Kritisches Denken




Religion, Esoterik, Verschörungstheorien und andere Dinge.

Re: Evolution oder Schöpfung

Beitragvon almafan » Di 21. Nov 2017, 08:09

Grundsatzartikel: Was ist Wahrheit? - Teil 4: Ein fiktiver Einstein über Glauben - Über die Nachweisbarkeit von Behauptungen

Ich habe auf FaceBook folgende Geschichte gefunden, die so oder so ähnlich aber auch an anderen Stellen im Internet kursiert.
Professor: "Du bist ein Christ, nicht wahr Junge?" - Student: "Ja, Sir."
Professor: "Also glaubst du an Gott?" - Student: "Absolut, Sir."
Professor: "Ist Gott gut?" - Student: "Sicher."
Professor: "Ist Gott allmächtig?" - Student: "Ja."
Professor: "Mein Bruder starb an Krebs, obwohl er zu Gott gebetet hat ihn zu heilen. Die meisten von uns würden versuchen anderen die krank sind zu helfen. Aber Gott tat es nicht. Wieso ist dieser Gott dann gut? hmm?" - (Student war still.)
Professor: "Du kannst das nicht beantworten, nicht wahr? Lass uns erneut beginnen junger Freund. Ist Gott gut?" - Student: "Ja."
Professor: "Ist Satan gut?" - Student: "Nein."
Professor: "Woher kommt Satan her?" - Student: "Von… Gott …"
Professor: "Das ist richtig. Sag mir, Junge, gibt es in dieser Welt das Böse?" - Student: "Ja."
Professor: "Wer hat das Böse erschaffen?" - (Student antwortete nicht.)
Professor: "Gibt es Krankheit? Unmoral? Hass? Hässlichkeit? All diese schrecklichen Dinge existieren in der Welt, nicht wahr?" - Student: "Ja, Sir."
Professor: "So, wer hat sie erschaffen?" - (Student hatte keine Antwort.)
Professor: "Die Wissenschaft sagt, das du 5 Sinne hast um die Welt und alles herum zu identifizieren und zu beobachten. Sag mir, Junge, hast du jemals Gott gesehen?" - Student: "Nein, Sir."
Professor: "Hast du jemals Gott gefühlt, Gott gekostet, Gott gerochen? Hattest jemals eine Sinneswahrnehmung was Gott betrifft?" - Student: "Nein, Sir. Ich fürchte ich habe nicht."
Professor: "Aber du glaubst immer noch an ihn?" - Student: "Ja."
Professor: "Laut empirischen, prüfbaren, nachweisbaren Protokollen sagt die Wissenschaft das Gott nicht existiert. Was sagst du dazu Junge?" - Student: "Nichts. Ich habe nur meinen Glauben."
Professor: "Ja, der Glaube. Das Problem das die Wissenschaft hat."

Student: "Professor, gibt es so etwas wie Wärme?" - Professor: "Ja."
Student: "Und gibt es so etwas wie Kälte?" - Professor: "Ja."
Student: "Nein, Sir. gibt es nicht." - (Im Hörsaal war auf einmal sehr ruhig)
Student: "Sir, Es gibt mehrere Arten von Wärme, mehr Wärme, Überhitzung, mega Hitze, weiße Hitze, ein wenig Hitze oder gar keine Wärme. Wir können 458 Grad unter Null haben, was gar keine Wärme wäre. Aber danach gibt es nichts mehr. Es gibt keine Kälte. Kalt ist nur ein Wort das wir verwenden um die Abwesenheit der Wärme zu beschreiben. Wir können Kälte nicht messen. Wärme ist Energie. Kälte ist nicht das Gegenteil von Wärme, Sir, lediglich die Abwesenheit." - (Im Hörsaal war es still, man hätte einen Stift fallen hören können.)
Student: "Was ist mit der Dunkelheit, Herr Professor? Gibt es so etwas wie eine Finsternis?" - Professor: "Ja. Was ist die Nacht, ist das keine Finsternis?"
Student: "Sie irren sich schon wieder, Sir. Die Dunkelheit ist die Abwesenheit von etwas. Sie können wenig Licht, normales Licht, helles Licht, Blinklicht haben. Wenn es aber gar kein Licht gibt, haben Sie nichts, dann ist es dunkel. Ist es nicht so? In Wirklichkeit gibt es keine Dunkelheit, sonst könnten sie die Dunkelheit dunkler machen, nicht wahr?" - Professor: "Also Gut, was willst du mir damit sagen junger Mann?"
Student: "Sir, was ich sagen möchte ist das Ihre philosophische Prämisse fehlerhaft ist." - Professor: "Fehlerhaft? Kannst du mir das erklären?"
Student: "Sir, Sie denken mit der Voraussetzung der Dualität. Sie argumentieren, es ist das Leben und dann ist der Tod, ein guter Gott und ein böser Gott. Sie sehen die Vorstellung von Gott als etwas endliches, etwas was wir messen können. Sir, die Wissenschaft kann einen Gedanken nicht erklären. Es nutzt Elektrizität und Magnetismus, wurde aber noch nie gesehen, geschweige denn verstanden. Um den Tod als das Gegenteil von Leben zu betrachten müsste man die Tatsache, dass der Tod nicht als materielle Sachen existieren kann, ignorieren. Der Tod ist nicht das Gegenteil vom Leben, nur die Abwesenheit davon. Nun sagen Sie mir, Professor, bringen Sie ihren Schülern bei dass sie von einem Affen abstammen?" - Professor: "Wenn du auf die natürliche Evolutionstheorie verweist, ja, natürlich tue ich."
Student: "Haben Sie schon einmal eine Evolution mit eigenen Augen beobachtet?" - (Der Professor schüttelte den Kopf mit einem Lächeln. Er begann zu erkennen wohin das führte.)
Student: "Da niemand jemals den Prozess der Evolution beachtet hat, kann niemand es beweisen das dieser Prozess ein laufendes Bestreben ist. Lehren Sie nicht Ihre Meinung, Sir? Sind Sie deswegen nicht ein Wissenschaftler, sondern ein Prediger?" - (Die Klasse war in Aufruhr.)
Student: "Gibt es jemanden in der Klasse der jemals Herrn Professors Gehirn gesehen hat?" - (Die Klasse brach in Gelächter aus.)
Student: "Gibt es hier jemanden, der schon einmal Herrn Professors Gehirn gehört hat, gefühlt hat, es berührt oder es gerochen hat? Niemand scheint das getan zu haben. Das bedeutet nach den gängigen Regeln der empirischen, stabilen, Nachweisbaren Protokollen sagt die Wissenschaft, das sie kein Gehirn haben, Sir. Bei allem Respekt Sir, wie können wir dann auf Ihre Vorträge vertrauen, Sir?" - (Der Raum war still. Der Professor starrte auf den Studenten, sein Gesichtsausdruck war unergründlich.)

Professor: "Ich denke, du musst daran Glauben, Junge." - Student: "Das ist es, Sir....Genau! Die Verbindung zwischen Mensch und GOTT ist der GLAUBE. Das ist alles, was Dinge lebendig und in Bewegung hält."

P.S.:
Ich glaube du hast das Gespräch genossen. Wenn ja, wirst du wahrscheinlich wollen das deine Freunde/Kollegen es auch tun. Nicht wahr?

Teile das für die Vertiefung ihres Wissens.... oder GLAUBEN.

In der ursprünglichen Variante wurde unter "P.S." angefügt, dass der Student Albert Einstein gewesen sei, obwohl er in der ersten Antwort sagte, dass er Christ sei, Einstein aber Jude war. Offenbar diente er lediglich als Autorität, um die Argumentation zu stützen, auf die man allein nicht vertraute.



Aber auch inhaltlich steht die Argumentation auf tönernen Füßen (wie passend, ein Gleichnis aus der Bibel (Daniel 2:31 - 35)):
Kälte ist tatsächlich keine physikalische Größe, sondern lediglich die Abwesenheit von Wärme (der Nullpunkt liegt übrigens bei - 273,15 °C, woran man ebenfalls erkennt, dass der Text aus dem englischen Raum stammt, wo man traditionell mit Fahrenheit misst). Aber Licht ist ebenfalls nur ein intersubjektiv empfundener minimaler Teil des elektromagnetischen Spektrums. Womit man, wie ja später gegenteilig argumentiert wird, Elektromagnetismus ja eben doch sehen kann.
Auch das Hirn des Professors kann als existent gelten, da er sonst keinerlei Reaktionen hervorrufen würde, da er einfach tot wäre. Aber auch sonst könnte man selbstverständlich nachweisen, das es da ist, wenn man Sprechen, Denken, Fühlen und andere Körperfunktionen nicht auf dieses münzen würde. Man könnte den Kopf aufschneiden, was bei vollen Auditorium etwas unappetitlich ist oder den Professor ins MRT schicken. Der Inhalt des Schädels ist also prinzipiell und objektiv nachweisbar, auch wenn man ihn aktuell nicht sieht.

Also sowohl der Vergleich mit physikalischen Größen, als auch der aktuellen "Unsichtbarkeit" von Behauptetem sind schnell als schwache Argumente zu verstehen.
Die Wahrnehmung von Temperaturen und Licht ist subjektiv. Wenn einer noch mit T-Shirt rumläuft, friert der andere schon. Was dem einen ausreicht, um sein Buch zu lesen, ist dem anderen zu dunkel. Wer von diesen Personen hat "mehr" recht? Was soll uns das über Gott sagen? Wer hat da die "richtige" Empfindung?
Auch sind Temperatur und Licht messbare Größen, was auf Gott nicht zutrifft. Oder aber wir bräuchten noch eine Messapparatur für diesen. Was im Grunde den Glauben unnütz und Gott ganz klein macht.

Die Evolutionstheorie darf bei solchen Geschichten nicht fehlen. Der Student schließt von der Verneinung des Professors auf die Frage, ob dieser denn schon jemals gesehen habe, darauf, dass sie niemand je gesehen hat. Und das ist falsch:

Einen Fall extrem rascher Evolution hat eine internationale Forschergruppe in der Südsee beobachtet. Der Männchen-Anteil in dortigen Schmetterlingspopulationen stieg von kaum 1 Prozent binnen einen Jahres auf knapp 39 Prozent. Wahrscheinliche Ursache ist das Auftauchen einer Genvariante, die die Falter gegen ein männermordendes Bakterium schützt.

Bild
Wieder häufiger zu sehen: ein männliches Exemplar von Hypolimnas bolina. Foto: Copyright Science

"Meines Wissens nach, ist dies die schnellste evolutionäre Veränderung, die jemals beobachtet worden ist", erklärt Sylvain Charlat vom University College London und von der University of California in Berkeley. "Diese Studie zeigt, dass die Evolution sehr rasch ablaufen kann, wenn eine Population einem sehr starken Selektionsdruck ausgesetzt ist, beispielsweise einem extrem verschobenen Geschlechterverhältnis."
Schon vor einigen Jahren hatten Charlat und seine Kollegen entdeckt, dass die Hypolimnos-Edelfalter auf einigen Inseln Samoas mit einem Untermieter der besonderen Art zu kämpfen haben. Das Bakterium Wolbachia wird allein über die Eizellen von der Mutter an den Nachwuchs weitergegeben. Daher kann es seine Überlebenschancen steigern, indem es männlichen Nachwuchs noch vor dem Schlüpfen tötet und so den Anteil der Weibchen in der Population erhöht.
Als Folge bestand die Population auf der Insel Savaii im Jahr 2005 zu über 99 Prozent aus Weibchen. Gut ein Jahr oder kaum zehn Generationen später, waren dagegen gut 39 Prozent der gesichteten Tiere männlich. Und während aus den Eigelegen im Jahr 2005 beinahe ausschließlich Weibchen geschlüpft waren, brachten die Tiere nun wieder reichlich männlichen Nachwuchs hervor. Zwar war das Bakterium unverändert bei allen Tieren nachweisbar. Offenbar hatten die Schmetterlinge jedoch gelernt, dessen Optimierungsstrategie zu unterlaufen.
Grund dürfte das Auftauchen einer Genvariante gewesen sein, die das Treiben des Bakteriums unterdrückt, schreiben die Forscher. Ob diese Suppressorvariante von einem eingewanderten Tier stammte oder auf eine lokale Mutation zurückging, ist noch unklar. In jedem Fall habe sie sich via natürlicher Selektion durchsetzen müssen. Das Suppressorgen ermöglicht es infizierten Weibchen, Männchen hervorzubringen, und diese paaren sich wiederum mit sehr, sehr vielen Weibchen. Daher tragen im Laufe der Generationen immer mehr Individuen das Suppressorgen (#1).

Auch der Fossilbericht zeugt von der Veränderlichkeit der Arten, ganz ohne selbst dabei gewesen zu sein.

Aber man will ja nicht unversöhnlich sein.
So weit es die Absicht der Geschichte ist, zu zeigen, dass die Naturwissenschaften aufgrund ihrer methodisch notwendigen Vorentscheidungen keine Aussagen über die Wirklichkeit Gottes treffen können, kann ich mich damit anfreunden.
Leider offeriert der Text diese Ansicht nicht und will aufzeigen, das auch Naturwissenschaftler nur glauben. Außerdem kommt der Prof. in der Geschichte zu schlecht weg. Diese Diskussion entbehrt einer fairen Darstellung, was nicht zuletzt dem Weltbild des Verfassers geschuldet ist.

#1 - Forschung: Sylvain Charlat, Emily A. Hornett und Gregory D.D. Hurst, Department of Biology, University College London und Gump South Pacific Research Station, University of California at Berkeley, Moorea, Französisch-Polynesien; und andere (Veröffentlichung Science, Vol. 317, 13. Juli 2007, p 214, DOI 10.1126/science.1143369)
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Re: Evolution oder Schöpfung

Beitragvon almafan » Mi 22. Nov 2017, 12:02

Grundsatzartikel: Was ist Wahrheit? - Teil 5: Wissenschaft, eine Glaubenssache?

