mir erzählt, der Name Gottes sei 'Gott' oder 'Herr'. Aber das sind doch nur Titel, wie"'König' oder 'Fürst'. Selbst der Engel, der Maria ihre Empfängnis verkündet hatte einen Namen, Gabriel."

Dann forderte ich Ignatius auf, die Psalmen zu öffnen. Ich verriet ihm auch die genaue Stelle: Der 18. Vers im 83. Kapitel.
"Lies ruhig vor und übersetze es.", gab ich zu verstehen. Ignatius kam nun, übereinstimmend mit Thorben, zur Übersetzung: "Damit man erkenne, dass du dessen Name 'Herr' ist, Du allein, der Höchste bist über die ganze Erde."
Jetzt ließ ich Ruhe einkehren und wartete auf die Überlegungen meiner beiden Gesprächspartner. Sie kamen nicht selbst auf den Gedanken. Also erläuterte ich auch diesen: "Meine Herren, es liegt ja auf der Hand, dass ein jeder seinen Dienstoberen 'Herr' nennt. Der Graf seinen König, der Dienstmann seinen Grafen, der Bauer den Dienstmann und der Stallknecht den Bauern. Meine Herren, es ist weiterhin klar, dass nicht alle diese auch Götter sein können. Und meine Herren, dass ich sowohl das Wort 'Herr' als auch 'Gott' in eine Vielzahl setzen kann, zeigt dass beide Worte nicht als Name taugen. Es gibt keine 'Ignatien', aber wohl viele mit dem Namen Ignatius. Es gibt keine 'Thorbens', aber wohl viele mit dem Namen Thorben."

Ich holte kurz Luft: "Wie klar zu erkennen ist, muss aber an dieser Bibelstelle ein Namr stehen und kein Titel. Wenn ich euch doch nur eine Abschrift aus der Bibliothek in Alexandria mitbringen könnte oder ein Psalm aus der Feder Davids. Ihr würdet das Tetragramm sehen, dass den Eigennamen Gottes aufzeigt."
Ich griff nach einem Stock neben mir am Wegesrand. In den staubigen Boden vor mir ritzte ich damit vier hebräische Buchstaben " יהוה ". Die Mönche schienen das Gekrakel zu erkennen. "Meine Herren, ist ihnen dieses Zeichen bekannt?" Beide schüttelten den Kopf. Aber Thorben schaute es an, als habe er es schon einmal gesehen.
"Das ist das Tetragramm in hebräischer Schrift. Das alte Testament ist fast vollständig in der Schrift der Juden verfasst. Ein Rabbi würde diese Zeichen erkennen, aber euch den Sinn nicht erklären. In unserer Schrift entsprechen diese Buchstaben JHWH oder IHWH. Denn es ist nicht ganz geklärt, wann der Buchstabe J sich aus dem lateinischen I entwickelte und welche Zeichenfolge den Namen Gottes tatsächlich richtig wieder gibt."
Sie schauten mich an, als erzählte ich von der Rückseite der Sterne. Doch ich setzte unbeirrt daran: "Die Juden haben ihn wohl 'Jahwe' oder 'Jehova' genannt."

Ignatius unterbrach mich auffordernd: "Und warum tun sie es heute nicht mehr?" Ich überlegte kurz: "Nun, ich denke man kann das Ganze auf zwei wesentliche Gründe herunterbrechen. Erstens wird oft gesagt, dass der Name Gottes nicht gebraucht werden soll, weil man heute nicht mehr weiß, wie er ursprünglich ausgesprochen wurde. Das alte Hebräisch erlebte in Schriftform und im gesprochen Stil zwei Brüche. Das heißt, was wir in hebräischen neueren Schriften zeitgenössischer Rabbiner lesen könnten, ist nicht gleich dem, wie es ein levitischer Priester zur Zeit Jesu geschrieben hätte. Und so sind jene Worte auch nicht in der gleichen Form, wie die jüdischen Texte aus der Zeit vor der Gefangenschaft in Babylon. Sprache entwickelt sich, Sprache ändert sich. Sprache passt sich neuen Situationen an. Es werden Wörter erfunden, für Dinge, die es vorher nicht gab. Und es werden Worte fallen gelassen, für Dinge, die man nicht mehr verwendet. So ist auch das Rhomäisch, das meine Herren hier sicher entsprechend gut sprechen, nicht das Gleiche, wie zu Zeiten des Julius Augustus. Obendrein ist es eine Sprache, die sich von den gelebten Sprachen unserer Tage dahingehend abhebt, dass sie nur eine reine Verkehrssprache geworden ist, aber in keiner lokalen Gruppe tatsächlich als Umgangssprache verwendet wird. Doch lasst mich beim Althebräischen bleiben. Dieses wurde ohne Vokale geschrieben. Das erschwert die Suche nach der rechten Aussprache, auch der des Gottesnamens."

