Rezension: Michael Schmidt-Salomon: Susi Neunmalklug erklärt die Evolution (mit Video)
Das Buch ist am 1. Februar 2009 erschien und war kurzzeitig heiß in der Diskussion. Also in meiner Internetbubble. Der Rest der Welt wird es vermutlich gar nicht wahrgenommen haben.
Auf 40 Kinderbuchseiten in annähernd A5 wird der damals aktuelle Wissenstand zum Thema "Entstehung der Welt und des Menschen" erläutert. So zumindest das Credo des Buches.
Die Autoren Michael Schmidt-Salomon (Text) und Helge Nyncke (Grafik) sind schon durch ihr Werk "Wo bitte gehts zu Gott, fragte das kleine Ferkel" aufgefallen. Auch in "Susi Neunmalklug erklärt die Evolution" widmen sie sich wieder dem Thema Religion. Passend zum Thread hier - ich würde es sonst woanders posten - geht es in diesem Buch um den Konflikt zwischen Kreationismus und Evolutionstheorie.

Quelle: Bücher.de (direkt zum Buch)
Verlag: Alibri
Seitenzahl: 40
Altersempfehlung: ab 10 Jahren
Erscheinungstermin: Februar 2009 (1. Auflage in Deutsch)
ISBN-13: 9783865690531
ISBN-10: 386569053X
Mit folgendem Text wurde sie Susi damals beworben:
Den Buchinhalt kann uns Susi ja gleich selbst zusammenfassen:
Susi Neunmalklug erklärt die Evolution | Giordano-Bruno-Stiftung
https://m.youtube.com/watch?v=X-j3I4kjHWI
Aber ich schreibe hier trotzdem noch einmal für die Nichtschauer an, um was es in dem Buch geht:
Der Lehrer Herr Hempelmann kommt eines Tages in die Klasse und erklärt den Kindern die Entstehung der Welt, ganz so wie sie in der Bibel steht. Er beendet seinen Vortrag mit: "Deshalb liebe Kinder, dankt Gott dem Herrn! [...] Alles, was in dieser Welt ist, kommt von ihm!"
Danach folgt auf 15 Seiten Susis Erklärung. Sie leitet diese wie folgt ein:
Sie beginnt beim Urknall und der Entstehung der Sterne, der Sonne und der Erde. Kurz wird erklärt, wie sich die frühe Erde so weit entwickelte, dass dort die ersten Lebewesen entstehen konnten. Ein weiterer Abriss zeigt wie aus den Landlebewesen die Dinosaurier wurden, wie diese dann ausgestorben seinen und wie wichtig die Rolle dieses Massensterbens für die Entwicklung der Säugetiere war. Ihre Aufzählung endet mit der menschlichen Evolution von den ersten Ur-Primaten bis hin zum modernen Mensch. Sie schließt ihr Plädoyer mit folgenden Worten:
Herr Hempelmann gibt zu, dass das alles so gewesen sein könnte, kontert aber mit einem oft gehörten Einwand. Vielleicht war es ja Gott, der sich darum gekümmert hat, dass die allerersten Lebewesen in der Ursuppe entstanden. Immerhin ist die Frage der ersten Entstehung des Lebens von der Wissenschaft noch nicht abschließend geklärt.
Susi erwidert, dass es ein ziemlich bescheuerter Weg wäre, erst Unmengen von Tieren zu erschaffen und diese dann wieder auszurotten, damit am Ende die Artenvielfalt steht, die wir heute sehen, inklusive des Menschen.
Ein weiterer Einwand des Lehrers, dass dieses Fressen und Gefressen werden ein düsteres Bild vom Leben schafft und es doch viel schöner ist, "an einen Gott zu glauben, der alles gut gemacht hat.", wird ebenso abgeschmettert. Susi erklärt, Wunschdenken erzeugt noch lange keine Realität. Und die Welt, die Gott angeblich so "gut gemacht" hat, erweist sich bei näherer Betrachtung für viele Menschen als nicht wirklich so toll. Susis Fazit ist dementsprechend vernichtend:
Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen!
Es gibt dennoch ein Für und Wider.
Das Buch an sich ist erstmal okay. Es wurde im Buch nicht explizit angegeben, für welche Zielgruppe es geschrieben ist. Meiner persönlichen Einschätzung nach soll es wohl für Grundschüler bis ca. 10 Jahre sein. Älteren Kindern kann und sollte man durchaus an ausführlichere Sachbücher über Evolution und Wissenschaft insgesamt heranführen. Das kann nie schaden. Vermutlich begreifen aber auch schon Jüngere viel mehr, als man ihnen allgemein zutraut. Mein Sohn kann alle Planeten in Reihenfolge aufsagen und weiß einige bemerkenswerte und herausragende Eigenschaften von jedem dieser Himmelskörper. Er begeistert sich für geometrische Formen und Mathematik und eine seiner Lieblingsseiten in seinem Wissensbuch ist die Doppelseite mit dem Periodensystem. Aber das muss ja nicht auf jeden 7-jährigen zutreffen.
