Schlüssel der Welt




Unterhaltungsliteratur in ihren verschiedenen Formen, wie beispielsweise Romane, Erzählungen, Kurzgeschichten, Berichte, Märchen und Sagen

Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 12:05

Kapitel XXXI

„Sind wir jetzt schon im Museum?“ stellte Dearon irritiert fest.
„Sieht so aus!“ bekam er von Barry als Antwort.
Allen Anschein nach waren sie ohne größere Probleme in dem Museum gelandet, dessen Flyer Kayleigh bekommen hatte. Sie waren sogar in der Antikensammlung gelandet.
Allerdings standen sie nun vor einer Tür, die eigentlich nur für das Museumspersonal zugänglich war. Daher kam ihnen sogleich ein etwas dicklicher Herr entgegen, der sie in deutscher Sprache bat, von der Tür weg zu treten. Kayleigh übersetzte den Jungen die Bitte und ging mit ihnen weiter. Zu ihrem Glück hatte der Mann nicht die Eintrittskarten sehen wollen.
Die Fünf gingen weiter und mischten sich unter die anderen Museumsbesucher. Für den Mann war somit wieder alles in Ordnung und er spazierte weiter.
„Und wie sollen wir jetzt die Buchseiten finden?“ murrte Barry.
Kayleigh ignorierte ihn, oder versuchte es zumindest.
„Wie soll man eigentlich die Seiten erkennen?“ kam sogleich die nächste Frage von ihm.
„Er hätte können bessere Hinweise geben!“ fügte Adrian hinzu.
„Kann man dem Typen überhaupt trauen?“
Barry war wie immer misstrauisch.
„Kannst du mal die Klappe halten?“ entfuhr es Kayleigh und sie schritt schneller voran. Über den etwas entsetzten Blick von Barry mussten Jentrix und Dearon schmunzeln.

Ein paar Schritte weiter standen viele Statuen. Teils vollständig und teilweise mit fehlenden Stücken.
Kayleigh gefielen die Statuen und ein klein wenig geriet sie ins Träumen und vergaß den eigentlichen Grund, weswegen sie hier war.
Nur Barry riss sie wieder aus den Gedanken und erinnerte sie an ihre Aufgabe.
„Meinst du, dass die Teile überhaupt hier sind?“ wollte er schon wieder wissen.
„Ich glaube schon!“ antwortete sie nur und begutachtete die nächste Statue. Allen Anschein nach ein griechischer Gott, nur war nicht so genau zu erkennen, welcher es sein sollte.
Schweigen brach wieder aus. Allerdings schwieg Barry im Moment weniger, weil ihm keinen nächste dumme Frage einfiel, sondern vielmehr, weil ihn irgendetwas ablenkte.
Auch Kayleigh hatte es bemerkt und versuchte es zu ignorieren.
Sie waren nun nicht mehr die einzigen Schlüsselträger im Museum.
„Das muss noch lange nichts bedeuten!“ dachte sich Kayleigh und versuchte sich wieder auf ihre Suche zu konzentrieren.
Aber noch immer fiel ihr nicht ein, wo sie eigentlich zu suchen hätte. Es gab keinerlei Anzeichen zum Verbleib der Buchseiten.
Irgendwie erschien ihr die Suche nach den Buchseiten ebenso schwierig, wie die Suche nach ihrem Vater und ihrer Tante.

„Kayleigh?“ Sie war einfach stehen geblieben und starrte nachdenklich auf eine Statue der Athene. Vermutlich sollte es Athene darstellen.
Sie ging noch einmal alles durch was sie von dem Buch und dem Schreiber wusste. Aber es brachte sie noch immer nicht auf den richtigen Punkt.
„Kayleigh!“ Dearon tippte sie an. Er wie die anderen drei warteten auf sie und eine Antwort von ihr.
„Was?“
„Wir wollen wissen, ob du weißt wo genau wir suchen müssen!“ meinte er. Irgendwie lag Sorge in seinem Blick.
„Ähm … ich weiß nicht!“ gab sie etwas ruhiger zurück.
„Na toll! Und wieso sind wir dann hier?“ protestierte Barry. Etwas zu laut, denn einige Besucher drehten sich zu ihm um.
„Kannst du einfach mal ruhig sein?“ wollte Jentrix von ihm wissen.
„Hört beide auf!“ Dearon verhinderte einen aufkeimenden Streit.
Kayleigh war dankbar dafür. Zumindest einer der Jungs behielt einen ruhigen Kopf.
Und er überlegte ebenfalls, wo sie die Buchseiten finden könnten, auch wenn er dazu seine Gedanken vor sich hin murmelte.
„... Göttin der Weisheit, … Göttervater ...“ Im Grunde ging er die anwesenden Statuen durch, die er erkannte. Als ob sie irgendeinen Hinweis geben könnten.
„Es muss einen Grund geben, dass dein Freund dich hier her geschickt hat!“ meinte er dann und Kayleigh nickte.

Adrian hatte sich auch auf die Suche gemacht. Er war etwas weiter gegangen und hatte eine Vitrine zwischen den Statuen entdeckt, in der neben ein paar Steinfragmenten auch ein paar Papierstückchen waren. Dass die Papieren allerdings mehrere Jahrzehnte, wenn nicht sogar Jahrhunderte alt waren, interessierte ihn im Moment weniger.
Aufgeregt rief er die anderen zu sich und präsentierte seinen Fund.
„Könnte sein!“ meinte Barry nur, „Aber wie kriegen wir das da raus?“
Kayleigh allerdings war schon wieder abgelenkt.
Ein weiterer Schlüsselträger war in dem Museum aufgetaucht, allerdings konnte sie nicht erkennen, wo genau er steckte. Sie hoffte nur, dass er sie nicht belästigte.
Und dann spürte sie noch etwas anderes. Es war ganz nahe.
Ohne ein Wort zu den Jungs ging sie zurück zu den Statuen.
„Was ist los?“ wollte Dearon wissen.
„Ich hab was gefunden?“ Sie war sich nicht sicher.
Sie schritt auf eine Statue zu, die entfernt an einen Läufer erinnerte, und starrte sie von oben bis unten an.
Adrian war enttäuscht, dass sein Fund scheinbar nicht der richtige oder nicht so wichtig wie Kayleighs Fund war. Dennoch wollte er sehen, was sie entdeckt hatte.
„Toll, eine Statue!“ meinte er dann. Aber er konnte ebenfalls sehen, dass da was war und verstummte sogleich wieder.
„Meinst du, dass ist es jetzt?“ wollte Jentrix wissen und begutachtete den steinernen Läufer.
„Hermes, Götterbote!“ erklärte Dearon, „Das könnte durchaus Sinn machen!“
Alle sahen ihn fragend an.
„Er ist unter anderem auch der Gott der Reisenden!“ antwortete er.
„Ja, klar!“ Jentrix schien es gewohnt zu sein, dass sein Kumpel gelegentlich mal den Lehrer spielte. Allerdings hatte es bis jetzt auch so gut wie immer gestimmt, was Dearon von sich gegeben hatte.
Anerkennend klopfte er Dearon auf die Schulter, der sich natürlich veralbert vorkam.
Kayleigh ging um die Statue herum, beobachtet von ihren Begleitern. Und dann entdeckte sie den Grund für ihr Gespür.

„Und sind es die Buchseiten?“ wollte Adrian gleich wissen, als Kayleigh wieder vor ihm stand.
Ihr Gesichtsausdruck verriet alles.
„Leider nein!“ gab sie enttäuscht zu und zeigte ihren Fund.
Es war lediglich eine Schlüsselkarte mit einem Abbild der Hermesstatue drauf.
„Super!“ gab Barry ebenso enttäuscht von sich.
Kayleigh packte missmutig die Karte in ihre Umhängetasche.
„Vielleicht sind die Seiten doch nicht hier?“ dachte Adrian laut.
„Was machen wir jetzt?“ wollte Jentrix wissen.
Dann bemerkte er, dass ihm weder Kayleigh noch Barry zuhörten. Beide sahen ziemlich nervös aus und ließen ihre Blicke durch die Gänge gleiten.
„Fünf!“ meinte Barry nur und Kayleigh nickte.
„Fünf was?“ Adrian wusste nicht was gemeint war.
„Schlüsselträger! Es werden immer mehr!“ antwortete Barry ihm. In seiner Stimme lag kein Zorn oder ähnliches. Vielmehr schien er besorgt oder ängstlich.
„Dann sollten wir wieder gehen!“ war Dearons Idee.
„Dazu müssen wir erstmal wieder eine Tür finden!“ gab Jentrix zurück.
Er hatte recht. Sie standen inmitten des Raumes und nirgends eine Tür zu sehen. Und die großen Museumstüren, die die Räume von einander trennen sollten, zu schließen, würde sehr viel Aufmerksamkeit erregen.
Barry wollte unbedingt weg und so schritt er voran, von der Götterwelt in die Ausstellung der Jenseitswelt, so war es zumindest ausgeschildert.
„Hier muss doch eine Tür sein!“ fluchte er leise vor sich hin und ging schnellen Schrittes weiter.
Die Gruppe lief ihm hinterher. Nicht dass er jetzt den Führer spielte, vielmehr waren sie alle der gleichen Meinung, hier würden sie das Gesuchte nicht mehr finden und die Gefahr von den anderen Schlüsselträgern überfallen zu werden war zu groß.

Inzwischen waren nun schon zehn weitere Schlüsselträger zu spüren und sie schienen immer näher zu kommen.
Dass nur Kayleigh und Barry sie spüren konnten, verhinderte nicht, dass auch in den anderen die Panik wuchs, entdeckt zu werden.
Von der Ausstellung über die Jenseitswelt ging es zu einer weiteren Dauerausstellung. Allerdings nahmen sie sich nun keine Zeit mehr, sich alles anzusehen. Im Grunde sahen sie sich gar nichts an. Sie liefen schnell durch die Gänge und suchten eine Tür.
„Irgendwo da vorn wird eine Tür sein!“ war Barry der Meinung und zog schon einmal seine Kartensammlung hervor. Doch noch konnte er nicht erkennen, welcher Schlüssel passen würde.
Kayleigh war ein wenig blass geworden. Nicht nur, dass sie kaum noch rennen konnte und der Druck im Magen wurde immer größer.
„Zu viele!“ murmelte sie mehr zu sich. Sie konnte nun schon mehr als zwanzig weitere Reisende spüren und scheinbar wurden es immer mehr.
„Kayleigh?“
Sie war schon wieder stehen geblieben.
Dearon ging zu ihr zurück und wollte wissen, was los sei.
Sie überlegte, wobei sie irritiert auf eine Vitrine starrte.
Darin lagen einige Papyrusrollen. Im Grunde ähnlich denen, die Adrian zuvor entdeckt hatte.
„Wir sollten hier weg!“ rief Barry und wartete.
Dearon hielt ihr seine Hand hin. Doch noch immer starrte sie nur auf die Vitrine.
„Kayleigh!“ Langsam wurde auch Adrian ungeduldig und wollte sie holen.
„Ich glaube, ich hab die Seiten gefunden!“ meinte sie leise und sah Dearon irritiert an. Er allerdings konnte nicht erkennen, wo sie die Buchseiten gesehen haben wollte.
Sie zeigte auf die Vitrine.
„Das sind doch nur irgendwelche alte Textrollen!“ stellte Adrian fest.
„Für so was haben wir keine Zeit!“ protestierte Barry.
Er und Jentrix waren zu ihr zurückgekehrt und sahen ebenfalls fragend auf die Rollen.
„Die Buchseiten sind hier drin!“ war sie überzeugt. Sie konnte ein Leuchten erkennen, ähnlich wie bei den Schlüsseln.
„Was?“ Keiner der Jungs wollte ihr glauben.
Aber im Moment hatten sie auch ein viel größeres Problem.
Nicht nur, dass immer mehr Schlüsselträger im Museum auftauchten, so kamen sie ihnen immer näher. Eine beachtliche Menschenmenge versammelte sich langsam in dem Teil der Ausstellung in der nun auch die Fünf waren.
„Irgendwas muss sie angelockt haben!“ fluchte Barry.
„Bist du dir sicher, dass da drin die Buchseiten sind?“ hakte Adrian nach.
Kayleigh nickte nur.
„Und wie bekommen wir die Teile da raus?“ war Dearons Frage.
Die Vitrine war abgeschlossen und es gab keine Möglichkeit das Schloss irgendwie auf zu bekommen.
„Hier funktioniert doch kein Schlüssel!“ murrte Jentrix.

Die Schlüsselträger kamen immer näher. Umkreisten mehr oder weniger die kleine Gruppe. Wer oder was sie genau anzog war nicht zu erkennen. Aber vermutlich waren sie alle auf einen Schlüssel aus.
Oder die Buchseiten, wie Dearon plötzlich einfiel.
Kayleigh grübelte wie sie Seiten aus der Vitrine bekommen könnte.
„Vielleicht sollten wir erstmal weiter. Das hier wird zu gefährlich!“ So langsam verfiel Barry immer mehr der Panik. Bis jetzt hatte er auch noch nie so einer großen Gruppe von Schlüsseljägern gegenübergestanden.
„Er hat recht, Kayleigh! Wir können später noch mal zurück kommen und die Seiten raus holen!“
meinte Adrian.
Doch Kayleigh hörte nicht auf ihn. Sie musterte die Vitrine, holte mit ihrem Gipsarm aus und schlug einfach auf die Scheibe. Es musste Zufall sein, dass das Glas kaputt ging und den Inhalt freigab.
„Was hast du gemacht?“ Dearon schien überrascht und erschrocken zugleich.
Mit der Zerstörung des Vitrinenglases gab es nun auch ein weitere Problem. Der Alarm ging los. Es war kein stiller Alarm. Und der lockte nun auch noch die Museumswachen und auch einige schaulustige Besucher an.
Die Schar der Schlüsseljäger war nun auf knapp dreißig Mann angewachsen. Sie interessierte es wenig, dass nun der Alarm ausgelöst worden war. Er galt nicht ihnen.

Kayleigh zog eine der Papyrusrollen aus der Vitrine und rollte sie auf.
Die Jungs, bis auf Dearon hatten sich mehr oder weniger schützend, hinter sie gestellt, wodurch ihre Tat für die Jäger verdeckt blieb.
In mitten der Rolle tauchten ein paar Seiten auf. Vier Stück genauer gesagt. Sie sahen genauso aus, die die Seiten im Buch und wie so viele Buchseiten waren auch sie leer.
„Sind sie das?“ wollte Dearon wissen und Kayleigh nickte nur schulterzuckend. Sie hoffte es. Denn dann wäre zumindest eine Suche mal erfolgreich gewesen.
„Und nun? Wie kommen wir hier wieder weg?“ wollte Adrian wissen.
Es gab keinen sichtbaren Ausweg. Sie waren umstellt.
Kayleigh stopfte die Seiten in ihre Tasche, wenn auch etwas unsanft. Es war keine Zeit dafür, die Seiten sauber ins Buch einzulegen. Vermutlich würden sie verknittern oder sogar einreißen.
Dann sah sie sich um. Der Druck in ihrem Magen war nun vergleichbar mit dem Gefühl einer üblen Magenverstimmung. Sie hatte das Gefühl, sich jeden Moment übergeben zu müssen.
Barry fluchte vor sich hin und Adrian suchte nach einem Ausweg. Jentrix und Dearon waren ebenso in Sorge, dass sie das nicht heil überstehen würden. Aber sie würden nicht kampflos aufgeben. Dearon überlegte sogar, ob er das Messer aus seinem Rucksack holen sollte, um sich damit zu verteidigen, sollte es zu einem Kampf kommen. Und das würde es mit Sicherheit.
Kayleigh dachte nicht weiter darüber nach. Sie sah nur einen einzigen Ausweg.
Sie griff in die zerstörte Vitrine und packte mit der linken, gipsfreien, Hand nach einer großen Glasscherbe. Sie packte fest zu und konnte spüren, wie sich das Glas tief in ihre Hand bohrte. Es tat fürchterlich weh und lenkte sie zuweilen von den Magenschmerzen ab.
Aber sie hatte nicht vor, das Glas als Verteidigung einzusetzten oder sich damit weh zu tun. Jedenfalls nicht wirklich.
„Scheiße, was machst du?“ entfuhr es Adrian, als er sah, was sie anstellte. Er konnte das Glas in ihrer Hand knirschen hören und reichlich Blut quoll hervor.
Doch sie ignorierte ihren Bruder und auch die Schmerzen. Nach ein paar Sekunden, wobei sie auf ihre blutige Hand starrte, öffnete sie ihre Hand wieder und lies die Scherbe wieder los.
Dann schritt sie an die Wand neben der Vitrine und begann ein Rechteck zu zeichnen. Es war ein klein wenig größer als sie.
Alle Anwesenden starrten irritiert zu ihr hinüber. Einigen entfuhr sogar ein Schreckens- bzw. Ekelgeräusch und die Wachmänner sahen sich ein paar gefährlichen Verrückten gegenüber und funkten nach Verstärkung.

