Kritisches Denken




Religion, Esoterik, Verschörungstheorien und andere Dinge.

Re: Evolution oder Schöpfung

Beitragvon almafan » Do 29. Mär 2018, 22:17

Die Wichtigkeit von Grundlagenforschung - Astronomie in der Augenklinik

Astronomie ist ja zu nichts gut. Ich hatte das schon einmal von einem Freund gehört, der sinngemäß sagte: "Was kümmern mich die Sterne, wenn mein Leben doch hier unten statt findet? Alles was ich wissen muss, findet sich hier?" Ein Bericht aus dem Jahr 2014 widerlegt diese These. Auch wenn Astronomie sich unglaublich weit entfernten Objekten beschäftigt, können Teile der Forschung ganz alltäglich werden.

In der Augenklinik in Maastricht muss man oft sehr komplizierte Operationen durchführen. Um den Patienten bei einer Retina-Ablösung das Augenlicht erhalten zu können, muss sehr schnell eine bestimmte Operation durchgeführt werden, bei der auf Millimeterbruchteile genau gearbeitet werden muss. Das geht nur mit entsprechenden Mikroskopen, die den Ärzten vernünftige Bilder liefern. Bilder, die das zu operierende Auge klar und deutlich zeigen und nicht ständig hin und her wackeln. Aber das taten sie bisher immer. Man hatte in Maastricht sogar eine Bremsschwelle von der Straße vor dem Krankenhaus entfernt um Erschütterungen durch die vorbeifahrenden Autos zu vermeiden. Aber das half nicht. Das ganze Gebäude vibrierte immer noch und schuld war der Wind, der gegen die Fassade des Krankenhauses bläst. Die Vibrationen waren zwar 100 Mal kleiner als der Durchmesser eines menschlichen Haares – aber das war immer noch stark genug um das Bild im Mikroskop zu verwackeln. Und der Wind lässt sich leider kaum abstellen.

Die Ärzte brauchten ein ruhiges Bild um zu operieren, aber sie bekamen keines. Und wer braucht noch ein ruhiges Bild von den Dingen für seine Arbeit? Genau - die Astronomen! Wenn man mit einem Teleskop den Himmel beobachtet, dann darf das auch nicht wackeln sondern muss ruhig und exakt auf einen Stern gerichtet werden. Je ruhiger das Bild, desto besser die Ergebnisse. Und besonders gute Ergebnisse wollte man mit dem Weltraumteleskop Darwin bekommen. Das sollte eigentlich 2015 den Betrieb aufnehmen und hätte aus einer Flotte kleiner Satelliten bestanden, die zusammengeschaltet werden können um die Atmosphären von extrasolaren Planeten zu untersuchen und dort vielleicht Anzeichen von Leben zu finden. Dazu braucht man natürlich sehr exakte Messungen und muss die Teleskope sehr exakt und stabil ausrichten. Darwin selbst wurde 2007 eingestellt. Aber die technischen Studien und Prototypen, die man bis dahin gemacht hatte, waren nicht umsonst. Denn die Stabilisationsmethode, mit der man ursprünglich nach extrasolaren Planeten suchen wollte, hilft heute den Ärzten in Maastricht, ihren Patienten das Augenlicht zu erhalten.

Das Gerät heißt "Hummingbird" (Kolibri) und wurde im Rahmen des Technology Transfer Network der Europäischen Weltraumagentur ESA aus der Astronomie in die Medizin übergeführt. Professor Carroll Webers von der Maastrichter Augenklinik ist begeistert und Krankenhäuser in anderen Ländern sind ebenfalls an dieser Technik interessiert.

Man sollte die astronomische Forschung nicht über ihre Spin-Offs rechtfertigen. Man betreibt Astronomie, weil man mehr über das Universum herausfinden wollen und nicht, um Augenoperationen zu erleichtern. Aber wenn man mehr über das Universum herausfindet, dann lernt man dabei zwangsläufig auch immer etwas, das sich auf unser Alltagsleben auswirkt. Je mehr wir wissen, desto mehr Möglichkeiten haben wir. Man darf nur nicht den Fehler machen und glauben, man könnte gezielt in eine Richtung forschen. Die Ärzte aus Maastricht haben die Lösung für ihr Problem in der Astronomie gefunden. Das nächste Mal ist es vielleicht die Teilchenphysik, die Zoologie oder die Mathematik der Primzahlen. Das kann man vorher nicht wissen. Und genau deswegen ist die Grundlagenforschung so fundamental wichtig!
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von Anzeige » Do 29. Mär 2018, 22:17

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Re: Evolution oder Schöpfung

Beitragvon almafan » Fr 1. Jun 2018, 12:52

Misquote: Shakespeare und die Dinge zwischen Himmel und Erde

Ich kenne persönlich Leute, die Tarot lesen, Heilsteine sammeln, an Homöopathie oder heilende Hände glauben. Auch Schöpfungsanhänger sind dabei. Wenn man etwas erwidert, kommt auch schon mal: "Die Wissenschaft weiß nicht alles!" Das ist richtig. Es zeigt aber auch, dass man eine bestenfalls schwammige Vorstellung davon hat, worum es in der Wissenschaft überhaupt geht. Wissenschaft behauptet ja gar nicht, alles zu wissen. Sie behauptet nicht einmal, irgendwas mit absoluter Sicherheit zu wissen. Wissenschaft trifft nur Aussagen über die Welt, die durch Beobachtung und Experimente untersucht werden, um die Wahrheit zu entdecken. Aber diese Aussagen sind immer Veränderungen unterworfen. Irgendwer entdeckt eine neue Gesetzmäßigkeit, die alte Daten umwirft oder neu interpretiert. Viele Leute da draußen mögen das nicht.
Auf der Beliebtheitsskala ganz oben steht auch das verkappte Shakespear-Zitat: "Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die sich die Wissenschaft nicht träumen lässt." Dieses vermeintliche Totschlag-Argument ist leicht zu entkräften und zwar mit dem Kontext, indem dieses Zitat entsteht.

