Schlüssel der Welt




Unterhaltungsliteratur in ihren verschiedenen Formen, wie beispielsweise Romane, Erzählungen, Kurzgeschichten, Berichte, Märchen und Sagen

Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 12:11

Kapitel XLI

Manchmal dachte er an die alten Zeiten zurück. Sie waren mehr oder weniger besser. Weniger chaotisch und vor allem viel ruhiger.
Aber auch die Ereignisse der letzten Tage waren der Grund dafür, dass er sich die alten Zeiten zurück wünschte.
In den letzten dreißig Jahren waren immer mehr Leute in seinem Dorf aufgetaucht. Einfach so, fast aus dem Nirgendwo. Und in den letzten Monaten waren es immer mehr geworden.
Irgendwie war dies erst so chaotisch geworden, nachdem Matt ihm das Geschwisterpaar geschickt hatte. Es war, als würden alle fremden Besucher auf der Suche nach den beiden. Als würden sie ihnen folgen.
Jeder andere hätte den Grund hierfür weder bemerkt noch wirklich für voll genommen. Er aber ahnte es. Denn auch er hatte es gespürt.
Die magische Kraft der Schlüssel, die beiden Geschwistern inne wohnte. Vor allem aber dem Mädchen.
Doch nun war es nicht mehr die alte verblasste Spur des Paares, die die Schlüsselreisenden anlockte.
Nun verfolgte sie ihn.

In seinem sonst so ruhigen Dorf waren plötzlich acht Reisende auf einmal aufgetaucht. Zwar waren sie nicht gemeinsam gekommen, aber sie verfolgten doch alle das selbe Ziel.
Zielstrebig kamen sie auf ihn zu. Wirkten im ersten Moment ein klein wenig verwundert.
„Das soll´s sein?“ murmelte einer der Fremden und sah den alten Mann, ihm gegenüber irritiert an.
Für die anderen war er auch nichts weiter als ein alter gebrechlicher Mann.
„Er hat einen Schlüssel!“ kam von einem anderen.
Und wieder jemand sagte etwas in einer ihm fremden Sprache. Aber vermutlich war auch er überzeugt davon, dass der alte Mann irgendwelche Schlüssel besäße.
Damit hatte der alte Mann zwar gerechnet, doch er hatte gehofft, dass dies nicht wirklich passieren würde.
Die Schlüsseljäger waren da und nun würden sie ihn überfallen.

Er tat unwissend und versuchte seinen Weg durch das Dorf fortzusetzen. Seine größte Sorge galt vor allem seinen Freunden, die er hier gewonnen hatten und die nichts von seinen Fähigkeiten und Geheimnissen wussten. Sie sollten nicht seinetwegen zu schaden kommen.
Die Fremden folgten ihm, laut schimpfend, dass er ihnen doch freiwillig seine Schlüssel überlassen solle. Doch er wollte niemanden seine Schlüssel überlassen.
Einer der fremden Kerle packte den alten Mann am Arm und hielt ihn fest. Noch einmal wiederholte er seine Drohung.
„Aber ich weiß nicht, was ihr wollt!“ stellte sich der alte Mann dumm.
„Du hast eine Menge Schlüssel einstecken!“ gab der Fremde zu verstehen, „Ich kann die Magie förmlich riechen!“
Dass man die Magie nicht wirklich riechen konnte, wollte der Alte ihm nicht unbedingt auf die Nase binden.
„Ich habe nur den Schlüssel hier!“ stellte sich der alte Mann dumm und hielt seinen messingfarbenen Hausschlüssel hoch.
Sein Angreifer und auch die anderen ließen sich aber nicht überzeugen. Zwar glaubten sie noch immer, dass er vielleicht wirklich nur ein dummer unwissender alter Mann war, der zufällig eine Schlüsselkarte bei sich trug und nicht wusste worum es ging. Aber das hinderte sie nicht daran, dass sie nicht vorsichtiger mit ihm umgingen.
„Ich will die Schlüsselkarten!“ knurrte der Fremde und packte den Alten fester am Arm.
Ein Schmunzeln zuckte über das Gesicht des Alten.
„Du hast keine Ahnung, was genau du suchst!“
Für einen alten Mann hatte er sehr viel Kraft, wie der Fremde feststellen musste. Der Alte befreite sich aus dem Griff seines Angreifers und stieß ihn von sich.
Egal wie stark der Alte sein musste, dumm war er nicht. Er stellte sich nicht den anderen entgegen. Er lief davon. Auch ungewöhnlich schnell für einen alten Mann. Zumindest schneller, als man es von ihm hätte erwartet.
Während sich die Reisenden noch für einen Moment fragten, ob sie gerade versucht hatten einen ehemaligen Sprinter oder Kampfsportler oder dergleichen anzugreifen, hatten die Dorfbewohner besorgt zugesehen, wie ihr alter Freund angegriffen wurde. Doch ausrichten konnten auch sie nicht viel. Sie hatten aber zumindest die Polizei gerufen, wenngleich die wohl noch eine Weile auf sich warten lies.

Der Plan des Alten ging irgendwie auf. Die Fremden folgten ihm.
Es war als hätte er einen Magneten bei sich und zöge sie an. Ihre Schlüssel der eine Magnet und seine der andere.
„Alter, bleib endlich stehen!“ schrie ihm einer hinterher.
Doch noch immer dachte der Verfolgte nicht daran. Er wusste, dass er großes Glück hatte, dass sie keine Schusswaffen bei sich trugen. Doch er wusste nicht, wie lange ihm dieses Glück wohl noch gewogen sein würde.
Für einen Moment hatte er sie abgehängt.
Er hatte sie aus dem Dorf gelockt und stand nun auf einer sandigen Fläche und wartete auf die Fremden.
Und als sie ihn fanden, angezogen von seiner Schlüsselmagie, stand er noch immer wartend da, während sie grinsend näher kamen.
„Kannst wohl nicht mehr weglaufen!“ meinte einer schnaufend.
„Und du kommst auch nicht mehr weit!“ antwortete ihm der Alte nur grinsend.
Doch sein Gegner verstand nicht, was er damit meinte.
„Eigentlich schade,“ seufzte der Alte, „war schön hier!“
„Deine Schlüssel!“ knurrte ein anderer Reisender und trat näher heran.
Der alte Mann schüttelte nur den Kopf.
„Kein Schlüssel nutzt dir jetzt noch was!“ meinte er nur.
„Was?“
„Die Magie … ist fort!“ Der Alte schien sich über ihn und die anderen lustig zu machen.
Doch dann merkten es die Reisenden. Irgendwie war es, als hätte man ihnen etwas weggenommen. Das sonderbare Gefühl, was sie hier her geführt hatte, war verschwunden. Der Magnet war weg.
„Ich wünsch euch noch viel Spaß hier!“ meinte der Alte.
In der Ferne war eine Polizeisirene zu hören.
„Du kommst nicht weg!“ drohte man dem Alten. Doch der wies nur kurz mit einem Blick auf den Boden zu seinen Füßen.
Ein Viereck war in den Sand gezogen, in dem der alte Mann stand.
Noch einmal schmunzelte der Alte und bevor der Polizeiwagen den Ort erreicht hatte, öffnete sich der Boden, fast wie eine Falltür und der Alte verschwand.
„Scheiße, was war das?“ fluchte einer der Angreifer und schritt ebenfalls in das Viereck. Doch nichts tat sich. Es war nur ein Viereck im Sand und von dem Alten keine Spur.
Erst viel später würden sie mitbekommen, dass all ihre Schlüsselkarten unbrauchbar waren, so wie der alte Mann es ihnen gesagt hatte. Nur wussten sie nicht, wie das geschehen konnte. Sie wussten noch nicht einmal, wem sie gegenüber gestanden hatten.

Der alte Mann allerdings war weder verwirrt darüber, dass die Schlüssel seiner Jäger unbrauchbar waren noch überrascht. Vielmehr ärgerte es ihn, dass er nun aus seinem Zuhause hatte fliehen müssen.
Was er nun tun sollte, wusste er nicht so recht.
Als er in einem großen Glasfenster in der Stadt, in der er soeben gelandet war, vorbei lief, bemerkte er, dass er nicht mehr der alte Mann von eben war. Er sah nun nicht mehr aus, wie ein knapp Siebzigjähriger. Er hatte nun knapp zwanzig Jahre seiner Jugend zurück gewonnen.
„Hm …“ meinte er leicht überrascht zu sich, „Dann eben nicht mehr Bastiano!“
Er würde nun seinen Namen wieder ablegen, so wie er seine italienische Heimat hinter sich lies. Zumindest so lange, wie es dauern würde das Chaos zu beseitigen, hoffte er.


Gemeinsam hatten sie den alten Mann ins Wohnzimmer getragen und auf die Couch gelegt. Noch immer war er nicht bei Bewusstsein und Meryl kümmerte sich um die sichtbaren Verletzungen, während ihr Bruder Richard finster drein blickend in dem Sessel neben ihr saß.
Er hatte fliehen wollen, doch seine Schwester hatte darauf bestanden bei dem Fremden zu bleiben in der Hoffnung, dass sie irgendwie etwas über ihre Kinder erfahren würden.
„Du glaubst ihm die ganze komische Geschichte?“ wollte Richard von seiner Schwester wissen. Er wollte es nicht wahrhaben, obwohl er doch selbst einiges davon miterlebt hatte.
Meryl antwortete ihm nicht. Sie kümmerte sich um ihren Patienten.
Allerdings gab es auch nichts, was sie wirklich hätte antworten können.
„Ich meine, warum will er uns … retten, oder was auch immer? Und woher kennt er Evangeline?“
„Ich weiß es nicht!“ kam von Meryl. Sie hatte keine Lust sich mit ihrem Bruder zu streiten.
Doch er hingegen schien einem Streit nicht abgeneigt.
„Der Kerl ist irgendein Verrückter und erzählt irgendwas von Magie und Zauberschlüsseln und du nimmst das für voll!“ protestierte er, „Ich meine, vielleicht ist er ja der Killer von ihr! Und vielleicht hat er sich den ganzen Scheiß nur ausgedacht, um uns zu verarschen!“
„Sei still!“ gab seine Schwester endlich zurück, „Er hat nicht gelogen!“
Richard sah sie zornig und irritiert zugleich an.
„Jim hat mir mal so eine Geschichte erzählt!“ meinte sie dann, wollte aber nicht näher darauf eingehen.
Ein merkwürdiges Geräusch, ähnlich einem Seufzer, kam von Keys und er öffnete endlich die Augen.
„Es tut mir leid!“
Meryl und Richard sahen ihn fragend an.
„Es ist meine Schuld!“ meinte Keys und versuchte sich aufzusetzen, was ihm allerdings nicht wirklich gelang. Dafür hatte er zu große Schmerzen.
„Ich hätte es verhindern müssen!“
„Was verhindern?“ wollte Meryl wissen. Das interessierte auch ihren Bruder.
„Die Schlüssel … sie ziehen sich gegenseitig an.“ Keys holte tief Luft, ehe er weiter sprach. Alles tat ihm weh. „Und es wird immer schlimmer!“
„Ich versteh noch immer nichts von dem ganzen Unsinn!“ beschwerte sich Richard.
„Es ist alles meine Schuld! Ich hätte das alles verhindern müssen.“ kam zusammenhanglos von Keys, „Ich hätte aufpassen müssen, dass niemand die Schlüssel nimmt. Ich hätte sie gleich am Anfang vernichten sollen. Dann wäre das ganze Chaos nie passiert!“
Richard sah erst zu Meryl, die ebenfalls nichts von dem ganzen verstand, und dann zu dem alten Mann.
„Die Magie der Schlüssel wird immer schwächer und darum ziehen sie sich an. Sie vernichten sich gegenseitig.“
„Was?“
Keys sah Meryl erst an.
„Die Schlüssel entziehen sich gegenseitig die Magie. Sie versuchen zu … überleben!“ meinte er und klang dabei selbst ein wenig irritiert darüber, was er redete.
„Überleben?“ wiederholte Richard, „Ich denke, dass sind … Karten?“
Irgendwie wurde die ganze Story nur noch verwirrender.
„Die Magie der Karte kann entzogen und auf eine andere übertragen werden!“ kam von Keys etwas klarer.
„Dann wird die Magie der einen Karte stärker?“ wollte Meryl wissen.
Keys versuchte zu nicken, was allerdings keine gute Idee war, da ihm der Schädel brummte.
„Man kann damit einen ziemlich starken Schlüssel schaffen!“ versicherte er ihr.
„Aber ich denke, die suchen alle nach dem … komischen … ersten Schlüssel! Wenn sie einen starken Schlüssel schaffen können, wozu brauchen die dann den ersten?“ hinterfragte Richard.
„Der erste Schlüssel ist der stärkste von allen und er kann allen anderen die Magie entziehen!“
Keys seufzte noch einmal.
„Ich hätte es nie soweit kommen lassen sollen!“ murmelte er erneut, „Es ist alles meine Schuld!“
Dann schloss er wieder die Augen und war recht schnell eingeschlafen.
Richard und Meryl hatten rein gar nichts von ganzen Geschichte verstanden.


Kayleigh saß noch immer in der Küchenecke und hielt nachdenklich das Buch in der Hand. Die Geschichte, die aufgetaucht war, hatte ihr ein paar ihrer Erinnerungen zurück gebracht. Wozu auch immer!
Sie fragte sich, woher das Buch soviel über sie wissen konnte, wenn sie selbst das meiste davon doch schon vergessen bzw. verdrängt hatte. Und dann war da noch die irritierende Frage, wie das mit der Originalgeschichte zusammenhängen könnte, die sie herausfinden sollten.
Wer war eigentlich auf die sonderbare Idee gekommen, dass sie irgendwie eine Geschichte aus dem Buch herausbekommen sollten, wenn dieses doch ganz gerne seine eigenen Text schrieb und veränderte.
„Ich wünschte, du würdest endlich mal Klartext reden!“ seufzte Kayleigh und blätterte in dem Buch.
Die ersten Seiten zeigten einen angefangenen Stammbaum, beginnend mit Thomas Learmont, bei dem lediglich das Geburtsjahr vermerkt war. Von seinem Namen führte ein Strich nach rechts. Der Name dort fehlte, aber vermutlich wäre es der Name seiner Frau gewesen. Darunter ein Sterbedatum, gekennzeichnet mit einem Kreuz. Von Thomas und dem freiem Namensfeld seiner Frau führten zwei Striche nach unten, darunter die Geburtsjahre der beiden Söhne. Allerdings war nur der Name des zweiten Sohnes aufgeführt. Vigilius.
Vom ersten Sohn führte dann wieder ein Strich zur Seite, zur Ehefrau, deren Name allerdings ebenfalls fehlte. Und dann in Verbindung beider dann gleich drei Striche nach unten, für die die drei Kinder. Und von denen führten weitere erst zur Seite zum Ehepartner und dann nach unten für weitere Kinder, die dann ebenfalls Ehepartner und dann auch wieder Kinder bekamen.
Zwar waren noch immer nicht alle Namen und Geburts- bzw. Sterbejahre aufgeführt, aber es war deutlich zu erkennen, dass zumindest ein Sohn Thomas eine große Familie gegründet hatte.
Doch dann tauchte auch eine Verbindung zu Vigilius auf. Auch bei ihm ging ein Strich zur Seite für eine Partnerin und einer nach unten. Zwar tauchte weder der Name der Mutter noch der von Vigilius Kind auf, aber ein Geburtsjahr des Kindes. 1974.
Vigilius war also mit einhundert-fünfundzwanzig Jahren Vater geworden. Diese Neuigkeit überraschte Kayleigh für einen kurzen Moment. Allerdings gab es andere viel wichtigere Dinge, die sie interessierten.
Allen voran die Frage, warum dass alles passierte.
Sie blätterte wieder zu dem kurz zuvor aufgetauchten Text und starrte darauf. Warum muss ich das alles wissen, fragte sie sich.
Und so als würde das Buch ihre Gedanken lesen, tauchte die Antwort auf.
„Du musst die Vergangenheit kennen, um deine Zukunft zu erkennen!“
„Warum nicht auch mal eine einfache und verständliche Antwort!“ protestierte Kayleigh leise. Sich mit einem Buch zu streiten, erschien eigentlich recht sonderbar. Zumindest, wenn es ein normales Buch gewesen wäre. Doch dieses hier schien fast schon eine Art Lebewesen zu sein.
„Ich verstehe nicht, warum du nicht einfach … normal bist!“ flüsterte Kayleigh, „Wenn du wenigstens helfen könntest!“
„Gefahr kommt auf dich zu! Die Schlüssel ziehen sich gegenseitig an!“ war als Antwort zu lesen.
„Schon wieder nur wirre Worte!“ dachte sich Kayleigh, „Wenn du wenigstens einen Tipp geben könntest, was ich machen soll!“
„Du kannst nicht davon laufen!“ stand in dicken Buchstaben geschrieben. Allerdings verschwand dieser Text so schnell wie er aufgetaucht war, ebenso die anderen Zeilen der eigenwilligen Konversation zwischen Kayleigh und dem Buch.
„Super!“ seufzte Kayleigh. Herausgefunden hatte sie nichts. Und neben den Fragen, wie ihre Vergangenheit ihr helfen würde zu verstehen, was nun vor sich ging oder wie sie die Originalgeschichte, welche auch immer das sein sollte, finden sollten, brannte ihre eine weitere Frage auf der Seele.
Warum war das Buch so eigenartig? Wie konnte es sein, dass es immer wieder den Text änderte? War auch das irgendeine Art von Magie?
Über ihre Fragen schlief Kayleigh wieder ein. Versteckt hinter der Küchenzeile, auf dem kalten Fußboden.


Vigilius war auf der Flucht. Er wusste nicht wohin. Zum ersten Mal seit langem fühlte er sich hilflos.
Und er zum ersten Mal wusste er nicht, was er tun sollte.
Zwar hatte er immer wieder mal jemanden gegenüber gestanden, der ihm den Schlüssel stehlen wollte. Doch bis jetzt hatte Vigilius selbst die Oberhand in dem Kampf gehabt.
Aber nun waren gleich mehrere hinter ihm und den Schlüsseln her. Und sie wurden dabei immer aggressiver.
Und das machte ihm ein wenig Angst.
Die einzige Idee, die ihm kam, war seinen Bruder um Hilfe zu bitten.
Doch als er in dem italienischen Dorf ankam, spürte er nicht mehr die Magie seines Bruders. Nur die Schlüsselmagie vieler fremder Reisender, die auch ihn bemerkten und ihm folgten.
Und ehe sie ihm zu nahe kamen, ging er wieder. Er hoffte seinen Bruder an einem vertrauten Platz wieder zu finden.
Seinem Bruder musste es schließlich ebenso gehen wie ihm. Auch hinter ihm wären die Jäger hinterher, auf der Suche nach den Schlüsseln.
Es gab nicht viele Orte, an denen er mit seinem Bruder gemeinsam gewesen war.
Und so erschien die Gegend, in der er geboren und seine Kindheit verbracht hatte, als einzig richtige Wahl, seinen Bruder zu finden.
Allerdings war an dem Platz an dem einst das Haus stand, in dem er mit seinem Bruder und seinem Vater gelebt hatte, längst neu bebaut worden. Nichts ähnelte mehr der ihm vertrauten Gegend. Nichts war mehr so, wie es vor hundert Jahren ausgesehen hatte.
Aber nicht nur sein Wohnhaus war verschwunden. Auch die Spur seines Bruders war längst erloschen. Seit Ewigkeiten war der Bruder nicht mehr hier gewesen und so würde Vigilius woanders nach ihm suchen müssen.
Für einen Moment fragte er sich, was nun wirklich Vorrang hatte. Den ersten Schlüssel zu finden oder sich mit seinem Bruder in Sicherheit zu bringen?
Eigentlich hatte er sich nie für feige gehalten, doch nun war ihm ein Rückzug lieber, als dass er gegen die zum Teil unwissenden Schlüsseljäger antreten wollte. Sie folgten der Magie der Schlüssel ohne zu wissen, woher die Schlüssel kamen. Und vermutlich machte dies die Jäger gefährlicher. Sie sahen nur die Macht, die sie mit den Schlüsseln hatten und nicht den Schaden, den sie damit anrichten würden.
Und dann bemerkte er, dass er bis jetzt nicht anders war als sie. Er hatte immer nur nach der Macht des ersten Schlüssels gestrebt und hatte damit versucht seinem Vater eins auszuwischen. Doch nun hatte er Angst. Angst um sich und seinen Bruder.
Er fühlte sich seit langem wieder recht hilflos und wusste nicht was er tun sollte.


Nach langem Gezeter waren die Benetts doch noch aufgebrochen. Ihr Laden lief immer mieser. Nur noch die normalen Touristen verirrten sich zu ihnen und die brachten kaum Gewinn ein.
Die Schlüsselreisenden waren seit einer Weile schon nicht mehr bei ihnen aufgetaucht.
Und die Schuld daran schoben sie Kayleigh und ihrem Bruder in die Schuhe.
Irgendetwas hatten die beiden Teenager an sich gehabt, was die Schlüsselreisenden anlockte. Die beiden waren keine normalen Schlüsselträger. Sie waren viel mehr Meister.
Allen voran Kayleigh hatte großes Potential.
Und nun, ein halbes Jahr nach dem Auftauchen und Verschwinden der beiden Teenager, war der Drang selbst wieder zu reisen immer größer geworden. Irgendetwas schien sie zu rufen.
Sie waren einfach gegangen, hatten lediglich ihre Schlüssel zusammengepackt und fanden sich nun in einem Fabrikgelände wieder.
Die Arbeiter dort waren ein wenig überrascht von dem Auftauchen der beiden. Allerdings waren die beiden nicht die einzigen, die so plötzlich auf dem Gelände erschienen.
Eine weitere Gruppe tauchte auf. Sie wirkten ein klein wenig wie eine Rockerbande. Lediglich die Motorräder fehlten, um das Erscheinungsbild abzurunden.
Sie sahen sich kurz um und kamen dann auf die Benetts zu.
„Die haben Schlüssel!“ freute sich Remi. Doch Ama teilte seine Begeisterung nicht.
„Die sind zu sechst!“ meinte sie und wollte ihren Mann dazu bewegen, lieber den Rückzug anzutreten.
Doch sie spürte diesen merkwürdigen Sog, der von ihren Schlüsseln zu der Bande ging. Wie ein Magnet den anderen anziehen musste.
Ein riesiger Kerl schritt der Bande voran und stellte sich den Benetts entgegen.
„Eure Schlüssel!“ knurrte er.
In Ama stieg die Panik immer mehr an, während ihr Mann allerdings noch immer der Überzeugung war eine Chance in einem möglichen Kampf zu haben. Seit sie aufgebrochen waren, hatten sie bereits ein paar Schlüsselträger beraubt, wenngleich sie immer Glück gehabt hatten.
Doch diesmal wäre das Glück nicht mehr auf ihrer Seite, dass war sich zumindest Ama bewusst.
„Unsere Schlüssel bekommt ihr nicht! Wir nehmen eure!“ lachte Remi siegessicher.
Ein Schmunzeln kam über das Gesicht den Hünen und auf ein Zeichen hin, griffen zwei seiner Gefolgsleute Remi an.
Diesmal war sein Übermut hinderlich und Ama musste mehr oder weniger mit ansehen, wie die Fremden ihren Mann K.O. schlugen. Sie hörten erst damit auf, auf den blutigen Körper einzuschlagen, als ihr Anführer ihnen den Befehl dazu gab.
„Die Schlüssel!“ wiederholte der Hüne und sah Ama ernst an.
Ama hatte nicht den Mut bzw. war nicht so risikobereit wie ihr Mann, holte die Schlüsselkarten hervor und gab sie dem Fremden.
Der sah die Karten an, drehte und wendete sie. Und dann zerknüllte er sie einfach und lies sie fallen.
Ama sah ihn irritiert an.
„Aber ich dachte …!“ begann sie.
„Sie sind nutzlos! Jetzt!“ antwortete er.
Seine Schläger traten wieder hinter ihn und warteten auf den nächsten Befehl.
Doch der Hüne sagte nichts. Er sah auf den leblosen blutigen Körper vor sich und zu der ängstlichen Frau, die daneben hockte und zu ihm hoch sah.
Irgendetwas war da noch.
„Ihr habt nicht zufällig den ersten Schlüssel mal in den Händen gehabt?“ wollte er wissen.
Ama sah ihn fragend an.
„Nein!“ Es war nicht so, dass sie wirklich wusste, wie der erste Schlüssel aussehen sollte. Aber seine Magie wäre wohl sehr viel mächtiger, als jegliche Magie der Schlüssel, die bis jetzt in ihre Finger gelangt war.
„Hm ...!“ überlegte der Hüne, „Aber irgendwer muss bei euch gewesen sein, der etwas von der Magie des ersten Schlüssels bei sich trug. Es hat Spuren auf euch hinterlassen!“
Ama wusste nicht, was er damit meinte.
„Weißt du, diese Magie habe ich schon einmal gespürt. Ich hätte den Schlüssel beinahe in den Fingern gehabt. Doch er verschwand. Und seitdem suche ich ihn!“ erklärte er, „Und an euch haftet ebenfalls etwas davon!“
„Ich weiß nicht was du meist!“ gab Ama zu, „Bei uns waren viele Leute und alle hatten Schlüssel bei sich!“
„Keine Idee von wem die Magie an euch sein könnte?“ Der Hüne glaubte ihr nicht.
Ama überlegte. Sie befürchtete, dass der Fremde jeden Moment seine Schläger auf sie hetzten könnte, wenn sie ihm keine passende Antwort liefern würde.
Also nannte sie ihm das erste, was ihr einfiel:
„Da war ein Mädchen und ihr Bruder! Die hatten so ein komisches Buch bei sich!“
„Wo sind sie hin?“ wollte der Hüne wissen.
„Ich weiß nicht! Sie wollten ihre Familie suchen!“ antwortete Ama panisch, „Aber das Mädchen, sie … sie war irgendwie besonders. Sie hatte irgendwie diese komische … Energie!“
Der Hüne musterte sie, so als könne er in ihrem Gesicht ablesen, ob sie log oder nicht.
„Du weißt aber nicht, wo sie hin gegangen sind?“
Ama schüttelte den Kopf.
„Pech!“ murmelte der Hüne, drehte sich zu seinen Freunden um und ging wieder zur Tür, durch die er aufgetaucht war. Seine Bande wartete kurz, so als rechneten sie noch immer auf einen Befehl von ihm.
Ama saß ängstlich neben ihrem Mann und sah den Fremden nach.

Im Hintergrund hatten sich einige Arbeiter versammelt, doch keiner hatte den Mut gehabt einzugreifen. Zudem hatten sie kein Wort der Eindringlinge verstanden. Der gerufene Sicherheitsdienst brauchte ziemlich lange, ehe er endlich auftauchte.
Der Hüne drehte sich an der Tür noch einmal um, sah zu Ama und ihrem Mann, und öffnete dann die Tür mit einer Schlüsselkarte.
„Lasst sie! Die ist harmlos!“ meinte er zu seinen Anhängern, die daraufhin zu ihm kamen und als erstes durch die Tür schritten.
Dann ging auch er.
Ama und Remi blieben zurück. Unwissend, was nun mit ihnen passieren würde. Sie waren in ein Fabrikgelände eingedrungen und wussten noch nicht einmal, wo sie steckten. Und Remi war schwer verletzt.
Der einzige Lichtblick, den Ama sah, war, dass diese merkwürdige Kraft, die sie zum Reisen angestiftet hatte, verschwunden war. Sie verspürte nun nicht mehr den Drang Schlüssel zu suchen. Allerdings war dafür nun eine Art Leere in ihr. So als hätte man ihr einen Teil ihres Lebens genommen.
Nikita LaChance
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von Anzeige » So 3. Apr 2011, 12:11

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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 12:12

Kapitel XLII

„… Seit einigen Tagen kam es vermehrt zu Schlägereien auf offener Straße...“
„... immer wieder mussten Polizisten in der Region eingreifen …“
„... ´Es war wie bei einem Flashmob.´ sagte ein Zeuge aus, ´Da waren plötzlich ein Haufen Leute und die haben angefangen sich zu prügeln.´ ...“
„... Schwere Ausschreitungen … mehrere Verletzte …“
Die Nachrichten aus aller Welt berichteten vermehrt von Kämpfen auf offener Straße und von den plötzlich in Wohnungen oder Wohnhäusern auftauchenden Leuten.
„... Keiner kann sich diese gesteigerte Aggressivität erklären!...“
„... Neben den vielen Auseinandersetzungen ist auch die Anzahl der Vermissten gestiegen...“
Viel war geschehen in den letzten Tagen.
Immer wieder waren Reisende einfach irgendwo aufgetaucht und wenn sie aufeinander trafen, führte dies immer wieder zu Streitereien und Kämpfen. Für jeden Unwissenden war kein Grund ihrer Kämpfe zu erkennen.
Die Reisenden waren nicht auf normalen Wege in den Orten gelandet. Sie besaßen magische Schlüsselkarten, mit denen sie durch fast jede Tür treten und fast überall hin gelangen konnten. Doch nun waren sie weniger freiwillig unterwegs.
Ihr Schlüsselkarten zogen sich gegenseitig an und jeder Reisende wollte einen besseren Schlüssel besitzen.
Die vielen Vermissten waren auch zum Großteil ein Opfer der Schlüssel geworden. Hatten sich einige nach ihrem ersten Ausflug vor Jahren irgendwo eine neue Heimat aufgebaut oder auch wieder den Weg nach hause gefunden, so waren auch sie dem Ruf der Schlüssel gefolgt.
Fast wie eine Sucht, die man nie wirklich ablegen konnte, zog es die Schlüsselreisenden immer wieder in die Ferne.
Für einige würde es die letzte magische Reise sein. Einige würden ihre Schlüssel verlieren.
Es erschien irgendwie aussichtslos zu sein.
Wie sollte man den Ruf der Schlüsselkarten ignorieren, wenn man es nicht wirklich könnte? Wie sollte man sich gegen etwas stellen, wenn man noch nicht einmal wusste, was genau es war?
Und so würden die Nachrichten auch weiterhin über die vielen Vermissten berichten, die zum Teil irgendwo am anderen Ende der Welt wieder auftauchten. Zum Teil verletzt. Einige Menschen würden sogar noch viel länger verschwunden sein, dazu verdammt immer nach dem nächsten Schlüssel zu jagen. Nur davon würde keiner, der nichts von den magischen Schlüsseln wusste, irgendetwas ahnen.
So würden die Kämpfe auch weitergehen.
Bis irgendwann nur noch einer übrig bleiben würde. Ein einziger Reisender mit dem mächtigsten Schlüssel?
Nur davon würden die Medien nichts berichten.


