Bist du auch immun gegen Fakten?Warum ignorieren Menschen ständig Fakten?
Das Gehirn macht lieber Dinge die Spaß machen. Die Wahrheit macht aber relativ selten Spaß. Jeder kennt einen Moment in seinem Leben, wo man lieber vor ihr die Augen verschließen wollte. Und trotzdem gibt es kaum etwas frustrierenderes als Diskussionen mit Menschen, die einfache Fakten nicht anerkennen wollen. Ein aktuelles Beispiel globalen Ausmaßes ist die vom Menschen gemachte Klimakatastrophe. Das klingt doch schlimm. Die Alternative muss doch Spaß machen.
Tut sie aber nicht. enn um die Erde vor der totalen Überhitzung zu bewahren, müssen Menschen – besonders in der westlichen Welt – mit Einschränkungen leben lernen und sich auf ebensolche einigen. Verzicht und Einschränkung also auf der einen Seite und Vernichtung der Lebensgrundlage auf der anderen. Wo soll da Spaß aufkommen? Dabei muss Verzicht und Einschränkung natürlich nicht bedeuten, dass man nun mit Moss bekleidet unter Steinen hausen muss. Wir müssen unseren Energiebedarf nur umstellen. Bei der Einführung der LED hat auch erstmal jeder gemotzt, aber mittlerweile wird diese Form Licht zu erzeugen allgemein anerkannt, da sie die gleiche Ausbeute bei deutlich weniger Verbrauch ergibt. Diesem Beispiel werden - auch bei aktuellem Widerstand - andere Bereiche folgen. Z.B. E-Autos oder der Verzicht auf das Auto und das Umsteigen auf Bus, Bahn oder den guten alten Drahtesel, wenn nötig auch mit Strom.
Doch obwohl 99,94 Prozent aller durch Fachkollegen geprüften Artikel zum Thema den menschengemachten Klimawandel bestätigen (#1), gibt es noch immer Menschen, die ihn leugnen – obwohl sie keine Experten sind. Warum ist das so? Kann man solche Leugner überhaupt mit Fakten erreichen?
Grundsätzlicher ist die Frage: Sind wir alle immun gegen Fakten?
Ja, zumindest gegen manche.
Unser Hirn sammelt ständig Daten. Das können alle möglichen Informationen sein, über das aktuelle Wetter zum Beispiel oder eben Nachrichten zum Klimawandel. Aber wir machen beim Datenverarbeiten ständig Fehler. So kommt es, dass wir Fakten nicht als solche anerkennen können oder wollen. Das kann passieren, wenn wir unter Zeitdruck stehen oder wenn Informationen mehrdeutig sind. Es gibt aber einen Fehler, der besonders häufig auftritt: confirmation bias, der Bestätigungsfehler. Viele Studien zeigen, dass wir Informationen selektiv wahrnehmen, immer genau so, wie sie zu unserem Weltbild passen. Wer Nachrichten liest, nimmt die bevorzugt wahr, die die eigene Überzeugung bestätigen.
Ein Beispiel gefällig?
In einer Zeitung werden zwei sehr ähnliche Straftaten beschrieben, eine von einem Geflüchteten begangen, eine von einem Deutschen. Dann wird jemand, der Vorurteile gegenüber Geflüchteten hat, diese Nachricht als vermeintlichen Beweis anführen, dass Ausländer kriminell sind. Und die andere überlesen oder als Einzelfall runterspielen. Jemand anderes wird gerade den deutschen Straftäter betonen, um das Gegenteil zu beweisen. Damit sind beide Seiten in ihrem 'confirmation bias' gefangen.
Um auch andere Informationen "reinzulassen", sollte man sich immer vor Augen halten, dass man anfällig ist, Informationen selektiv zu verarbeiten. Sowie den Wunsch nach Wahrheit hegen auch wenn sie einem eventuell 'nicht passt' und sich systematisch mit anderen Perspektiven auseinandersetzen.
Aber selbst, wenn wir uns nur von Experten beraten lassen, sind die nur leise Stimmen im Vergleich zu unserem inneren "gefühlten Experten".
Warum? Weil viele sich kompetenter fühlen als sie sind. Ausgerechnet jene, die in einem Gebiet eher inkompetent sind, überschätzen ihre Kompetenz systematisch, weil sie nicht wissen können was wahre Kompetenz ist. Das ist ein Phänomen, das wir in der Kognitions- und Sozialpsychologie den 'Dunning-Kruger-Effekt' nennen. Umgekehrt gilt: Wer in einem Gebiet besonders kompetent ist, weiß, was man nicht weiß. Man nimmt diese Grenzen stärker wahr und zweifelt daher schneller an seinem Wissen. Außerdem unterschätzt man häufig, um wie viel kompetenter man ist als der Rest. Beides kann zu Kommunikationsproblemen führen.