Gulliver und die Briefmarken

Stellen wir uns vor, ein gegenwärtiger Gulliver wäre nicht auf einer Insel Liliput gelandet, wo nur Minimenschen leben, oder auf Brobdingnag, wo die Riesen sind, oder auf Laputa, der fliegenden Stadt, oder ... Stattdessen landet er auf einer fernen Insel, die von einer Gesellschaft von Briefmarkensammeln bewohnt wird. Und stellen wir uns weiter vor, Gulliver wäre kein Handels- und Forschungsreisender des 18., sondern des 20. oder 21. Jahrhunderts.
Diese Philatelisten (Briefmarkensammler) meinen, sie würden mit ihren Briefmarken getreulich das Wissen der Welt abbilden. Und tatsächlich finden sich auch Briefmarken, auf denen die Pyramiden in Ägypten abgebildet sind, wilde Tiere und Eskimos, Fernsehtürme und Fabriken, Niagarafall und das Matterhorn, Staatsmänner, Schriftsteller und Künstlerinnen. Und sogar das Atomium.
Das Briefmarkensammeln ist ganz einfach, man muss nur die Postsäcke durchsuchen und findet viele bunte Marken aus aller Welt und es macht Spaß und erfüllt die Sammler mit Stolz, sie in ein dickes Buch zu kleben. Streit gibt es nur manchmal bei der Frage, wer eine Marke als erster kleben darf und wie die Marken am besten geordnet werden sollten.

Nachdem sich Gulliver ein wenig eingelebt hat, in dieser idyllischen Gesellschaft und notfalls Sprache oder Sprechart erlernt hat, brennt es in ihm, seinen Gastgebern zu vermitteln, dass dieses und jenes Detail auf den Marken nicht wirklich korrekt ist und die Sache zumeist stark vereinfacht wiedergibt. Vor allem die Briefmarken aus England, seiner Heimat, wollen ihm nicht recht gefallen, da sie oft veraltet sind und den jetzigen Zustand des Landes nicht gut wiedergeben. Das London Eye fehlt, meist sind Kutschen und keine Autos zu sehen und so weiter. Auch, zum Beispiel, erklärt er, dass bei den Pyramiden kaum mehr Kamele, sondern eher Geländewagen zu sehen seien.
Er merkt allerdings, dass seine Gastgeber zunächst auf diese Erläuterungen nur zum Schein eingehen, ihr Interesse meist vorgaukeln. Manche fangen an miteinander zu tuscheln und Gulliver böse Blicke zu zuwerfen. Als er dennoch weiter erzählt, dass in seiner Heimat Nottinghamshire die Auffassung herrscht, dass Robin Hood wahrscheinlich eine Legende sei, kommt es zu einem tumultartigen Handgemenge, in dessen Folge Gulliver zu Boden geht und festgehalten wird. In einem darauf folgenden Gerichtsprozess spricht der Richter das Urteil, dass Gulliver die Autorität der Briefmarken in Frage gestellt hätte und den Grundsatz der werturteilsfreien Wiedergabe der Welt befleckt.


Ist man ein Ketzer, wenn die eigenen Ansichten, dem Bekannten widerspricht oder lediglich ein Wirrkopf?

Erste These: Wahrheit und Wissenschaft beruhen nicht auf Schriften, sondern auf Beobachtungen und Experimenten. Wahrheit ist objektiv wahrnehmbar. Wahrheit ist messbar.
Die Wirkung, die Gott auf uns hat, ist abhängig davon, ob wir an ihn glauben oder nicht. Und damit ist er schwächer mit uns verankert, als die Naturgesetze, die er geschaffen haben soll. Denn ob ein Schiff schwimmt oder ein Flugzeug fliegt, liegt nicht am Glauben des einzelnen. Sie würden es auch dann tun, wenn sie bis zum letzten Platz mit Physik-Zweiflern voll wären. Den physikalischen Gesetzen, wie Verdrängung, Luftströmung und Auftrieb ist es völlig schnuppe, was wir glauben. Auch das ist Wahrheit und der können wir einfach nicht widersprechen.

Todesstrahler und Karotten

In Großbritannien war man es gewohnt, dass Feinde nicht so schnell britischen Boden betreten. Eine starke Flotte schützte die Insel effektiv ... bis das Flugzeug erfunden wurde. In den 30ern wurde auch dem letzten klar, dass eine noch so gute Flotte gegen diese neue Technik nichts auszurichten vermag. "[t is well for the man in the street to realise that there is no power on Earth that can protect him from being bombed. The bomber will always get through." (dt.: "Es ist gut für den Mann auf der Straße, wenn er realisiert, dass keine Kraft auf Erden, ihn davor schützen kann, zerbommt zu werden. Die Bomber kommen immer durch."), sagte 1932 der Premierminister Stanley Baldwin. Tatsächlich wäre es zu aufwendig und zu teuer, jederzeit Abfangflugzeuge in der Luft zu haben.

Außerdem fürchtete man sich, dass Gerüchte um die Erforschung eines elektromagnetischen Todesstrahlers aus Nazi-Deutschland, der ganze Städte pulverisieren soll, wahr seien. Das mag heute befremdlich wirken, aber damals beflügelte die junge Technik um Radio, Fernsehen und andere elektromagnetische Strahlung die Fantasie. Nachvollziehbar, wenn man sich also Gedanken darüber macht, ob der Feind die neue Technik als Waffe einsetzen will.
Um den Nazis zuvor zu kommen, wollte man selbst einen Todesstrahler bauen. Das Luftfahrtministerium schrieb einen Preis von 1000 Pfund für die Entwicklung einer Strahlenwaffe aus, mit der sich ein Schaf aus einer Entfernung von 100 Yards (ca. 90 Meter) töten lässt. Dieser Preis wurde nie verliehen. Aber man wandte sich an den Physiker Robert Watson-Watt, der die Realisierbarkeit prüfen sollte. Sein Assistent Arnold Wilkins berechnete die Energie, die für die Tötung durch elektromagnetische Strahlung notwendig sei, und kam zum Ergebnis, dass die damalige Technik noch sehr lange nicht in der Lage wäre, solches zu leisten. Die Angst vor der Nazi-Waffe war also unbegründet.
Aber Wilkins und Watson-Watt waren der Meinung, dass sich mit der elektromagnetischen Strahlung vielleicht andere Projekte realisieren lassen. Wilkins erinnerte sich daran, wie Mitarbeiter der Post- und Telegrafenämter berichteten, dass es zu kurzen Störungen kam, wenn in der Nähe von Übertragungsmasten Flugzeuge vorbei flogen. Er kombinierte, dass man dies vielleicht nutzen könnte, um feindliche Bomber aus der Ferne zu erkennen. 1935 stellten die beiden dem Luftfahrtministerium ihr Projekt vor Das RADAR (RAdio Detection and Rangig) war geboren (das vorerst RDF (Radio Detection Finding) hieß). Damit konnte man feindliche Flugzeuge zwar nicht vom Himmel schießen, aber durch dessen Reflektion der Radiowellen herausfinden, wo welche sind.

Der Todesstrahler blieb also Science-Fiction, aber nebenher hat man eine Technologie erschlossen, die nicht nur in der militärischen und zivilen Luftfahrt, sondern auch in der Meteorologie, Astronomie und anderen Anwendungsgebieten erfolgreich verwendet wird.
Ganz nebenbei: Das Gerücht, das Karotten gut für die Augen wären, stammt aus dieser Zeit. Damit die Deutschen nicht zu schnell misstrauisch wurden, weil man ihre Flieger immer so früh entdeckte, wurde gezielt die Behauptung verbreitet, dass die britischen Piloten besonders viele Karotten gegessen und so ihre Nachtsichtfähigkeiten verbessert hätten.


Zweite These: Wahrheit und Wissenschaft ergründen sich mit jedem Gedanken neu. Fortschritt ist nicht lenkbar, er findet oft seinen Weg über den Zufall.
Der Schwerpunkt liegt dabei eher beim Experiment, der Beobachtung, denn bei den Theorien, die aber zwangsläufig am Anfang der wissenschaftlichen Arbeit stehen, da es sonst keine zur Überprüfung gibt. Dies geschieht mit Hilfsmittel - vom Fernrohr bis zum LHC. So wird die Erforschung intrasubjektiv. Dabei wählt man im Grunde das schlankste Modell nach dem Sparsamkeitsprinzip (Beispiel: kopernisches vs. tychonisches Weltmodell). Dabei ist es wissenschaftlich notwendig, mit Bedacht vorzugehen und ausschließlich darüber Aussagen zu treffen, was man auch bestätigen kann und nur das. Dies dann aber öffentlich und lautstark. Über alles andere kann mit Hinweis sprechen, dass es sich um Annahmen, ungeprüfte Thesen oder Theoreme handelt. Das ist seriös.

Atheismus und Wissenschaft


Plakat der Antidiskriminierungsstelle des Bundes


Dritte These: Atheismus und Wissenschaft werden zwar oft in einem Atemzug genannt, sind aber auch bei Wissenschaftlern nicht zwingend gemeinsame Weltanschauung.
Es gibt auch religiöse Wissenschaftler, aber die Widersprüche überlappender Einflusssphären von Religion und Wissenschaft verschwinden dadurch nicht. Sie müssen nur für diesen selbst irgendwie rationalisiert oder ignoriert werden.
Natürlich ist auch Musik im Grunde nichts weiter als schwingende Elementarteilchen, aber wir wissen auch, dass wir bestimmte Phänomene eben nicht auf diese fundamentale Art beschreiben wollen, sondern durch Theorien, die unseren menschlichen Ansprüchen besser genügen.
Atheismus ist einfach das Ablegen, des Glaubens an eine übergeordnete Entität. Manche nennen es konsequent, bei all den Gottheiten nicht einfach irgendeinen auszusuchen, sondern einfach alle zu verwerfen, da man es eh nicht allen recht machen kann. Atheismus ist der Nicht-Glaube an Gott und daher kategorisch so sehr eine Religion, wie Glatze eine Haarfarbe.

Nachplappern und Autoritäten

Der Yale-Psychologieprofessor Paul Bloom kam zum Schluss, dass auch die Evolutionstheorie im Kern eine Glaubenfrage ist: "We suggest that the psychology of those who reject evolutionary theory is not so different from that of people who endorse it." (dt.: "Wir unterstellen, dass die Psychologie der Personen, die die Evolutionstheorie ablehnen, nicht so verschieden ist, von denen die sie unterstützen.") Damit trifft er den Zuspruch der US-Amerikaner, von denen je nach Umfrage kein Drittel überzeugt ist, die Evolutionstheorie sei wissenschaftlich solide.
In allen Lagern der Evolution-Schöpfung-Debatte überwiegen jene, die lediglich nachplappern. Ich will mich zu gewissen Teilen nicht ausschließen.

Natürlich hat niemand je alle wissenschaftlichen Arbeiten gelesen, einfach weil der Output zu groß ist. Aber man kann darauf vertrauen, dass jede Arbeit mal von jemanden gelesen wurde, der mit Sachverstand diese Arbeit überprüft und nachvollzogen hat. Und wenn ein Fehler beim "Review", wie sich dieser Prozess nennt, nicht entdeckt wird, dann bei Experimenten, die auf den fehlerhaften Erkenntnissen aufbauen und schlussendlich zu einem anderen, als dem genannten Ergebnis führen.
Aufgrund des Fehlens unumstößlicher "Wahrheiten" ist Wissenschaft auch nicht als Ersatzreligion befähigt, wie es oft vorgeworfen wird. Neuentwickeln und Verwerfen sind der Werdegang der Erkenntnis.

Es geht natürlich auch um die Frage, wer überhaupt "berechtigt" ist, sich über die fundamentalen Fragen dieser Welt Gedanken zu machen. Die Wissenschaft dringt ja dabei immer weiter in das traditionelle Territorium der Religion ein: Wo kommt alles her? Wie ist alles entstanden? Warum ist da etwas und nicht nichts? Wie wird alles enden? Und da es dabei auch um Autoritäten geht, ist dies für die großen Kirchen etwas problematisch.

Vierte These: Wahrheit ist ein fantastisches, utopisches Ideal, dem man sich offenbar immer nur annähern, aber nie ganz begreifen kann. Daran werden auch die durch Hollywood und Co propagierten Zerrbilder des allwissenden, unfehlbaren, bebrillten Laborkittelgenies nichts ändern, die mit der Realität nichts zu tun haben.

Komplexität und Widerspruch

Warum stehen so viele Menschen der Wissenschaft mit Skepsis gegenüber?
Komplexität hat das Problem, dass Leute lieber einfache Kausalketten bevorzugen, auch wenn die Kette falsch ist. So bietet die Religion einen Halt mit einer ehernen "Wahrheit". Denn die einfache Kausalkette lautet: Gott war's.
Der Mensch ist zudem ein soziales Tier. Religion bietet Schutz durch die Gruppe. Alles andere ist gefährlich. Ironischerweise beschreibt die Evolutionstheorie genau diesen Gruppenschutz, da ein einfaches Erkennungsmuster für Feinde überlebenswichtig war. Wissenschaft dagegen wirkt kalt und die sie wird vom Großteil der Menschen nicht verstanden. Ihre Wandelbarkeit widerspricht dem Geborgenheitsgefühl. Oft widersprechen ihre Erkenntnisse auch den Alltagserfahrungen (z.B. Quarks die einfach so im leeren Raum entstehen und auch wieder spurlos verschwinden; die evolute Artenentwicklung, denn ein Mensch ist ein Mensch ist ein Mensch). Wichtig ist eben, was man selbst erfahren hat und sei es noch so sehr ein Trugschluss. Der Mensch vertraut seinen Sinnen mehr, als einer Statistik. Warum sonst rauchen noch so viele, selbst Ärzte? Der (erwachsene) Mensch ändert nur sehr ungern seine Meinung oder sein Weltbild. Und rationalen Argumenten ist er nur insofern zugänglich, solange sie sein Weltbild bestätigen (confirmation bias).

Das Leben ist und war nie harmonisch und gleichförmig. Kristalle schon. Bei nüchterner Betrachtung und der auch von Kreationisten vor den Karren gespannten Thermodynamik sind wir alle nur ein Zwischenstadium auf dem Weg zur Entrophie. Oder wie Harald Lesch einmal sagte: "Das Leben ist ein Durchlauferhitzer."
Und so laufen denn die Damen mit Diamanten am Ring herum und bei genauer Betrachtung tragen organische Kohlenstoffverbindungen kompakte ehemals organische Kohlenstoffverbindungen als Schmuck herum. Diamanten werten uns optisch vielleicht auf. Aber sie werden uns nicht ersetzen. Und das ist dann doch ganz positiv und nebenbei auch noch wissenschaftlich korrekt.