Jentrix hatte die Wohnung verlassen. So wie es schien, war er der einzige der Truppe, der noch nicht erkältet war.
Kayleigh hatte noch immer Fieber, wenn auch nicht mehr ganz so stark. Allerdings war es nicht unbedingt gut für die angeschlagene Gesundheit, dass sie auf dem Küchenboden eingeschlafen war. Jentrix hatte sie dann, obwohl sie ein wenig müde protestierte, wieder ins Bett geschickt.
Dearon kämpfte noch immer mit seinem Schnupfen und nun hatten sich Adrian und Barry angesteckt.
Jentrix wollte nun für Hilfe sorgen. Irgendwo musste er doch in den Pariser Straßen Medizin und vor allem Essbares her bekommen. Dass er allerdings kaum ein Wort verstand, war nicht von Vorteil.
„Jentrix? Was machst du hier?“ fragte ihn plötzlich jemand.
Natürlich hatte er nicht damit gerechnet einen alten Bekannten in der französischen Hauptstadt anzutreffen.
„Urlaub?“ antwortete Jentrix ein klein wenig unsicher.
Der Freund begann ihn dann ein wenig auszufragen. Wollte wissen, ob er noch immer fotografieren und damit Geld verdienen würde und was es sonst noch neues gäbe.
Jentrix wusste, dass sein Freund zum Großteil nur aus geheucheltem Interesse nachfragte. Es war schon ein paar Jahre her, dass sie zusammen Partys gemacht hatten. Und so erzählte Jentrix ihm nicht all zu viel. Er vermied es über seine Art zu reisen zu berichten oder auch von seinen Begleitern.
„Schon irgendwie lustig, dass wir uns hier treffen!“ meinte sein Freund plötzlich.
Jentrix sah ihn irritiert an. Wenn es nach ihm ginge, würde er im Moment auf die Begegnung mit alten Bekannten vermeiden. Vor allem da er ein eigenartiges Gefühl bei dem alten Freund hatte.
Auf seine Frage, was er denn in der Stadt so treibe, reagierte sein Freund ein klein wenig eigenartig. Er brauchte eine Weile, ehe er antwortete.
„Urlaub?“ meinte er, „Ich wollt hier ein paar Leute treffen und wir … wollten uns ein klein wenig austauschen … so über … unsere Ideen!“
Näher wollte er nicht auf die Sache eingehen.
„Oh!“ Jentrix nickte nur, „Ich muss dann mal weiter. Ich muss noch einkaufen!“
Er verabschiedete sich von seinem alten Bekannten und wollte schon weiter gehen, als sein Freund ihm hinterher rief.
„Sei vorsichtig! Hier sind ein paar Schläger unterwegs!“ meinte er und nach einer kurzen Pause fügte er hinzu, „Hab ich gehört!“
Jentrix wusste nicht, ob und wie er darauf reagieren sollte. Schnell ging er weiter, um seine Besorgungen zu erledigen und schnell wie möglich wieder zu den anderen zurück zu kehren.
Als er sich noch einmal kurz nach seinem alten Freund umsah, sah er, wie dieser eine Sammlung an Karten aus seiner Hosentasche zog und durch ging. Mit einer Karte ging er an die nächstbeste Tür, hielt sie dagegen und öffnete die Tür.
„Er auch?“ überlegte Jentrix kurz und beeilte sich.
Auf dem Rückweg von der Apotheke und dem Lebensmittelhandel dachte er darüber nach, dass es gut war, dass er selbst keinen Schlüssel mitgenommen hatte. Vielleicht hätte ihn sein Bekannter angegriffen und nach den Schlüsseln verlangt. Vielleicht war das der Grund für sein flaues Gefühl in der Magengegend?


Jim und Mica saßen in ihrem Versteck und frühstückten erst einmal. Allerdings war das kein normales und gewöhnliches Frühstück.
Während anderswo Freunde und Familienmitglieder meist ruhig und friedlich ihr Frühstück genossen, ging es bei Jim und Mica weniger friedlich zu.
Mica hatte zu Jims Ärgernis gleich am frühen Morgen die Nachrichten im Internet zu studieren begonnen und konnte nicht einmal für einen kurzen Moment die Augen von seinem Laptop genommen.
Zwischendrin hatte er seine Internetseite, auf der er die vielen Vermissten, die zum Großteil aus Reisenden bestanden, aufgelistet hatte, aufgerufen. Bei einer Großzahl der Leute waren neue Hinweise auf ihre Sichtungen eingetragen worden. So war nun fast die Hälfte der Vermissten irgendwo wieder aufgetaucht, einige allerdings waren kurz danach wieder verschwunden.
„Es ist eigenartig, dass gerade jetzt so viel passiert!“ stellte Mica auf einmal fest.
Jim sah ihn kurz irritiert an.
„Hast du dich nie gefragt, warum die Schlüssel so komisch sind?“
„Komisch?“ wiederholte Jim.
„Na, sie ziehen sich an und … einige können die Magie der Schlüssel spüren!“ erklärte Mica kauend.
Jim überlegte kurz.
„Sie ziehen sich nicht nur an!“ seufzte er kurz, „Sie vernichten sich gegenseitig!“
Mica schwieg und tat als wäre die Werbung irgendeines Kaugummis interessanter.
Er machte sich wie Jim Sorgen um Kayleigh und ihre Freunde.


Jentrix verschwieg seine Begegnung. Einerseits wollte er Kayleigh nicht unnötig beunruhigen und andererseits wollte er auch nicht, dass die anderen glauben würden, dass er ein falsches Spiel mit ihnen triebe und sie schlussendlich verraten würde.
Er ließ Kayleigh schlafen, während er den anderen Medizin und Essen gab.
„Wo ist eigentlich das Buch?“ wollte Barry wissen, so als gäbe es nichts interessanteres im Moment.
„Kayleigh hatte es zuletzt!“ antwortete Jentrix nur und ging nachsehen.
Das Buch lag noch immer in der Küchenecke und noch immer offen.
Irritiert sah Jentrix auf die Zeilen und überflog sie.
„Das Buch!“ rief Barry ihm zu, „Kann ich es haben?“
Doch Jentrix reagierte nicht. Er las den Text erneut. Diesmal genauer.
Und dann noch einmal.
Als er das Buch endlich an Barry weiterreichte, meinte er nur:
„Das ist nicht gut!“
Alle drei Jungs sahen ihn irritiert an.
„Sie wird wieder weglaufen!“ war Jentrix der Meinung.
Nun starrten die Jungs in das Buch und überflogen ebenfalls die Zeilen.
„Wie kann das sein?“ fragte Adrian sofort, „Ich meine, wieso hat sie nie was davon erzählt?“
Noch bevor einer der anderen ihm antworten konnte, tauchte auf einmal eine Zeile im Buch auf, die bisher noch nicht drin gestanden hatte.
„Sie hatte es vergessen!“ antwortete das Buch.
„Wie kann man so was vergessen?“ irrtierte Barry.
„Verdrängt!“ meinte Adrian auf einmal, „Sie hat alles verdrängt, was vor Moms Tod passiert ist!“
Dearon sah ihn fragend an.
„Du meinst wirklich ...“ begann Barry, doch Adrian war sich sicher.
„Kayleigh hatte lange Zeit nicht geredet und der Psychodoc bei dem sie in Behandlung war, meinte irgendwann, dass sie sich einfach nicht erinnern will!“ erklärte Adrian.
Jentrix setzte sich und wusste nicht was er sagen sollte.
Dearon hatte dann aber eine andere Frage.
„Wie kann das dann aber sein, dass nach dem … Tod eurer Mutter plötzlich nichts ungewöhnliches mehr passiert ist?“ wollte er wissen, „Wieso waren dann die Türen verschlossen?“
Die Jungs brauchten einen Moment ehe sie überhaupt verstanden, was genau er meinte.
„Ich hab keine Ahnung!“ gab Adrian zu, „Bei Onkel Jim ist auch nie was passiert! Da waren die Türen auch keine Durchgänge.“
Schweigen trat ein. Keiner verstand so recht, was die Geschichte zu Kayleighs Vergangenheit zu bedeuten hatte.
„Es sieht aus, als sei sie schuld!“ murmelte Dearon und Jentrix sah ihn mit großen Augen an.
„Aber wieso sollte sie …?“ wollte Adrian wissen.
„Weil das Buch es so sagt!“ Es klang ein klein wenig wie ein Protest von Jentrix.
Barry nickte nur. Er überlegte krampfhaft, was er noch von seinem aller ersten Mal des Zusammentreffens mit dem Geschwisterpaar wusste. Das war vor ungefähr einundzwanzig Jahren gewesen.
„Sie wird bestimmt wieder weg rennen!“ seufzte nun auch Adrian.
„Ja, aber im Moment schläft sie noch!“ meinte Dearon nur und stand auf, um seine Blase zu erleichtern.
Als er aus dem Bad kam, sah er in Richtung Bett und beschloss kurz nach Kayleigh zu schauen.

„Du hast gelauscht!“ meinte er leise, als er die Leiter erklommen hatte.
Kayleigh sah ihn erschrocken an und fühlte sich ertappt.
Dearon setzte sich zu ihr und fühlte ihre Stirn. Sie fühlte sich noch immer fiebrig an.
„Es wird immer gefährlicher!“ flüsterte Kayleigh auf einmal.
„Was meinst du?“
„Sie vernichten sich gegenseitig und entziehen sich gegenseitig ihre Kraft!“
Dearon sah sie fragend an.
„Die Schlüssel … das Buch hat es gesagt!“ meinte sie leise, „Erst ziehen sie sich an und dann entziehen sie sich gegenseitig ihre Kraft!“
Noch immer wusste Dearon nicht so ganz was sie meinte.
„Sie verfolgen mich!“ sagte sie leise, so als wolle sie nicht, dass er es hörte.
Dearon hatte es gehört, sagte aber nicht dazu.
Kayleigh sah ihn eine Weile an, so als warte sie darauf, dass er irgendetwas sagte.
„Ich werd nicht weglaufen!“
Dearon zog die Augenbrauen fragend nach oben und sie musste kurz schmunzeln.
„Ich hab gelauscht!“ meinte sie, ehe sie noch einmal wiederholte, dass sie nicht weglaufen würde.
Wieder vermied es Dearon, darauf einzugehen.
Er schmunzelte, strich ihr die Haare aus dem Gesicht und meinte, dass sie noch ein wenig schlafen sollte.
„Ich kann nicht weg!“ kam leise von ihr, „Es ist egal, wo ich hingehe, sie verfolgen mich.“
Sie zog die Decke höher.
„Und Adrian verfolgen sie auch!“ seufzte sie, wobei sie immer leiser wurde.
Dearon wartete kurz, bis er sich sicher war, dass sie wieder eingeschlafen war. Dann ging er wieder nach unten zu den anderen, die sich über den Stammbaum im Buch gebeugt hatten. Mit Sicherheit hatten sie hören können, was Kayleigh und Dearon besprochen hatten.
Nikita LaChance
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 12:12

Kapitel XLIII

Noch vor wenigen Minuten war er noch in seinem kleinen italienischen Dorf gewesen. Er war Bastiano gewesen, ein normaler alter Mann.
Doch nun war er in England, jünger und scheinbar heimatlos. Es war nicht so, dass er diese Reise hätte machen wollen. Er hätte nur gern einen anderen Grund dafür gehabt.
Er wusste, dass das Haus, in dem er einst mit seinem Vater und seinem Bruder gelebt hatte, nicht mehr stand. Es waren seit dieser Zeit sehr viele Jahre vergangen.
Ungeachtet der Leute um ihn herum, lief er immer weiter. Warum er in der Stadt gelandet war, wusste er nicht genau. Aber hatte er nicht hier landen wollen?
Er ging die Straße immer weiter. Vorbei an den grauen Steinhäusern mit kunstvoll verzierten Giebeln und den vielen zylinderförmigen Schornsteinen.
Mehr oder weniger war er wieder zu hause.
Welchen Weg er gehen musste wusste er nicht. Er folgte lediglich dem Gefühl in der Magengegend. Er fühlte sich angezogen von einem starken Schlüssel, wie ein Magnet von dem anderen.
Nach einer Weile schien die Stadt zu enden. Doch sein Ziel lag nicht in der Stadt. Der Schlüssel der ihn anzog lag ein wenig abseits.
Und irgendwann stand der Mann, der vor kurzem noch Bastiano aus dem italienischen Dorf Agnone war, vor einem zweistöckigen Haus.
Ein Schmunzeln huschte ihm übers Gesicht und ohne Anzuklopfen oder auch nur die Tür zu öffnen, trat er ein.
Er lies den kleinen Hausflur hinter sich und ging direkt zu dem Schlüssel, der ihn mehr oder weniger gerufen hatte.
„Wer seid ihr?“ wollte er irritiert wissen und starrte auf einen mürrisch blickenden Mann, eine besorgt aussehende Frau und einen alten Mann, der verletzt auf der Couch lag.
Den Verletzten kannte er, die anderen beiden waren ihm unbekannt.
„Wie?“ Verwirrung bei dem Paar, „Wie sind sie hier rein gekommen?“
Doch Bastiano reagierte nicht darauf. Er ging zu dem Verletzten hin und besah ihn sich genauer.
In dem Moment öffnete der alte Mann seine Augen und sah ihn erschrocken und verwundert zugleich an.
„Hallo Vater!“


Kayleigh hatte wie zuvor nicht lange geschlafen. Und wieder war ein Alptraum der Grund dafür gewesen.
Sie fragte sich, was er wohl bedeuten würde. Ihr Psychologe würde wahrscheinlich den ganzen Traum auseinander nehmen und irgendetwas wirres hinein interpretieren. Vermutlich würde er das alles auf verdrängte Erlebnisse schieben und womöglich ihr irgendwelche Pillen geben, die ihr zumindest einen ruhigen Schlaf verschaffen sollten.
Während sie sich langsam wieder in ihre eigene Kleidung zwängte und danach begann ihr ganzen, zum Glück endlich getrockneten Kleidungsstücke wieder zusammen zu packen, knobelte sie selbst über die Bedeutung ihres Traumes. Irgendwann hatte sie mal eines dieser Traumdeutungsbücher in den Händen gehalten und neugierig darin gelesen.
Die Türen in ihrem Alptraum könnten, soweit sie sich an den Inhalt des Traumdeuterbuches erinnern konnte, für bestimmte Probleme stehen, denen sie sich zu stellen hatte.
Irgendwie konnte sie die Ironie an der Deutung erkennen.
Auch der Mord, den sie im Traum immer wieder sehen konnte, würde für einen Psychologen eine wichtige Bedeutung haben. Allerdings würde es für den Arzt eine andere Bedeutung haben als für sie selbst. Er würde darin irgendetwas über die Beziehung zu ihren Mitmenschen sehen, sie selbst sah nur die blutige Gräueltat.
Kayleigh hasste den Gedanken an das, was sie gesehen hatte und versuchte ihren Traum schnell wieder in Vergessenheit zu drängen. Nicht einfach, wenn man jede Nacht denselben Traum hatte, so als wäre es eine endlose Bandschleife.
Wie gerufen kam das Kribbeln in der Magengegend. Es war noch schwach, würde aber sicherlich recht bald anwachsen.
Die Jungs schliefen noch und noch war die Gefahr nicht in unmittelbarer Nähe, sodass Kayleigh sie weiter schlafen lies, während sie sich an eines der Fenster stellte und hinaus sah.
Irgendwo weit in der Stadt drin schimmerte ein kleines Licht. Oder vielmehr viele kleine Lichter. Es wirkte so, als blicke man auf eine Lichterkette aus mehreren Metern Entfernung. Nun gut bei der Entfernung würde man von einer Lichterkette rein gar nichts mehr sehen. Nur dies war weder eine Lichterkette noch irgendeine andere normale Lichtquelle.
Es waren Schlüssel und sie schienen sich fast alle am selben Platz zu befinden.
Kayleigh setzte sich ins Fenster und sah hinaus.


Der alte Mann hatte sich aufgesetzt und musterte den Jüngeren. Es war so, als müsste er sich erinnern, wen er hier vor sich hatte.
Meryl sah zwischen beiden Männern verwirrt hin und her und dann zu ihrem Bruder, der genauso verdutzt aussah.
„Lange nicht gesehen!“ schmunzelte der alte, obwohl es ihn schmerzte.
„Wie ich sehe, hast du Gäste!“ meinte der Jüngere und reichte Meryl die Hand.
„Bas... Sebastian!“ stellte er sich vor.
„Sie sind sein Sohn?“ wollte Richard wissen, als er Sebastians Hand schüttelte, „Dann wissen sie, dass er ein Entführer ist?“
Sebastian zog eine Augenbraue nach oben. Doch anstatt die Beschuldigung zu dementieren, schmunzelte er kurz.
„Entführer?“ Er sah zu dem alten Mann, den er noch als Vater begrüßt hatte.
„Sie nehmen es mir übel, dass ich sie hier in Sicherheit gebracht habe!“ erklärte der Alte.
„Die Schlüssel …?“ Meryls Frage irritierte die Männer kurz, „Sie wissen davon?“
Sebastian sah zu seinem Vater, der ihm zunickte.
„Das sind Richard Bachman und Meryl Matthews!“ stellte er seine Gäste endlich vor und ein leises „Aha!“ war von Sebastian zu vernehmen.
„Dann ist sie Matts Frau?“ murmelte er kurz und musterte Richard noch einmal, „Und das der vermisste Vater!“
Wieder war es Meryl, die nachfragte, was genau er damit meinte und was er alles wisse.
„Ich habe Kayleigh und Adrian getroffen!“
Die beiden Fremden sahen ihn mit großen Augen an. Endlich würden sie etwas über ihre vermissten Kinder erfahren.
Kurz erzählte Sebastian, auf Meryls Bitte hin, wann und wo er die beiden getroffen hatte.
„Ich habe sie weiter geschickt, damit sie Antworten finden!“ erklärte er, „Und damit sie vorbereitet sind!“
„Worauf?“
„Der Kampf der Schlüssel hat begonnen und die beiden stecken nun mittendrin!“ meinte der alte Mann.
„Was für ein Kampf, Keys? Was soll der Scheiß mit den Schlüsseln und warum sind meine Kinder da mit drin?“ Richard reagierte ein klein wenig gereizt.
„Kayleigh trägt etwas sehr mächtiges bei sich! Sie und ihr Bruder können einem Kampf nicht mehr ausweichen!“ meinte Sebastian zu alten Keys gerichtet, „Die Schlüssel werden immer … launischer!“
„Launischer?“ So hatte es Keys noch nicht gesehen, obwohl die Beschreibung mehr oder weniger stimmte.
„Ihre Kraft verbraucht sich und sie versuchen sich selbst zu retten, indem sie sich gegenseitig ihre Magie entziehen.“ Das hätte Sebastian dem alten Mann nicht zu erklären brauchen, da er dies selbst schon beobachtet hatte.
„Aber die Schlüsselkarten sind keine Lebewesen!“ bemerkte Richard ein klein wenig gereizt. Er hasste es, mal wieder unwissend zu sein. Er verstand rein gar nichts von dem Gespräch der beiden Männer. Vermutlich wusste sogar seine Schwester mehr als er über die ganze Schlüsselsache.
Auf seinen Ausspruch sagten die beiden Männer nichts, doch Keys sah ihn ein wenig fragend an.


„Falls du den Eiffelturm suchst, den sieht man nur im Film von jedem Pariser Fenster aus!“
Kayleigh zuckte erschrocken zusammen.
Jentrix, ebenfalls wieder in seiner eigenen Kleidung, hatte sich neben sie gehockt und blickte ebenfalls nach draußen, um zu sehen, was sie beobachtete. Doch für ihn gab es nur eine Menge Häuserdächer zu sehen.
Kayleigh sagte nichts. Sie war ein wenig irritiert, dass er so nah bei ihr hockte.
„Was macht dein Fieber?“ fragte er gleich und ohne auf eine Antwort ihrerseits zu warten, fühlte er ihre Stirn.
„Schon ein wenig besser!“ meinte er dann und ging etwas von der gekauften Medizin holen.
„Hier!“ Er hielt Kayleigh ein kleines Fläschchen hin.
„Mir geht´s gut!“ meinte sie nur. Sie hatte nicht vor irgendein Mittel einzunehmen.
Er zog eine Augenbraue nach oben und schüttelte dann den Kopf.
„Nimm´s trotzdem!“ bat er, „Ist nur eine Vorsichtsmaßnahme, dass dein Fieber nicht wieder steigt!“
Kayleigh musterte das Fläschchen. Es war ein einfacher Erkältungssirup. Da sie wusste, dass Jentrix und vermutlich auch die anderen sie mit der Medizin nicht in Ruhe lassen würden, beschloss sie das Mittel einzunehmen. Es schmeckte eklig.
„Besser jetzt?“ wollte sie hustend von Jentrix wissen, der sie angrinste.
Er nahm ihr das Fläschchen wieder ab und holte ihr ein Glas Wasser.
„Was hast du da draußen gesehen?“ wollte er dann wissen.
Kayleigh spülte sich erst einmal den bitteren Geschmack der Medizin hinunter.
„Schlüssel!“
Jentrix sah sie fragend an.
„Aber diesmal bedeuten sie Gefahr!“
Er musste kurz schlucken und sah dann zu den anderen Jungs, die noch auf der Sitzecke unter dem Hochbett schliefen.
„Kommen sie hierher?“ wollte er dann von ihr wissen.
„Noch sind sie mit sich selbst beschäftigt! Aber es wird nicht lange dauern!“ mutmaßte sie und nahm noch einmal einen kräftigen Schluck.
Jentrix sah noch einmal nach draußen. Noch immer konnte er nicht erkennen, was sie sah.
Dann sah er ihr in die Augen.
Kayleigh hatte ihr Glas geleert und wollte aufstehen, als er sie festhielt und sie einfach ohne Vorwarnung küsste.
„Tja, ich weiß nicht, wann ich sonst die Gelegenheit dazu bekomme!“ meinte er grinsend.
Sie war rot angelaufen und wusste nicht wie sie reagieren sollte.

„Wenn ihr Turteltauben fertig seit, sollten wir uns vielleicht mal überlegen, was wir jetzt machen!“ Dearon klang nicht mehr ganz so verschnupft.
„Wie gesagt, ich musste die Gelegenheit nutzten!“ flüsterte Jentrix frech und sah dann von Kayleigh zu seinem Kumpel auf, „Was denkst du, sollten wir machen?“
Dearon überlegte nicht lange.
„Vielleicht könnte uns Mica helfen oder dieser Onkel Jim!“ meinte er, „Jim müsste doch irgendetwas über die Schlüssel wissen und was jetzt genau passiert! Er hat doch das Buch geschrieben!“
„Er weiß zumindest mehr als wir!“ antwortete Kayleigh leise. Sie war noch immer ein klein wenig rot im Gesicht.
Jentrix überlegte kurz, wen sie meinen könnte. Im Grunde wussten sowohl Kayleighs Onkel Jim als auch ihr Ex Mica mehr über die Schlüssel und vermutlich waren sie dabei noch nicht die einzigen.


„Hey, Millard, meinst du dass geht irgendwie klar?“ wollte einer seiner Begleiter wissen.
Millard und seine fünfköpfige Bande hatte einen weiten Schlüsselträger überfallen. Für Außenstehende war dies nichts weiter als irgendeine Art von Bandenkrieg oder einem Raubüberfall.
Doch Millard und seine Bande suchten nach Schlüsseln. Millard allerdings sammelte die Schlüssel nicht, so wie es die anderen taten. Er sammelte nur deren Magie ein.
Vor ein paar Stunden hatte er zum ersten Mal wieder eine Spur des von ihm so lange gesuchten ersten Schlüssels wiedergefunden. Doch ebenso schnell wieder verloren.
Dieses dunkle Paar aus London trug irgendetwas an sich, was mit dem ersten Schlüssel zu tun hatte. Es war allerdings wie ein fast verblasster Fingerabdruck und zu Millards Leidwesen konnte er keine weiteren Spur des Schlüssels finden.
„Geht das klar?“ wiederholte sein Begleiter die Frage, „Ich meine, dass wir uns mal ein wenig amüsieren und auch mal einen der Schlüssel nutzen!“
Wohl oder übel musste Millard zustimmen, wenn er wollte, dass sie ihn weiterhin zur Seite standen. Und darum lies er sie einen Ausflug in eine Bank machen. Dass war unter anderem etwas, was sie unter sich amüsieren verstanden. Die Schlüssel dabei waren natürlich von Vorteil.
Der Überfall und die Flucht verlief wie immer ohne große Zwischenfälle. Sie tauchten in der Bank auf, holten ihre Beute ab, fast so wie das Essen an einem Drive-In und verschwanden wieder spurlos, ehe die Polizei auftauchte. Natürlich würde niemand den Bankangestellten glauben, dass die Verbrecher sich einfach in den Raum gehext hatten.
Millard genoss die Annehmlichkeiten, die die Schlüssel durchaus bereiten konnten.
Er war gerade wieder in Gedanken versunken, was er und seine Bande als nächstes machen könnten oder wo sie den nächsten Schlüssel finden würden, als er etwas spürte.
Direkt in seiner Nähe war ein Schlüssel, dass konnte er in seinen Eingeweiden fühlen. Aber der Schlüssel war stärker, als die die Millard mit seiner Bande bis jetzt eingefangen hatte.
„Was ist los, Boss?“ Einer seiner Leute hatte bemerkt, dass Millard wieder einen Schlüssel ausfindig gemacht hatte.
Auch Millards Bande genoss die Annehmlichkeiten der Schlüssel. Unter anderem allerdings genossen sie auch die Anwesenheit Millards. Solange sie bei ihm waren und ihm halfen, waren sie mehr oder weniger sicher. Einzeln wären sie selbst Beute für die Schlüsseljäger.
„Ein Schlüssel!“ meinte Millard nur und ging los.
Seine Bande sah ihm erst ein wenig irritiert hinterher, ehe sie ihm folgte. Mehr oder weniger waren sie voneinander abhängig.

Ein paar Straßen weiter konnte Millard seine Beute erkennen. Ein junger Mann, der sich irritiert umsah. Er schien fremd in der Gegend.
Doch dies war nicht der Grund für sein erschrockenes Gesicht. Auch er schien die Schlüssel spüren zu können.
Er sah direkt zu Millard hinüber und wirkte für einen Moment so, als wolle er auf Millard zugehen. Doch dann stoppte er inmitten der Bewegung, sah hinter Millard die Fünfergruppe kommen und wechselte schnell seine Richtung. Er zog es vor zu fliehen.
„Verdammt!“ knurrte Millard und rannte dem Fremden hinterher. Er hasste es, dass er die Schlüssel nie auf einfache Weise bekam. Und diesmal war es ein besonders mächtiger Schlüssel, den er spürte.
Und noch mehr hasste er es, wenn ihm ein solcher Schlüssel durch die Finger ging.
Genau das passierte.
Der Fremde war durch eine Tür verschwunden und mit ihm der Schlüssel.
„Was war los?“ wollte einer seiner Begleiter wissen, als die Gruppe Millard endlich eingeholt hatte.
„Ich habe den Schlüssel verloren!“ brummte Millard und starrte auf die Tür, durch die der andere gegangen war.
„Aber das ist doch nichts besonderes! Das war doch nur irgendein Typ!“ versicherte man ihm.
Doch Millard sah die Sache anders.
„Er hat etwas mit dem ersten Schlüssel zu schaffen!“ fauchte er seine Gruppe an, „Wir haben gerade die Spur zum ersten Schlüssel entwischen lassen!“


Sie hatten ihre Sachen wieder eingesammelt und waren bereit zum Aufbruch. Kayleigh hatte Mica angerufen und sie hatten sich zu einem Treffen verabredet.
Er hatte ihr eine Adresse genannt und gemeint, er würde dort mit ihrem Onkel Jim warten.
„Meinst du, dass funktioniert?“ kam etwas müde von Barry, der nur wenige Minuten erst auf den Beinen war und sich nun auch erkältet hatte.
Seine Frage war fehl am Platz, vor allem, da Kayleigh wie auch Adrian bewiesen hatten, dass sie beide ihre Ziele wählen konnten.
Und wie zum Beweis für die unnötige Frage, öffnete Kayleigh die Tür und schaffte einen Durchgang von Paris nach Vancouver, Kanada. Dorthin hatte sie Mica gerufen.

