Elektrosensibilität und ElektrosmogDie beiden Themen sind verwandt, passen aber aktuell in keine der vorhandenen Threads. Da ich vor kurzem erst wieder einer Diskussion beiwohnen durfte, dass Handystrahlung Krebs erzeugt, kam ich darauf, mal ein wenig Recherche zu betreiben. "Hat man doch letztens erst wieder bewiesen."
Nein, hat man nicht.
Die aktuelle Studienlage geht deutlich nüchterner mit dem Thema um. Aber alles der Reihe nach.
Was ist Elektrosensibilität?Als elektrosensibel werden Menschen bezeichnet, die behaupten, elektrische, magnetische oder elektromagnetische Felder wahrnehmen zu können. Oft verbunden mit einer Unbefindlichkeit oder einem Krankheitsbild.
Solche Felder werden von elektrotechnischen Anlagen erzeugt und sollen den sogenannten Elektrosmog verursachen. Quellen der primär technisch genutzten elektromagnetischen Felder sind Mobilfunk, Rundfunksender, Radargeräte, DECT-Telefone, WLAN, Mikrowellenherde oder Bluetooth. Andere, teils höherfrequente und energiereichere Strahlungen wie Gamma-, Röntgen-, Infrarotstrahlung oder das sichtbare Licht werden dabei nicht betrachtet, obwohl diese auch elektromagnetische Felder erzeugen.
In einer 2011 veröffentlichten Studie der Strahlenschutzkommission (#1) heißt es:
Die Ergebnisse des DMF [Anm.: Deutsches Mobilfunk-Forschungsprogramm] zeigen, dass die ursprünglichen Befürchtungen über gesundheitliche Risiken nicht bestätigt werden konnten. Es haben sich durch die Forschungsergebnisse des DMF auch keine neuen Hinweise auf bisher noch nicht bedachte gesundheitliche Auswirkungen ergeben. In Übereinstimmung mit anderen internationalen Gremien (ICNIRP2009, WHO 2011) kann festgestellt werden, dass die den bestehenden Grenzwerten zugrundeliegenden Schutzkonzepte nicht in Frage gestellt sind.
Allerdings gebe es noch Forschungsbedarf und es sei aus ...
[…] der Sicht des Strahlenschutzes […] festzustellen, dass auf Basis der durchgeführten Forschungsprojekte die Gesamtproblematik der biologisch-medizinischen Wirkungen der Felder des Mobilfunks nicht endgültig geklärt werden konnte.
Also ist vielleicht doch was dran?
Nun zu unterscheiden ist die elektromagnetische Sensibilität, also die Fähigkeit eines Lebewesens, elektromagnetische Felder körperlich wahrzunehmen, und die tatsächliche Entwicklung von Krankheitssymptomen als Folge der Einwirkung elektrischer beziehungsweise elektromagnetischer Felder, wie sie besonders bei höherfrequenten Strahlungen nachweisbar ist:
Gesundheitliche Schäden durch militärische Radaranlagen
Bei Wartungsarbeiten am Radar des seit 1962 eingesetzten Hawk-Luftabwehrsystems mussten ab 1981 Bleischürzen getragen werden. Eine der Herstellerfirmen bestätigte 1998, dass die Geräte Krebs auslösen könnten. (#2)Eine nicht genau bestimmbare Anzahl von Soldaten der Bundeswehr und der Nationalen Volksarmee, die zwischen den 1950er und 1980er an Radargeräten Dienst taten, erlitten gesundheitliche Schäden. Sie waren energiereicher Röntgenstrahlung und hochfrequenter Mikrowellenstrahlung der Geräte ausgesetzt. Eine größere Anzahl dieser Personen entwickelte später Krankheiten, vor allem Krebs. Im Jahr 2001 hatte die Bundeswehr ihre Verantwortung grundsätzlich anerkannt und unbürokratische Entschädigung zugesagt. Eine Expertenkommission gab 2003 Empfehlungen zur Entschädigungspraxis. Viele Betroffene beklagen jedoch, dass sie jahrelang um die Anerkennung ihrer Ansprüche kämpfen müssten.
Links: Impulsmagnetron eines sowjetischen Radarsenders, etwa 1970.
Rechts: Schaltröhre einer sowjetischen P-15 (Flat Pace)-Radaranlage. Röntgenstrahlung entsteht beim Auftreffen der Elektronen auf die Innenseite der Anode (quadratisch gebogenes Blech)In solchen Bauteilen, vor allem aber in deren Stromversorgung und Modulatoren entsteht als technisch unvermeidbares Nebenprodukt Röntgenstrahlung. Diese wird je nach ihrer Wellenlänge durch viele technisch übliche Materialien nur wenig abgeschwächt. Bis Mitte der 80er Jahre war die Abschirmung der Strahlung insbesondere insbesondere der Impuls-Schaltröhren sowohl bei den bei der Bundeswehr eingesetzten amerikanischen Geräten, als auch bei den bei der NVA der DDR eingesetzten sowjetischen Typen teilweise unzureichend. Die entsprechenden Abschirm- und Schutzmaßnahmen wurden für verschiedene Radartypen und Waffengattungen zu unterschiedlichen Zeiten, teilweise erst um 1985, eingeführt. Das Bedien und Wartungspersonal war deswegen über längere Zeiträume Strahlendosen ausgesetzt, die nach Schätzungen oft um ein Vielfaches über im Zivilbereich zulässigen Grenzwerten lag. Aber schon niedrigere Strahlendosen können das Genom der Zellen schädigen und somit Krebs verursachen.
