Veggie - Sollte der gottesfürchtige Mensch vegetarisch leben?Wie auch beim letzten Text handelt es sich um eine Rezension. Den Orginaltext aus einem Erwachet (Herausgeber Wachtturm-Gesellschaft) stammt von 1976.
Link zum Artikel g76 8. 9. S. 24-27:
https://wol.jw.org/de/wol/d/r10/lp-x/101976403#h=1:0-23:0lWir machen gedanklich einen Sprung von fast 22 Jahren. Was hat sich in der Zwischenzeit bei der Wachtturm-Gesellschaft getan, die ja im Grunde ein Stück weit auch nur den Zeitgeist wiedergibt.
Wie im Artikel zuvor wird eine Art Front gezeichnet. So spricht der Artikel davon, "[...]daß heutzutage einflußreiche Personen auf der Seite der Vegetarier stehen[...]". Und auch zwischen gottesfürchtigen und denen, die es nicht sind oder nur den Anschein erwecken.
Es wird dann auch von Richtungen des Vegetarismus gesprochen. "ismen" haben immer den Anschein eine vielleicht unbegründete Weltanschauung zu sein, anstatt ein Lebensstil, der sich wohl und rational begründen lässt. So sind die "Richtungen" viel richtiger als Abstufungen anzusehen. Und sich "darüber ereifern", welches der verschiedenen Ernährungssysteme nun das bessere ist, umschreibt lediglich eine nicht immer konstruktiv geführte Debatte, welche Lebensmittel (und andere Konsumgüter) für Vegetarier, Veganer und anderweitig "Verzichtende" tabu sind und welche gerade ganz hipp. Außerdem werden bunt fröhlich und ohne Reflektion die Intentionen der verschiedenen Gruppen durcheinander gemischt. Ob es sich um gesundheitliche, körperbetonte, klimaschonende oder religiöse Gründe geht, scheint egal.
Der ökonomische Faktor war in den 70er und 80er Jahren tatsächlich noch vorhanden. Heute jedoch ist Fleisch billig wie nie und aktuell sogar die preislich günstigere Alternative. Es darf daher nicht verwundern, dass vor dem Billigfleisch tatsächlich auch der Geldbeutel zur Entscheidung für den Vegetarismus herangezogen wurde.
Selbstverständlich verlangt kein vernünftiger Vegetarier oder Veganer, dass Naturvölker nun ihre Lebensweise ändern und kein Fleisch mehr essen dürfen. Was aber auch daran liegt, dass deren Einfluss auf das Weltklima und die Umwelt verschwindend gering ist.
Und mit Genuss sollte man nicht argumentieren, wenn man Rauchen, übermäßigen Alkoholverbrauch und Sex außerhalb der Ehe doof findet. Denn das sind alles Genüsse. Zumal "Weil's halt so lecker schmeckt." ein Armutszeugnis für den Intellekt des Aussprechenden darstellt, sollte es seine letzte oder einzige Verteidigung sein.
Weil die "wahren Anbeter Gottes" so einen geringen Anteil an der Weltbevölkerung haben, können sie eh nichts erreichen, wenn sie fleischlos Leben würden, heißt es gleich nachdem man feststellt, dass die Fleischproduktion echt ineffizient ganze Ernten verschlingt. Die Gegenfrage, die sich mir stellt, warum die stets gegen Satans System anschwimmenden Zeugen gerade beim Thema Fleisch dem ungerecht agierenden System Schützenhilfe leisten, indem sie hier recht eindeutig für das Fleischessen eintreten und damit den ungerechten Status Quo doof finden und gleichzeitig verteidigen.
Der gesundheitliche Aspekt betrachtet die Möglichkeit der fehlenden Nährstoffe, ungeachtet dessen, dass Vitamin D mit der Ernährungsweise nur sehr geringfügig zu tun hat, da man dieses über die Haut durch Sonnenlicht synthetisiert. Vitamin B12 ist nur dann ein schlagendes Argument, wenn man nicht betrachtet, dass auch das Stallvieh in der Regel zu wenig B12 aufnehmen würde, wenn es nicht künstlich dem Futter beigemengt würde. Es stellt sich daher erneut die Frage, warum ich für Vitamin B12 Präparate den Umweg über Rind, Schwein und Huhn gehen muss. Tatsächlich findet sich
Eisen aber auch in erstaunlich vielen nicht tierischen Produkten und auch Mischköstler sind in Deutschland und Österreich zu 75% nicht ausreichend mit den genannten und weiteren Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen versorgt.
Beim ethisch-reliösen Faktor packt der Zeuge Jehovas den Vegetarier bei den Eiern. Denn die höchste Person im Universum und damit Leitfigur jeden ethischen Verhaltens, da Erschaffer der Ethik, Gott himself ist für das Fleischessen. Das verrät uns die Bibel. Immerhin darf der Mensch seit Noah Fleisch essen (1. Mose 9:3-5).