„Wow! Sieht klasse aus hier!“ war Adrians Reaktion auf die lichtdurchflutete Wohnung, in der sie gelandet waren.
„Deswegen hatte ich sie auch gekauft!“ kam als Antwort und alle drehten sich gleichzeitig zu der Stimme um.
Da stand Mica und neben ihm ein Mann, den Kayleigh erst auf den zweiten Blick wieder erkannte.
Ihr Onkel Jim. Während er in Australien, wo sie ihn das erste Mal nach vierzehn Jahren wieder getroffen hatten und er sich Matt nannte, einen Vollbart getragen hatte, der ihn unter anderem viel älter aussehen lies, war er nun recht kahl im Gesicht. Lediglich ein Drei-Tage-Bart spross da, wo vor kurzem ein reinster dunkler Haardschungel gewesen war.
„Deine Wohnung?“ fragte Adrian erstaunt und begann ohne weiteres, so als wäre er normal zu Besuch, die Wohnung zu begutachten.
Große Fenster, vom Boden bis zur Decke, erhellten die drei Räume. Zwei Schlafzimmer, jeweils einem großen Bett und einem Schiebetürenkleiderschrank, ein großes Wohnzimmer mit einer Essecke vor dem Fenster und einer Kochnische.
Während ihr Bruder begeistert war von der Wohnung, gab es für Kayleigh wichtigeres.
„Wir müssen reden!“ meinte sie zu ihrem Onkel. In ihrer Stimme klang ein klein wenig Zorn durch.
Mica sah sie verwundert an.
„Erzähl mir von dem Buch und von den Schlüsseln!“ befahl sie Jim.
Nun waren auch Jentrix, Dearon und Barry ein klein wenig irritiert von ihrer ersten Stimmung. Mehr oder weniger hatten sie geglaubt, dass sie ihrem Onkel als aller erstes um den Hals fallen würde. Doch nun schien sie ein wenig wütend auf ihn zu sein.
Jim bat die Gruppe erst einmal sich zu setzten. Dann holte er Getränke, setzte sich zu den anderen und wollte gerade beginnen, als Kayleigh sich irritiert umsah.

„Was ist los?“ kam sofort von Jentrix.
Dann bemerkte er, dass nicht nur Kayleigh ein klein wenig aufgewühlt wirkte. Auch Barry und Jim sahen sich um.
„Schlüsseljäger!“ antwortete Jim, „Drei Mann!“
Kayleigh erhob sich wieder von ihrem Platz und ging zur Wohnungstür, die einen kleinen Spalt offen stand.
„Kayleigh?“
Doch sie reagierte nicht.
Sie schloss die Tür und wartete kurz.
Die Jungs sahen irritiert zu ihr hinüber und Jentrix sprang sofort von seinem Platz auf. Er hatte Angst, dass sie, warum auch immer, wieder abhauen könnte.
Doch sie tat nichts, sah nur auf die Tür und wartete.
Von draußen waren Schritte und Stimmen zu Vernehmen, die immer näher kamen.
Nun war auch Jim beunruhigt. Er konnte deutlich die Schlüsseljäger, spüren die immer näher kamen.
Noch immer stand Kayleigh an der Tür.
Dann hielt sie ihr Hand dagegen, so als wolle sie sie zuhalten.
Alle sahen zu ihr und verstanden nicht, was sie vorhatte. Jim, Barry und Jentrix waren aufgestanden und wollten eingreifen, auch wenn sie nicht wussten, was sie erwarten würde. Entweder Kayleigh würde durch die Tür verschwinden oder die Jäger würden durch die Tür treten und sie angreifen.
Jemand griff von draußen an die Türklinke.
Und noch bevor die Tür aufging, schien alles vorbei zu sein.
Irritiert starrten noch immer alle zu Kayleigh.
Sie sah kurz auf die Tür, lies ihre Hand wieder sinken und ging langsam zu den anderen zurück.
„Was war das?“ wollte Jim wissen.
„Du hast sie weggeschickt?“ kam von Barry.
Kayleigh nickte nur, so als sei dies nichts besonderes gewesen.
„Aber wie...?“
„Ich hab die Tür geöffnet!“ antwortete sie knapp.
„Du hast sie weggeschickt!“ Mica schien beeindruckt, „Wow! Das hat bis jetzt, glaub ich, noch keiner hin bekommen!“
„Aber es werden wieder welche kommen!“ meinte Adrian, der zwar genauso beeindruckt von Kayleighs Zauberei war, aber auch die Probleme dabei erkannte, „Wenn sie die Magie einsetzt, wird sie doch wieder irgendwen anlocken!“
Nun erkannten auch die anderen die Misere.
Vor allem hatte Kayleigh, die Wohnungstür zu gelassen und nicht wie sonst einen kleinen Spalt breit geöffnet hatte. Die Tür würde nun einen perfekten Durchgang abgeben.

„Es kann aber niemand mehr kommen, wenn die Türen verschlossen sind!“ meinte Kayleigh auf einmal.
Wieder verstand niemand ihre Aussage.
Sie blieb mitten im Raum stehen, konzentrierte sich und …
Nichts geschah. Jedenfalls war nichts zu sehen.
„Was war das?“ bemerkte plötzlich Jentrix. Es fühlte sich an, als wäre eine Druckwelle durch ihn gegangen. Zwar schwach, aber bemerkbar.
Auch die anderen hatten es gespürt.
„Die Schlüssel … sie sind …“ Barry brachte keinen anständigen Satz zustande. Er war zu verwirrt.
„Alle Türen sind verschlossen und die Schlüssel unbrauchbar!“ kam von Kayleigh, die mit einem Male viel blasser war, „Niemand kommt mehr einfach so hierher!“
Ehe einer so richtig begriff, was sie gesagt oder getan hatte, brach sie zusammen.

Jentrix war wieder der Erste, der zu ihr gestürmt war.
„Sie hat die Schlüssel gesperrt?“ war das einzige was Mica fragte.
„Sie ist verdammt stark!“ bemerkte Barry dazu.
Jim beugte sich ebenfalls über Kayleigh.
„Die Magie hat sie geschwächt!“ meinte er, „Sie ist nicht vorbereitet!“
Jentrix nahm Kayleigh auf den Arm.
„Sie muss sich ausruhen!“ meinte er und lies sich von Jim ein Bett zeigen, in dass er Kayleigh legte.
Bevor Jim wieder den Raum verlassen konnte, hatte Jentrix ihn am Arm fest gehalten.
„Was genau meintest du damit? Sie ist nicht vorbereitet? Auf was?“ wollte er wissen.
Nikita LaChance
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 12:12

Kapitel XLIV

Jim hatte ihm nicht geantwortet. Es war, als wäre ihm der Satz einfach so heraus gerutscht.
Jentrix beließ es für den Moment dabei und blieb bei Kayleigh am Bett sitzen.
So recht wusste er nicht, was er von Jims Aussage halten sollte.
Worauf war Kayleigh nicht vorbereitet?
Während er so dasaß und mehr oder weniger die gedämpften Stimmen aus dem Wohnzimmer hörte, grübelte er darüber nach. Vorbereitet, auf was?
Er bekam nicht einmal mit, dass Kayleigh wieder zur Besinnung kam und sich irritiert umsah.
„Hey! Warum steckt ihr mich andauernt ins Bett?“ kam dann etwas leise von ihr.
Jentrix schmunzelte kurz über ihre Frage und zuckte mit den Schultern.
„Besser?“ Eine Frage, die eigentlich überflüssig war. Sie würde bestätigen, dass er ihr gut ginge, selbst wenn genau das Gegenteil der Fall war.
Zum Beweis stand sie wieder auf. Zwar fühlte sie sich noch ein wenig wacklig auf den Beinen, aber dennoch würde sie nun nicht wieder ihre Zeit im Bett vertrödeln.
„Es wird Zeit für Antworten!“ meinte sie und ging aus dem Schlafzimmer wieder zurück zu den anderen ins Wohnzimmer.

Jim sah seine Nichte mit großen Augen an.
„Geht´s dir wieder besser?“ fragte er.
Aber sie sah ihn ein wenig finster an. Sie hatte keine Lust darauf das er jetzt den besorgten Onkel spielte. Es gab wichtigere Dinge.
Jentrix war ihr sofort nachgegangen und stand hinter ihr.
„Ich will endlich Antworten!“ forderte Kayleigh.
Jim musste erst mal kräftig schlucken, so als hätte er einen riesigen Kloß im Hals. Dann sammelte er seine Gedanken und begann.


„Ich habe versucht, dass alles zu verhindern!“ meinte Keys auf einmal, „Aber vermutlich war es zu spät!“
Sebastian sah seinen Vater irritiert an.
„Wie solltest du davon wissen?“ fragte er.
Auch Meryl und Richard waren irritiert. Es war nicht das erste Mal, dass der alte Mann in ihrer Gegenwart davon sprach, an irgendetwas schuld zu sein.
Nur warum fühlte er sich schuldig?
„Ich hätte es wissen müssen, als dein Bruder zu fragen begann!“ kam als Antwort, „Oder als die eine Karte verloren ging!“
Sebastian schüttelte den Kopf.
„Das muss aber noch nichts heißen!“ war er überzeugt.
Keys reagierte nicht darauf.
„Ich habe nicht daran gedacht, was alles passieren könnte! ...“ Er begann unverständlich vor sich hin zu murmeln.
Sebastian wartete einen Moment, so als erhoffte er sich eine richtige Antwort.
Dann aber, sprach er dazwischen und beendete somit Keys Gemurmel.
„Wie können wir die Sache jetzt noch stoppen?“ wollte er wissen.
Alle drei sahen ihn groß an.
„Wir müssen irgendetwas tun! Kayleigh und ihre Freunde sind in Gefahr!“ meinte Sebastian.
Keys nickte.
„Meine Schuld …“ begann er wieder.
„Wieso ist Kayleigh in Gefahr? Wegen dieser Schlüsseldinger? Wieso?“ Richard erwartete endlich klare Antworten.
„Sie ist mit einer der mächtigsten Schlüsselmeister! Und im Moment sind da draußen eine Menge anderer Meister und Jäger und sie alle versuchen sich gegenseitig die Schlüssel abzunehmen. Die Schlüssel wiederum entziehen sich gegenseitig ihre Magie und der schwächere Schlüssel stirbt mehr oder weniger!“ versuchte Sebastian zu erklären, „Kayleigh und ihr Bruder stecken mitten in einer Art Wettstreit und sie sind … bei weitem nicht so vorbereitet wie all die anderen. Sie sind noch nicht so lange unterwegs. Sie wissen nichts über die Schlüssel und ihre Gefahren! Und ...“
„Kayleigh kennt die Gefahren! Sie hat es selbst gesehen!“ unterbrach Keys seinen Sohn und Richard sowie Meryl sahen ihn fragend an.
„Der Mord an Evangeline war ein Kampf um den Schlüssel!“ sagte er nur und verfiel wieder in Schweigen.
„Welchen Schlüssel?“ wollte Meryl wissen.
„Der erste Schlüssel, hinter dem alle her sind! Er ist der Mächtigste Schlüssel von allen!“ antwortete Sebastian, „Und Kayleigh ...“
„Was ist mit ihr?“ Richard war ungeduldig zu erfahren, was genau mit seiner Tochter los war und was das alles mit dem Mord an seiner Frau zu tun hatte.
„Die Jäger verfolgen Kayleigh schon seit ihrer Geburt. Eine Zeit lang konnten ihre Mutter und ihr Onkel Kayleigh abschotten. Doch dann wurde Kayleighs Magie immer stärker und lockte immer mehr Jäger an.“ meinte Sebastian, „Alle verfolgen Kayleigh, weil sie der Schlüssel zu ihrem Ziel ist!“
„Aber wie … Evangeline und … Jim? Was haben die beiden mit der Sache zu tun?“ war Meryls Frage.
„Du hast dich nie gefragt, warum er gegangen ist? Oder?“ wollte Keys wissen. Mit einem Male schien er wieder der starke Mann zu sein, den sie am Anfang kennengelernt hatten.
Meryl sah ihn irritiert an.
„Er wollte euch schützen! Dich, deinen Bruder und die Kinder!“ antwortete Keys ihr, „Nach dem … Tod von Evangeline schien Kayleighs Magie verschwunden zu sein. Nun war er derjenige, der die Magie ausstrahlte und alle anzog. Darum ging er!“
Geschockt sah Meryl ihn an.
„Er hatte gehofft, euch aus der Ferne besser schützen zu können!“ fügte Sebastian hinzu.
„Und jetzt? Was soll jetzt passieren?“
Keys sah Richard in die Augen. Darauf wusste der alte Mann keine wirkliche Antwort.
„Irgendwann werden sie hierher kommen!“ kam von Sebastian. Allerdings war unklar wen er meinte. Würden die Jäger bei Keys auftauchen oder würden es Kayleigh und ihr Bruder sein?


Jim sollte alles über das Buch erzählen, so hatte es Kayleigh gewollt. Es war eine Antwort, die sie schon länger haben wollte, auch wenn sie früher nie wirklich darüber nach gedacht hatte.
Er überlegte kurz und dann berichtete er, dass er kurz nach seinem ersten Ausflug Besuch bekommen hatte. Kein gewöhnlicher Besuch.
Ein alter Mann war zu ihm gekommen, auf den gleichen Weg, wie er zuvor aus seinem Zimmer entschwunden war.
Und genau wie er, trug der Mann einen Schlüssel bei sich.
Viel habe der Mann nicht erzählt, nur dass er ein Reisender war. Neugierig darauf, von wem die große Magie stammen würde.
„Er wollte wissen, ob ich ein Schlüsselmeister sei!“ meinte Jim, „Ich wusste nicht, wovon er redete!“
Jim erklärte weiter, dass er mit dem alten Mann einen Ausflug nach England unternahm, wo dieser ihm ein Buch gab. Und als Jim hineinsah, waren die Seiten leer.
Der Alte hätte nur gemeint, dass in dem Buch alles stehen würde, was Jim zu wissen hätte.
„Wieso sollte dir der Alte ein Buch geben?“ wollte Adrian irritiert wissen.
„Er meinte, dass es wichtig sei!“ kam nachdenklich von Jim, „In dem Buch soll die Geschichte der Schlüssel stehen!“
Keiner wusste, warum Jim das nicht eher erwähnt hatte. So wie er es jetzt erzählte, hatte nicht er die Geschichte in dem Buch geschrieben, die sie erfahren sollten.
„Aber was ist dann mit dem ersten Schlüssel? Ich denke, die Story steht in dem Buch?“ wollte erneut Adrian wissen.
Kayleigh saß nachdenklich neben ihrem Bruder. Zu ihrer Linken saßen Jentrix und Dearon, die ebenfalls neugierig lauschten. Auch sie erwarteten endlich klare Antworten zu erhalten.
„Der Alte meinte ich würde die Geschichte irgendwann schon heraus finden!“ antwortete Jim, „Aber das Buch blieb jahrelang leer!“
Jim erzählte weiter, dass sich die Schlüssel anfangs normal verhielten. Soweit man die Schlüssel an sich als normal bezeichnen konnte. Gelegentlich hätte er mal einen Reisender getroffen, der nach Schlüsseln suchte, unter anderem auch nach dem ersten Schlüssel. Doch selbst solche Begegnungen waren nichts besorgniserregendes und er hatte ein Gespür dafür den Suchern zu entgehen.
Irgendwann war dann Vigilius aufgetaucht. Er hatte gemeint, dass er der alleinige Erbe des ersten Schlüssels sei und Jim ihm sagen sollte, wo er sich befände.
Vigilius glaubte, dass Jim irgendeine Antwort darauf hätte. Doch Jim wusste nicht viel über den Schlüssel.
Als er dann wenig später dem alten Mann wieder einen Besuch abstattete, wollte Jim von ihm mehr über den ominösen Schlüssel wissen. Doch alles was der Alte ihm erzählte, schien viel mehr ein Märchen als die Wahrheit zu sein.
Der Alte meinte, der erste Schlüssel gehöre zu seiner Familie und sei auch deren Erbe. Er konnte oder wollte nicht so recht erklären woher dieser Schlüssel und seine eigentliche Magie kämen.
Noch einmal hatte er Jim auf das Buch hingewiesen. Jim, aber hatte, nachdem das Buch für ihn vollkommen leer gewesen und er dessen angebliche Bedeutung vergessen hatte, seine Geschichte hinein geschrieben.
Doch als er erneut in das Buch sah, war darin ein vollkommen anderer Text.
Dieser Text schien der selbe, wie die Geschichte, die ihm der Alte gerade erzählt hatte. Es war die Geschichte des ersten Schlüssels und von Thomas` Familie.
„Nur jemand aus Thomas` Familie könne das Buch lesen, hat der Alte gesagt!“ beendete Jim seine Erzählung.
Nachdenkliches Schweigen in der Runde.

„Nur Thomas` Familie kann das Buch lesen? Was soll das nun wieder bedeuten?“ fauchte Adrian irritiert, „Ich meine, Barry hat andauernd drinnen gelesen und auch Kayleigh und ich!“
Jim nickte, als wüsste er, dass es stimme.
„Was soll das bedeuten?“ Adrian verstand nichts.
Nur Kayleigh schien eine leise Vorahnung zu haben.
„Thomas` Familie?“ wiederholte sie, „Seine Söhne und deren Kinder und deren Kinder?“
Adrian grübelte kurz und sah dann irritiert zwischen ihr und Jim hin und her.
Jim nickte abermals.
Mica schien ebenso überrascht.
„Das hast du mir nie erzählt!“ kam nur leise von ihm. Auch er hatte vor Jahren in dem Buch gelesen, wenn auch ohne Wissen von Adrian, Kayleigh und ihrer Tante, in deren Haus er gelandet war. Jim hatte ihn damals mitgenommen, nachdem er erkannt hatte, dass er ihm irgendwie helfen könnte.
„Die Nachfahren von Thomas Learmont?“ meinte Dearon, „Bist du dir sicher?“
Jim sah ihn fragend an.
„Nein, … ähm … ich hab nicht in dem Buch lesen können!“ erklärte Dearon sofort, so als müsste er sich verteidigen, „Ich konnte darin nur lesen, wenn einer der drei in der Nähe war!“ Er zeigte auf Kayleigh, Adrian und Barry.
„Ansonsten war das Buch leer!“ bestätigte auch Jentrix, dem es nicht anders ging als Dearon.
Allen Anschein nach, waren sie die einzigen beiden im Raum, die dem Buch keine Antworten entlocken konnten. Allerdings waren sie auch nicht in der Lage die Türen oder die Schlüssel so leicht zu erkennen, wie Kayleigh, ihr Bruder und Barry.
Kayleigh konnte noch immer nicht glauben, was ihr Onkel ihr soeben offenbart hatte. Einzig Thomas` Familie sollte in der Lage sein, in dem Buch zu lesen? Sie sollte ein Nachfahre Thomas` sein?
Dann fiel ihr ein, dass weder ihr Vater noch ihre Tante hatten in dem Buch lesen können. Nicht einmal die Geschichte, die Jim irgendwann mal hinein geschrieben hatte, war für sie sichtbar. Allerdings hatte sie Jims erfundene Geschichte in dem Buch gesehen. Soweit sie sich erinnern konnte war es etwas anderes gewesen. Irgendeine alte Erzählung über einen Mann, der mit Hilfe von Magie reisen konnte.
Adrian war noch immer irritiert und je länger er über die neuen Informationen er nach dachte, um so hilfloser kam er sich vor.
„Was soll uns das alles bringen? Warum sollten wir die Geschichte über … unsere Familie herausfinden?“ wollte er wissen und sprang beim Fragen auf.
Jim schwieg.
„Die Geschichte des ersten Schlüssels gehört zu eurer Familie!“ meinte Mica.
„Und? Was soll der Scheiß?“ fluchte Adrian und gestikulierte wild mit den Armen, „Wenn der ganze Mist wahr ist, warum hat er es uns dann nicht eher gesagt? Er hätte doch sagen können, dass wir mit dem Schlüsselkram zu tun haben und dass es gefährlich ist und ...“
Kayleigh zog ihren Bruder am Arm, sodass er sich wieder setzte.
„Um zu verstehen, was hier vor sich geht, müsst ihr die Geschichte kennen!“ kam von Jim, „Und um vorbereitet zu sein!“
„Worauf?“ Die Frage kam erneut von Jentrix. Diesmal müsste Jim darauf antworten.
Doch wieder schien Jim nicht antworten zu wollen.
Er sah Kayleigh besorgt an.
Mica erschien zwar ebenso besorgt, dass sie ausrasten oder davon laufen könnte. Aber er wollte ihr zumindest erklären, was passieren würde.
„Die Schlüssel jagen sich, entziehen sich ihre Magie und vernichten sich somit gegenseitig!“ begann er.
„Das wissen wir bereits!“ fauchte Adrian dazwischen.
„Die Schlüssel suchen sich immer den nächst stärkeren. Und irgendwann verfolgen sie die Schlüsselmeister und diese jagen sich gegenseitig.“
Kayleigh sah ihn fragend an, nickte aber, als verstünde sie, was er meinte.
„Es ist wie ein Wettkampf!“ stellte Dearon fest.
„So kann man es auch nennen!“ stimmte Mica ihm zu.
„Kayleigh ist einer der stärksten Schlüsselmeister, die ich je getroffen habe!“
Alle Augen richteten sich auf Jim.
„Sie ist ein … Meister?“ wollte Barry wissen, „Ich meine, wieso bist du dir so sicher, dass sie einer ist?“
Jim zog eine Augenbraue nach oben und sah seinen Bruder an, als müsste er die Antwort doch selbst kennen.
„Komm schon, nach all dem was sie getan hat!“ meinte Mica zu ihm.
Kayleigh starrte böse zu ihm hinüber. Doch Mica versuchte sie zu ignorieren.
„Dann war der Mord an der Mutter … weil man Kayleigh … weil sie ein Schlüsselmeister ist?“ hinterfragte Barry.
Adrian warf ihm einen fragenden Blick zu.
Kayleigh holte tief Luft und sprang dann ohne ein Wort auf.
Geschockt sahen alle zu ihr.
„Ich brauch frische Luft!“ meinte sie nur und ging aus dem Wohnzimmer.
„Kayleigh, wo willst du hin?“ rief Mica ihr nach.
„Raus!“ schrie Kayleigh etwas zorniger zurück und verließ die Wohnung.
Sofort sprang Jentrix auf.
„Ich hol sie zurück!“ meinte er nur und rannte ihr nach.
Dearon sah Mica und die anderen drei irritiert an und überlegte, was er nun tun sollte.
Adrian gab ihm einen Wink, dass er Jentrix und Kayleigh folgen sollte.
„Ist vielleicht besser!“ meinte Barry, „Wer weiß, was sie sonst anstellen!“ Vermutlich sollte es ein Witz sein, doch er ging irgendwie unter.
Dearon nickte, wenngleich er nicht so recht verstand, weswegen sie ihn weg schickten. Jedenfalls kam es ihm so vor, als wollten sie ohne ihn weiter sprechen.
Dann verließ auch er die Wohnung und suchte nach Jentrix und Kayleigh.

Kayleigh war etwas Orientierungslos durch den Hausflur gegangen, bis sie einen Fahrstuhl gefunden hatte.
Bevor sich die Fahrstuhltüren dann wieder geschlossen hatte, hatten Jentrix und Dearon sie eingeholt.
„Mir geht’s gut!“ meinte sie etwas klein laut, „Ich brauch wirklich nur frische Luft!“
Der Fahrstuhl fuhr gerade mal sechs Stockwerke nach unten. Dann verließen sie das Haus durch ein großes helles Foyer. Niemand nahm groß Notiz von ihnen.
Vor der Tür war ein kleiner Brunnen, um den bunten Blumen gepflanzt waren. Und auch sonst sah die Straße recht grün aus.
Trotz der Hochhaussiedlung in der sie gerade waren, wirkte alles recht freundlich und irgendwie natürlich, dank der Pflanzen und Bäume ringsum.
Wäre Kayleigh nicht gerade sauer darüber, dass man ihr mehr oder weniger wieder die Schuld am Tod ihrer Mutter gab, hätte sie sich an dem Anblick der Stadt erfreut.
So stand sie einfach nur vor der Haustür, starrte auf den Brunnen vor sich und überlegte.
„Kayleigh?“ Jentrix sah sie fragend an. Er wusste nicht was er tun oder sagen sollte.
Genauso hilflos fühlte sich Dearon.

Adrian hatte, gleich nachdem Kayleigh davon gerannt war, das Buch aus ihrer Tasche geholt und es Jim gegeben. Er blätterte darin und schien irritiert über den Text zu sein, der darin stand.
„Wow!“ meinte er nur, „So viel wusste ich noch nicht einmal!“
Dann gab er das Buch an Mica, der einen Teil des Textes überflog.
Auch er kannte die Geschichte des ersten Schlüssels. Zumindest den Anfang.
„Vorn ist auch ein Stammbaum von Thomas` Familie!“ meinte Barry und wartete, das Mica die Seiten aufschlug.
Kurz sah der irritierend ins Buch und legte es dann sichtbar für die anderen auf den Tisch.
„Neue Namen!“ bemerkte Adrian sogleich.
Wie zuvor, schien ein Großteil der Nachkommenschaft Thomas` von seinem ersten Sohn zu stammen. Jedenfalls war noch immer nur ein einziger Eintrag unter Vigilius` Namen.
Der Stammbaum schien fast vollständig zu sein. Und dennoch erschien den vier Männern eines eigenartig.
„Es sind nur zwei Zweige übrig von dem hier!“ Adrian fuhr die Linie von Thomas` erstem Sohn und dessen Nachkommen nach.
„Und einer von Vigilius!“ fügte Barry hinzu.
Und dann, so als würde gerade jemand an dem Stammbaum schreiben, erschienen weitere Namen.
„Das … sind wir?“ platzte Barry heraus.
Einer der beiden übrigen Zweige von Thomas` erstem Sohn war nun vollendet.
Und Barry und Jim waren somit die letzten Nachkommen aus der Linie.
„Und wer ist das?“ wollte Adrian wissen und tippte auf den zweiten Zweig.
„Ich schätze Mal, da müssten deiner und Kayleighs Namen erscheinen!“ bemerkte Mica trocken und wie auf sein Wort hin, erschienen die Namen.
„Ich hab es geahnt!“ seufzte Jim nur, „Evangeline war also eine direkte Nachfahrin von Thomas!“
„Ja und?“ Adrian verstand nicht was er damit meinte.
„Na ja, sie hätte ja auch aus einem anderen Teil von Thomas` Familie stammen können! Vielleicht von seiner Cousine oder so!“ erklärte Jim.
„Also seit ihr mehr oder weniger doch mit Thomas blutsverwandt!“ kam von Mica.
„Ja, aber wieso steht unter der Verbindung mit meinem Vater nur ein Kind? Wieso steht dort nicht Kayleighs Name?“ wollte Adrian irritiert wissen.
Mica sah kurz auf die Seite, dann zu Jim.
Neben Evangelines Namen, Kayleighs und Adrians Mutter, stand der Name ihres Vaters, Richard.
Beide Namen waren mit einer Linie verbunden, unter der das Jahr 1978 stand. Das Jahr ihrer Heirat. Und von dieser Linie ging nur ein Strich nach unten, zu Adrians Name.
Kayleighs Name ein klein wenig unter Adrians und hatte keine Verbindungslinie zu den Eltern darüber.
„Was soll das heißen?“ wollte Adrian wissen.
Jim sah zu Barry. Der wirkte zwar ein klein wenig irritiert, aber ahnte, warum Kayleighs Name ein wenig abseits stand.
„Dann ist sie es also doch!“ murmelte er nur und wie um seine Vermutung zu bekräftigen, zeichnete sich wie durch Zauberei eine Linie von Evangelines und eine von seinem Namen in den Stammbaum und beide Linien endeten bei Kayleighs Namen.
Adrian konnte nicht glauben, was er da sah. Zwar hatten sie vorher schon Andeutungen gemacht, dass Richard, sein Dad, womöglich nicht Kayleighs richtiger Vater sein könnte. Aber so wirklich hatte er nicht daran geglaubt.
„Wow!“ bemerkte Mica nur und die Drei sahen ihn fragend an.
„Was genau begeistert dich daran?“ wollte Jim von ihm wissen.
„Na ja, wenn man es so nimmt, sind beide von Kayleighs Eltern Thomas Nachkommen! Vielleicht ist sie deswegen so mächtig?“ versuchte er zu erklären.

