Der Fall Charles Robert Darwin gegen GottZuviel Fernsehen ist nicht gesund, daher folgt ein Text.
Fangen wir ganz einfach an:
Gibt es diesen Fall überhaupt?
Gibt es Darwin gegen Gott?
In zeitgenössischen Karikaturen wurde Charles Darwin oft als Affe dargestellt. Eine scheinbar legitime Vorgehensweise, wenn man sich intellektuell nicht zu helfen weiß.
Darwins Werk "Die Entstehung der Arten" erschütterte das Weltbild des Menschen. Seit Jahrtausenden wird erzählt und auch verinnerlicht, man sei eine gottgewollte, von den übrigen Wesen abgegrenzte Schöpfung. Die Bibel spricht davon, dass der Mensch im Bilde Gottes erschaffen wurde (1. Mose 1:27). Und zack: Jetzt ist er zum haarlosen Affen degradiert, der nicht mal richtig klettern kann. Von Tarzan mal abgesehen.
Für viele ist das die größte Beleidigung. Schwerwiegender als der Stoß aus dem Zentrum des Universums, wie Kopernikus, Galileo und Kepler es propagierten.
Bereits im Sommer 1837 zeichnete Darwin eine Art Stammbaum des Lebens, der bereits Grundzüge der berühmten Theorie zeigt.Schon als Kind verbrachte Darwin seine Zeit in Shrewsbury bei Birmingham am liebsten mit dem Sammeln von Mineralien und dem Beobachten von Pflanzen und Tieren. Nach dem Abbruch eines Medizinstudiums wechselte er auf Drängen seines Vaters zur Theologie, doch nebenbei beschäftigte er sich weiter intensiv mit naturwissenschaftlichen Themen.
Im Dezember 1831 startete Darwin die von ihm bereits langersehnte Forschungsreise auf dem Vermessungsschiff "HMS Beagle", auf der er erste Bruchstücke der Erkenntnisse sammelte, die er später zu seiner Evolutionstheorie zusammenfügte. Die Reise führte ihn fast fünf Jahre lang unter anderem nach Südamerika, zu den Galapagos-Inseln und nach Neuseeland. Der detailversessene Jungforscher sammelte massenhaft geologische, zoologische und fossile Proben, seine Notizen umfassten am Ende weit über 1.000 Seiten.
Nach und nach etablierte er sich als Wissenschaftler mit Büchern zu seinen geologischen Entdeckungen.
Waren individuelle Besonderheiten einer Pflanzenart, die bei regelmäßigem Auftreten als Varietät bezeichnet wurden, wirklich das "Lustspiel eines Schöpfers", wie es noch sein botanischer Mentor John Stevens Henslow (1796-1861) zu erklären versuchte?
Er erkannte die Zusammenhänge. Während Carl von Linne (1707-1778) die bis heute gültigen Grundlagen von Systematik und Taxonomie entwickelte, verstand Darwin "wie unendlich verwickelt und eng verknüpft die Beziehungen der Lebewesen zueinander und zu den äußeren Lebensbedingungen sind". Nur ein Zusammenhang blieb Darwin noch verborgen. Er musste für sich einräumen: "Die Gesetze, denen die Vererbung unterliegt, sind größtenteils unbekannt." Aber zur gleichen Zeit, als "Die Entstehung der Arten" erschien, kreuzte Gregor Mendel (1822-1884, mährisch-österreichischer Priester des Augustinerordens) im Kloster Altbrünn (heute im tschechischen Brno) verschiedene Varietäten von Erbsen und entdeckte so die Grundprinzipien der Vererbung.
Auch 160 Jahre nach dem Erscheinen von Darwins Hauptwerk ist die Arbeit der Naturforscher nicht zu Ende.
Die Debatte über diesen Mann und seine Idee der Entwicklung der Arten geht aber weit über die Evolutionsbiologie hinaus.
Darwin hat gezeigt, dass der Mensch nicht das Zentrum der Schöpfung ist und schon gar nicht ihr Zweck. Seine Theorie betrachten viele als die größte Beleidigung überhaupt. Nicht nur für uns, sondern - und das wiegt noch schlimmer - auch für Gott.
Freud schrieb, sie zerstöre unsere „narzisstische Illusion“. Wie wollen wir eine Sonderstellung in der Natur behaupten, wenn wir von affenähnlicjen Vorfahren abstammen? Wie, wenn wir das Ergebnis eines ungerichteten und ziellosen, mithin also blinden Evolutionsprozesses sind?
Darwins Theorie bietet nicht nur bis heute eine plausible und naturwissenschaftliche Erklärung für die biologische Vielfalt in der Natur und die Stellung des Menschen darin. Er hat einen Wandel der Weltsicht angestoßen, mit unüberschaubaren philosophischen Auswirkungen. Nicht nur im viktorianischen England galt dies als Gotteslästerung. Deshalb erregt Darwin bis heute die Gemüter.
Es wird gegenüber gestellt: Kirche und Wissenschaft. Was will ich sein? Was will ich glauben? Bin ich ein gewolltes Kind eines liebevollen Gottes oder das zufällige Produkt eines blinden Idioten namens Natur?