Vermutlich soll der Satz aussagen: "Du bist zu klein für solche Themen. Dir fehlt der spirituelle Zugang. Deine rationale Herangehensweise verhindert, dass du tiefer eindringst, dir die Geheimnisse des Lebens und der Welt erschließt." Ja, wenn der große Shakespeare das gesagt hat, muss natürlich was dran sein.

Was brauchen wir für ein Totschlag-Argument:
  1. Eine Autorität: Shakespeare ist gut. Goethe auch (bei dem ist schwurbelmäßig sowieso immer was zu holen). Schiller geht so. Besser noch sind Wissenschaftler, wie Einstein, Newton oder Galileo. Gerne auch fernöstliche Größen wie der Dalai Lama, Konfuzius und wie sie alle heißen. Und natürlich sind auch alle irgendwie naturbelassenen Völker hinreichend glaubwürdig, dann geht's auch ohne einzelne Autoritäten: alte indianische Weisheit, uralte Weisheit der Maya und so weiter ...
  2. Verzicht auf den Kontext: Es sollte nicht interessieren, dass dieser Satz von Hamlet, einer literarischen Figur aus dem gleichnamigen Stück, zu seinem Freund Horatio gesprochen wurde und nicht etwa von Shakespeare zum Leser des 21. Jahrhunderts.
  3. Verzicht auf genaue Übersetzung: "These are more things in heaven and earth, Horatio, That are dreamt of on your philosophy." heißt selbstverständlich "Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit/Wissenschaft sich träumt, Horatio."
  4. Eine gewisse diffuse Allgemeingültigkeit: Kann man einen Satz nur mit "Aha, stimmt schon" beantworten, ist er totschlag-argument-tauglich. "Heißa! - rufet Sauerbrot - Heißa! meine Frau ist tot!!" Na ja, nein, nicht geeignet. Irgendwie zu ... zynisch. Da wabert nichts. Typisch Wilhelm Busch halt. Wie wär's damit: "Überall, wo der weiße Mann die Erde berührt, ist sie wund ..." Hervorragend geeignet! (Kein Wunder, ist ja auch eine indianische Weisheit.) Eins von Schiller geht auch: "Gegen Dummheit kämpfen Götter selbst vergeblich."

Kommen wir noch einmal auf den Kontext zu sprechen und der dahinterliegenden Aussage.

Das Orginalzitat, Akt I, Szene V lautet:
"These are more things in heaven and earth, Horatio,
That are dreamt of on your philosophy."


Wer dieses Zitat aber übernimmt, argumentiert, dass man aus der Unwissenheit der Wissenschaft darauf schließen kann, dass die Dinge, die man zu verteidigen versucht, ja doch existieren (können). Und dieses Zitat wertet man als Verteidigung so treffsicher, ohne auch nur eine Übersicht zu besitzen, was Wissenschaft denn schon alles weiß.
In welchem Kontext traf Hamlet diese Aussage. Der dänische Prinz Hamlet erfährt, dass sein gleichnamiger Vater, König von Dänemark, verstorben ist und dessen Bruder Claudius, die Königin geheiratet hat. Im Schloss des Vaters begegnet ihm der Geist des Vaters und erzählt, wie Claudius ihn vergiftet habe, um selbst den Thron zu besteigen. Nachdem die Gestalt verschwunden ist, kommt das berühmte Zitat (übrigens auch auf Wikipedia falsch übersetzt).
Ist Hamlet aber bereit, der Aussage des Geistes einfach so zu glauben? Nein: Er bittet eine reisende Schaustellertruppe, die Mordszene vor der Hoföffentlichkeit zu spielen und begründet dies so:
"[...] Sie sollen was
Wie die Ermordung meines Vaters spielen
Vor meinem Oheim: ich will seine Blicke
Beachten, will ihn bis ins Leben prüfen;
Stutzt er, so weiß ich meinen Weg. Der Geist,
Den ich gesehen, kann ein Teufel sein;
Der Teufel hat Gewalt, sich zu verkleiden
In lockender Gestalt; ja, und vielleicht,
Bei meiner Schwachheit und Melancholie,
(Da er sehr mächtig ist bei solchen Geistern),
Täuscht er mich zum Verderben: ich will Grund,
Der sichrer ist. Das Schauspiel sei die Schlinge,
In die den König sein Gewissen bringe."
(Akt II, Szene II)

Hamlet prüft also die Vermutung, der Geist habe ihn getäuscht und der jetzige König sei unschuldig. Erst nach der Falsifizierung der Vermutung durch das nervöse Verhalten des Königs ist Hamlet bereit, zu handeln und Claudius zu töten. Die Vermutung ist falsifizierbar und kommunizierbar. In der Kommunizierbarkeit, nämlich dem Verhalten des Königspaares vor der Hoföffentlichkeit liegt gerade der Test.
Hamlet ist somit kein Garant für die Existenz von Paraphämomenen, seien es Globuli oder Engel. Im Gegenteil sogar: Er ist das Urbild eines skeptischen Wissenschaftlers. Als echter Skeptiker sucht Hamlet die Ursache zuerst bei sich ("Bei meiner Schwachheit und Melancholie"). Er zeigt, was den Wissenschaftler und den Parawissenschaftler unterscheidet: Der Wissenschaftler will "Grund, der sicherer ist". Und er will erst handeln, wenn er seine Hypothesen geprüft weiß.