Nun war es Thorben, der mich unterbrach: "Aber Jesus benennen wir doch auch bei seinem Namen. Er wurde von einer jüdischen Frau geboren, lebte inmitten jüdischer Gemeinden, ging in die Synagoge und wurde von einem Juden verraten. Deine Antwort ist nicht vollständig."
"Sicher", sagte ich: "Du hast recht gesprochen. Man weiß nur heute nicht, wie Jesus zu seinen Zeiten auf Erden ausgesprochen wurde. Denn der Name Jesus ist wohl eine grekische Aussprache des Namens eines Juden. Vielleicht wurde er von seinen Eltern Jeschua genannt, vielleicht Jehoschua. Wir wissen es nicht. Trotzdem verwenden wir seinen Eigennamen. Niemand schreckt davor zurück, im Namen Jesu zum Vater zu beten, obwohl wir nicht sicher sein können, seinen Namen korrekt auszusprechen. Und klingt nicht auch unser eigener Name ganz anders, wenn ihn Menschen in einem anderen Land in ihrer Sprache aussprechen? Das ändert nichts an unserem Namen und vernünftigerweise sind wir nicht dadurch gekränkt. Die Zunge und der Gaumen und der Rachenraum des anderen vermögen es oft nicht, unseren Namen in uns gewohnter Art und Weise auszusprechen. So wird auch der Name Jesus in Leonien oder Scota anders ausgesprochen als bei uns. Wer spricht ihn - verzeiht mir den Ausdruck - richtiger aus?"

Die Gesichter wurden wieder milder. Also setzte ich an dieser Stelle an: "Nun, meine Herren, ist dieser Name denn überhaupt wichtig?"
Ignatius musste schmunzeln: "Niemand führt so lange reden, wenn es nicht wichtig wäre." Ich kannte die grekischen und rhomäischen Philosophen und widersprach ihm dennoch nicht. Das war in dieser Situation nicht angebracht und hätte den Fluss unseres Gespräches gestört.
"Ihr könnt mir glauben oder nicht, aber ich hatte in Kymeia einmal eine Abschrift der Heiligen Schrift in Händen in denen das Tetragramm, dass ihr hier vor euch seht, mehrere tausend Mal vorkam. Ich habe es nicht gezählt. Er steht nicht lediglich an dieser Stelle. Offenbar war es Gott wichtig, dass wir seinen Namen kennen. Und unsere Unkenntnis über die korrekte Aussprache sollte uns nicht daran hindern, Gottes Namen, ob nun 'Jahwe' oder 'Jehova' in unserer Zunge zu gebrauchen."

Thorben lenkte ein: "Führt uns das nun zum zweiten Grund? Warum sprechen ihn die Rabbiner nicht aus?"
Ich antwortete: "Das liegt an einer alten jüdischen Tradition. Gott hat das Gebot aufgestellt, seinen Namen nicht in unwürdiger Weise zu verwenden. Das könnt ihr gern im Buche Exodus, im zwanzigsten Kapitel nachprüfen. Nun kann eine Fehldeutung oder eine über alle Maßen vorsichtige Reaktion dazu führen, dass man ihn lieber gar nicht nutzt. So vermeidet man, ihn absichtlich oder unabsichtlich in unwürdiger Weise zu gebrauchen. Nach dem Satze: Was ich nicht tu, kann ich nicht falsch machen. Der Einfluss dieser jüdischen Tradition wird wohl auch auf die ersten Christenversammlung im späten ersten Jahrhundert abgefärbt haben. Also nach dem Tod der treuen Apostel. Aber denken wir an David. In jedem seiner Psalmen findet sich Gottes Name. Die kleinen Propheten Habakuk, Haggai und auch Jona verwenden ihn allesamt. Die Psalmen sind als Loblieder komponiert. Sie sollen laut gesungen werden. Gott, ob nun 'Jahwe' oder 'Jehova' genannt, weist seine Anbeter sogar ausdrücklich an, seinen Namen anzurufen. So schreibt der Prophet Joel, dass jene gerettet werden, die den Namen Jehovas anrufen. Und das wiederholt Lukas in seiner Apostelgeschichte. Und Jesus sagte im Evangelium des Johannes..." Ich griff nach dem speckigen Buch: "... Hier in Kapitel siebzehn, das er den Menschen auf seinen Predigtreisen den Namen Gottes bekannt gemacht hat. Das Vaterunser beginnt mit 'Vater, der du bist in den Himmeln, geheiligt werde dein Name.' Offenbar ist Gottes Name äußerst wichtig."
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Re: Sacra Tibia: Hexagon - Die Mönche