„Jungs!“ Kayleigh winkte sie mit der blutigen Hand zu sich.
Barry schien ebenso verwundert wie die anderen drei. Allerdings fragte er nicht nach dem Grund ihrer Schmiererei, schließlich hatte sie dies schon einmal getan. Und damals hatte sie mit ihrer Blutzeichnung eine Tür geschaffen.
Kayleigh drückte mit ihrer Hand in die Mitte des Rechtecks. Das Stück Wand gab nach und öffnete sich wie eine Tür.
„Los jetzt!“ befahl sie den Jungs und einer nach den anderen trat durch die magische Tür. Niemand von ihnen sagte ein Wort oder stellte die ganze Sache in Frage. Eine wirkliche Antwort würden sie eh nicht erhalten.
Aber so lange es funktionierte und sie von dem Ort und den vielen Schlüsseljägern wegkommen würden, wäre egal wie oder warum die Sache funktionierte.
Gleich nach den Jungs trat Kayleigh durch die Tür und kam war sie hindurch gegangen, schloss sie sich wieder.

Die Jäger und die Wachen gingen vorsichtig auf die Wand zu. Alle verstanden nicht, was gerade geschehen war.
„Was war das?“ Er war nicht der einzige, der sich diese Frage stellte. Aber er war wohl der einzige, der wusste, wer das gerade gewesen war.
Er war einfach nur einer sehr starken Spur gefolgt, ohne genau zu wissen, welcher er folgte. Und so überraschte es ihn, Kayleigh und ihre Begleiter, also im Grunde diejenigen, die er so lange schon verfolgt hatte, hier anzutreffen.
Dass sie ihn nicht gesehen oder erkannt hatten, lag vermutlich an der Vielzahl der anderen Schlüsselträger. Aber ihre Schlüssel oder Kräfte waren bei weitem nicht so stark wie die von Kayleigh.
Noch einmal konzentrierte er sich. Doch er konnte nichts mehr spüren, außer die anwesenden Schlüssel. Er hatte die Spur wieder verloren. Vermutlich hatte Kayleigh sie gelöscht, ohne es zu wissen.
Mürrisch ging er wieder. Die Spur war fort und die Tür unbrauchbar. Keiner nahm Notiz von ihm und so bekam auch keiner wirklich mit, dass er ohne weiteres durch eine Personaltür ging und verschwand.
Nikita LaChance
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 12:06

Kapitel XXXII

„Was war das gerade?“ wollte Adrian wissen. Damit meinte er nicht, die mit Blut gezeichnete Tür.
„Keine Ahnung!“ seufzte Kayleigh nur und ging vorsichtig ein paar Schritte weiter.
„Irgendwas muss sie angelockt haben!“ kam nachdenklich von Barry.
Jentrix sah ihn fragend an. Im Grunde verstand er rein gar nicht, was vorgefallen war.
„Das Buch? Es muss die ganzen Schlüsselträger gerufen haben, oder so!“ murmelte Barry vor sich hin.
Dearon allerdings hatte eine ganz andere Frage.
„Wo sind wir jetzt schon wieder?“
Die Frage war gut.
Wieder einmal waren sie wieder in einer unbekannten Wohnung bzw. einem Haus gelandet. Ein feiner grauer Steinfußboden und Holzwände, eine Küchenzeile aus rotem Holz, ein Tisch mit vier Stühlen mitten im Raum und dahinter eine Art Couch mit hellen Kissen. Eine Treppe führte in die obere Etage.
Auf den ersten Blick hin waren sie allein in dem Raum und auf ein „Hallo?“ reagierte niemand.
„Gut, so wie es aussieht, sind wir erstmal ungestört!“ meinte Jentrix. Er drehte sich zur Tür und öffnete sie vorsichtig.
Zu seiner Überraschung, war auch vor der Tür keine Menschenseele zu sehen. Vielmehr war eine kleine leere sandige Auffahrt zu sehen und etwas weiter …
„Das Meer!“
Sein Ausspruch machte alle neugierig und so drängten sie sich alle zur Tür.
„Ein Strand für die Hausbewohner allein! Klasse!“ war Adrians begeisterte Meinung dazu. An der Haustür hing ein kleiner Briefumschlag.
Neugierig sah Adrian hinein und verkündete dann erstaunt, dass erst in knapp anderthalb Tagen die Gäste in dem Haus eintreffen würden. Zumindest war das in der Notiz des Vermieters so vermerkt, der noch einmal den genauen Mietzeitraum erläuterte, sowie ein paar Informationen über die Ausstattung des Hauses und den nahe liegenden Ausflugsmöglichkeiten.
„Die haben sogar den Kühlschrank gefüllt, steht hier!“ las Adrian vor. Er war begeistert. Bis jetzt hatten sie nicht wirklich so viel Glück gehabt einen leeren Raum vorzufinden, in dem eine kostenlose Schlafmöglichkeit und etwas zu Essen vorhanden war.
Auch die anderen schien es zu freuen und es zumindest für einen kurzen Moment von allem anderen abzulenken.

Einzig Kayleigh interessierte sich weniger für die wundervolle Aussicht vor der Tür, das warme Wetter oder den reichlich gefüllten Kühlschrank.
Sie hatte ihre Taschen abgesetzt, sich ihrer Jacke entledigt und hielt mal wieder das Buch in ihren Händen. Diesmal allerdings wollte sie nicht darin blättern und nach irgendwelchen Antworten auf ungestellte Fragen suchen.
Während die Jungs sich im und vor dem Haus umsahen, hatte sie die vor kurzem gefundenen Seiten aus ihrer Tasche geholt und sah etwas hilflos darauf. Wie die Seiten im Buch, waren sie leer. Wie sollte sie die Seiten wieder in das Buch bekommen, fragte sie sich. Irgendwie musste sie sie ja befestigen.
Kayleigh wollte die Seiten gerade einfach nur vorn ins Buch legen und es dann wieder wegräumen, als sich die Buchseiten scheinbar mit dem Buch verbanden. Es sah aus, als wüchsen kleine Fäden bzw. Fasern aus dem Buch und vermischten sich mit denen, die aus den losen Seiten hervor kamen. Das Buch setzte sich von selbst wieder zusammen. Irgendwie eigenartig, dachte sich Kayleigh.
„Hey, du schmierst das Buch voll!“ meinte Barry leicht entsetzt und riss es ihr aus der Hand.
Kayleigh hatte ihren Schnitt weitestgehend ignoriert und daher auch nicht weiter daran gedacht, dass sie nun mit ihrem Blut die Buchseiten versaut hatte.
Barry versuchte die Seiten abzuwischen, aber sie schienen das Blut aufzusaugen, so als seien sie Löschpapier. Und dann war das Blut verschwunden.
Irritiert starrte er nun auf das Papier. Sauber und leer.
„Und nun?“ wollte Kayleigh wissen. Eine Frage, die auch er sich stellte.

„Jetzt sollten wir erstmal deine Hand versorgen!“ meinte Jentrix neben ihr.
Er packte sie am Arm und zog sie in Richtung Badezimmer. Zumindest sah es wie eines aus, auch wenn anstatt einer richtigen nur eine hölzerne Falttür im Rahmen hing.
„Dann kommt wenigstens kein unerwünschter Besuch!“ meinte sie leise.
Jentrix wies Kayleigh ohne große Worte an, auf dem Klodeckel Platz zu nehmen, während er im Badezimmer nach Verbandsmaterial suchte. Da ein Erste-Hilfe-Set mit auf der Inventarliste stand, war er sich sicher auch etwas passendes zu finden.
Und nach einem kurzen Moment hatte er das Paket auch gefunden. Es war noch recht neu, anscheinend erst vor wenigen Tagen hier untergebracht.
„So, und jetzt ...“ Er griff Kayleighs Hand und hielt sie unter den laufenden kalten Wasserstrahl. Kayleigh zuckte kurz zusammen. Es tat weh, auch wenn sie es noch immer zu ignorieren versuchte.
„Diesmal ist´s ziemlich tief!“ meinte Jentrix und besah sich die Handinnenfläche erneut. Es hatte erneut zu bluten begonnen.
Jentrix erklärte nicht was er tat. Er hatte einen Glassplitter entdeckt, den er mit den Fingern herausziehen musste. Wieder zuckte Kayleigh zusammen, gab aber kein Geräusch von sich. Danach verband Jentrix ihr die Hand.
Er lies sie aber nicht sofort los, als er fertig war.
„Du solltest dir langsam mal einen Stift einpacken!“ meinte er. Es sollte vermutlich ein klein wenig lustig klingen. Aber im Grunde war er ein klein wenig sauer und besorgt, dass sie sich ständig verletzte.
Sie nickte nur und sah weg. Was sollte sie auch großartig sagen? Versprechen, dass sie nun vorsichtiger sein würde, konnte sie nicht. Nicht wirklich!

„Hey, ihr zwei, was treibt ihr da?“ rief Adrian durchs Haus, „Wir haben hier was zu essen!“
Auch er machte sich Sorgen um seine Schwester. Sie erschien ihm immer eigenartiger, je länger sie nun unterwegs waren. Er hatte keine Ahnung, woher sie diesen merkwürdigen Zaubertrick her kannte oder warum anscheinend nur sie den Trick beherrschte. Auch war es ihm ungeheuer, dass sie sich selbst mit Absicht weh tat. Vermutlich würde es nicht lange dauern, ehe sie den anderen gegenüber aggressiv wurde.
Wortlos setzte sich Kayleigh neben ihren Bruder und lies sich einen Hotdog geben, den die Jungs in dem Kühlschrank abgepackt vorgefunden und dann in der Mikrowelle erwärmt hatten. Allerdings schmeckte der Hotdog nicht so gut wie ein frisch zubereiteter.
Jentrix war ein wenig gesprächiger. Er wollte als allererstes wissen, was nun geplant sei und ob das Buch neue Erkenntnisse geliefert hätte. Aber das Buch war wortlos geblieben und Adrian fand, dass man erstmal in dem Haus bleiben könnte. So schnell würden sie keine neue Unterkunft finden.


„Ein merkwürdiger Zwischenfall in Berliner Museum verwirrt Besucher und Angestellte!“ las Matt laut vor. Er überflog die nachfolgenden Zeilen im Internet, ehe er den Bericht zusammenfassend erklärte.
„Anscheinend war eine fünfköpfige Gruppe in dem Museum aufgetaucht, hat eine Vitrine zerstört und beschmierte mit Blut eine Wand. Nach dem Vandalismus verschwanden sie in der Wand. Und eine Vielzahl der Besucher verschwand wenig später ebenfalls spurlos.“
Im ersten Moment klang er überrascht, dann aber war er eher besorgt.
„Sie sind hinter ihnen her!“ murmelte er etwas leiser.
„Die Jäger!“ kam von seinem Gegenüber.
Matt sah vom Computer auf und in das Gesicht des älteren Herrn.
Dann aber richteten sich die Blicke von beiden auf die Haustür.

„Endlich!“ meinte der Besucher sofort, nachdem er durch die Tür getreten war, ohne diese wirklich zu öffnen.
„Was machst du hier?“ wollte Matt sofort wissen und trat auf den Brünetten mit den blauen Augen zu.
„Ich hab nach dir gesucht!“ gab dieser nur zurück.
„Ja, aber ...“ Matt schien nichts einzufallen.
„Ich dachte, du steckst in Schwierigkeiten!“ meinte der andere.
„Hallo, Mica!“ mischte sich der ältere Herr ein und gab dem Besucher die Hand.
Er erwiderte den Gruß und richtete sich sofort wieder an Matt.
„Sie haben es gefunden, oder?“ wollte Mica wissen und sah in Richtung des Computers.
„Ich weiß nicht genau. Aber sie habe Aufmerksamkeit auf sich gezogen!“ antwortete Matt besorgt.
Mica ging zum PC und las sich die Nachricht, die noch immer auf dem Bildschirm zu sehen war, durch. Dann ging er auf eine andere Internetseite und postete einen kleinen Text. Warum er das tat, verriet er nicht.
„Sie stecken ganz schön in Schwierigkeiten und wissen noch nicht einmal warum!“ meinte er dann etwas ruhiger.
Matt nickte.
„Dann wird es Zeit, dass sie es erfahren!“ gab der Alte nur zu verstehen und setzte sich wieder an seinen Platz.
„Und wie? Kein Mensch weiß genaueres!“ Matt war ein klein wenig aufgebracht über den Ausspruch des Alten, „Nicht einmal das Buch weiß etwas!“
Mica zog irritiert eine Augenbraue nach oben, so als hätte er etwas neues fragwürdiges erfahren.
„Du hast die Geschichte geschrieben und kennst nicht einmal den Inhalt!“ Es klang ein wenig spöttisch, wie es dem Alten über die Lippen kam.
„Es ist auch nicht mehr meine Geschichte!“ gab Matt zu.
„Vielleicht solltest du denjenigen ausfindig machen, von dem du die Geschichte erfahren hast!“
Der Vorschlag des alten Mannes machte ebenso wenig Mut wie auch Sinn.
„Ich habe nicht viel erzählt bekommen. Nur eine kleine Geschichte über einen Reisenden. Aber ich weiß nicht wie er es angestellt hat!“ Matt klang ein wenig entrüstet, „Ich hab danach selbst ein wenig weiter gesponnen.“
Mica, der ebenso wenig über den eigentlichen Inhalt des Buches wusste, sah irritiert zwischen den beiden hin und her.
„Als ich es angefangen habe zu schreiben, hatte ich es nicht für wirklich gehalten!“ meinte Matt, so als müsste er sich erklären.
Der Alte nickte nur verständnisvoll.
„Aber irgendwer sollte die Wahrheit raus finden. Es wird immer gefährlicher!“ meinte er nachdenklich.
„Weißt du mehr?“ war die logische Schlussfolgerung Micas, doch der Alte verneinte. Er wusste nicht viel mehr als Matt.
Gerade wollte er ihnen sagen, was er wusste, da bemerkte er etwas. Alle drei sahen sich zur Eingangstür um.
„Ihr solltet jetzt besser gehen!“ meinte der Alte nur. Er war ein wenig besorgt.
Die beiden Männer verabschiedeten sich von dem Alten und gingen zur Tür.
„Ihr solltet besser zurück gehen! Es kann gefährlich werden!“ Was genau damit der Alte meinte, verriet er nicht.
Der Alte hielt eine Schlüsselkarte an seine Haustür und öffnete sie, wobei sich die Tür, wie so oft, scheinbar spaltete. Beide Männer traten ohne weitere Worte hindurch und der Alte schloss die Tür wieder.