Die größere Schadwirkung geht also nicht von der Radar-Mikrowellenstrahlung aus, sondern von der nebenbei in der Elektronik der Geräte erzeugten Röntgenstrahlung.
Der Tod zweier Soldaten, die regelmäßig mit den Radargeräten der Fregatten der Köln-Klasse zu tun hatten, führte 1976 zur Einführung von Schutzmaßnahmen bei der Marine.
Besonders betroffen sind ehemalige Wartungstechniker, da zahlreiche Radargeräte so konstruiert waren, dass Wartungs- und Justierarbeiten an der Einheit nur bei geöffnetem Gerät im laufenden Betrieb möglich waren. Oft über Stunden waren sie so ungeschützt direkter Strahlung ausgesetzt. Der zulässige Jahresgrenzwert konnte teilweise binnen 3 Minuten überschritten sein.
In der Bundeswehr waren Geräte, die die von der Person aufgenommene Strahlung aufzeichnet (Dosimeter) bis Ender der 70er nicht vorhanden. Dies erschwert heute die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen, da die Beweislast beim Betroffenen liegt.
Mögliche Krankheitsbilder sind:
Nieren- und Leberkrebs, Hoden- und Prostatakrebs, Non-Hodgkin-Lymphomen und Leukämie, sowie Immunschwäche, Herzkrankheiten und Störungen des Nervensystems. Auch Behinderungen bei Kindern des ehemaligen Radarpersonals, vor allem schwere Fehlbildungen an Armen und Beinen, etwa sechsfingrige Hände und verkürzte Beine, sind bekannt.
Die Situation in anderen Ländern, zum Beispiel den NATO-Staaten, ist unbekannt. Obwohl ähnliche oder sogar baugleiche Geräte verwendet wurden und das Bundesverteidigungsministerium die anderen NATO-Staaten über die Untersuchungen in Deutschland informiert hatte, gaben diese bekannt, dass keine Krebsfälle im Zusammenhang mit Radarstrahlung bekannt seien.
Auch in der zivilen Luftfahrt, wo zur Flugsicherung ebenfalls Radargeräte eingesetzt werden, sind bisher Fälle ähnlicher Schädigung beim Radarpersonal bekannt geworden.
Hochfrequente, energiereiche Radarstrahlung ist natürlich keine für den allgemeinen Bürger zugängliche Strahlungsquelle, der er sich tagtäglich nähert.
Gefahrenpotential für den "Otto-Normal-Bürger"Studien können die behauptete Elektrosensibilität beim Menschen mehrheitlich nicht belegen. Bei älteren Studien bis zum Jahre 2003, die sich mit der Frage nach der Erkennung hochfrequenter Felder durch Elektrosensible beschäftigten, fand sich keine Bestätigung der Hypothese, dass Elektrosensible angeben konnten, ob ein entsprechendes Feld anwesend war oder nicht (#3, #4, #5, #6, #7, #8, #9 und #10).
Der TNO-FEL-Report, eine Peer-Review-Studie aus den Niederlanden, 2003 zeigte signifikante Unterschiede zwischen Universal Mobile Telecommunications System (UMTS) und Global System for Mobile Communications (GSM) (#11, #12 und #13). Die ETH Zürich hat in einer doppelt verblindeten Cross-Over-Studie die TNO-Studie zur Elektrosensibilität wiederholt und kam zu widersprüchlichen Ergebnissen (#14). Die deutsche Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) zeigte, dass 48 Personen, die sich selbst als elektrosensibel bezeichneten, unter wissenschaftlichen Bedingungen nicht anders als die 96 Personen aus der Kontrollgruppe auf hochfrequente Felder und magnetische Wechselfelder reagierten und ebenso wenig angeben konnten, wann diese Felder anwesend waren (#15).
Dabei ist natürlich zwischen athermischen (also nicht thermischen) und thermischen Effekten zu unterscheiden. Zweifellos ist Infrarotstrahlung Teil des elektromagnetischen Spektrums und auch die Verwendung einer Mikrowelle zum Erwärmen von Speisen und Getränken sollte hinlänglich bekannt sein. Für die athermischen Wirkungen gibt es jedoch keine Anhaltspunkte (#16, #17 und #18).
Wie steht es aber um eingebildete und echte Symptome?
Das würde ich gern auf den nächsten Beitrag verschieben.