Beitragvon almafan » Mo 7. Okt 2019, 22:48

Was für ein Name

Ich fand mich sehr überzeugend und hatte Spaß an der Rolle des Lehrers. Mich überraschte die Unkenntnis meiner unfreiwilligen Schüler nicht. Man lernt als Mönch, was man lernen darf. Lehren darüber hinaus, können schon häretisch sein, zum Ausschluss führen oder schlimmer noch zum Tod.
Die Bibel ist eine Machtbasis für jene, die ihr Wort zu predigen vorgeben. Sie ist in Pergament gefasster Reichtum. Sowohl im Sinne der Geistigkeit, um Gott kennen zu lernen und von den milden Lehren des Herrn Jesu zu profitieren. Aber auch im Sinne derjenigen, die die Deutungshoheit inne haben, mit himmlischen Segnungen oder höllischen Drohungen die Abhängigen gefügig zu halten. Dem Werk selbst kann man es nicht vorwerfen. Es ist so wenig Schuld, wie die Schriften eines Archimedes.

Die Mönche fragten, ob es denn bei anderen Göttern ähnlich sei. Und ich antwortete: "Im alten Testament wird er auch 'Elohim', 'El' oder 'Adonai' gepriesen. Im Islam trägt er den Titel 'Allah'. Sie bezeichnen alle im Grunde nur eine bestimmte oder mehrere Eigenschaften Gottes. So wie ein 'König' nicht König heißt. Dies ist lediglich ein Amt. Und so ist es auch bei anderen Göttern. Horus ist der Name des kymeiischen Gottes der Sonne und des mythischen Ersten aller Pharaonen. Aphrodite ist die grekische Göttin der Liebe und Verführung. Das sind Ämter, aber Horus und Aphrodite sind Namen."

"Wie stehst du zu Bibelschreibern, die den Namen bewusst weglassen?", fragte Thorben herausfordernd.
"Wissentlich?", antwortete ich ebenso tonfällig: "Wenn Gott will, dass sein Name bekannt wird, Jesus sagt, dass dies eine seiner dringensten Aufgaben auf Erden war und treue Anbeter diesen Namen in Lobliedern preisen, so dann machen Bibelübersetzer, die den Namen willentlich durch Titel ersetzen, einen schwerwiegenden Fehler. Jehova Gott wird absichtlich übergangen und er erscheint denen, die ihn anbeten wollen als unpersönlicher, unnahbarer Gott. Ein jemand, dessen Namen wir kennen, muss nicht umschrieben werden. Uns fällt es leichter, über diese Person zu sprechen. Das gilt schon für Tiere und sogar für Dinge oder Landshaften. Jedes Dorf, jeder Fluss, jeder Berg wird von jemandem benannt. Warum dann nicht auch Gott selbst?"
Ich schaute, ob ich in dem speckigen Buch auch den fünfundzwanzigsten Psalm finden konnte oder ob dieser leider zu den herausgerissenen Seiten gehört. Doch zum Glück war er vorhanden. "Hier steht es, meine Herren. In diesem Psalm steht, wir sollten vertraute Gemeinschaft mit Jehova Gott pflegen. In ein Vertauensverhältnis gehört der Name völlig selbstverständlich dazu. Und wenn wir seinen Namen nicht kennen, können wir auch nicht die Bedeutung dieses Namens erfahren."

