Die falschen Götter und der wahre GottWir sind in einer fremden Stadt und haben Hunger. Um nicht ewig in der Gegend herumzufahren und nicht schon wieder bei McDonalds abzusteigen, suchen wir im Internet über eines unserer mobilen Endgeräte ein gutes Restaurant in der Nähe aus. Nur wie finden wir heraus, ob es gut ist?
Wir können natürlich einfach die Webseite der jeweiligen Restaurants abklappern. Aber was bekommen wir dann? Wird nicht jedes Restaurant sich selbst als das beste der Stadt bezeichnen? Ich meine, selbst McDonalds wird in keinem Werbeflyer schreiben, dass die Milkshakes von Burger King besser sind (kleine persönliche Note: Sie sind dort besser.). Sony wird auch nicht die Smartphones von Samsung preisen, Samsung nicht die von Apple, Apple nicht die von Huawei. Ebenso wenig umgekehrt.
Wenn man eine ausgewogene Beurteilung möchte, muss man andere Quellen zurate ziehen. Bewertungsportale sind eine Möglichkeit. Mit ein bisschen "critical thinking" kann man auch schnell ausmachen, dass die meisten Rezensenten nur dann rezensieren, wenn sie eine negative Erfahrung gemacht haben. Erst durch das Hinzuziehen externer Quellen aber kommt man überhaupt zu einem objektiveren Bild.
Eine solche Situation wird vermutlich nicht passieren. Zumindest war das bei mir noch nie der Fall. Irgendein Bäcker, irgendein Dönerladen, irgendein Asiafood findet sich immer. Ich bin da nicht anspruchsvoll.
Aber was hat das jetzt mit Göttern zu tun?
Wenn wir schon bei Restaurants oder anderen Entscheidungen so vorgehen, nämlich einen "Faktencheck" mit externen Quellen, warum dann nicht auch bei der Religion, in die wir hineingeboren oder hineinmissioniert wurden/werden? Immerhin ist eine miese Futterbude vielleicht ein kulinarischer Reinfall, aber in aller Regel hat es keine Folgen für den Rest des Lebens. Bei Religionen ist es aber sehr wohl so, dass dies Entscheidungen sind, die über den gesamten Alltag bestimmen können. Nicht nur das, die Religion maßt sich an, auch über unsere Gefühle und Gedanken bestimmen zu dürfen.
Es ist hier also sehr wohl und sehr dringend dazu zu raten, sich nicht nur mit den Werbematerial der jeweiligen Religion zu beschäftigen und unterschiedliches Quellenmaterial gegeneinander aufzuwiegen.
Hape Kerkeling hat seine persönliche Variante von Gott auf dem Jakobsweg entdeckt. Das beschreibt er ganz ausführlich in seinem Buch "Ich bin dann mal weg" (Malik, München 2006, Wiederauflage: Piper, München 2009), dass über 100 Wochen auf Platz 1 der Bestellerliste für Sachbücher stand und sich über 4 Millionen mal verkauft hat. Verfilmt wurde es natürlich auch. Heilig Abend 2015 war Kinopremiere. Kann man sich anschauen, muss man aber nicht. Man kann das Buch auch lesen (oder als Hörbuch von ihm selbst vorlesen lassen), muss man aber nicht. Kurz zusammengefasst: Der echte Hape geht 2001 auf eine Pilgerreise nach Santiago de Compostela und schreibt es in sein Reisetagebuch. Dabei erlebt er allerhand und begegnet verschiedenen Menschen, die alle ein anderes Ziel und andere Erwartungen auf diesen Weg mitbringen.
Interessant fand ich seine Beschreibung der Kirche(n) oder Religionen. "Das Bodenpersonal Gottes lässt doch sehr zu wünschen übrig. Es ist, wie wenn man einen sehr guten Film in einem schlechten Dorfkino ansieht." Die Umstände sind miserabel, die Tonqualität ist vielleicht schlecht, die Umgebung ist laut, und der Filmprojektor ist uralt, und leider besteht Gefahr, darüber zu vergessen, dass der Film selbst doch eigentlich grandios ist.