Derweil fiel Kayleigh wieder ein wenig der Geschichte ein.
Sie hatte als Kind immer wieder im Buch gelesen, wenngleich die Geschichte immer mal wieder auftauchte und verschwand, so als dürfte sie nur bestimmte Sachen erfahren.
Aber noch immer fiel ihr nicht ein, weswegen das alles geschah. Es musste mehr sein, als nur die Schlüssel, die sich gegenseitig auslöschten. Es musste doch irgendeinen Grund dafür geben.
„Kayleigh?“
Sie zuckte kurz zusammen.
Jentrix stand vor ihr und sah sie mit großen Augen an.
„Ich weiß es nicht!“ seufzte sie nur.
„Was?“
„Ich weiß nicht, wie ich das aufhalten soll!“
Dearon sah sie ebenso fragend an.
„Aufhalten?“
„Es gibt eine menge Schlüssel und vermutlich fast genauso viele Meister. Ich kann sie nicht alle … ent- … magifizieren, oder wie auch immer man das nennen will!“ meinte sie betrübt.
Jentrix schüttelte irritiert den Kopf.
„Früher oder später locke ich sie an und …!“ sie stoppte und sah auf.
„Falls du jetzt schon wieder damit anfangen willst, dass es für uns zu gefährlich wird, lass es!“ meinte Jentrix gleich zu ihr.
„Ja, uns wirst du jetzt nicht mehr los!“ kam von Dearon mit einem Schmunzeln.
Kayleigh sagte nichts dazu. Sie blickte einfach nur auf die begrünte Straße vor sich.
Nikita LaChance
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 12:13

Kapitel XLV

Er bräuchte ein Versteck. Doch wie sollte man sich verstecken, wenn man unbeabsichtigt Spuren hinterließ?
Vor einiger Zeit war er ohne größere Zwischenfälle um die Welt gereist, hatte selbst einige Schlüssel an sich gerissen und mehr oder weniger auch so manches Gesetz gebrochen, um an sein Ziel zu kommen und um zu überleben.
Doch nun schien alles auf den Kopf gestellt. Alles war viel chaotischer geworden und der erste Schlüssel war im Moment nicht mehr der Mittelpunkt seines Handelns.
Gerade eben war er einer sechsköpfigen Truppe von Schlüsseljägern entkommen. Ihren Anführer hatte er schon einmal gesehen, wenngleich er sich nicht mehr erinnern konnte, wann und wo das gewesen war.
Ein Feigling war er eigentlich nie gewesen, dachte er sich. Doch nun war der Rückzug besser, als ein Angriff.
Es gab nicht viele Orte, mit denen er das Gefühl der Sicherheit verband. Er hatte kein Zuhause, war Jahrzehnte lang nur umher gereist. Und das einzige Heim, was er kannte, war seit langem dem Boden platt gemacht worden. Seine Familie weiter gezogen. Ohne ihn.
Seinen Bruder hatte er vor einiger Zeit wieder gefunden. Doch er war wieder verschwunden. Und ob und wo sein Vater lebte, wusste er nicht.
Er kam sich ein klein wenig verloren vor.

Er rannte müde durch die Großstadt. Er hatte längst die Orientierung verloren. Die Menschen um ihn herum sahen ihn zwar fragend an, aber interessierten sich nicht wirklich für ihn.
Allerdings gab es auch hier immer wieder jemanden, der ihm folgte.
Und so wechselte er immer wieder die Orte, indem er die magischen Durchgänge nutzte.
Aber es machte ihn nur immer müder und so langsam frustrierte es ihn, so umher zu hetzten.
Gerade hatte er sich für ein paar Sekunden ausruhen wollen.
Er stand abgehetzt in einer Seitengasse und versuchte zu Luft zu kommen. Hier gab es keine Tür in der Nähe und auf der Straße war niemand zu sehen. Auch war der Grund dafür, dass es hier, wo auch immer er gerade gelandet war, tiefste Nacht war.
Dann spürte er etwas. Dieses leichte Kribbeln in der Magengegend und sofort war er wieder hellwach.
Er wollte gerade wieder los laufen, als er bemerkte, dass gerade mal ein einziger Reisender auf ihn zusteuerte. Keine weiteren Schlüssel waren in der Nähe.
Mit einem Reisenden konnte er es wohl aufnehmen, dachte er sich und versteckte sich. Zumindest einen kleinen Überraschungsangriff wollte er wagen, wenngleich der andere womöglich wusste, dass er hier irgendwo war.

„Bist du es nicht auch Leid, andauernd weg zu rennen?“ wollte jemand von ihm wissen und kam immer näher.
Vigilius wartete. Zwar war sein Gegner, der Stimme nach, eine Frau, aber dennoch konnte sie viel stärker als er sein oder vielleicht bewaffnet.
„Es gibt ein viel besseres Versteck als die Gasse!“ meinte die Frau und bleib stehen.
Noch immer gab Vigilius kein Lebenszeichen von sich.
„Dann muss ich eben allein versuchen dahin zu kommen!“ gab sie von sich, da er nicht reagierte und ging wieder in Richtung Straße.
Vigilius war verwirrt. Wieso ging sie wieder? War sie gar keine Jägerin oder wollte sie ihn nur rein legen?
Die Frau ging aus der Gasse und ging die Straße entlang.
Vigilius kam aus seiner Deckung heraus, wartete einen Moment, ob irgendetwas passierte und folgte ihr dann.
Auch wenn sie seine Schlüssel nicht wollte, so könnte er doch ihre Schlüssel stehlen.
Genau damit schien sie gerechnet zu haben, denn sie war wieder stehen geblieben. Diesmal unter einer Laterne und so konnte Vigilius sie genauer ansehen.
Eine hochgewachsene Brünette stand da. Und hätte sie nicht zahlreiche Schrammen im Gesicht, die aussahen, als hätte sie gerade eine schwere Prügelei hinter sich, so wäre sie eine Augenweide.
Vigilius musterte sie und wusste nicht, was sie vorhatte.
„Es gibt kaum noch sichere Orte!“ seufzte sie, „Und allmählich macht das Reisen keinen Spaß mehr!“
„Spaß?“ kam ihm über die Lippen. Er hatte seine Reisen nie als Spaß empfunden.
„Was willst du?“ wollte er von ihr wissen.
„Ich könnte deine Hilfe gebrauchen!“
„Was?“ Vigilius schien entsetzt und irritiert zugleich.
„Ich möchte, dass du mich nach Vancouver begleitest!“ antwortete sie müde.
Vigilius verstand noch immer nicht, was sie von ihm wollte.
„Vielleicht hast du es nicht mitbekommen, aber die Stadt ist sicher! Dort sind alle Türen verschlossen. Niemand kommt dort einfach so hinein oder heraus!“
„Und was willst du dann dort?“
„Dort ist jemand, der uns helfen kann!“ meinte sie.
Er blieb in sicherer Entfernung stehen und überlegte, was sie damit bezwecken sollte.
„Wenn die Türen verschlossen sind, wie willst du dann dorthin kommen?“ hakte er nach.
Ein Schmunzeln huschte ihr übers Gesicht.
„Natürlich können wir nicht in der Stadt landen! Aber man kommt doch noch auf den gewöhnlichen Weg hinein, oder?“ erklärte sie dann, „Die Stadt ist sicher!“

Vigilius wollte gehen. Sie war zu merkwürdig und irgendwie ergab ihre Erzählung keinen Sinn.
Aber dann bemerkte er, dass sie nicht mehr der einzige Schlüsselträger in der Stadt war.
Gleich vier weitere waren in der Stadt gelandet und bewegten sich aus mehreren Richtungen auf sie zu.
„Toll!“ seufzte er und sah sich nach der nächsten Tür um. Es war Zeit weiter zu ziehen und sich in Sicherheit zu bringen.
„Wir müssen nach Vancouver!“ meinte sie erneut und ging auf ihn zu.
„Aber ich hab nicht vor, dorthin zu gehen!“ brüllte er sie an.
„Ja, aber ich! Und allein schaff ich es nicht!“ Allmählich klang sie nicht mehr so ruhig. Sie wirkte nun etwas ängstlicher.
Vigilius hatte nicht vor, ihren Bodyguard zu spielen.
Die Schlüsselträger kam immer näher.
„Komm schon! In Vancouver ist vermutlich der erste Schlüssel!“ schrie sie ihn an.
Das schien zu reichen, um ihn umzustimmen.
„Woher willst du das wissen?“ knurrte er sie an.
„Niemand sonst würde es schaffen, eine ganze Stadt von der Schlüsselmagie zu befreien!“ war ihre Antwort.
Noch einmal wägte er alles gehörte ab.
„Ich will deine Schlüssel!“ meinte er dann zu ihr, „Ansonsten, nehm ich dich nicht mit!“
Ohne ein Wiederwort holte sie ein kleines Täschchen hervor und hielt es ihm hin.
Er riss es ihr irritiert aus der Hand und sah hinein. Ungefähr fünfzehn Karten war darin, die alle schwach leuchteten.
„Bitte begleite mich nach Vancouver!“ bat sie.
Einen Moment lang spielte er mit den Gedanken ohne sie zu gehen. Doch dann packte er sie am Handgelenk und zog sie mit sich zur nächsten Tür.
„Ich hoffe, für dich das du mich nicht rein legst!“ meinte er noch einmal und öffnete den Durchgang Richtung Vancouver.


Kayleigh hatte sich wieder beruhigt und war mit Jentrix und Dearon wieder in die Wohnung zurück gegangen.
Adrian hatte ihr sofort ohne große Worte den Stammbaum gezeigt. Doch wirkliches Interesse zeigte Kayleigh daran nicht. Für sie war Richard ihr Vater. Er war es bis jetzt immer gewesen, auch wenn er vermutlich wusste, dass sie nicht sein eigen Fleisch und Blut war. Barry kannte sie noch nicht so lang. Und ihrer Meinung nach, genügte es, dass er ihr Onkel war.
„Wieso jetzt?“ wollte Kayleigh von Onkel Jim wissen, „Wieso erzählst du jetzt erst von dem Kampf der Schlüssel?“
Jim sah sie irritiert an.
„Ich hätte nicht gedacht, dass es soweit kommen würde!“ meinte er dann.
Seiner Erklärung nach, hatte er noch nicht einmal heraus gefunden, wie die ganze Sache begonnen hatte. Er wusste nicht wirklich viel über Thomas und die Schlüssel. Und er wusste auch nicht viel darüber, was im Moment vor sich ging.
„In Australien meintest du, dass die Schlüssel in den letzten dreißig Jahren aktiver geworden seien! Was meintest du damit?“ fiel Kayleigh wieder ein und Jim musste erst einmal über dieses Gespräch nachdenken.
„Als ich versucht hab, mehr über die Schlüssel herauszufinden, fielen mir die ganzen Vermisstenanzeigen auf. So viele konnten nicht auf normalen Wege verschwunden sein. Und dann hab ich mit Mica zusammen herausbekommen, dass einige der Vermissten Reisende waren.“ begann er und alle lauschten neugierig.
„Ja, aber warum sollen sie in den letzten Jahren so aktiv gewesen sein?“ kam von Adrian, der ebenso wie seine Schwester endlich Antworten haben wollte.
„Ich weiß nicht warum, aber es war … so ein Gefühl, dass mehr passierte. Die Zahl der Schlüsselreisenden und der Vermissten hatte sich schlagartig erhöht. Vor dreißig Jahren waren es im Monat in einem bestimmten Gebiet vielleicht um die zehn Vermissten und dann plötzlich waren es gleich mehr als fünfzig in dem selben Raum oder mehr!“ Jim wusste keine genaue Antwort zu geben.
Einen kurzen Moment herrschte wieder Ruhe. Jeder dachte über das Gehörte nach, so schien es.
„Woher kommen die Karten oder die Magie?“ wollte Dearon wissen.
Er und die anderen bekamen, dasselbe zu hören, was ihnen das Buch offenbart hatte.
Thomas hatte die Schlüssel per Magie erschaffen und das einer dieser Schlüssel von seiner Cousine gestohlen worden war. Ob sie diesen allerdings auch zu nutzen wusste, hatte ihnen das Buch nicht erklärt.
Jim jedenfalls nahm es an. Da die Magie schon vor Thomas zu seiner Familie gehörte, war es durchaus möglich, dass auch seine Cousine ebenfalls die Magie besaß und Schlüsseln nutzen wie auch schaffen könnte.
„Und das Buch?“ fiel Adrian ein, „Woher kommt das Buch? Ist das auch … magisch?“ Das Wort sprach er mit einem sarkastischen Unterton aus. Trotz seiner Erfahrungen glaubte er nicht an Magie.
„Das Buch beinhaltet auch Thomas Magie!“ seufzte Jim, der nicht wirklich Gefallen an dem Frage-und-Antwort-Spiel fand.
„Und die Karte?“ kam gleich von Adrian und er griff nach Kayleighs Tasche, in der all ihre Schlüsselkarten steckten. Er zog eine hervor und gab sie Jim.
Der sah sie sich genauer an und wusste erst einmal nicht, was an ihr besonders sein sollte.
„Das ist die Karte, die in der Wand steckte!“ erklärte Adrian, „Durch sie sind wir überhaupt erst los gezogen!“
Auf der Karte war eine Zeichnung einer ihm vertrauten Landschaft und auf der Rückseite ein leeres Feld. Doch dann tauchten Buchstaben auf.
Jim starrte irritiert darauf und sah dann zu seinem Neffen.
„Den Schlüssel hab ich geschaffen!“ gab Jim zu.
„Ja, aber warum ändert sich dann immer der Text auf der Rückseite? Das hat bis jetzt keine andere Karte gemacht!“
Jim überlegte kurz.
„Ich hatte dafür das Papier von dem Buch genommen!“
Jim nahm das Buch, öffnete irgendeine Seite und legte den Schlüssel darauf. Sofort verschmolz die Schlüsselkarte mit der Buchseite und eine Zeichnung erschien. Fast so, als würde sie gerade eben im Zeitraffer hinein gezeichnet werden.
„Was soll das werden?“ kam sofort als Frage und alle warteten gebannt darauf, zu erfahren was das Buch nun wieder preisgab.
„Anno 1860!“ las Barry irritiert vor, „Wo soll das sein?“
Ein kleines Haus mit Garten war auf der Zeichnung zu erkennen. Es war eine ältere Bauweise und wirkte sogar ein klein wenig schief.
„Sieht irgendwie … englisch aus!“ meinte Jim, der auf seinen Reisen schon ziemlich viele Häuser gesehen hatte.
„Ja und was soll das sein?“
Die Antwort gab das Buch selbst.
„Thomas Wohnhaus“
„Also mal wieder irgendwas, was uns gar nichts bringt!“ kommentierte Jentrix leicht belustigt.
„Vielleicht ist dort aber der erste Schlüssel!“ meinte Kayleigh gleich.
„Dazu müssten wir aber wissen, wo wir suchen müssen!“ bemerkte Adrian.
Und wieder antwortete das Buch.
Es nannte einen Namen, den Dearon sofort in das Suchfenster des Servers eingab.
„Tja, tut mir leid! Aber die Gegend wurde … na ja, umgebaut!“ meinte er dann und zeigte den anderen das Bild der Gegend.
Sofort schwand wieder jede Hoffnung, einen Hinweis auf den ersten Schlüssel gefunden zu haben.
„Und was machen wir nun?“


In Los Angeles war, wie in einigen anderen Städten der Welt, ein Kampf um die Schlüssel entbrannt. Für Außenstehende wirkte es wie ein unkontrollierbarer Bandenkrieg und nicht nur die Reisenden waren die Opfer.
Des öfteren gerieten einfache Passanten in die Schlägereien oder auch weit brutaleren Kämpfe und wurden verletzt.
Für die Ordnungshüter war ein Grund für den vermeintlichen Bandenkrieg ebenso wenig zu finden, wie die Drahtzieher der Kämpfe. Sie waren machtlos und konnten lediglich die Opfer einsammeln und verarzten lassen.
Die Welt schien allmählich im Chaos zu versinken. Noch mehr als sonst!


Vigilius und die Brünette waren in einer Ortschaft, nahe Vancouver gelandet. Die Bewohner des Hauses hatten recht erschrocken reagiert. Was allerdings nicht verwunderlich war, da man nicht jeden Tag einen unerwarteten Besucher bekam, der einfach so im Haus auftauchte.
Die Brünette hatte Vigilius aus dem Haus gezerrt und nun liefen sie nebeneinander die Straße entlang, immer in Richtung Großstadt.
„Wir können nicht die ganze Zeit umher wandern!“ protestierte er irgendwann und blieb einfach am Straßenrand stehen.
„Wir trampen!“ meinte sie.
Und ihr Plan schien mehr oder weniger aufzugehen. Nachdem sie noch ein paar Stunden umher spaziert waren, hatte sie endlich jemand mitgenommen.
Ein nettes älteres Ehepaar hatte die beiden in ihr Auto eingeladen und fuhr sie bis in die Stadt. Für das Paar war es kein Umweg, da sie sowieso dorthin wollten.
Nahe des Stadtzentrums war die Reise dann zu Ende.
Die Brünette bedankte sich dafür, dass man sie soweit in die Stadt gebracht hatte. Und nachdem sie sich von den Alten verabschiedet hatte, ging es für sie und Vigilius wieder zu Fuß weiter.
„Hier ist kein Schlüssel zu spüren!“ meinte er und sah sich irritiert um, so als könne man das mit bloßem Auge erkennen.
Dann aber blieb sein Blick in einer Richtung haften und er stellte fest, dass es doch noch einen Schlüssel gab. Irgendein starken Impuls konnte er spüren.
„Hier sind sie also!“ meinte er dann.
„Ich hab doch gesagt, dass hier jemand ist, der uns helfen kann!“ kam von ihr. Sie schien erfreut darüber, dass er ihr traute.
„Wie ist eigentlich dein Name?“ wollte er plötzlich wissen, während sie weiter die Straße entlang liefen. Der Spur des Schlüssels hinterher.
„Alexia!“
Er nickte und nannte ihr seinen Namen.
„Ich weiß!“ war ihre Reaktion darauf und sie schmunzelte.


„Dein Handy!“ brummte Adrian genervt.
Jentrix holte es hervor und sah irritiert darauf.
Dann ging er zu einem der Schlafzimmer und ging ran.
Die anderen blieben im Wohnzimmer sitzen und grübelten, was sie nun machen müssten.
Allerdings kamen sie nicht wirklich weiter.
„Ein Kampf ist unvermeidlich!“ war Kayleighs Meinung und alle sahen sie irritiert an.
Barry hatte sich unterdessen erneut das Buch gegriffen und versuchte Neues darin zu finden.
Jim sah seine Nichte fragend an. Er wusste nicht, was genau sie zu wissen glaubte. Und auch ob ein Kampf unvermeidlich wäre. Doch gegen wen wollten sie antreten und wie?
Ein Knall war zu hören und dann lautes Geschrei.
Erschrocken sprang Kayleigh auf.
„Was ist jetzt los?“ wollte Adrian sofort wissen.
Sie konnten Jentrix wüten hören. Glas zerbrach.
Dearon sah etwas finster drein und schüttelte dann den Kopf. Ihm schien die Situation vertraut.
Kayleigh wollte nachsehen, als Dearon sie zurückhielt und meinte, dass es besser wäre, wenn sie Jentrix in Ruhe ließe.
„Wieso? Was ist los?“ Es war nicht Kayleigh, die das wissen wollte. Mica sah irritiert drein.
Keiner der anderen hatte vorher mal einen Wutausbruch von Jentrix mitbekommen, außer Dearon, der bereits einige Jahre mit ihm unterwegs war.
Egal, wer angerufen hatte, Jentrix schien nichts gutes erfahren zu haben.
Kayleigh riss sich los und ging zu Jentrix hin.
Sie konnte gerade noch einem Glas ausweichen, welches Jentrix gegen die Wand geschleudert hatte.
Als er mitbekam, dass er sie beinahe erwischt hätte, sah er kurz erschrocken aus.
Doch dann schimpfte er weiter.
„Die Scheißschlüssel … alles ein Riesenscheiß ...“ Was genau er sagte, war in seiner Wüterei nicht einfach zu verstehen.
Er war sauer auf die Schlüssel und dass sie gefährlich seien und es deswegen nur ein Haufen Probleme entstanden seien. Dennoch war nichts richtiges heraus zu hören.
„Kayleigh, lass ihn!“ Dearon war ihr hinterher gegangen, genau wie die anderen.
Sie alle sahen Jentrix entsetzt an. Bis jetzt war er immer ruhig und vernünftig geblieben. Nun allerdings war er aufgebracht und unberechenbar.
Immer wieder warf er irgendwas gegen die Wand oder schlug mit der bloßen Faust dagegen.
Kayleigh ignorierte die anderen und ging einfach auf Jentrix zu.
Sie sagte nichts, legte einfach ihre Arme um ihn und drückte ihn sanft an sich.
Stark war sie nicht. War sie noch nie gewesen. Weder körperlich noch im Geiste.
Dearon und die anderen befürchteten schon, dass Jentrix in seiner Wut Kayleigh schlagen könnte. Doch Jentrix schien verwundert über ihre Aktion und hielt still.
Noch immer stammelte er etwas davon, wie gefährlich die Schlüssel seien und dass die Kämpfe endlich ein Ende finden müssen.
Allem in allen war er verärgert über die Schlüssel und ihre Auswirkungen. Am liebsten wäre es ihm, die Dinger hätte es nie gegeben.
Kayleigh sagte nichts dazu. Sie hielt ihn einfach fest.
Nach einer Weile wurde Jentrix immer ruhiger und umklammerte sie. Ihr Plan ging auf.
„Es tut mir leid!“ kam dann leise von ihm.
Aber sie schwieg noch immer. Sie wusste nicht, weswegen er so ausgerastet war. Es schien nur nichts gutes gewesen zu sein, was er am Handy erfahren hatte.
Kayleigh drehte sich kurz zu den Männern, die alle noch immer fragend in der Tür standen und zu ihr und Jentrix hinüber sahen. Sie nickte ihnen zu und gab ihnen zu verstehen, dass sie wieder gehen sollten.
Adrian wollte nicht gehen, doch Dearon schob ihn zurück in Richtung Wohnzimmer.
„Aber wir können doch nicht …!“ protestierte er noch hilflos, konnte aber nicht viel machen.

Kayleigh und Jentrix waren wieder allein im Schlafzimmer. Sie hielt ihn noch eine Weile fest, bis sie sich sicher war, das er sich vollkommen beruhigt hatte.
„Was war los?“ wollte sie dann wissen und lies ihn aus ihrer Umklammerung frei.
„Meine Mom!“ gab er leise zu verstehen, „Sie liegt im Krankenhaus!“
Sie wartete.
„Sie war in einen dieser Kämpfe hineingeraten und … sie wurde verletzt!“
Nun verstand Kayleigh weswegen Jentrix mit einem Male etwas gegen die Schlüssel hatte.
„Sie hätte … Es hätte nicht passieren dürfen!“ meinte er. Er hatte Tränen in den Augen, auch wenn er versuchte dagegen anzukämpfen.
„Willst du zu ihr?“ wollte Kayleigh wissen und sah ihn betroffen an.
„Du hast alle Schlüssel deaktiviert!“ kam irritiert von ihm.
Sie schmunzelte kurz.
„Meinst du nicht, dass ich sie vielleicht auch wieder aktivieren kann?“
Jentrix überlegte kurz. Er wischte sich die Tränen weg und sah sich um.
„Ich würde zwar gern zu ihr, aber dass ist vielleicht nicht so gut!“ meinte er dann.
Sie sah ihn mit großen Augen an.
„Meine Mom, sie wollte nicht dass ich komme! Ich soll meine Arbeit nicht gefährden, meint sie. Und so schlecht ginge es ihr nicht!“ Er klang nicht überzeugt.
„Sie hat Angst, dass dir auch was passiert!“ kam von Kayleigh.
Sie bemerkte, dass er sich seine Hand verletzt hatte.
Sie packte ihn am Handgelenk und führte ihn ins Badezimmer, wo sie ihm mit einem nassen Tuch die Hand säuberte.
Jentrix lies sich verarzten und beobachtete sie dabei.
„Ich werd dafür sorgen, dass der ganze Kampf aufhört!“ meinte sie auf einmal, während sie im Badezimmerschrank einen Verband heraussuchte, den sie ihm dann anlegte.
Dann als er versorgt war, ging sie ohne ein weiteres Wort aus dem Bad und zurück zu den anderen ins Wohnzimmer.

„Alles klar mit ihm?“ wollte Mica sofort wissen.
Kayleigh nickte nur. Sie wollte den anderen nicht unbedingt erzählen, warum Jentrix so ausgerastet war. Wenn sie es wissen sollten, würde Jentrix selbst es erklären, fand sie.
Sie sah Jim fragend an.
„Wie können wir das beenden?“
„Beenden?“ Jim verstand nicht.
„Irgendwie muss man doch alle Schlüssel deaktivieren können! Damit würden alle Kämpfe aufhören und niemand würde mehr deswegen verletzt werden!“ war ihre Überzeugung.
„Man kann nicht alle Schlüssel deaktivieren!“ kam sofort von Mica, „Es gibt keine Möglichkeit dazu. Und wenn, dann gebe es noch eine Menge Leute, die was dagegen hätten!“
Sie warf ihm eine bösen Blick zu und richtete sich wieder an ihren Onkel.
„Wie genau sieht eigentlich der erste Schlüssel aus?“ wollte sie von ihm wissen.
Nikita LaChance
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 12:14

Kapitel XLVI

Er hasste es. Irgendwie schien ihm in letzter Zeit alles aus den Händen zu gleiten. Oder vielmehr schien seine Beute immer einen Schritt schneller als er zu sein.
Seit Jahren war er auf der Suche. Anfangs waren es nur irgendwelche Schlüssel gewesen. Doch irgendwann war er auf einen besonders mächtigen Schlüssel gestoßen. Und gerade dieser hatte ihn noch süchtiger nach der Jagt gemacht.
Er brauchte die Jagt, so wie auch die Schlüssel.
Schon rein zufällig hatte er bemerkt, dass er, im Gegensatz wie viele andere Schlüsselreisende, sein Ziel wählen konnte. Er war auch in der Lage die Schlüssel zu verfolgen, so als würden sie nur für ihn eine Spur hinterlassen. Er war ein Schlüsselmeister und somit mächtiger als die Chaoten in seiner Bande.
Und trotz seiner magischen Fähigkeiten war er einfach nicht in der Lage den großen Schlüssel in die Hände zu bekommen.
Gerade war ihm wieder ein mächtiger Schlüssel oder zumindest ein besonders starker Meister entwischt.

Er wartete noch ein paar Minuten auf seine Anhänger, die für ihn wieder ein paar Schlüssel einsammelten, die sie irgendeinem jungen Kerl abnahmen. Der hatte keine Chance gegen die fünf Männer.
„Millard, wieder zehn!“ meinte einer aus seinem Gefolge und reichte ihm die Beute.
Millard begutachtete die Karten, so als würde er Fotos durchsehen. Die Schlüsselkarten, waren nichts besonderes. Wirkten eher wie kleine Werbezettel oder wilde Kritzeleien.
Er konzentrierte sich kurz und konnte spüren, wie die Kraft von der Schlüsseln auf ihn übergingen. Und schon nach wenigen Sekunden war die Magie der Karten erloschen.
Die nutzlosen Karten zerknüllte Millard und lies sie zu Boden fallen.
Seine Bande tat das, was sie immer tat und nahm dem Opfer auch noch das Geld ab. Sie taten es nicht, weil sie es zum Überleben brachten.
So wie Millard süchtig nach der Schlüsselmagie war, so war seine Bande süchtig nach einer Schlägerei und Geld.

Einen mächtigen Schlüssel hatte er vor kurzem verloren, konnte aber noch die Spur wie einen feinen Faden aus Licht erkennen. Und so wie seine Bande mit ihrem Raubzug fertig war, öffnete Millard die nächste Tür und folgte der Spur.
Doch noch immer war seine Beute nicht so leicht zu erwischen.
Wie Millard recht schnell feststellen musste, sprang sein erwähltes Opfer regelrecht von einem Ort zum nächsten. So war es recht schwierig, seine Spur zu verfolgen.
Frustriert musste Millard einsehen, dass er schon wieder zu spät kam.


„Überall ist Chaos! Die Menschen hetzen durch die Straßen und kämpfen gegeneinander. Kaum jemand kennt den wirklichen Grund hierfür.
Doch ich weiß es! Sie alle suchen nach Schlüsseln. Berauben sie jeglicher Magie.
Und doch finden sie alle nicht, dass wonach sie suchen. ...“
Chan grübelte über ihrem Blogeintrag. So richtig wollten ihr die Worte nicht einfallen.
Sie wusste, dass nicht nur Reisende ihren Blog lassen. Nicht alle wussten über die Schlüssel Bescheid und ihren Fähigkeiten jemanden von einem Fleck zum nächsten zu bringen.
Noch hatte sie Glück gehabt, dachte sie sich, denn bisher konnte sie jeder Auseinandersetzung aus dem Weg gehen.
Mitunter lag dies daran, dass sie die Schlüssel nicht die ganze Zeit bei sich trug.
Wenn sie einen Stadtrundgang machte, um unter anderem für ihre Reiseberichte zu recherchieren, für die man sie sogar bezahlte, versteckte sie die Schlüssel in ihrem Hotelsafe.
So bewegte sie sich immer ohne Schlüssel durch die Straßen, bis es Zeit wäre wieder durch die Tür zu schreiten und zu verschwinden.
Bis jetzt hatte es auch immer funktioniert.
„Zum Glück bin ich kein Meister!“ meinte sie zu sich selbst.
Einem Schlüsselmeister würde es nicht viel bringen, den Schlüssel von sich fern zu halten. Der Meister selbst besaß selbst einen Teil der Magie und zog selbst die anderen an.

So recht fielen ihr die Worte nicht ein und daher beschloss sie eine kurze Pause einzulegen. Sie klappte ihren Laptop zu, schnappte sich ihre Jacke und ging zum Fahrstuhl.
Niemand fand irgendetwas merkwürdig daran. Sie war wie jeder normale Gast ins Hotel gezogen und keiner kam auf die Idee, dass sie auf ungewöhnliche Weise umher reiste.
Sie betrat die Lobby und ging zum Luftschnappen nach draußen.
Ein wunderschöner Tag in Rom, würde sie in ihren Blog schreiben. Vielleicht würde sie noch ein paar historische Details in ihren Text einbauen, so wie sie es immer tat. Mit ihrer kleine Kamera, die sie immer in ihrer Tasche trug, würde sie einige Fotos schießen und sie dem Text beifügen.
Im Grunde hatte sie, sobald sie an die frische Luft trat, sofort tausend Gedanken gefunden. So als hätte sie ihre Muse gerade eben geküsst.