Tiere sind keine Menschen, demnach Lebewesen 2. Klasse, weshalb zwischen Menschenopfern als etwas Abscheulichem und Tieropfern, die "Schon von frühester Zeit an" von Gott nicht nur geduldet, sondern sogar gefordert wurden, unterschieden wird (1. Mose 4:2-5; 8:20, 21). Mit Sätzen wie "Bei den vielen Opfern, die das mosaische Gesetz forderte, mußten nicht wenige Tiere ihr Leben lassen." wächst nicht gerade meine Liebe zu diesem Gott.
Und dann noch solche Fragen:
Verlangte Gott außerdem nicht, daß die Israeliten wenigstens einmal im Jahr, bei der Passahfeier, Fleisch aßen, das Fleisch von einem Lamm oder Zicklein? Und mußten sie nicht jedesmal, wenn sie ein Gemeinschafts-Schlachtopfer darbrachten, Fleisch essen?
Finde ich persönlich wieder interessant, sich mit der Annahme des christlichen Glaubens allen jüdischen Regularien und Bräuchen zu entziehen, da das Gesetz mit dem Christus an den Pfahl genagelt wurde (Kol. 2:13-14), aber Fleisch... Ne... Da hört es aber auf.
Der Rest des Absatzes klingt nicht weniger nach "war schon immer so, machen wir genauso weiter". Auch das Jesus Fleisch und Fisch aß, soll uns alle Gewissensbisse nehmen. Wenn einer weiß, wie Gott zum Genuss von Tierkadavern steht, dann ja wohl dessen Sohn. Immerhin aß er auch das Passahlamm, füllte die Netze der Jünger mit Fisch und mehrte nicht nur das Brot, sondern auch Fisch bei den Wunderspeisungen der Tausende.
Die im 1. Jahrhundert aufgekommene Frage um den korrekten Fleischgenuß, drehte sich um die jüdischen Speisegesetze, nicht um die Frage, generell auf Fleisch zu verzichten oder den Konsum zumindest herunter zu fahren.
Aus religiösen oder biblischen Gründen spricht offenbar nichts gegen das Töten und Essen von Tieren.
Lasst mich das bitte noch einmal klarstellen: Der Gott, der sagt "Du sollst nicht töten.", der Gott der Tiere im Paradies angeblich alle vegetarisch geschaffen hat und der Gott, der als Eingeständnis knapper Ressourcen nach der Sintflut dem Menschen das Fleischessen erlaubt hat, findet es völlig okay, wenn ohne religiösen Grund FÜR das Fleischessen (wir erinnern uns, die Passahlämmer waren mit Jesu Opfertod passé) Tiere in unwürdigen Anlagen zwangsgeschwängert oder zwangskastriert, nur dafür gezüchtet werden, dass man sie töten und essen kann.
Ich zitiere nochmal aus dem Erwachet:
Die bisherigen Darlegungen zeigen deutlich, daß der Mensch nicht gegen den Willen Gottes verstößt, wenn er Tiere tötet, um seine Bedürfnisse zu stillen.
Der Hohn ist ja, dass Vegetarier und Veganer ganz deutlich zeigen, dass Fleisch kein Bedürfnis außer dem Geschmack erfüllt (passende Soße vorausgesetzt). Es ist Luxus für den kleinen Mann.
Ich muss Tiere nicht auf eine menschliche Ebene "hoch" ziehen, um es trotz Gottes Einverständnis, moralisch falsch zu finden, fühlende, emotionsfähige Lebewesen zu töten, um meinen Teller zu füllen, mit etwas das deutlich mehr Ressourcen verbrannt hat, als ich nun essen kann.
Wir kommen dem wirrer werdenden Ende näher und dürfen an der Denkleistung der Schreiber zweifeln, die sowas zu Papier gebracht haben:
Sehr unlogisch denken offenbar Personen, die sich energisch gegen das Töten von Tieren zu Nahrungszwecken einsetzen, gleichzeitig aber nichts gegen die blutigen Kriege einzuwenden haben, in denen durch Kanonen, Torpedos und Bomben Millionen Männer, Frauen und Kinder in unendliches Elend und in große Not gestürzt werden, viel Leid erdulden müssen oder gar ihr Leben verlieren.
Warum werden Kriege geführt? In der Regel geht es um Ressourcen. Keiner erobert andere Ländereien des Selbstzweckes wegen, sondern um neue Lebens- und Wirtschaftsräume für sein Volk zu schaffen. Dafür muss der Nachbar eben weichen.
Jetzt kommt aber der Krux:
Die Aufzucht von Mast-, Milch- und Wollvieh verbraucht Unmengen an Gütern, besonders Nahrung und Wasser. Und das nicht für ein paar tausend Kühe oder Schweine, sondern für Abermilliarden. Die Spezies Mensch schafft sich also den Luxus, neben damals 4 Milliarden Menschen (heute fast 8 Milliarden) auch noch wahnwitzig viele Tiere jedes Jahr zu züchten, zu mästen und zu töten. 2018 und 2019 wurden allein in Deutschland knapp 60 Millionen Schweine gehalten. Durch gewaltige Monokulturen, die auch für die Herden dieser Welt angebaut werden, verschwinden Kulturlandschaften und Wälder, werden Dorfgemeinschaften zwangsumgesiedelt. Die sich verstärkende Desertifikation durch Überweidung lässt Wüsten schneller wachsen. Man kann Nahrungsmittel besser verteilen und nutzen, wenn man sie nicht Millionen Nutztieren vorwirft. 40% der weltweit gefangenen Fische, 50% der weltweiten Getreideernte und fast 90% der weltweiten Sojaernte gehen in die Fleisch- und Milchindustrie. 80% der hungernden Kinder leben in Ländern, die einen Nahrungsüberschuss produzieren.