Kann man so sehen.
Ich denke ja, Gott gibt es nicht. Und das "Bodenpersonal" hat ihn lediglich erfunden, beziehungsweise den Bedarf eines Glauben an irgendwas höheres und sinnstiftendes mit den eigenen Regeln gefüllt. Um die Regeln zu verstehen und mit dem höheren Wesen in Verbindung zu treten, muss man dieses "Bodenpersonal" als Autorität anerkennen. Es gibt keine Erlösung von Sünde und Tod, es sei denn, man erkennt die Regeln des jeweiligen Gurus an, der sich ja als Sprachrohr oder einzig wahrer mit Verständnis präsentiert. Der Film, den Hape hier als Synonym für Gott verwendet, ist nicht grandios, sondern es ist "The greatest show on earth" wie Richard Dawkin eins seiner Bücher betitelte. Nur leider kommt Gott darin eher schlecht weg, beziehungsweise gar nicht vor. Wir sind auf einem tektonisch aktiven Planeten, der um einen Stern kreist, dessen Strahlung uns umbringen könnte, die auch noch in jedem Moment ihres Lebens immer heißer wird. 99% aller Lebewesen, die jemals unser Erdenrund bevölkert haben, sind ausgestorben und am Massensterben unserer Tage ist der Mensch selbst massiv beteiligt. Welchen Gott sollen wir also anbeten? Den, der dieses Unglück verursacht hat? Oder den, der nichts dagegen unternimmt?
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Bringt es mir persönlich überhaupt etwas, an Gott zu glauben und ihm irgendwelche Dienste zu erweisen?
Ich ziehe jetzt mal einen Vergleich:
Meine Arbeit für den Gott anderer - denn mein Gott ist es ganz sicher nicht - unterscheidet sich nicht grundlegend von der Arbeit im Callcenter für einen x-beliebigen Auftraggeber.
Man muss ihn nicht mögen. Man muss nicht mal seine Produkte verwenden. Ist bei mir zum Beispiel der Fall.
Ich nutze äußerst selten Online-Versandhäuser und habe keinen Account bei irgendeinem Bezahldienstleister.
Ich habe keine überteuerte Technikspielerei, deren "Billig"-variante es genauso tut.
Ich habe keine Streaming-, On-Demand- oder HD+-Dienste für irgendwelche Fernsehaccount. Ich habe nicht einmal einen Fernseher.
Und hier besteht die erste Parallele:
Ich habe keinen Account bei Gott. Ich bin nicht sein Freund. Ich interessiere mich nicht für ihn. Ich gehe nicht einmal davon aus, dass es ihn gibt und das er eine besonders vernünftige Erklärung für irgendwas ist. Er ist für mich so überflüssig, wie Netflix und Co, wird aber bejubelt wie das neueste iPhone. Ich kann ohne leben, so wie ohne PayPal, Klarna und Co.
Und jetzt die zweite Parallele:
Ich kann trotzdem Dienst für "ihn" tun. So wie für alle Dienstleister, hinter deren Unternehmensphilosophien ich nicht stehen muss, kann ich auch für Gottesanbeter Hilfe leisten, obwohl ich deren Glauben nicht teile.
Die Menschen, die um Hilfe bitten, können nichts für die Werte des Unternehmens, dessen Produkte sie nutzen. Aber sie brauchen Hilfe. Und die habe ich immer nach besten Kräften gegeben. Auch bei den Dingen, die ich so überflüssig fand, wie ein drittes Auge, direkt an der Ferse. Wie der Predigtdienst, der keine Menschen rettet, sondern sie für eine fragwürdige Organisation als Mitglieder wirbt.
Die Gemeinden der Zeugen Jehovas spiegeln auch nur den Altersschnitt der Gesellschaft wieder. Also hilft man bei Saalrenovierung und -reinigung, bei Technik oder privaten Bauprojekten oder dem Einrichten des Handys der Gläubigen. Weil junge Leute gebraucht werden. Eben weil die Jugendkraft noch nicht zurück gekehrt ist, wie Gott es für das Paradies verspricht.