Sie bemerkte nicht, dass man sie beobachtete.
Bis es zu spät war.
„Sie ist es!“ hörte sie in englisch, „Das ist die Kleine mit diesem komischen Blog!“
Chan versuchte sich nichts anmerken zu lassen und ging weiter.
Die Männer, die ihr folgten, wobei sie sich noch nicht mal die Mühe machten unbemerkt zu bleiben, stritten darüber, woher sie Chan kannten.
Automatisch ging sie schneller. Die beiden Männer hinter ihr waren ihr unheimlich.
Aber auch sie beschleunigten.
„Wo sind sie?“
Jemand stand plötzlich vor ihr und schnitt ihr den Weg ab.
Erschrocken sah sie den Mann an.
„Wo sind die Schlüssel, Chan?“ wollte er wissen.
Für eine Sekunde hatte sie vergessen, woher er sie kennen könnte. Vielleicht war es doch keine Idee gewesen ihren Namen und alles andere über ihre Reisen für alle zugänglich im Internet zu posten.
„Ich hab keine Schlüssel hier!“ antwortete sie leicht verängstigt.
Drei weitere Kerle waren aufgetaucht und so fand sich Chan fand sich recht schnell von sechs Männern umzingelt. Sie alle waren Schlüsseljäger, dessen war sie sich bewusst.
„Das habe ich schon bemerkt!“ lachte der Kerl vor ihr, „Aber du wirst uns doch sicherlich zu den Schlüsseln führen!“
Chan schluckte den unsichtbaren Kloß herunter, der sich in ihrem Hals gebildet hatte. Sie wusste nicht, was sie antworten sollte.
Sie wollte einfach nur weg, aber konnte es nicht.

Der Kerl vor ihr packte sie fest am Arm und zog sie näher zu sich.
„Erst hol ich mir deine Schlüssel und dann den deiner Freunde!“ knurrte er sie an und grinste. Er war sich dessen bewusst, wie einschüchternd er auf sie wirkte.
Sie wusste nicht, was genau er meinte. Oder wen.
„Meine Schlüssel sind im Hotel!“ gab sie zu verstehen.
Sie wollte einfach nur weg. Doch ohne Schlüssel könnte sie den Kerlen nicht entkommen.
„Dann sollten wir sie wohl holen!“
Der Kerl führte Chan wieder in Richtung Hotel und die anderen fünf folgten ihnen.

Niemand interessierte sich dafür, dass die kleine Chinesin nicht zu den sechs Männern gehörte oder dass diese sie als Geisel oder dergleichen genommen hatten.
Chan versuchte sich loszureißen, aber sie war zu schwach.
Und nach einigen Minuten war sie wieder im Hotel. Die Männer führten sie zum Fahrstuhl und der Anführer drückte die Taste zu ihrem Stockwerk.
Sie hatte ihm nicht gesagt, wo ihr Zimmer lag und dennoch wusste er es.
Kaum aus dem Fahrstuhl heraus, zerrte er Chan, gefolgt von seinen Männern, zurück zu ihrem Zimmer.
Er wartete nicht darauf, dass Chan ihren Hotelschlüssel heraus kramte. Er griff sich einen seiner Schlüsselkarten und fuhr damit den Türrahmen entlang. Und die Tür sprang auf.
Zielstrebig zog der Kerl Chan quer durch den Raum und hielt vor dem Safe.
„Die Schlüssel!“ knurrte er erneut.
Chan war irritiert. Wie konnte er wissen, wo ihre Schlüssel versteckt waren? Konnte er sie sehen?
Sie hatte keine Wahl, öffnete den Safe und lies ihn die Schlüssel heraus nehmen.
Die Begleiter des Kerls machten sich über den Inhalt ihres Koffers her und suchten nach Wertgegenständen und ähnlichem.
Der Anführer begutachtete die Schlüsselkarten. Immerhin eine stolze Sammlung von bis zu dreißig Stück.
„Deine Freunde werde ich auch noch besuchen!“ meinte er zu Chan.
Sie wusste nicht was sie sagen sollte. Kurz sah sie sich um und da keiner auf sie achtete, wollte sie die Chance zur Flucht nutzen. Allerdings war die Zimmertür durch die anderen Kerle versperrt.
Einzig das Badezimmer, welches offen stand, bot eine Möglichkeit zum Verstecken. Oder zur Flucht.
Chan sammelte ihren Mut zusammen und stürmte aufs Bad zu. Bevor einer der Männer reagieren konnte, war sie darin verschwunden und hatte die Tür zugestoßen.
Auch hatte der Anführer der Bande nicht mitbekommen, dass sie im Bad zwischen ihren Schminkutensilien noch eine Karte versteckt hatte. Oder er hatte es gewusst, aber nicht damit gerechnet, dass sie diese nutzen würde.
Chan griff nach ihrer letzten Chance zur Flucht und öffnete mit ihrer Schlüsselkarte die Tür und verschwand.
Die Männer auf der anderen Seite der Tür waren nicht schnell genug.

Zwar hatte er wieder eine Menge Schlüssel in die Hand bekommen, doch er hatte das Mädchen verloren.
Für einen kurzen Moment überlegte er, ob es sich wirklich lohnen würde, sie zu verfolgen. Einerseits war sie eine einfache Reisende und er hatte fast alle ihre Schlüssel und deren Magie an sich reißen können. Doch andererseits, hätte Chan ihn und seine Bande zu vielen anderen führen können. Vielleicht hätte er Schlüssel für sie fordern können.
Nur war es nun zu spät sie darüber den Kopf zu zerbrechen. Chan war verschwunden.
Während er die Schlüsselkarten durch ging und ihnen die Magie entzog, spürte er etwas. Es kam von den Karten.
Eine der Schlüsselkarten leuchtete heller als die anderen, auch wenn sie ansonsten recht unscheinbar erschien.
„Eine Karte von ihnen!“ bemerkte er und machte sich daran auch diese Karte zu löschen.
Auch was die Magie betraf, war die Schlüsselkarte gewöhnlich. Nur war da etwas, was wie ein unsichtbarer Fingerabdruck daran haftete.
Chan hatte also Kontakt mit einem sehr mächtigen Schlüsselmeister gehabt, wenn nicht sogar mit jemanden, der etwas mit dem ersten Schlüssel zu tun hatte.
Vielleicht sollte er ihr nun folgen und sie würde ihn zu dem Schlüsselmeister führen?


Jim hatte Kayleigh keine Antwort geben können. Er selbst hatte den ersten Schlüssel nie gesehen. Vermutlich wie so manch anderer.
Nun saßen Jim, Barry und Mica über das Buch gebeugt und studierten gemeinsam, ob irgendetwas über den Schlüssel darin geschrieben stand.
Kayleigh selbst saß gedankenverloren an einem der großen Fenster und starrte hinaus. Sie wusste nicht, wie sie es anstellen sollte, die Schlüssel zu deaktivieren.
Dass ihr das hier in Vancouver gelungen war, schien eigentlich purer Zufall zu sein. Im Grunde wusste sie nicht so genau, wie sie das angestellt hatte.
„Kayleigh, ist alles okay mit dir?“
Sie sah auf. Ihr Bruder blickte sie leicht besorgt an.
„Ich weiß nur nicht, was ich machen soll!“ seufzte sie.
„Dir wird schon was einfallen!“ meinte er. Im Grunde wusste er nicht, was er sagen sollte. Er kam sich ein klein wenig hilflos vor. Vor allem, da sie mehr Kräfte besaß als er.
Sie schmunzelte nur schwach und Adrian lies sie wieder allein.
Es dauerte nicht lange und Jentrix kam zu ihr.
Er stellte ihr keine unsinnigen Fragen, nach ihrem Befinden oder nach ihren Plänen. Ihm selbst war nicht wirklich zum Reden zu mute.
Er setzte sich einfach nur still zu ihr, wobei sich ihre Schultern berührten.
Adrian gesellte sich zu Dearon, um mit ihm gemeinsam einen Blick ins Internet zu werfen, so als würden sie dort irgendwelche Antworten finden.

Doch niemand fand etwas. Weder im Buch noch im Internet.
„Du solltest dich ein wenig ausruhen!“ flüsterte Jentrix Kayleigh zu.
„Ich sollte endlich Antworten finden!“ gab sie nur leise zurück.
Im Geiste ging sie alles durch, was sie wusste oder eben nicht wusste. Aber sie kam wie die anderen nicht weiter.

Nach einer Weile war sie eingenickt. Aber nur kurz, denn Dearons hatte etwas gefunden.
Es war nur nicht das, was sie gesucht hatten.
„Das kann nicht sein!“ protestierte Mica, der auf die Internetseite sah, die Dearon gefunden hatte.
Es war, wie Dearon erklärte, eine Seite, die mit Chans Blog verlinkt war.
„Was ist los?“ kam etwas müde von Kayleigh.
„Chan steckt in der Klemme!“ kam nur als Antwort.
Kayleigh reagierte nicht. Sie wusste auch nicht, was sie tun sollte.
Mica sah sie fordernd an.
„Wir müssen etwas tun!“ fuhr er sie an.
„Wir haben keine Zeit für so was!“ gab Adrian zu verstehen.
Auch Jim reagierte auf Chans Hilferuf etwas unbeherrschter.
„Wir können sie nicht zurücklassen!“ war seine Meinung.
Kayleigh hasste es, dass Mica und Jim sie so ansahen, als sei sie Schuld an Chans Problemen.
Barry war auf Adrians Seite. Auch er fand, dass es wichtigeres gäbe als einer Reisenden zu helfen.
Kayleigh hatte Chan zwar einmal getroffen, doch was sollte sie tun.
Auf dem Laptop erschien eine weitere Nachricht.
„Kayleigh, wir müssen ihr helfen!“ schrie Mica regelrecht.
Aber Kayleigh sah nur aus dem Fenster.
Mica ging auf sie zu und bluffte sie erneut an, dass sie die Schlüssel wieder aktivieren sollte, damit er Chan helfen könnte.
„Du weißt, dass das eine Falle ist!“ antwortete sie ihm in ruhigem Ton.
„Verdammt noch mal! Du kannst ...“ Mica war außer sich, „Chan braucht unsere Hilfe!“
Noch einmal richtete sie ihren Blick nach draußen.
Er packte sie am Kragen und zwang sie, ihn anzusehen.
„Was ist los mit dir?“ schrie er sie an, „Du wolltest etwas gegen die Kämpfe unternehmen und nun willst du Chan ausliefern?“
Sie sah ihn mit großen Augen an.
„Ich will erst Antworten!“ flüsterte sie ihm zu.
Mica verstand nicht.
Auch die anderen sahen sie fragend an.
Barry war der erste, der es bemerkte. Dann Jim und auch Adrian und Mica.
Instinktiv richtete sich ihr Blick auf die Tür.
Ein Schlüsselträger kam immer näher. Jemand, der trotz Kayleighs magischer Reinigung, noch einen aktiven Schlüssel besaß.
„Was … Was hast du gemacht?“ wollte Adrian von ihr wissen.
„Ich will Antworten!“ meinte sie nur und riss sich von Mica los.
„Du willst uns verraten?“ war Barry überzeugt.
Jentrix und Dearon wussten nicht was vor sich ging. Oder zumindest wussten sie nicht, wer nun kommen würde.
„Du musst Vigilius aussperren!“ forderte Jim.
„Er ist der einzige, der uns mehr über den ersten Schlüssel verraten kann!“ war Kayleighs Meinung, „Er ist der Sohn des ersten Schlüsselmeisters!“
Dennoch waren die Jungs wütend über ihre Entscheidung.
Mica, Jim, Barry und auch Adrian schrien Kayleigh an, dass sie die Tür verschließen und Vigilius Schlüssel deaktivieren sollte. Kayleigh selbst wusste nicht, ob sie dies überhaupt schaffen würde. Schließlich war Vigilius selbst ein Schlüsselmeister und mit großer Sicherheit auch noch viel stärker als sie.
Es wurde ein regelrechtes Handgemenge, bei dem Barry Kayleigh fest am Arm packte und sie dazu zwingen wollte etwas gegen den bevorstehenden Angriff Vigilius´ zu unternehmen. Barry fühlte sich von ihr verraten, denn sie hatte nicht nur die Schlüssel unbrauchbar gemacht, nun würde sie sie alle dem Gegner ausliefern.
Jentrix ging dazwischen und stellte sich schützend vor Kayleigh.
„Hört auf!“ schrie sie. Das hatte sie so nicht gewollt.

Der Schlüsselmeister vor der Tür kam immer näher.
„Halt ihn auf!“ schrie Mica sie erneut an und wollte nach ihr greifen. Doch er erwischte sie nicht.
„Verdammt noch mal, er hat Antworten!“ antwortete sie ihm.
Sie wusste, dass es riskant war. Zu riskant.
Doch ihr war nichts anderes eingefallen und auch wenn ihre Freunde und Familie ihr nun für den vermeintlichen Hinterhalt böse waren, so musste sie es versuchen.
Sie hoffte, dass Vigilius ihr ein paar Antworten geben könnte.
Nikita LaChance
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 12:14

Kapitel XLVII

Vigilius hatte lange gesucht. Er war in vielen Ländern gewesen und zu verschiedenen Zeiten. Er fand Zeittüren, wenn man sie so nennen konnte, mit denen er mal jünger und mal wieder ein wenig älter wurde.
Auf seinen Reisen hatte er sich nie wirklich Zeit für sich genommen. Er war immer nur auf der Suche gewesen, so als gäbe es für ihn nichts anderes.
Und nun war es endlich soweit. Deutlich konnte er, nach Jahrzehnten, ja sogar Jahrhunderten, den ersten Schlüssel spüren. Es musste der erste Schlüssel sein, denn allzu deutlich konnte er ihn nun spüren.
Zusammen mit Alexia, die ihn auf die Idee gebracht hatte, nach Vancouver zu gehen, bestieg er den Fahrstuhl. Er konnte es kaum aushalten, so gespannt war er darauf, was ihn erwarten würde.

Immer näher kam er seinem Ziel. Er konnte es deutlich spüren. Und so als wäre er bereits schon einmal hier gewesen oder als hätte man ihm gesagt, wo er hingehen sollte, spazierte Vigilius über den Hausflur und hielt irgendwann vor einer Wohnungstür.
Anders als seine Begleiterin, interessierte er sich wenig für die Umgebung.
Er wollte einfach nur in die Wohnung.

Drinnen schien ein Streit im Gange zu sein.
Vigilius wartete kurz und lauschte. Er zählte über sechs Mann, die sich lautstark anschrien.
Für einen Moment überlegte er, ob er nun wirklich in diesen Raum wollte.
Alexia wartete. Sie wusste nicht was in ihm vorging. Allerdings war sie nicht auf der Suche nach dem ersten Schlüssel oder dergleichen. Sie suchte einfach nur einen sicheren Ort.

Die Tür ging einfach auf. Und auf beiden Seiten überraschte Gesichter.
Vor Vigilius und Alexia stand ein junger blonder Mann. Er sah von Vigilius auf Alexia und schien verwirrt.
Hinter dem Blonden tauchten die Gesichter der anderen auf.
Ihr Streit war mehr oder weniger abrupt unterbrochen worden und fast alle starrten den Fremden entgegen.
Vigilius sah von einem zum anderen. Er konnte noch immer den Schlüssel spüren. Doch nicht von dem Jungen vor ihm oder den anderen Männern im Raum.
Sein Blick blieb auf dem Mädchen haften.
„Du?“ Er war irritiert und er trat ein.
Es war nicht, dass er plötzlich unvernünftig geworden war oder dass er seinen Verstand nun vollkommen verloren hätte. Ein klein wenig war es, als würde er von einem Magneten angezogen.

Alexia trat ebenfalls in den Raum. Sie sah sich kurz um und wandte sich dann an den Blonden, der die Tür wieder schloss.
„Tut mir leid!“ meinte sie nur leise zu ihm, „Ich wusste nicht, dass ihr es seid!“
Der Blonde sah sie irritiert an.

Vigilius trat näher und die sechs Männer umringten ihn und versuchten ihn zeitgleich von dem schwarz haarigen Mädchen fernzuhalten.
Er ignorierte die Männer und starrte das Mädchen an.
Er verstand nicht, was es war. Es konnte nicht der Schlüssel sein. Oder doch?
Was auch immer es war, was ihn anzog, ihn angelockt hatte, es ging von ihr aus.

„Wo hast du den Schlüssel?“ platzte es aus ihm heraus.
Noch immer war seine volle Aufmerksamkeit auf das Mädchen gerichtet.
Sie sah ihn fragend an, so als verstünde sie seine Frage nicht.
Also wiederholte er sie. Lauter. Aggressiver.
Er war wieder einmal so nah und doch so fern.
Dann packte ihn jemand und hielt ihn fest.
Jim, der Kerl, dem er schon mehr als einmal begegnet war und der ebenfalls einen Hauch des Schlüssel trug, zerrte ihn wieder in Richtung Tür. Und dann noch ein zweiter.
„Schick ihn weg! Er bringt nichts als Ärger!“ schrie Jim der Schwarzhaarigen entgegen.
Doch sie reagierte nicht.
Jim wurde lauter und schrie das Mädchen an.
„Nein!“ Sie sprach so überzeugend, dass man hätte annehmen können, sie sei der Kopf der Bande.
Alle, einschließlich Vigilius, sahen sie fragend an.
„Bist du verrückt geworden, Kayleigh?“
Eine gute Frage, dachte sie sich selbst.
„Wenn du Angst vor ihm hast, dann bind ihn fest!“ meinte sie dann mit fester Stimme zu Jim.
Verblüfft und fragend zog er eine Augenbraue nach oben.
„Wenn ich ihn wegschicke, kommt er uns eh bald wieder hinterher!“ war sie überzeugt, „Außerdem ist er uns ein paar Antworten schuldig!“

Vigilius wollte sich nicht gefangen nehmen lassen. Er war nicht hier her gekommen, um nun als Geisel oder dergleichen zu enden.
Im Grunde war es eine große Dummheit gewesen, dass er überhaupt den Raum betreten hatte, wo er doch wusste, dass so viele da waren.
Jim und sein Helfer zogen ihn wieder in den Raum rein und drückten ihn etwas unsanft auf einen der Stühle in der Essecke. Dann holte einer der anderen Männer einen Gürtel hervor und fesselte Vigilius damit an den Stuhl.
Innerlich spottete er über seine eigene Dummheit.
Vigilius versuchte sich loszureißen. Doch die Fesseln waren fest und er unter Beobachtung.
„Was nun, Kleine? Hetzt du deine Wachhunde auf mich?“ Vigilius tat das, was er als einziges noch tun konnte. Spotten! Auch wenn es ihm nichts bringen würde, außer vielleicht eine Tracht Prügel.
Doch dass Mädchen, dem der Spott galt, reagierte erst gar nicht auf ihn.

„Wie sieht der erste Schlüssel aus?“ wollte sie von ihm wissen und erntete einen verwirrten Blick.
„Was?“ Vigilius verstand die Frage nicht, denn er war sich sicher gewesen, dass sie den Schlüssel bei sich hatte.
„Du müsstest es doch wissen!“ war sie überzeugt.
Er antwortete nicht.
„Kayleigh!“ Einer der Kerle winkte sie zu sich und zeigte ihr irgendetwas auf seinem Laptop.
Vigilius sah sich zu Alexia um, die ihn mehr oder weniger in diese Lage gebracht hatte.
Sie stand bei dem Blonden und schien ein wenig ratlos.
„Was macht ihr jetzt mit dem?“ wollte sie flüsternd von ihm wissen. Der Blonde antwortete nur Schulter zuckend. Er hatte keine Ahnung, was seine Schwester nun vorhatte.

„Was machen wir?“ wollte Dearon von Kayleigh wissen, kurz nachdem er ihr seinen Fund auf dem Laptop gezeigt hatte.
Sie überlegte kurz.
„Wir müssen sie da raus holen!“ seufzte sie dann und sah sich zu Jim um, der neben Vigilius saß und ihn bewachte.
„Allerdings wird es sicherlich schwierig!“ war sie überzeugt.
Nur wusste Dearon nicht, ob sie die Situation vor Ort meinte oder die offensichtliche Falle, in die sie nun anscheinend mit Absicht tappen wollte.
„Du willst dort hin?“
Sie nickte nur, sah sich noch einmal um und bat ihn, ein Auge auf die Anderen zu haben.
„Du kannst nicht allein dahin!“ warf Dearon sofort ein.
Kayleigh seufzte.
„Ja!“ meinte sie dann, „Aber ich brauch hier jemanden, der hier aufpasst. Mein Bruder ist gerade mit seiner Freundin beschäftigt. Und außer dir und Jentrix sind gerade alle ziemlich sauer auf ihn und würden vermutlich sonst was anstellen!“
Dearon sah sie mit großen Augen an. Aber er musste ihr recht geben.
„Mica! Jim!“ rief sie durch den Raum und die Angesprochenen sahen sie erschrocken an.
„Du und Jentrix ihr passt hier auf!“ flüsterte sie Dearon zu und ging dann auf Jim zu.
„Wir holen Chan!“ Es klang fast schon wie ein Befehl.
Mica sagte nichts dazu. Jim allerdings schien für einen kurzen Moment dagegen zu sein, Vigilius aus den Augen zu lassen.
Aber dann stand er von seinem Platz auf und knurrte nur: „Ich hoffe, dass du weißt was du tust!“
Es klang ein klein wenig harter, als es vermutlich sein sollte. Doch Jim war auch ein wenig sauer auf sie, da sie sich nun wie der Chef aufführte.

Vigilius traute seinen Augen kaum.
Kayleigh trat mit den beiden Männern an die verschlossene Wohnungstür, die plötzlich zu leuchten begann. Dann ohne weiteres, öffnete Kayleigh die Tür und dahinter war eine Art Fabrikkeller oder dergleichen zu sehen.
Die drei gingen durch die Tür und verschwanden. Kaum war die Tür verschlossen, erlosch das Licht und Vigilius sah sich irritiert um.
Die seltsame Macht war verschwunden. Das eigenwillige Gefühl, welches ihn hier her gebracht hatte, war weg.
Einzig die schwache Spur, der er schon seit langer Zeit gefolgt war, war zu fühlen.


Millards Plan ging auf.
Er hatte Chan die Schlüssel abgenommen und sie ihrer Magie beraubt. Dass Chan dann geflohen war, war zwar nicht sein Plan. Aber irgendwie verlief es mehr oder weniger so, wie er es sich gedacht hatte.
Millard war Chan gefolgt und sie hatte andere Reisende angelockt. Sie waren Chans Hilferufen gefolgt und obwohl Millard dadurch reichlich Schlüssel in die Finger bekam, war dennoch ein klein wenig enttäuscht. Bis jetzt war kein Schlüsselmeister aufgetaucht oder irgendjemand, der mit dem ersten Schlüssel zu tun hatte.

Chan war immer wieder durch ein paar Türen gerannt. Allerdings hatte sie das Problem, dass nicht jede Tür automatisch ein Durchgang war. Und auch, dass, falls sie mal einen Durchgang erwischte, nicht wusste, wohin er sie führte.
Sie war kein Meister und trug nun lediglich einen einzigen Schlüssel bei sich. Und ihr Handy, mit dem sie immer wieder kleine Notrufe verschickte.
Sie hatte keine Ahnung, dass sie damit ihre Freunde anlockte und sie somit in Millards Hände laufen lies.
Gerade schickte sie einen erneuten Hilferuf los, als diesmal auch eine Antwort kam.
Verwundert darüber sah sie auf ihr Handy.
Es war ein alter Freund, der von ihr wissen wollte, wo genau sie steckte.
Sie gab ihm ihren Aufenthaltsort durch. Sie hoffte, dass diese Nachricht nicht an den Falschen geriet.
Ein paar Sekunden später kam die nächste SMS.
„Wir holen dich!“
Irritiert sah sie auf ihr Handy.
Dann hörte sie wie jemand näher kam.
Panisch drückte sie sich näher an die Wand und versuchte so sich so gut wie unsichtbar zu machen.

Millard erreichte mit seiner Bande ein Fabrikgelände.
Eine Augenbraue nach oben gezogen, sah er sich um.
Es war eine recht ungewöhnliche Umgebung, fand er. Allerdings, so wusste er, hatte seine Beute keine Wahl, wohin sie ihre Flucht trieb.
Ein Schmunzeln huschte ihm übers Gesicht.
„Was will sie hier?“ wollte einer seiner Schläger wissen. Doch Millard ignorierte ihn.
Sein Schmunzeln erstarb recht schnell und Verwunderung trat in sein Gesicht.
Wieder hatte Chan jemanden angelockt. Diesmal war es jemand stärkeres.
„Los!“ befahl er seiner Bande und rannte dem Schlüssel entgegen, den er nun spüren konnte.

Mica sah immer wieder auf sein Handy, mit dem er Kontakt zu Chan aufgenommen hatte.
„Sie ist hier irgendwo!“ meinte er flüsternd zu Jim.
Der sah sich ebenfalls um.
Es war nicht sehr hell und der Staub lag dick auf dem Boden und den Rohren, die an der Decke entlang liefen.
Kayleigh fühlte sich nicht sehr wohl in dem Gang.
Doch sie wusste nicht, ob es an der Enge und der stickigen Luft lag oder ob es etwas anderes war.
Ihr Magen verkrampfte sich regelrecht. Wären Jim und Mica nicht gerade anderweitig beschäftigt, so hätten sie ihr gesagt, wie blass sie auf einmal geworden war.

Chan sah sich panisch nach dem Geräuschen um.
Gleich von zwei Seiten vernahm sie Schritte.
„Chan?“
Sie zuckte zusammen und reagierte dann doch recht froh, als sie erkannte, dass ein alter Freund ihr gegenüber stand.
„Hier bist du!“ meinte er erleichtert und half ihr auf.
Erleichtert umarmte sie ihn.
„Dafür haben wir keine Zeit!“ kam von ihm nur und er nahm sie bei der Hand.
Er zog sie in einen der Gänge, wo zwei weitere, ihr bekannte Gesichter warteten.
„Wir sollten schnell weg!“

Millard war gerannt und doch, so schien es, würde ihm der Schlüssel erneut durch die Finger gehen.
Seine Bande hatte er abgehängt. Aber das war ihm egal.
Er wollte einfach nur den Schlüssel haben. Und der war fast zum Greifen nah.
Vor sich konnte er Chan sehen. Begleitet von zwei Männern, eindeutig Schlüsselmeister.
Und dann war da noch etwas oder jemand anderes.
Das jüngere Mädchen vor ihm kam ihm bekannt vor. Ebenso wie dieses eigenartige Gefühl.
Sie musste auch ein Meister sein, allerdings viel stärker als die beiden Männer.
„Das kann nicht sein?“ murmelte Millard vor sich hin.
Er konnte sich nicht erinnern, wo er sie gesehen hatte.
Aber sie musste es sein, die den mächtigen Schlüssel bei sich hatte.
Er musste sie zu fassen bekommen.

Kayleigh hielt an der nächsten Tür, die vor ihr auftauchte. Sie riss sie regelrecht auf und dahinter tauchte die Wohnung auf, aus der sie gekommen waren.
Die beiden Männer und Chan gingen schnell durch die Tür und fühlten sich regelrecht erleichtert, endlich in Sicherheit zu sein.
Kayleigh sah in die Richtung aus der sie soeben gekommen waren. Von dort konnte sie deutlich einen Schlüsselmeister spüren.
Allerdings war da etwas anderes, was ihr Angst machte.
„Kayleigh, komm rein hier!“ Jim zog sie am Arm in die Wohnung.
Doch auch er erkannte den Mann, der auf sie zugerannt kam.
Blitzschnell schloss Kayleigh die Tür.
Jim kehrte der Tür wieder den Rücken zu.
Sie waren in Sicherheit und der Verfolger stand vor verschlossener Tür.
Nur Kayleigh rührte sich nicht von ihrem Fleck.
Angestrengt starrte sie auf die Wohnungstür, die sie soeben geschlossen hatte.
Das Gefühl des anderen Meisters war noch immer deutlich zu spüren und es schien sogar anzuwachsen.

Vigilius sah irritiert zur Tür. Auch er konnte den anderen spüren. Doch was sein Interesse wohl mehr weckte, war Kayleigh und ihre Kraft.
Er hatte mit angesehen, wie sie eine Tür geöffnet hatte, obwohl alle Durchgänge in der Stadt verschlossen waren. Sie hatte scheinbar aus dem Nichts einen Schlüssel hervor geholt und ihn aktiviert.
Und nun starrte sie auf die Tür.

Dann drückte sie ohne ein Wort mit beiden Händen dagegen, so als müsse sie die Tür zu halten.
„Was ist los?“ wollte ihr Bruder wissen. Er erkannte nicht die Situation.
„Er ist weg!“ meinte Jim nur zu ihr, irritiert über ihr Handeln, „Du hast die Tür verschlossen!“
Aber dann wurde auch er ein wenig blasser um die Nase, als er bemerkte, dass etwas nicht stimmte.