Fünfte These: Wissenschaft sucht einen aufgetauchten Fehler immer erst bei sich. Wurde etwas nicht richtig theoretisiert? Ist das Experiment fehlerhaft? Wurde in der Gleichung etwas vergessen?
Wissenschaftler sind ganz normale Menschen, die ganz normale Fehler machen. Wissenschaftler irren sich genauso, wie der Rest der Welt und es wäre wichtig, dass der Rest der Welt das auch sehen kann. Wissenschaft in Fernsehen, Zeitung und Schule wird oft nur als Ergebnis dargestellt. Man übersieht leicht, die Menschen dahinter und der Prozess, der zu diesem Ergebnis geführt hat und zu keinem anderen. Wissenschaft ist nicht einfach nur ein Job, es ist eine "Berufung". Es geht selten ums schnelle Geld, sondern darum, forschen zu können. Oft beziehen Doktoranten keine Projektgelder durch die Universität, sondern Sozialhilfe vom Staat. Es spielt keine Rolle, woher das Geld kommt. Der Doktorand arbeitet sowieso die ganze Zeit. Es spielt auch keine Rolle, ob jemand eine Halbtags- oder Vollzeitstelle hat. Er sitzt am Ende sowieso deutlich mehr als 40 Stunden pro Woche über den Arbeiten. Eine verlockende "Klosterlösung", wo man isoliert vom Alltagsstress einfach forschen kann, wäre für viele Wissenschaftler eine sehr verlockende Vorstellung.
Aber der Elfenbeinturm der Wissenschaft ist ein Trugschluss. Wissenschaft ist Mainstream, ist Alltag, ist Arbeit, ist Freizeit, ist Forderung und Förderung der Gesellschaft.

Gibt es nach fünf Wahrheitsartikeln also wenigstens eine Wahrheit zu übermitteln?

Methodischer Erkenntnisgewinn wird im Gegensatz zu Religionen nie zum Mythos. Und was immer auch Menschen künftig glauben werden, die Wissenschaft wird weiter forschen und Daten sammeln. Wissenschaft wird die Leute klüger machen. Nicht alle, aber die Allgemeinheit.

Das ist auf jedenfall eine Wahrheit.
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Re: Evolution oder Schöpfung

Beitragvon almafan » Mo 15. Jan 2018, 20:37

Zwei Paradoxe: Wie hebt man einen unhebbaren Stein? - Das Allmachtsparadoxon und warum Internet-Diskussionen meist sinnlos sind und wie man daran etwas ändern kann

Das Allmachtsparadoxon entsteht, wenn man die Logik auf Allmächtigkeit treffen lässt.


(Übersetzung: Kann Jesus einen Burrito in der Mikrowelle so sehr erhitzen, dass er ihn selbst nicht mehr essen kann?)

Wenn ja, dann ist er nicht allmächtig, da er am Verzehr scheitert. Wenn nein, dann ist er auch nicht allmächtig, weil er den Burrito nicht auf die geforderte Temperatur bringen kann.
Die klassische Variante stellt die Frage, ob Gott in der Lage sei, einen so schweren Stein zu erschaffen, dass er ihn selbst nicht mehr heben kann. Wieder würde bei beiden Antworten die Allmächtigkeit abgesprochen.

In den Jahrhunderten überlegten sich Theologen Umgehungen dieser Paradoxie:
Das Wesen könnte zum Beispiel "abdingbar allmächtig" sein, also in der Lage, die Allmacht zu verlieren. Es könnte also zuerst den Stein erschaffen und dann die Allmacht ablegen. Aber wieso das eine befriedigende Lösung darstellen soll, wissen wohl auch nur die Befürworter.

In einer anderen Version geht es um "essenzielle Allmacht", bei der das Wesen seine Allmacht zwar nicht verlieren kann, aber auch nicht in der Lage ist, Dinge zu tun, die logisch unmöglich sind. Das Paradoxon wird hier aufgelöst, in dem man den Konflikt mit der Logik gar nicht erst zulässt. Was logisch nicht möglich ist, ist nicht möglich und Ende. Allmächtigkeit bezieht sich demnach nur auf die Menge der Dinge, die innerhalb der logischen Möglichkeiten liegen. Ein von einem allmächtigen Wesen schaffbarer Stein, der nicht hochgehoben werden kann, widerspricht der Definition von Allmacht, ist logisch unmöglich und spielt daher keine Rolle.

Das andere Extrem ist die Variante der "absoluten Allmacht". Hier sagt man vereinfacht: Scheiß auf die Logik! Wenn das allmächtige Wesen allmächtig ist, dann kann es auch unhebbare Steine schaffen. Oder eckige Kreise. Oder ein blaues Rot. Oder was auch sonst immer. Hier gibt nicht die Allmacht nach, sondern die Logik. Wenn das Wesen wirklich absolut allmächtig ist, kann es auch die Logik so verändern, dass unhebbare Steine hochgehoben werden können.

Das Allmachtsparadoxon ist eine vortreffliche Diskussionsgrundlage, aber Erkenntnis birgt diese wahrscheinlich nicht. Bei Internet-Diskussionen kann man nachher tatsächlich schlauer sein und wenn es nur das Wissen darum ist, künftig nicht mehr mit zu diskutieren.

Diskussionen sind so alt, wie die Menschheit. Die Verlagerung auf das Internet und die damit einhergehende Ausweitung potentieller Diskussionspartner ist recht neu. Im Schutze der Anonymität lassen sich viele Menschen (und ich will mich selbst dabei nicht aussparen) auf Diskussionen / Streitereien ein, obwohl dabei so gut wie nie etwas heraus kommt und es keine Einigung geben wird. Dennoch haben viele immer wieder den Drang, sich in solche Streitereien einzulassen, weil jemand Dinge schreibt, die wir als falsch empfinden. Patadox. Im Internetcomic xkcd wird das als SIWOTI-Syndrom bezeichnet – “Someone is wrong on the internet”:


Man versucht, Leute die eine (aus eigener Sicht) falsche Meinung haben, durch Argumentation umzustimmen. Sie sollen erkennen, wie falsch sie liegen. Aber das funktioniert so gut wie nie. Am Ende sorgt der Widerspruch nur dafür, dass sich der Diskussionsgegner nur noch sicherer ist, die korrekte Meinung zu haben (der sogenannte "Backfire"-Effekt). Nach der Diskussion ist also vor der Diskussion, nur mit höherer Frustration (#1).
Internetstreitereien sind also meistens sinnlos und im schlimmsten Fall schaden sie sogar dem eigenen Anliegen (nochmal #1). Und trotzdem gehören lange Kommentarschlachten zu den Lieblingsbeschäftigungen im Internet. Wenn das kein Paradox ist, wüsste ich nicht, was es sonst sein soll.

Die Lage wird in diesem Video noch einmal schön zusammengefasst. Vor allem zeigt es am Ende eine Strategie auf, mit der man Diskussionen vielleicht doch erfolgreich führen kann:


Fazit aus dem Video: Anstatt sich provozieren zu lassen, sollte man das Gegenüber (höflich) um eine Erklärung seiner Thesen bitten. Enthalten seine Ausführungen nämlich keine Substanz, demontieren sie sich im Grunde von selbst. Das ist für alle Beteiligten, also auch die passiv Mitlesenden, wesentlich lehrreicher als die immer gleichen Streitereien.

Was hat das ganze aber nun mit der Evolutionstheorie zu tun? Irgendwie muss der Bogen ja gespannt werden, um zu rechtfertigen, diesen Artikel in diesem Thread zu veröffentlichen. Man könnte jetzt lapidar darauf verweisen, dass das gleiche Trolling auch in der Evolution-Schöpfung-Debatte geschiet und aufgrund der teils heftigen Diskussionen die Gräben nur tiefer werden und Sachlichkeit oft ein Fremdwort wird. Aber das wäre zu oberflächlich.

Im Grunde ist diese Art der auch aggressiven Verteidigung ein exzellentes Beispiel für Konkurrenzdenken auf Gruppenebene. Wir Menschen neigen schnell dazu, den eigenen Standpunkt zu verteidigen, auch wenn wir ihn selbst nicht geäußert haben. Veröffentlicht jemand einen Artikel oder Blog, der unsere Ansicht (zum Beispiel "Das Leben, wie wir es heute kennen, ist das Produkt eines ungerichteten Prozesses." / "Das Leben ist ein Geschenk Gottes und wir sollten ihn daher anbeten.") stützt, dann werden wir diesen verteidigen, auch dann, wenn andere Ansichten des Autors sich nicht mit unseren decken. Unser Gehirn will nicht falsch liegen, selbst wenn dies der Fall ist. Das Umlernen von einer falschen Ansicht ist unbequem, ressourcenaufwendig und holt uns aus einer Komfortzone heraus, die uns in einer bestimmten Gruppe in Sicherheit wähnte. Ein einfacheres Beispiel als Weltanschauungen sind korrekte Aussprachen von Wörtern. Das Wort "einzigste" gibt es nicht, da "einzig" nicht gesteigert werden kann. Dieses abzutrainieren ist ein langwieriger Prozess und daher lässt man es lieber bleiben.
Der Mensch ist ein soziales Wesen und wird sich zwangsläufig lieber mit Menschen austauschen, die offenbar seiner Gruppe angehören. Alle anderen sind potenzielle Feinde und müssen bekämpft oder zumindest gemieden werden. Das Untergraben der Weltanschauung in einer Diskussion untergräbt auch das Selbstverständnis jedes einzelnen der diese Weltanschauung teilt. Man selbst würde ja wohl keinem Betrug aufsitzen. Bereits bei dieser Selbsteinschätzung entsteht der Grund für hitzige Diskussionen in der Zukunft.

#1 - Die Problematik geht sogar noch weiter. Eine Studie aus dem Jahr 2013 hat gezeigt, dass sogar die Glaubwürdigkeit von Texten leidet, wenn die Kommentare dazu zu aggressiv und unhöflich sind und nur gestritten wird, unabhängig davon, wie sachlich und fachlich korrekt der Text über den Kommentaren ist.
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Re: Evolution oder Schöpfung

Beitragvon almafan » Di 23. Jan 2018, 10:26

Pokerspielen - Über die Wahrscheinlichkeiten bereits aufgetretener Effekte.

Genau genommen sagen Wahrscheinlichkeiten über die Plausibilität einmaliger Ereignisse nichts aus. Ein Beispiel vorweg:

Man stelle sich vor, vier Freunde sitzen am Tisch und spielen Poker. Einer notiert, in welcher Reihenfolge die Karten ausgegeben werden. Anschließend berechnet er die Wahrscheinlichkeit, mit der die eben gespielte Kartenabfolge über alle Spieler gezählt auftritt.

Rechnen wir mal:
- die Wahrscheinlichkeit 1.Karte (1/52 Karten) ................................ Zwischenwahrscheinlichkeit 1 zu 52
- mal der Wahrscheinlichkeit 2.Karte (1/48 (52 minus Anzahl Spieler)) ..... Zwischenwahrscheinlichkeit 1 zu 2.496
- mal der Wahrscheinlichkeit 3.Karte (1/44 (52 minus 2x Anzahl Spieler)) .. Zwischenwahrscheinlichkeit 1 zu 109.824
- mal der Wahrscheinlichkeit 4.Karte (1/40 (52 minus 3x Anzahl Spieler)) .. Zwischenwahrscheinlichkeit 1 zu 4.392.960
- mal der Wahrscheinlichkeit 5.Karte (1/36 (52 minus 4x Anzahl Spieler)) .... Gesamtwahrscheinlichkeit 1 zu 158.146.560


Die Wahrscheinlichkeit, dass der 1. Spieler genau die Karten auf die Hand kriegt, die er da gerade hat, liegen bei 5 Karten und 4 Spielern bei 1 zu 158 Millionen. Um den Vorgang zu wiederholen bräuchten wir also statistisch gesehen 158 Millionen Versuche, damit wenigstens einmal wieder die gleichen Karten in der gleichen Reihenfolge aufgespielt werden. Es kann aber auch rein zufällig schon beim 2. Versuch passieren oder dem 831., oder dem 1.204. Das weiß vorher niemand. Schon die Wahrscheinlichkeit, dass vor der Rechnerei diese Karten auf der Hand des Spielers landeten war genauso unwahrscheinlich. Aber sie ist eingetroffen.

Noch extremer ist es allerdings, wenn man wissen will, wie wahrscheinlich es ist, dass alle 4 Spieler zusammen exakt die 20 Karten ausgespielt werden, die jeder Spieler gerade in Händen hält. Dabei kann man nicht einfach die 158 Millionen mit den 4 Spielern multiplizieren. Nein. Es sieht wie folgt aus. Wir multiplizieren jetzt solange bis insgesamt 20 Karten vergeben sind (Wir haben ja Platz!):

- die Wahrscheinlichkeit 1.Karte (1/52 Karten) ......................... Zwischenwahrscheinlichkeit 1 zu 52
- mal der Wahrscheinlichkeit 2.Karte (1/51 (52 minus 1 Karte)) ..... Zwischenwahrscheinlichkeit 1 zu 2.652
- mal der Wahrscheinlichkeit 3.Karte (1/50 (52 minus 2 Karten)) .... Zwischenwahrscheinlichkeit 1 zu 132.600
- mal der Wahrscheinlichkeit 4.Karte (1/49 (52 minus 3 Karten)) .... Zwischenwahrscheinlichkeit 1 zu 6.497.400
- mal der Wahrscheinlichkeit 5.Karte (1/48 (52 minus 4 Karten)) .... Zwischenwahrscheinlichkeit 1 zu 311.875.200
- mal der Wahrscheinlichkeit 6.Karte (1/47 (52 minus 5 Karten)) .... Zwischenwahrscheinlichkeit 1 zu 14.658.134.400
- mal der Wahrscheinlichkeit 7.Karte (1/46 (52 minus 6 Karten)) .... Zwischenwahrscheinlichkeit 1 zu 674.274.182.400
- mal der Wahrscheinlichkeit 8.Karte (1/45 (52 minus 7 Karten)) .... Zwischenwahrscheinlichkeit 1 zu 30.342.338.208.000
- mal der Wahrscheinlichkeit 9.Karte (1/44 (52 minus 8 Karten)) .... Zwischenwahrscheinlichkeit 1 zu 1.335.062.881.152.000
- mal der Wahrscheinlichkeit 10.Karte (1/43 (52 minus 9 Karten)) ... Zwischenwahrscheinlichkeit 1 zu 57.407.703.889.536.000
- mal der Wahrscheinlichkeit 11.Karte (1/42 (52 minus 10 Karten)) .. Zwischenwahrscheinlichkeit 1 zu 2.411.123.563.360.512.000
- mal der Wahrscheinlichkeit 12.Karte (1/41 (52 minus 11 Karten)) .. Zwischenwahrscheinlichkeit 1 zu 98.856.066.097.780.992.000
- mal der Wahrscheinlichkeit 13.Karte (1/40 (52 minus 12 Karten)) .. Zwischenwahrscheinlichkeit 1 zu 3.954.242.643.911.239.680.000
- mal der Wahrscheinlichkeit 14.Karte (1/39 (52 minus 13 Karten)) .. Zwischenwahrscheinlichkeit 1 zu 154.215.463.112.538.347.520.000
- mal der Wahrscheinlichkeit 15.Karte (1/38 (52 minus 14 Karten)) .. Zwischenwahrscheinlichkeit 1 zu 5.860.187.598.276.457.205.760.000
- mal der Wahrscheinlichkeit 16.Karte (1/37 (52 minus 15 Karten)) .. Zwischenwahrscheinlichkeit 1 zu 216.826.941.136.228.916.613.120.000
- mal der Wahrscheinlichkeit 17.Karte (1/36 (52 minus 16 Karten)) .. Zwischenwahrscheinlichkeit 1 zu 7.805.769.880.904.240.998.072.320.000
- mal der Wahrscheinlichkeit 18.Karte (1/35 (52 minus 17 Karten)) .. Zwischenwahrscheinlichkeit 1 zu 273.201.945.831.648.434.932.531.200.000
- mal der Wahrscheinlichkeit 19.Karte (1/34 (52 minus 18 Karten)) .. Zwischenwahrscheinlichkeit 1 zu 9.288.866.158.276.046.787.706.060.800.000
- mal der Wahrscheinlichkeit 20.Karte (1/33 (52 minus 19 Karten)) ........ Endwahrscheinlichkeit 1 zu 30.653.258.322.310.954.399.430.000.640.000

Also rund 1 zu 30,7 Quintillion (oder 30,7 x 10 hoch 30).