Thorben erhebt nochmals das Wort: "Und was ist die Bedeutung des Namens Gottes?"
Ich überlegte kurz und bereitete meine Antwort vor: "Ich werde mich erweisen, als was ich mich erweisen werde." Die beiden schauen mich unverständig an. Das wiederum ist verständlich. "Das sagt Gott durch den brennenden Dornbusch direkt zu Mose, als dieser fragt, was er seinem Volk sagen soll, wer ihn schickt." - "Mose wusste doch um den Namen Gottes. Seine Geschichte findet sich vor der Zeit der jüdischen Traditionen, richtig?", kam es von beiden fast zeitgleich, wobei Thorben mit seiner kräftigeren Stimme Ignatius übertönte und dieser seinen Satz nicht zu Ende brachte. Ich lächelte zufrieden: "Was könnte Mose also tatsächlich wissen haben wollen?" Diesmal war Ignatius schneller: "Die Bedeutung des Namens."
Ich erwiderte zustimmend: "Ja. Es handelt sich hierbei nicht um einen Zirkelschluss. Wie ein Baum ist ein Baum ist ein Baum. Sondern um die Zusicherung für die in der Sklaverei befindlichen Juden im Reich der Pharaonen, dass Gott sie befreien wird. Er wird erreichen, was er sich vornimmt. Wenn ein Freund von uns erkrankt, wären wir gern ein Medicus, um ihn zu heilen. Wenn er in finanzieller Not ist, wären wir gerne sein Mäzen."
Thorben stimmt mit ein: "Das ist ein tröstlicher Gedanke. Wenn Gott genauso fühlt, dann ist das ja ein Garant dafür, dass er auch uns retten wird. Die Parallele von Mose habe ich bisher nicht gezogen."

Ich merkte, wie die beiden begannen aufzutauen. Vielleicht erhebt sich dieser Monolog nun endlich zu einer lebhaften Diskussion. So sehr ich mich auch in der Rolle des Lehrers wohlfühlen mochte, ich hoffte doch auch auf ein Gespräch, dass auch mich bereichern sollte.

"Tatsache ist aber, wir können einfach nicht alles werden, was wir wollen. Kein Mensch kann das. Uns sind Grenzen gesetzt.", dämme ich die Möglichkeiten des Menschen ein.
Thorben stellt meine Argumentation in Frage: "Wie zeigst du auf, dass Gott alles werden kann und seine Vorsätze erfüllt? Kann Gott alles werden?"
Dies ist eine ungewöhnliche Frage für einen Mönch. Immerhin ist er ja ordinierter, ausgebildeter Bruder und hat sich Gott hingegeben.
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Re: Sacra Tibia: Hexagon - Die Mönche

Beitragvon almafan » Fr 19. Aug 2022, 15:52

Gottes Vorsatz

Thorben will wirklich viel wissen und verstehen. Das merkt man schnell. Bislang scheint sein Hunger nach Geistigem niemand so recht befriedigt haben zu wollen. Auch für dieses Thema muss ich allerdings weiter ausholen. "Nun, Gott hat etwas absolut fantastisches für die Erde vorgesehen. Gott möchte, dass überall glückliche, gesunde Menschen leben. So hat er es schon in Eden beschlossen. Schon in den ältestesten Schriften Mose steht: 'Seid fruchtbar, und werdet viele, und füllt die Erde, und unterwerft sie euch'. Gott wollte also, dass die Menschen Kinder bekommen, dass sie das Paradies auf die ganze Erde ausdehnen und sich um die Tiere kümmern. Den Propheten Jesaja lässt er verkünden, dass er die Erde nicht umsonst erschuf, sondern - so lässt es sich nachlesen - 'damit sie auch bewohnt werde'. In den Psalmen und der Offenbarung erfahren wir auch, wer auf der Erde leben soll: 'Die Gerechten selbst werden die Erde besitzen, und sie werden immerdar darauf wohnen'. Das ist offensichtlich ja nicht der Fall. Menschen werden krank und sterben. Sie bekämpfen und töten sich. Was wir heute beobachten kann nicht der Wille dessen sein, der ein Paradies verheißen hat."
Der Mönch Thorben hakte hier ein: "Da sind wir doch wieder, wo unser Gespräch begonnen hat. Unser Disput kreiste doch bereits um die Frage, wie ein allmächtiger Gott, der offenbar das Paradies ausgerufen hat, eine solch heillose Welt zulassen kann. Bisher hast du dies nicht erklären können. Gott ist doch der Herrscher der Erde. Wieso unternimmt er nichts?" Auch Ignatius reiht sich ein: "Warum ist Gottes Wille nicht geschehen?"