Allerdings blieb sie nicht lange geschlossen. Denn kurz nachdem Matt und Mica verschwunden waren, kam ein neuer Besucher ins Haus.
„Hallo, Vigilius!“ begrüßte er ihn, so als sei er ein willkommener Gast.


Für die Jungs war es einladend. Sie waren ungestört von fremden Besuchern inmitten einer tropischen Landschaft und genossen das warme Wetter.
Jentrix machte Fotos von der Umgebung und dem Privatstrand vor der Tür. Dearon und Adrian unterhielten sich mehr oder weniger lautstark über Filme und Musik, so als gäbe es im Moment nichts interessanteres und Barry las wie immer in dem Buch, oder versuchte es zumindest. Als das nichts neues preisgab, lies er sich von Dearon das Internet erklären und durchsuchte dort ein wenig die favorisierten Homepages. Neben einiger Fotogalerie eines Filmsternchens, welches er nicht kannte, aber irgendwie auch interessant fand, entdeckte er die Homepage mit den Hinweisen über die Sichtungen der vermissten Reisenden. Er entdeckte sogleich den Eintrag zu dem Besuch im deutschen Museum.
„Der Mistkerl ist verdammt schnell!“ brummte er nur und klickte weiter.
Zu seinem Bruder Jim und auch zum Verbleib von Kayleighs und Adrians Vater und der Tante gab es keinen Hinweis.
Aber der Besuch von Adrian und Kayleigh in dem Museum war verlinkt und nachdem Dearon für ihn darauf geklickt hatte, öffnete sich die Nachrichtenseite, die von dem ungewöhnlichen Zwischenfall im Museum berichtete.
In der letzten Zeile bat die Polizei, dass man doch Hinweise zu dem vermissten Richard Bachman und seiner Schwester Meryl Matthews an sie weiterleiten sollte. Man vermutete sie in der Nähe ihrer beiden Kinder. Dass diese nun jünger waren, wurde nicht erwähnt. Vielleicht tat dies für die Polizei auch nicht viel zu Sache.

Kayleigh nutzte mehr oder weniger den Komfort des Ferienhauses und wusch ihre Wäsche. Es war weniger, dass es an der Zeit dazu wäre, als vielmehr nur irgendeine Beschäftigung bei der sie für sich war und nachdenken konnte.
Im Grunde hatte sie die Waschmaschine voll geladen und starrte auf das Bullauge.
„Gute Idee!“ riss sie Dearon aus den Gedanken.
Vermutlich wollte er nur nach ihr sehen. Er stellte sich zu ihr und starrte ebenfalls wortlos auf das langweilige bunte Bullauge der Maschine.
„Was willst du wissen?“
Dearon tat als hätte er keine Ahnung, worauf sie anspielte.
„Komm schon, du wirst doch nicht hier stehen, weil das Waschprogramm so interessant ist! Also was, willst du wissen?“
Er schmunzelte kurz.
„Ertappt!“ meinte er nur, „Ich wollt nur wissen, ob bei dir alles okay ist!“
Nun musste sie ein wenig schmunzeln.
„Ich kann eine Tür erschaffen, erkenne Schlüssel und habe nun auch noch die Buchseiten ohne weiteres erkannt.“
Wieder ein Schmunzeln von ihm, denn sie wusste, was er wirklich von ihr erfahren wollte.
„Ich wüsste selbst gern, warum ich das kann!“ seufzte sie.
„Und hast du eine Ahnung, warum die ganzen Schlüsselträger aufgetaucht sind?“
„Vielleicht wegen dem Buch?“ Sie wusste es nicht.
Wieder sahen beide auf die Waschmaschine. Dann beschloss Dearon, dass er seine Wäsche auch reinigen lassen könnte.
„Warum sollte man das nicht ausnutzen?“ meinte er und holte seinen Rucksack.
Gleich nachdem Kayleighs Wäsche fertig war und sie sie in den Trockner stopfte, packte er seine Wäsche in die Waschmaschine.
„Na los, komm mit zu den anderen!“ Er winkte sie mit hinaus auf die Terrasse.
Draußen vergnügten sich die Jungs gerade mit einer Pannensendung im Internet. Kayleigh setzte sich zu ihnen, aber sie war so abgelenkt von ihren eigenen Gedanken, dass sie nicht viel von der Sendung mitbekam.

Den ganzen Nachmittag verbrachte die Gruppe ohne große Gedanken an das Buch oder auch an andere Reisende in ihrer gefundenen Behausung bzw. an dem Strand. Für Jentrix bot sich reichlich zum Fotografieren. Einiges, so wie er sagte, würde er sogar verkaufen können.
Nebenbei hatten auch die anderen drei Jungs ihre Wäsche gewaschen und getrocknet. Eine Annehmlichkeit, die sie sich nicht entgehen lassen wollten.
Am Abend wurde es dann etwas ruhiger in der Gruppe. Sie sahen fern oder spielten ein PC-Game.
Nur Kayleigh fühlte sich etwas unwohl und gelangweilt unter den Jungs. Sie machte sich ein wenig Sorgen um ihren Vater und die Tante und darüber was noch alles passieren könnte.
Irgendwann schlief sie dann zwischen den Jungs auf der Couch ein. Nicht dass sie das gewollt hätte.
„Wir sollten sie ins Bett bringen!“ meinte Dearon und noch bevor Jentrix reagieren konnte, hatte Barry sich Kayleigh gegriffen und trug sie in die obere Etage.
Jentrix schien ein klein wenig enttäuscht, richtete sich aber wieder dem TV zu, wo irgendein Fußballspiel lief.

Barry legte Kayleigh vorsichtig aufs Doppelbett und zog ihr die Schuhe aus, die er leise vor dem Bett abstellte. Er setzte sich zu ihr aufs Bett und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Wie hast du das gemacht?“ flüsterte er, „Ob du wirklich nichts weißt?“
Ein paar Minuten blieb er stumm bei ihr sitzen und grübelte scheinbar über irgendetwas nach. Dann ging er wieder die Stufen hinunter und gesellte sich zu den anderen Jungs. Allerdings richtete er sein Interesse nicht auf das Spiel im Fernseher, sondern auf das Fotoalbum, welches Kayleigh seit einer Weile mit sich trug.
Nachdenklich blätterte er die Seiten durch bis zu dem Familienfoto, auf dem ebenfalls sein verschwundener Bruder und die Mutter von Kayleigh und Adrian drauf waren. Lange starrte er auf das Bild, blätterte danach wieder ein paar Seiten vor, als Adrian und Kayleigh noch Kleinkinder waren und dann wieder zurück zum Familienfoto.

Wie so schon so oft vorher, war Kayleigh mitten in der Nacht durch einen Alptraum aufgeschreckt worden.
Müde sah sie sich um. Sie war nicht mehr allein in der oberen Etage. Jentrix, Dearon und Barry lagen in den anderen drei kleineren Betten, die mit auf der oberen Etage standen. Adrian musste allen Anschein nach unten sein.
Leise schlich sie die Treppe barfuß nach unten. Der Fernseher lief noch, wenn auch der Ton runter gedreht war, so dass die Sprecherin ihre Nachrichten nur noch flüsternd von sich gab. Adrian allerdings war eingeschlafen.
Bei ihm auf der Couch lagen das Buch und auch das Fotoalbum, aufgeschlagen beim Familienfoto.
Kayleigh wusste nicht was sie nun machen sollte. Sie konnte nicht mehr schlafen und vielleicht sollte auch irgendwer Wache halten. Also setzte sie sich auf ein freies Stückchen Couch und griff nach dem Buch. Warum sie darauf hoffte, dass gerade jetzt irgendein brauchbarer Text auftauchen würde, wusste sie nicht.
Sie blätterte das Buch einmal ganz durch und alle Seiten waren leer. Doch beim erneuten Durchblättern war plötzlich auf den letzten fünf Seiten etwas aufgetaucht.
Irritiert begann sie zu lesen.

Kurz nach Sonnenaufgang erwachte Dearon und sah sich um. Dass Kayleigh nicht mehr in ihrem Bett lag registrierte er zwar, aber machte sich darüber keine wirklichen Gedanken. Er stand auf und ging nach unten.
Noch immer lief der Fernseher und Adrian saß schlafend davor. Dearon weckte ihn.
„Wo ist Kayleigh?“ wollte er wissen. Allerdings musste er seine Frage wiederholen, da Adrian noch zu müde war, um überhaupt auf seine Frage zu reagieren.
Dann zuckte er nur mit den Schultern und streckte sich.
Dearon suchte die untere Etage ab.
„Scheiße!“ fluchte er plötzlich und Adrian kam sofort angerannt.
„Was ist?“ wollte er wissen.
„Kayleigh ist verschwunden!“
Jentrix und Barry waren durch Dearons Aufschrei aufgewacht und trabten müde die Treppe hinab.
„Was´n los?“ gähnte Jentrix nur.
„Kayleigh ist weg!“ wiederholte Dearon nur und klang dabei recht verzweifelt.
„Schon wieder?“ Das konnte sich Barry nicht verkneifen, obwohl es ihm missfiel, dass sie nicht mehr da war.
Alle Jungs suchten noch einmal das Haus ab.
„Ihr Gepäck ist noch hier!“ meinte Adrian.
„Das war es das letzte Mal auch!“ gab Jentrix gereizt zurück.
Barry allerdings vermisste noch etwas anderes.
„Das Buch! Wo ist das Buch?“ wollte er wissen.
„Hast du gerade keine anderen Probleme?“ fauchte Jentrix ihn an.
„Die Tür war offen, oder?“ stellte Adrian irritiert fest.
„Wieso?“ Dearon wusste nicht, warum er fragte.
„Wenn die Tür offen war, kann sie nicht verschwunden sein!“ erklärte Adrian seine Theorie.
Die anderen drei sahen ihn für einen kurzen Moment verwirrt an.
„Wo ist sie dann?“ wollte Dearon dann wissen.
„Draußen?“ Adrian wusste es nicht. Er vermutete es lediglich und er hoffte es, dass sie nicht durch einen magischen Durchgang verschwunden sei.
Sie stürmten nach draußen, doch Kayleigh saß weder auf der Terrasse noch war sie in der Nähe.
Jentrix sah sich finster blickend um.
„Vielleicht sollte man ihr eine Leine anlegen!“ murmelte Adrian, worauf hin ihn sogar Barry böse ansah, auch wenn ihm der selbe Gedanke gekommen war.
Die Jungs gingen weiter, etwas die Auffahrt hinunter und plötzlich blieb Jentrix stehen. Er starrte zum Strand hinunter.
„Was zum Teufel …?“
Dann ohne weitere Worte stürmte er los. Die anderen brauchten einen kleinen Moment und dann liefen sie ihm nach.

„Kayleigh?“ Er tippte sie vorsichtig an.
Sie lag nah am Wasser, neben ihr das Buch.
„Komm schon, wach auf!“ Er war besorgt.
Die anderen drei hockten ebenfalls um sie herum und sahen sie schockiert an.
„Was ist?“ war ihre müde Reaktion, als sie die besorgten Gesichter sah.
„Was machst du hier?“ Jentrix war aufgebracht.
Sie setzte sich auf, wusste aber nicht was sie antworten sollte. Stattdessen sah sie auf das Wasser.
„Scheiße, Kayleigh, was sollte das? Wieso bist du hier draußen? Wir haben uns Sorgen gemacht!“ schrie Jentrix sie an.
Sie gab keine Antwort, sah ihn aber schuldbewusst an.
Dann reagierte Barry irritiert und laut.
„Was ist mit dem Buch passiert?“ wollte er wissen und hielt es hoch. Das Buch war durchnässt und sandig.
„Was hast du damit gemacht?“
Kayleigh sah nur kurz auf das Buch. Dann sah sie ohne zu antworten weg.
„Was hast du getan?“ Barry packte sie an der Schulter.
„Hey, lass sie in Ruhe!“ Dearon riss ihn von ihr weg und Jentrix zog sie mehr zu sich.
„Deine Sachen?“ stellte Jentrix irritiert fest, „Wieso bist du durchnässt?“
Kayleigh befreite sich von ihm und stand auf.
Sie wirkte ein klein wenig frustriert und verärgert. Noch einmal fiel ihr Blick auf das Buch und dann sah sie zu Jentrix.
„Ich wollte das nicht!“ protestierte sie und ohne eine weitere Erklärung ging sie zurück zum Haus.
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 12:06

Kapitel XXXIII

Kayleigh war zum Ferienhaus zurückgegangen und suchte sich gerade trockene Sachen aus ihrem Rucksack, als die Jungs zurückkehrten und sie irritiert ansahen.
„Was hast du gemacht?“ Barry war verärgert.
Aber auch Adrian war wütend auf sie.
„Wolltest du dich vielleicht ertränken?“ wollte er von ihr wissen.
Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie ihren Bruder an und brachte ein energisches „Nein!“ hervor.
„Aber …?“
Die Jungs verstanden jetzt gar nichts mehr.
Kayleigh wollte nicht wirklich antworten. Sie sah abwechselnd von Adrian auf die anderen Jungs und dann auf das Buch in Barrys Hand.
„Ich wollte das Ding loswerden!“ gab sie zu.
Noch immer verstanden die Jungs nicht was sie meinte.
Wütend ging sie auf Barry zu, so dass er für einen kurzen Moment befürchtete, dass sie ihm eine Ohrfeige verpassen würde. Doch sie riss ihm nur das Buch aus der Hand und fuchtelte wild gestikulierend damit in der Luft herum.
„Ich wollte das Buch ins Meer werfen!“ fing sie an und als Barry sie fragte, weswegen, sah sie ihn finster an, ehe sie weitererzählte:
„Ich hab die Nase voll von dem Ding! Ich will nichts mehr damit zu tun haben!“
Die Jungs befürchteten, dass sie jeden Moment mit dem Buch auf sie los ging.
„Aber wieso bist du dann …?“ fing Adrian wieder an.
„Weil ich das Scheißding aus dem Wasser gefischt habe!“ zischte sie ihn an und warf ihm das Buch zu.
Dann ohne ein weiteres Wort ging sie mit frischen Sachen in der Hand ins Badezimmer und zog die Tür hinter sich zu.
„Was war das gerade?“ flüsterte Dearon Adrian zu, so als wüsste der was gerade vorgefallen war.
Aber Adrian hatte keine Antwort parat.

Während Kayleigh sich umzog, murmelten die Jungs untereinander, was sie von Kayleighs Reaktion halten sollten oder wie sie damit umgehen müssten.
„Sie darf das Buch nicht mehr in die Hand nehmen!“ protestierte Barry sogleich. Seine Sorge war im Moment eher auf das Buch gerichtet, als an Kayleighs Geisteszustand.
„Aber irgendeinen Grund muss es doch geben, dass ...“ fing Dearon an.
„... dass sie so ausrastet?“ vollendete Jentrix den Satz.
Adrian hielt noch immer das Buch in der Hand. Es kam ihm mehr als eigenartig vor, dass sie auf einmal nichts mehr mit dem Buch zu tun haben wollte. Schließlich hatte sie es seit ihrer Kindheit immer wieder in ihren Händen gehabt, fast so als sei es ihr liebstes Buch.
Er schlug das Buch auf. Wie er überrascht feststellen musste, waren die kürzlich gefundenen Seiten wieder mit dem Buch verbunden. Nur wenn man genau hinsah, konnte man die Rissstellen wie einen feinen weißen Streifen sehen. Ansonsten waren die ersten Seiten wie immer leer, so als habe noch nie etwas darin gestanden.
Erst auf den letzten Seiten entdeckte Adrian einen Text. Er schien zusammenhängend zu sein.
Auch Barry, der neben ihm saß und ins Buch sah, wirkte irritiert. Kurz überflog er die ersten Zeilen.
„Was ist das wieder?“ fragte er irritiert.
Der Text hatte nichts mit der eigentlichen Geschichte des Buches zu tun. Es ging nicht um den ersten Schlüssel oder seinen Schöpfer. Und doch erweckte er besonders bei Adrian großes Interesse.