Trotzdem können die Karten schon beim ersten Mal genauso ausgeteilt werden!
Was sagt uns also die Statistik über den genannten Einzelfall? Nichts. Bei 52 Spielkarten ist die Wahrscheinlichkeit dieser Kartenabfolge derart gering, dass man seit der Entstehung des Universums hätte Karten spielen können, ohne das Blatt je auf die Hand zu bekommen. Selbst wenn alle heute lebenden Menschen jede Minute seit Anbeginn in Vierergruppen Poker spielen würden, jede Minute die Karten mischen und ein neues Spiel beginnen.

Bei einer Fahrt von Dresden nach Glauchau wurde uns einst erklärt, dass wir nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung der Evolutionisten immer noch Einzeller wären, da man die Einzelwahrscheinlichkeiten ja multiplizieren müsse. Da Evolutionsbiologen rückwärts rechnen (vom aktuellen Stand aus in die Vergangenheit gemeinsamer Vorfahren) würde dieser Fehler nicht auffallen. Kreationisten rechnen aber eben vorwärts (von dem angenommen hypothetischen ersten Lebewesen zum heutigen Stand).
Ich habe nicht erwähnt, dass mathematische Formeln rückwärts und vorwärts gleich sind, insbesondere bei Multiplikationen.
Ich habe nicht erwähnt, dass er Multifunktionalitäten und Funktionsumformungen unberücksichtigt lässt, die eine positive Selektion um mehrere Potenzen begünstigt.
Ich habe nicht erwähnt, dass Grundwahrscheinlichkeiten nur dann verwendet werden können, wenn man alle Ausgangspositionen kennt.
Ich habe nicht erwähnt, dass niemand weiß, wie viele Möglichkeiten der Ausformungen es gibt, aber recht sicher ist, dass der heutige Ist-Zustand nicht so hätte sein müssen.

Damit sind wir aber im Grunde auch schon bei dem Grundproblem. Der heutige Ist-Zustand wird eben von Kreationisten doch zum erklären Ziel deklariert und man missachtet alle Möglichkeiten, die hätten sein können, da sie ja offenbar nicht sind.
Am oben aufgeführten Pokerspiel ist aber klar erkenntlich, dass weder die 4 Karten, die der eine Spieler in Händen hält, noch die 20 Karten, die alle 4 Spieler haben, die einzigen im Spiel sind. Es hätte jederzeit anders sein können. Das Material dafür ist vorhanden. Aber keiner würde annehmen, dass es eine Vorherbestimmung in der Verteilung der Karten gab, sondern würde zu Recht dem Zufall diese Verteilung zuschieben.
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Re: Evolution oder Schöpfung

Beitragvon almafan » Fr 26. Jan 2018, 21:17

Kann ich meinem Hirn trauen? - Über die Fallen der selektiven Wahrnehmung

Wissenschaft läuft es in der Regel wie folgt ab: Theorien werden aufgestellt, Experimente gemacht und am Ende des Tages werden Theorien, die den Experimenten widersprechen, verworfen. Thomas H. Huxley, britischer Biologe, Bildungsorganisator und Hauptvertreter des Agnostizismus, sagte es so: "The great tragedy of science - the slaying of a beautfiul hypothesis by an ugly fact." (Deutsch: "Die größe Tragödie der Wissenschaft - das Erschlagen einer wunderschönen Hypothese durch eine hässliche Tatsache.")
Natürlich ist es schmerzlich, wenn die eigene Lieblingstheorie den Bach runter geht. Aber in der Naturwissenschaft gibt es nunmal nur einen unbestechlichen Richter als einzigartige Möglichkeit, Theorien objektiv zu prüfen: das Experiment. So erkennt man falsche Theorien und entsorgt sie. Dieser Selbstreinigungsprozess funktioniert in der Regel gut, auch wenn es in der Öffentlichkeit nicht so wirkt. Aber um es mit aller Deutlichkeit zu sagen, Homöopathie, Astrologie, Rutengehen, Perpetuum Mobile und auch der Kreationismus (auch der getarnte) sind keine Wissenschaften, auch wenn einiges sogar an Universitäten gelehrt wird. Es ist vor diesem Hintergrund für mich sowohl zutiefst verwunderlich, aber auch irgendwie faszinierend, warum sich Ideologien, Verschwörungstheorien, alternativmedizinische Verfahren und Glaubenssysteme - in ihrer Gesamtheit also für mich fragwürdige Ideen - trotz Ihrer Falsifizierung weitgehender Beliebtheit erfreuen. Allerdings kann man selbst solchen Vorstellen erliegen. Es steht sich die unangenehme Frage: Glaube ich auch an absurde Ideen und merke es nicht, weil mein Hirn mir sagt, dass wäre alles okay?

Die Frage selbst ist natürlich auch irgendwie blöd, wird aber auch gern auf die Augen angewendet. Dann kommen Sätze wie: "Ich habe es mit eigenen Augen gesehen." kennt jeder, obwohl die Prinzipien der optischen Täuschung hinlänglich bekannt sind (einfach mal bei der Google-Bildersuche "optische Täuschung" eingeben). Dazu gehört auch die Fähigkeit des Hirns, aus unvollständigen Hinweisen komplette Muster zu erkennen.
Für den Höhlenmenschen war diese Fähigkeit äußerst wichtig. Es reicht ja nicht, den Tiger zu erkennen, wenn er aus dem Busch angesprintet kommt. Also lieber einmal zu viel erschreckt und weggerannt, als einmal zu wenig. Besonders stark ist die Mustererkennung bei Gesichtern. Ist es ein Feind oder ein Paarungspartner?


Bild von mir geschossen.

Praktisch jede Zeichnung kann nur deswegen erkannt werden, weil man die Fähigkeit besitzt, Muster zu erkennen. Wir würden Superman nicht erkennen, wenn er nicht in seinem rotblauen Pyjama abgebildet wäre. Wiederkehrende Muster sind einfach notwendig.
Und genauso funktionieren auch kognitive Täuschungen. Auch sie können dazu führen, dass wir Muster erkennen, wo keine sind. Dazu gibt es ein klassisches Experiment, in dem Versuchspersonen darum gebeten wurden, herauszufinden, nach welchem Gesetz Reihen von drei Zahlen gebildet wurden.


Nach den ersten Zahlenreihen kommen die Probanden in der Regel zu der Annahme von der Null aufwärts wurde immer zwei addiert. Diese Regel, obwohl bei allen Versuchen erfolgreich angewandt, ist nicht die richtige. Bereits Zahlenreihe vier widerspricht der These, man habe mit der Null begonnen. Zahlenreihe fünf bricht auch damit, immer zwei zu addieren. Auch die Annahme, dass es sich um gleiche Abstände handelt, führt nicht zur richtigen Regel. Tatsächlich ist es schon ausreichend, wenn die Zahlen aufsteigend aufgereiht sind.

Bild

Dieses Bild enthält auf beiden Seiten im Grunde die gleiche Informationsmenge. Allein durch die Anordnung entsteht links ein Muster. Die Striche sind die selben.
Sogar jetzt, wo ihr diesen Text lest, erkennt ihr ein Muster. Jeder Buchstaben hat eine eigene, abgeschlossene und von anderen Buchstaben unabhängige Information. Erst durch die Anordnungen in einem Wort erhalten Sie weitere Informationen. Und so, wie jeder Buchstabe im Grunde nur ein Muster aus Pixeln ist, so ist jedes Wort ein Muster aus Buchstaben. Worte selbst enthalten ebenfalls abgeschlossene, unabhängige Informationen. Durch die Anordnung in einem Satz wird eine weitere Information über den Kontext hinzugefügt. Der Satz hat also mehr Informationen als die einzelnen Wörter aus denen er besteht. Und so geht ist auch ein ganzer Text mehr als die Summe seiner Sätze.

"Genau in dem Moment, als ich an meine/n Bruder/Schwester/Vater/Mutter/Onkel/Tante/Opa/Oma/Freund/Freundin gedacht habe, hat das Telefon geklingelt und sie war am Apparat. Das MUSS Telepathie gewesen sein." Sowas hat sicher schon jeder Mal erlebt. Und wenn es einem passiert, ist es tatsächlich beeindruckend. Aber wie oft wurde man von den Verwandten oder Freunden angerufen, ohne das man vorher an sie gedacht hat? Wie oft hat man an die Verwandten oder Freunde gedacht, ohne das sie angerufen haben? (Und mal unter uns: Wenn die Telepathie beherrschen, wozu brauchen die dann noch ein Telefon?)
Wenn wir bei Vollmond aufwachen, ist natürlich logisch das der Vollmond schuld ist. Wenn wir einem anderen Tag wach werden, denken wir nicht groß drüber nach. Selektiv ist also der Mond schuld. Wenn sich der eigene Babywunsch trotz Anstrengung nicht erfüllt, sieht man überall nur noch Kinderwagen. Oder wenn man sich nach einer Partnerschaft sehnt, kann es vorkommen, dass einem irgendwie nur noch händchenhaltende und knutschende Paare begegnen. Nach einer homöopathischen Behandlung fühle ich mich besser und blende aus, dass es eine warme Hühnersuppe auch getan hätte (und ich meine nicht wegen dem zugefütterten Anti-Biotika). Außerdem ist die Ampel sowieso immer rot und die Bahn immer zu spät. Abläufe, die klappen, werden nicht registriert.
Und was lernen wir aus diesen simplen Experimenten und Beispielen:
  • Unser Hirn neigt dazu, nach Mustern zu suchen und diese auch zu finden.
  • Unser Hirn schießt über das Ziel gern hinaus. Es findet Muster auch da, wo keine sind.
  • Nur selten versucht eine Versuchsperson, ihre Regel dadurch zu prüfen, dass es nach Gegenbeispielen zur Regel sucht.
Auch im alltäglichen Leben neigen wir dazu, überall Muster zu erkennen und an ihnen festzuhalten, ohne sie jemals zu prüfen. Diesen Phänomenen gemeinsam ist, dass unser Hirn intern eine Strichliste führt. Und jedes Mal und auch nur dann, wenn unser Muster bestätigt wird, eine zusätzlichen Strich erhält.

Wenn wir 1846 in der Wiener Charitae in einem Flügel erfragen, ob ein bestimmtes Verfahren bei der Geburtshilfe hilft und als Antwort: "Ja, wir hatten dieses Jahr 4010 Fälle, in denen es geholfen hat." erhalten, sollten wir den Bestätigungsfehler im Kopf behalten. Wie oft hat es denn nicht geklappt? Wie viele Frauen sind im Kindbett verstorben? Wie sieht es im zweiten Flügel der Wiener Klinik aus? Mit der Negierung der Frage und dem gegenüberstellen dieser Ergebnisse führte damals Ignaz Semmelweis die Statistik in die Medizin ein. Und vermutlich ist dies sogar die wichtigste Errungenschaft seines Lebens.

1. Flügel Geburten: 4010, Gestorben: 459.
2. Flügel Geburten: 3754, Gestorben: 105.

Es wird nun erst deutlich, dass 4010 mal "bei uns hat es geholfen" kein Zeichen für eine wirksame Behandlung darstellen. Zahlen ohne Vergleichswerte sind generell mit Vorsicht zu genießen.
Um aber bei Semmelweis zu bleiben, der völlig zu recht als "Retter der Mütter" bezeichnet wird: Ihm kam ein tragischer Zufall zu Hilfe, die unterschiedlichen Sterberaten aufzudecken. Ein Freund von ihm starb, nachdem er sich bei einer Autopsie einer Leiche mit dem Skalpell durch den Handschuh und in die Hand schnitt. Die daraus folgende Infektion entwickelte ähnliche Symptome wie Frauen mit Kindbettfieber. Und damit erklärte sich auch der Unterschied in den beiden Flügeln der Wiener Klinik. In der einen arbeiteten Hebammen und in der anderen Medizinstudenten, die regelmäßig mit Leichen arbeiteten. Semmelweis führte darauf hin im Jahr 1847 die Maßnahme ein, dass vor den Behandlungen der Wöchnerinnen die Mediziner sich die Hände desinfizieren mussten und belegte dann auch den Erfolg der neuen Maßnahme durch Statistik:

1846 Geburten: 4010, Gestorben: 459.
1848 Geburten: 3556, Gestorben: 45.

Der große Dank blieb anfangs aus. Besonders von seinen Kollegen wurde er kritisiert. Der Gedanke, dass ein Arzt unsauber sein könnte, musste sich erst noch durchsetzen. Dabei sollte man aber auch daran denken, wie schwer es wohl einem selber als Arzt gefallen wäre, sich einzugestehen, dass man - wenn auch aus Unwissenheit und unbeabsichtigt - den Tod vieler Frauen im Kindsbett verursacht hat.