Für 1.-4.-Klässler ist der Inhalt des Buches ausreichend. Für eine Argumentationsgrundlage mit eingefleischten Kreationisten würde ich mich dennoch nicht auf dieses Buch stützen. Verständlicherweise.
Es ist nicht mehr als ein ganz grundlegender, vereinfachter Einstieg in die Evolutionstheorie (nicht -forschung). Es kann aufgrund des Umfangs nichts weiter als das sein.
Gehen wir dennoch auf einige argumentative Mängel ein.
Fehlende Quellen
Das Buch führt keine Belegstellen an. Das ist zwar für ein Kinderbuch normal, kann aber als Angriffsfläche für jene dienen, die den Schreibern tendenziöse und voreingenommene Beweggründe unterstellen. Ich habe im Netz auch keine wissenschaftliche Besprechnung zu diesem Buch gefunden. Ich gehe auch davon aus, dass ein Kinderbuch, dafür ein wenig geeignetes Feld ist.
Präsentation
Was aber definitiv negativ auffällt, ist die Art der kleinen Göre.
In einer sehr überheblichen Art wird sowohl sie als Figur vorgestellt, als auch ihre Erklärung. Aufgrund des Fehlens von Quellen, was man wie gesagt, beim Umfang eines Kinderbuches nicht erwarten kann und sollte, wirkt ihre Aufklärung nicht weniger obrigkeitshörig, wie die des Lehrers. Nur die Autoritäten wechseln. Ich habe so ein ungutes Gefühl, es gehe hier leider nur um Kreationisten-Bashing. Und der Lehrer ist hier das zu demütigende Opfer. Für den unbedarften Leser tritt hier lediglich ein Weltbild gegen das andere an.
Sprich: Netter Ansatz, aber die Methodik ist zweifelhaft.
Die Bibelexegese hat sich weitgehend an den wissenschaftlichen Forschungsstand angepasst, Adam und Eva werden in den mit Abstand meisten Fällen als Metaphern gelesen. Gleiches trifft für viele andere Teile der Bibel zu. Vielleicht ist das, was mich am meisten an der Kontroverse Evolution oder Schöpfung stört: Das Bild der Gesellschaft und der Schule, das dort erfunden wird, hat mit der gegenwärtigen Realität nichts zu tun. Möglicherweise werden Kreationisten Land gewinnen und dann wäre es notwendig, dass Kinder bzw. Menschen generell in der Lage sind, die argumentativen Schwachstellen zu erkennen und sie zu kritisieren, statt die gleichen Methoden anzuwenden. Man muss sich nicht mit allem sachlich auseinandersetzen, aber man sollte dazu in der Lage sein.
Ob und welcher institutionalisierten Glaubenrichtung der Lehrer angehört, wird nicht erwähnt. Klar ist aber, er stützt sich auf die Bibel. Mehr noch, er vertritt ganz offen den Kurzzeitkreationismus. Ziel des Buches ist es vermutlich nicht, sich über den christlichen Glauben lustig zu machen. Aber es passiert dann halt leider doch.
Es geht darum, dass ein Lehrer den Kindern eine religiöse Weltsicht als wissenschaftliche Erklärung präsentiert. Davon sind wir in Deutschland glücklicherweise mehrheitlich entfernt. Natürlich kann auch meine Äußerung hier als Wertung gesehen werden. Und ich finde es gut, dass Susi völlig zu Recht gegen diese Erklärung vorgeht. Manche werden sich daran stören und haben sich bereits daran gestört, dass Susi die Ansicht des Lehrers als dumm bezeichnet. Aber soweit ich mich mit dem Thema Kreationismus beschäftigt habe, fällt mir im Moment kein Adjektiv ein, dass besser passen könnte. Naiv, vielleicht.
Ockams Rasiermesser
Als der Lehrer sagt, die Evolution sei vielleicht durch Gott gesteuert, erwidert Susi ja mit der Unnötigkeit erst Tiere zu erschaffen, diese aussterben zu lassen, um aus den Tieren Stück für Stück unsere heutige Flora und Fauna zu bilden, sei sehr aufwendig und eben nicht weise.