Im westlichen Kulturkreis entscheiden sich nach wie vor 1/4 bis 1/2 aller Menschen für das erste Bild. Entweder in der Gestalt, dass Gott alles so erschaffen hat, wie es heute ist oder dass Gott sich der Evolution bedient.
"Ich fühle aufs Allertiefste, dass der ganze Gegenstand zu tief ist für den menschlichen Intellekt", schrieb Charles Darwin im Mai 1860. "Ein Hund könnte ebenso gut über den Geist Newtons spekulieren. Lasst einen jeden Menschen hoffen und glauben, was er kann."
Heute sieht man immer klarer, dass es nicht darum geht, sich entscheiden zu müssen, ob der Vorfahre ein "Affe" oder Adam war. Vielmehr sind immer mehr Menschen davon überzeugt, dass dies gar keine gleichberechtigten Alternativen sind. Und das wohl zu Recht.
Für die Naturwissenschaft ist Gott prinzipiell entzogen und damit auch nicht wirklich interessant. Kein naturwissenschaftliches Phänomen ist dadurch besser erklärbar, dass man die Lösung Gott nennt. Die Evolutionstheorie ist Teil der Naturforschung und kann nur innerhalb dieser Grenzen beurteilt werden. Anders ausgedrückt: Religion und Wissenschaft sind zwei getrennte Welten. Es gibt eine erfassbare Welt und eine "geglaubte". Solange sich Kirchen auf die biblische Schöpfungserzählung berufen, müssen sie sich auch daran messen lassen, wie sich dies mit naturwissenschaftlich feststellbaren Fakten und Theorien vereinbaren lässt. Für Naturwissenschaftler besteht gar kein disziplinäres Interesse an einer solchen Vereinigung. Bei der Betrachtung der Evolutionstheorie sollte es daher seltener werden, den Widerspruch Darwin / Gott zu propagieren, als vielmehr darum nachvollziehbare Forschung zu betreiben. Darwin hat uns von der Annahme eines Schöpfers emanzipiert.
Es ist leichter neue Wahrheiten zu entdecken, als sie zur allgemeinen Anerkennung zu bringen.
- Jean-Baptiste de Lamarck, 1744-1829,
französischer Botaniker, Zoologe und Entwicklungsbiologe)
Die Theorie der natürlichen Auslese und Zuchtbildung hat Generationen von Naturforschern geprägt und gilt als eine der bedeutsamsten Ideen der abendländischen Kultur, die eine in sich geschlossene Weltanschauung präsentiert.
Doch kaum ein anderer Naturforscher wird so grundlegend missverstanden wie Darwin. Oft wird er auf die Worte "survival of the fittest" reduziert, die noch nicht mal von ihm stammen, sondern von Herbert Spencer (1820-1903, englischer Philosoph und Soziologe).
Dieser war auch der erste, der die Evolutionsprozesse auf die Gesellschaft anwandte und damit die Vorstufen des Sozialdarwinismus schuf. Aber zur Übertragung auf menschliche Sozialsysteme taugt Darwins Selektionstheorie nicht. Sie macht keine moralischen Vorgaben und liefert keine Gebrauchsanweisung für den Menschen, soziale Ungerechtigkeit als naturgegeben rechtfertigen zu wollen. Der klassische naturalistische Fehlschluss ist es, aus der Natur auf menschliche Normen und Werte zu schließen. Die Natur schreibt nicht vor, wie wir uns verhalten sollen. Sie sagt uns nicht einmal, was wir lassen sollten.
Wie gern, schrieb Darwin einmal an seinen Freund Hooker, lebte er noch 20 Jahre, um seine Theorie verbessern und modifizieren zu können. 20 Jahre hätten wohl nicht gereicht. Immerhin: "Es ist ein Anfang, und das bereits zählt etwas!", schrieb Darwin und wusste doch: "Es wird ein langer Kampf werden, noch lange nachdem wir tot und vergangen sind."
Wie recht er hatte: Seine auf naturwissenschaftlichen Fakten fußende Theorie der Evolution setzte sich erst im 20.Jahrhundert in weiten Kreisen der westlichen Welt durch.
Erweitert wurde diese Theorie aus Erkenntnissen der Paläontologie, der Genetik und der Biosystematik in den 30ern und 40ern.
In dieser modernen Fassung eint Darwins Theorie die gesamten Lebenswissenschaften, also sämtliche biologische Disziplinen inklusive der Medizin.
Nichts in der Biologie gibt Sinn, außer im Lichte der Evolution.
- Theodosius Dobzhansky (1900-1975,
russisch-US-amerikanischer Genetiker, Zoologe und Evolutionsbiologe)
Die simpelste, Demut lehrende Botschaft, ist: Das Leben auf der Erde hat sich autonom und ohne göttliches Zutun entwickelt.
Deshalb ist die auf ihn zurückgehende Evolutionstheorie das am tiefsten greifende und machtvollste Gedankengebäude, das in den letzten 200 Jahren erdacht wurde.