Der Herr Shakespeare hat also eine Geschichte, basierend übrigens auf einer älteren Geschichte, die nicht von ihm selbst war, erfunden und es für passend befunden, diese Figur - beide Freunde waren übrigens hochgebildet - diesen Satz sagen zu lassen. Ich habe aufgrund der Ungleichzeitigkeit unserer Existenz nie ein Eis mit ihm zusammen gelöffelt und weiß daher nicht, welche Weltanschauung er hatte. Da ich aber selbst auch Geschichten schreibe, weiß ich, dass nicht zwangsläufig alle von Figuren vertretenen Meinungen auch die des Autors sein müssen.
Wenn man bedenkt, dass Hamlet dies zu Horatio sagt, einer ebenfalls von Shakespear erdachten Figur, die als Rationalist ersonnen wurde, kommt die Frage auf, welcher Figur Shakespear selbst mehr gleicht. Aber alles was Horatio sagt, stammt ebenfalls aus der Feder des großen Schreibers. Für mich ist es völlig okay, wenn fiktive Geister in einer fiktiven Geschichte von ausgedachten Figuren gesehen werden. Aber das hat nichts mit der Realität zu tun.
Erschwerend kommt hinzu, dass Shakespear Dramatiker, Lyriker und Schauspieler war und kein Wissenschaftler. Er war Autor fiktionaler Romane. Auch verstarb er bereits 1616 und war eine Person seiner Zeit, mit dem Wissen seiner Zeit. Und natürlich gibt es Dinge, die sich weder Autor, noch die Figuren damals erträumen konnten, die aber dennoch bereits zu dieser Zeit ihre Wirkung zeigten: Auch dem Shakespear wurde die Nase rot, wenn er zu lange in der Sonne war, auch ohne etwas von Ultraviolett- und Infrarotstrahlung zu wissen (#1). Auch ihnen strahlte die Sonne überhaupt auf den Pelz, obwohl Kernfusion völlig unbekannt war.

Weder Shakespeare, noch der von ihm konstruierte Hamlet sagen mit obigem Zitat, dass Homöopathie oder Heilkristalle funktionieren oder der Kreationismus wahr wäre. Da darf man gern selbst mal nachschlagen. Auch künftig wird die Wissenschaft Dinge finden, die wir heute noch nicht ahnen. Aber sie werden messbar sein. Sie werden gut begründet sein. Ist das nicht herrlich?

In diesem Sinne haben auch Löffelverbiegen und Kreationismus etwas gemeinsam. Für beides gibt es keine Beweise, aber trotzdem wird daran geglaubt.

#1 - Infrarot- und Ultraviolettstrahlung
Die Infrarotstrahlung wurde um 1800 vom deutsch-britischen Astronomen, Techniker und Musiker Friedrich Wilhelm Herschel bei dem Versuch entdeckt, die Temperatur der verschiedenen Farben des Sonnenlichtes zu messen (nicht Isaac Newton, der stellte fest dass die bunten Farben des eigentlich weißen Lichtes nicht durch das Prisma erschaffen werden, wie von Vorläufern behauptet, sondern durch die Auffächerung bereits im weißen Licht enthalten war). Er ließ dazu Sonnenlicht durch ein Prisma fallen und platzierte ein Thermometer in den einzelnen Farbbereichen. Er bemerkte, dass jenseits des roten Endes des sichtbaren Spektrums das Thermometer die höchste Temperatur anzeigte. Aus dem beobachteten Temperaturanstieg schloss er, dass sich das Sonnenspektrum jenseits des Roten fortsetzt.

Die Entdeckung der UV-Strahlung folgte aus den ersten Experimenten mit der Schwärzung von Silbersalzen im Sonnenlicht. Im Jahr 1801 machte der deutsche Physiker Johann Wilhelm Ritter die Beobachtung, dass Strahlen gerade jenseits des violetten Endes im sichtbaren Spektrum im Schwärzen von Silberchloridpapier sehr effektiv waren. Er nannte die Strahlen zunächst "de-oxidierende Strahlen", um ihre chemische Wirkungskraft zu betonen und sie von den infraroten "Wärmestrahlen" am anderen Ende des Spektrums zu unterscheiden. Bis ins 19. Jahrhundert wurde UV als "chemische Strahlung" bezeichnet.
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Re: Evolution oder Schöpfung

Beitragvon almafan » Di 5. Jun 2018, 16:43

Grundlagen: Wie geht Wissenschaft? - Teil 1: Was ist eine Theorie?