Der Druck von der anderen Seite wurde immer größer. So als würde der andere im Hausflur stehen und versuchen die Tür von außen auf zu stemmen.
Kayleigh brauchte all ihre Kraft. Es reichte nicht, die Tür zu zu halten. Sie musste sie auch wieder verschließen. Doch eben dies erschien am schwersten.
Deutlich spürte sie, dass der Mann auf der anderen Seite nicht nur die Tür auf zu stemmen versuchte.
Ihre Magie wurde schwächer, ob sie es wollte oder nicht.
Ihr Gegenüber entzog ihr ihre Kraft.
Einerseits fühlte es sich so an als würden ihre die Finger einschlafen, doch andererseits war es als hätte man ihr einen kräftigen Schlag in den Magen verpasst. Jeden Moment würde sie sich übergeben müssen, glaubte sie.

„Verschließ die Tür!“ konnte sie hinter sich hören. Allerdings konnte sie die Stimme nicht wirklich zu ordnen.
Sie musste sich konzentrieren. Dies hier erschien ihr schwerer als die Stadt von all ihren magischen Schlüsseln und Durchgängen zu befreien.
Die Kopfschmerzen wuchsen an, ebenso die Magenkrämpfe.
Mit aller Kraft stemmte sie sich gegen die Tür. Nicht mehr lange und der andere würde sie aufstoßen.
Somit wäre nicht nur sie in Gefahr!
Dieser Gedanke war wie ein Energieschub.
Kayleigh strengte sich noch mehr an. Legte alles in ihre Magie und schickte eine Art Energiewelle durch die Tür.
Was auch immer sie gerade getan hatte, zeigte Erfolg.
Die magische Energie und der Druck auf der anderen Seite der Tür war verschwunden.
Der Durchgang war wieder verschlossen und die Stadt sicher.
Kayleigh holte tief Luft.
Dann als sie sich sicher war, dass nun nichts mehr passieren würde, richtete sie sich wieder ihren Freunden zu.
Sie fühlte sich schwach auf den Beinen, was sie aber nicht zugeben wollte.
„Deine Nase blutet!“ meinte ihr Bruder irritiert. Besorgnis lag in seinem Gesicht.
„Er ist weg!“ gab sie müde von sich, wischte sich das Blut weg und machte ein paar wackelige Schritte.
„Vielleicht solltest du dich kurz hinsetzen!“ meinte Alexia, die sie mit großen Augen ansah.
„Mir geht’s gut!“ antwortete Kayleigh ihr und ging auf Vigilius zu.
„Der Schlüssel ...“ fing sie erneut an.
Alles um sie herum begann zu verschwimmen. Doch sie versuchte sich noch immer krampfhaft auf den Beinen zu halten.
Sie musste endlich Antworten finden.
„Wie sieht der Schlüssel aus?“
Vigilius sah sie mit großen Augen an. Es war nicht die Frage, die ihn irritierte, oder dass sie so blass aussah. Es war vielmehr ihre Magie, die ihn verwunderte.
„Der … der … Schlüssel ...“ begann sie erneut.
Dann brach sie zusammen.


Keys saß nachdenklich da.
Er wusste nicht, was er tun könnte. Ein klein wenig fühlte er sich machtlos.
„Es ist außer Kontrolle geraten!“ begann er erneut.
Sebastian warf seinem Vater einen besorgten Blick zu. Auch Richard und Meryl, die kaum verstanden, was wirklich vor sich ging, sahen den Alten fragend an.
„Es ist meine Schuld!“
„Kann man nicht einfach … ich weiß nicht ...“ fragte Meryl, „Kann man nicht einfach alles rückgängig machen?“
Die Männer sahen sie irritiert an.
„Ich habe versucht die Magie zu löschen!“ erklärte Keys, „Aber ich bin nicht kräftig genug sie alle Schlüssel auf einmal zu deaktivieren!“
Sebastian nickte, so als wüsste er wovon sein Vater sprach.
„Die Schlüssel sind zu weit verstreut! Es dauert zu lange, ihnen zu folgen!“ seufzte der alte Mann.
„Aber wieso ist es überhaupt passiert?“ knurrte Richard. Ihm wurmte es noch immer, dass allen Anschein nach die Schlüsselmagie Schuld am Tod seiner Frau war.
Keys wollte ihm antworten. Doch er tat es nicht. Er sah ihn nur mit trauriger Miene an.
Dann blickte er seinen Sohn an. Beide wussten, dass alles noch viel schlimmer werden würde, sollte nicht irgendwer den Wettstreit um die Schlüssel beenden. Allerdings war auch nicht vorher zusehen, dass der Sieger der Kämpfe, auch der Rechte war. Jemand, der die dadurch gewonnene Macht nicht zum Negativen nutzte.
„Ich wünschte, ich hätte die Schlüssel niemals geschaffen!“ seufzte Keys kaum hörbar.
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 12:14

Kapitel XLVIII

Richard glaubte, er hätte sich verhört. Er überlegte noch einmal, was Keys soeben offenbart hatte, und warf seiner Schwester einen fragenden Blick zu. Doch sie schien nichts ungewöhnliches in Keys Aussage zu sehen.
„Du ...“ fing Richard an, wobei sein Ton immer lauter wurde, „Du hast die Schlüssel geschaffen?“
Nun schien auch Meryl ein Licht aufzugehen und sie sah Keys irritiert an.
Sebastian war weder überrascht über die Neuigkeit, die sein Vater mehr oder weniger preisgegeben hatte, noch über Richards Reaktion.
„Du bist der … erste Schlüsselmeister oder wie auch immer ihr Irren das nennt?“ fluchte Richard, diesmal noch verärgerter.
Er steigerte sich so allmählich in seine Wut hinein. Nicht nur, dass er hatte erfahren müssen, warum seine Frau getötet und seine Tochter damals schwer verletzt worden war, so hatte er allen Anschein nach nun den Verantwortlichen vor sich sitzen.
Keys schwieg und holte tief Luft, so als müsse er über seine nächsten Worte erst nachdenken.
Auch Sebastian sagte nichts. Er kannte die Antwort auf Richards Frage, immerhin gehörte er unter anderem zu den ersten Schlüsselmeistern. Aber es wäre egal, was er sagen würde, Richard würde sich so schnell nicht mehr beruhigen.
„Verdammt noch mal, antworte gefälligst!“ brüllte Richard plötzlich und seine Schwester sah ihn entsetzt an.
„Ich hab es so nicht gewollt!“ war Keys einzige Antwort.
Dann stand der alte Mann auf und ging einfach aus dem Raum raus und die Treppe hinauf in sein kleines Zimmer, in dem seine Schlüsselsammlung stand.
„Das … kann nicht wahr sein!“ protestierte Richard erneut. Allerdings war er jetzt auch ein klein wenig wütend auf seine Schwester, die sich seiner Sache scheinbar nicht anschließen wollte.
Sebastian wartete einen Moment, ehe er sich zu Wort meldete.
„Er kann nichts dafür!“
„Er hat zugegeben, die Schlüssel erschaffen zu haben und …!“ fing Richard wieder an.
„Sei still!“ mischte sich Meryl ein, „Als hättest du noch nie etwas getan, was später ein Fehler war!“
Richard sah sie finster an und murmelte irgendetwas von „Kein Vergleich!“, ehe er sich wieder hinsetzte und innerlich noch eine Weile vor Wut schäumte.
Sebastian warf noch einmal einen kurzen Blick auf ihn und die Frau, dann stand er auf und folgte seinem Vater in den oberen Stock.

Sein Vater saß müde da und starrte auf ein altes Foto. Es war nicht seine Familie, die darauf abgebildet war. Zumindest nicht seine Frau und seine Söhne.
Es war das alte Foto von Evangeline. Es war ein Schlüssel gewesen.
Und Evangeline war eines seiner Urenkel bzw. noch ein paar Generationen mehr.
Er konnte sich noch daran erinnern, wie er selbst die ehemalige Schlüsselkarte bekommen hatte. Auch wenn er sich weder daran noch an den Typen, dem er die Karte abgenommen hatte, erinnern wollte.
„Es ist meine Schuld!“ flüsterte er, als er seinen Sohn Sebastian vor sich stehen sah.
Sebastian nickte nur.
„Ich habe Unglück über meine Familie gebracht!“ seufzte er erneut.


Mica hatte Kayleigh als Erster gepackt und in eines der Schlafzimmer getragen.
Kaum hatte er sie aufs Bett gelegt, öffnete sich die Augen. Allerdings war sie noch immer zu schwach, um wirklich wieder auf dem Damm zu sein.
Dennoch beteuerte sie mit müdem Ton, dass mit ihr alles in Ordnung sei.
Mica allerdings ging nicht darauf ein.
„Lügnerin!“ schmunzelte er sie an. Kein fröhliches Schmunzeln. Besorgnis lag in seinen Augen.
Kayleigh wollte wieder aufstehen, als er sie sanft zurück aufs Bett drückte.
„Du bleibst liegen und ruhst dich aus!“ meinte er mit ernstem Ton.
„Aber ...“ fing sie wieder an.
Mica schüttelte den Kopf.
„Vigilius wird nicht weglaufen! Und du solltest dich auch mal um dich selbst sorgen!“ Mica kannte Kayleigh schon länger und daher wusste er über ihre Verbissenheit anderen keine Probleme zu bereiten Bescheid.
Sie gab nach. Nicht dass sie es wollte, aber was auch immer passiert war, hatte sie zu sehr geschwächt.
„Schlaf!“ flüsterte Mica nur, strich ihr ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
Sie schmunzelte nur müde und schloss die Augen.
Mica wolle das Zimmer wieder verlassen, als er einen kurzen Blick auf Kayleighs Finger warf.
Es sah eigenartig aus, fand er und sah sich ihre Hände genauer an.
„Das sieht aus, als hätte sie sich die Finger verbrannt!“ murmelte er leise vor sich hin.
Kayleighs Fingerspitzen und Handinnenflächen waren recht rot und wirkten auch ein klein wenig geschwollen. Fast wie bei einer Verbrennung.
Da er nicht viel tun konnte, außer Kayleigh endlich schlafen zu lassen, ging er wieder aus dem Zimmer.
Er hatte nicht bemerkt, dass Jentrix ihm gefolgt war und beobachtet hatte.
Jentrix war, noch bevor Mica das Schlafzimmer wieder verlassen hatte, zurück in das Wohnzimmer zu den anderen gegangen.

„Wieso sind die nun hier?“ brüllte Barry. Ihm gefiel es weder, dass sie Vigilius im Raum hatten, auch wenn er gefesselt und nun mehr oder weniger ungefährlich war, noch dass da ein paar weitere womöglich gefährliche Leute da waren.
Jim versuchte alles damit zu erklären, dass Kayleigh womöglich Recht hätte, dass Vigilius ihnen Antworten liefern könnte.
„Meinetwegen!“ brummte Barry seinen Bruder an, „Aber die Frauen?“
Jim holte tief Luft. Er hatte keine Lust auf einen Streit.
Auch Adrian war sauer. Er wollte eine Erklärung von Alexia, warum sie mit Vigilius unterwegs war. Ihre Antwort, dass sie ihn zufällig getroffen hatte und sie nur mit seiner Hilfe flüchten konnte,lies Adrian nicht als Antwort gelten.
Irgendwie waren alle gereizt und waren kurz davor sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen.
Einzig Dearon und Jentrix enthielten sich dem Gezanke. Im Gegensatz zu Dearon, der eh die meiste Zeit ruhig und überlegen handelte, war Jentrix mit seinen Gedanken ganz woanders. Ein klein wenig war er eifersüchtig auf Mica, der mehr über Kayleigh wusste als er und dass sie womöglich noch Gefühle für ihren Ex hegte.
„Ich weiß nicht, was das hier alles bringen soll!“ seufzte Dearon kurz und griff nach dem Buch. Eigentlich hatte er es nur gegriffen, da er nichts anderes tun konnte, nicht weil er irgendetwas davon erwartete. Zu seiner Verwunderung konnte er sogar darin lesen.

Jentrix war ungeduldig. Es gab nichts zu tun und auch keine Antworten, die ihm irgendetwas bringen würden.
Ohne ein Wort zu Dearon, der ohnehin ein wenig abgelenkt wirkte, ging er zu Kayleigh ins Schlafzimmer.
Dort war es ruhig, im Gegensatz zu dem Wohnzimmer und dem zu nichts führenden Streitereien.
Auch wenn es langweilig wäre, Kayleigh beim Schlafen zu zusehen, erschien es ihm besser als bei den anderen zu hocken.
Er setzte sich zu ihr aufs Bett und auch wenn er es nicht wollte, nickte er ein.


Keys sah irritiert auf. Auch Sebastian hatte irgendetwas bemerkt.
„Was war das?“ wollte der Jüngere wissen.
„Die Schlüssel …?“ murmelte Keys verwundert, „Die Magie ist ...“ Er fand nicht das richtige Wort.
„Aufgewühlt?“ beendete Sebastian den Satz und wirkte darüber selbst ein klein wenig verwundert.
Beide wussten, dass dies einen wohl größeren Kampf bedeutete. Irgendetwas hatte stattgefunden, zwar weit weg, aber dennoch konnten sie es fühlen.


„Wow! Was ist passiert?“ Die einzige und erste Reaktion der Männer, als sie ihren Anführer bewusstlos auf dem Boden liegend vorfanden.
„Die Kleine hat ihm vielleicht eins über gebraten!“ witzelte dann einer, woraufhin alle zu lachen anfingen.
Doch ihre Belustigung hielt nicht lange an.
Millard kam allmählich wieder zu sich. Und er war sauer.
Nicht nur, dass ihm erneut der erste Schlüssel durch die Lappen gegangen war, so wusste er, dass das Mädchen irgendetwas darüber wissen musste. Wenn sie den Schlüssel nicht sogar bei sich trug.
Er wusste, dass er ihr schon einmal begegnet war. Vor Jahren.
Doch nun schien sie sogar noch stärker als früher zu sein.
Andernfalls hätte sie, wenn sie es denn war, ihn nicht zurückstoßen können.
„Was war los?“ wollte einer seiner Männer wissen und riss Millard aus seinen Gedanken.
Er überlegte und konnte dennoch keine Antwort darauf geben.
Er hatte versucht, dem Mädchen die Magie zu entreißen. Er hatte durch die Tür fühlen können, wie die Schlüsselmagie auf ihn übergegangen war. Und dann …
Er schüttelte den Kopf.
Das Mädchen hat sich ihre Magie zurück geholt, irgendwie. Und dann hatte sie allen Anschein nach eine Art Stromstoß durch die Tür geschickt.
„Ich will die Kleine!“ knurrte er auf einmal und erntete einen irritierten Blick seines Gegenübers.
„Jagen wir nicht mehr die Schlüssel?“ war die berechtigte Frage seiner Männer.
„Doch!“ brüllte Millard zornig, so als hätten seine Männer ihm gerade einen Verrat gebeichtet.
Die Männer sahen ihn mit großen Augen an. Zwei waren sogar bei seinem Wutausbruch zusammengezuckt, auch wenn sie es nie zugeben würden.
„Wir müssen die Kleine erwischen. Sie hat den mächtigsten Schlüssel bei sich!“ war sich Millard sicher, „Wenn wir nebenbei noch ein paar von den kleineren Schlüsseln erwischen, dann ist das auch gut!“
Millard stand endlich auf und klopfte sich den Staub von der Kleidung.
„Wir sollten endlich los!“


Wieder war sie in einem dunklen Raum, der mehr oder weniger an einen ziemlich langen Flur erinnerte. Das einzige Licht fiel durch die vielen offenen Türen.
Auch wenn sie nicht wusste, wo sie war, so wusste sie, dass sie schon mehr als einmal hier war. Und wie schon die vielen Male zuvor, fielen die Türen nach einander zu und ließen sie in vollkommener Dunkelheit stehen.
Angst überkam sie.
Und dann hörte sie im Dunkel einen Schuss.
Sie wusste woher er kam und was er bedeutete und auch wenn es sie dagegen ankämpfen wollte, so zog es sie auf die Tür ihr Gegenüber zu. Die einzige Tür, die schon zuvor verschlossen gewesen war.
„Deine Schuld!“ zischte eine Stimme über den Flur.
Und dann ein weiterer Schuss Und noch einer. Und noch einer.
Insgesamt sieben Schüsse fielen. Zwei mehr, als sonst.
Sie wusste, was sie hinter der Tür erwartete. Und doch konnte sie dem nicht entweichen.
Kurz bevor sie an nach der Türklinke greifen konnte, ging die Tür von allein auf und ließ einen Blick auf das Blutbad vor ihr zu.
Als sie auf sah, sah sie, wie das Gesicht des Mannes, der offensichtlich der Schütze war, in ihr Gesicht verwandelte. Und ihre Doppelgängerin grinste sie an, hob die Schusswaffe und zielte auf sie.
„Deine Schuld!“ meinte die Bewaffnete und drückte ab.

Sie schrie nicht. Sie schrie nie, wenn sie einen ihrer Alpträume hatte. Dennoch saß sie schwer atmend und vor Angst zitternd aufrecht.
„Kayleigh!“ Jemand packte sie sanft an der Schulter.
Sie brauchte einen Moment, ehe sie sich wieder orientiert hatte und ehe sie erkannte, wer zu ihr sprach.
„Mir geht’s gut!“ log sie, wie so oft. Allerdings kannte Jentrix sie nun schon gut genug, um zu wissen, dass dies nicht stimmte.
„Komm her!“ flüsterte er nur und zog sie zu sich.
Ganz kurz sträubte sie sich, dann gab sie nach und kuschelte sich an Jentrix an.
Für einen kurzen Moment kam ihr wieder in den Sinn, wie sie früher immer ein Kuscheltier an sich gepresst hatte, wenn sie einen Alptraum hatte. Über den Gedanken musste sie kurz schmunzeln.
„Versuch noch ein wenig zu schlafen!“ meinte Jentrix.
Vom Wohnzimmer her waren noch immer die lauten Stimmen zu hören.
Und obwohl vielleicht etwas wichtiges geredet wurde, wollte Jentrix sie nicht gehen lassen. Sie brauchte endlich etwas Schlaf.
Seit Mica sie nach ihrem Zusammenbruch ins Bett gesteckt hatte, waren noch nicht mal zwei Stunden vergangen. Nicht wirklich viel Zeit um wirklich wieder munter zu sein.
Kayleigh sagte nichts. Sie hielt sein T-Shirt fest, ähnlich wie sie früher ihr Kuscheltier fest gekrallt hatte. Sie schloss zwar ihre Augen, aber konzentrierte sich mehr oder weniger auf die Stimmen vom Wohnzimmer.

Dearon saß mit dem Buch in der Hand auf der Couch. Er las nicht, er hörte den anderen zu und dennoch hielt er das Buch so, als wolle er jeden Moment etwas zeigen.
Adrian und Alexia saßen nebeneinander, so als hätten sie ihren Streit vergessen. Auch sie hörten einen Moment zu.
Die einzigen die sprachen waren Vigilius, der ihnen noch einmal die Geschichte der Schlüssel erzählte, die sie bereits aus dem Buch her kannten, und Mica sowie Jim, die gelegentlich noch etwas der Erzählung hinzufügten.
Chan saß neben Vigilius auf einem der Stühle und grübelte ein wenig nach. Sie war lange unterwegs gewesen und hatte so mach eigenwillige Geschichte über die Schlüssel gehört. Doch diese hier, wich ein wenig den vorherigen Erzählungen ab.
Nachdem Vigilius fertig war, wobei er noch immer nicht erklären konnte, wie der erste Schlüssel aussähe, herrschte für wenige Minuten Schweigen. Fast so als müssten sie sich alle eine neue Frage ausdenken.
Dann fiel Adrian eine Frage ein. Aber die ging nicht an Vigilius sondern vielmehr an seinen Onkel Jim.
„Du hattest gesagt, dass die Schlüssel in den letzten dreißig Jahren aktiver geworden sind!“ Eigentlich war das mehr eine Feststellung als eine Frage, dennoch nickte Jim.
„Was meintest du damit?“ wollte Adrian genauer wissen.
Jim überlegte kurz.
„Ich kann es nicht so genau erklären!“ meinte er dann.
„Es war als Kayleigh geboren wurde ...“ kam von Mica.
Vigilius hörte kurz zu, ehe auch er etwas einwarf.
„Sie ist kein Schlüsselmeister!“
Alle reagierten gleich irritiert.
„Wieso sagst du das?“ kam von Chan. Auch sie war sich sicher, dass es Kayleigh ein Meister sein musste.
„Sie besitzt fast die selbe Energie wie mein Vater!“ war Vigilius sich sicher, „Sie kann kein normaler Schlüsselmeister sein. Sie ist irgendetwas anderes!“
Noch immer sahen ihn alle fragend an.
„Vermutlich sind deswegen die Schlüssel … lebhafter!“ war seine Meinung.
„Das klingt als wären die Dinger lebendig!“ murmelte Adrian mehr zu sich als zu den anderen.
Alexia hatte ihn gehört und schmunzelte kurz darüber.
„Das erklärt aber trotzdem nicht, was hier vor sich geht!“ fand Dearon.
„Mhm ...“ Vigilius überdachte kurz seine vorherige Mutmaßung.
„Ihre Magie ist anders!“ murmelte er plötzlich, „Mein Vater hat Schlüssel geschaffen und sie … sie kann sie auslöschen!“
„Sie vernichtet die Schlüssel?“ Alexia schien verwirrt. Aber keiner reagierte darauf.
„Und was war das vorhin?“ wollte Adrian wissen, „Bevor Kayleigh zusammengebrochen ist! Was ist da passiert?“
Mica und Jim sahen sich an, als würden sie sich in Gedanken absprechen, dass keiner von beiden ein Wort darüber verlieren sollte.
„Ich wurde von einem Typen namens Millard überfallen.“ kam von Chan, „Er hat mir meine Schlüssel abgenommen und ihnen die Magie entzogen. Er hat mich dann verfolgt!“
Ein Zucken in Jims Gesicht. Anscheinend war dies ein Teil, den er geheim halten wollte.
„Der Typ, Millard, ist der irgendwas besonderes?“ hinterfragte Adrian sogleich.
Dearon hörte interessiert zu.
„Er ist ein Jäger!“ wusste Alexia, „Er zieht mit einer Bande umher, überfällt Reisende und jagt ihnen die Schlüssel ab und entzieht den Dingern die Magie!“
Vigilius nickte zustimmend. Er erzählte ebenfalls von seiner kurzen Begegnung mit Millard.
„Wo macht er die Magie hin?“ Dearons Frage klang irritierend.
„Vermutlich sammelt er sie oder überträgt sie auf eine andere Karte!“ dachte sich Vigilius.
„Und vorhin … das mit der Tür?“ wiederholte Adrian mehr oder weniger seine Frage.
„Er hat Kayleighs Magie versucht anzuzapfen!“ kam von Mica mit einem Seufzer.
Adrian sah ihn irritiert an. Es war nicht das, was Mica gesagt hatte, sondern wie.
„Was ist das für ein Typ?“ wollte Adrian dann wissen.
Wieder wollten Jim und Mica ausweichen und genau das machte Adrian stutzig.
Also wiederholte er seine Frage, diesmal etwas lauter und mit etwas mehr Nachdruck.
„Ich habe ...“ Jim wusste nicht genau, wie er darauf antworten sollte, „Ich war ihm schon eine Weile auf der Spur!“
„Wieso verfolgst du einen Jäger?“ Eine berechtigte Frage Adrians.
Mica sah kurz zu Jim und antwortete dann für ihn.
„Er ist der Schütze gewesen!“
Alle, außer Jim, wussten nicht genau, was gemeint war.
„Er hat damals deine Mutter getötet und Kayleigh verletzt!“
Adrian wusste nicht so recht wie er darauf reagieren sollte. Es schien, als brauche er einen Moment, ehe er die Nachricht verinnerlicht hatte.
Und dann reagierte er so, wie Jim es geahnt hatte.
Adrian schrie ihn an, warum er, wenn er doch wusste wer der Killer war, nicht etwas unternommen hatte. Warum er Millard hatte laufen lassen? In seiner Wut warf ihm Adrian alles mögliche an den Kopf.
Jim antwortete nicht. Zum Teil, weil er sich die Frage, warum er Millard nicht geschnappt hatte, schon selbst gestellt hatte. Aber er, und dass wusste als einziger auch Mica, hatte Millard nie erwischt. Bis jetzt hatte er nur den Namen von dem Mörder gehabt, ohne zu wissen wer oder wo er war.
Irgendwann war Adrian fertig mit Schreien und stand ohne ein weiteres Wort auf und ging zum zweiten Schlafzimmer. Er wollte sich ein wenig abreagieren und im Stillen das eben Gehörte verdauen.
Alexia sah ihm nach und dann zu den anderen. Sie war sich nicht sicher, was sie tun sollte. Dann aber stand sie ebenfalls auf und folgte ihm. Sie fand, dass er nicht allein sein sollte.

Betretene Stille war kurz nach Adrians Wutausbruch eingetreten.
Bis Dearon sich zu Wort meldete.
„Wusstest du davon?“ wollte er von Mica wissen.
Dieser zog fragend eine Augenbraue nach oben.
„Ich … konnte es Kayleigh nicht sagen!“ meinte er dann, „Ich hab es mit Jim durch einen Zufall herausgefunden! Aber ich hab ihn nie erwischt!“
Mica schien es zumindest zu bedauern.
Stille kehrte wieder ein.

Nach ein paar Minuten nahm Mica neben Dearon Platz und wollte einen Blick in das Buch werfen. Weniger weil er bemerkt hatte, dass Dearon allen Anschein nach etwas zeigen wollte, als vielmehr dass er nach einer Antwort für ihr Problem suchen wollte.
Aber, wie zuvor Dearon, fiel ihm der neue Name in dem Stammbaum auf. Auch wenn er es nicht zeigte, so wirkte er überrascht.
Dearon allerdings sagte nichts zu seinem Fund. Er wollte etwas anderes wissen.
„Wie kann man die Schlüssel … Alle Schlüssel auf einmal deaktivieren?“
„Warum sollte man das tun?“ kam sofort von Vigilius, der ein klein wenig entsetzt über die Frage wirkte.
„Alle Schlüssel auf einmal?“ Jim hatte keine Antwort darauf.
„Wenn man den ersten Schlüssel die Magie entzieht, … vielleicht löscht das dann alle Schlüssel!“ mutmaßte Chan, die selber wusste wie eigenwillig ihre Idee klang.
„Das ist nicht so wie bei Vampiren, wo man angeblich nur den Chef töten muss, damit die anderen wieder menschlich werden!“ bemerkte Mica sofort, obwohl er die Möglichkeit sah, dass Chans Idee vielleicht funktionieren könnte.

Wieder überlegten sie alle für einen Moment.
Mica bat flüsternd Dearon darum, niemanden von seinem Fund im Buch zu erzählen. Es wäre noch nicht der richtige Zeitpunkt.
Dearon zuckte nur mit den Schultern. Ihm war es egal. Irgendwann würde es eh herauskommen, dachte er sich.
Vigilius wurde allmählich ein wenig unruhiger auf seinem Stuhl.
„Könntet ihr mich mal losmachen?“ Es war weder eine Frage noch eine Bitte.
„Was denn, ich komm hier weder weg noch hätte ich irgendeine Chance gegen euch!“ meinte er, als er Jims finsteren Blick bemerkte. Dieser wollte ihn nicht einfach unbewacht herumlaufen lassen.
„Ich kann mich natürlich auch hier erleichtern!“ kam von Vigilius. Er meinte es ernst.
Chan setzte sich für ihn ein und bat Jim, dass er Vigilius auf Toilette gehen ließe.
Und nachdem auch Mica meinte, dass es okay sei und Vigilius kaum irgendwas dummes anstellen könne, machte Jim ihn los. Begeistert war er dennoch nicht darüber.
Erleichtert sich endlich wieder bewegen zu können, streckte sich Vigilius erst einmal ausgiebig. Dann ging er zum nächstbesten Badezimmer.