Und die dritte Parallele:
Die Produkte sind erst dann etwas wert, wenn Menschen mit diesen arbeiten und anderen helfen, mit ihnen zu arbeiten.
Ein Mac ist kein Deut besser als ein Windows-PC. Es kommt auf den Anwender an und dem wird bei einem Mac mehr abgenommen. Nicht weil der Rechner besser ist, sondern weil es weniger Konfigurationsmöglichkeiten gibt.
PayPal ist nicht besser als das restliche Bankwesen. Es wird nur mehr gepushed. Einfach weil es neuer ist und so spiegelt sich das auch in der Demografie der Nutzer wieder.
Auch Amazon, Netflix und Co haben nicht nur ihre Vorteile und man überlebt auch ohne.
Kurzum: Auch Gold ist nichts wert, wenn es keiner haben will. Und so grundlos wertvoll ist auch Gott. Es sind die Menschen, die sich gegenseitig unterstützen. Nicht wegen dem Segen irgendeines Gottes, sondern dem Anwenden eines selektiv zusammengefügten Codex. Zur Gänze wendet heute auch niemand mehr diese "göttlichen" Gesetze an. Auf Ehebruch steht die Todesstrafe oder wenn man Gottes Namen in unwürdiger Weise verwendet hat. Steinigen war quasi Volkssport. Im 5. Buch Mose, Kapitel 25, Vers 11-12 steht, dass man der Frau die Hand abhacken soll, wenn sie ihrem Mann in einem Handgemenge hilft, indem sie an die Klöten des Kondrahenten fasst. Auch wurde Frauen untersagt, ihr Hinterteil einem Tier in erotischer Weise entgegen zu strecken. Wenn es wirklich so relevant war, dass es in das Buch der Bücher aufgenommen werden musste, muss das echt eine verrückte Zeit gewesen sein.
Das Weglassen heute unmoralisch empfundener Regeln macht "göttliche" Regelwerke überhaupt erst interessant. Und nur weil Menschen sie anwenden, lebt dieses Regelwerk und damit der anzubetende Gott fort.
Menschen müssen sich gegenseitig unterstützen. Weil Gott kein bisschen mehr hilft, als die Götzen, die er in Psalm 135:15-18 beschreiben lässt.
Die Götzen der Heiden sind Silber und Gold, gemacht von Menschenhänden. Sie haben Mäuler und reden nicht, sie haben Augen und sehen nicht, sie haben Ohren und hören nicht, auch ist kein Odem in ihrem Munde. Die solche Götzen machen, sind ihnen gleich, alle, die auf sie hoffen.
- Psalm Kapitel 135, Vers 15-18, Lutherbibel 2017
Noch passender hat es sogar noch Jeremia ausgedrückt:
Denn die Bräuche der Heiden sind alle nichts: Man fällt im Walde einen Baum, und der Bildhauer macht daraus mit dem Beil ein Werk seiner Hände. Er schmückt es mit Silber und Gold und befestigt es mit Nagel und Hammer, dass es nicht umfalle. Es sind ja nichts als Vogelscheuchen im Gurkenfeld. Sie können nicht reden; auch muss man sie tragen, denn sie können nicht gehen. Darum sollt ihr euch nicht vor ihnen fürchten; denn sie können weder helfen noch Schaden tun.
- Jeremia Kapitel 10, Vers3-5, Lutherbibel 2017
Ich habe bisher keinen Unterschied zwischen den "falschen" Göttern und dem "wahren" Gott feststellen können. Das heißt natürlich nicht, dass es diesen nicht gibt. Aber der Allmächtige hatte ja wohl reichlich Gelegenheit sich auch uns oder wenigstens mir heute durch irgendwelche Zauberstücke zu offenbaren und nicht nur durch ein altes Buch, dass auch noch auf zig Weisen gedeutet werden kann. Das ist so ziemlich die schlechteste Art sich als omnipotentes Wesen zu zeigen.