Über das fehlerhafte Verständnis, was eine umgangssprachliche Theorie und eine wissenschaftliche Theorie unterscheidet, schrieb ich ja bereits mehrmals. Um den Prozess der Wissenschaft in dieser neuen Artikelserie zu beschreiben, will ich dennoch einen dieser Beiträge darauf verwenden, zu erläutern, was eine wissenschaftliche Theorie überhaupt ist und warum sie in der Wissenschaft die bestmögliche Art eines Arbeitswerkzeuges darstellt.
Das, was allgemein als Stand der Wissenschaft oder wissenschaftlicher Fakt bezeichnet wird, sind alles wissenschaftliche Theorien. Unsere Computer, unsere Autos, unsere Antibiotika, das alles beruht auf wissenschaftlichen Theorien.
Folgende Dinge müssen für eine naturwissenschaftliche Theorie erfüllt sein:
  1. Logik: Jedes Naturgesetz und jede wissenschaftliche Theorie startet als Idee. In der Sprache der Wissenschaft bezeichnet man das als Hypothese. Und die muss zuallerst mal logisch sein. Daher ist die Mathematik die Sprache der Naturwissenschaft. Auch deswegen, weil man zwar mit der Mathematik auch lügen kann, aber dass ziemlich schnell auffliegt. 2+2 ergibt nun mal 4 - völlig unabhängig davon, wie die persönliche Meinung aussieht. Eine logische und mathematische Beschreibung unterscheidet eine wissenschaftliche Idee von irgendeinem Wust im Netz.
  2. Nachprüfbarkeit: Eine Hypothese wird nur dann zum Naturgesetz oder Teil einer wissenschaftlichen Theorie, wenn sie sich überprüfen lässt. Dass heißt, es muss sich immer eine Kette von Ereignissen finden lassen, die durch diese Hypothese beschrieben werden kann (experimentelle Bestätigung). Gleichzeitig darf es keine Ereignisse geben, welche dieser These widersprechen (experimenteller Gegenbeweis oder Falsifizierbarkeit). Es muss immer irgendwo ein Vergleich zwischen mathematischer Beschreibung und der Realität stattfinden, so wie sie sich uns darstellt. Geht dieser Vergleich schief oder ist er selbst indirekt und in ferner Zukunft nicht möglich, wird die Hypothese als unwissenschaftlich aussortiert.
  3. Konsistenz: Die Naturgesetze und Theorien dürfen sich nicht widersprechen. Wenn sie das tun, dann ist das ein Anzeichen dafür, dass irgendetwas in den Beschreibungen nicht ganz richtig ist. Denn Naturgesetze sind keine unabhängig voneinander existierenden Gebilde, sondern hängen miteinander zusammen und/oder bauen aufeinander auf. Wenn an einem Gesetz, was geändert werden muss, hat das immer Folgen für eine ganze Reihe von anderen Gesetzen. Streng genommen ist es eigentlich eine Folge des ersten Punktes. Denn logische Aussagen sind widerspruchsfrei.
Besonders wichtig dabei: Es gibt in der Wissenschaft niemals den alle Zweifel ausräumenden allgemeingültigen Beweis. Die Wissenschaft wird daher niemals behaupten können: Die Welt ist halt so. Wissenschaftler wissen, dass ihre Beschreibungen allenfalls gute Näherungen der Realität sind und dass es immer etwas geben wird, das wir nicht wissen. Das mag unbefriedigend erscheinen, verhindert aber, dass Wissenschaft in Dogmatismus erstarrt und sich Neuerungen gegenüber verschließt.
Gleichzeitig sind Wissenschaftler auch Pragmatiker. Dass heißt, sie erkennen zwar an, dass ihre Theorien und Gesetze die Wirklichkeit nicht bis ins letzte Detail widergeben können, dass sie "nur" Annäherungen an die Wirklichkeit sind und dass Irrtümer vorkommen können. Aber solange es funktioniert, haben sie kein Problem damit, die bestehenden Theorien ausgiebig und höchst erfolgreich in der Praxis zu verwenden (zum Beispiel in Form von Glühbirnen, Fernsehern, Kraftwerken, Teflonpfannen etc.), bis die nächste Verbesserung daherkommt. Es gibt sie natürlich auch, die Wissenschaftler, die wilde Spekulationen ausrufen und zu Dogmatismus tendieren. Aber es sind als auch nur Menschen.

Der Weg zur neuen Theorie funktioniert in zwei Richtungen:
  1. Induktiv (Erst Experiment, dann Naturgesetz): Ein Apfel fällt zu Boden, wenn ich ihn loslasse. Wie kann ich das mathematisch und im Einklang mit anderen Naturgesetzen beschreiben? Gilt das Gesetz auch für Birnen und Holzkugeln? Das Newtonsche Gravitationsgesetz erklärte nicht nur den freien Fall eines Apfels, sondern auch die Keplerschen Gesetze, welche die Bewegung der Planeten beschreibt.
  2. Deduktiv (Erst Naturgesetz logisch entwickeln, dann mit Experiment überprüfen): Aristoteles behauptete, dass schwere Gegenstände schneller fallen müssten als leichte. Galileo Galilei hat durch scharfes Nachdenken nachgewiesen, dass das nicht sein kann. Stattdessen müssen alle Körper gleich schnell fallen, was er auch experimentell überprüfte.


Youtube-Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=KDp1tiUsZw8 (englisch)
Ebenfalls Youtube: Analyzing the Apollo 15 Feather and Hammer Drop - A Basic, Introductory Free-Fall Problem: https://www.youtube.com/watch?v=Gucr_OfzQ6M (englich)


Was ist ein Naturgesetz und was eine wissenschaftliche Theorie?

Ein Naturgesetz beschreibt mathematisch einen ganz bestimmten Vorgang in der Natur, ohne aber eine Erklärung zu liefern, warum die Vorgänge jetzt so ablaufen.
Eine Theorie dagegen ist die Gesamtheit von Naturgesetzen, die sich gegenseitig bedingen, aufeinander aufbauen und erklären und auf möglichst wenigen Grundannahmen beruhen. Ziel ist es, ein möglichst genaues und vollständiges Abbild der Realität zu liefern. Sie wird ständig überprüft, angepasst und erweitert.
Im Umgangssprachlichen kann eine Theorie jede wilde Spekulation sein. In der Wissenschaft dagegen fasst eine Theorie die Gesamtheit unseres aus scharfem Nachdenken und Experimenten gewonnen Wissens zusammen und stellt die derzeit beste Annäherung an die "Realität" dar. Sie kann durch Experimente immer nur bestätigt werden und niemals endgültig bewiesen.
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Re: Evolution oder Schöpfung

Beitragvon almafan » Mo 11. Jun 2018, 21:36

Grundlagen: Wie geht Wissenschaft? - Teil 2: Die "Seele" der Wissenschaft - Grenzgebiete

Ist es wirklich Wissenschaft, wenn man sich mit Multiversen beschäftigt? Da geht es ja - zumindest in der üblichen Definition - um andere Universen. Universen, die nicht das unsrige sind. Diese fremden Universen sind oft nicht nur praktisch für uns nicht zugängig, sondern meist auch prinzipiell. Wenn man nun so ein Multiversum postuliert, das für uns genauso gut nicht existieren könnte, weil es unseren Kosmos auf keinen Fall beeinflussen kann, stellt sich die Frage, ob es überhaupt zu irgendetwas taugt. Ist das noch Wissenschaft?