Vigilius hatte James Matthews einen Besuch abgestattet. Natürlich wie immer auf der Suche nach dem Schlüssel seines Vaters. Doch Matthews war weder bereit einen Schlüssel abzugeben noch wusste er etwas von dem gesuchten Schlüssel. Vigilius aber lies sich nicht beirren. Er bestand darauf, dass der Schlüssel im Hause von Matthews sei.
Dem Mann gelang es seinen ungebetenen Besuch fort zustoßen und zu vertreiben. Allerdings wusste Matthews, dass dies bei weitem nicht der einzige ungebetene Gast sein würde. Doch er wusste nicht wie er das verhindern sollte.
Seit einigen Tagen hatte er seine Nichte immer wieder dabei erwischt, wie sie sich heimlich sein Buch aus der Bibliothek nahm und mit sich herum trug. Nur war das Buch meist leer gewesen und so verwunderte es ihn immer, dass sie anscheinend irgendetwas interessantes darin fand.
Eines Tages aber las er selbst ein paar Zeilen im Buch, kurz nachdem er Vigilius vertrieben hatte. Matthews konnte etwas über Thomas Learmont und dem Streit seiner Söhne lesen. Allerdings war nicht zu erkennen, worum es wirklich um den Streit ging.
Das Buch aber verriet, dass Vigilius bei weitem nicht der erste Besucher gewesen sei und weitere folgen würden.
„Sie sind auf der Jagt!“ war ein Satz, der sich in sein Hirn brannte. Doch das Buch erläuterte nicht, wonach die Besucher jagen würden.
Und so schnell wie der Text aufgetaucht war, war er wieder verschwunden.
Matthews war sich sicher, dass er damals als Kind selbst etwas in das Buch geschrieben hatte. Nur war dies hier längst nicht mehr seine Geschichte. Seine war spurlos verschwunden.

James Matthews Nichte Kayleigh saß mit ihrer Mutter im Wohnzimmer, als beide plötzlich auf etwas eigenartiges reagierten. Sie waren allein im Haus und doch hatten sie das Gefühl, als wäre noch jemand oder etwas anderes da.
Als sie ins obere Stockwerk gingen um nachzusehen, spürten sie einen leichten Druck im Magen und sie konnten beide etwas schwach leuchten sehen.
Es kam aus Kayleighs Zimmer. Die Mutter entdeckte den Grund für das ungewöhnliche Licht zuerst.
„Wo hast du das her?“ wollte sie von ihrer Tochter wissen und hielt eine kleine gezeichnete Karte nach oben.
Kayleigh sah sie irritiert an. Ein schwaches Leuchten ging von der Karte aus.
„Hast du die von Jim?“ wollte die Mutter wissen und besah sich die Karte genauer.
„Nein, das hab ich gezeichnet!“ gab das Mädchen zu.
Ein Schmunzeln zeichnete sich im Gesicht der Mutter ab. Sie gab ihrer Tochter die Karte und zog aus ihrer Hosentasche eine ebenfalls schwach leuchtende Karte hervor. Beim genaueren Hinsehen entpuppte sie sich als ein altes Familienfoto.
Kayleigh war neugierig darauf mehr zu erfahren. Ihr Onkel hatte ihr nie viel erzählt über seine Karten, die er teilweise wie eine wertvolle Sammlung hortete und in einem Kästchen in der Bibliothek nahe dem Buch versteckte. Anscheinend hatte nur Kayleigh von den Karten gewusst. Auch diese haben geleuchtet, nur wusste sie nicht warum.
Doch bevor sie ihre Mutter ausfragen konnte, wurden beide durch etwas abgelenkt.
Der leichte Druck im Magen wuchs unangenehm an.
„Nicht gut!“ murmelte die Mutter und sah in Richtung Flur.
Kayleigh wusste nicht was vor sich ging oder was das alles zu bedeuten hätte.

Auf einmal tauchte ein Mann auf. Er war bullig und roch streng.
Sein Blick war auf die Frauen gerichtet.
„Den Schlüssel!“ knurrte er nur. Sein Blick wanderte auf das Mädchen.
Kayleigh und ihre Mutter waren wie erstarrt und wussten nicht was sie machen sollten.
„Gib mir den Schlüssel!“ wiederholte er zornig und zog eine Schusswaffe hervor.
Er machte einen Schritt auf Kayleigh zu, die noch immer keine Ahnung hatte, wovon er redete.
Dann hielt ihm die Mutter ihr Foto entgegen.
Für einen Moment schien der Mann irritiert, riss ihr aber dann das Bild aus den Händen und steckte es ohne weiteres in seine Tasche.
„Ich will den Schlüssel!“ knurrte er erneut und fixierte Kayleigh.
„Aber wir haben keinen weiteren Schlüssel!“ schrie die Mutter den Mann an.
Aber er glaubte ihr nicht und schritt weiter auf das Mädchen zu, die ängstlich nach hinten trat. Dass sie ihre selbst gezeichnete Karte fallen lies, war für den Mann nicht für Interesse.
Die Mutter trat vor den Mann, um ihre Tochter zu schützen.
„Wir haben keinen Schlüssel!“ wiederholte sie.

Der Mann stieß sie zur Seite und sie stürzte zu Boden. Gerade als die Frau sich wieder erheben und sich schützend vor ihre Tochter stellen wollte, richtete der Mann seine Waffe auf sie.
Den Blick aber hielt er auf Kayleigh gerichtet.
„Ich will den ersten Schlüssel!“ drohte er.
Doch das Mädchen stand verängstigt vor ihm, wusste weder was sie ihm antworten noch was sie tun sollte.
Ein lauter Knall.
Erschrocken starrte das Mädchen zu ihrer Mutter, die nun reglos auf dem Boden lag.
Kayleigh wollte zu ihr gehen, als der Mann die Waffe auf sie richtete.
„Deine Schuld!“ meinte er spöttisch, „Du hättest mir den Schlüssel geben sollen!“
„Ich weiß nicht, was sie meinen!“ schrie Kayleigh laut.
Ohne ein weiteres Wort drückte der Mann abermals ab.
Kayleigh fiel zu Boden.
Der Mann ging auf sie zu und starrte auf sie. Im ersten Moment schien er noch erfreut über den vermeintlichen Sieg sein. Doch dann sah er irritiert auf sie hinab.
Was auch immer ihn angelockt hatte, war verschwunden.
„Wo ist der Schlüssel?“ wollte er von dem Mädchen wissen.
Schmerzen durchfuhren ihren Körper. Sie sah ängstlich zu ihm auf. Doch kein Ton kam über ihre Lippen.
„Verdammt!“ schimpfte der Mann lautstark und durchsuchte das Zimmer. Er fand einige kleine Karten, doch sie schienen keine Schlüssel zu sein. Sie strahlten keinerlei Magie aus.
Es war irritierend, denn noch vor wenigen Minuten, hatte er noch einen Schlüssel spüren können. Und nun war das Gefühl verschwunden.
Er ging die anderen Zimmer im Haus ab, doch nirgends fand er einen Schlüssel. Er brauchte fast eine Stunde, bis er erfolglos im Zimmer bei Kayleigh und ihrer toten Mutter wieder auftauchte.
Finster starrte er auf Kayleigh hinab, die kaum noch bei Bewusstsein war und nun inmitten einer Blutlache lag.
Er war sich sicher, dass sie irgendetwas getan hatte und er deswegen keinen Schlüssel im Haus finden konnte.
Dann hörte er ein Auto die Auffahrt hinauf kommen.
„Es ist deine Schuld!“ knurrte er Kayleigh noch einmal entgegen, ehe er wieder auf dem Flur verschwand.

Als James Matthews mit seiner Frau und deren Bruder wieder nach hause kam, war das Haus still. Kein Fernseher oder Radio lief, sie hörten nicht einmal jemanden reden.
Matthews spürte, dass etwas nicht stimmte. Er hatte im Haus viele Schlüssel versteckt. Doch keinen einzigen konnte er nun spüren.
Panisch rief er nach Kayleigh und deren Mutter, doch niemand reagierte.
„Was ist los?“ wollte Matthews Frau wissen. Aber auch sie erhielt keine Antwort.
Matthews rannte die Treppe hinauf und suchte das obere Stockwerk ab.
Erst sein lauter Schrei, rief die anderen beiden nach oben, in das Zimmer, was Kayleigh bewohnte.
„Ruf einen Krankenwagen!“ schrie Matthews beiden entgegen.
Es dauerte eine Weile ehe sie reagierten. Sie waren zu schockiert.
Kayleigh selbst bekam kaum noch etwas mit. Alles was sie sah waren Umrisse. Graue schemenhafte Gestalten.
Dann fielen ihr die Augen endgültig zu.


Als Kayleigh wieder aufwachte, saß Matthews bei ihr. Er machte sich Sorgen und fühlte sich schuldig.
Aber er wirkte auch ein wenig verwundert, so schien es.
Seit dem Überfall in seinem Haus, waren alle Schlüssel wirkungslos. Ebenso die Türen. Und er wusste nicht warum dies so war.
Er versuchte mit Kayleigh darüber zu sprechen, was geschehen war. Doch sie schwieg. Sie wechselte fast einen Monat lang kein Wort mehr mit irgendwem. Nicht einmal mit ihrem Bruder, der noch nicht einmal wusste was geschehen war.
Allen Anschein nach hatte der Vater ihm erzählt, seine Mutter sei bei einem Autounfall verunglückt. Zumindest hatte der Bruder nichts genaueres zu hören bekommen und da die Schwester schwieg, erfuhr er nicht die Wahrheit über das was vorgefallen war.


Nachdem Kayleigh wieder nach hause gekommen war, war sie ein klein wenig verändert. So schien es. Sie hatte den Mord verdrängt und redete mit niemanden darüber. Nicht einmal mit dem Psychologen, den sie mehrmals besuchen musste.
Sehr oft verbrachte sie ihre Zeit in der Bibliothek des Hauses. Sie nahm immer wieder das Buch aus dem Regal und starrte auf die Seiten, die gelegentlich irgendeine Geschichte enthielten und manchmal auch nur leer waren.
Matthews hatte seine Nichte nicht mehr zur Rede gestellt, doch er machte sich noch immer Sorgen um sie und seine restliche Familie. Er gab sich die Schuld an den Geschehnissen.
Er hatte Schlüssel gesammelt, die für andere, die deren Bedeutung kannten, von Interesse sein könnten. Er hatte selbst nie daran gedacht, welche Gefahr die Schlüssel für die Familie bedeuten würden. Nie daran gedacht, was ein Schlüsselsuchender alles tun würde, um an seine Beute zu kommen.
Als Matthews Blick zufälligerweise in das Buch fiel, bemerkte er einen Satz.
„Der erste Schlüssel ist fort!“
Er wusste nicht, was dies zu bedeuten hatte. Nicht wirklich. Ebenso wenig schien seine Nichte damit etwas anfangen zu können.
„Der Mann hat ihn mitgenommen!“ flüsterte Kayleigh nur.
Matthews schien sich dessen nicht so sicher zu sein.


Knapp zwei Jahre nach dem Mord an Kayleighs Mutter tauchte zum ersten Mal erneut ein Fremder auf. Er stand in der Bibliothek und wirkte verwirrt. Er war durch irgend etwas angelockt worden.
Matthews stand dem Fremden gegenüber, ebenso verwirrt. Bis jetzt hatten keine Türen mehr als magische Durchgänge funktioniert.
Ihm gelang es den Fremden zu vertreiben. Allerdings so war sich Matthews nun sicher, würde bestimmt wieder einer im Haus auftauchen. Auf der Suche nach Schlüsseln. So packte er alles seine Schlüssel ein, auch wenn diese, bis auf den den er immer bei sich trug, unbrauchbar waren und schritt an das Gemälde in der Bibliothek. Dass er dort einst eine Tür an die Wand gezeichnet hatte, wusste niemand außer ihm. Und wenn er gehen würde und alle seine Schlüssel mit sich nähme, wäre seine Familie außer Gefahr.
Und so ging er. Ohne ein Wort!



Stumm sahen Barry, Adrian und die anderen beiden auf die Seiten.
„Kein Wunder, dass sie so reagiert hat!“ meinte Dearon leise.
Adrian schien verwirrt. Zum einen deckte sich die Geschichte mit der, die ihm Kayleigh vor wenigen Tagen erzählt hatte. Zum anderen, gab es etwas was Kayleigh ihm nicht erzählt hatte. Vielleicht hatte sie es nicht gewusst oder sie hatte es nicht erzählen wollen?
„Mom wusste von den Schlüsseln?“ murmelte er vor sich hin.
Barry allerdings hatte eine andere Frage, die ihm im Geist herum spukte.
„Was soll das heißen, der erste Schlüssel ist fort?“
Jentrix stand auf und sah in Richtung Badezimmer. Kayleigh war noch immer nicht raus gekommen.
Adrian klappte das Buch zu und drückte es Barry in die Hand. Dann stand auch er auf und ging zum Badezimmer. Er klopfte kurz an und zog dann die Tür auf.
„Kayleigh?“ fragte er leise.
Jentrix und Dearon waren ihm gefolgt und sahen ihm besorgt über die Schulter.

Kayleigh saß auf dem Fußboden vor der Badewanne und sah zu ihrem Bruder mit Tränen in den Augen auf.
„Ich … wollte das nicht!“ gab sie kaum hörbar von sich.
Adrian ging zu ihr und hockte sich vor sie.
„Es ist meine Schuld!“ meinte sie zu ihm, ehe sie ihm um den Hals fiel.
Adrian wollte ihr sagen, dass dies nicht stimmte und sie es nicht hätte verhindern können, doch kein Wort kam ihm über die Lippen. Er hielt sie einfach nur fest.
Jentrix und Dearon gingen wieder zu Barry, der noch immer auf der Couch saß und noch einmal auf den Text starrte.
„Und nun?“ wollte Dearon wissen.
Barry sah auf.
„Wir müssen den Schlüssel finden!“ antwortete er nur.
Jentrix wollte ihm entgegen brüllen, dass er doch ziemlich herzlos sei, da ihn die Geschichte kalt zu lassen schien. Doch er schluckte seinen Zorn runter.
„Arschloch!“ rutschte ihm dennoch raus. Dann ging er zur Küchenzeile und griff nach einer Flasche Limonade, die noch vom Vorabend herum stand.
Stille kehrte wieder ein und jeder schien im Moment mit seinen Gedanken für sich zu sein.
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 12:07

Kapitel XXXIV

„Ich möchte nach hause!“ Es klang fast so, als hätte dies ein kleines ungeduldiges Kind gesagt. Doch es war eine über fünfzigjährige Frau. Eigentlich.
Genau wie ihr Bruder war sie seit einiger Zeit auf reisen, wenn auch unfreiwillig. Und wie auch ihr Bruder, hatte sie keine Idee wo sie nun wieder gelandet waren oder wie sie dorthin gelangt waren.
Noch immer erschien ihnen die Reise zu unwirklich.
Und allmählich waren sie des Reisens überdrüssig.
„Ich will hier auch weg!“ bekam sie nur als Antwort.
Sie waren müde und könnten fast schon im Stehen einschlafen, doch dies wäre angesichts ihrer ihnen unbekannten Umgebung alles andere als angebracht.
Wo genau sie gelandet waren, konnten sie nur erahnen. Vermutlich irgendwo in Asien. Es hätte können aber auch einfach nur ein Asiatisches Viertel in irgendeiner Großstadt sein.
Sie konnten sich weder mit den Einwohnern verständigen, noch besaßen sie irgendetwas, womit sie sich etwas zu Essen oder eine Unterkunft leisten konnten. Alles was sie hatten, war eine seltsame Karte und die war mit Sicherheit nichts wert.