Ein weiteres Beispiel für selektive Wahrnehmung und nebenher für raffinierte Werbung findet sich bei Parship, wo sich alle 11 Minuten einer verliebt. Eine statistische Auswertung dieser Behauptung findet sich hier: Werbung mit „harten“ Fakten – und warum man am Ende doch nicht schlauer ist als vorher (2. April 2014)

Der Einzelfall kann täuschen. Gerade eigene Erfahrung wirken immer sehr überzeugend, aber zu groß sind hier Fehlerquellen wie Bestätigungsfehler. Statistiken wirken kalt und unpersönlich, sind aber die einzige Messgröße für halbwegs verlässliche Aussagen. Denn da sind viele Fehlerquellen ausgeschalten. Rauchen ist nun mal ungesund – egal wie viele Raucher sich auch auf Helmut Schmidt berufen!
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Re: Evolution oder Schöpfung

Beitragvon almafan » Sa 3. Feb 2018, 09:36

Was ist "Non sequitur"?

Non sequitur (lat. für "es folgt nicht") ist ein Fehlschluss innerhalb der Argumentation eines Beweises, der darauf basiert, dass die geschlussfolgerte These nicht aus den zugrundeliegenden Prämissen abgeleitet werden kann. Es handelt sich um ein non sequitur, wenn bei dem versuchten Beweis der These Argumente aufgestellt werden, die zwar wahr sind, aber keinen zureichenden Grund für die Wahrheit der These bieten.

Beispiele:
  • Prämisse: Das Universum hatte einen Anfang.
  • These: Also hat es auch ein Ende.
  • Non sequitur: Beide Aussagen können richtig sein, aber weder ist dies sicher, noch reicht die Existenz eines Anfangs aus, um zwingend auch ein Ende zu bedingen.

  • Prämisse 1: Wenn ich in Dresden bin, bin ich in Sachsen.
  • Prämisse 2: Ich bin nicht in Dresden.
  • Schlussfolgerung: Deshalb bin ich auch nicht in Sachsen.
  • Non sequitur: Auch wenn beide Prämissen zutreffen, muss die Schlussfolgerung nicht richtig sein, weil ich mich ja an einem anderen Ort in Sachsen, aber außerhalb Dresdens befinden könnte.
Bezogen auf diese Debatte hier lautet "Non sequitur":
  • Prämisse 1: Ich glaube an die Schöpfung.
  • Prämisse 2: Die Evolutionstheorie kann die Entstehung des Lebens nicht zufriedenstellend erklären.
  • Schlussfolgerung: Daher muss die Schöpfung richtig sein.
  • Non sequitur: Auch wenn hier ebenfalls beide Prämissen zutreffen, muss die Schlussfolgerung nicht richtig sein. Denn erstens können künftige Evolutionsmodelle präziser und zufriedenstellender sein und zweitens ist der Schöpfungsmythos auch dann nicht automatisch richtig, wenn die Evolutionstheorie grundlegend falsch wäre.
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Re: Evolution oder Schöpfung

Beitragvon almafan » Mi 14. Feb 2018, 17:58

Interaktionsmodelle - Das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Religion

Um die verschiedenartigen Verhältnisse zwischen Wissenschaft und Religion besser einordnen zu können, erarbeiteten verschiedene Forscher Interaktionsmodelle, so die vier Beziehungsmodelle Konflikt, Kontrast, Kontakt, Konfirmation von John Haught, die acht Modelle von Ted Peters, die in vier Konfliktmodelle und vier Kooperationsmodelle geteilt werden. Auch Ian Barbour spricht von vier Modellen. Diese Interaktionsmodelle ermöglichen eine wissenschaftlichere Fokussierung der vielfältigen Beziehungen, anstelle der öffentlichen Wahrnehmung, die sich lediglich auf die medienwirksame Konfliktmodelle konzentriert.

Konflikt- / Konfrontationsmodell
Ein Konfliktmodell entsteht aus einer Haltung, die entweder Naturwissenschaft oder Religion ausklammern oder vereinnahmen will. Solche Modelle führen oft zu heftigen Konflikten.

Naturwissenschaftlicher Materialismus: Diese Sichtweise vertritt die Ansicht, dass die materielle Welt die einzig existierende Wirklichkeit sei (Reduktionismus) und allein von der modernen Naturwissenschaft methodisch korrekt untersucht werde. Der transzendenten Wirklichkeit der Religion wird dabei häufig jede Existenzberechtigung abgesprochen. Vertreter dieser Richtung sind der Astrophysiker Stephen Hawking (*1942) oder der Biologe Richard Dawkins (*1941).

Naturwissenschaftlicher Imperialismus: Im Zusammenhang mit religiösen und spirituellen Erscheinungen und Erfahrungen, wie z.B. Gotteserfahrungen, werden mit Hilfe der Naturwissenschaft Hypothesen formuliert und überprüft. Gott wird in diesem Modell zum Teil anerkannt, erfüllt aber manchmal auch die Rolle eines "Lückenbüßergottes", mit dessen Hilfe naturwissenschaftlich Unerklärbares, z.B. Unendlichkeit, „erklärt“ werden soll. Zu dieser Richtung gehört der Inder Gopi Krishna (1903-1984), der die Biologie auffordert, die Phänomene der Kundalini-Erweckung naturwissenschaftlich zu erforschen. Hierher gehören auch Versuche und Diskussionen, Religion zumindest abstrakt als Stufe der psychischen oder sozialen Entwicklung der Menschheit einzuordnen. Viele klassisch religiöse Begriffe wie z.B. Ewigkeit sind in der Naturwissenschaft nicht definiert und somit nicht Gegenstand der Forschung.

Kirchliche Autorität: Lange Zeit beanspruchte der Vatikan das Recht, das letzte Wort auch im Bereich des naturwissenschaftlichen Wissens zu haben. Zwar erlaubte er früher diesbezügliche Forschungen, schritt aber bei Fragen, die direkt den Wahrheitsgehalt der Bibel oder die Autorität der Kirche in Frage stellen könnten, mehrmals "korrigierend" ein. Bekannte "Fälle" sind Galileo Galilei und der Darwinismus. Diese kirchliche Haltung hat später, v.a. seit dem auslaufenden 19. Jahrhundert und bis heute, seitens mancher naturwissenschaftlichen Vertreter auch zur Ablehung oder sogar zur Auflehnung gegen religiöse Erklärungsmodelle bezüglich der göttlichen bzw. transzendenten Wirklichkeit geführt.

Religiöser Fundamentalismus: Im frühen 20. Jahrhundert entwickelte sich in den USA der religiös-fundamentalistische Kreationismus, der noch heute den naturwissenschaftlich begründeten Darwinismus kritisiert, wodurch ein breites Konfliktpotential entstand, besonders in Nordamerika und Australien. Eine "sanftere" Sichtweise spricht von Intelligent Design, das in der Natur zu erkennen sei und auf einen intelligenten Urheber verweise.

Kontrast- / Koexistenzmodell
Das Koexistenzmodell oder Modell der "Zwei Sprachen" betrachtet Naturwissenschaft und Religion als zwei unabhängige verschiedene Sichtweisen, die sich ergänzen, aber nicht direkt in Übereinstimmung gebracht werden können. Hiernach ist Naturwissenschaft für die Erklärung der realen materiellen Welt zuständig, Religion aber für die transzendentale Wirklichkeit, wobei beide nötig sind, wie der Physiker Albert Einstein (1879-1955) formulierte: "Naturwissenschaft ohne Religion ist lahm, Religion ohne Naturwissenschaft ist blind." (Science without religion is lame, religion without science is blind.).
Hans Küng spricht vom Komplementaritätsmodell und fordert, dass "alle illegitimen Übergänge vermieden werden und alle Verabsolutierungen abglehnt werden". Theologen und Naturwissenschaftler sollten sich gegenseitig kritisch hinterfragen, um so Fehlinterpretationen zu revidieren.

Dialogmodell
Bei Dialogmodellen überschneiden sich Fragen der Naturwissenschaft und der Religion an mehreren Punkten. Fragestellungen werden demnach aus der Sicht der Naturwissenschaft und aus der Sicht der Religion untersucht und die Ergebnisse gegeneinander abgewogen. Dieses Modell von Interaktion zwischen Wissenschaft und Religion ist allgemein wenig verbreitet, gewinnt aber in der Ethikfrage, die sich heute aufgrund des immer größeren Ressentiment weiter Bevölkerungsteilen bezüglich Nuklear- und Gentechnologie, breit macht, an Bedeutung.

Integrationsmodell
Das Integrationsmodell beschreibt neue Ansätze, moderne Erkenntnisse der Naturwissenschaften mit religiösen oder spirituellen und sogar – aber von der Religion meist abgelehnten - esoterischen Meinungen zu vereinen. So gibt es Modelle, die besagen, dass die Schöpfungsgeschichte des 1. Buch Mose (Licht > Pflanze > Tier > Mensch) und der Darwinismus sich gegenseitig bestätigen würden. Besonders in der New Age-Bewegung werden immer wieder neue Modelle entworfen, die Naturwissenschaft und Religion/Spiritualität als ein harmonisches Gebilde zusammenbringen versuchen.
Dem Integrationsmodell zugeordnet werden auch die Evolutionstheologie von Teilhard de Chardin (1881-1955) und die Prozessphilosophie von Alfred North Whitehead (1861-1947).
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Re: Evolution oder Schöpfung

Beitragvon almafan » Fr 23. Feb 2018, 10:54

Was ist Humanismus und wovor hat der Gläubige Angst?

Humanismus ist eine seit dem 19. Jahrhundert gebräuchliche Bezeichnung für verschiedene, teils gegensätzliche geistige Strömungen in diversen historischen Ausformungen, unter denen der Renaissance-Humanismus begriffsbildend herausragt. Gemeinsam ist ihnen eine optimistische Einschätzung der Fähigkeit der Menschheit, zu einer besseren Existenzform zu finden. Es wird ein Gesellschafts- und insbesondere Bildungsideal entworfen, dessen Verwirklichung jedem Menschen die bestmögliche Persönlichkeitsentfaltung ermöglichen soll. Damit verbindet sich Kritik an bestehenden Verhältnissen, die aus humanistischer Sicht diesem Ziel entgegenstehen. Hinsichtlich der konkreten Inhalte bestehen zwischen den einzelnen Humanismuskonzepten große Unterschiede, die sich aus der Verschiedenheit der anthropologischen Grundannahmen ergeben.

Wie Hubert Cancik (Herausgeber des Buches Humanistische Grundbegriffe) beschreibt, ist Humanismus ein "offenes System", dessen "Bestimmungsstücke sehr verschiedenartig sind und keine widerspruchsfreie, abgeschlossene Totalität bilden". So ist Humanismus unter anderem ein "pädagogisches Programm", "ein Teil der antiken und modernen Aufklärung", aber auch "die Grundlage für die Menschenrechte/Menschenwürde und für [h]umanitäre Praxis". Sicher ist es "keine Religion, auch keine "Ersatzreligion" ".

Paul Kurtz erläutert sein Konzept eines säkularen, sozial engagierten Humanismus, der auf einem kritischen wissenschaftlichen Zugang zur Welt basiert: "Das Besondere am Humanismus als Eupraxophie ist, das er die Methoden objektiver Forschung auf alle Lebensbereiche ausdehnen möchte, einschließlich aller religiösen, philosophischen, ethischen und politischen Belange." Dieser auf Erfahrung beruhende Ansatz ist sich der (sich erweiternden) Grenzen wissenschaftlicher Forschungen bewusst. Zudem gibt er nicht den Versuch auf, eine zusammenfassende Sicht geben zu wollen. Zwar gibt es "gegenwärtig keine umfassende Theorie des Universums. Nichtsdestotrotz haben wir kaleidoskopartige Bilder der Natur, die eine wissenschaftliche Grundlage besitzen." Er geht von einem "allgemeinen moralischen Anstand" aus, da "tief verwurzelt in unserer Geschichte als soziobiologische Wesen unsere Möglichkeiten zum moralischen Verhalten angelegt sind". Statt auf "messianische Ideale" setzt er auf Skeptizismus.

Zwar stellen Konfessionslose in Deutschland auf 36 Prozent, aber ein gemeinsames Subjekt bildet sich nicht. Dennoch sind es bisher meist nur "Nichtse". Menschen ohne Religionszugehörigkeit sind von der Forschung bislang weitgehend unbeachtet geblieben. Zudem haben frühere Untersuchungen Menschen mit konfessionsfreien oder areligiösen Lebensauffassungen vor allem über ein vermeintliches "Fehlen" von Religiosität identifiziert. Psychologin Tatjana Schnell leitete eine international vergleichende Studie mit dem Titel "Konfessionsfreie Identitäten" in fünf europäischen Ländern, um dieses Bild etwas gerade zu rücken. Im Rahmen der Studie, die erstmals eingehender die lebensweltlichen Identitäten von Menschen ohne Konfessionszugehörigkeit untersucht, fand bis Ende Dezember 2016 erzeit eine Online-Befragung statt, die sich an Konfessionsfreie richtet und in Deutschland, Österreich, der Schweiz sowie in den Niederlanden und Dänemark durchgeführt wird. Neben Schnell (Uni Innsbruck) sind Wissenschaftler von den Universitäten Leiden und Kopenhagen sowie der Universität für Humanistik im niederländischen Utrecht an der Studie beteiligt.
Das bisherige Bild der Konfessionslosen ist das jener, die sich mit nichts identifizieren, die die sich nicht in den vorgegebenen Identifikationsmöglichkeiten wie Christentum, Islam, Judentum, Buddhismus oder anderen wiederfinden. Auch über das persönliche Erleben der konfessionsfreien Menschen in den verschiedenen Ländern ist noch nichts bekannt. Stehen Wohlbefinden und Gesundheit von Konfessionsfreien mit gesellschaftlicher Anerkennung in Verbindung? Geht eine fehlende Anerkennung auch mit erlebten Vorurteilen und Benachteiligungen einher?

Es liegt im Diskurs mit der gesellschaftlichen Masse auch folgende schwierigere Fragestellung zugrunde: Sollten nichtreligiöse Eltern ihren Kindern religiöse Toleranz vermitteln, indem sie sie an religiöse Dogmen und Legenden heranführen, an die sie selbst nicht glauben?
In "Relax, It’s Just God" geht Autorin Wendy Thomas Russell potentielle Probleme folgendermaßen an: "Angesichts des säkularen Booms in Amerika ist es vielleicht nicht die Religion, über die wir uns Sorgen machen sollten; vielleicht ist es Bigotterie. Als Eltern, die an vorderster Front dieses großartigen Wandels stehen, haben wir die Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass Ungläubigkeit nicht dazu führt, abfällige, herablassende oder verächtliche Kommentare über Menschen zu machen, die keine Bedrohung für uns darstellen. Sich selbst und die eigenen Vorurteile zu kennen, den inneren Zorn zu unterdrücken und ein bisschen Demut zu bewahren, sind die entscheidenden ersten Schritte."