Newtons Gravitationsgesetze beschäftigten sich mit Bewegungsregeln von Planeten, Monden und dem berühmten Apfel. Alles Dinge die wir sehen und leicht verstehen können.
Maxwells Elektrodynamik sprach von Magnetfeldern, von elektrischen Feldern, also Dinge, die wir so nicht direkt beobachten können.

Die moderne Physik geht noch weiter:
Was man sich unter einer "Wahrscheinlichkeitswelle" in der Quantenmechanik genau vorstellen soll und ob sie tatsächlich real ist, weiß keiner. Aber die Quantenmechanik funktioniert und keine Theorie macht besser bestätigte Vorhersagen als sie.
Jeder von uns kann spüren wie die Gravitation auf ihn wirkt, aber die gekrümmte Raumzeit die diese Wirkung verursacht, spüren wir nicht. Trotzdem gehen wir davon aus, das es sie gibt. Einsteins allgemeine Relativitätstheorie, die die Existenz der gekrümmten Raumzeit postuliert, macht so viele andere, korrekte Vorhersagen, die alle auf der gekrümmten Raumzeit basieren, dass wir ihre Realität akzeptieren, auch wenn sie für uns nicht wahrnehmbar ist.

Der Erfolg einer Theorie rechtfertigt die zugrunde liegende Architektur, auch wenn sie der direkten Beobachtung unzugänglich ist. Schwarze Löcher sind reale Objekte in unserem Kosmos, das haben unzählige Beobachtungen gezeigt. Und wir gehen auch davon aus, dass das was hinter ihrem Ereignishorizont liegt, real ist, selbst wenn dieser Bereich nicht zugänglich ist.
Unzugängliche Elemente sind heute schon Bestandteil vieler wissenschaftlicher Theorien. Und wir können diese Elemente nicht einfach ignorieren, besonders dann nicht, wenn die Theorie bereits mehrere präzise Vorhersagen getroffen hat. Könnte man irgendwann in der Zukunft einwandfrei die Existenz der Strings nachweisen und würde man bis dahin wissen, das die Stringtheorie auf jeden Fall die Existenz der Landschafts-Multiversums beinhaltet, dann wäre es unwissenschaftlich, das einfach zu ignorieren.


Multiversen sind also nicht per se unwissenschaftlich. Doch obwohl die bisher vorgestellten Theorien schön in bestehende Theorien wie die allgemeine Relativitätstheorie oder die inflationäre Kosmologie ein, werden aber nicht unbedingt benötigt. Und bei den Multiversen, die auf der Stringtheorie basieren ist es auch nicht besser: keiner weiß bis jetzt, ob die Stringtheorie richtig ist oder nicht. Am besten wäre es also, wenn die Multiversentheorien konkrete, überprüfbare Vorhersagen machen würde. Tun sie das?
Multiversen sagen gar nichts vorher, weil sie ALLES vorhersagen, meinen manche Kritiker. Wenn Parameter, wie die kosmologische Konstante in quasi unendlich vielen Universen unendlich viele verschiedene Werte haben kann, dann brauchen wir uns nicht wundern, das sie bei uns gerade den Wert hat, den sie hat. Der Versuch diesen Wert zu erklären, muss zwangsläufig scheitern, weil es keine Erklärung gibt. Vorhersagen sind hier nicht brauchbar.

Aber bedienen wir uns wieder eines Vergleichs:
Wie schwer ist der nächste Hund, der mir auf der Straße begegnet? Keine Ahnung, kommt auf den Hund an. Vom Handtaschen-Chihuahua bis zur Riesendogge kann alles dabei sein. Und das potentielle Gewicht kann alle für Hunde möglichen Werte haben. Aber was, wenn ich weiß, dass in der Gegend um die es geht 90% der Menschen 60 kg schwere Schäferhunde haben?
Genauso wäre es möglich, das uns die Theorie der Multiversen eine klare Gesetzmäßigkeit liefert, die zeigt wie ein bestimmter Parameter über alle Universen variiert und die zeigt, dass es eben keine gleichförmige Verteilung ist. Vielleicht postuliert die Theorie, das Paramter x in allen Universen identisch sein muss. Eine Messung bei uns könnte die Theorie dann widerlegen. Oder aber sie macht Vorhersagen der Art: In allen Universen wo Parameter x den Wert Y hat, muss Teilchen Z existieren. Auch das wäre überprüfbar.
Prinzipiell sind überprüfbare Vorhersagen also gegeben. Wie steht's mit der Praxis? Die Stringtheorie müsste besser verstanden werden, um aus ihr Gesetzmäßigkeiten über die Verteilung von Parametern in den einzelnen Universen abzuleiten.
Vielleicht hilft uns das [url=Textdatei 1: Grundlagen: Was ist das anthropische Prinzip?]Anthropische Prinzip[/url]. Wir leben in einem Universum das offensichtlich fähig ist, Leben hervorzubringen. In denn meisten anderen Fällen wird das aber nicht der Fall sein. Um eine Multiversentheorie zu überprüfen reicht es also herauszufinden, wie die Parameter beschaffen sein müssen, um Leben im Universum zu ermöglichen (als Galaxien, Sterne und Planeten) und hier nach überprüfbaren Gesetzmäßigkeiten zu suchen (#1).

Man wird herausfinden müssen, ob wir typisch sind oder nicht. Das anthropische Prinzip beruht darauf, das wir Menschen nichts besonders sind. Aber vielleicht IST unser Universum eine Ausnahme. Wenn wir einen Wert für einen kosmologischen Parameter vorhersagen, und die Vorhersage scheitert, dann kann das daran liegen, das die Multiversumstheorie falsch ist. Oder aber unser Universum ist nicht typisch. Auch in einer Gegend mit 90% Schäferhundehaltern kann ein Halter mit einem Chihuahua wohnen (#2).