Aber das muss nicht zwingend ein Gegenargument sein. Irgendwie kann man Gott immer mit rein bringen, wenn man will. Ein allmächtiges Wesen ist eben allmächtig und kann machen was es will. Vielleicht wurde die Welt, mitsamt ihrer Geschichte und unseren Erinnerungen daran, erst vor 5 Minuten geschaffen. Wir könnten nie auch nur einen Erweis für das Alter unserer Funde verifizieren, eben weil Gott uns auch kurz vor dem Auffinden des Fossils inklusive Fossil erschaffen haben könnte. Es sieht dann zwar alt aus und unsere Messmethoden sagen dann auch, dass es tausende von Jahren als ist, aber es ist wie wir selbst gerade erst entstanden.
Und genauso wenig, wie diese Aussage überprüfbar ist, ist auch die Aussage nicht überprüfbar, wann und wo Gott in die Schöpfung/Evolution eingegriffen haben soll. Das ist prinzipiell nicht feststellbar. Also kann es stimmen, aber relevant ist es nicht. Weiterführend hätte Susi auf einen solchen Einwand des Lehrers antworten können, dass wir mit dieser Unsicherheit leben müssen, weil wir es nicht nachweisen können und gleichzeitig auch nicht widerlegen. Auf gleichem Niveau stehen die Aussagen dennoch nicht. Denn um die Erschaffung zu postulieren, muss man auch gleich noch ein paar Sachen mehr vorraussetzen: Es gibt Gott. Gott hat alles erschaffen. Gott interessiert sich für seine Schöpfung.
Nichts davon lässt sich verifizieren. Wir haben also keine Einbußen in der wissenschaftlichen Debatte, diese Punkte und damit die Schöpfung selbst als obsolet anzusehen. Wir könnten dem Zufall den gleichen Stellenwert geben und es wäre nicht grundlegend anders. Es wurmt dann aber die Frage, warum Gott die Erde und das Weltall so alt aussehen lässt, warum auch die Messmethoden zu so großen Zahlen kommen. Und warum sieht es so verdammt nach Entwicklung aus, wenn alles bereits fertig geschaffen worden sein soll? Woran erkennen wir den Fingerabdruck Gottes, besonders, wenn er ihn dann willentlich selbst versteckt?
Das größte Problem mit dem Buch haben aber wohl die, die anprangern, man dürfe Religion nicht kritisieren. Wer nicht an Gott glauben will, darf das gerne tun. Aber bitteschön nur für sich. Man muss es ja nicht öffentlich kundtun. Aber Kritik an Religion zu üben ist völlig okay.
Man kann nicht einfach erklären, gläubige Menschen seien dumm und ihre Geschichten sind bescheuerter Unsinn. Und wenn religiöse Menschen einmal nachdächten, würden sie vielleicht auch erkennen, was für einen Quatsch sie glauben.
So aber ist leider der authentische Tonfall (leider sogar teils wortgetreu!). Der Autor Michael Schmidt-Salomon ist übrigens auch aktueller Vorstandssprecher der "Giordano Bruno Stiftung". Benannt ist die Stiftung nach dem Dominikaner Giordano Bruno, der im Jahre 1600 als Ketzer auf dem Scheiterhaufen hingerichtet wurde. Die Gründer der Stiftung entschieden sich für Bruno als Namensgeber, da er eine damals "unzeitgemäße Philosophie" vertreten habe, in der sich bereits "Grundzüge einer nicht-dualistischen, naturalistischen Welterkenntnis", "Überlegungen zur biologischen Abstammungslehre" und Elemente einer "evolutionär-humanistischen Ethik" finden, welche auch "die Rechte nichtmenschlicher Organismen einschließen". Zudem seien von Bruno "wesentliche Impulse für die Entwicklung der modernen Religionskritik" ausgegangen. Die Giordano-Bruno-Stiftung hat den satzungsgemäßen Zweck, die "neuesten Erkenntnisse der Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften zu sammeln und ihre Bedeutung für das humanistische Anliegen eines friedlichen und gleichberechtigten Zusammenlebens der Menschen im Diesseits herauszuarbeiten. Auf diese Weise sollen die Grundzüge einer säkularen, evolutionär-humanistischen Ethik entwickelt und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden."
Die Giordano-Bruno-Stiftung vertritt die Position des "Evolutionären Humanismus" und setzt sich für die Werte der Aufklärung ein. Im Einzelnen nennt die Stiftung die Werte der kritischen Rationalität, Selbstbestimmung, Freiheit und sozialen Gerechtigkeit. Sie begreift den Menschen nicht als Krone der Schöpfung, sondern als unbeabsichtigtes Produkt der natürlichen Evolution.