Philip Wollen, ehemaliger Vizepräsident der Citibank, der mit 34 Jahren vom australischen Magazin für Wirtschaft in die Top-40-Liste der einflussreichsten Führungskräfte aufgenommen wurde, mit 40 Jahren aber sein Leben radikal änderte, weil er seinen Beitrag gegen die Verbrechen an Tieren, Menschen und Umwelt leisten wollte:
Wenn ich um die Welt reise, sehe ich, wie arme Länder ihr Getreide an den Westen verkaufen, während ihre eigenen Kinder in ihren Armen verhungern. Und der Westen verfüttert dieses Getreide an ihre 'Nutztiere'. Nur damit wir ein Steak essen können? Bin ich denn der einzige, der sieht, dass das ein Verbrechen ist? Glauben Sie mir, jedes Stück Fleisch, das wir essen, ist ein Schlag in das verweinte Gesicht eines hungrigen Kindes. Wenn ich diesem Kind in die Augen blicke, wie kann ich dann noch schweigen? Die Erde kann genug Nahrung produzieren, um die Bedürfnisse aller Menschen, nicht jedoch die Gier aller Menschen zu befriedigen.“
Vermutlich ist das nur eine der einflußreichen Personen, der sich, wie oben beschrieben, auf die Seite der Vegetarier stellt. Von denen gibt es aber noch mehr.
Ein Zitat von Jean Ziegler, ehemaliger Schweizer Nationalrat und UNO-Sonderbeauftragter für das Recht auf Nahrung:
Die weltweite Getreideernte ist rund 2 Milliarden Tonnen pro Jahr. Über etwa 500 Millionen Tonnen werden dem Vieh der reichen Nationen verfüttert - während in den 122 Ländern der Dritten Welt pro Tag nach UNO-Statistik 43.000 Kinder an Hunger sterben. Diesen fürchterlichen Massenmord will ich nicht mehr mitmachen: kein Fleisch zu essen ist ein minimaler Anfang.
Und der Mann hat noch etwas sehr direktes gesagt:
Ein Kind, das heute an Hunger stirbt, wird ermordet.
Das sind nicht irgendwelche Promis, die dss ganze für die Publicity tun. Das sind Leute, die mit der Materie und beiden Seiten der Medaille vertraut sind.
Im vorletzten Absatz wird noch einmal die Frage gestellt "Sollte der gottesfürchtige Mensch vegetarisch leben?"
Nun aus moralisch-ethischer Basis, ja. Nicht nur wegen wirtschaftlichen oder gesundheitlichen Bedenken.
Wenn ich fleischfreie (und milch- und eifreie) Kost mit ethischen Gründen praktiziere und/oder verteidige, dann kann das in Bezug auf Jesu Ausspruch "Liebe deinen Nächsten." nicht falsch sein. Es ist gut gegen den Welthunger, gut für das Klima und die Umwelt. Es schützt nicht nur das Tier, dass dennoch nicht vermenschlicht wird. Es schützt vor allem Menschen in ärmeren Ländern, die sich gegen die belastete Umwelt und die Klimaschäden nicht wehren können.
Im letzten Absatz wird betont, sich Jesus zum Vorbild zu nehmen. Und ja, auch er aß Fleisch und Fisch. Aber: Wenn wir uns jedwede Epoche der Menschheit vor der Industrialisierung der Landwirtschaft in den 50ern anschauen, fällt auf, dass noch nie so viel Fleisch und Fisch pro Kopf vertilgt wurde. Ein Ritter im Mittelalter kam auf 20-25kg pro Jahr und Ritter waren Besserverdiener der damaligen Zeit, obere Mittelschicht würde man heute sagen. Pro Jahr ißt heute statistisch jeder Europäer und jeder Nordamerikaner ca. 60kg Fleisch und Fisch. Mehr als das doppelte.
Jesu war ein einfacher Mann. Seine Eltern konnten sich nur Tauben als Opfergabe für Jehova leisten (Lukas 2:24), eine Opfergabe, wie sie sich nur Geringverdiener leisteten, weil Besserverdiener Schafe oder Stiere opferten. Ein solch fleischlastigen "Ernährungsplan" wie heutige Jünger aus der ersten Welt kann er deshalb nicht gehabt haben. Und auch seine Apostel und Nachfolger nicht.
Warum also einen Status Quo mit übermäßigem Fleischkonsum verteidigen, wenn es dafür keine biblische Stütze gibt?
Es sind halt doch nur Lehren von Menschen für Menschen.