Religiöse Personen bemühen gern den Verweis auf praktizierten Kommunismus und die Nazi-Diktatur, um Folgen des Fehlens von Gottglauben zu verdeutlichen. Es ist ein Scheinargument, denn den Christ verbindet im Grunde mehr mit dem Muslim, als Hitler mit mir. Denn der einzige übereinstimmende, weltanschauliche Punkt ist das Nicht-Glauben an Gott. Wobei auch das Blödsinn ist, war Hitler doch Katholik. Doch es verfehlt die Wirkung nicht, da Atheisten und andere säkularisierte Gruppen immernoch kritisch beäugt. Aber warum eigentlich?

Psychologen von der kanadischen University of British Columbia haben sich mit der Frage befasst, ob und warum Atheisten oder anderen Menschen ohne Glauben an vorherrschende Religionen ein besonderes Misstrauen entgegengebracht wird. "Wo es religiöse Mehrheiten gibt - und das ist in weiten Teilen der Welt der Fall - gehören Atheisten zu den am wenigsten vertrauenswürdigen Personen", so Will Gervais, eine der Autorinnen der Studie mit dem Titel "Do You Believe in Atheists? Distrust is Central to Anti-Atheist Prejudice", die November 2011 im Fachblatt Journal of Personality and Social Psychology veröffentlicht wurde. Da es ungefähr eine halbe Milliarde Atheisten auf der Welt gebe, seien von diesem Vorurteil auch eine Menge Menschen betroffen. Die Antipathien sind auch deshalb verblüffend, da Atheisten keine kohärente, sichtbare oder machtvolle soziale Gruppe sind.
Die Forscher haben im Rahmen von insgesamt sechs Studien 350 amerikanische Erwachsene und rund 420 Studierende in Kanada befragt. In einer Untersuchung sollten Probanden vertrauensunwürdige Personen beurteilen. Dabei verorteten sie Atheisten auf der Skala des Misstrauens auf einer ähnlichen Stufe wie Vergewaltiger. In einer früheren Umfrage hatte sich zudem herausgestellt, dass nur 45 Prozent der Amerikaner für einen nichtreligiösen Präsidenten, sofern er ausreichend gut für das Amt qualifiziert ist, stimmen würden. Dieser nahm damit den letzten Platz in einer Reihe von Kandidaten aus hypothetischen Minderheiten ein.
"Sichtbar gemachter Glaube könnte als Signal für Vertrauenswürdigkeit gelten, vor allem für religiöse Menschen, die an ein besseres Verhalten der Menschen im Fall des Gefühls der göttlichen Beobachtung glauben", so Ara Norenzayan als Ko-Autorin der Studie.
"Die Toren sprechen in ihrem Herzen: "Es ist kein Gott." Sie taugen nichts; ihr Treiben ist ein Gräuel; da ist keiner, der Gutes tut.
- Lutherbibel 1984, Psalm 14,1

Auch der einflussreiche britische Philosoph John Lock lehnt in seinem Brief über die Toleranz die Aufgeschlossenheit gegenüber Atheisten entschieden ab. "Letztlich sind diejenigen ganz und gar nicht zu dulden, die die Existenz Gottes leugnen. Versprechen, Verträge und Eide, die das Band der menschlichen Gesellschaft sind, können keine Geltung für einen Atheisten haben. Gott auch nur in Gedanken wegnehmen, heißt alles auflösen", so Locke.

Grundsätzlich erzeuge Gruppenkooperation Vorteile für die betreffende Gruppe, verlange von ihren Mitgliedern aber kostenintensive Investitionen. Während Erklärungsmodelle über die Gesamtfitness und gegenseitigen Altruismus die Existenz kleiner Gruppen mit gegenseitiger Bekanntschaft der Individuen erklären können, ist die Kooperation von riesigen Gruppen mit großer Anonymität zwischen den Menschen rätselhafter. Eine Reihe von Wissenschaftler argumentiere deshalb, dass Religionen diverse Mechanismen zur Förderung von Kooperation in großen Gruppen entwickelt haben, wobei soziale Kontroll- und Bestrafungssysteme auf die übernatürlichen Präsenzen ausgelagert wurden. Dementsprechend werden die weltweit "erfolgreichsten" Religionen auch von einem beobachtenden, belohnenden und strafenden Charakter gekennzeichnet.
Faktoren, die an übernatürliche Instanzen und religiöse Konzepte erinnern, erhöhen interkulturellen Forschungsergebnissen zufolge die Bereitschaft zur Freiwilligenarbeit, also weniger eigennützigem Engagement, und die Bereitschaft, auch anonymen Personen zu spenden. Das prosoziale Verhalten führe zu Erfolg bei der Verbreitung der Gruppe und dabei würden die jeweiligen Glauben mittransportiert.
Vertrauenswürdigkeit sei laut früheren Studien daher die am meisten geschätzte Eigenschaft, weil kooperatives Verhalten den Individuen vitale Vorteile verschafft und die Deserteure das System in verletzender Weise beeinflussen. Zwischen Menschen mit religiösen Glauben dient diese Religiosität als Zeichen der Vertrauenswürdigkeit. Auch Gruppen unterschiedlicher Religion sind in der Lage, die jeweils bei anderen geltenden Signale aufzugreifen und einzusetzen, weshalb etwa Mormonen auch bei Nichtmormonen aus New York als Kindermädchen beliebt sind und Sihks bei Nicht-Sihks als vertrauenswürdige Geschäftspartner gelten. In wenigen Fällen werde sogar das Bekenntnis zu einer rivalisierenden Gottheit als Zeichen der Vertrauenswürdigkeit gewertet.

Gegenüber Atheisten stelle sich die Lage anders dar. Da Glaube (insbesondere an moralisierende Gottheiten) als Signal für Vertrauenswürdigkeit verwendet wird, drücke das Fehlen nicht nur einen persönlichen Unglauben aus, sondern stelle auch das falsche Signal dar. Im Rahmen prosozialen Religionsverhaltens sei Misstrauen gegenüber Atheisten eine Schlüsselkonsequenz. In den USA glaube einer Untersuchung des Pew-Meinungsforschungszentrums zufolge fast die Hälfte der Menschen, dass Moral ohne Gottglauben unmöglich ist.
Um die ablehnende Haltung gegenüber Atheisten zu verstehen, müsse man daher fragen, als was für eine Gefahr sie betrachtet werden. Auch Ergebnisse der Wissenschaft außerhalb der Evolutionsforschung hätten gezeigt und Belege dafür geliefert, dass unter bestimmten Umständen religiöses Denken gruppeninterne Kooperation und Vertrauen erhöht. Das sei bei Atheisten nicht gewährleistet. Die Verbindung der zwei Perspektiven lege nahe, dass Misstrauen zentrales Motiv für anti-atheistische Vorurteile darstellt.
Während der durchgeführten Untersuchungen zeigte sich nun etwa, dass homosexuelle Menschen vergleichsweise zwar mehr Abscheu als Atheisten auf sich ziehen, aber weniger Misstrauen. Als Probanden in Tests vertrauensunwürdige Personen beschreiben und einschätzen sollten, wurden Christen am seltensten genannt, Muslime etwas häufiger, viele entschieden sich für die Person eines Vergewaltigers und noch mehr für einen Atheisten. Bei der Möglichkeit, eine Darstellung einer kriminellen und vertrauensunwürdigen Person als typisch für einen Juden, eine Feministin oder einen Atheisten einzuschätzen, entschieden sich die Wenigsten für die jüdische Identität, häufiger wurde eine Feministin gemutmaßt und erneut fiel die Zuordnung als Atheist besonders häufig aus.

Deutlich wurde auch, dass sich viele Teilnehmer eher für die Einbindung in soziale Ebenen aussprechen, wo großes Vertrauen keine große Rolle spielt und weniger für eine Einbindung, wenn großes Vertrauen eine große Rolle spielt. Bemerkenswert war schließlich auch, dass sogar Personen ohne konfessionelles Bekenntnis, die Gruppe der nichtreligiösen, ein großes Misstrauen gegenüber Atheisten zeige. Zudem habe sich durchgehend gezeigt, dass Misstrauen gegenüber Atheisten und das Denken an die Rolle übernatürlicher Moralinstanzen Hand in Hand gehen.
Weitere Faktoren sind für die Entstehung von Misstrauen gegenüber Atheisten denkbar, der für die Studie entwickelte Ansatz müsse nicht der einzige zur Erklärung sein. Ein Problem könnte auch sein, dass religiöse Individuen vom Glauben des anderen zu wenig wissen. Während ein Christ gegenüber einem Muslim in der Frage moralischer Normen sich mitunter ein ungefähres Bild mache könnte, bleibe man über Atheisten möglicherweise vollkommen im Unklaren.

Quellenmaterial: http://www2.psych.ubc.ca/~ara/Manuscripts/Gervais%20et%20al-%20Atheist%20Distrust.pdf
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Re: Evolution oder Schöpfung

Beitragvon almafan » Sa 3. Mär 2018, 21:52

Wissenschaft und Kirche

Immer wieder hört man auch heute noch, dass die Kirche der Hort vieler wissenschaftlichen Erkenntnisse war. Prüft man diese Aussage, kommt man aber zu einem ganz anderen Ergebnis.

Mit der Sternkunde im 3. Jahrtausend vor unserer Zeit im alten Sumer und in Babylon begann die Wissenschaft. Durch Beobachtung und Berechnung konnte man Planetenbewegungen vorhersagen, Kalender und Jahreszeiten berechnen. Man sammelte aber auch Erfahrungen in der Heilkunde, vor allem in Ägypten, China und Indien. Diese ersten Erfahrungen gab man meist mündlich an einen ausgewählten Kreis wieder, der damit eine elitäre Stellung einnahm: Priester, Seher, Schamanen.
Doch vieles war Aberglaube und unwissenschaftliche Vermutung. Die Ägypter glaubten, Krankheiten rühren von Dämonen her. Eine Vorstellung, die offenbar auch im Judentum und später dem Christentum Eingang fand (wo es immer noch Exorzisten gibt). Naturereignisse wie Blitz und Donner erklärte man sich, wie den Anfang der Welt: Wenn etwas geschieht, muss jemand dies bewirken. Die Naturkräfte wurden personifiziert. Da diese Dinge aber über den Fähigkeiten der Menschen liegt, muss es ein mächtiges Wesen sein. In der Antike gibt es viele Schöpfungsideen, wie diese Wesen ins Dasein kamen. Aristoteles ging dabei von einem unbewegten Erstbeweger aus, den man heute einfach Gott nennt. Wenn er / sie wütend ist / sind muss mit dem Wertvollsten besänftigt werden: fehlerlose Tiere oder Menschen (auch Kinder) - auch im frühen Judentum (#1).

Im antiken Griechenland kann man die Wurzel der modernen Wissenschaften verorten. Philosophen beschäftigten sich damit, "was die Welt im Innersten zusammenhält". Für Thales (625 - 546 v.u.Z.) war dies das Wasser. Er konnte bereits eine Sonnenfinsternis berechnen. Aber auch falsche Ideen, die sich freilich kaum überprüfen ließen, prägten das Denken der Antike. Die Idee, dass Körper und Seele getrennt werden könnten, taucht bereits in den indischen Upanischaden um 800 v.u.Z. auf und legte damit den Grundstein für zahlreiche Himmel-Hölle-Erzählungen, mit den die jeweiligen Religionen mit einem Kriterienkatalog über Wohl und Wehe der Gläubigen entscheidet. Im Christentum fand dies im Ablasshandel einen unfassbaren Höhepunkt.
Leukip, Demokrit und Epikur entwickelten das Atommodell.
Aristoteles teilte die Wissenschaften in Sparten ein. Eratosthenes erkannte die Kugelgestalt der Erde. Mathematiker wie Euklid, Archimedes, Anaxagoras beweisen allgemeingültige Lehrsätze. Aristarchos von Samos spekulierte, dass die Erde um die Sonne kreist, dagegen lehrten Aristoteles und Ptolemäus, dass die Erde der Mittelpunkt der Welt sei, was sich dann auch fast 2000 Jahre hielt. Das Wissen von Hippokrates und Galenos prägte die Medizin über Jahrhunderte. Auch über Staatstheorie machten sich Philosophen wie Platon und Aristoteles Gedanken. Im 3. Jahrhundert vor unserer Zeit tauchen in der Philosophie der Stoa die Idee der Menschenrechte und die Gleichheit aller Menschen auf. In Athen lebte im 5. Jahrhundert die erste Demokratie, auch wenn Frauen und Sklaven daran nicht beteiligt waren. Herodot und Thukydides wollten die Geschichtswissenschaften auf wahre Tatsachen gründen. Sie sollte weder mystisch verklären, noch, wie so oft in späteren Zeiten, der Verherrlichung von totalitären Weltanschauungen und der Rechtfertigung ihrer Verbrechen dienen.
Parallel zur Philosophie und zur systematischen Naturbeobachtung entwickelte sich das wissenschaftliche Denken. Logik und Mathematik waren Grundlage und Werkzeug der Naturwissenschaften. Bildung stand im Mittelpunkt menschlichen Strebens. Philosophen waren die angesehensten Bürger. Nach Platon sollten sie die Staaten lenken. Schulen und öffentliche Bibliotheken gab es in allen größeren Städten Griechenlands und Roms. "Ohne Schulzwang wurden die meisten Kinder erfasst." (#2) Sokrates und Aristoteles mussten aber auch für ihre Religionskritik mit Schmähung, Vertreibung und Tod von Seiten der Herrschenden rechnen. Viele Denker sind so verfrüht verstorben.
"Zwischen der Akropolis in Athen und dem Kapitol von Rom liegen Europas Wurzeln und nicht im Wüstenstaub Palästinas." (#2)