„Kommt mit!“ Eine raue Stimme mit britischem Akzent riss beide aus ihren Gedanken und aus dem Sekundenschlaf.
Ein alter Mann mit grauen Haar und wachem Augen stand ihnen gegenüber. Wie alt er wirklich sein mochte, war nicht zu erkennen. Vermutlich um die achtzig, vielleicht auch älter.
„Wenn ihr eine Unterkunft sucht, dann kommt mit!“ wiederholte er. Er klang ein klein wenig mürrisch. Vielleicht war er auch einfach nur ungeduldig.
Richard und Meryl sahen ihn fragend an. Sie kannten ihn nicht und sie waren, aufgrund ihrer sonderbaren Erfahrungen, die sie auf ihren Reisen gesammelt hatten, ein wenig misstrauisch.
Doch der Mann lies nicht locker.
„Ich weiß etwas über eure Kinder!“ meinte er.
Dies schien zu wirken, denn Meryl warf ihrem Bruder einen eindringlichen Blick zu.
„Wo sind sie?“ wollte Richard erstmal wissen. Vorsicht war besser, fand er.
„Kommt mit! Dann kann ich es euch erklären!“
Meryl packte ihren Bruder am Arm und bedeutete ihr mit einem leichten Stoß in die Rippen, dass er doch nachgeben sollte.
Nicht nur, dass der Fremde ihnen eine Unterkunft bot. Er könnte ihnen helfen Kayleigh und Adrian zu finden.
Er traute dem Mann zwar nicht, aber er gab nach. Unter anderem seiner Schwester zu liebe.
Sie gingen mit ihm mit, bis zur nächsten Tür. Der Alte öffnete die Tür und auf der anderen Seite war eine mit dunklem Holz eingerichtete Bibliothek zu sehen. Ein Raum, der unmöglich hinter der Tür hätte sein können. Er passte nicht im geringsten in die Gegend.
Der alte Mann machte eine einladende Geste und lies beide eintreten. Dann trat auch er durch die Tür und verschloss sie wieder.
„Wo sind wir hier?“ wollte Richard als erstes wissen.
Der Alte ging an ihm vorbei, dann durch einen Türbogen und rief ihnen dann zu ihm zu folgen.
Neugierig auf die Neuigkeiten über ihre vermisste Familie und auch auf das was sie sonst noch erwarten würde, aber dennoch vorsichtig folgten sie dem Alten und fanden ihn ein paar Räume weiter in einer hellen und irgendwie alten Küche.
Der Mann war gerade dabei Tee für drei zu kochen und bat sie sich zu setzen, was sie auch wortlos machten.
Mit dem Teetassen in der Hand, gesellte er sich dann zu ihnen und stellte sich vor.
„Ihr könnt mich Keys nennen!“
Beide sahen ihn irritiert an.
„Wo sind Kayleigh und Adrian?“ Richard war es wichtiger zu erfahren, wo seine Kinder waren und ob es ihnen gut ging. Welchen Namen der Kerl bevorzugte, interessierte ihn dafür rein gar nicht.
Keys nahm einen Schluck von seinem Tee und sah Richard dabei streng an.
Einerseits wirkte er recht charmant und dann auch irgendwie recht autoritär, so als wäre er höher gestellt als sie.
„Ich weiß es nicht!“ antwortete Keys schließlich und nahm einen weiten Schluck Tee zu sich.
„Du hast gesagt, du weißt wo sie sind!“ schimpfte Meryl.
„Ich habe gelogen!“ gab er zu und schien ein klein wenig amüsiert, „Ihr wärt mir nicht gefolgt, wenn ich euch die Wahrheit gesagt hätte!“
Damit hatte er zwar recht, aber das machte ihn noch weniger vertrauenswürdig als ohnehin.
„Meryl, wir gehen!“ Richard sprang auf und ging in Richtung Tür.
„Wo wollt ihr hin?“ wollte Keys wissen, „Ihr kommt hier nicht weg!“
Meryl sah zwischen den beiden Männern hin und her und erhob sich langsam von ihrem Platz.
„Egal!“ meinte Richard und zog seine Karte hervor, „Hiermit komm ich überall hin!“
Ein Schmunzeln huschte über Keys Gesicht.
„Im Moment nicht!“ meinte er, „Der Schlüssel ist unbrauchbar!“
Keys stand langsam auf und ging auf Richard zu.
„Du lügst schon wieder!“ schrie Richard ihn an, „Meryl, wir gehen!“
Sie machte ein paar Schritte zu ihrem Bruder.
„Ihr könnt hier bleiben! Ihr kommt mit dem Schlüssel oder jedem anderen nicht aus dem Haus!“ Ohne weiteres griff Keys nach der Schlüsselkarte in Richards Hand und entriss sie ihm.
Dann ging er wieder in Richtung Bibliothek.
Richard lief ihm nach, doch er fand den alten Mann nicht.
„Scheiße!“ schrie er laut.
„Was ist los?“ wollte Meryl wissen und kam angerannt.
„Er ist weg und er hat die Karte mitgenommen!“ schrie Richard seine Schwester an.
Dann ging Richard zur Tür und öffnete sie. Doch er fand dahinter nur den Hausflur. Er schloss die Tür wieder und als er sie wieder öffnete, hatte sich das Bild dahinter nicht verändert.
„Verdammt!“ fluchte er, stürmte den Flur entlang und griff nach der nächsten Türklinge. Er testete alle Türen, doch alles was er dahinter fand, war ein Raum, der auch zu diesem Haus gehörte. Es gab keinen magischen Durchgang.
Als er dann zur Haustür ging und auch sie zu öffnen versuchte, war sie verschlossen. So hämmerte er dagegen. Doch es passierte nichts.

„Es wird euch keiner hören!“ war plötzlich wieder Keys Stimme zu vernehmen.
Er war durch eine Tür getreten, die Richard kurz zuvor getestet hatte. Woher der Alte nun kam, war für ihn unverständlich, denn der Raum war leer gewesen.
„Wo verdammt noch mal sind wir?“ schrie Richard ihn an. Er war wütend. Wütend darüber, dass man ihn zum Narren gehalten hat und wütend darüber, dass er darauf reingefallen war.
Keys hingegen war noch immer ruhig.
„Ihr seid in meinem Haus!“ antwortete er nur.
„Wo genau?“ wollte Meryl wissen. Auch sie war wütend über den Verrat, aber im Gegensatz zu ihrem Bruder hatte sie sich besser unter Kontrolle.
„Ambleside!“
Beide verstanden kein Wort.
„Im Lake District, Nordengland!“
Meryl nickte nur, obwohl sie noch immer keine Ahnung hatte, wo genau sie sich nun befanden.
„Was willst du von uns?“ Richards brummige Stimme riss sie wieder aus ihren Gedanken.
„Ein paar Antworten!“ meinte Keys nur und ging wieder in die Küche.
Dass die beiden ihm folgen würden, war ihm bewusst.
„Was für Antworten?“ Meryl setzte sich als erstes wieder zu Keys an den Tisch.
„Wo sind Kayleigh und Adrian?“
Richard und Meryl sahen ihn fragend an. Dass er ihnen diese Frage stellte war irritierend. Schließlich hatten sie die Antwort doch von ihm erhofft.
Beide beteuerten, dass sie nicht im Geringsten eine Ahnung hätten wo beide seien. Sie hätten sie gleich nach ihrem ungewöhnlichen Reisestart verloren.
Keys nickte nur.
„Ich hatte gehofft, dass ihr mehr wisst!“ meinte er nachdenklich und stellte dann seine nächste Frage:
„Was wisst ihr über die Schlüssel?“
Wieder sahen sie ihn fragend an.
„Was für Schlüssel?“ fragte Meryl nach.
„Ihr seid mit einem Schlüssel unterwegs gewesen!“ Keys musterte sie.
„Wir hatten nur diese komische Karte!“ kam von Richard. Er hatte sich ein klein wenig beruhigt und setzte sich wieder neben seine Schwester. Um irgendetwas zu tun, spielte er mit seiner Teetasse.
„Das Buch?“ wollte Keys als nächstes wissen.
„Was für ein Buch?“ Richard hatte keine Ahnung wovon der Kerl sprach.
„Einer der beiden hat ein Buch bei sich ...“ fing Keys an.
„Kayleigh hatte ein Buch!“ fiel Meryl ein, „Sie hat es immer bei sich gehabt, wenn sie mich besucht hat!“
Keys überlegte kurz.
Dann meinte er nur:
„Fühlt euch wie zu hause!“
Und wieder ging er aus dem Raum. Doch diesmal ging er die Stufen nach oben und ging in eines der Zimmer in der oberen Etage. Was auch immer er da tat, er wollte diesmal nicht wieder verschwinden.


„Hallo Bruder!“ antwortete Vigilius dem alten Mann, „Du hattest gerade Besuch?“
Das war natürlich nur eine Fangfrage, den deutlich konnte er noch die Spur ihrer Schlüssel spüren.
„Was führt dich zu mir?“ wollte der Alte wissen, „Doch nicht etwa die alte Geschichte?“
Auch dies war mehr oder weniger eine Fangfrage.
Vigilius überlegte kurz.
„Ich will den ersten Schlüssel!“ meinte Vigilius dann, „Aber ich weiß nicht, wo er ist!“
Der Alte schmunzelte.
„Ich verstehe nicht, warum du die ganze Zeit danach suchst!“ kam dann von ihm. Er war ruhig. Weder Besorgnis noch Wut lag in seiner Stimme.
„Du weißt dass er mir gehört!“ Vigilius war kurz davor, wieder zornig zu werden.
„Warum glaubst du das?“
Darauf hatte Vigilius keine Antwort. Im Grunde wusste er nur, dass er den Schlüssel und die dazugehörige Macht besitzen wollte. Und er wusste, dass er nicht der einzige war, der nach dem Schlüssel trachtete.
„Sie hat ihn, oder?“ wollte er dann wissen.
Der Alte sah ihn fragend an, so als wüsste er nicht, wenn Vigilius meinte.
„Das Mädchen … ich hab gesehen, was sie kann! Sie muss den Schlüssel haben!“
Der Alte schwieg. Eindringlich sah er seinen Bruder an. Für einen Moment konnte man dessen wirkliches Alter vergessen und sein Handeln oder seinen Starrsinn mit seiner sichtbaren Jugend abtun. Doch er wusste, wie alt Vigilius wirklich war.
„Du hast viel Zeit vergeudet!“ seufzte er nur. Ein klein wenig bedauern lag in seiner Stimme. Nur dass Vigilius nicht bedauert werden wollte.
„Sie hat den Schlüssel, oder? Ansonsten hätte sie keine Tür erschaffen können!“ kam zornig von Vigilius.
Sein Bruder hatte nicht vor zu antworten.
„Sie muss den Schlüssel haben. Sie hat die selbe Kraft wie Vater!“ protestierte Vigilius und klang dabei wie ein kleines Kind, das man bei der Geschenkverteilung übergangen hatte.
Noch immer blieb sein Bruder ruhig. Er hatte keine Lust sich mit dem Jüngeren zu streiten.
Doch dann stellte er Vigilius eine Frage, die den Jüngeren irritierte.
„Was wäre, wenn Thomas noch lebt?“
„Was?“
„Müsste der erste Schlüssel dann nicht bei ihm sein?“ wollte der Ältere wissen.
Vigilius sah ihn mit großen Augen an.
„Du solltest deine Suche endlich aufgeben! Genies das Leben doch ein wenig!“ meinte sein Bruder nur.
Dann stand er von seinem Platz auf und ging aus dem Zimmer.
Er hatte Vigilius zum Nachdenken gebracht.


Richard und Meryl schritten vorsichtig die Stufen nach oben. Sie wollten unter anderem wissen, was der Alte mit ihnen vor hatte.
Sie fanden den Mann in einem kleinen Zimmer. Ein paar Fotos hingen an einer Wand. Uralte Familienfotos und auch ein Gemälde, auf dem ein Mann um die dreißig mit zwei Jungen abgebildet war. Vermutlich war auch dies ein Familienportrait, denn die Augen des Mannes ähnelten dem von Keys, wenn er es nicht sogar war.
Die zweite Wand war von einem Regal verdeckt, in dem zahlreiche Souvenirs aus aller Welt standen. Vor der dritten Wand stand ein kleiner alter Holztisch und ein ebenso alter Drehstuhl aus Holz. Daneben eine Truhe aus dunklem Eichenholz und feiner Schnitzerei.
Alles im Raum wirkte recht alt. Vermutlich mindestens ein Jahrhundert alt. Sogar Keys wirkte in dem Raum viel älter als er aussah.
Er sah kurz auf, als er die beiden in der Tür stehend bemerkte.
Er wirkte müde.
„Was ist das?“ wollte Meryl wissen und zeigte auf die Truhe, die offen stand. Darin waren viele kleine Karten. Die ganze Truhe schien voll damit zu sein.
„Schlüssel!“ antwortete er nur.
Richard musterte die Schlüsselkarten von seinem Platz aus.
„Sie funktionieren nicht mehr!“ meinte Keys daraufhin.
Das gefiel Richard nicht, denn er hatte gehofft, dass er mit einer der Karten aus dem Haus fliehen könnte.
„Ihr solltet hier bleiben!“
„Wieso?“ wollte Richard wissen.
„Hier seid ihr sicher. Da draußen könnte es zu gefährlich werden!“ antwortete Keys nur und griff in die Truhe.
„Wieso sollte es gefährlich werden?“
„Weil viele nach Schlüsseln suchen und sie werden alles tun, um an einen Schlüssel zu kommen!“ Keys hatte eine Karte aus der Truhe genommen und sah bedrückt darauf.
„Besonders wenn es um den ersten Schlüssel geht!“ kam leise von ihm und er hielt den beiden seine Karte entgegen.
Richard war klar, dass Keys ihm nicht die Möglichkeit zur Flucht in die Hand drücken würde. Aber dennoch griff er nach der Karte und sah darauf.
Die Karte sah aus wie ein altes Familienfoto.
„Wo hast du das her?“ wollte Richard gleich wissen. Er hatte die Karte wieder erkannt.
Meryl warf ebenfalls einen Blick darauf. Auch sie hatte das Foto schon einmal gesehen, nur konnte sie sich nicht sofort daran erinnern wann und wo sie es gesehen hatte.
Keys antwortete nicht. Noch immer sah er bedrückt drein.
„Wo hast du das Foto her?“
„Gerade du solltest wissen, wie gefährlich die Schlüssel sein können! Oder zumindest die Jäger!“ meinte Keys, „Das war der Schlüssel deiner Frau. Deiner wunderschönen Evangeline!“
Er sprach den Namen schon fast sehnsüchtig aus.
„Hast du …?“
„Ich bin nicht schuld an ihrem Tod!“ Keys schluckte kurz, „Ich habe den Schlüssel von ihrem Mörder!“
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 12:08

Kapitel XXXV

Die Stimmung schien am Tiefpunkt angelangt zu sein. Allerdings war dies wenig verwunderlich. Nicht jeden Tag erfährt man, wie ein geliebter Mensch geht und nicht jeden Tag wurde einem vor Augen geführt, wie gefährlich eine Sache werden könnte, bei der man keine Kontrolle hat.
Barry starrte immer wieder auf die Buchseiten und suchte nach irgendeinen Anhaltspunkt zu dem ersten Schlüssel. Das Buch hatte ihn erwähnt, wenn auch nur kurz.
Adrian hatte seine Schwester wieder beruhigen können und saß nun vor ihrem Bett, so als müsse er ihren Schlaf bewachen.
Jentrix und Dearon starrten auf die Nachrichten im TV. Nicht dass es dort irgendeinen interessanten Bericht gäbe. Doch sie konnten im Moment nicht viel tun.