Zwei Mönche und ein Tischler, zwei die bewandert sein sollten in den Schriften, die sie preisen und einer, der mehr wissen will. Wenn mein alter Freund Quintus mich hier sehen könnte, er würde lachen, dass ich zwei Männern Gottes ihren Gott erkläre. Und ich selbst kann nicht umhin, ebenfalls meine Munkwinkel nach oben zu treiben. Doch die Frage war ernst.
"Nun diese Fragen kann uns kein Menschenwerk beantworten. Denn, so heißt es in der Bibel, begannen die Schwierigkeiten im Himmel. Es ist von einem Gegner Gottes die Rede, der im Garten Eden in Erscheinung trat. Dort wird er als 'die Schlange' bezeichnet. Doch im letzten Buch der Bibel wird diese Schlange als 'Teufel und Satan' kenntlich gemacht. Er redete durch die Schlange, wie ein Puppenspieler benutzte er sie. Er war zweifellos bereits dabei, als Gott die Erde bildete."
Thorben fragt: "Wenn die Schöpfung doch so perfekt war, woher kam dann der Teufel?" Die Mönche warfen ihm niederträchtige Blicke zu. Sanft aber erklärte ich den dreien, wie es sich laut den Schriften verhielt: "Nun, auch heute kommt es vor, dass ein zunächst anständiger, ehrlicher Mensch zum Dieb wird. Wie geschiet dies? Am Anfang steht ein unrechter Wunsch oder die Not. Wer keinen Ausweg sieht oder aber keinen anderen Weg wählen will, in dem wird der unrechte Wunsch stark. Er tut dann wohlmöglich das, worüber er nachgedacht hat. So geschah es auch beim Teufel, der Satan genannt wird. In ihm keimte der Wunsch, selbst angebetet zu werden. Etwas das nur Gott zusteht. Und damit er angebetet wird, erzählte er Adam und Eva, dass Gott ihnen die verbotene Frucht unter fadenscheinigen Gründen vorenthalte, also nicht die Wahrheit sagte. Damit wurde er der 'Teufel', was 'Verleumdner' bedeutet. Gleichzeitig wurde er zum 'Widerstandleistenden' und das wiederum drückt sich im Worte 'Satan' aus.

Die Mönche sind erstaunt über diese Variante der Entstehung des Bösen. "Was schaut ihr so? Dachtet ihr ein gerechter und guter Gott erschafft das Böse? Allein die Willensfreiheit hat ihn selbst zur Entscheidung geführt, böse zu sein." Der Tischler fragt noch einmal nach: "Soll das heißen, Satan ist durch die eigene Habgier und den eigenen Stolz zu dem personifizierten Bösen geworden?" Ich erwidere mit einem knappen Ja. Ich ergänzte auch, dass Gott den Tod derer vorhersagte, die von der verbotenen Frucht essen. Und so kam es ja auch, wenn auch nicht sofort. Aber Adam und Eva warfen ihre Vollkommenheit für eine Lüge dahin und mussten altern und sterben. Und da sie die Ureltern aller Menschen sein sollen, ist es nur logisch, dass alle Menschen diese Unvollkommenheit vererbt bekamen. Thorben, der Mönch, kam zu einer weiteren Frage, wie man dies denn verstehen soll. Und so brachte ich ein Gleichnis ins Spiel: "Stellt euch vor, ihr habt eine defekte Backform. Würde nicht jedes Gebäck, diesen Defekt mitnehmen? Eine Delle oder Beule zum Beispiel."

Ich wollte aber noch ein wenig tiefer gehen und zeigte die wahren Dimensionen dieser Geschichte auf: "Im Hintergrund geht es dabei aber um etwas viel größeres. Satan stellte Gottes Herrschaftsweise infrage. Gott hätte diese Rebellion, der sich später noch weitere Engel anschlossen auch einfach vernichten können. Aber dann wäre diese Streitfrage der Souveränität nicht geklärt gewesen." Der feiste Thorben hakt ein: "Also musste ein Rechtstreit her, in Form eines Präzedenzfalles." Der Tischler wollte wissen, was das bedeute. Ich erklärte es ihm: "Ein Präzendenzfall ist der erste Fall einer Reihe, an dessen Urteil sich folgende Fälle orientieren und damit zum Gewohnheitsrecht werden. Eine Rebellion gegen Gott gab es bis dato nicht, also musste der Fall genau untersucht werden, damit das Urteil gerecht ist und nachfolgende Rebellionen an diesem Urteil gemessen werden können. Gott lies also Zeit verstreichen, um zu zeigen, ob Satan mit seiner Herrschaft oder die Menschen ohne Herrschaft besser dran sind, als unter Gottes Herrschaft. Er will Satans Anschuldigungen überzeugend widerlegt sehen. So wird der Teufel als Lügner enttarnt. Nun leben leider wir genau in diesem Konflikt und der Teufel weiß, dass er nur noch eine kurze Frist habe. Und jeder von uns, hat diese Frist noch, um sich auf die Seite Gottes zu stellen und den Teufel Lügner zu schelten."