Dem gegenüber stehen die Buchreligionen, wie Judentum, Christentum und Islam. Diese legten mehr Wert auf das Studium der von Gott geoffenbarten Schriften, als dem Studium der Natur. Durch die Berufung auf Gott wurden die Schriften unantastbar. Alles was es nun zu wissen gab, stand in irgendeinem der heiligen Bücher. Durch das Festhalten an unprüfbaren Überlieferungen, konnte der Regen weder herbei-, noch die Krankheit hinweggebetet werden. Der Glaube taugte nicht, die umgebene Natur zu verstehen oder gar zu beherrschen.
Natürlich gab es in der griechisch-römischen Antike auch falsche Ansichten. Falsche Vorstellungen von der Welt werden aber erst zu einem dauerhaften Problem, wenn man sie für göttliche und unumstößliche Wahrheiten hält, wenn der Glaube an die Autorität das eigene Prüfen, Forschen, Denken und Verbessern verhindert. Symptomatisch dafür steht bereits die Vertreibung aus dem Paradies, die, je nach Lesart, bereits den Wunsch nach Erkenntnis durch eben jene Vertreibung bestraft (1. Mose 3:22-24).
Im Kampf der Israeliten gegen die Völker von Kanaan lest Gott 3 Tage die Sonne still stehen, bis Josuas Armee den Feind geschlagen hat. Auch zur Zeit der Richter steht die Sonne nochmals still. Mit einem heliozentrischen Weltbild schwer zu verbinden, werden diese Machttaten auch heute noch geglaubt, entgegen der wissenschaftlichen Erklärung, dass die einzige Möglichkeit dieses Wunders der Stillstand des Drehimpulses der Erde sein müsste. Durch den Energieerhaltungssatz, der besagt, dass bei ausbleibender Bewegung die Energie anders umgesetzt werden müsste, in der Regel in Wärme und eben jene Wärme durch die Menge der umzusetzenden Bewegungsenergie die Erdkruste verflüssigt und das Erdinnere an allen Orten zeitgleich verkochen lassen müsste, kommt (beim Bibelstudium selbst erlebt), dass man nicht wisse, wie Gott dies angestellt hat.
Das die Buchreligionen zu so vielen Themen der modernen Wissenschaften keine oder falsche Aussagen treffen, spricht gegen göttliche Offenbarung. Aber bis dahin war es ein harter Weg mutiger Männer und Frauen.
Auch Jesus lebte nur in jener Welt voller Geister und Wunder, wie seine Mitmenschen. Heutige Exorzisten können keine Dämonen in Schweineherden verpflanzen und sie in den Abgrund rennen lassen, wie einst Jesus (Mar. 5:13), was den Verdacht nahe legt, dass es sich um eine hübsche Anekdote ohne geschichtlich-historischen Wert handelt. Jedenfalls funktioniert die Welt so nicht.
Jesus war ja nun Endzeitprediger, kein Forscher. Ihn interessierte nicht, wie die Welt funktioniert. Seine Wunder und die Wunder der Propheten vor ihm müssen halt geglaubt werden. Endzeitideen gehören zu den Buchreligionen und verhindern, dass Menschen sich im Diesseits einrichten. Nebenher sind diese, will der Gläubige seine Seele retten, eine ergiebige Geld- und Arbeitskraftquelle.

Zur Perfektion dieser perfiden Machtbestrebungen hat es die katholische Kirche gebracht, die durch den römischen Kaiser Theodosius I. 380 u.Z. mit dem Religionsedikt "Cunctos populos" (#3) zur einzigen Staatsreligion erhoben wurde und somit einer neuen Welle der Verfolgung Andersgläubiger Tür und Tor öffnete. Die letzte Philosophenschule wurde 529 in Athen von Kaiser Justinian geschlossen. Unter ihm kam es 565 zu umfangreichen Bücherverbrennungen. Bibliotheken wurden vernichtet, das blühende Schulsystem der Antike eingestellt, Philosophen (Hypathia) und Gelehrte des "Heidentums" vertrieben und ermordet.
Doch das Volk sollte die Bibel, die ja die Anleitung für das Seelenheil enthielt, nicht lesen. Unmündig wurde das Volk gelassen. Bibelbesitz wurde in einigen Epochen sogar unter Strafe bis hin zum Tod gestellt. Nur wer Latein, griechisch oder hebräisch konnte, bekam eine leise Ahnung davon, was in diesen Büchern stand. Das waren Mönche in Kaderschulen, umgeben von christlichem Propagandamaterial, Bibliotheken genannt. Heidnische Literatur wurde als teuflische Literatur betrachtet, die kein anständiger Christ lesen durfte. Bewahrt wurden dennoch viele Texte, zum Beispiel Platons Seelenlehre.

"Ich will zunichtemachen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen." (1. Kor. 1:18)

Kirchenlehrer Tertullian kommt zu der Einsicht: credo quia absurdum = Ich glaube weil es unvernünftig ist. Ambrosius, Bischof von Mailand, erklärt in einer Trauerrede anlässlich des Todes von Kaiser Theodosius 395 die gesamte Philosophie pauschal zum "Irrwahn". Augustinus meint: "Glaube geht der Erkenntnis voraus." Der tröstlichen Auffassung vom Tod als dem Ende aller Leiden, bei Epikur und Seneca, stellt Augustinus den Tod mit Angst und Schrecken gegenüber.


Die Antworten der Kirchenväter waren unwissend und naiv, weil sie unwissend waren und obendrein bereits bekannte Theorien ignorierten. Geister- und Wunderglauben, Traumdeutung, Aberglauben, Astrologie, Gottesurteile, Weissagungen, Gesundbeten, Hexen- und Ketzerverfolgungen traten an die Stelle antiker Naturphilosophien, die einst das Wissen ihrer Zeit bewahrten. Reliquien-, Wunder-, und Legendenschwindel hielten das Volk in Unwissenheit, Drohungen mit Hölle und Teufel machten es fügsam und halfen dem Klerus, seine Herrschaft aufrecht zu erhalten. Warum sollte man in die Bildung von Untertanen investieren, wo sich doch Ungebildete viel leichter beherrschen lassen?
1163 verbietet Papst Alexander III. allen Klerikern das Studium der Physik. 1380 untersagt ein französischer Parlamentsbeschluss jede Beschäftigung mit Chemie unter Berufung auf ein Dekret von Papst Johann XXII. (#2). Naturkatastrophen galten als Strafen Gottes. Alles Unheil, z.B. Krankheit schrieb man den Sünden und dem Unglauben zu. Man muss nur den richtigen Glauben haben und lange genug beten, damit alles gut wird. Nicht so sehr der rechte Glaube, vielmehr die gehorsame Unterordnung unter die allmächtige Kirche sichert den Weg ins Himmelreich. Alle anderen landen in der Hölle. Nur durch Zwang und Verfolgung konnte dieses Konstrukt aufrecht erhalten werden. Ein von Kaiser und Papst diktierter Glaube, der wenig mit den Lehren des Jesus von Nazareth zu tun hatte, ersetzte die Bildung. Fundamentalismus siegte über die Freiheit des Denkens. Niemand durfte im Mittelalter etwas anderes sein als katholisch. Juden, denen es als Menschen zweiter Klasse meist sehr schlecht ging, hatten eine Sonderrolle. Verfolgt und ausradiert wurden: Arianer, Markioniten, Priscillianer, Pelagianer, Donatisten, Novatianer, Nestorianer, Monophysiten ... und später die Katharer = Albigenser, die Waldenser, die Hugenotten, die Hussiten, die Wiedertäufer und und andere "Ketzer".
Nie zuvor hatte eine Weltanschauung so totale Macht über die Gehirne ausgeübt, wie die katholische Kirche zwischen dem 4. und 16. Jahrhundert in Europa.

Anders sah es in den islamischen Ländern aus: Übersetzerschulen in Bagdad hatten im 8. und 9. Jahrhundert die wichtigsten Texte der Antike ins Arabische übersetzt. Dort war das Kulturgut der Antike besser bewahrt worden, hat damit dem Islam, der alles aufgriff, was in seinen eroberten Gebieten von Nutzen war, eine kulturelle Blüte beschert und von dort fanden Hippokrates, Galenos, Platon, vor allem Aristoteles über Byzanz, das islamische Andalusien / Toledo und Sizilien ins christliche Abendland zurück, zum Beispiel zu Friedrich II. und Albertus Magnus. Nachdem Byzanz 1453 von den Türken erobert worden war, kamen Gelehrte samt ihrer Bücher nach Italien, was die Wiederentdeckung (Renaissance) der Antike im 16. Jahrhundert auslöste. Mit dieser und neuen Naturbeobachtungen folgte der Aufstieg der Wissenschaften und ein Ende der christlichen scholastischen Denkweise. Francis Bacon kommt 1620 zu der Einsicht, dass Wahrheit nicht von Autoritäten herrühre, sondern durch Beobachtung der Natur gewonnen werden muss.

Doch noch war die Kirche in aller Köpfe und der mächtigste Kontrollapperat des Kontinents. Die Ansicht, dass Pest und Cholera nicht Folge göttlicher Strafe sei, sondern den unhygienischen Verhältnissen geschuldet war, wurde heftig bekämpft. Der Halleysche Komet wurde als Vorbote des nahen Weltuntergangs gedeutet, der nur durch päpstlich verordnete Gebete und Glockenläuten in allen Städten abgewendet werden konnte. Der Ausbleib wurde den Gebeten zugesprochen. Die katholische Kirche sträubte sich gegen das heliozentrische Weltbild des Kopernikus, gegen Blitzableiter und die moderne Medizin, da Krankheiten ja aus der Sünde kommen. Kranke mussten zuerst einen Beichtvater aufsuchen, bevor sie einen Arzt konsultierten. Priester konnten angeblich besser heilen als Ärzte. Das Problem waren ja die bösen Geister und das sündige Fleisch, die bekämpft werden mussten, nicht biologische, physionosche und psychologische Probleme.
Seit dem 4. Jahrhundert wurden Andersgläubige durch staatlich unterstützte Institutionen verfolgt, verhört, verurteilt, da Ungehorsam gegen die Kirche, durch den Status der Staatsreligion, auch Ungehorsam gegen den Staat bedeutete, zum Beispiel die Inquisition (lateinisch inquisitio: gerichtliche Untersuchung). Andersdenkende waren in der Regel keine Wissenschaftler, sondern Personen, die religiös abweichende, nicht vollends andere Anschauungen hatten. Erst Giordano Bruno stellte sich nicht nur mit religiösen Zweifeln, sondern mit seinem ganzen Weltbild gegen die Kirche. Die Sterne erklärte er damit, dass sie wie unsere Sonne seien, dass das Universum unendlich sei, dass es eine unendliche Anzahl von Welten gebe und dass diese mit einer unendlichen Anzahl intelligenter Lebewesen bevölkert seien. Die ganze Natur sei beseelt und organisiere sich selbst (Pantheismus). Damit war ein Schöpfergott nicht mehr nötig. Er landete 1600 auf dem Scheiterhaufen.
Die neuzeitliche Wissenschaft setzt mit dem Siegeszug der mathematisch ausgerichteten Physik von Galilei, Kopernikus, Kepler, Newton ein. 1543 starb Kopernikus und überlebte den Druck seines Werkes, in dem seine Lehre, die die Sonne und nicht die Erde im Mittelpunkt des Sonnensystems vorsah, nur um zwei Monate. 1616 wurde sie von der katholischen Kirche verdammt. Galileo Galilei, der sich zu dieser Lehre bekannte, wurde zu dauerhaftem Hausarrest verurteilt und musste abschwören. Die Kirche rehabilitierte ihn immerhin 1992. Auch Johannes Kepler der das heliozentrische System als wissenschaftliche Tatsache vertrat, stieß nicht nur bei der katholischen Kirche, sondern auch bei Keplers protestantischen Vorgesetzten auf erbitterten Widerstand. Denn auf beiden Seiten galten die Lehren von Aristoteles und Ptolemäus als unantastbar. Die Mutter Keplers wurde noch als Hexe angeklagt.

Ab 1559 wurde von Papst Paul IV. der Index librorum prohibitorum herausgegeben (galt in immer neuen Auflagen bis 1966). In diesem Index sind etwa 6000 verbotene Schriften gelistet, die als eine Gefahr für den Glauben und die Sitten galten, deren Besitz unter der Strafe der Exkommunikation stand. Vor allem Schriften von Ketzern, aber auch landessprachliche Bibelübersetzungen sind dort zu finden gewesen, was nahe legt, dass das Volk nicht wissen sollte, was wirklich in dem Buch steht, dass Gott ihnen offenbart hatte. Es finden sich auch zahlreiche Aufklärer und Begründer der modernen Staatstheorie: Montesquieu, Locke, Montaigne, Holbach, Hobbes, Marx, Rousseau, Diderot, Sartre, Voltaire, Machiavelli, Galileo Galilei, Giordano Bruno, Nikolaus Kopernikus, Martin Luther, Immanuel Kant, Heinrich Heine, Spinoza, Descartes, Friedrich II. von Preußen und viele weitere.
1864 verurteilte Pius IX. im Syllabus Errorum (Buch der Irrungen) viele fortschrittliche Ideen, die für uns heute selbstverständlich sind: zum Beispiel Demokratie, Menschenrechte, die freie Wahl der Religion. Bis 1869 hielt man in der katholischen Kirche an der aristotelischen Lehre beziehungsweise Lehre des Thomas von Aquin von der stufenweisen Beseelung fest, wobei der männliche Fötus nach 40 Tagen, der weibliche nach 80 Tagen beseelt sei. Lange hat sich die Kirche gegen die Evolutionslehre Charles Darwins gesträubt, die sie erst 1996 anerkannte. Religionskritische Philosophen wie David Hume, Christian Wolff, Johann Gottlieb Fichte, Auguste Comte, Ludwig Feuerbach, David Friedrich Strauß hatten zu ihrer Zeit kaum Möglichkeiten an einer Universität zu lehren.

. .

Als Begleiterscheinung der durch die Reformation gebrochenen universellen Macht der katholischen Kirche begann eine neue Blüte für die Wissenschaft, kamen die Universitäten (freilich noch unter kirchlicher Leitung), kam die breitere Volksbildung. Die Trennung von Staat und Kirche war ein mühsamer Weg, der nur schrittweise, und bis heute nicht vollendet, begangen wurde. Aber zu welchen Forschungsergebnissen sollte wohl eine Universität kommen, wenn der Papst bestimmt, was herauskommen muss? Die Aufklärung hat nicht umsonst diesen Namen und so sind die meisten Schulen heute staatlich, nicht kirchlich organisiert.

Es steht fest: Die Wissenschaft wird die Religion nicht ersetzen können, weil die Menschen ein starkes Bedürfnis nach Gemeinschaft, Trost und großen Gefühlen haben, die die Wissenschaft nicht bieten kann. Wissenschaft ist lediglich ein Werkzeug, die Welt um uns herum besser zu verstehen und unser Leben mit den erworbenen Kenntnissen zu verbessern. Auch die Wissenschaft kann nicht alle Fragen beantworten: Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Was passiert mit uns nach dem Tod? Warum gibt es etwas und nicht nichts? Warum ist die Welt so und nicht anders? Sind wir frei in dem, was wir tun, oder ist alles vorherbestimmt?