Im Manifest des evolutionären Humanismus plädiert Vorstandssprecher Michael Schmidt-Salomon für eine naturalistische Philosophie. Er geht von einem Bild des Kosmos aus, in dem alles "mit rechten Dingen zugeht", in dem es keine metaphysischen Fabelwesen (Götter, Dämonen, Hexen oder Kobolde) gibt, die auf supranaturalistische (übernatürliche) Weise mit Wundern in das Weltgeschehen eingreifen. Er schrieb auch:
2013 wurde das Projekt Evokids in Zusammenarbeit mit der Universität Gießen gestartet. Es zielt darauf ab, Kinder in der Grundschule nicht nur die Schöpfungsgeschichte im Religionsunterricht zu lehren, sondern auch die Grundprinzipien der Evolutionstheorie.
Die Marschrichtung dieses Buches ist also eigentlich klar und kann daher nur naturalistisch und nicht kreationistisch sein.
Die Frage, inwieweit nun Name, Charakterisierung und geschildertes Verhalten geeignet sind, Susi zu einer Sympathieträgerin zu machen, mag jeder für sich beantworten. Dieser Ausgang des Konflikts überrascht schon deshalb nicht, weil Hempelmann seine Dummheit, Susi hingegen ihre Gewitztheit von Nyncke wortwörtlich ins Gesicht gezeichnet wurde. Diese Comic-typische Vereinfachung und Stilisierung mag dem Zielpublikum geschuldet sein, es kann aber auch leicht als stupid-brachiale Polemik ausgelegt werden. (Religions-)Kritik erschöpft sich schließlich nicht einfach in Schmähung.
Für Andersdenkende - und das sind nicht einmal unbedingt Gläubige - könnte diese Generalaburteilung ebenfalls etwas weniger heftig sein. Es soll ja ausdrücklich nicht um politischen Meinungsbildung, sondern der Wissenvermittlung gehen. Mit Wissen allein lässt sich religiöser Glaube allerdings nicht wirksam angreifen: Der vormalige Joseph Kardinal Ratzinger tat im Gespräch mit Jürgen Habermas dessen gesamte Argumentation letztendlich nonchalant mit dem Verweis ab, dass Vernunft überbewertet werde. Das mag vielen nicht gefallen, es kann jedoch in keiner Weise "verboten" werden. Eine Verpflichtung auf einen rein auf Ratio bezogenen Gesprächsrahmen kann ferner nicht durch naturwissenschaftliche Belege erzwungen werden.
Philosoph Norbert Hoerster, bis Ende 2011 selbst noch im Beirat der Stiftung, erklärte in einem Kommentar in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, er lehne die von ihrem Sprecher Schmidt-Salomon vertretenen Inhalte, die Kampagnen und den Argumentationsstil ab. Wenig überzeugend finde er zudem den "Neuen Atheismus" des Biologen Richard Dawkins, den auch die Stiftung vertrete. "Ich sehe nicht, wieso ausgerechnet die Evolutionstheorie den Gottesglauben widerlegen, ja ersetzen kann", schrieb Hoerster.
Aber - und das ist in diesem Buch leider auch nicht umgesetzt worden - die Aufgabe der Evolutionstheorie ist nicht die Widerlegung oder der Ersatz des Gottesglaubens, sondern die Erklärung der Natur. Der Anwendung des wissenschaftlichen Sparsamkeitsprinzips entsprechend sei eine Konsequenz der Evolutionstheorie, dass die Gotteshypothese zur Erklärung der Entstehung und Entwicklung der Arten unnötig werde.
Damit beende ich meine 3. Rezension, die nicht ein Werk aus der Wachtturm-Schmiede demontiert.
Das Buch ist am 1. Februar 2009 erschien und war kurzzeitig heiß in der Diskussion. Also in meiner Internetbubble. Der Rest der Welt wird es vermutlich gar nicht wahrgenommen haben.
Auf 40 Kinderbuchseiten in annähernd A5 wird der damals aktuelle Wissenstand zum Thema "Entstehung der Welt und des Menschen" erläutert. So zumindest das Credo des Buches.
Die Autoren Michael Schmidt-Salomon (Text) und Helge Nyncke (Grafik) sind schon durch ihr Werk "Wo bitte gehts zu Gott, fragte das kleine Ferkel" aufgefallen. Auch in "Susi Neunmalklug erklärt die Evolution" widmen sie sich wieder dem Thema Religion. Passend zum Thread hier - ich würde es sonst woanders posten - geht es in diesem Buch um den Konflikt zwischen Kreationismus und Evolutionstheorie.