Aber das ist alles nichts wert.
Ich helfe den Brüdern und Schwestern, den Jüngern Jesu, den Mitgliedern dieser von Gott gesegneten Vereinigung. Zumindest beschreibt sie sich immer wieder selbst so und verfällt dabei dem Confirm Bias, der lediglich die "guten Taten Gottes" zählt, die im Grunde nur aus Anekdoten darüber bestehen, wie Gott diesem und jenem nach einem Gebet beigestanden hat. Es werden lediglich die "erfüllten Gebete" gezählt, nicht jedoch die, die nicht erfüllt wurden. Oder und das ist noch perfider, es wird damit argumentiert, dass Gott andere Pläne hat, anders helfen wird, jetzt noch nicht die Zeit ist oder das man selbst durch sündige Neigungen oder den falschen Bewegrund schuld ist, wenn etwas nicht eintrifft. Dieser Blödsinn räumt Gott eine Win-Win-Situation ein, die völlig zurecht als absurd abgekanzelt werden kann. Wenn ich in einer Mathematikklausur durchfalle, kann ich doch auch nicht sagen, dass mein Stift andere Pläne hatte oder für das Bestehen der Prüfung noch nicht die Zeit reif war. Ich habe versagt, vermutlich, weil ich zuwenig gelernt habe, einen Blackout hatte oder einfach generell zu wenig gemacht habe, im Unterricht und in der Klausurvorbereitung. Wenn ich bestehe, danke ich doch nicht Gott. Denn der hat mit meinen Mathematikkenntnissen nichts zu tun. Ich habe sie mir erarbeitet, ich musste für die Klausur lernen und ich musste sie schreiben. Die Note ist nicht von Gebeten abhängig, sondern davon, ob ich die Lösungen richtig aufgeschrieben habe und wie ich die Rechenwege erkläre, wenn ich nicht auf das richtige Ergebnis gekommen bin. Wo taucht hier Gott auf?
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Aber ich kann mich hier maximal aufregen.
Gott wird es nicht erhören und nicht segnen. Nicht das, was ich hier tue. Denn es steht ihm entgegen. Aber auch die Hilfe, die ich "Glaubensbrüdern" anbiete ist vergebens. Warum?
Alle diese Flüche werden über dich kommen und dich verfolgen und treffen, bis du vertilgt bist, weil du der Stimme des HERRN, deines Gottes, nicht gehorcht und seine Gebote und Rechte nicht gehalten hast, die er dir geboten hat. Und diese Flüche werden Zeichen und Wunder sein an dir und an deinen Nachkommen immerdar, weil du dem HERRN, deinem Gott, nicht gedient hast mit Freude und Lust deines Herzens, obwohl du Überfluss hattest an allem.
- 5. Mose Kapitel 28, Vers 45-47
Das verkennt aber, dass die Beweislage, bei dem liegt, der behauptet, den Überfluss habe ich von Gott. Aber es zeigt ganz gut, dass ich ein herzensguter Mensch sein könnte, Hunde vor dem Ertrinken rette und Katzen vom Baum. Das ich Omas über die Straße helfe oder ihr die Einkäufe die Treppe hochtrage. Ich könnte mich für das Deutsche Rote Kreuz und Amnesty International engagieren und mich mit Green Peace für den Regenwald in Brasilien einsetzen. Ich könnte eine Flüchtlingsfamilie aufnehmen, bei der Tafel aushelfen. Es wäre alles egal. Solange ich "bloß" ein guter Mensch bin, ist das nichts wert.
