Vatikan rehabilitiert DarwinVielleicht ist es aufgefallen: Es sind 5 weitere Beiträge in das Thema "Kritisches denken" verschoben worden.Die Rehabilitierung war immerhin schon 2009 der Fall.
Ja, diese Nachricht war am 11. Februar 2009 sogar in der Times (#1). Sie ist hierzulande allerdings ziemlich untergegangen. Es war auch gerade Banken- und Weltwirtschaftskrise.
Das Kriegsbeil ist begraben? Dann können wir ja endlich diese leidlichen Diskussionen beenden, oder?
Das Kriegsbeil ist natürlich nicht begraben. Fast alle Rezensionen, die ich bisher veröffentlicht habe, sind aus der Zeit nach 2009. Denn auch, wenn die große katholische Kirche und deren Offizielle erklären, dass die Evolutionstheorie mit dem christischen Glauben kompatibel sei, so haben sie offenbar noch nicht so recht verstanden, was solche Aussagen für eben jenen Glauben bedeuten. Wenn wir den Kreationismus also einstampfen, dann gibt es auch keinen Kreator. Gleichzeitig wird aber anscheinend auch "Intelligent Design" abgelehnt, der nach Auffassung der ID-Bewegung selbst so eine Art Brücke schlagen soll, zwischen empirischen Daten und Gottglauben. Auch wenn das offiziell kein Statement ist.
Die Evolutionstheorie kommt zumindest ganz gut ohne Gott aus, auch wenn der Ursprung des Lebens nicht geklärt ist und es auch Lücken im Entwicklungsprozess vieler Arten gibt, wird nichts dadurch evidenter, dass wir in die Löcher Gott setzen.
Hier ein paar Auszüge aus dem Times-Artikel:
The Vatican has admitted that Charles Darwin was on the right track when he claimed that Man descended from apes.
A leading official declared yesterday that Darwin’s theory of evolution was compatible with Christian faith, and could even be traced to St Augustine and St Thomas Aquinas. “In fact, what we mean by evolution is the world as created by God,” said Archbishop Gianfranco Ravasi, head of the Pontifical Council for Culture.
Wow, nach 150 Jahren gesteht man Darwin zu, dass er mit seiner Abstammungslehre recht hatte, auch wenn der Mensch nicht vom Affen abstammt, sondern von einem gemeinsamen Vorfahren der beiden. Schwamm drüber, das würde jetzt für die alten Herren in ihren schicken Kleidern zu kompliziert. Cool ... Warte mal: "In fact, what we mean by evolution is the world as created by God"
Was? "In der Tat meinen wir mit Evolution die Welt, wie sie von Gott geschaffen wurde" (Übersetzung von mir). Also sowas wie theistische Evolution? Ja, dann tritt ja wieder das Problem mit der Erbsünde auf, wie ich schonmal erläuterte:
... 002, 02.10.2017:
Einmal Evolution light, bitte! - Probleme der theistischen EvolutionKurz: Wenn die Schöpfung stimmt, dann gab es einen separaten Adam, den Urahnen aller heute lebenden Menschen. Zusammen mit Eva haben sie von der verbotenen Frucht gegessen, damit Gottes Gebot übertreten und sind mit der Sünde und mit Sterblichkeit bestraft worden. Diese Sünde wird wie ein Gendefekt an die kommenden Generationen, also auch an uns weitergegeben. Also sind wir alle Sünder, unvollkommen und sterblich. That's it. Das ist das Lehrverständnis der Erbsünde. Ein ganz zentraler Punkt im jüdischen, christlichen und islamischen Glauben. Ohne die Erbsünde ist zum Beispiel das Lösegeld eines vollkommenen Menschen völlig überflüssig. Die Erbsünde und der Opfertod Jesu sind die zentralen Säulen des christlichen Glaubens.
Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.
- Johannes 3:16, Lutherbibel 2017
Wenn die Evolution aber stimmt, und "Man descended from apes", wie es "The Vatican has admitted", dann gibt es keinen klar definierten ersten Menschen. Die Grenze zwischen Ahne und Erbe ist fließend. Es blobbt nicht plötzlich ein haarloser Affe irgendwo auf, der dann Mensch heißt. Wenn es aber keinen ersten Menschen in diesem Sinne gibt, wer hat dann gesündigt?
Ja, es gibt ihn, den genetischen Flaschenhals, also eine in der Populationsgenetik damit bezeichnete genetisch Verarmung. Der bezieht sich beim Menschen allerdings auf eine Zeit vor 70.000 bis 80.000 Jahren und betrifft eine Populationsstärke von 1.000 bis 10.000 Menschen, die größtenteils in Afrika lebten. Möglicherweise, aber das ist umstritten, hängt dies mit der Super-Eruption des Vulkans Toba auf Sumatra vor etwa 74.000 Jahren zusammen. Auf den genetischen Flaschenhals werde ich aber nocheinmal genauer eingehen, wenn ich mir die "mitochondriale Eva" und den "Adam des Y-Chromosoms" genauer anschaue.