Quelle: Bücher.de (direkt zum Buch)
Verlag: Alibri
Seitenzahl: 40
Altersempfehlung: ab 10 Jahren
Erscheinungstermin: Februar 2009 (1. Auflage in Deutsch)
ISBN-13: 9783865690531
ISBN-10: 386569053X
Mit folgendem Text wurde sie Susi damals beworben:
Hat uns der "liebe Gott" erschaffen oder sind wir ein zufälliges Ergebnis der Evolution? Keine Frage für Susi Neunmalklug. Denn Susi ist so schlau wie Superman stark ist und kann so gut denken, wie Spiderman klettern kann. Wie andere Superhelden versteckt auch Susi meist ihre Superkräfte. Nur manchmal, wenn sie etwas richtig Dummes hört, kann sie sich einfach nicht bremsen. So war es auch, als Herr Hempelmann eines Morgens das Klassenzimmer betrat und eine seltsame Geschichte von der Entstehung der Welt erzählte...
Den Buchinhalt kann uns Susi ja gleich selbst zusammenfassen:
Susi Neunmalklug erklärt die Evolution | Giordano-Bruno-Stiftung
https://m.youtube.com/watch?v=X-j3I4kjHWI
Aber ich schreibe hier trotzdem noch einmal für die Nichtschauer an, um was es in dem Buch geht:
Der Lehrer Herr Hempelmann kommt eines Tages in die Klasse und erklärt den Kindern die Entstehung der Welt, ganz so wie sie in der Bibel steht. Er beendet seinen Vortrag mit: "Deshalb liebe Kinder, dankt Gott dem Herrn! [...] Alles, was in dieser Welt ist, kommt von ihm!"
Danach folgt auf 15 Seiten Susis Erklärung. Sie leitet diese wie folgt ein:
"Aber Herr Hempelmann!", sagte sie kichernd. "Das haben Sie ja völlig falsch verstanden! Ich erkläre Ihnen mal, wie das wirklich war ..."
Sie beginnt beim Urknall und der Entstehung der Sterne, der Sonne und der Erde. Kurz wird erklärt, wie sich die frühe Erde so weit entwickelte, dass dort die ersten Lebewesen entstehen konnten. Ein weiterer Abriss zeigt wie aus den Landlebewesen die Dinosaurier wurden, wie diese dann ausgestorben seinen und wie wichtig die Rolle dieses Massensterbens für die Entwicklung der Säugetiere war. Ihre Aufzählung endet mit der menschlichen Evolution von den ersten Ur-Primaten bis hin zum modernen Mensch. Sie schließt ihr Plädoyer mit folgenden Worten:
So verlief die Evolution, die Entwicklung von den einfachsten Lebewesen aus der Ursuppe über die Ursäuger bis hin zu uns Menschen. (…) Es gab dazwischen viel Auf und Ab, Arten entstanden und gingen wieder unter wie die Dinosaurier. Doch der Staffellauf des Lebens ist nie abgerissen. Es hat 13,7 Milliarden Jahre seit dem Urknall gedauert, aber nun sitzen wir hier, Herr Hempelmann. Eine verrückte Geschichte! Doch mit dem lieben Gott hat das rein gar nichts zu tun!
Herr Hempelmann gibt zu, dass das alles so gewesen sein könnte, kontert aber mit einem oft gehörten Einwand. Vielleicht war es ja Gott, der sich darum gekümmert hat, dass die allerersten Lebewesen in der Ursuppe entstanden. Immerhin ist die Frage der ersten Entstehung des Lebens von der Wissenschaft noch nicht abschließend geklärt.
Susi erwidert, dass es ein ziemlich bescheuerter Weg wäre, erst Unmengen von Tieren zu erschaffen und diese dann wieder auszurotten, damit am Ende die Artenvielfalt steht, die wir heute sehen, inklusive des Menschen.
Ein weiterer Einwand des Lehrers, dass dieses Fressen und Gefressen werden ein düsteres Bild vom Leben schafft und es doch viel schöner ist, "an einen Gott zu glauben, der alles gut gemacht hat.", wird ebenso abgeschmettert. Susi erklärt, Wunschdenken erzeugt noch lange keine Realität. Und die Welt, die Gott angeblich so "gut gemacht" hat, erweist sich bei näherer Betrachtung für viele Menschen als nicht wirklich so toll. Susis Fazit ist dementsprechend vernichtend:
Aber nun leben wir halt in dieser Welt und müssen das Beste daraus machen! Und deshalb müssen wir uns unterstützen und voneinander lernen! So dumme Geschichten, wie die, die Sie uns erzählt haben, helfen da nicht weiter!
Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen!
Es gibt dennoch ein Für und Wider.