Das hört sich jetzt alles schwammig an und solange die Stringtheorie oder andere Ansätze keine neuen Erkenntnisse ermöglichen wird wohl erstmal alles Spekulation bleiben, aber man darf nun nicht in die Beliebigkeit verfallen: "Wir leben im Multiversum, da ist alles möglich und bei uns ist es halt gerade so!"
Vielleicht aber arbeiten zukünftige Wissenschaften mit der Multiversumtheorie so, wie heutige Wissenschaften mit dem Elektromagnetismus.

Lesenswerter Artikel: Der kalte Fleck im Kosmos und der "Beweis" für die Existenz des Multiversums
http://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2017/05/22/der-kalte-fleck-und-der-beweis-fuer-die-existenz-des-multiversums/

#1 - Martel, Shapiro, Weinberg (1998): "Likely Values of the Cosmological Constant"

#2 - In einer Nachbarschaft mit unendlich vielen Häusern leben grundsätzlich unendlich viele Schäferhund- und Chihuahuahalter, auch wenn 90% der unendlich vielen Hundehalter Schäferhunde haben, sind auch unendlich viele Chihuahuas anzutreffen. Das ist das kurios-normale an den Unendlichkeiten. Wie wägt man diese ab? Denn auch bei den meisten Mulitversentheorien spricht nichts dagegen, dass es eine infinite Zahl an Universen gibt. Wenn aber nur 1% dieser unendlichen Universen "lebensfähig" sind, so sind dies ebenso unendliche viele "lebensfähige" Universen. Solange man also keine sinnvollen Vergleiche von Unendlichkeiten anstellen kann, werden sich Multiversumstheorien nicht überprüfen lassen.
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Re: Evolution oder Schöpfung

Beitragvon almafan » Mi 13. Jun 2018, 10:04

Wie geht Wissenschaft? - Teil 3: Der mühsame Weg zur Publikation (Link)

Die Überschrift besagt es bereits: Der Weg zur eigenen Publikationsliste ist offenbar ein schwieriger.
Da ich selbst nie publiziert habe, möchte ich euch heute lediglich den Link zu einem interessant verfassten Text mitgeben.

Scienceblogs - Evolvismus: Der Weg zur wissenschaftlichen Publikation
http://scienceblogs.de/evolvimus/2011/09/04/der-weg-zur-wissenschaftlichen-publikation/

Es ist lehrreich zu erfahren, dass Promovieren eben nicht so nebenher gemacht wird, aber dennoch dem wirtschaftlich nicht freigestellten Studenten nicht viel Zeit gelassen wird, sich um die ihm wichtigste Sache zu kümmern.
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Re: Evolution oder Schöpfung

Beitragvon almafan » So 17. Jun 2018, 12:28

Wie geht Wissenschaft? - Teil 4: Offenheit, der Triumph der Wissenschaft

Das OPERA-Experiment im September 2011 hat wohl keine überlichtschnellen Neutrinos produziert, aber ein wunderbares Argument gegen jene geliefert, die der Wissenschaft Dogmatismus und Geheimniskrämerei vorwerfen.

Die Presse und die Foren waren bereits in Umsturzstimmung, obgleich kein ernstzunehmender Physiker der Ansicht war, dass das Experiment die Einstein'sche Relativitätstheorie entwerten könnte. Das Experiment war äußerst kompliziert, der Effekt war winzig klein. Dass es da irgendwo einen Fehler gegeben haben könnte, war schon damals eine viel naheliegendere Annahme als die Vermutung dass Neutrinos im Gegensatz zu unserem derzeitigen physikalischen Weltbild wirklich schneller als Licht reisen können. Dass ein Fehler sich eingeschlichen hat, macht aber nichts. Aus Fehlern lässt sich oft tolle neue Physik lernen. Für die beteiligten und nicht beteiligten Wissenschaftler weltweit stellte sich also jene Frage: "Wo ist der Fehler?"

Nun scheint aber etwas so Profanes wie ein defektes Kabel Schuld an dem so erstaunlich wirkenden Messergebnis zu sein. Ein bisschen schade.
Dennoch lässt sich nicht behaupten, die Betreiber am CERN hätten sich blamiert. Im Gegenteil: Eigentlich haben sich alle Beteiligten sehr vorbildlich verhalten. Fehler machen gehört zur Wissenschaft. Fehler machen ist keine Schande. Eine Schande ist es nur, widerlegt zu werden, und dann noch immer an seine Behauptungen zu glauben.

Man ging mit aller gebotenen Vorsicht an die Deutung der Daten. Niemand am CERN oder in Gran Sasso verkaufte das Ergebnis als Widerlegung der Relativitätstheorie und niemand erklärte die moderne Physik als hinweggefegt. Die Verantwortlichen hatten den Anstand, extrem vorsichtig zu formulieren. Man beschränkte sich darauf, die Daten und Messmethoden genau zu erklären und wies deutlich darauf hin, dass man nach systematischen Fehlern suchen muss und dass man keine theoretische Erklärung der Anomalie wagen möchte. So gehört sich das auch: In der Wissenschaft muss man seine eigenen Ergebnisse immer hinterfragen und zugeben, wenn einiges noch ein bisschen wackelt.

Am schönsten ist aber, dass die Geschichte von den überlichtschnellen Neutrinos ein ausgezeichnetes Lehrbeispiel dafür abgibt, wie offen und progressiv die Wissenschaft ist. Entgegen der Behauptung, Wissenschaftler hingen an ihren antiquierten Theorien, seien stur und festgefahren und würden die Augen vor Quanten-Schwingungsheilung, Wasseradern und dem Schöpfer von Allem verschließen. Nichts daran ist wahr! Die Wissenschaft ist jederzeit bereit, selbst ihre solidesten Fundamente anzukratzen.
Einsteins Grundsatz, dass massive Objekte nie schneller sein können als die Lichtgeschwindigkeit, ist ein wesentlicher Teil der Relativitätstheorie und die Relativitätstheorie ist ein wesentlicher Teil der modernen Physik. Eine Erschütterung dieses Grundsatzes hätte also einige Umwälzungen hervorgerufen. Trotzdem wurden die Messergebnisse des OPERA-Experiments ernst genommen, ordentlich untersucht und geprüft. Und genau das ist der richtige Zugang. Selbst eine Beobachtung, die so stark im Widerspruch zur etablierten Physik stand, dass im Grunde kaum jemand an sie glaubte, bekam ihre Chance.