Wenn ich als Experte meine Unsicherheit, die selbst mit ausgezeichneter Datenlage in Resten vorhanden ist, in allzu vorsichtigen Aussagen formuliere, mag das in der Wissenschaft funktionieren, aber nicht in der breiten Öffentlichkeit. Hardcore-Skeptiker denken dann, man hätte im Grunde genommen eh keine Ahnung. Wenn ich andere als unwesentlich weniger kompetent als mich selbst wahrnehme, setze ich zu viel voraus und kommuniziere komplex und unverständlich.
Die Selbstüberschätzung gilt für die vom Klimawandel Überzeugten und die Leugner gleichermaßen.
Leugner führen ein paar kalte Tage an, um zu beweisen, dass es angeblich keine Erderwärmung gibt. Jemand, der die Klimakrise hingegen ernst nimmt, stilisiert schon ein paar heiße Tag im Sommer zum eindeutigen Beleg hoch. Recht haben beide nicht. Denn was zählt, ist der statistische längere Trend und ein Verständnis für die Komplexität von Wetter und Klima.
Gibt es neben dem "confirmation bias" noch andere Faktoren, die unseren Blick auf Fakten beeinflussen?
Ja, vor allem emotionale und motivationale Faktoren spielen eine große Rolle. Emotionen steuern unser Denken und Verhalten dabei eher kurzfristig. An der Uni Hamburg hat man das beim Faktor Stress näher untersucht (#2): Stress beeinflusst vorübergehend unsere kognitiven Fähigkeiten, wir entscheiden dann etwa weniger zielgerichtet und mehr gewohnheitsmäßig. Motivationale Faktoren hingegen wirken eher langfristig.
Motivationale Faktoren kann man am Besten erklären mit Bedürfnissen, Werten und Vorstellungen, die uns antreiben. Ist mir zum Beispiel Treue wichtig, werde ich Nachrichten über Scheidungsraten oder Seitensprünge umso strenger bewerten, aber vielleicht auch besonders aufmerksam das Verhalten meines Partners gegenüber attraktiven Geschlechtsgenossen verfolgen.
Wie überzeugt man also sein Gegenüber, z.B. Klimaleugner?
Immer noch mit Fakten. Und mit Vertrauen.
Ein häufiges Problem ist, dass beide Seiten häufig schon mit einer Kampfbereitschaft in eine Diskussion kommen. Nur ist das dann eben keine Diskussion mehr. Auch der Versuch, Menschen zu korrigieren, indem man Evidenz hinknallt, führt häufig zu einem sogenannten 'backfire effect', also das Gegenteil von dem was man eigentlich erzielen wollte.
Also Fakten ja, aber nicht "hinknallen".
Unsere Wahrnehmung wird durch Emotionen und Werte stark beeinflusst. Das kann man ausnutzen! Die Wissenschaft nennt das 'moral framing': Die Emotion bereitet den Boden für den Fakt. Überlege also, wie du deine Sicht auf den Klimawandel in eine Geschichte verpacken kannst, an die dein Gegenüber anknüpfen kann.
In einer Studie in den USA haben Psychologen herausgefunden (#3), dass Liberale zwar generell ein verstärktes Umweltbewusstsein haben, Konservative dieses aber durchaus auch zeigen, wenn man in Überzeugungsversuchen an ihre Werte appelliert. Authorität ist ihnen wichtig? Recycling ist Bürgerpflicht! Die Heimat ist besonders schützenswert? Es geht um die Reinheit der Natur!
Das klingt ziemlich nach populistischen Slogans, aber die müssen nicht unbedingt schlecht sein, wenn sie funktionieren. Sie sollten dennoch eine Diskussionen mit Vertrauensbasis nicht ersetzen. Und nicht nur Worte helfen, sondern auch Bilder. Eine klare Abbildung mit den Temperaturtrends kann oftmals mehr bewirken als Worte – auch bei Klimawandelskeptikern, wie eine Untersuchung zeigte (#4). Im Grunde genommen geht es darum Fakten so aufzubereiten, dass sie einfach verarbeitet werden können und dabei auf einem fruchtvollen Boden fallen. Unterstützt durch ein ehrliches Interesse am Gegenüber und dem Versuch, auf seine Werte und Sichtweise wirklich einzugehen.
Der Kognitionswissenschaftler John Cook hat gemeinsam mit dem Psychologen Stephan Lewandowsky das "Debunking Handbook" geschrieben, einen kurzweiligen Guide, wie man mit Faktenleugnern umgehen kann. Du kannst es hier kostenlos downloaden (#5).
#1 - James Laurel Powell: The Consensus on Anthropogenic Global Warming Matters (First Published May 24, 2017)
#2 - Universität Hamburg, Arbeitsbereich Kognitionspsychologie
#3 - ChristopherWolsko, HectorAriceaga, JesseSeiden: Red, white, and blue enough to be green: Effects of moral framing on climate change attitudes and conservation behaviors, Journal of Experimental Social Psychology, Volume 65, July 2016, Pages 7-19
#4 - Brendan Nyhan, Jason Reifler: The roles of information deficits and identity threat in the prevalence of misperceptions, Published online: 06 May 2018
#5 - The Debunking Handbook: Posted on skepticalscience.com 27 November 2011 by John Cook