Das Buch an sich ist erstmal okay. Es wurde im Buch nicht explizit angegeben, für welche Zielgruppe es geschrieben ist. Meiner persönlichen Einschätzung nach soll es wohl für Grundschüler bis ca. 10 Jahre sein. Älteren Kindern kann und sollte man durchaus an ausführlichere Sachbücher über Evolution und Wissenschaft insgesamt heranführen. Das kann nie schaden. Vermutlich begreifen aber auch schon Jüngere viel mehr, als man ihnen allgemein zutraut. Mein Sohn kann alle Planeten in Reihenfolge aufsagen und weiß einige bemerkenswerte und herausragende Eigenschaften von jedem dieser Himmelskörper. Er begeistert sich für geometrische Formen und Mathematik und eine seiner Lieblingsseiten in seinem Wissensbuch ist die Doppelseite mit dem Periodensystem. Aber das muss ja nicht auf jeden 7-jährigen zutreffen.
Für 1.-4.-Klässler ist der Inhalt des Buches ausreichend. Für eine Argumentationsgrundlage mit eingefleischten Kreationisten würde ich mich dennoch nicht auf dieses Buch stützen. Verständlicherweise.
Es ist nicht mehr als ein ganz grundlegender, vereinfachter Einstieg in die Evolutionstheorie (nicht -forschung). Es kann aufgrund des Umfangs nichts weiter als das sein.
Gehen wir dennoch auf einige argumentative Mängel ein.
Fehlende Quellen
Das Buch führt keine Belegstellen an. Das ist zwar für ein Kinderbuch normal, kann aber als Angriffsfläche für jene dienen, die den Schreibern tendenziöse und voreingenommene Beweggründe unterstellen. Ich habe im Netz auch keine wissenschaftliche Besprechnung zu diesem Buch gefunden. Ich gehe auch davon aus, dass ein Kinderbuch, dafür ein wenig geeignetes Feld ist.
Präsentation
Was aber definitiv negativ auffällt, ist die Art der kleinen Göre.
In einer sehr überheblichen Art wird sowohl sie als Figur vorgestellt, als auch ihre Erklärung. Aufgrund des Fehlens von Quellen, was man wie gesagt, beim Umfang eines Kinderbuches nicht erwarten kann und sollte, wirkt ihre Aufklärung nicht weniger obrigkeitshörig, wie die des Lehrers. Nur die Autoritäten wechseln. Ich habe so ein ungutes Gefühl, es gehe hier leider nur um Kreationisten-Bashing. Und der Lehrer ist hier das zu demütigende Opfer. Für den unbedarften Leser tritt hier lediglich ein Weltbild gegen das andere an.
Sprich: Netter Ansatz, aber die Methodik ist zweifelhaft.
Die Bibelexegese hat sich weitgehend an den wissenschaftlichen Forschungsstand angepasst, Adam und Eva werden in den mit Abstand meisten Fällen als Metaphern gelesen. Gleiches trifft für viele andere Teile der Bibel zu. Vielleicht ist das, was mich am meisten an der Kontroverse Evolution oder Schöpfung stört: Das Bild der Gesellschaft und der Schule, das dort erfunden wird, hat mit der gegenwärtigen Realität nichts zu tun. Möglicherweise werden Kreationisten Land gewinnen und dann wäre es notwendig, dass Kinder bzw. Menschen generell in der Lage sind, die argumentativen Schwachstellen zu erkennen und sie zu kritisieren, statt die gleichen Methoden anzuwenden. Man muss sich nicht mit allem sachlich auseinandersetzen, aber man sollte dazu in der Lage sein.
Ob und welcher institutionalisierten Glaubenrichtung der Lehrer angehört, wird nicht erwähnt. Klar ist aber, er stützt sich auf die Bibel. Mehr noch, er vertritt ganz offen den Kurzzeitkreationismus. Ziel des Buches ist es vermutlich nicht, sich über den christlichen Glauben lustig zu machen. Aber es passiert dann halt leider doch.
Es geht darum, dass ein Lehrer den Kindern eine religiöse Weltsicht als wissenschaftliche Erklärung präsentiert. Davon sind wir in Deutschland glücklicherweise mehrheitlich entfernt. Natürlich kann auch meine Äußerung hier als Wertung gesehen werden. Und ich finde es gut, dass Susi völlig zu Recht gegen diese Erklärung vorgeht. Manche werden sich daran stören und haben sich bereits daran gestört, dass Susi die Ansicht des Lehrers als dumm bezeichnet. Aber soweit ich mich mit dem Thema Kreationismus beschäftigt habe, fällt mir im Moment kein Adjektiv ein, dass besser passen könnte. Naiv, vielleicht.