Stunden später war Kayleigh wieder aufgewacht. Wie immer durch einen Alptraum. Leise schlich sie sich ins Wohnzimmer.
Die Langeweile und die Stille hatten die Jungs schläfrig gemacht. Sie war die einzige, die im Moment wach und auf den Beinen war.
Das Buch, das bei Barry lag, ignorierte sie. Das Fotoalbum hingegen packte sie wieder in ihren Rucksack. Irgendwie packte sie langsam und leise ihre Sachen zusammen.
„Willst du schon wieder weglaufen?“ Dearon war wach geworden. Anscheinend hatte er nicht wirklich geschlafen.
Müde sah er sie von seinem Platz aus an.
„Wir können nicht mehr lange hier bleiben!“ antwortete sie nur und ging in den Küchenteil, um nach Essbarem zu suchen.
Dearon stand auf und ging zu ihr.
„Es tut mir leid!“ begann er. Mitleid in seiner Stimme.
Kayleigh reagierte gar nicht darauf.
„Es ist nicht deine Schuld!“
Sie hielt in ihrer Suche inne und drehte sich zu ihm um. Eigentlich hatte sie ihn anschreien wollen, unter anderem, weil sie glaubte, dass sie sich danach besser fühlen würde. Als würde es ihr helfen, ihre Wut über die vergangene Tat heraus zu schreien.
Doch sie traute sich nicht. Nicht nur, dass sie im Grunde ein ziemlich ruhiger Mensch war, der den meisten Kummer lieber runter schluckte. So war es auch sein Gesichtsausdruck, der sie zurück hielt.
Dearon selbst schien ein wenig hilflos. Zumindest sah er so aus.
„Du konntest nichts dagegen tun! Du warst ein Kind!“ gab er leise von sich.
Wieder überkam Kayleigh das Gefühl, sie müsse darauf irgendwie negativ reagieren. Auch wenn er recht hatte, so redete sie sich selbst das Gegenteil ein.
Sie überlegte noch, was sie zu ihm sagen sollte, vielleicht dass er lieber nichts mehr über den Text des Buches sagen sollte, als er sie ohne Vorwarnung umarmte und fest an sich drückte.
Für einen Moment kam sie sich vor als hätte man sie in einen Schraubstock geklemmt und sie wusste nicht was sie dagegen tun könnte, außer die Umarmung zu zulassen.
„Du bist nicht allein!“
Kayleigh war verwirrt.
„Du musst das alles nicht allein durchstehen!“ flüsterte Dearon, wobei er sie nicht losließ.

„Kuschelstunde?“
Beide erschraken und Dearon lies von Kayleigh ab.
Jentrix stand vor ihnen und musterte sie.
„Stör ich irgendwie?“ Vermutlich sollte es wie ein Scherz klingen, aber ein Hauch Eifersucht lag in seiner Stimme.
Dearon schmunzelte kurz.
„Du solltest deine Freundin davon abhalten wegzulaufen!“ meinte er dann frech, ging an seinem Kumpel vorbei und sammelte seine Sachen zusammen.
Kayleigh war rot angelaufen und stand wie angewurzelt da.
„Ich wollte … nicht ...“ stotterte sie unbeholfen.
Jentrix zog eine Augenbraue nach oben und nickte.
„Okay, ich … pack am besten auch meine Sachen!“ meinte er dann, drehte sich um und ging.
Noch immer verwirrt starrte Kayleigh ihm nach, schüttelte dann irritiert den Kopf und machte sich dann wieder daran, Essen zusammen zu suchen, welches sie mitnehmen könnten.

Während die beiden jungen Männer ihre Taschen packten, flüsterten sie miteinander. Es ging allerdings nicht um die Reise oder um die möglichen Gefahren. Es ging um Kayleigh.
„Was sollte das gerade?“ wollte Jentrix von seinem Freund wissen.
„Was meist du? Die Umarmung oder mein Spruch?“ Dearon wusste, dass Jentrix vermutlich beides meinte.
Jentrix sah ihn streng an und murmelte etwas davon, dass Dearon sehr wohl wisse, worum es ging.
„Sag es ihr!“ kam nur von Dearon, während er ein T-Shirt vom Fußboden aufhob.
„Was jetzt?“ Jentrix grübelte kurz.
„Jetzt entscheide dich mal!“ meinte er dann, „Du hast gesagt, ich soll die Finger von ihr lassen!“
Dearon schmunzelte.
„Als wenn du das könntest!“ kam von ihm.
Jentrix wollte etwas entgegnen, aber da ihm nichts passendes einfiel, sah er ihn nur verwirrt an.
„Jeder kriegt mit, dass du auf sie stehst. Sogar ihr Ex weiß es!“ kam von Dearon.
„Ja, aber ...“ Jentrix wusste nicht wie er darauf reagieren sollte.
In dem Moment kam Adrian müde angeschlürft, sah die beiden beim Packen und blieb neben Jentrix stehen.
„Du solltest ihr sagen, dass du auf sie stehst! Sie ist zwar ein bisschen eigenartig und ...“ Adrian grübelte nach dem passenden Wort, „... schüchtern, aber sie ist okay! Du solltest deine Chancen nutzen!“
Jentrix sah ihn fragend an.
„Sie scheint dich auch sehr zu mögen!“ fügte Adrian dann hinzu.
„Gibt´s gerade nichts anderes, als das? Fehlt nur noch dass Barry mich wegen Kayleigh vollquatscht!“ platzte es Jentrix heraus.
„Der ist zu sehr mit dem Buch beschäftigt!“ meinte Adrian nur dazu und ging weiter.
Dearon wollte gerade irgendwas zu Jentrix sagen, als dieser meinte, dass er keine Lust hätte, weiter Kuppeltipps anzuhören.
Schnell packte er seine Sachen zusammen und ging dann mit dem Rucksack auf die Terrasse. Er brauchte ein wenig Ruhe und frische Luft. Unter anderem zum Nachdenken.

Es dauerte nicht lange, da war auch Barry wach. Allerdings war er nicht sanft geweckt worden. Adrian hatte ihm das Buch aus der Hand gerissen und gemeint, dass sie jeden Moment aufbrechen wollten.
Und nach wenigen Minuten hatten auch Barry und Adrian ihre Rucksäcke wieder gepackt. Sie hatten das wenige noch verpackte Essen eingesteckt. So hätten sie zumindest etwas, egal wo sie ankommen würden.
Nun standen sie alle vor der leicht geöffneten Eingangstür und warteten.
„Wäre schön wenn man sich raus suchen könnte, wo man hin will!“ seufzte Adrian und suchte seine Schlüsselkarten durch.
„Wo würdest du hin wollen?“ wollte Dearon von ihm wissen.
Adrian grübelte, zog eine Karte mit einem Landschaftsfoto hervor, die leicht leuchtete, und ging damit auf die Tür zu.
„Ich weiß nicht, Island wäre vermutlich schön!“ meinte er dann, schloss die Tür, fuhr mit der Karte die dünne Linie zwischen Tür und Rahmen nach und öffnete die Tür dann.
Dann machte er eine einladende Geste und lies seine Schwester und die drei jungen Männer hindurch, ehe auch er durch die Tür trat.
Das Chaos was sie in dem Ferienhaus hinterlassen hatten war ihnen egal. Wichtiger war wo sie nun ankommen würden.

„Das ist ein Scherz, oder?“ wollte Adrian wissen, als auch er durch die Tür getreten war.
Die Landschaft vor ihm sah genauso aus, wie auf der Schlüsselkarte. Außer dass hier ein paar mehr Häuser standen als auf dem Motiv.
Die Jungs sahen ihn irritiert an und er zeigte ihnen die Karte.
„Island!“ kam von Dearon und er verglich das Bild mit der Realität, „Wir sind also jetzt in Island!“
Ehe sie sich Gedanken machen konnten, wie genau sie hier gelandet waren, kam ein aufgebrachtes älteres Ehepaar angestürmt. Die Frau mit einem Besen bewaffnet und der Mann wild gestikulierend und fluchend. Allerdings war nicht verständlich, was er sagte.
„Ich glaube, wir sollten abhauen!“ meinte Kayleigh.
„Besser ist!“ gab Jentrix zu.
Die Gruppe war auf dem Grundstück des Ehepaars gelandet, wobei es viel eher so aussah, als seien sie gerade aus dem Haus gekommen. Natürlich war das Paar nicht erfreut darüber, dass man anscheinend gerade ihr Haus ausrauben wollte. Oder sie waren Besuch im allgemeinen abgeneigt.
Sie wollten nicht bleiben, um das heraus zu finden und so rannten sie einfach los.
Erst nach einem ziemlich weiten Lauf, blieben sie wieder stehen. Auch wenn sie quer feldein gelaufen waren, so hatte das nicht viel an der Aussicht verändert.
Flaches Grasland, mit vereinzelt grasenden Schafen, am Hang eines Berges.
„Island!“ seufzte Adrian nur und sah sich weiter um.
Die Ansammlung der Häuser deutete mehr oder weniger nur auf ein Dorf höchstens auf eine Kleinstadt hin. Ob es sicher wäre dort hinzugehen?
Kayleigh schien dagegen, denn sie ging einfach weiter über die Wiese. Immer weiter weg von der Siedlung.
„Ist ein wenig frischer hier!“ bemerkte Barry nur und versuchte seine Jacke aus dem Rucksack zu bekommen, ohne ihn abzusetzen.
Er hatte recht, während die Temperaturen in ihrem vorherigen Versteck sommerlich bzw. tropisch waren, herrschten hier gerade mal frühlingshafte fünfzehn Grad Celsius. Grob geschätzt. Zudem war es bewölkt und machte den Eindruck als könnte es jeden Moment zu regnen beginnen.
Die Jungs zogen sich alle ihre Jacke über und Adrian fischte die Jacke hervor, die Kayleigh von ihrem Ausflug nach Kanada mitgebracht hatte.
Da sie einfach weiter gelaufen war, brauchte er ein paar Minuten um sie einzuholen.
„Deine Jacke!“ meinte er und hielt sie ihr hin.
Kayleigh sah nur darauf, als verstünde sie nicht, wozu sie gut sein sollte. Dann nahm sie sie ihm ab und ging weiter.
„Willst du sie nicht anziehen?“ kam von ihm.
Kayleigh schmunzelte leicht.
„Ehrlich gesagt, ist mir warm!“
Adrian resignierte. Er hatte vergessen, dass Kayleigh die kühleren Temperaturen liebte, während sie eigentlich immer mit den warmen Temperaturen zu kämpfen hatte. Ein klein wenig untypisch für Frauen, dachte er sich. Aber Kayleigh war schon immer ein wenig anders gewesen, als alle Frauen, die er je kennen gelernt hatte.
Kayleigh behielt die Jacke einfach in der Hand und zusammen mit ihrem Bruder spazierten sie voran ins Ungewisse.
Jentrix hatte seine Kamera wieder hervor geholt. Er knipste die Gegend, sowie auch seine Begleiter. Irgendwie schien er immer etwas zu finden, dass sich für ein Foto lohnte.

Sie wanderten ziemlich lange umher, vielleicht so lange wie damals in Finnland. Und genau wie in Finnland fanden sie ein klein wenig abseits von allem ein Haus.
Zumindest sah es einem Haus ähnlich. Während eine Hauswand fast vollständig aus Glas bestand, war die gegenüberliegende Wand im Felsgestein verschwunden. Anscheinend hatte man es so gebaut.

„Ich seh nach!“ meinte Barry gleich und schlich sich an das Haus heran. Er wollte weniger wissen, warum der Flachbau so eigenartig gebaut war, als vielmehr ob es unbewohnt war.
Er schlich um das Haus herum, starrte durch die großen Fenster und winkte die anderen dann heran.
„Keiner da!“ meinte er nur und ging an die Haustür, die logischer weise verschlossen war.
Ehe einer der anderen vier etwas sagen konnte, trat Barry fest gegen die Tür und riss sie beinahe aus den Angeln. Das Schloss war kaputt gegangen, doch das war im Grunde egal.
„Da haben wir wenigstens ein Dach über den Kopf!“ war seine Meinung und er trat ein.
Mit einem Schulterzucken und einem fragenden Blick zueinander traten die anderen ein.
Wie Barry gesagt hatte war das Haus unbewohnt, aber keineswegs leer stehend.
„Schon wieder ein Ferienhaus?“ stellte Adrian irritiert fest. Doch interessieren tat es im Grunde niemanden.
Die Türen im Haus wurden aufgerissen, eine Vorsichtsmaßnahme gegen andere Schlüsselreisende, die sie bis jetzt immer angewendet hatten.
Und kaum hatten sie ihre Taschen wieder abgesetzt und gingen alle wieder mehr oder weniger ihrer Lieblingsbeschäftigung nach. Adrian hatte das Buch an sich genommen und las immer wieder die selben Zeilen. Es war weniger der Mord an seiner Mutter, der ihn interessierte, als vielmehr die Information, dass auch sie irgendetwas über die Schlüssel wusste.
Barry hatte eigentlich wie immer nach dem Buch greifen wollen, aber da es nun in Adrians Händen war, musste er sich mit etwas anderem beschäftigen und so sah er sich das Fotoalbum an, das Kayleigh seit einer Weile mit sich herum trug. Nach einer Weile verharrte Barry mit grüblerischem Blick auf einem Foto.
Dearon hatte wie immer seine E-Mails kontrolliert und im Internet nach ein paar Neuigkeiten auf Micas Vermisstenseite gesucht und sah sich nun die Fotos an, die Jentrix gemacht hatte.
Eine Weile hatte Jentrix ebenfalls seine Fotos mit durchgesehen. Dann aber wollte er sich mal wieder bei seiner Familie melden und rief bei ihnen an. Die waren erfreut, mal wieder von ihm zu hören und waren verwundert, wo er jetzt schon wieder steckte. Für seine Familie war Jentrix eine Art Reisefotograf, zumindest verdiente er sich damit sein Geld, auch wenn er bis jetzt gerade mal zwei kleine Bücher mit Fotos herausgebracht hatte. Die meisten seiner Fotos waren bis jetzt nur in ein paar Zeitungen und vielleicht auch in ein paar Reisekatalogen aufgetaucht.
Kayleigh hatte ebenfalls versucht zu telefonieren. Sie hatte das Handy aus Adrians Rucksack stibitzt und Micas Nummer angerufen. Allerdings erreichte sie lediglich die Mailbox. Kurz überlegte sie, wieder aufzulegen, doch dann hinterließ sie Mica die Nachricht, dass sie ihn unbedingt sprechen müsste.
Da sie nicht wusste, was sie nun tun könnte und alle mit irgendetwas beschäftigt waren, ging sie alle Zimmer des Hauses ab. Sie wusste nicht, wonach sie suchte oder was die Sache überhaupt bringen sollte. Und nachdem es nichts zu finden gab, ging sie zurück zu den Jungs, die allesamt noch beschäftigt waren.
Dass Barry noch immer auf ein und das selbe Bild starrte oder Adrian immer wieder die selben Zeilen las, ignorierte sie. Ihr war ein anderer Gedanke gekommen.