Was lehrt die katholische Kirche heute? Auch wenn offiziell immer mehr Teile der Bibel allegorisch (sinngemäß, aber nicht historisch-real) ausgelegt werden - was einem stillschweigenden Eingeständnis fehlender göttlicher Inspiration der geoffenbarten Schrift gleich kommt - wird nach wie vor an Glaubensätzen, wie dem Sündenfall von Adam und Eva festgehalten, damit auch der Erlösertod Jesu als mächtige Säule der Lehre erhalten bleibt. Doch die Zugeständnisse zeigen offen den leeren Wert der losen Hülsen, die das Glaubensgebäude nicht mehr tragen können und bei näherem Nachfragen in Widersinnigkeiten zusammenbrechen.
Die Erbsünde aber ist der wesentlichste aller monitären Einnahmequellen, die der Kirche über fast 2 Jahrtausende ein Vermögen eingespielt haben, dass jeder moderne Rockefeller vor Neid erblassen muss.
Gott wird einst über uns Gericht halten. Die Rechtgläubigen, das sind natürlich die Katholiken, kommen in den Himmel, die Bösen, das sind vor allem die Falschgläubigen, kommen in die Hölle, davor gibt es das Fegfeuer, dessen Dauer durch Gebete der Angehörigen verkürzt werden kann. Wichtig ist es vor allem, den richtigen katholischen Glauben zu haben, dann werden alle Verbrechen verziehen. Sie müssen nur rechtzeitig gebeichtet werden. Sie glaubt, dass Körper und Seele getrennt werden können und dass die Seele unsterblich ist. Teile dieser Lehren finden sich nicht bei Jesus, dessen Wanderpredigttätigkeit mit der Kirche nicht mehr viel hat.
Sie lehrt die Huldigung des Kreuzes, obschon Gott Götzenverehrung hasst und explizit sagt, man solle sich nicht vor gehauenem Stein und geschnitztem Holz niederwerfen (#4). Sie lehrt, dass Jesus bei der Wandlung von Wein und Brot während der Messe tatsächlich mit seinem Blut und seinem Leib gegenwärtig ist.
Sie glaubt, dass man Fahrzeuge mit Weihwasser vor Unfällen schützen kann, dass von den Knochen der Heiligen eine heilsame Wirkung ausgeht. Sie lässt immer noch vielbeschäftigte Exorzisten böse Geister austreiben, sie lehrt Sex sei eine Sünde, wenn er nicht der Fortpflanzung dient. Sie erzählt von der Jungfrauengeburt des Gottessohnes und dessen Auferstehung am 3. Tag nach der Hinrichtung am Pfahl.

Zwischen 380 und 1300 hat die katholische Kirche die Wissenschaft entschieden bekämpft. Trotzdem sind viele Erkenntnisse der Antike über die angrenzenden muslimischen Reiche und über Byzanz, in das christliche Abendland eingedrungen. Das wissenschaftliche Denken in Europa wurde vor allem durch Francis Bacon geprägt. Nicht den Autoritäten sollte geglaubt werden, sondern dem eigenen Forschen! Wissen ist Macht. Jahrhundertelang mussten wenige mutige Forscher wissenschaftliche Erkenntnisse gegen die Kirchen durchsetzen: Kopernikus, Galilei, Kepler, Darwin. Schließlich ist die Kirche auf den laufenden Zug aufgesprungen, behauptet heute selbst Wissenschaft zu treiben und dass sie schon immer für die Wissenschaft war. Tatsächlich hat sich der Katholizismus immer mit allen verbündet, deren Ziel es war, das Volk in Unmündigkeit zu halten, mit Königen von Gottes Gnaden, mit dem Adel, mit Faschisten, seit neuestem mit dem Islam. Sie will herrschen und nicht aufklären. Dazu braucht sie nicht mündige, sondern unwissende und unmündige Gläubige. Sie ist der Gegner aller Aufklärung und wird sie verhindern, solange sie kann. Solange aber die Mehrheit denkt, die Kirche sei der Ideengeber und Vorreiter vieler wissenschaftlicher Ideen gewesen, bewahrt sie ihre verhängnisvolle Rolle in der Geschichte als Kraft des Guten.

#1 - https://de.wikipedia.org/wiki/Menschenopfer

#2 - Rolf Bergmeier / Schatten über Europa

#3 - https://de.wikipedia.org/wiki/Dreikaiseredikt

#4 - Das ist so, als würde ich ein Replikat der Tatwaffe um meinem Hals tragen, mit der mein bester Kumpel erschossen wurde.
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Re: Evolution oder Schöpfung

Beitragvon almafan » Mi 28. Mär 2018, 17:46

Grundsatzartikel: Zu viele Explosionen - Über die Probleme bei der Vermittlung von Wissenschaft

Chemie scheint im öffentlichen Bild lediglich auf die Frage beschränkt, mit welcher Mischung man den lautesten Rums mit den grellsten Farben machen kann.
Wir haben die letzten 300 Jahre im wesentlichen damit verbracht, Dinge in die Luft zu jagen.
- Andrea Sella, Chemiker, Wissenschaftskommunikator

Natürlich möchte man auch in der als langweilig und öde verschrienen Chemie um die Gunst der Laien werben, aber wenn Wissenschaftsvermittlung bei Explosionen stehen bleibt, verzerrt dies das Bild der dahinterstehenden Wissenschaft, die in den letzten 300 Jahren wesentlich zum modernen Weltbild beigetragen. Ohne Chemie kein Verbrennungsmotor, keine Konserven, kein Porzellan. Bereits durch die Erstnennung des Verbrennungsmotors zeige auch ich, dass Explosionen irgendwie das Zerrbild bestimmen. Chemie ist aber auch immer verknüpft mit den "großen Fragen". Wie entstand das Leben? Was passiert im Inneren der Sterne?

In dem folgenden Video beginnt auch der zitierte Andrea Sella mit einer Explosion, nutzt diese aber als Aufhänger, um das grundlegende Problem bei der öffentlichen Darstellung der Chemie anzusprechen.



Viele astronomische Fragen sind immer auch Fragen der Chemie. Wenn wir also nach extraterrestrischen Lebewesen suchen und die Ergebnisse der Viking-Sonden vom Mars analysieren, betreiben wir Chemie. Wenn wir wissen wollen, was Leben ist und wie es entsteht (oder entstanden ist), werden wir ohne Chemie nicht weiter kommen. Und wieder zeigt sich, dass Wissenschaften nicht hermetisch von einander getrennt sind. Chemie zeigt uns die Verbindung zwischen der belebten und unbelebten Materie, wie Sella erklärt. Sie bildet eine Brücke zwischen Physik und Biologie.


Nontrivial Subfield - Nichttriviale Unterrubrik

Das Wort "Chemie" ist aber zu einem Schimpfwort geworden. Nur Dinge "ohne Chemie" sind gut, gesund und menschenfreundlich. Wenn irgendwo "Chemie drin ist", dann sollte man besser die Finger davon lassen.
Chemie in der Schule besteht aus dem Auswendiglernen des Periodensystems und dem hantieren von Formeln. Zu selten geht es um die Geschichte dahinter, zu selten um die Bedeutung für uns. Chemie hat heute ein Nischendasein in der Öffentlichkeit. Es ist dieser Zahlenwust neben der Astronomie und der Teilchenphysik. Und da es kaum populärwissenschaftliche Bücher über diese Nische gibt, wie in den genannten Bereichen, wird sich vorerst nichts dran ändern. Jedesmal wenn ich irgendwo auf die Chemie stoße - zum Beispiel bei der Recherche zu astrobiologischen Themen, wo die Chemie natürlich ebenfalls eine wichtige Rolle spielt - ärgere ich mich enorm, dass ich so wenig davon verstehe. Für ein Studium all der Fachbücher fehlt mir die Zeit. Es fehlt eben an populärwissenschaftlichen Informationsquellen, wie in anderen Disziplinen.

Chemie ist zum Beispiel äußerst wichtig für die Entwicklung von Medikamenten. Verdeutlichen will ich dies an Impfstoffen und Heilmitteln gegen Hebatitis.
Hepatitis ist ganz allgemein eine Erkrankung der Leber. Es gibt bakterielle Krankheiten, aber am häufigsten kommen Virusinfektionen vor.

Viren kurz erklärt: Viren sind sehr viel kleiner als Bakterien. Im Gegensatz zu Bakterien sind Viren sehr wahrscheinlich nicht lebendig. Es sind nur Moleküle (DNA/RNA in einer Proteinhülle), die so angeordnet sind dass sie in eine Zelle eindringen und diese dazu bringen, Kopien des Virus anzufertigen. Dabei überlebt die Zelle in der Regel nicht. Um die Viren selbst zu zerstören, gibt es bisher kein Mittel.

Man unterscheidet bei Hepatitisviren zwischen A, B, C, D, E.

A und B sind akute Krankheiten, für die es jedoch Impfstoffe gibt. D kommt nur vor, wenn B ausgebrochen ist, kann also durch Impfung verhindert werden. E kommt selten vor. Seit 2012 wird hierfür in China ein neuer Impfstoff gestest.
Bleibt Hepatitis C, der als sehr gefährlich gilt. Hierfür gab und gibt es keine Impfung. Die Krankheit ist chronisch. Bis zu 170 Millionen Menschen weltweit tragen die Viren in sich. Nach 15 bis 30 Jahren ist die Leber so geschädigt, dass sie sich nicht mehr erholen kann (Leberzirrhose), oder es entsteht Leberkrebs.
2013 wurden Studien für einen neuen Wirkstoff, Sofosbuvir, durchgeführt. Zusammen mit dem bereits vorhandenen Ribavirin konnten die Viren weitgehend nebenwirkungsfrei in 12-24 Wochen um bis zu 90% reduziert werden. Es wird inzwischen daran geforscht, Ribavirin durch andere Stoffe zu ersetzen, die noch besser wirken.
Wie funktioniert das? Sowohl Sofosbuvir als auch Ribavirin sind Virostatika, dass heißt sie verhindern, dass sich der Virus weiter verbreitet. Beide wirken so: Das Virus dringt zwar in die Zelle ein, aber der Prozess, der die neuen Viruskomponenten aufbauen (synthetisieren) soll, wird durch die Medikamentenwirkstoffe gestört. Beim Hepatitis C Virus ist das NS5B Protein dafür verantwortlich, die RNA des Virus zu kopieren. Sofosbovir wirkt als fehlerbehafteter Baustoff und blockiert das NS5B. Der Virus wird nicht weiter kopiert.
Sofosbuvir ist über ein beschleunigtes Zulassungsverfahren seit Januar 2014 in Deutschland zulässig, seit Mai 2017 der ganz neue Wirkstoff Simeprevir. Später kommen vermutlich noch weitere hinzu. Je nach Variante (Genotyp) des Virus stehen dann verschiedene Behandlungsmethoden und Wirkstoffe zur Verfügung. Möglicherweise wird es jetzt möglich sein, das Virus endlich zu besiegen.

Für viele Menschen sind Wissenschaften aber generell unverständlich oder auf das Ergebnis beschränkt. Es muss aber nicht einmal das Fachchinesisch sein, dass für Verwirrung sorgt. Wie einst schon erwähnt, reicht auch der einfache Begriff "Theorie" aus um unwissend oder mutwillig durch Falschinterpretation die falschen Schlüsse zur Untermauerung seines Glaubenshauses zu verwenden.

Die Theorie ist eine Vorstellung, die man hat und die noch zu beweisen ist. In der Praxis beweist sich diese Theorie dann im täglichen Leben. Richtig?
Wenn eine Theorie nicht bewiesen oder sie nicht geeignet ist zur praktischen Umsetzung, dann wird sie häufig grau. Sie ist farblos, leblos, ein reines Gedankenkonstrukt, das man nicht umsetzen kann. Die Wikipedia hat dazu eine schöne Definition:
Eine Theorie ist ein System von Aussagen, das dazu dient, Ausschnitte der Realität zu beschreiben beziehungsweise zu erklären und Prognosen über die Zukunft zu erstellen.

So verwenden Kreationisten beispielsweise den Begriff nicht, um die Evolutionstheorie in Misskredit zu bringen. Sie sei eine Theorie und durch nichts zu beweisen, weshalb sie ja eben nur eine Theorie sei. Oft ergänzt um die Unfehlbarkeit der jeweils hochgehaltenen Heiligen Schriften.
Viele, deren Wissen über Wissenschaftstheorie im Bereich einer Nulllinie liegt, nicken dann und sagen: "Das klingt logisch."
Mein Wissen liegt selbst nur knapp oberhalb dieser gedanklichen Linie. Ich bin kein Wissenschaftler, war nie auf einer Universität. Ich habe mir alles angelesen, habe daraus selber Schlüsse gezogen und bin mir bewusst, dass ich viele Lücken habe.
Allerdings brauche ich nur einen Satz um den Unterschied in der Definition des Wortes "Theorie" klar zu machen: Die wissenschaftliche Theorie unterliegt ständiger, öffentlicher Prüfung. Theorien, die als etabliert gelten, sind durch so viele Bestätigungen abgesichert und immer und immer wieder von den verschiedensten Menschen geprüft worden, dass sie als gesichert gelten können.

Viel zu selten kommt in der breiten Allgemeinheit an, wie wissenschaftliche Daten erarbeitet werden, worauf sich Theorien begründen.

Es geht nicht um Indoktrination, wenn beispielsweise die Evolutionstheorie in Schulen gelehrt wird, sondern um die naturalistische Antwort auf die Frage, wo Leben her kommt und wie es das wurde, was wir heute sehen. Indoktrinieren muss nur, wer seine wahren Absichten verschleiert. Was verschleiern also Wissenschaftler, Professoren und Lehrer? Und warum?

Weitere Literatur:
Warum die klügsten Köpfe Deutschland verlassen
http://www.welt.de/debatte/kommentare/article126487997/Warum-die-besten-Koepfe-Deutschland-verlassen.html
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"If the biggest problem that you're having in the twenty-first century involves
what other people's genitals look like, and what they're doing with those genitals
in the presence of other consenting adults, you may need to reevaluate your
priorities." - Forrest Valkai


("Wenn das größte Problem, das du im 21. Jahrhundert hast, darin besteht, wie
anderer Leute Genitalien aussehen und was diese damit in Gegenwart anderer
Erwachsener mit deren Einverständnis machen, musst du möglicherweise deine
Prioritäten neu bewerten.")

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