Bisher wurde dem Gesellen immer erklärt, Gott sei der Herrscher der Welt. Die Missstände in der Welt passen aber besser zu dem, was ich ihm gerade erklärt habe. Trotzdem bittet er noch einmal um die Bestätigung meiner Worte. Und ich gebe sie ihm: "Für Jesus stand es außer Frage, dass Satan der Herrscher war. Die letzte Prüfung in der Wüste war ja aussagekräftig. Satan bot ihm alle Königreiche der Welt an. Jesus hätte hier leicht einhaken können, dass diese ihm nicht gehören. Aber überlegen wir einmal: Wäre das Angebot überhaupt eine Verlockung gewesen, wenn Satan nicht der Besitzer dieser Reiche wäre? Natürlich ist Gott der Schöpfer der Welt und Jesus sein treuer Sohn. Aber nirgens in der Bibel wird erwähnt, sie seien auch die Herrscher. In Johannes wird sogar an drei Stellen explizit durch Jesus Satan als "Herrscher dieser Welt" bezeichnet. Im zwölften, im vierzehnten und im sechszehnten Kapitel seines Evangeliums." Ich war abermals froh, über mein gutes Gedächtnis. "Im zweiten Korintherbrief wird er auch "Gott dieses Systems der Dinge" genannt und der abermals der Apostel Johannes schrieb in seinem ersten Briefe, dass die Welt in der Hand dessen liegt, der böse ist. Die Bibel bestätigt also Satan als Herrscher der Welt."

Die Augen der Mönche werden groß. Entweder war es ihnen neu oder sie wollten nicht, dass es erzählt wird. Mich störte das wenig, denn ich war gerade ganz in meinem Element. "Die Bibel gibt aber auch Grund für eine Hoffnung. Denn sowohl die Offenbarung des Johannes, als auch die Propheten Jesaja und Daniel stätigen, dass Jesus als eingesetzter Herrscher im Krieg von Armageddon seinen Widersacher Satan besiegen wird. Dies ist der letzte Tag, der Gerichtstag, der Tag des jüngsten Gerichts. Gott hat ihn schon vor langer Zeit zum Herrscher bestimmt. Gott verspricht eine neue, eine gereinigte Welt, in der laut dem Petrusbrief Gerechtigkeit wohnen wird."
Ignatius ist skeptisch: "Du meinst, hier auf dieser Welt, nicht im Himmelreich?"
Ich fragte ihn daher: "Wozu brauchst du den Himmel, wenn Gott das Böse auf Erden beseitigt? Es gibt kann keinen Krieg und keine Verbrechen mehr. Keine Krankheiten und keinen Tod. Alles, was an die Erbsünde Adams erinnert, ist hinfort. Diese Welt wird, den Versprechungen der Bibel zur Folge, gerade eben jenes Paradies sein. Der Psalmist schreibt doch "Es wird Fülle an Getreide auf der Erde geben; auf dem Gipfel der Berge wird Überfluss sein". Aber im Himmel gibt es kein Getreide und keine Berge. Und ein anderer Psalmist schreibt "Der Böse wird nicht mehr sein ... Die Sanftmütigen aber werden die Erde besitzen". Das Leben wird dann so sicher sein, als sei man im Himmel. Jesaja spricht von eigenen Häusern und eigenen Weingärten. Auch spricht er vom Frieden zwischen Mensch und Tier. Im Himmel gibt es keine Tiere. Das lässt für mich nur einen Schluss zu. Die Bibel spricht nicht davon, dass alle Menschen in den Himmel kommen. Gott hat die Erde als Heimstadt für den Menschen entworfen, also wird der Mensch in Ewiglichkeit auf Erden seine Tage verbringen und Gott preisen."
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