Ich muss nicht den Menschen dienen, die Hilfe brauchen, sondern Gott. Warum? Was braucht der denn von mir? Was für ein Glaubenssystem kann sich denn als moralisch bezeichnen, wenn man die Liebe zu Gott über der Nächstenliebe zu seinen Mitmenschen erhebt? Wer darf von mir denn bedingunglose Liebe fordern? Das kann ich doch auch nicht als Vater oder Mutter eines Kindes. Liebe und Respekt muss man sich verdienen. Nicht einmal und dann ist gut. Sondern immer wieder. Und damit kommen wir wieder zum Confirm Bias und der Behauptung, dass Gott es ja ist, der für das Gute sorgt. Welchen Beweis gibt es dafür?
Man kann natürlich nun sagen: "Ja, das mit dem Ehebrecher steinigen und Eiergrabscher die Hand abhacken, steht schon drin, aber das ist ja das alte Testament. Das ist ja durch das neue Testament überholt." Mal ganz nebenbei, wenn 2 Bücher schon echt alt sind, würde ich die Bezeichnung "neu" sowieso meiden. Eigentlich gibt es ja nur ein "Ganz altes Testament" und ein "Nicht ganz so altes Testament".
Aber diese Argumentation ist trotzdem Quatsch. Konnte Moses wissen, dass noch zig weitere Bücher zu seinem Pentateuch hinzuverfasst werden. Wir finden zumindest keinen Hinweis darauf. Demnach bezieht sich das Halten der Gebote Gottes auf die 5 Bücher Mose. Dieses Halten der Gebote bezieht sich vermutlich sogar nur auf den juristischen Teil des 5. Buches. Wie komm ich denn da drauf?
Das 5. Buch Mose ist in mehrere Teile untergliedert: Kapitel 1, Vers 1 - 5 sind die Einleitung, Vers 6 - Kapitel 4, Vers 43 sind Moses erste wörtliche Rede. Dabei hält er einen Rückblick auf die 40-jährige Wanderung und gibt eine Mahnrede über das Bilderverbot. Kapitel 4, Vers 44 - 49 ist die Einleitung zur 2. wörtlichen Rede Mose. Die findet sich im Kapitel 5 - 11 und enthält einen Rückblick auf die Ereignisse am Horeb (wo die 10 Gebote überreicht wurden). Kapitel 12 startet mit einer Art Überschrift für den Gesetzteskorpus, der dann ab Vers 2 bis zum Kapitel 26, Vers 15 den damit größten Teil des Buches stellt. Den Rest von Kapitel 26 widmet er der Überleitung zur dritten wörtlichen Rede, die dann von Kapitel 27 - 30 geht, wo er Fluch und Segen vorlegt und den Bund mit Moab beschreibt. Kapitel 31 - 34 schließen das gesamte Pentateuch ab. Hier wird Josua als Nachfolger vorgestellt, gesegnet und Mose stirbt dann nach einer letzten Ermahnung und dem Besteigen eines Berges, wo er dass Land, in das er selber nicht mehr einziehen darf, wenigstens nochmal sehen kann.
Typisch für das auch Deuteronomium genannte Buch ist die Verbindung von Gesetzestexten und den warnenden Ausführungen des Mose. Diese Mahnrede legt sich wie ein Rahmen als Prolog und Epilog um die juristischen Stoffe, die den Kern des Deuteronomiums (Kapitel 12 bis 26) bilden. Es ist also schon ein ziemlich straffe Dehnung, den obigen Gebote-Gottes-halten-Text über alle Bibelbücher, bis sogar ins Neue Testament zu zerren.
Also müssen wir doch steinigen, verstümmeln und hinrichten, was das Zeug hält. Ich sehe aber keinen gerechten Richter auf der Erde, der nicht nur den Verbrecher bestraft, sondern auch die "Nachkommen immerdar". So einer würde auch recht schnell seine Robe abgeben dürfen. Ich verstehe jetzt also nicht wirklich, warum ich diesen uralten Codex über die modernen Verfassungen staatlicher Institutionen stellen soll.
Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und meinen Leib dahingäbe, mich zu rühmen, und hätte der Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze.