Ich sehe da nicht das Puzzlestück, dass diese beiden Ansichten zur Herkunft des Menschen und dem Grund seines Daseins zusammenfügen kann.
Entweder: Wir sind separat geschaffen und die Erbsünde durch Adam ist real.
Oder: Wir sind Verwandte der anderen Affen über einen gemeinsamen Vorfahren und es gibt keinen ersten Menschen, der diese Sünde begangen haben kann. Wofür ist Jesus dann gestorben?
Hier noch weitere Zitate von verschiedenen Kirchenoffiziellen aus dem Artikel:
biological evolution and the Christian view of Creation are complementary
Wie gerade belegt, sind die beiden ungefähr so komplimentär wie Tag und Nacht, Feuer und Eis, Prince und Michael Jackson.
The time has come for a rigorous and objective valuation of Darwin by the Church.
Nach 150 Jahren. Nicht schlecht. Galileo wurde zwar schon 1992 rehabilitiert, immerhin 17 Jahre vor Darwin, aber das war auch erst 360 Jahre nach seinem Hausarrest. Luther wartet heute noch im Fegefeuer.
I maintain that the idea of evolution has a place in Christian theology.
Das mag ja sein, beruht aber nicht auf Gegenseitigkeit. Unabhängig des Glaubens des jeweils Forschenden kommen wissenschaftliche Theorien, wie die der Evolution auch prima ohne Gott aus.
Am Anfang stehen Fragen:
Warum ähneln gewisse Fossilien lebenden Tieren und sind meistens geographisch in ähnlichen Regionen anzutreffen?
Warum ähneln sich lebende Arten teilweise so sehr?
Woher kommen die Unterschiede von Tierarten die geographisch abgetrennt sind?
Solche Ideen Fragen hatten natürlich auch schon Naturforscher vor Darwin. Sein Verdienst ist, zeitgleich mit Alfred Russell, die Ansätze seiner Zeit auszuformulieren und in einer Theorie zusammenzufassen. Linnes Kladogramme und Systematisierung der Natur ebenso, wie Lamarcks Ansatz der Vererbung erworbener Eigenschaften.
Die Evolutionstheorie wäre nicht so unglaublich radikal gewesen, wenn sie so simpel vereinbar wäre mit dem christlichen Glauben. Darwin hätte zeitlebens keine inneren Konflikte gehabt, wenn das alles so gut gepasst hätte. Die Radikalität die in Darwins dynamischer Sicht der Dinge lag, fehlt häufig bei der Betrachtung seiner Theorie. Es wird mit einem simplen Satz abgetan.
Aber wie war es für jene, die mit ihm lebten, studierten und korrespondierten, für jene, die diese Erkenntnis aus der Zeitung lasen?
Viele seiner Zeitgenossen müssen sich gefühlt haben, als würde ihnen der Teppich unter den Füssen weggezogen. Das Gefühl von Panik, das einem schon bei leichten Erdbeben befallen kann, drückt das wohl am Besten aus. Alles hat seinen festen Platz, ist stabil und muss es bleiben. Ist diese Sicherheit plötzlich nicht mehr vorhanden, wirft uns dies vollständig aus der Bahn.
Nun kommt dieser Darwin und sagt nichts sei fix, alles sei ständig in Bewegung. Alles verändere sich. Durch ziellose Mutation und doch durch eine Kraft gelenkt, die keine Güte kennt, die Selektion.
Das hinausstoßen aus dem Zentrum des Weltalls mag eine Schmach gewesen sein. Dem Menschen aber die Krone der Schöpfung zu nehmen ist Hochverrat.
Ca. 3 Wochen danach lud der Vatikan Naturwissenschaftler, Philosophen, Wissenschaftshistoriker und Kleriker ein. In einem 5-tägigen Diskussionsforum sollten sich die Anwesenden gegenseitig ihre Standpunkte zu Evolution und Glauben erklären. Das Ganze lief unter dem Thema "Biological Evolution – Facts and Theories". Vor der Konferenz wurde von Kirchenseite deutlich gemacht, bewusst keine Vertreter des Kreationismus oder des "Intelligent Design" eingeladen zu haben.
Was bleibt übrig, wenn Evolutionstheorie und Schöpfungslehre, Wissenschaft und Glauben aufeinander treffen?
Auch diese Konferenz verursachte erstaunlich wenig Medienecho. Bei Spiegel war was (#2).
Es ging dabei weder um Darwins Rehabitilation oder darum, doch einen Weg zu finden, Evolution und die Schöpfungslehre miteinander in Einklang zu bringen?
Weder noch.
Die nicht eingeladenen Vertreter des Kreationismus und des "Intelligent Design", sowie William Kardinal Lavadas Worte zu Beginn der Tagung machten deutlich: Es ging primär darum, den Kreationisten die kirchliche Rechtfertigung Ihrer wahnwitzigen Interpretationen zu entziehen. Wohlwissend das ein Risiko besteht, einen Teil der Gläubigen zu verstören.
Es ging nicht um Wissen oder Erkenntnis. Es ging darum, sich durch stille Duldung der Evolutionstheorie nicht noch weiter lächerlich zu machen und somit um Schadensbegrenzung von kirchlicher Seite.