#1 -
Biologische Auswirkungen des Mobilfunks - Gesamtschau -. Stellungnahme der Strahlenschutzkommission (verabschiedet in der 250. Sitzung der Strahlenschutzkommission am 29. und 30. September 2011, PDF, zuletzt abgerufen am 25. Juni 2019)
#2 - Sebastian Knauer, Dietmar Pieper, Alexander Szandar, Hans-Jörg Vehlewald: Hitzewelle im Körper. In: Der Spiegel. Nr. 4, 2001, S. 27 (
online).
#3 -S. Lonne-Rahm, B. Andersson, L. Melin, M. Schultzberg, B. Arnetz: Provocation with stress and electricity of patients with "sensitivity to electricity". In: Journal of Occupational and Environmental Medicine. Band 42, Nr. 5, 2000,
ISSN 1076-2752, S. 512–516,
PMID 10824304.
#4 - S. Braune, A. Riedel, J. Schulte-Mönting, J. Raczek: Influence of a radiofrequency electromagnetic field on cardiovascular and hormonal parameters of the autonomic nervous system in healthy individuals. In: Radiation Research. Band 158, Nr. 3, 2002,
ISSN 0033-7587, S. 352–356,
PMID 12175313.
#5 - A. Barth, L. Maritczak, E. Valic, C. Konnaris, C. Wolf: [Pseudostenocardia due to exposure to "electrosmog"]. In: Deutsche Medizinische Wochenschrift (1946). Band 125, Nr. 27, 7. Juli 2000,
ISSN 0012-0472, S. 830–832,
doi:10.1055/s-2000-7009,
PMID 10929538.
#6 - U. Flodin, A. Seneby, C. Tegenfeldt: Provocation of electric hypersensitivity under everyday conditions. In: Scandinavian Journal of Work, Environment & Health. Band 26, Nr. 2, 2000,
ISSN 0355-3140, S. 93–98,
PMID 10817373.
#7 - B. Andersson, M. Berg, B. B. Arnetz, L. Melin, I. Langlet: A cognitive-behavioral treatment of patients suffering from "electric hypersensitivity". Subjective effects and reactions in a double-blind provocation study. In: Journal of Occupational and Environmental Medicine. Band 38, Nr. 8, 1996,
ISSN 1076-2752, S. 752–758,
PMID 8863199.
#8 - William J. Rea, Yagin Pan, Ervin J. Fenyves, Iehiko Sujisawa, Hideo Suyama: Electromagnetic Field Sensitivity. In: Journal of Bioelectricity. Band 10, Nr. 1-2, 1991,
ISSN 0730-823X, S. 241–256,
doi:10.3109/15368379109031410 (
aehf.com [abgerufen am 25. Oktober 2018]).
#9 - Maila Hietanen, Anna-Maija Hämäläinen, Tuula Husman: Hypersensitivity symptoms associated with exposure to cellular telephones: No causal link. In: Bioelectromagnetics. Band 23, Nr. 4, 2. April 2002,
ISSN 0197-8462, S. 264–270,
doi:10.1002/bem.10016 (
wiley.com [abgerufen am 7. Oktober 2018]).
#10 - A. Barth, L. Maritczak, E. Valic, C. Konnaris, C. Wolf: [Pseudostenocardia due to exposure to "electrosmog"]. In: Deutsche Medizinische Wochenschrift (1946). Band 125, Nr. 27, 7. Juli 2000,
ISSN 0012-0472, S. 830–832,
doi:10.1055/s-2000-7009,
PMID 10929538.
#11 -
TNO-FEL report: FEL -03-C148, 2003. Effects of Global Communication system radio-frequency fields on Well Being and Cognitive Functions of human subjects with and without subjective complaints.
#12 -
TNO-report FEL-03-C148. (Mementovom 21. August 2010 im
Internet Archive) auf: milieuziektes.nl
#13 -
Diskussionsstand zur TNO-Studie. auf: milieuziektes.nl
#14 - S. J. Regel, S. Negovetic, M. Röösli, V. Berdiñas, J. Schuderer, A. Huss, U. Lott, N. Kuster, P. Achermann: UMTS base station-like exposure, well-being, and cognitive performance. In: Environmental health perspectives. Band 114, Nummer 8, August 2006, S. 1270–1275,
ISSN 0091-6765.
PMID 16882538.
PMC 1552030 (freier Volltext).
#15 -
Gerlinde Kaul: Ergebnisse und Befundzusammenhänge aus der Beobachtung einer 'Elektrosensibilität' gegenüber einem 50-Hz-Magnetfeld und dem GSM-Funkfeld eines Mobiltelefons. (PDF; 25Kb) Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 21. November 2006, abgerufen am 21. Dezember 2015.
#16 -
EU-Report über "elektromagnetische Hypersensibilität". In: Dtsch Arztebl.95(4), 1998, S. A-130 / B-112 / C-108.
#17 - Gerlinde Kaul:
Was verursacht "elektromagnetische Hypersensibilität"? (PDF; 1,5 MB) Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2009.
#18 -
WHO | Electromagnetic fields and public health. Abgerufen am 06. August 2019.