- 1. Korintherbrief Kapitel 13, Vers 1-3
Und auch dieser Bibeltext sagt mir ganz eindeutig, dass es egal ist, wie gut und aufrichtig ich mein Leben gestalte. Wenn ich nicht die göttliche Liebe in mir habe, ist das alles sinnlos. Ich bin dann kein Deut besser, als jemand der vergewaltigt oder mordet. Schlimmer noch, ich bin der Böse. Denn solange der Verbrecher bereut, bekommt er durch Gottes Gnade auch dessen Segen und kehrt ins Himmelreich ein oder lebt im Paradies auf der künftigen Erde für immer. Das heißt jetzt natürlich nicht, dass Menschen sich nicht ändern können. Auch das menschliche Justizsystem kennt eine Haftzeit, die ja endlich ist, nach der dem Verbrecher "vergeben" wird. Zumindest von staatsrechtlicher Seite. Es gibt auch vorzeitige Straferlässe, wenn sich der Sträfling gut führt. Das ist alles okay. Aber das Justizsystem verknackt (oder tötet mich) nicht, nur weil ich es nicht anbete oder sonstwie huldige. Solange ich mich an die Regeln halte, die eine Gesellschaft im Dialog erfochten hat, gibt es nichts zu befürchten. Wenn ich darüber hinaus auch noch gutes tue, werde ich als Vorbild gelten. Und es ist dabei egal, ob ich den Armen spende, weil ich Moslem, Christ, Jude, Hindu oder Sinkh bin. Es ist sogar egal, ob ich es überhaupt aus einem Glauben oder einer Überzeugung heraus mache. Jede gute Tat zählt in einer Gesellschaft.
Obendrein sind solche Mahnreden herrliche Gelegenheiten, die offenbarten Worte als starres Regelwerk überzustülpen.
Wieviele Leute haben noch "die Worte Gottes an Mose" erhalten? Kein weiterer? Hm ...
Wieviele Leute sind auf den Berg hinauf gestiegen, um die Gesetzestafeln zu "erhalten"? Nur Mose? Hm ...
Andere Leute, die von sich behaupten, Botschaften von Gott zu erhalten, die nur sie erhalten haben, stecken wir in die Psychatrie. Zumindest wenn die Propheten für sich oder die Gesellschaft eine Gefahr darstellen. Aber wenn das Ganze vor 3500 Jahren passiert ist und erst Jahrhunderte später niedergeschrieben wurde (die meisten Bibelkundigen verneinen nämlich die Autorenschaft Mose an den 5 Büchern des Pentateuch), dann müssen wir das glauben?
Okay. Klingt einleuchtend.
Nachtrag 08.11.2021:Auch in der Versammlung am gestrigen Sonntag, stellte sich wieder heraus, wie innerhalb der Zeugen Jehovas über auswertige Lektüre gedacht wird. Irgendein Bruder Sowieso hat sich von der "Wahrheit" entfernt oder wurde ausgeschlossen. Hab ich mir nicht gemerkt. Was ich mir hingegegen gemerkt habe, ist die Art und Weise, wie man auf Literatur reagieren sollte, die nicht vom "treuen und verständigen Sklaven" kommt, also der eigenen Führungsriege. Wenn man sich diese nämlich anschaut, ist das schon ein starkes Indiz dafür, dass der Glaube ja vorher schon nicht so stark war. Allerdings sehe ich das, gewohnheitsgemäß, anders.
Wenn das alles "die Wahrheit" sein soll, dann muss sie sich an ALLEM messen lassen, nicht nur an dem Zeug, was eh im inneren Zirkel entsteht. Es passt ganz gut als Ergänzung zu den ersten Absätzen dieses Artikels. Wenn ich wissen will, welches Restaurant oder welche Werkstadt oder welcher Arzt der beste in der Stadt ist, dann ist es nur logisch, nicht allein auf die Stimme eines einzelnen Restaurantbesitzers oder Mechaniker oder Praxisleiter zu hören. Ich muss mir für eine objektivere Meinung auch anhören, was andere Gäste, Autobesitzer oder Patienten zu diesem Thema zu sagen haben. Und wenn Fragen über die rechte Handhabung von Hygienestandards beim Kochen, die rechte Handhabung bei Sicherheitsstandards bei der Reparatur oder die rechte Handhabung bei einer Behandlung aufkommen, dann muss darauf adäquat geantwortet werden können.