Man stelle sich vor:
Während sich die Kleriker von Fachleuten darüber aufklären ließen, wie der Mensch tatsächlich entstanden ist, stellen diese sich die berechtigte Frage: "Wenn die jetzt tatsächlich Recht haben, die Wissenschaftler, wo kommt denn dann Gott überhaupt ins Spiel?"
Dominikanerpater Jean-Michel Maldamé aus Toulouse versuchte sich damals an einer Antwort, indem er eine Unterscheidung zwischen Anfang und Grund einführt. Im Gegensatz zu Ersterem sei Letzterer nicht an einen bestimmten Moment geknüpft, sondern "eine dauerhafte Bedingung von allem, was es gibt, zu jedem Zeitpunkt". Als solcher stehe der Grund außerhalb von Zeit, Raum und Materie und könne daher auch nicht Gegenstand einer naturwissenschaftlichen Theorie sein. Liest man das Wort, das in den ersten Zeilen der Bibel gewöhnlich mit "Anfang" wiedergegeben wird, als "Grund", erhält man einen Schöpfungsbegriff, der viel besser zu einer Welt mit biologischer Evolution passt.
Wenn wir den Grund (Gott) aber nicht mit wissenschaftlichen Mitteln, also dem ganzen Arsenal an empirischer Prüfbarkeit, ermitteln und verstehen können, wozu sollte man dann aber davon ausgehen, dass es diesen Grund und den Begründer Gott überhaupt gibt? Wieso sollten wir überhaupt noch von einer Schöpfung sprechen? Wieso unterteilen wir dann nicht - wie in der Wissenschaft ja schon lange geschehen - zwischen chemischer Evolution (Grund) und biologischer Evolution?
Maldamé hat aber auch noch weitere Gedanken:
Alles kommt von Gott, und alles kommt von den Kräften der Natur. Und daher ist es auch so unsinnig, Gott dort zu suchen, wo die Naturgesetze etwas nicht erklären können.
Das macht es nicht besser. Da, wo die Naturgesetze etwas nicht erklären können, ist kein Gott zu suchen. Wo sie etwas erklären können, braucht es keinen Gott. Wie gesagt, Naturwissenschaft funktioniert ganz prima ohne ihn.
Wo also suchen? In der Transzendenz, natürlich!
Als transzendent gilt, was außerhalb oder jenseits eines Bereiches möglicher Erfahrung, insbesondere des Bereiches der normalen Sinneswahrnehmung liegt und nicht von ihm abhängig ist. Mit der in der Bezeichnung enthaltenen Vorstellung des "Übersteigens" (lateinisch
transcendentia "das Übersteigen") ist vor allem eine Überschreitung der endlichen Erfahrungswelt auf deren göttlichen Grund hin gemeint, seltener eine Selbstüberschreitung des Göttlichen auf die Weltschöpfung hin. Der komplementäre Begriff des "Immanenten" bezeichnet das in den endlichen Dingen Vorhandene, sie nicht Überschreitende und daher ohne Rückgriff auf Transzendentes Erklärbare.
Maldamé also weiter:
Und insofern Leben nicht etwas ist, was seinen letzten Grund in sich selber trägt, bedarf es eines transzendenten Grundes”, so Maldamé – “und den nennen die philosophische Tradition und der christliche Glaube Gott.
Der Glaube basiert selbstverständlich auf einem transzendenten Grund.
Die philosophische Tradition ist sich da schon nicht mehr ganz so einig.
Und die Wissenschaft - man höre und Staune - kommt ganz ohne transzendenten Grund aus.
Selbst Maldamé ist sich bei seiner Begründung nicht sicher. Das legt das Wörtchen "insofern" nahe, was in diesem Satz nur als Synonym für "wenn" Sinn ergibt. Das heißt also selbst der Dominikaner ist sich nicht sicher, dass Leben "sein letzten Grund" nicht einfach in sich selbst trägt, also ohne göttliches Zutun entstanden ist.
Darwin ist also nun doch im Recht. Sagt der Vatikan. Und alles, was Gott ins Spiel bringen könnte, ist reines Fabulieren. Es wirkt wie eine schlechte Erklärung, um sich nicht selbst abzuschaffen, obwohl sie dies mit dem Zugeständnis an eine evolutionäre Entwicklung von Leben eigentlich schon getan haben.
Wenn der Mensch zu viel weiß, wird das lebensgefährlich. Das haben nicht erst die Kernphysiker erkannt, das wusste schon die Mafia.
Norman Mailer, amerikanischer Schriftsteller (1923-2007)
Das gilt auch für Lehrgebäude. Wenn Menschen zu viel herausfinden, kann das einem dogmatischen Gebilde, wie dem Katholizismus schon über zusetzen.
#1 - Times-Artikel "Vatican buries the hatchet with Charles Darwin"
#2 - Spiegel Artikel "Vatikan sperrt Kreationisten aus"
#3 - Die Zusammenfassungen der Vorträge kann man hier als .pdf runter laden.
https://scienceblogs.de/weitergen/wp-co ... cts_en.pdf