Wunderheiler, Telepathen, Wünschelrutengänger und Kreationisten werden zwar auch weiterhin erklären, dass die Wissenschaft Themen ignoriert, die ihr nicht in den Kram passen und durch die hektische Medienlandschaft wird die Offenheit dieses speziellen Falles schnell vergessen werden, aber im Grunde ist es klar widerlegt worden.
Das Beispiel des OPERA-Experimentes zeigt, was man tun muss, um auch mit haarsträubend abenteuerlichen Behauptungen ernst genommen zu werden: Man muss klare Daten erheben und sie sauber auf den Tisch legen. Vage, mystische und schwammige Aussagen bringen nichts. Auch hilft es nicht gleich loszupoltern und den Umsturz der "Schulweisheit" zu verkünden. Vornehme Bescheidenheit und noble Zurückhaltung helfen sicher, den eigenen Standpunkt als sachlich darzustellen. Besonders, wenn sich am Ende herausstellt, dass man doch nicht so ganz recht hatte.

Die Wissenschaft verändert sich ständig. Aber selbst wenn eine wissenschaftliche Theorie durch eine bessere ersetzt wird, landet die alte nicht auf dem Müllplatz.

Wissenschaft kann auf unterschiedliche Arten wachsen. Manchmal blühen durch neue Entdeckungen ganz neue Forschungszweige auf, die es vorher noch gar nicht gab. So wurde etwa durch die Entwicklung des Computers die Informatik geboren, die Mikrobiologie hat völlig neue Sprösslinge in der medizinischen Forschung hervorgebracht, und die Quantenphysik hat der Chemie Flügel wachsen lassen. Wenn so etwas geschieht, wirft das neue Forschungsgebiet Fragen auf, die noch nie gestellt wurden. Die Antworten können daher kaum in Widerspruch mit der bisherigen Wissenschaft geraten. Manchmal aber wird durch neue Entdeckungen und Erkenntnisse auch ein bestehendes Wissenschaftsgebiet umgebaut, auf alte Fragen müssen neue Antworten gefunden werden, die Dominanz einer alten Theorie wird von der Überzeugungskraft einer neuen, mächtigeren gebrochen. Dieser Vorgang ist ein ganz normaler Teil des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns.

Dennoch ist Wissenschaft verlässlich, zugleich aber wandelbar. Das scheint paradox, doch man muss sich von der Ansicht verabschieden, dass neue Theorien alte entsorgen oder widerlegen. Ein Akkuschrauber "widerlegt" meinen Schraubendreher nicht, er ist komplizierter und vielseitiger und kann helfen, wo der Schraubendreher nicht mehr hilft. Doch alles, was ich früher mit dem Schraubendreher machen konnte, geht heute auch noch.
Ebenso sind wissenschaftliche Theorien wie diese Werkzeuge, die einen pragmatischen Zweck erfüllen. Sie erfüllen diesen Zweck auch in Zukunft, für immer, auch wenn eine neue Theorie mehr vermag.
Manche Theorien funktionieren zwar hervorragend, gelten aber nur für einen bestimmten Bereich der Wirklichkeit. Newtons klassische Mechanik, die Theorie der Kräfte und Beschleunigungen, die in unseren Alltag so erfolgreich ist und die Bahnen von Himmelskörpern, Raketen oder Billardkugeln präzise beschreibt, ist ein Beispiel für ein höchst wertvolles Forschungswerkzeug. Im Bereich winzig kleiner Distanzen reicht sie aber nicht aus. Um Atome und Moleküle zu beschreiben, braucht man die Quantenphysik. Im Bereich riesengroßer Geschwindigkeiten reicht sie auch nicht aus. Um Objekte zu beschreiben, die sich der Lichtgeschwindigkeit nähern, braucht man die Relativitätstheorie. Durch diese Erkenntnisse wurde die klassische Mechanik aber nicht widerlegt. Die Welt hat sich deshalb nicht geändert und die Wirkweise der "alten" Theorie auch nicht. Deshalb werden Newtons Formeln heute auch für eine unüberblickbare Fülle von technischen Problemstellungen verwendet. Wissenschaftler betreiben großen Aufwand, um im Labor Extremsituationen herzustellen, in denen die Unterschiede zwischen den alten und den neuen Ideen groß genug werden um sie messen zu können. Wer die Fahrzeit eines Zuges berechnet wird aber sicher auf Newtons alte Formeln zurückgreifen. Die neueren Formeln, die Einstein aufgestellt hat, wären zwar theoretisch exakter, doch niemand könnte den winzigen Unterschied zwischen den beiden Modellen jemals feststellen und die Rechnung würde dadurch unnötigerweise um ein Vielfaches komplizierter. Die gute alte klassische Mechanik erweist sich also immer noch als nützlich und auch in Jahrhunderten werden ihre Formeln die Verkehrsprobleme noch richtig lösen, selbst wenn unsere Nachfahren dann mit völlig andersartigen Verkehrsmitteln unterwegs sein sollten.