Es gibt immer wieder Erlebnisberichte, wie Zeuge X oder Y in "die Wahrheit" kam. Besonders jene, die aus einer anderen Religion kommen, bei uns in der Gegend in den allermeisten Fällen, irgendeine katholische oder evangelische Kirche, klagen gerne darüber, was alles in ihren alten Gemeinden falsch lief. Das Glaubensbrüder sich anfeinden oder hinter dem Rücken lästern. Wenn das gleiche aber bei den Zeugen geschiet, heißt es lapidar, dass die Menschen ja unvollkommen sind, man aber bitte das große Ganze sehen soll. Was ist denn das für eine Doppelmoral?
Warum verurteilt man seit den 80ern und 90ern die Missbrauchsskandale der katholischen Priester, erwähnt gegenüber seinen eigenen Schäfchen aber nicht, dass die Royal Commission in Australien schon vor Jahren über 1600 Fälle von über 1000 mutmaßlichen Tätern offengelegt hat, allein in der Region, in der sie zuständig sind: Australien. Dort leben nach Angaben der Religionsgemeinschaft selbst ca. 67.500 Zeugen Jehovas (Jahresbuch der Zeugen Jehovas 2017, #1). Aktuellere Zahlen finden sich nicht so schnell. 1000 mutmaßliche Kinderschänder hat der Bericht der Royal Commission in den von der Wachtturm-Gesellschaft herausgegebenen Dokumenten gefunden. Selbst wenns nur die Hälfte wären, wäre der Prozentsatz bekannter Fälle zur Mitgliederzahl höher als bei den Katholiken des gleichen Landes. Die liegen zwar nach absoluten Zahlen mit mindestens 4400 missbrauchten Kindern deutlich höher, aber sind bei 22,6% der gesamten Landesbevölkerung von fast 26 Millionen Einwohnern auch ungleich mehr Leute. Es ist also statistisch gesehen, 30 mal wahrscheinlicher von einem Zeugen Jehovas in führender Stellung missbraucht zu werden, als von einem katholischen Priester (ein Hunderstel der Mitgliederanzahl, aber ein Drittel der Missbrauchsfälle). Wie auch immer man dieses Zahlenspielchen hier spielt, es geht um Menschen, die unter den Schutz der ganzen Gesellschaft gehören: Kinder. Da ist bereits ein einzelner Fall einer zu viel. Geschweige denn, dass es darum geht irgendwelche High Scores aufzustellen. Davon weiß man innerhalb der Glaubensgemeinschaft aber nichts, weil es vertuscht wird. Das ist fast das noch größere Verbrechen, weil damit auch die Täter gedeckt werden, die dann ungehemmt weiter machen können. Das zeigt aber ganz klar die Doppelmoral dieser gottgeleiteten Organisation. Auf den anderen Kirchen und ihren Skandalen rumprügeln und die eigenen Skandale nicht einmal eingestehen.
Es gibt vermutlich viele Gründe, warum ein Zeuge Jehovas nicht allein ins Internet gehen sollte, aber mit "der Wahrheit" hat das nichts zu tun. Es gehört einfach zum Vertuschen dazu, dass die eigenen Schäfchen nicht wissen, was da draußen tatsächlich alles falsch läuft.
Und damit wären wir wieder bei Hape Kerkeling und seiner Dorfkino-Analogie. Vielleicht ist der Film, Gott, ja grandios, aber mit "seiner irdischen Organisation" hat das herzlich wenig zu tun.
#1 - Jahrbuch 2017, Jahresbereicht des Dienstjahres 2016: https://www.jw.org/de/bibliothek/buecher/2017-jahrbuch/bericht-dienstjahr-2016-jehovas-zeugen/