Kayleigh hatte nicht wirklich geschlafen. Es war mehr wie ein vor sich hin dösen. Jentrix im Gegensatz schlief tief und fest.
Mit großen Augen sah Kayleigh zur Zimmertür.
„Wer oder was bist du?“ Vigilius stand in der Tür. Er wirkte eher verwirrt als angriffslustig.
Nikita LaChance
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 12:15

Kapitel XLIX

„Wer oder was bist du?“ wiederholte Vigilius seine Frage.
Kayleigh verstand nicht wirklich was er meinte, auch wenn sie seine Mutmaßung zuvor gehört hatte.
Durch Vigilius nun nicht gerade geflüsterte Frage und der Tatsache, dass Kayleigh sich nicht mehr an ihn kuschelte, hatte Jentrix geweckt. Sofort saß er aufrecht und versuchte sich schützend vor Kayleigh zu bringen.
Vigilius´ Gesichtsausdruck wechselte von irritiert zu wütend, da Kayleigh ihm nicht antwortete.
Er ging einen Schritt auf das Bett zu, wollte sich gerade drohend aufbauen und seine Frage etwas lauter wiederholen, als er plötzlich aus dem Zimmer gezerrt wurde.
„Wusst ich doch, dass der nur Probleme macht!“ knurrte Barry, der zusammen mit seinem Bruder Vigilius wieder ins Wohnzimmer schleifte.
„Verdammt noch mal, ich hab nichts getan!“ protestierte dieser und versuchte sich loszureißen.
Kayleigh war aus dem Bett gesprungen und hinterher gerannt, ehe Jentrix sie zurück halten konnte.
Ein kleiner Kampf entbrannte zwischen Jim, Barry und Vigilius. Mica und Dearon wollten eingreifen, obwohl dies ohnehin ein recht ungleicher Kampf war.
Doch mit einem Mal zuckten alle erschrocken zusammen und sahen zu Kayleigh.
Sie hatte laut geschrien, dass sie endlich aufhören sollten.
Dass sogar ihr Bruder aus dem zweiten Zimmer gerannt kam, lag daran, dass er seine sonst so ruhige Schwester hatte noch nie so laut brüllen gehört.
„Hört endlich mit dem Scheiß auf!“ schrie sie alle an und selbst die Erwachsenen sahen sie irritiert und erschrocken zugleich an.
„Reicht es nicht, dass da draußen die ganze Zeit wegen den Scheißschlüsseln gekämpft wird?“
Einen kurzen Moment herrschte Ruhe. Anscheinend waren sie sich nicht sicher, wie weit Kayleigh noch gehen würde.
Sie sah noch einmal finster in die Runde und holte tief Luft. Innerlich schämte sie sich für ihren Wutausbruch, ob er nun berechtigt war oder nicht. Doch zeigen wollte sie es nicht.
„Ich will endlich Antworten!“ meinte sie dann, noch immer leicht gereizt, aber dennoch schon mit etwas ruhigerer Stimme.
Barry und Jim ließen Vigilius los, der ebenfalls nicht wusste, was da genau vor sich ging. Die drei setzten sich, wobei Barry und Jim Vigilius nicht aus den Augen ließen.
Auch die anderen nahmen langsam wieder Platz.
Adrian konnte einen Blick auf Kayleigh leicht errötetes Gesicht erhaschen und musste schmunzeln. Ihr Wutausbruch war ihr peinlich.
Sie brauchte einen Moment, ehe sie sich wieder beruhigt hatte und sie sich auf das vor ihr liegende Gespräch konzentrieren konnte.

Was sollte sie fragen, wenn sie alle doch mehr oder weniger schon alles besprochen haben? Sie hatte mit angehört, dass Vigilius sie nicht für einen Schlüsselmeister hielt. Sie wusste nun auch, dass ihr Onkel und ihr Exfreund nach Millard gesucht hatten.
Also was sollte sie fragen?
Während sie so darüber nachgrübelte, fiel Vigilius eine interessante Frage ein.
„Was für einen Schlüssel hast du?“
Kayleigh sah auf.
„Du musst doch irgendeinen Schlüssel bei dir haben!“ bemerkte Vigilius und sah sie fragend an, „Irgendwie musst du doch die Tür geöffnet haben!“
Sie schüttelte den Kopf.
Adrian sah seine Schwester verwundert an. Dann griff er nach der Tasche, in der sie die ganze Zeit die Schlüssel und das Buch versteckt hatte. Er holte alle Karten hervor, breitete sie vor sich auf den Tisch aus und sah sie durch.
Dann zog er beide Augenbrauen nach oben und sah zu Jentrix und Dearon. Ein Zeichen, dass auch sie ihre Karten hervor holen sollten.
Und das taten sie auch.
Auch Barry zog all seine Schlüsselkarten hervor und breitete sie aus.
„Was für einen Schlüssel hattest du?“ wiederholte Vigilius seine Frage. Er hatte die verdutzten Gesichter ihrer Reisebegleiter gesehen, als sie ihre Reiseschlüssel hervor geholt hatten.
„Hast du überhaupt einen Schlüssel?“ fiel Adrian auf. Selbst der halb zerfallene Schlüssel, welchen Kayleigh vor einiger Zeit dem kleinen Mädchen in dem Kriegsgebiet abgenommen hatte, lag nun vor ihm auf dem Tisch.
Ein Zucken ihres Mundwinkels verriet sie, mehr oder weniger.
Vigilius zog die Augenbrauen zornig zusammen. Wieder gab man ihm keine Antwort und das hasste er.
„Ich … habe keinen Schlüssel bei mir!“ gab sie mit schwacher Stimme zu.


„Was wirst du nun tun?“ wollte sein Sohn wissen.
Im Grunde war dies eine unnötige Frage. Der alte Mann würde das tun, was er seit Jahren schon machte. Er würde alle Schlüssel einsammeln und löschen. Oder er würde es zumindest versuchen.
Und dennoch schien er diesmal nicht gehen zu wollen.
„Deine Familie ist da draußen!“ meinte Sebastian nur, trat weiter ins Zimmer hinein und schloss die Tür.
„Was machst du?“ kam entsetzt von Keys.
„Ich werde Kayleigh helfen!“
„Du wirst verfolgt werden!“ Keys war um seinen Sohn besorgt.
Sebastian schmunzelte nur kurz. Dann öffnete er die Tür mit einem Schlüssel und schritt darauf zu.
„Dich hatte es bisher auch nie aufgehalten!“ meinte er und verschwand.
Die Tür schloss sich wieder und der alte Mann war wieder allein im Raum.
Einige Sekunden starrte Keys auf die Tür.

Ein Klopfen riss ihn wieder aus den Gedanken.
„Keys?“ Es war Meryls Stimme, die er vernahm.
Als er nicht antwortete, öffnete sie einfach die Tür und sah ihn besorgt an.
„Thomas?“
Den Namen hatte er schon eine Weile nicht mehr gehört. Die Leute in seiner Stadt kannten ihn noch nicht einmal unter diesem Namen. Sie wussten rein gar nichts über ihn und sein Leben. Und das war auch gut so!
„Wir müssen unsere Kinder finden!“ Es klang wie eine Bitte.
Er nickte nur.
„Es ist gefährlich, oder?“ wollte Meryl wissen, „Darum war Jim gegangen!“
Wieder nur ein Nicken als Antwort.
„Aber es hat nichts gebracht!“ seufzte sie.
Keys wusste nicht, was er ihr darauf antworten sollte.
„Du weißt, wo Kayleigh und Adrian sind? Und Jim?“ Es war keine Frage, vielmehr eine indirekte Aufforderung, dass er sie zu ihnen bringen sollte.
„Ich kann dich und Richard aber nicht mitnehmen! Das ist zu gefährlich!“
„Das können wir selbst entscheiden!“ Richard stand hinter seiner Schwester.
Keys sah ein, dass er keine andere Wahl mehr hätte. Zudem wollte er wirklich seiner Familie helfen.
Nicht nur dass Sebastian, sein erster Sohn, einfach so los gezogen war, so war auch Vigilius irgendwo da draußen. Und die anderen seiner Nachkommen.
„Ich kann nicht versprechen, dass wir sie finden! Und mit Sicherheit werden wir verfolgt werden!“ meinte Keys noch einmal.
Dann bat er beide ins Zimmer zu treten, lies Richard die Tür schließen und stand auf.
Er warf noch einmal einen Blick auf Evangelines altes Familienfoto, welches er dann wieder in seine Truhe voller leerer Schlüssel zurückfallen lies.
„Wir sollten los!“ seufzte er und öffnete die Tür.
Dahinter war eine den beiden unbekannte Gegend.
„Sind sie dort?“ wollte Meryl wissen.
Keys sah sie etwas missmutig an.
„Ich kann nur ihre Spur verfolgen! Aber anscheinend haben sie alle Reisenden ausgesperrt!“ antwortete er dann.
Meryl und Richard verstanden nicht was er meinte. Doch er ging nicht näher darauf ein.
Er schritt einfach durch die Tür und die beiden folgten ihm. In der Hoffnung endlich wieder mit ihrer Familie vereint zu werden.


Alle starrten Kayleigh irritiert an.
„Wie …? Wie kann das sein, dass du …?“ Adrian schien ein klein wenig sprachlos zu sein.
„Du bist ohne Schlüssel unterwegs gewesen?“ selbst Mica wusste nicht wie er auf diese Neuigkeit reagieren sollte.
Dearon sah kurz zu Jentrix, der fragend beide Augenbrauen nach oben gezogen hatte.
„Auch als Kind?“ wollte er dann wissen.
„Was?“ Nun war Kayleigh verwirrt.
„Die Geschichte im Buch!“ bemerkte Dearon. Es war schon irgendwie erstaunlich, dass er sich so viele Sache behalten hatte, die er irgendwann irgendwie aufgeschnappt hatte.
Nun bemerkte sogar Jim, dass sie damals ohne Schlüssel unterwegs war.
„Kann man überhaupt ohne Schlüssel reisen?“ wollte Chan irritiert wissen. Wäre dies möglich, dachte sie sich, so könnte sie weiter umher ziehen.
Alle schüttelten den Kopf, selbst Kayleigh, die gerade eben noch das Gegenteil zugegeben hatte.
Schweigen trat kurz ein.
Vigilius bemerkte etwas anderes. Deutlich konnte er Schlüssel spüren.
Er überlegte, ob er Chan ihren Schlüssel, den letzten den sie noch bei sich trug, abnehmen und einfach wieder abhauen sollte.
Er sah zu ihr hinüber und war kurz davor, auf zu springen und nach Chan zu greifen, als Kayleigh ihn erneut nach dem Aussehen des ersten Schlüssels fragte.
„Ich habe den Schlüssel noch nie gesehen!“ gab Vigilius zu.
Kayleigh glaubte ihm kein Wort.
„Woraus besteht der Schlüssel?“
Doch je mehr sie fragte, umso wütender machte sie Vigilius.
„Niemand hat den Schlüssel je zu Gesicht bekommen!“ schrie er auf einmal lautstark, „Und jetzt halt endlich die Klappe!“
Mica und Jim waren wieder kurz davor, Vigilius anzugreifen.
Vigilius sprang so schnell auf, dass sie trotz ihres Plans ihn von seinem Tun abzuhalten, nicht schnell genug reagierten und er nach Chan griff.
Er packte sie im Würgegriff, so ähnlich wie man es im Film bei Geiselnehmern sah, die sich hinter ihrer lebenden Schutzwand versteckten. Doch er hatte keine Waffe und im Grunde wollte er Chan auch nichts antun.
Er wollte lediglich ihren Schlüssel haben.
Ängstlich zog Chan ihn hervor und hielt Vigilius den Schlüssel hin. Er entriss ihn ihr, stieß die Chinesin von sich und stürmte zur Wohnungstür.
Für einen Moment hatte er in seinem Plan vergessen, dass Kayleigh alle Durchgänge verschlossen hielt. Da war es egal, dass er einen funktionierenden Schlüssel in der Hand hielt.
„Wenn du gehen willst, bitte sehr!“ meinte Kayleigh nur.
Vigilius blieb stehen. Doch es war nicht, dass sie ihn scheinbar verspottete. Vielmehr bemerkte er, dass sein Schlüssel plötzlich unbrauchbar war.
Zornig sah er sich zu dem Mädchen um. Er wollte sie gerade anschreien, als ihm etwas anderes auffiel.
Jim griff sich Vigilius und gemeinsam mit Mica und Barry drängten sie ihn wieder auf einen der Stühle zurück und fesselten ihn wieder.
„Verdammt macht mich los!“ schrie er. Dennoch behielt er Kayleigh im Auge.
„Was bist du?“ wollte er noch einmal von ihr wissen.

Kayleigh ignorierte ihn. Sie hob die Schlüsselkarte auf, die Vigilius verloren hatte, als man ihn unsanft auf seinen Platz zurück gebracht hatte.
Sie begutachtete die Karte. Wie all die anderen Karten im Raum, war diese nur ein weiteres Stück Papier mit einem bunten Bildchen drauf.
Kayleigh gab sie Chan zurück, denn sie hatte eine kleine Notiz darauf bemerkt.
Dann richtete Kayleigh sich wieder an den Gefangenen. Sie ging zu ihm hinüber, stellte sich vor ihn und grinste siegreich.
„Deine Schlüssel sind zu nichts mehr zu gebrauchen! Und wenn du nun gehen willst, dann solltest du es auf natürlichen Wege tun!“ meinte sie zu ihm.
„Sehr witzig!“ bemerkte er und zerrte an seinen Fesseln. Los kam er dennoch nicht.
Noch immer musterte Vigilius sie.

„Du hast die Karten deaktiviert, ohne sie zu berühren?“ wollte Chan irritiert wissen.
Kayleigh nickte. Sie hatte vergessen, dass Chan bis jetzt noch nichts von Kayleighs unerklärlicher Magie wusste.
„Dieser Typ … Millard … er hat meine Schlüssel berühren müssen, um ihnen die Magie abzunehmen!“ bemerkte Chan daraufhin.
„Vielleicht kannst du ihn so besiegen!“ fiel Adrian ein.
„Was?“
„Du kannst die Schlüssel so deaktivieren und ...“ begann er, doch seine Schwester warf sogleich ein, dass Millard dennoch gefährlich sei.
„Ja, aber du bist … mächtiger!“ war seine Meinung.
„Nein, Kayleigh hat recht!“ kam sofort von Mica, „Millard ist nicht allein unterwegs und dann wird er bestimmt bewaffnet sein!“
„Aber er …!“
„Und Kayleigh kann nicht alle Schlüssel auf einmal auslöschen!“ bemerkte Barry.
„Sie muss immer noch in seine Nähe!“
Adrian wollte erneut anfangen, gab aber auf. Da hatte er schon eine Idee gehabt, wie Kayleigh den Gegner abhängen könnte, und dann wollte keiner seiner Idee zustimmen. Schmollend lehnte er sich wieder zurück und starrte seine Schwester an.
„Also sind wir noch immer nicht weiter!“ seufzte Jentrix.


Millard war einige Schritte gegangen. Er grübelte nach.
Seine Bande folgte ihm, wobei sie allerdings wie immer nicht gerade ruhig waren.
„Wie viele Meister gibt es?“ platzte es aus dem Anführer heraus und er blieb stehen, damit seine Bande aufholen und ihm von Angesicht zu Angesicht antworten konnte.
„Was?“
„Wie viele Schlüsselmeister gibt es wohl?“ wiederholte er seine Frage. Im Grunde wusste er selbst, dass ihm niemand diese Frage beantworten könnte.
„Vielleicht zehn?“ versuchte jemand zu antworten.
Millard schüttelte nur den Kopf.
„Mehr?“
Millard musste über die Dummheit seiner Männer lachen. Er hatte nicht wirklich eine Antwort von ihnen erwartet.
„Es gibt einen wichtigen Meister!“ bemerkte er und alle Mann sahen ihn verwirrt an.
„Nur einen?“
„Der, der den ersten Schlüssel geschaffen hat, ist der mächtigste!“ fand Millard.
„Ja, aber wo soll der Typ sein?“ fragte sogleich einer der Männer.
„Er müsste doch bestimmt schon tot sein!“ fiel einem anderen ein.
Millard rollte die Augen.
„Er ist noch am Leben!“ meinte er dann und ging wieder los, „Er ist … noch nicht einmal weit weg!“


„Ich werd mich trotzdem nicht mehr verstecken!“ bemerkte Kayleigh auf einmal und erntete erneut irritierte Blicke.
„Was willst du machen? Willst du ihm in die Arme laufen und ihn höflich darum bitten, dass er dich in Ruhe lässt?“ Adrian war allen Anschein nach nicht begeistert von ihrer Idee.
„Irgendwann würde er mich hier finden! Ich hab keine Lust mehr, andauernd wegzulaufen!“ antwortete ihm seine Schwester. Sie klang dabei so ernst wie noch nie zuvor.
„Du … Was hast du vor?“ Mica sah sie fragend an, so als wüsste er, dass sie nicht einfach nur die Wohnung und die sichere Stadt verlassen wollte.
Kayleigh reagierte nicht auf seine Frage.
Sie richtete sich wieder direkt an Vigilius.
„Weißt du, wo der erste Schlüssel ist?“ wollte sie von ihm wissen. Ironischerweise war ihr durchaus bewusst, dass er selbst nach dem Schlüssel gesucht hatte.
Vigilius antwortete ihr nicht. Er schien ein klein wenig abgelenkt.
„Dein Vater Thomas, wo ist der?“
Doch wieder keine Antwort.
„Vielleicht ist er noch in England?“ bemerkte Dearon aus dem Hintergrund und Kayleigh sah sich kurz zu ihm um.
„Aber seine Heimat ist doch … umbetoniert worden!“ fiel Adrian ein.
„Ja, aber vielleicht hat er die selben Tricks drauf, wie Kayleigh und hat seine Umgebung schlüsselfrei gestaltet!“ war Dearons Idee. Jentrix stimmte ihm zu.
„Aber selbst wenn, wie willst du herausbekommen, wo er steckt?“ mischte sich Alexia ins Gespräch.
Auch Chan wusste nicht, wie Dearon das bewerkstelligen wollte.
„Wir brauchen doch nur im Internet nachsehen, wo ...“ Er lies seinen Satz unbeendet, da er selbst bemerkte, wie sinnlos diese Recherche sein würde.
„Es gibt mehrere Orte, die nicht mehr mit den Schlüsseln zu erreichen sind!“ fiel Jim ein, „Jemand hat sie schon deaktiviert!“
Alle, bis auf Vigilius, sahen ihn verwundert an und er gab zu, dass dies nicht sein Verdienst sei.
„Es könnte Thomas gewesen sein!“ bemerkte er dazu, „Vielleicht auch sein Sohn!“
Die anderen wussten, dass Vigilius damit nicht gemeint war.

„Wieso fragst du eigentlich nach dem ersten Schlüssel bzw. dem ersten Meister?“ wollte Alexia von Kayleigh wissen.
„Weil er vielleicht einen Weg weiß, wie man alle Schlüssel ausschalten kann!“ war ihre Antwort.
Ein Aufschrei von Vigilius zog Kayleighs Aufmerksamkeit wieder zu sich.
„Es wäre einfacher, wenn du sagen würdest, wo Thomas stecken könnte!“ meinte sie und versuchte taff zu klingen.
Vigilius wollte ihr aber keine Antwort geben. Es sah sie nur finster an.
„Dann eben ohne eine Antwort!“ seufzte sie, wendete sich von Vigilius wieder ab und ging zu ihrem Rucksack.
„Was hast du jetzt vor?“ wollte Jentrix wissen, als sie an ihm vorbei ging.
„Ich muss alles versuchen, um das hier zu beenden!“
„Das stimmt nicht, oder?“ flüsterte er.
Sie sah ihn an, schmunzelte nur und suchte sich ein paar Anziehsachen aus ihrem Rucksack.
„Also was hast du wirklich vor?“ wollte Jentrix erneut wissen.
„Erstmal will ich mich umziehen und dann werd ich das Familientreffen hier beenden und werd versuchen irgendwie die Schlüssel zu deaktivieren und nebenbei Millard aus dem Weg gehen!“
Sie wollte mit einem T-Shirt und einer dünnen Jacke zurück zum Schlafzimmer gehen, als Jentrix sie fest hielt.
Er ahnte, dass sie irgendetwas vorhatte.
Auch Mica sah besorgt hinüber.
Kayleigh seufzte kurz, rollte mit den Augen und meinte laut und mit sarkastischem Ton, dass sich doch alle einfach mal umdrehen sollten, damit sie sich umziehen könne.
Sie stellte sich mit dem Rücken zu den anderen und ohne auf irgendeine Reaktion oder ein Wiederwort von ihnen zu warten, zog sie sich ihr altes Shirt über den Kopf.
Sie konnte ein paar Jungs nach Luft schnappen hören, nicht wissend wer es war.
Blitzschnell zog sie sich dann das saubere Shirt über und drehte sich frisch umgezogen wieder zu den anderen.
„Musste das jetzt sein!“ kam nur von Alexia und Barry sowie Jim stimmten ihr zu.
Dass selbst ihr Bruder ein wenig rot um die Nase war, lies Kayleigh schmunzeln.
„Tja, wenn ich nicht nach nebenan gehen kann!“ bemerkte Kayleigh nur, zog sich noch die Jacke über und ging in Richtung Wohnungstür.
Die Jungs schienen ein klein wenig überfordert zu sein, dass Kayleigh nun scheinbar charakterlich mehr oder weniger eine hundertachtzig Grad Drehung gemacht hatte und nun nicht mehr so schüchtern erschien, wie sie die meiste Zeit herüber kam.
Und irgendwie waren Mica und Jim, die einzigen die hinter diese neue Fassade sahen.
Mica schüttelte nur den Kopf. Es war kein enttäuschtes oder verwundertes Kopfschütteln. Viel eher war er besorgt.
„Du solltest nicht da raus gehen!“ kam nur leise von Jim. Auch er war in Sorge.

„Ihr könnt ja hier bleiben!“ Es klang hart, so wie sie es sagte. Im Grunde wollte sie auch, dass sie blieben. Doch nicht, weil sie im Gegensatz zu ihr über keine Magie zu herrschen schienen. Kayleigh wollte sie nicht in Gefahr wissen.
Sie griff nach der Tür, als Mica sie am Arm festhielt, ehe sie den Griff erfasst hatte.
„Du weißt nicht, was du tust!“ meinte er nur.
Wieder ein sarkastisches Schmunzeln von ihr.
Jentrix reagierte wieder einmal ein wenig eifersüchtig und er war sofort ebenfalls an der Tür bei Kayleigh.
„Du gehst nicht alleine!“ sprach er laut, „Das hab ich dir gesagt!“
Die Eifersucht war deutlich heraus zu hören und Mica lies Kayleigh los. Er hatte keine Angst vor Jentrix, doch er hoffte zumindest, dass sie auf ihren neuen Freund hören würde.
Diesmal grinste sie nicht und sagte auch nichts. Für einen kurzen Augenblick warf sie den beiden Männern an ihrer Seite einen besorgten Blick zu.
Wie sie es erwartet hatte, wollten nun auch Jim, Barry, Adrian und auch Dearon mitkommen. Sie wollten alle irgendwie helfen oder Kayleigh beschützen. Oder was auch immer!

Vigilius zerrte erneut an seinen Fesseln.
Ihn hatte niemand gefragt, ob er vielleicht auch irgendwie Hilfe leisten wollte. Ob er zumindest mit helfen wollte, seinen Vater zu suchen.
Als seine Fesseln noch immer nicht nachgaben und auch keiner ihn losmachen wollte, brach er sein Schweigen.
„Seht ihr das nicht?“ schrie er und alle Augen richteten sich auf ihn.
„Sie wird die Jäger anlocken!“
Kayleigh war sich dessen bewusst und ein leichtes Nicken kam von ihr, was außer Vigilius niemand wahrzunehmen schien.
Die beiden Mädchen im Raum, saßen noch immer an Ort und Stelle und sahen zwischen Vigilius und der Reisegruppe an der Tür hin und her.
Sie wollten nicht gehen. Sie waren nicht unbedingt feige. Doch sie wussten, dass sie hier sicher waren. Die Stadt war ohne magische Durchgänge und keine aktiven Schlüssel waren mehr im Raum. Niemand würde also hier auftauchen und sie angreifen.
Zudem hatte Adrian Alexia erklärt, dass sie hier bleiben und warten sollte. Er hatte schon voraus geahnt, dass seine Schwester irgendwann wieder aufbrechen wollte. Und er wollte Alexia sicher wissen. Ein Zeichen für sie, dass sie ihm irgendwie wichtig war, auch wenn er es offen nicht ausgesprochen hatte.

Noch immer reagierte niemand so wirklich auf Vigilius Empörung.
„Sie ...“ begann er erneut lautstark und wollte auf Kayleigh zeigen, was ihm aber aufgrund der Fesseln misslang.
„Sie lockt alle an ...“
Kayleigh drehte sich wieder zu Tür und griff nach der Klinke.
Auch die anderen wandten sich langsam von Vigilius ab und waren bereit zu gehen.
Vor sich konnten sie die Tür leuchten sehen, der magische Durchgang.
„Sie ist ein Schlüssel!“ schrie Vigilius entsetzt.
Kayleigh hatte im selben Moment die Tür geöffnet und war losgegangen.
„Sie ist ein verdammter Schlüssel!“ kam erneut lautstark von Vigilius.
Für einen Moment glaubten alle, sie hätten sich verhört.
Sie schritten Kayleigh hinterher, die in den dunklen Gang, der erheblich nach Autoabgas stank, gegangen war.
Noch einmal hörten sie Vigilius entsetzten Ruf, Kayleigh sei ein Schlüssel, ehe die Tür zufiel.

Chan sah zur Tür, unsicher, was sie nun tun sollte.
Sie war mit Alexia, die sie so gut wie nicht kannte und mit Vigilius, über den sie ein paar Gerüchte gehört hatte allein im Raum.
„Was meinst du damit?“ wollte sie von dem gefesselten Mann wissen.
„Sie laufen ins Verderben!“ knurrte er und starrte auf die nun wieder verschlossene Tür.
Alexia sprang auf, kam auf ihn zu und öffnete einfach die Fesseln.
„Geh!“ meinte sie nur zu ihm und deutete auf die Tür.
Erschrocken und irritiert sah Vigilius sie an.
„Verschwinde!“ kam es etwas lauter von ihr.
Vigilius verstand nicht, warum sie ihn laufen lies. Chan war es ebenso unklar.
„Wieso machst du das?“ wollte sie wissen.
„Adrian hat mich zwar gebeten, hier auf ihn zu warten, aber er hat nicht gesagt, dass der Typ hier bleiben soll!“ gab sie zu verstehen.
Chan kam sich ein wenig hilflos vor.
„Aber, wenn er jetzt wieder hinter ihnen hinter her …?“ begann sie, doch Alexia erklärte ihr, dass er keinen Schlüssel mehr hätte. Kayleigh hätte alle unbrauchbar gemacht.
Vigilius hatte aber nicht vor, die Wohnung zu verlassen. Er ging zum Tisch auf dem die ganzen Schlüssel und das Buch lagen.
Alexia wollte ihm das Buch vor der Nase wegziehen, doch er war schneller.
Ungläubig starrte er auf die offene Seite.
Es war der Familienstammbaum.
Chan ging zu ihm hin, ignorierte die aufgeschlagene Buchseite und fragte erneut.
„Was meintest du damit, dass Kayleigh ein Schlüssel sei?“
Doch er antwortete ihr nicht. Ein klein wenig überfordert, durch die Information, dass er einen Sohn hatte.
Und dass dieser soeben mit den anderen in ihr Unglück gerannt war!

„Was soll das heißen, sie sei ein Schlüssel?“ wollte Adrian wissen, während sie allen Kayleigh hinterher gingen.
Mica sah erst zu ihm und wies dann mit einem Kopfnicken zu Kayleigh nach vorn.
Nun konnte er es erkennen. Das schwache Licht, was von ihr ausging, so als würde sie eine schwache Lichterkette am Körper tragen.
„Wie kann das sein?“ Barry schien leicht überfordert, „Wie kann sie ein Schlüssel sein?“
„Ich dachte Schlüssel sind nur Karten?“ bemerkte Jim.

Kayleigh selbst enthielt sich dem Gespräch. Sie selbst wusste keine Antwort, auf die Fragen, die ihre Begleiter sich stellten.
Sie hätte selbst zu gern gewusst, ob Vigilius recht hatte.
War sie ein Schlüssel?
Nikita LaChance
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 12:16

Kapitel L

Keys oder, wie er eigentlich hieß, Thomas schien keinerlei Ahnung zu haben, wo er suchen sollte. Ohne große Worte ging er schnellen Schrittes voran. Er war es gewohnt allein umher zu streifen. Meryl und Richard hatten ihre Mühe mit ihm Schritt zu halten und seine Art zu Reisen war ihnen unbekannt, auch wenn sie selbst eine kleine Weile auf seine Art unterwegs gewesen waren.
Nur hatten sie nicht diese eigenwillige Karte?
Meryl beobachtete den Mann, der trotz des hohen Alters recht flink war. Fast schon rastlos.

Irgendwann, nachdem sie nun schon die fünfte oder sechste Tür in irgendeinem Haus in irgendeiner Stadt durchschritten hatten, blieb Keys stehen und sah sich irritiert um.
„Wo sind wir?“ war Richards recht belanglose Frage. Es war mehr eine Frage, wie sie kleine Kinder stellten, die sich auf langen Reisen recht schnell langweilten.
Wo er war, war ihm eigentlich egal. Er wollte nur wieder nach hause und seine Kinder in Sicherheit bei sich wissen.
Keys antwortete ihm nicht.
Er konzentrierte sich auf etwas, was die beiden nicht sehen konnten. Und auch nicht spüren konnten.
Meryl wusste nicht, was er bemerkt hatte, aber sie ahnte es irgendwie.
„Schlüssel?“ fragte sie flüsternd und Keys nickte schwach.
„Zu viele auf einmal!“ murmelte er dann und wies mit einem Fingerzeig in drei verschiedene Richtungen.
Richard sah sich um. Doch er war nichts zu sehen.
„Was? Da ist doch niemand!“ beschwerte er sich.
„Aber sie kommen näher!“ gab Keys nur zurück.
„Können wir nicht weiter gehen?“ Meryl war ein klein wenig besorgt. Sie hatte gesehen, wie fertig Keys war, nachdem er das letzte Mal mit Schlüsselreisenden zusammengestoßen war.
„Ausweichen geht nicht mehr! Sie kommen direkt auf uns zu!“
Es dauerte ein paar Minuten, ehe die anderen, die Keys bemerkt hatte, vor sie traten.
Gleich sieben Mann waren es.
Keys musterte sie genau. Unter ihnen vermutete aufgrund ihrer magischen Stärke auch zwei Schlüsselmeister.
Ein schweigendes Anstarren war der Auftakt zu einem beginnenden Kampf.
Ein Kribbeln breitete sich in Meryls Magen aus. Es war die Spannung, die sich in ihr Aufbaute. Sie wusste nicht, was sie erwarten würde, auch wenn sie es ahnte.