Sie ging noch einmal alles durch. Jede ihrer Reiseziele und wie sie dort gelandet waren.
Zwei mal hatte sie eine Tür geschaffen, mehrmals Schlüssel und die passenden Türen entdeckt und sie spürte, wenn ein Schlüsselträger auftauchte. Und sie hatte es bereits mehr als einmal geschafft, dort hin zu kommen, wo sie hin wollte.
Doch wie? Vielleicht hätte es ihr Mica erklären können, doch er war im Moment nicht erreichbar und so blieb ihr nichts anderes übrig, als selbst nach zu denken.
„Thomas, Vigilius, Jim ...“ zählte sie immer wieder in Gedanken ab und fügte dann gemurmelt ein „Ich!“ hinzu.
Dann ging sie auf die Badezimmertür zu und schloss sie.
Jentrix, noch mitten im Gespräch, sah irritiert zu ihr herüber.
Kayleigh ging von der Tür weg und schloss dann die Küchentür, die nahe dem Bad war.
„Was machst du?“ wollte nun auch Dearon wissen.
Kayleigh aber antwortete nicht. Sie ging zu ihrer Umhängetasche und holte eine irgendeine Schlüsselkarte heraus. Damit ging sie zur Küchentür.
Jentrix verabschiedete sich schnell von seiner Mutter am Handy, in dem er andeutete, dass irgendein wichtiger Kunde aufgetaucht sei, und legte auf.
Auch Dearon beendete seine Spielerei mit dem Laptop und starrte zu Kayleigh.
„Was ist los?“ kam irritiert von Adrian, der das Buch zusammen schlug und auf die Couch fallen lies.
Selbst Barry sah auf und zu Kayleigh.
Noch immer antwortete sie nicht. Sah zur Tür und führte die Karte in den kleinen Spalt und zog sie von oben nach unten, so als würde sie eine Kreditkarte durch das Lesegerät ziehen. Dann öffnete sie die Tür und anstatt der Küche war nun ein kleiner grüner Garten zu sehen.
Die Jungs hatten schon die Befürchtung, dass Kayleigh wieder davon laufen würde und wollte etwas sagen, als sie die Tür wieder schloss, so als sei die Gegend nicht nach ihrem Geschmack.
Wieder fuhr sie mit der Karte zwischen Tür und Rahmen entlang und wieder öffnete sie sie. Und wieder war dahinter nicht die Küche. Diesmal war es ein Raum, der einem chinesischen Restaurant glich, sogar mit neugierigen Kunden, die zu Kayleigh hinüber starrten. Kayleigh schloss die Tür wieder und grübelte.

„Was machst du da?“ Adrian stand nun neben ihr und hielt ihre Hand fest.
„Ich will was probieren!“ meinte sie nur, riss sich los und vollführte ihr Schauspiel erneut. Diesmal war beim Öffnen ein großes helles Apartment zu sehen und ein aggressiver Wachhund, der auf die Tür zugestürzt kam. Schnell schloss Kayleigh die Tür wieder.
„Was soll das? Willst du damit irgendwas beweisen?“ wollte ihr Bruder wissen.
Sie sah ihn ein wenig verärgert an. Sie war nicht wegen ihm so sauer, sonder vielmehr darüber dass ihr Test, wie sie es nannte, so schlecht verlief.
„Ich will testen, ob ich mein Ziel bestimmen kann!“ gab sie zu und machte sich erneut an der Tür zu schaffen.
„Und warum hast du dann die Badezimmertür ebenfalls geschlossen?“ war Barrys Frage.
Inzwischen standen die vier Jungs um Kayleigh herum, alle mit dem selben fragenden Gesichtsausdruck.
„Weil ich das als Ziel brauche!“ meinte sie nur und öffnete wieder die Tür. Diesmal war es ein Schlafzimmer, in dem es gerade heiß herging. Sie schloss die Tür wieder und starrte finster darauf.
„Es muss doch funktionieren!“ murmelte sie nachdenklich.
„Das du damals zurück gefunden hast, war nur ein Zufall!“ kam von Barry.
Kayleigh sah ihn verärgert an. Gerade dass versuchte sie im Grunde gerade zu widerlegen.
Sie konzentrierte sich wieder auf die Tür und ihr Ziel und öffnete sie. Dass diesmal die Karte die Tür in keinster Weise berührte, hatte sie noch nicht einmal bemerkt.
Vor allem war ihr Versuch geglückt.
Sie konnte durch die Küchentür in den Raum sehen. Ein kleiner Blick zu Seite zeigte ihr, dass die Badezimmertür scheinbar offen war.
„Das sieht fast aus, als stünde man vor einem Spiegel!“ meinte Adrian und besah sich die offene Badezimmertür. Er sah in den Raum und Kayleigh direkt in die Augen und sie ebenso.
„Zufall!“ kam sofort von Barry.
Vielleicht hatte er recht, dachte sie sich und zog die Tür wieder zu. Auch die Badezimmertür schloss sich somit wieder.
Kayleigh öffnete die Tür sofort wieder. Und wieder konnte sie in den Raum sehen.
Barry verkniff sich jede Bemerkung, vor allem da Kayleigh den Versuch noch ein paar Male wiederholte, wobei sie es sogar bei der Badezimmertür versuchte und dann durch die Küchentür wieder in den Raum blicken konnte.
„Wie machst du das?“ Adrian war verwundert.
„Ich hab mich auf das Ziel konzentriert!“ meinte sie nur. Das war noch nicht mal gelogen, wenngleich sie nicht genau wusste, wie die ganze Sache funktionierte.
„Nur konzentrieren?“
Kayleigh nickte und fügte hinzu:
„So bin ich auch in Tante Meryls Haus gelandet oder in dem Haus in Kanada! Und so bin ich wieder im Hotel gelandet!“
Adrian zog die Augenbrauen hoch.
„Kanada?“ meinte er irritiert.
„Da hab ich … na ja, ich wollte zu Onkel Jim!“ gab sie zu und lief rot an.
„Konzentrieren!“ wiederholte Adrian dann, „Meinst du ich kann´s auch?“
Sie zuckte mit den Schultern und gab ihm die Karte.
So probierte sich auch Adrian daran, durchs Türöffnen sein Ziel zu finden. Beim ersten Versuch passierte rein gar nichts. Er konnte noch nicht einmal einen Durchgang erschaffen und hatte lediglich die Küche geöffnet. Bei den weiteren Versuchen schaffte er es zumindest, einen Durchgang zu öffnen. Aber das Ziel, die Badezimmertür, konnte er so nicht öffnen.
Auch Jentrix und Dearon machten den Test. Aber auch sie konnten die gewünschte Tür nicht öffnen.
Nun war Barry dran. Und auch er versagte, was ihn aber noch mehr als die anderen verärgerte.
„Das liegt an dem Schlüssel!“ brummte er. Er hatte seinen eigenen benutzt.
Kayleigh hielt ihm ihren hin und er versuchte es damit. Doch auch damit gelang es Barry nicht, die gewünschte Tür zu öffnen.
„Wieso klappt das nur bei dir?“ wollte er verärgert wissen und drückte Kayleigh den Schlüssel wieder in die Hand.
„Ich weiß nicht! Vielleicht kann ich mich besser konzentrieren?“ meinte sie nur irritiert. Sie wusste nicht, warum nur sie in der Lage war, dieses Zauberkunststück zu vollführen. Allerdings wusste sie genauso wenig warum sie zum Beispiel Türen erschaffen konnte. Dass konnte Barry vermutlich auch nicht.
„Der komische Typ ...“ fing Adrian an und riss Kayleigh somit aus den Gedanken, „... dieser Vigilius konzentriert sich also auf sein Ziel und findet einen so?“
„Wie?“ Kayleigh hatte ihn nicht verstanden.
„Na ja, er verfolgt uns doch schon eine Weile und auch andere Leute kommen uns öfters hinterher, so wie zum Beispiel in dem Museum! Die denken nur, dass sie irgendwo hin wollen und kommen dort an?“
„Ich weiß nicht! Vielleicht?“ Sie wusste es wirklich nicht.
„Sie verfolgen aber nicht euch!“ fiel Dearon ein, „Nicht alle!“
Alle sahen ihn irritiert an.
„Die meisten wissen doch gar nichts über euch!“ versuchte er zu erklären, „Ich glaube, die verfolgen nur die Schlüssel!“
Adrian schüttelte irritiert den Kopf.
„Vigilius verfolgt uns schon sehr lange! Und der ist nicht hinter unseren Schlüsseln her!“ meinte er zu Dearon.
„Er glaubt wir hätten den ersten Schlüssel!“ kam von Barry, „Er folgt unserer Spur!“
Nun wurde er fragend angesehen.
„Wie soll er das machen?“ wollte Adrian wissen.
„Die Schlüssel hinterlassen Spuren! Und einige Schlüsselträger können ebenfalls Spuren hinterlassen!“ Dass es aussah, als hätte Barry die Antwort aus dem Buch abgelesen hatte, welches er schon wieder in den Händen hielt, irritierte noch mehr.
„Kannst du das auch?“ wollte Adrian dann von seiner Schwester wissen.
Sie zuckte nur mit den Schultern. Das hatte sie noch nicht probiert.
„So könnten wir vielleicht Dad finden!“ meinte Adrian gleich.
Kayleigh konzentrierte sich. Sie wollte es zumindest mal versuchen. Doch sie wusste nicht wirklich wie das funktionieren sollte. Es kam ihr so vor als müsste sie die Nadel im Heuhaufen erkennen, ohne in diesen hinein zufassen.
„Es klappt nicht!“ gab sie leise zu. Sie selbst war enttäuscht, dass sie diese Fähigkeit anscheinend nicht besaß.
„Schade!“ meinte Adrian nur, obwohl in seinem Gesicht deutlich zu lesen war, dass er im Grunde gerade kurz vor Tobsuchtsanfall stand. Nicht nur dass er klein wenig neidisch war, dass Kayleigh so viele Fähigkeiten besaß, so war er wütend darüber dass sie dieses kleine Kunststück nicht konnte.

Kayleigh wurde etwas unruhig. Sie sah sich um.
„Was ist los?“ wollte Jentrix sofort wissen, als er bemerkte, wie blass sie wurde.
„Fünf … acht … zwölf ...“ zählte sie leise und sah sich immer wieder um, so als würde sie durch die Wände schauen.
„Was?“ Jentrix packte sie an den Schultern und zwang sie ihn anzusehen.
„Die Schlüsseljäger kommen!“ meinte sie leicht verängstigt.
Barry sah auf. Er konnte nichts dergleichen spüren und auch Adrian bemerkte nichts.
„Bist du dir sicher?“ wollte er wissen.
Kayleigh sah zu ihm herüber.
„Es sind viele. Vielleicht so viele wie in dem Museum!“ meinte sie zu ihm.
Barry konzentrierte sich und wollte gerade widersprechen, dass er nichts dergleichen spüren konnte, als er das leichte Kribbeln im Magen spürte.
„Sie sind noch nicht hier! Aber sie werden nicht mehr lange brauchen!“ meinte Kayleigh, riss sich von Jentrix los und die beiden Zimmertüren wieder auf.
Doch das konnte nicht das Ziehen im Magen wegzaubern. Das wurde immer stärker.
Die Jungs sammelten ihre Sachen wieder ein und machten sich zum Aufbruch bereit.

„Es ist meine Schuld!“ gab Kayleigh leise von sich, „Ich hab sie angelockt!“
Ehe einer der Jungs etwas dazu sagen konnte, hatte sie mit dem Schlüssel von zuvor die Küchentür wieder in einen Durchgang verwandelt.
Dahinter eine ihnen unbekannte Stadt im Halbdunkel der Nacht. Niemand wusste was für eine Stadt das war, nur dass Kayleigh sich nicht auf ein bestimmtes Ziel konzentriert hatte.
Allmählich konnte auch Adrian die Jäger spüren und der Druck im Magen wuchs unangenehm an.
„Wir sollten abhauen!“ meinte er sofort und ging durch die Tür, gefolgt von den anderen.
Nikita LaChance
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 12:08

Kapitel XXXVI

„Verdammt, wo sind wir jetzt schon wieder gelandet?“ fluchte Barry. Warum es ihn so wütend machte, nicht zu wissen, wo er war, war eigentlich recht irritierend, war er doch Jahrelang ziellos umher gereist.
„Sieht irgendwie eigenartig aus!“ bemerkte Adrian nur.
Da es recht dunkel war auf dem Gelände, konnten sie nicht viel erkennen. Im Hintergrund war eine nächtliche Stadt zu erkennen. Nur sie schienen nicht in der Stadt zu sein.
Das Gebiet ähnelte eher einem verlassenen Fabrikgelände. Überall drückten sich Grünpflanzen und Gräser durch den Beton am Boden. Birken waren wie Unkraut überall emporgeschossen.
Im Dunkel wirkte das Gelände ein klein wenig gruselig.
„Wie …?“ Dearon drehte sich kurz um und bekam seine Frage beantwortet, durch welche Tür sie gekommen waren. Allen Anschein nach war das Häuschen mal der Sitz des Wachpostens gewesen. Allerdings gab es schon längst nichts mehr zu bewachen.
„Wir sollten uns hier verstecken!“ kam von Kayleigh und sie ging langsam und vorsichtig voran. Da einige Bodenplatten rissig und uneben waren, war dies nicht so einfach und man geriet sehr leicht ins Stolpern.
Sie steuerten auf die alte Fabrik zu. Einige Fenster waren zerstört, aber zumindest das Dach sah einigermaßen dicht aus.

Drinnen sah es nicht viel anders aus, als draußen. Auch hier war alles verfallen und die Pflanzen hatten sich ihr ehemaliges Gebiet wieder zurück erobert.
Es war längst nicht mehr ersichtlich was genau in der Fabrik hergestellt worden war. Nicht nur dass alles recht baufällig aussah, so waren auch keine Maschinen zu sehen.
„Du hast nicht zufällig den Fleck hier ausgesucht?“ hinterfragte Adrian.
„Nein!“ seufzte Kayleigh, an die die Frage gerichtet war, „Ich hätte mir interessantere Plätze ausgesucht!“
„Gut zu wissen!“ bemerkte Adrian sogleich.
„Zumindest dürften wir hier vielleicht sicher sein!“ war Jentrix´s Meinung und er sah sich um.
Als er wieder kam, meinte er, er hätte keine Türen gesehen, weswegen sie erst einmal keine Verfolger zu befürchten hatten.
Sie ließen alle ihre Taschen fallen und überlegten, was sie nun machen könnten. Aber niemanden wollte etwas einfallen.
„Was meintest du damit, dass du sie angelockt hast?“ fiel Barry wieder ein.
Kayleigh stellte sich unwissend. Zum Glück für sie konnte Barry ihr Gesicht nicht sehen und so bemerkte er nicht, dass sie rot anlief.
„Wie sollst du sie angelockt haben?“
„Mit den Schlüsseln?“ antwortete sie leise und ein klein wenig unsicher.
Nun schien auch Adrian ein klein wenig irritiert.
„Wieso sollen die Schlüssel …?“ fing er an.
„Die Magie der Schlüssel!“ Kayleigh klang ein wenig verärgert, „Ich hab sie ...“
Sie überlegte.
„Was hast du?“ Auch Barry wurde etwas lauter.
„Aktiviert! Verstärkt! ... Was auch immer!“ gab Kayleigh knurrig zu. Im Grunde hatte sie keine Lust zu diesem Gespräch.
Ein lauter Knall erschreckte alle und sie sahen sich um.
Und gefolgt von dem Knall waren kleine Trommelschläge zu hören.
„Gut dass wir ein Dach über dem Kopf haben!“ bemerkte Jentrix, während draußen allmählich ein Gewittersturm mit sintflutartigem Regenguss nieder ging.