Ockams Rasiermesser
Als der Lehrer sagt, die Evolution sei vielleicht durch Gott gesteuert, erwidert Susi ja mit der Unnötigkeit erst Tiere zu erschaffen, diese aussterben zu lassen, um aus den Tieren Stück für Stück unsere heutige Flora und Fauna zu bilden, sei sehr aufwendig und eben nicht weise.
Aber das muss nicht zwingend ein Gegenargument sein. Irgendwie kann man Gott immer mit rein bringen, wenn man will. Ein allmächtiges Wesen ist eben allmächtig und kann machen was es will. Vielleicht wurde die Welt, mitsamt ihrer Geschichte und unseren Erinnerungen daran, erst vor 5 Minuten geschaffen. Wir könnten nie auch nur einen Erweis für das Alter unserer Funde verifizieren, eben weil Gott uns auch kurz vor dem Auffinden des Fossils inklusive Fossil erschaffen haben könnte. Es sieht dann zwar alt aus und unsere Messmethoden sagen dann auch, dass es tausende von Jahren als ist, aber es ist wie wir selbst gerade erst entstanden.
Und genauso wenig, wie diese Aussage überprüfbar ist, ist auch die Aussage nicht überprüfbar, wann und wo Gott in die Schöpfung/Evolution eingegriffen haben soll. Das ist prinzipiell nicht feststellbar. Also kann es stimmen, aber relevant ist es nicht. Weiterführend hätte Susi auf einen solchen Einwand des Lehrers antworten können, dass wir mit dieser Unsicherheit leben müssen, weil wir es nicht nachweisen können und gleichzeitig auch nicht widerlegen. Auf gleichem Niveau stehen die Aussagen dennoch nicht. Denn um die Erschaffung zu postulieren, muss man auch gleich noch ein paar Sachen mehr vorraussetzen: Es gibt Gott. Gott hat alles erschaffen. Gott interessiert sich für seine Schöpfung.
Nichts davon lässt sich verifizieren. Wir haben also keine Einbußen in der wissenschaftlichen Debatte, diese Punkte und damit die Schöpfung selbst als obsolet anzusehen. Wir könnten dem Zufall den gleichen Stellenwert geben und es wäre nicht grundlegend anders. Es wurmt dann aber die Frage, warum Gott die Erde und das Weltall so alt aussehen lässt, warum auch die Messmethoden zu so großen Zahlen kommen. Und warum sieht es so verdammt nach Entwicklung aus, wenn alles bereits fertig geschaffen worden sein soll? Woran erkennen wir den Fingerabdruck Gottes, besonders, wenn er ihn dann willentlich selbst versteckt?
Das größte Problem mit dem Buch haben aber wohl die, die anprangern, man dürfe Religion nicht kritisieren. Wer nicht an Gott glauben will, darf das gerne tun. Aber bitteschön nur für sich. Man muss es ja nicht öffentlich kundtun. Aber Kritik an Religion zu üben ist völlig okay.
Man kann nicht einfach erklären, gläubige Menschen seien dumm und ihre Geschichten sind bescheuerter Unsinn. Und wenn religiöse Menschen einmal nachdächten, würden sie vielleicht auch erkennen, was für einen Quatsch sie glauben.
So aber ist leider der authentische Tonfall (leider sogar teils wortgetreu!). Der Autor Michael Schmidt-Salomon ist übrigens auch aktueller Vorstandssprecher der "Giordano Bruno Stiftung". Benannt ist die Stiftung nach dem Dominikaner Giordano Bruno, der im Jahre 1600 als Ketzer auf dem Scheiterhaufen hingerichtet wurde. Die Gründer der Stiftung entschieden sich für Bruno als Namensgeber, da er eine damals "unzeitgemäße Philosophie" vertreten habe, in der sich bereits "Grundzüge einer nicht-dualistischen, naturalistischen Welterkenntnis", "Überlegungen zur biologischen Abstammungslehre" und Elemente einer "evolutionär-humanistischen Ethik" finden, welche auch "die Rechte nichtmenschlicher Organismen einschließen". Zudem seien von Bruno "wesentliche Impulse für die Entwicklung der modernen Religionskritik" ausgegangen. Die Giordano-Bruno-Stiftung hat den satzungsgemäßen Zweck, die "neuesten Erkenntnisse der Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften zu sammeln und ihre Bedeutung für das humanistische Anliegen eines friedlichen und gleichberechtigten Zusammenlebens der Menschen im Diesseits herauszuarbeiten. Auf diese Weise sollen die Grundzüge einer säkularen, evolutionär-humanistischen Ethik entwickelt und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden."
Die Giordano-Bruno-Stiftung vertritt die Position des "Evolutionären Humanismus" und setzt sich für die Werte der Aufklärung ein. Im Einzelnen nennt die Stiftung die Werte der kritischen Rationalität, Selbstbestimmung, Freiheit und sozialen Gerechtigkeit. Sie begreift den Menschen nicht als Krone der Schöpfung, sondern als unbeabsichtigtes Produkt der natürlichen Evolution.