Von der Bibel abgesehen, dürfte wohl kein anderes Buch als Darwins "Über die Entstehung der Arten" einen größeren Einfluss auf das Denken in der westlichen Welt gehabt haben. Und wohl kein zweiter Naturforscher dürfte je einen derart bleibenden Beitrag zu einer derart breit gefächerten Wissenschaftsdisziplin geliefert haben wie Darwin zur Biologie.
Darwin ist für die Biologie das, was Newton und Einstein für die Physik sind und Kopernikus und Kepler für die Astronomie. Er gehört zu den ganz großen Namen der Geschichte.
Katalogisiert sind etwa 1-1,5 Millionen Arten, von denen ca. die Hälfte Pflanzen sind und weiterer großer Teil Insekten. Vermutlich gibt es heute aber über 20 Millionen rezente Arten und wer weiß wie viele fossile.
Damit bleibt auch heute gültig, was Darwin in seinem Jubiläumswerk geschrieben hat, dass nämlich "bei der Entstehung der Arten noch vieles ungeklärt bleibt; wir müssen unsere große Unwissenheit hinsichtlich der gegenseitigen Beziehungen der heutigen und noch mehr der früheren Erdenbewohner offen bekennen."
Der letzte Satz in Darwins Werk liest sich heute wie eine Antwort auf die Kreationisten, die am wörtlichen Verständnis der Schöpfungsgeschichte des Alten Testaments festhalten:
Es ist eine erhabene Idee, dass der Schöpfer den Keim alles Lebens, das uns umgibt, nur wenigen oder gar nur einer einzigen Form eingehaucht hat und dass [...] aus einem so schlichten Anfang eine unendliche Zahl der schönsten und wunderbarsten Formen entstand und noch weiter entsteht.
Folgendes muss man sich vor Augen führen:
Ausgerechnet ein studierter Theologe (Darwin) hat die Schöpfungsgeschichte entzaubert. Mithilfe des Sohnes eines Priesters (Linne) und eines Augustiner-Ordensbruders (Mendel).
Albert Einstein mag zwar als Person und mit seiner Formel E=mc² viel präsenter sein als Charles Darwin. Aber wer macht sich denn schon Gedanken über die Relativitätstheorie? Wen kümmert denn genau ihr Inhalt? Die Evolutionstheorie hingegen drang schon von ihrer Veröffentlichung weit über die Grenzen der biologischen oder naturwissenschaftlichen Forschung hinaus und beschäftigte Menschen fast aller Schichten. Für nicht wenige im 19. Jahrhundert lieferte sie eine Art biologische Begründung der kapitalistischen Ordnung. Und in den inzwischen fast 160 Jahren, die die Evolutionstheorie in der Welt ist, war sie Auslöser für viele Fragen, wichtige Fragen, die uns bis heute beschäftigen: Was ist der Mensch? Wohin entwickelt er sich? Wohin soll er sich entwickeln? Auch die Frage, welche Rolle der Naturwissenschaft in der Gesellschaft zukommen soll, wird ausgehend von der Evolutionstheorie diskutiert.
Kommt im Werbeslogan das Wort Evolution vor, weiß jeder sogleich, dass das beworbene Produkt das Neueste und Beste sein soll. Hier ist von der Theorie natürlich nicht viel mehr als das Wort und die Idee einer Entwicklung übrig geblieben, die obendrein allein als Fortschrittsentwicklung gedacht wird. Dort, wo kaum oder kein Wissen oder Interesse für die Sache besteht, können religiöse Fundamentalisten darauf hoffen, mit ihren Behauptungen von den angeblichen Irrtümern der Evolutionstheorie zu punkten. Dazu ziehen sie sich oft auf Leugnung der wesentlichen Annahmen nach Darwin zurück - oder auf ungeklärte Detailfragen, die in einen falschen Zusammenhang gestellt werden.
Wer im Internet nach Antworten auf solche Detailfragen sucht, landet schnell auf Seiten von Leuten, die einem klarmachen wollen, warum Evolution nicht stattgefunden hat.
Die Kreationisten sind zwar sehr aktiv, wenn es darum geht, ihre Anschauungen unter die Leute zu bringen. Und natürlich fragt man sich, wie es sein kann, dass ein ganzes "Creation Museum" gebaut wird wie im US-Bundesstaat Kentucky, in dem vermittelt wird, dass die Erde erst 6000 Jahre alt sein soll. Aber die gute Nachricht ist doch, dass die seriösen Wissenschaftler mittlerweile erkannt haben, dass sie dagegenhalten und gleichermaßen präsent sein müssen. Und so gibt es auch viele gute und allgemein verständliche Darstellungen der Evolution, im Internet, in Bildungssendungen des Fernsehens, in Schulbüchern. Wer sich da informiert und sich die Punkte mit gesundem Menschenverstand betrachtet, braucht den Kreationisten wirklich nicht zu glauben.
(Dieses Thema hat einen Sprung hingelegt (8516 Klicks) und holt damit Chuck Norris (8526 Klicks) in den nächsten Tagen ein.)