„Gerade wenn man es eilig hat, vergeht die Zeit nur sehr langsam!“ dachte sich Richard.
Und dann ging es los.
Ohne ein Wort der Vorwarnung oder dergleichen, griff einer der Fremden Meryl an. Anscheinend versuchte sich der Mann lieber erst einmal an jemand schwachen, ehe er sich die Männer greift.
Von den anderen sechs Mann gingen drei auf Richard und einer auf Keys los, während die anderen zwei gegeneinander kämpften.
Es war ein recht ungleicher und unorganisierter Kampf. Die Fremden kannten sich nicht und alle wollten den Schlüssel des anderen. So war es auch nicht verwunderlich, dass sie einfach jeden angriffen, der die Schlüssel scheinbar bei sich hatte.
Wer ihnen nicht aus dem Weg ging, war selbst schuld.

Meryl war keine große Kämpferin. Allerdings hatte sie sich an eine Stunde in Selbstverteidigung erinnert, die schon einige Jahre zurück lag.
Die wohl besten Möglichkeiten einen Mann für eine Zeit lang kampfunfähig zu machen, hatten sich in den Jahren nicht verändert.
Ein Tritt zwischen die Beine und der Mann kniete mit schmerzverzerrten Gesicht vor ihr.
Nur lange blieb der Mann nicht am Boden. Er sammelte seinen Zorn, schrie ihr irgendetwas an den Kopf, was sie nicht verstand und griff erneut nach ihr.
Meryl landete beim ersten Schlag von ihm auf dem Boden.
Sie mochte keine Kämpfe. Aber Aufgeben war auch nicht nach ihrem Geschmack. Also trat sie nach seinem Bein.

Auch Richard hatte seine Mühe. Nur er war stärker als seine Schwester und auch wenn er es nie freiwillig zugeben würde, so hatte er zumindest als Jugendlicher so einige Schlägereien mitgemacht.
Die Angreifer waren nicht nur unterschiedlicher Herkunft, sie waren auch alle unterschiedlich stark und unterschiedlich alt.
Als erstes bezwang Richard daher, den schwächsten unter ihnen. Mit einem gepfefferten Schlag ins Gesicht schickte er den Typen ins Traumland.
Bei den anderen beiden dauerte es etwas länger. Allerdings kämpften sie nicht nur mit ihm sondern auch noch gegen sich selbst.
Irgendwann hatte dann einer seiner Angreifer den anderen K.O. geschlagen und Richard hatte nur noch einen Gegner.
Ein paar weitere Minuten und Richard hatte seinen Gegner besiegt, wenngleich der noch immer versuchte wieder vom Boden aufzustehen.
In seiner Raserei und dem Adrenalin, welches gerade seinen Körper durchströmte, trat er nach dem am Boden liegenden. Er konnte etwas knacken hören. Dennoch lies er von dem Mann nicht ab, bis der sich nicht mehr zuckte.
Dann schritt er zu dem Typen, der seine Schwester am Kragen hielt und ihr einen Schlag ins Gesicht verpasst hatte. Er zerrte den Mann Rücklinks von seiner Schwester weg und stieß ihn fort.
Überrascht strauchelte dieser und verlor kurz den Boden unter den Füßen. Aber er war schnell wieder auf den Beinen und fast wie bei Football stürmte er auf Richard zu und rannte ihn beinahe um.
Meryl wusste nicht was sie tun sollte. Ihr war ein wenig schwindelig von den Schlägen.
Aber sie musste ihrem Bruder helfen. Also sprang sie dem Mann auf den Rücken und klammerte sich an ihm fest.
Der Mann versuchte sie abzuschütteln und war für eine Moment unaufmerksam. Die Chance für Richard, der nach ihm erst in den Magen und dann gegen das Kinn schlug. Der kräftige Kinnhaken war zu viel für den Mann und er sackte zusammen.

Auch Keys schlug sich recht gut. Er war in den Kämpfen scheinbar besser bewandert als Meryl und Richard.
Einen Mann hatte er allein fertig gemacht. Der zweite setzte ihm ein wenig zu, aber dennoch behielt Keys die Oberhand.
Und die anderen beiden prügelten sich gegenseitig ins K.O.
Richard half Keys indem er den verbliebenen Angreifer einen Schlag verpasste und zu zweit besiegten sie den Mann.

Es dauerte einige Sekunden ehe sie realisierten, dass sie ihre Gegner besiegt hatten.
„Ist das immer so?“ wollte Meryl wissen.
Richard sah sie erschrocken an.
Doch mit seinem Blick gab Keys zu verstehen, dass dies wohl schon öfters vorgekommen sei.
Der alte Mann begann die Taschen der Besiegten durch zu suchen und fischte alle Karten heraus.
Meryl sah ihm dabei verwundert zu. Wüsste sie nicht, wonach er suchte, so hätte sie angenommen, dass er die Typen gerade ausraubte.
Und genau das war es, was die Passanten ringsum sahen.
„Wir sollten hier weg!“ kam von Richard.
Keys lies sich ein wenig Zeit. Erst als er alle Schlüsselkarten eingesammelt hatte, ging er weiter und nahm seine beiden Begleiter mit.
„Was hast du gemacht?“ wollte Meryl von ihm wissen.
Richard verstand nicht, was sie genau nachfragte.
„Ich versuche alle Karten einzusammeln und ...“ begann Keys und Meryl vollendete seinen Satz:
„... du löscht die Magie!“
Keys nickte.

„Wir sollten weiter!“ meinte er dann und suchte nach der nächsten Tür.
Ob er eine Spur von Kayleigh und ihren Freunden gefunden hatte, verriet er nicht.
Ein klein wenig missgelaunt schien er bei dem Gedanken, dass er es einfach nicht schaffte alle Schlüssel auf einmal zu löschen.
Manchmal fragte er sich, weswegen er die Schlüssel überhaupt geschaffen hatte. Doch eine wirkliche Antwort wusste er darauf nicht.


Von einer Tür zur nächsten. Sie waren durch so viele Türen gegangen, dass keiner von ihnen genau sagen konnte, wie viele es genau waren. Auch waren sie sich nicht mehr so sicher, wo genau sie im Moment steckten.
„Können wir mal eine Pause machen?“ schnaufte Adrian.
Auch die anderen brauchten endlich eine Rast.
„Kayleigh, wir sind schon seit über zwei Stunden unterwegs!“ beschwerte sich auch Barry. Allerdings klang dies schon fast wie ein Vorwurf, dass sie bis jetzt ohne erkennbares Ziel unterwegs waren.
Kayleigh wollte dennoch weiter gehen. Sie sprach nicht. Sie verhielt sich auch so unheimlich still und grüblerisch.
„Jetzt warte doch mal!“ brummte nun auch Mica und packte sie am Arm.
Doch so wirklich verschnaufen konnten sie nicht.
Kayleigh bemerkte die Schlüssel, die sich auf sie zu bewegten. Sie zählte nur kurz in Gedanken, wie viele es waren.
Auch Jim und Barry spürten recht schnell ihre Verfolger.
„Was nun?“ wollte der Ältere wissen.
Ehe sein Bruder ihm antworten konnten, war alles schon wieder vorbei.
„Können wir weiter?“ seufzte Kayleigh.
„Hast du … Hast du gerade die Schlüssel gelöscht?“ bemerkte Barry verwundert.
Sie nickte nur. Sie wollte ihm nicht verraten, dass sie nicht nur alle Schlüssel in der Stadt deaktiviert hatte, sie hatte auch alle Durchgänge, die in einem Umkreis von bis zu hundertzwanzig Kilometern lagen, geschlossen.
So langsam schien sie den Dreh raus zu haben und schaffte es ihre Magie immer weiter auszudehnen. Nur wusste sie nicht, ob ihre Magie auch gegen einen großen Schlüsselmeister helfen würde.

„Ich verstehe nicht, wie sie das macht!“ bemerkte Adrian schnaufend.
Eine Pause war nicht nach Kayleighs Geschmack.
Und schon nach wenigen Minuten herrschte dicke Luft in der Gruppe.
„Jetzt bleib doch mal stehen!“ fauchte Mica seine Exfreundin an und hielt sie abermals fest.
Sie seufzte und sah sich um.
Kayleigh hatte sie alle in irgendeine Seitengasse geführt. Wo genau sie waren, konnte aber noch nicht einmal sie sagen.
Mehr oder weniger war sie einer Spur gefolgt. Sie hoffte inständig, dass dieses Spur sie irgendwann ans Ziel führen könnte und vor allem dass sie der richtigen gefolgt war.
„Wir sollten …!“ Jim sah sich um und erkannte ein paar Sitzbänke in der Nähe der Gasse. Er wies darauf hin und meinte, dass es besser sei, wenn sie sich dort erst mal hinsetzten, als wenn sie in der Gasse stehen blieben.
Da keiner etwas dagegen sagte, gingen sie zu den Bänken hinüber.
Wie sie erkennen mussten waren sie in einer belebten Einkaufsmeile gelandet. Scheinbar in irgendeiner englischsprachigen Stadt, wenngleich sie nicht erkennen konnten wo genau.
Von den Passanten nahm keiner Notiz von ihnen.
„Wäre schön, wenn wir was zu Trinken hätten!“ kam sofort von Adrian.
„Tja, dann hätten wir unser Gepäck mitnehmen sollen!“ brummte Barry, „Ich verstehe nicht, warum wir ohne alles losgegangen sind!“
Im Grunde konnte ihm das keiner so genau sagen. Allerdings hatten sie auch nicht erwartet, so lange umher zuwandern.
„Weißt du überhaupt, wo du hin willst?“ wollte Jim von seiner Nichte wissen.
Noch immer stand sie ein klein wenig unruhig vor den Jungs, die alle geschafft waren von dem langen Fußmarsch.
„Kayleigh!“ Jentrix riss sie aus den Gedanken und griff nach ihrer Hand.
Er wusste nicht genau, was in ihr vorging. Doch er ahnte, dass sie irgendetwas vorhatte. Und das machte ihm Sorgen.
Sie sah ihn schüchtern an. Ihr zuvor scheinbar gewonnenes Selbstbewusstsein war für einen Moment verschwunden.
Jentrix zog sie näher heran und umarmte sie, so als müsse er sie festhalten.
Kayleigh wusste kurz nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Dann aber schlang sie wortlos ihre Arme um ihn und klammerte sich an ihm fest.
Dearon beobachtete die Szene und schmunzelte kurz. Er war schon eine Weile mit Jentrix befreundet, doch noch nie hatte er mitangesehen, dass irgendein Mädchen ihm so am Herzen lag. Auch schmunzelte er, weil er wusste, dass sich Jentrix recht bald darüber ärgern würde, dass er ohne seine geliebte Kamera unterwegs war. Und dies wäre ein Motiv für ihn gewesen.
Doch Dearon brauchte keine Fotokamera. Frech knipste er unbemerkt die Szene mit seinem Handy. Später würde er Jentrix damit aufziehen.

Eine Viertelstunde später, nachdem sich Barry noch einmal darüber ärgerte, dass sie ohne Gepäck auf Reisen waren, und sie dennoch mit dem wenigen Geld, was sie einstecken hatten, sich etwas zu trinken gegönnt hatten, gingen sie zur nächsten Tür.
Die Jungs ließen Kayleigh nicht aus den Augen.
„Ich hab eine Spur gefunden!“ meinte sie auf einmal und öffnete die Tür.
„Und von wem ist sie?“ kam müde und vorwurfsvoll von Adrian. Wenn er es sich aussuchen könnte, wäre er jetzt doch lieber wieder in Vancouver.
„Die von Thomas!“ antwortete sie mit fester Stimme.
„Bist du dir sicher?“
Doch Kayleigh antwortete Jim nicht.
Sie ging durch die Tür und anstatt der hellen und einiger maßen ruhigen Einkaufsmeile, traten sie von einer Geschäftstür auf einen menschenvollen Fußweg.
Es war Nacht, aber die vielen Neonlichter der Reklametafeln erhellten die gesamte Gegend. Ein reger Betrieb herrschte und alle Welt schien auf den Beinen zu sein.
„Tokio!“ schrie Jentrix überrascht auf. Jetzt bereute er es wirklich, wenn auch nur für einen kurzen Moment, ohne seine Kamera unterwegs zu sein.

Kayleigh ging einfach weiter. Sie drängte sich durch die Fußgängerzone auf dem Bürgersteig und ging auf die menschenvolle Kreuzung zu.
„Warte!“ rief ihr noch Dearon hinterher und wollte nach ihr greifen. Doch stattdessen erwischte er beinahe einen Passanten, der ihn finster anblickte und auf Japanisch beschimpfte.
Kayleigh hörte nicht auf die Rufe der Jungs. Sie ging einfach weiter.
Die Jungs zwängten sich ebenfalls durch die Menge. Allerdings verloren sie Kayleigh immer mehr aus den Augen.
Sie war einfach in der Menschenmasse, die sich gleich in mehreren Strömen über die Straße drängte, verschwunden.
„Kayleigh!“ Die Rufe der Jungs führten lediglich zu missbilligenden Blicken der Passanten.
Jeder der Jungs lief in unterschiedlichem Tempo durch die Massen.
Aber sie konnten sie nicht sehen.
Zudem erschwerte die Tatsache, dass Kayleigh mehr oder weniger die selbe Größe wie der ganze Rest der Fußgänger hatte und auch die schwarzen Haare, ihre Suche.
Egal wie sehr sie nach ihr suchten. Sie war weg.
„Scheiße!“ schrie Jentrix wütend.
„Was machen wir jetzt?“ wollte Dearon von Jim wissen, doch der konnte ihm keine Antwort geben. Und Barrys wütende Bemerkung, dass Kayleigh das alles geplant haben musste und sie nun ohne jegliche Schlüssel in der Stadt fest säßen, war alles andere als hilfreich.


Seine Begeisterung war ihm deutlich anzusehen. Und sie steckte vor allem seine Männer an.
„Wie viele?“ wollten sie nur von ihm wissen.
„Zwei!“ gab er zurück und erntete einen leicht enttäuschten Blick von seinen Schlägern.
„Aber es sind Meister!“
Seine Männer hatten Gefallen daran gefunden, jemanden zu überfallen und auszurauben.
Dass sie nun nur zwei Opfer hätten, enttäuschte sie. Aber, wie sagt man so schön, man muss nehmen, was man bekommt.
Millard führte seine Männer zur Beute.
„Ach komm schon!“ maulte einer, „Das ist doch ein Scherz, oder?“
Millard hatte sie zu einer knapp siebzigjährigen Dame und einem Teenager geführt, der ihre Enkelin sein könnte.
Beide Frauen wirkten erschrocken, als sie bemerkten, in was für einer Misere sie nun steckten.
„Die Schlüssel!“ forderte Millard.
Doch die Damen wollten sie ihm nicht kampflos übergeben. Die alte Dame zog eine kleine Schusswaffe aus ihrer Handtasche und hielt sie auf Millard gerichtet.
Beeindruckt war er nicht.
Noch ohne ein Zeichen von ihm, griffen seine Männer die alte Dame an und entrissen ihr die Pistole. Die Teenagerin wollte ihrer Freundin helfen. Doch auch sie hatte keine Chance.
Beide Frauen waren recht schnell überwältigt und ihnen blieb nichts anderes übrig, als ihre Schlüssel herzugeben.
Die Männer gaben die Schlüssel an ihren Anführer weiter und durchsuchten die Frauen nach Geld und anderen Wertgegenständen.
Millard sah alle Schlüssel durch und entzog ihnen ihre Kraft. Die nutzlosen Karten zerknüllte er und lies sie fallen.
Die alte Frau sah zu ihm auf.
„Es wird dir nichts nützen!“ gab sie zu verstehen.
„Was?“ Millard fand es belustigend, dass die Dame noch immer zu drohen versuchte.
„Irgendwann wirst du auf beraubt!“ meinte sie, „Jemand wird dir die Schlüssel abnehmen!“
Millard grinste nur hinterhältig, lies sich von seinen Männern die Schusswaffe der Alten geben und richtete sie auf sie.
„Wiederhole es noch mal!“ lachte er.
Sie warf ihm einen finsteren Blick zu, während ihre jugendliche Freundin um ihrer beider Leben bettelte.
Doch Millard ignorierte das Flehen.
Er drückte einfach ab und erschoss die alte Dame.
„Wow!“ meinte er beeindruckt. Ihm gefiel die kleine Waffe und er begutachtete sie einen Moment.
Das Mädchen schrie entsetzt.
„Macht dass sie endlich still ist und schaut mal, ob die Alte noch ein paar Kugeln einstecken hat!“ befahl er seinen Männern.
Er sah ihnen nicht dabei zu, wie sie immer wieder auf das Mädchen einschlugen.
Seine Männer waren wie er. Um an ihre Beute zu kommen, gingen sie mitunter über Leichen.
Und da er die Schlüssel beherrschte, würden sie alle immer wieder entkommen, ehe irgendwer sie schnappen konnte.
„Niemand wird mir die Schlüsselmagie abjagen!“ dachte er sich. Vor allem, wenn er die Schwarzhaarige erwischen und ihr die Magie entzöge, könne ihm keiner mehr was anhaben.
„Hey, die Alte hat einen Bankschlüssel einstecken!“ gab einer seiner Männer zu verstehen und riss Millard aus den Gedanken.
„Dann sollten wir mal nachsehen!“ antwortete er ihnen.
Und sofort zogen sie los. Mittels seines magischen Schlüssels gelangten er und seine Band in die eigentlich verschlossene Bank.
Sie brauchten nach dem Schließfach der alten Dame nicht suchen.
Millard konnte die Schlüssel darin spüren. Er wurde regelrecht von ihnen angezogen.
Und auch wenn seine Männer es wohl nie so richtig begreifen würden, jedes mal wenn Millard einer Schlüsselkarte die Magie entzog und sie auf eine seiner Karten übertrug, wurde er selbst stärker. Vermutlich, so dachte er es sich zumindest, ging die Magie sogar auf ihn selbst über.
Mit einem Schmunzeln im Gesicht zog er dann wieder mit seinen Männern los.
Niemand würde bemerken, dass sie in der Bank waren. Und wenn, dann wäre es schon zu spät und sie längst über alle Berge.


Vigilius hatte sich hingesetzt und die Geschichte in dem Buch gelesen. Die beiden Mädchen hatten ihn dabei immer wieder unruhig angesehen. Sie wussten nicht, was sie von ihm halten sollten. Allerdings wussten die beiden auch nicht, wo sie hingehen sollten.
Alexia hatte irgendwann aus Langeweile angefangen aufzuräumen. Sie hatte alle Sachen eingesammelt und da sie nicht wusste, wem was gehört, legte sie alles fein säuberlich zusammen in einen der Schränke. Die Rucksäcke und Taschen packte sie ebenfalls in einen der Kleiderschränke.
Chan half ihr dann beim Abwasch. Es gab eh nicht viel, was sie tun konnten.
Vigilius war zu sehr mit dem Buch beschäftigt, als dass er den Mädchen Aufmerksamkeit schenkte.
Und irgendwann sah er auf. Enttäuschung in seinem Gesicht.
„Was ist los?“ wollte Chan wissen.
Vigilius konnte ihnen nicht erklären, dass er seinen Vater jahrelang für etwas beschuldigt hatte, wofür dieser eigentlich nichts konnte. Er konnte ihnen nicht sagen, wie dumm seine Suche bisher gewesen war. Wie sehr er sein Leben verschwendet hatte.
„Ich muss was machen!“ platzte es plötzlich aus ihm heraus und die Mädchen sahen ihn verwirrt an.
„Wenn du gehen willst, dann mach´s doch einfach!“ brummte Alexia nur und griff sich das Fotoalbum, welches irgendwer auf dem Couchtisch liegen gelassen hatte.
Sie blätterte darin, erkannte aber niemanden auf den Anfangsseiten.

Vigilius hatte nicht wirklich vor, irgendwohin zu gehen. Aber er fühlte sich schuldig.
„Kayleigh kann das nicht allein schaffen!“ murmelte er vor sich hin und erntete erneut fragende Blicke.
„Was ist das eigentlich mit den Schlüsseln?“ wollte Chan von ihm wissen, „Wieso will Kayleigh die Schlüssel löschen?“
„Weil sie schaden!“ kam von Alexia, auch wenn sie es selbst nicht glauben wollte.
„Die Magie ist im Chaos!“
Beide Mädchen verstanden kein einziges Wort.
„Wenn der Falsche die ganze Schlüsselmagie zusammen hat, kann er eine Menge Unheil anrichten!“ meinte Vigilius. Dass allerdings auch bis jetzt Unheil mit den Schlüssel angerichtet werden konnte, schien er dabei zu übersehen.
„Wenn der Falsche den ersten Schlüssel bekommt, kann er damit vielleicht auch ...“ er schien nicht genau zu wissen, was er sagen sollte oder wie.
„Was?“ schrien beide Mädchen fast zeitgleich.
„Töten!“ Sicher war er sich nicht. Aber sein geschocktes Gesicht sprach Bände.


„Wie kann das sein, dass sie einfach so verschwindet?“ fragte sich Barry.
Er und die anderen waren von der Kreuzung runter gegangen und standen am Rande des vollen Fußweges.
„Wieso hat sie das gemacht?“ wollte Adrian wissen, „Ich meine, sie kann doch nicht …!“
Dearon sah sich um, so als hoffe er, dass sie jeden Moment aus der Masse zurückkehren würde.
„Sie hat Angst!“ meinte Jentrix. Er wirkte recht deprimiert über ihr Verschwinden.
„Aber warum ist sie dann verschwunden?“
„Weil sie uns schützen wollte!“ mutmaßte Dearon und Jim nickte nur.
Jim ahnte, dass vermutlich genau dies Kayleighs Plan gewesen war. Sie hoffte, die Jungs zu schützen, wenn sie gehen würde. So wie er es einst gehofft hatte.
Mica versuchte bereits zum fünften Mal Kayleigh auf dem Handy zu erreichen. Er wusste, dass sie es bei sich trug. Allerdings ging sie noch immer nicht ans Telefon. Und genau das machte ihn nur noch wütender auf seine Exfreundin.
„Sie kommt allein nicht klar!“ war Adrian überzeugt, „Sie hat Angst unter so vielen Leuten und sie weiß doch gar nicht, was sie machen soll!“
„Sie will uns schützen!“ wiederholte Dearon und versuchte somit Kayleighs Bruder zu beruhigen. Doch auch er machte sich Sorgen. Er fühlte sich ein wenig, als hätte er soeben seine eigene Schwester aus den Augen verloren.

Während die Jungs nun überlegten, was sie tun sollten, klingelte Jentrix Handy.
Für einen Moment ignorierte er es. Unter anderem, weil er sich sicher war, dass nur irgendeiner seiner alten Freunde irgendetwas von ihm wolle. Und auf gespielte Heiterkeit und dergleichen hatte er im Moment gar keine Lust.
Doch das Klingeln wollte nicht aufhören und so holte er sein Handy hervor und sah nach, wer ihn nun belästigte.
Verwundert sah er aufs Display. Dann ging er ran.
„Kayleigh?“
Die anderen starrten ihn an, als hätte er eine ansteckende Krankheit offenbart.
„Wo steckst du?“ wollte er sofort wissen.
„Stell laut!“ forderte Dearon von ihm und Jentrix kam dem nach.
Durch den Straßenlärm ringsum war Kayleigh schwach zu hören.
„Es tut mir leid!“ meinte sie.
„Wo steckst du?“ schrie Adrian. Doch Kayleigh wollte ihm keine Antwort darauf geben.
Es dauerte einen Moment, ehe sie wieder sprach.
„Ich konnte nicht anders!“ Sie klang bedrückt.
„Jetzt sag endlich wo du steckst!“ forderte Barry zornig, „Du kannst uns nicht hier lassen!“
„Ihr seit sicherer, wenn ihr nicht mit mir unterwegs seit!“ war sie überzeugt.
„Du willst allein gegen diesen Typen antreten?“ Jentrix starrte auf sein Handy und wartete auf eine Antwort.
Doch sie beteuerte lediglich, dass es ihr leid tue, dass sie ihnen so viele Sorgen bereite.
„Es ist besser so!“ meinte sie noch einmal.
„Kayleigh, wir können helfen!“ meinte Jim und hoffte, irgendwie seine Nichte überzeugen zu können.
Kurz Stille am anderen Ende.
„Ich kann nicht …!“ Ein Schluchzen.
„Ich muss weiter!“ meinte sie dann.
„Kayleigh, komm zurück! Bitte!“ flehte Jentrix. Es war nicht nur Sorge, die ihm in der Stimme lag.
„... Es tut mir leid, Jentrix!“ kam fast schon geflüstert von ihr.
Dann hatte sie aufgelegt.
Einige Sekunden lang starrten alle auf das Handy. Warteten, dass sie noch etwas sagte. Doch das Gespräch war beendet und Kayleigh anscheinend verschwunden.

„Was...?“ Die Jungs waren sprachlos.
Sie steckten in einer ihnen unbekannten Umgebung, ohne Geld und Sprachkenntnisse und sie hatten keinen Schlüssel. Und nun hatten sie auch noch Kayleigh verloren.
„Wir können nicht hier bleiben!“ meinte Barry.
„Aber wenn wir weg wollen, brauchen wir entweder einen Schlüssel oder Geld!“ wusste Jim, „Und wir können sie nicht alleine lassen!“
„Wir wissen aber nicht, wo sie ist!“ kam sofort von Mica. Er war in Sorge. Vor allem da er wusste, dass sie nicht so stark war, wie sie zu sein versuchte.
Jentrix sagte gar nichts. Er packte sein Handy wieder weg und starrte nachdenklich vor sich hin.
Er wollte sie einfach nur finden.
Dearon war sich bewusst, dass Kayleigh schon etwas länger mit den Gedanken gespielt haben musste, allein weiter zu ziehen. Und das Wiedersehen mit Millard war wahrscheinlich der entscheidende Anstoß für sie, ihren Plan in die Tat umzusetzen. Und auch ihre gespielte Härte und ihr vermeintlicher Sinneswandel gehörten dazu. Sie hatte zeigen wollen, dass sie allein gut klar kommt.
Die Jungs waren enttäuscht. Einerseits fühlten sie sich von Kayleigh hintergangen, andererseits waren sie sauer auf sich, dass sie zugelassen hatten, dass sie verschwindet.


Das japanische Hochhaus in Shibuya, dem großen und belebtem Stadtteil Tokios, bot einen interessanten Ausblick auf die Straße und dem Trubel darunter.
Und niemand von den Bewohnern bzw. den Angestellten in dem Haus, ahnte wer oder was auf Flur stand und sehnsüchtig auf die Straße hinunter starrte.
Kayleigh hielt noch immer ihr Handy in der Hand. Gerade hatte sie sich von ihren Freunden verabschiedet.
Nur wusste sie nicht, ob sie wirklich richtig handelte. Sie hoffte zumindest, dass durch ihr Gehen ihre Freunde und ihre Familie sicher wäre. Und vor allem hoffte sie, dass sie es schaffen würde, den ersten Schlüssel zu finden und auch irgendwie alles zu beenden, bevor noch irgendwer anders zu Schaden käme.
Tränen liefen ihr über die Wange.
Sie war nicht so stark, wie sie es sein wollte. Sie hatte es gespielt, wenn auch nur für ein paar wenige Minuten.

Hinter ihr liefen zwei Angestellte über den Flur und warfen ihr einen fragenden Blick zu. Was sie miteinander beredeten, verstand Kayleigh nicht. Vielleicht fragten sie sich, wer sie war.
Kayleigh wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, steckte ihr Handy wieder ein und warf einen letzten Blick auf die Straße.
Sie konnte die Jungs sehen.
Einer der Angestellten wollte gerade auf sie zugehen, als sie sich nach der nächsten Tür umsah. Sie ging darauf zu und öffnete sie.
Der Mann und sein Kollege waren mehr als irritiert, als sie hinter der Tür verschwand, hinter der sonst eigentlich ein Büro war. Diesmal aber war dahinter eine Straßenszene zu sehen. Doch kaum war Kayleigh verschwunden, war wieder alles wie immer.

Kaum in der neuen Umgebung angekommen, bemerkte Kayleigh einen Schlüssel. Es war sogar ein recht starker Schlüssel. Fast schon stärker als sie selbst.
Nicht nur das Kribbeln im Magen, welches die Schlüssel immer wieder auslösten, machte ihr nun zu schaffen.
Angst kam langsam auf.
Der Schlüssel kam immer näher auf sie zu.


„Wenn wir einen Schlüssel fänden, könnten wir doch weg von hier!“ meinte Mica und vergaß dabei, dass Kayleigh die ganze Umgebung verschlossen hatte.
„Vielleicht sollten wir außerhalb der Stadt danach suchen!“ merkte Adrian an.
Jim wollte gerade zustimmen, als er etwas bemerkte.
Und kurz danach sahen auch Mica, Barry und Adrian besorgt drein.
„Was ist los?“ wollte Dearon wissen. Er wusste zwar nicht, was sie gerade so verängstigte, aber er ahnte es.
Auch er sah sich um. Nur erkennen konnte er nichts.
„Ein ziemlich starker Schlüssel!“ bemerkte Jim und sah die Straße hinunter.
„Ja und der kommt direkt auf uns zu!“ fügte Barry zu.
Nikita LaChance
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Registriert: So 27. Mär 2011, 09:30

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