Im Manifest des evolutionären Humanismus plädiert Vorstandssprecher Michael Schmidt-Salomon für eine naturalistische Philosophie. Er geht von einem Bild des Kosmos aus, in dem alles "mit rechten Dingen zugeht", in dem es keine metaphysischen Fabelwesen (Götter, Dämonen, Hexen oder Kobolde) gibt, die auf supranaturalistische (übernatürliche) Weise mit Wundern in das Weltgeschehen eingreifen. Er schrieb auch:
Wir leben in einer Zeit der Ungleichzeitigkeit: Während wir technologisch im 21. Jahrhundert stehen, sind unsere Weltbilder noch von Jahrtausende alten Legenden geprägt. Diese Kombination von höchstem technischen Know-how und naivstem Kinderglauben könnte auf Dauer fatale Konsequenzen haben. Wir verhalten uns wie Fünfjährige, denen die Verantwortung über einen Jumbojet übertragen wurdeMichael Schmidt-Salomon: Manifest des evolutionären Humanismus, S. 7
2013 wurde das Projekt Evokids in Zusammenarbeit mit der Universität Gießen gestartet. Es zielt darauf ab, Kinder in der Grundschule nicht nur die Schöpfungsgeschichte im Religionsunterricht zu lehren, sondern auch die Grundprinzipien der Evolutionstheorie.
Die Marschrichtung dieses Buches ist also eigentlich klar und kann daher nur naturalistisch und nicht kreationistisch sein.
Die Frage, inwieweit nun Name, Charakterisierung und geschildertes Verhalten geeignet sind, Susi zu einer Sympathieträgerin zu machen, mag jeder für sich beantworten. Dieser Ausgang des Konflikts überrascht schon deshalb nicht, weil Hempelmann seine Dummheit, Susi hingegen ihre Gewitztheit von Nyncke wortwörtlich ins Gesicht gezeichnet wurde. Diese Comic-typische Vereinfachung und Stilisierung mag dem Zielpublikum geschuldet sein, es kann aber auch leicht als stupid-brachiale Polemik ausgelegt werden. (Religions-)Kritik erschöpft sich schließlich nicht einfach in Schmähung.
Für Andersdenkende - und das sind nicht einmal unbedingt Gläubige - könnte diese Generalaburteilung ebenfalls etwas weniger heftig sein. Es soll ja ausdrücklich nicht um politischen Meinungsbildung, sondern der Wissenvermittlung gehen. Mit Wissen allein lässt sich religiöser Glaube allerdings nicht wirksam angreifen: Der vormalige Joseph Kardinal Ratzinger tat im Gespräch mit Jürgen Habermas dessen gesamte Argumentation letztendlich nonchalant mit dem Verweis ab, dass Vernunft überbewertet werde. Das mag vielen nicht gefallen, es kann jedoch in keiner Weise "verboten" werden. Eine Verpflichtung auf einen rein auf Ratio bezogenen Gesprächsrahmen kann ferner nicht durch naturwissenschaftliche Belege erzwungen werden.
Philosoph Norbert Hoerster, bis Ende 2011 selbst noch im Beirat der Stiftung, erklärte in einem Kommentar in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, er lehne die von ihrem Sprecher Schmidt-Salomon vertretenen Inhalte, die Kampagnen und den Argumentationsstil ab. Wenig überzeugend finde er zudem den "Neuen Atheismus" des Biologen Richard Dawkins, den auch die Stiftung vertrete. "Ich sehe nicht, wieso ausgerechnet die Evolutionstheorie den Gottesglauben widerlegen, ja ersetzen kann", schrieb Hoerster.
Aber - und das ist in diesem Buch leider auch nicht umgesetzt worden - die Aufgabe der Evolutionstheorie ist nicht die Widerlegung oder der Ersatz des Gottesglaubens, sondern die Erklärung der Natur. Der Anwendung des wissenschaftlichen Sparsamkeitsprinzips entsprechend sei eine Konsequenz der Evolutionstheorie, dass die Gotteshypothese zur Erklärung der Entstehung und Entwicklung der Arten unnötig werde.
Damit beende ich meine 3. Rezension, die nicht ein Werk aus der Wachtturm-Schmiede demontiert.
Die Wissenschaft, richtig verstanden, heilt den Menschen von seinem Stolz; denn sie zeigt ihm seine Grenzen.
Albert Schweitzer, deutscher Arzt, Theologe und Nobelpreisträger (1875-1965)