Was heute stimmt, ist auch morgen wahr. Ein Modell ist gut, wenn es viele Phänomene gut beschreibt. Die Frage, ob künftige Theorien diese Phänomene vielleicht in der neunten Nachkommastelle noch ein wenig besser beschreiben könnten, ist normalerweise ziemlich irrelevant. Vielleicht gibt es in hundert Jahren eine völlig andersartige Theorie der Gravitation. Trotzdem werden Kugeln, die man in hohem Bogen fortschleudert, sich auch dann noch in sauberen Parabelkurven bewegen. Vielleicht wird sich in hundert Jahren unsere Vorstellungen von Quantensystemen drastisch geändert haben. Trotzdem wird ein Wassermolekül dann noch immer aus einem Sauerstoffatom und zwei Wasserstoffatom bestehen. Vielleicht sprechen Wissenschaftler dann in ganz anderen Begriffen und Gedankenbildern von diesen Dingen, doch Experimente, die mit unseren heutigen Formeln gut beschrieben werden, wird man auch dann noch mit denselben Formeln gut beschreiben können.
Immerhin gilt vieles von dem, was Wissenschaftler Jahrhunderte oder Jahrtausende vor uns erdachten, noch heute genauso. Denken wir nur an die Erkenntnisse antiker Mathematiker, wie Thales oder Archimedis.
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Re: Evolution oder Schöpfung

Beitragvon almafan » Do 21. Jun 2018, 08:59

Wie geht Wissenschaft? - Teil 5: Erngard - Können esoterisch-übernatürliche Phänomene wissenschaftlich geprüft werden? (Link)

Florian Aigner, Quantentheoretiker und Wissenschaftskommunikator, erklärt anhand des fiktiven Erngard, wie esoterisch-übernatürliche Phänomene in die Wissenschaft Einzug halten könnten. Rein hypothetisch, denn einen solchen Fall gab es seit Erfindung der systematischen Wissenschaft nicht.

http://www.naklar.at/content/features/erngard/

Die Grundaussage des verlinkten Textes ist simpel: Würde man einen unerklärlich und übernatürlich erscheinenden Effekt nachweisen, könnte man ihn auch untersuchen. Man würde vielleicht zunächst seine Ursache nicht herausfinden, aber man könnte testen, wie statistisch zuverlässig er ist, unter welchen Umständen er auftritt, wodurch er sich verstärken und abschwächen lässt. Mein hypothetischer Herr Erngard besitzt einen Zauberkristall, mit dem er auf mysteriöse Weise Metall aufspüren kann. Angenommen er hat recht: Auch wenn wir keine Ahnung haben, wie dieser Effekt zustande kommt öffnen sich sofort unzählige Forschungsmöglichkeiten, mit denen man den Effekt untersuchen könnte. Was ist es für ein Kristall? Funktioniert es auch mit anderen Kristallen, mit anderen Metallen, mit anderen Personen? Wenn man eine größere Zahl solcher Fragen beantwortet, hat man bereits ein neues Wissenschaftsgebiet eröffnet – und schon ist der Zauberkristall Teil der akzeptierten Wissenschaft. Eines Tages wird dann vielleicht auch der physikalische Grund für seine Wirkungsweise gefunden, und die Zauberkristall-Wissenschaft wird damit Teil der „gewöhnlichen” Physik. Aber das ist gar nicht so wichtig: Einer Beobachtung aus der Biologie, die man (vorerst noch) nicht auf Chemie oder Physik zurückführen kann, wird man die wissenschaftliche Bedeutung auch nicht absprechen, wenn sie sauber beobachtet und dokumentiert wurde.

In diesem Sinne zitiere ich auch noch mal eine "Autorität":
Wenn ich nur behaupte: 'Im Kühlschrank ist Bier!' bin ich Theologe. Wenn ich nachgucke, bin ich Wissenschaftler. Wenn ich nachgucke, nichts finde, und trotzdem behaupte: 'Es ist Bier drin!' - dann bin ich Esoteriker.
- Vince Ebert, Wissenschaftskabarettist
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Re: Nachdenkzeilen

Beitragvon almafan » Di 19. Mär 2019, 21:06

Da, ein unmoralischer Heide, opfern wir ihn unserem Gott!

https://graslutscher.de/da-ein-unmoralischer-heide-opfern-wir-ihn-unserem-gott

Ein kleiner Auszug:
Wie soll aus dem Jungen denn was werden, wenn er nicht an Gott glaubt? In dieser Frage schwingt oft der Irrglaube mit, Atheisten könnten eher auf die schiefe Bahn geraten, weil sie ja keine Bestrafung durch den Schöpfer des Universums befürchten müssen. Generell ist das ein seltsames Konzept von Moral, in dem ich mich nur deswegen moralisch verhalte, weil ich sonst bestraft werde. Nach der Logik ist der Klassenschläger, der auf dem Schulhof nur deshalb keinen verkloppt, weil die Pausenaufsicht ihn auf dem Kieker hat, ein Vorbild an Anstand und Moral.
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Re: Nachdenkzeilen

Beitragvon almafan » Sa 7. Sep 2019, 20:52

Nicht nur nicht richtig, sondern nicht einmal falsch

https://futurezone.at/amp/meinung/nicht-nur-nicht-richtig-sondern-nicht-einmal-falsch/400590275

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.
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Re: Nachdenkzeilen

Beitragvon almafan » Do 26. Sep 2019, 21:53

Macht dumme Menschen nicht berühmt!

https://futurezone.at/meinung/macht-dumme-menschen-nicht-beruehmt/400014535

Hier ein Auszug aus dem Text:
Wir müssen damit aufhören, dumme Menschen berühmt zu machen. Wer im Rampenlicht der Öffentlichkeit steht, wird als Vorbild wahrgenommen. Die Menschen auf den Titelseiten, auf Fernsehbildschirmen oder in viralen Internetvideos legen fest, in welche Richtung sich die Gesellschaft bewegt, ob wir wollen oder nicht. Wir sollten daher darüber nachdenken, wer es tatsächlich verdient hat, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen.
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