Keys saß noch immer auf seinem Platz und wirkte noch immer tief traurig.
„Du hast das Foto von dem Mörder?“ wiederholte Richard, „Wo hast du ihn getroffen?“
Es interessierte ihn nicht wirklich, wo Keys den Mörder seiner Frau getroffen hatte. Nicht einmal warum er ihn getroffen hatte. Aber er wollte schon wissen, was aus dem Verbrecher geworden war.
„Ich hab ihm die Schlüssel abgenommen! Da wusste ich noch nicht was er getan hat!“ kam leise von dem alten Mann.
„Aber wieso hat er … wieso hat der Typ Evangeline angegriffen?“ wollte Meryl wissen. Das ganze Gerede von den Schlüsseln irritierte sie noch immer. Aber der Grund für den Mord an ihrer Schwägerin interessierte sie schon.
„Er wollte einen Schlüssel!“ gab Keys zu, „Einen ganz bestimmten Schlüssel!“
Er verfiel in nachdenkliches Schweigen.
„Was für einen Schlüssel?“ Meryl war näher getreten und sah den alten Mann fragend an.
„Den ersten Schlüssel!“
Noch immer verstanden die beiden nicht das geringste von dem was vor sich ging oder von was der Alte sprach.
„Sie alle sind auf der Suche nach dem ersten Schlüssel und sie gehen dabei nicht gerade friedlich vor!“ Wieder klang er so, als bedauere er diese Tatsache.
Wieder war Schweigen ausgebrochen, wenn auch nicht lang.
„Die Schlüssel … wo kommen sie her?“ fiel Richard ein. Nicht dass es ihm irgendwie über den Verlust hinwegtrösten könnte, das zu erfahren. Aber vielleicht war es hilfreich, hier wieder raus zu kommen und seine Kinder wieder zu finden.
Keys überlegte, wenn auch ein klein wenig zu lang.
„Wir sollten nach unten gehen und einen Tee trinken!“ antwortete er und erhob sich von seinem Platz.
„Wieso Tee trinken?“ hinterfragte Meryl sogleich.
„Es ist eine etwas längere Geschichte!“ meinte Keys nur und ging an ihr und ihrem Bruder vorbei, die Treppe hinunter und in die Küche, wo er sogleich einen neuen Tee zubereitete.
Richard und Meryl folgten ihm und setzten sich wieder auf ihre Plätze.
Erst als er den Tee verteilt hatte, begann Keys zu erzählen.

„... Thomas Learmont war der erste, der die Schlüssel schuf. Er war auch der erste, der sie nutzen konnte.
Er wuchs Ende des achtzehnten Jahrhunderts in einer kleinen Stadt in England auf. Seine Familie war lange Zeit auf Jahrmärkten aufgetreten und hatte sich mit kleineren Zaubertricks über Wasser gehalten. Allerdings war bald die Zeit der Jahrmärkte und Zaubertricks vorbei und Thomas Eltern nahmen eine ernsthaftere Arbeit an bei der sie ein klein wenig mehr verdienen konnten.
Thomas kannte noch die Geschichten seines Großvaters, der ihm dem Ursprung der Magie in der Familie zu erklären versuchte.
Angeblich stammten sie von einem Mann ab, der von einem magischen Wesen in die Anderswelt eingeladen worden war. Manchmal meinte der Großvater, der Mann, Thomas Urahn, hätte sich in eine Fee verliebt und musste ihr sieben Jahre in ihrem Reich dienen. Als sie ihn wieder frei lies, hatte sie ihm einige mystische Gaben hinterlassen. Ein andermal aber erzählte der Großvater, dass der Urahn nur einer simplen Einladung gefolgt sei und er dann als Geschenk die Macht bekam zwischen den Welten hin und her zu reisen.
Bis auf Thomas hatte niemand die Geschichte ernst genommen.
Schon als Kind gelang es Thomas einen magischen Durchgang zu erschaffen und er landete in einem ihm unbekannten Land. Und mit ein klein wenig Konzentration gelangte er auch wieder zurück.
Seinen Eltern hatte er niemals von seiner Fähigkeit erzählt. Er wusste nicht, ob sie ihm glauben würden oder ob sie nicht vielleicht sogar wie er mit dieser Zauberei gesegnet wären.
Thomas hatte neben dem Reisen auch noch eine weitere Leidenschaft entwickelt. Das Zeichnen.
Auf seinen Reisen fertigte er kleine Bilder an und verlieh ihnen einen Teil seiner Magie. Sie Bilder wurden zu Schlüsseln, wie er recht bald heraus fand.
Seine Cousine hatte ihm eines der Bildchen gestohlen und war für einige Zeit verschwunden. Während aber alle dachten, sie sei davon gelaufen, wusste Thomas was geschehen war und er suchte nach ihr und brachte sie heim.
Niemand glaubte ihrer verrückten Geschichte von magischen Türen, außer Thomas. Aber noch immer behielt er sein Wissen für sich.
Irgendwann bemerkte er, dass er nicht mehr allein war. Es gab noch andere Schlüsselmeister und mit ihnen kamen noch weitere Schlüssel in Umlauf.
Einige wurden geraubt, von neugierigen Leuten, die mehr über die magischen Fähigkeiten der Schlüssel und Durchgänge wissen und ihre Macht nutzen wollten. Aber auch die Schlüsselmeister jagten sich gegenseitig die Schlüssel ab.
Thomas versuchte eine Zeit lang die Schlüssel aus seinem Leben zu verbannen. Aber es gelang ihm nicht vollständig.
Er gründete eine Familie und leider begannen seine eigenen Söhne sich um die Schlüssel zu streiten. Die Magie der Schlüssel hatte sie erfasst, ebenso wie die vielen anderen Schlüsselmeister.
Vor allem waren sie alle auf der Suche nach Thomas ersten Schlüssel!“
Keys verstummte wieder, starrte auf seinen Tee, so als stünde darin der Text und wurde wieder nachdenklich.
„Wieso wollen sie alle den ersten Schlüssel, wenn sie doch selbst Schlüssel erschaffen können?“ wollte Meryl wissen. Ihr kam die Geschichte ein klein wenig bekannt vor. Nur wusste sie nicht, wo sie sie gelesen oder von wem sie die Geschichte gehört hatte.
„Weil Thomas Schlüssel, der erste Schlüssel, der mächtigste von allen ist. Seine Magie ist vollkommen, während alle nachfolgende Schlüssel nur Kopien sind. Und wie jede Kopie werden sie immer schwächer und schwächer!“ erklärte Keys.
„Eine Kopie von der Kopie?“ murmelte Richard nachdenklich. Bis jetzt konnte er noch immer nichts mit der Geschichte anfangen. Im Grunde fragte er sich, wie viel er überhaupt davon glauben konnte und warum er das alles erfuhr.
„Alle suchen nach dem ersten Schlüssel, weil er der stärkste von allen ist. Mit ihm lassen sich alle Türen öffnen und er ermöglicht es sein Ziel zu wählen!“
Meryl nickte, wenngleich sie nicht viel verstand.
„Kayleigh und Adrian sind in Gefahr!“ kam etwas leiser von Keys, „So wie damals Evangeline!“
Richard wollte schon fragen was die Geschichte mit seiner Frau und den Kindern zu tun hätte. Er wusste lediglich, dass alle drei mit Schlüsseln in Berührung gekommen waren. Seiner Frau hatte es den Tod gebracht, Kayleigh war schwer verletzt worden und Adrian war vermutlich auch nicht mehr weit von schwereren Verletzungen entfernt.
Doch noch bevor Richard seine Frage stellen konnte, platzte Meryl eine Frage heraus.
„Wo ist der erste Schlüssel?“ wollte sie wissen.
Keys sah ihr einen Moment in die Augen. Es war zu sehen, dass er nicht wirklich antworten wollte.
„Das Buch … darin steht die Geschichte des ersten Schlüssels und die von Thomas!“ erklärte er nur. Er trank seinen Tee aus und stand auf.
„Es ist genug für heute. Ihr solltet euch ein wenig ausruhen!“ Damit war für ihn das Gespräch beendet und er verließ den Raum und verschwand wieder im Nirgendwo.


Es war zu dunkel um zu lesen, was vor allem Barry nervte. Gern hätte er einen Blick in das Buch oder in das Fotoalbum geworfen. Aber nun saß er gelangweilt auf dem staubigen Boden und lauschte den für ihn wirren Worten der Jungs.
Jentrix hatte irgendwo einen Stuhl gefunden und ihn in Beschlag genommen, während die anderen im Staub saßen und sich über Filme unterhielten. Nun gut Kayleigh hatte weniger zu dem Thema beizutragen als ihr Bruder, weswegen sie größtenteils nur lauschte.
Irgendwann wurde es stiller, abgesehen von dem starken Regenguss, der auch ein paar Löcher im Dach gefunden hatte, und dem Wind, der durch die kaputten Fenster pfiff.
Barry versuchte wach zu bleiben, während Jentrix, ebenfalls gelangweilt, Wache hielt. Nach einer Weile spazierte Jentrix in der Fabrik herum, wobei er sich niemals zu weit von den anderen entfernte. Es hielt ihn zumindest davon ab einzuschlafen.


Sie ging einen langen Gang entlang. Sie wusste nicht wo sie war und auch nicht wie sie hier gelandet war.
Es machte ihr Angst. Noch gruseliger allerdings war das ungute Gefühl, was in ihr immer weiter anwuchs, so als wolle es sie vor irgendetwas warnen.
Rechts und links waren Türen, die den Flur erhellten. Was sich hinter den Türen verbarg konnte sie nicht erkennen.
Und mit einem Male schloss sich eine Tür nach der anderen laut knallend und Dunkelheit erfüllte den Raum um sie herum.
Sie wollte schreien, doch ihre Stimme versagte. Nach wen sollte sie auch schreien? Sie war allein.
Dann ging vor ihr, am Ende des Ganges, eine Tür auf. Langsam und laut knarzend.
Es war als würde sie von dem Licht in dem Raum angezogen und sie ging langsam darauf zu. Noch immer hämmerte ihr Herz bis zum Hals. Aber sie konnte nicht anderes und ging immer weiter.
Erst als sie in der Tür stand, konnte sie erkennen, was sich dahinter verbarg. Aber was sie sah, gefiel ihr ganz und gar nicht.
Noch immer versagte ihre Stimme, ansonsten hätte man ihren langen und lauten Schrei gehört.
Vor ihr war ein ihr unbekanntes Zimmer. Doch es war nicht der Raum, der sie so schockierte. Es war vielmehr, das, was in dem Raum zu sehen war.
In mitten von Blut lagen ihre Freunde. Davor stand ein Mädchen, ängstlich und sprachlos, in ihre Richtung blickend.
In den Augen des Mädchens spiegelte sich pures Entsetzen. Dennoch schien sie nicht fliehen zu wollen oder gar um ihr Leben zu betteln. So als hätte sie längst aufgegeben.
Sie spürte das Gewicht in ihrer Hand und als sie darauf sah, bemerkte sie die Waffe. Direkt auf das Mädchen gezielt und ob sie es nun wollte oder nicht, ein Schuss ging los. Hallte in dem Raum nach und das Mädchen fiel tot auf ihre Freunde.
Für einen Moment starrte sie auf den Leichenberg und das Blut. Als sie die Spiegelung in dem Blut sah, erschrak sie. Noch mehr als sie ohnehin schon verschreckt war.
Sie konnte ihr Gesicht erkennen. Das Gesicht des Mädchens, welches sie soeben getötet hatte.


Kayleigh fuhr regelrecht zusammen. Zitternd sah sie sich um. Die Jungs schliefen, schnarchten teilweise.
„Hey, alles okay mit dir?“ Jentrix tauchte plötzlich neben ihr auf.
Sie wusste nicht was sie darauf antworten sollte. Natürlich hatte sie wie die Nächte zuvor mit Alpträumen zu kämpfen, nur diesmal war es anders. Der Traum war anders gewesen.
„Hey!“
Kayleigh zuckte zusammen, als er sie an der Schulter antippte. Nicht dass sie sonst so schreckhaft wäre oder er sie zu kräftig angetippt hätte. Vielmehr war sie noch nicht ganz wach gewesen.
„Alles … okay!“ flüsterte sie leise.
Jentrix glaubte ihr nicht und setzte sich neben sie. Einerseits wollte er seine Chance nutzen, ihr näher zu kommen und andererseits, wollte er sie einfach nur beruhigen.
Sie lies es zu, dass er seinen Arm um sie legte und sie an sich drückte.
„Es tut mir leid!“ flüsterte sie noch einmal ganz leise, was er kaum wahrnahm, und nach einer Weile war sie auch wieder eingeschlafen.

Der Morgen war wie die Nacht kühl und regnerisch. Das schwache Tageslicht schaffte es kaum, die Halle zu erhellen.
Dennoch gelang es Barry die Schrift in dem Buch zu erkennen.
„Das gibt’s nicht!“ entfuhr es ihm auf einmal und alle sahen sich zu ihm um.
„Hier steht die Geschichte von dem ersten Schlüssel!“ meinte Barry, „Zumindest ein Teil davon!“
Adrian ging zu ihm hinüber und versuchte ebenfalls die Worte zu entziffern.
Dass sein Vater und seine Tante vor kurzem die selbe Geschichte erfahren hatten, wusste er nicht. Auch nicht, dass die Warnung in dem Buch nicht zu der Geschichte gehörte. Vielmehr warnte das Buch sie.
„Es wird gefährlicher!“ las er vor, „Die Schlüsselmeister sind auf der Jagd!“
Kayleigh schluckte den Kloß in ihrem Hals herunter. Sie hatte sich an ihren Alptraum erinnert. Sie hatte gesehen wie weit die ganze Sache gehen würde oder wie sie enden könnte.
Gern würde sie einfach alles hinter sich lassen. Sie würde gern wieder ihr normales langweiliges Leben leben und sie wäre sicher und unwissend. Und ihr Bruder und ihre Freunde wären auch sicher.
Doch dies hier war die Realität und die Gefahr spürbar.
Sie wollte den Jungs gerade vorschlagen, dass es für sie besser wäre, wenn sie Abstand zu ihr halten und sie allein ziehen lassen würden. Doch andererseits war ihr der Gedanke allein zu sein zu wider. Außerdem versprachen Dearon und Jentrix just in dem Moment, in dem ihre der Gedanke gekommen war, den Geschwistern beizustehen. Barry würde ohnehin nicht von Kayleigh und ihrem Bruder weg wollen. Schließlich wollte auch er mehr über Kayleighs Kraft wissen und auch das Buch hielt ihn bei den Geschwistern.
„Ich hoffe nur, dass wir vorher noch herausfinden, wo der erste Schlüssel steckt!“ fiel Adrian ein, „Dann hätten wir wenigstens was in der Hand um uns … zu schützen oder so!“
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 12:09

Kapitel XXXVII

Vigilius grübelte. Er war nie auf den Gedanken gekommen, dass sein Vater noch leben könnte. Allerdings hatte er auch seit mehr als hundert Jahren weder etwas von ihm gehört noch gesehen. Und auch die Magie war mit ihm verschwunden, so wie ein Parfumduft nach einiger Zeit verfliegt.
Wieso sollte der Vater noch leben und sich nie zeigen? Die Frage stellte Vigilius sich die ganze Zeit.
„Was erhoffst du dir eigentlich von dem Schlüssel?“ Sein Bruder war zurück gekommen. Neugierde lag in seiner Stimme, aber auch Sorge.
Vigilius sah ihn fragend an.
„Der Schlüssel ist mächtiger als alle anderen!“ begann er und sein Bruder schüttelte den Kopf.
„Das ist sicherlich nicht der Grund!“ meinte der nur.
Eine Aussage, die Vigilius nicht so hinnehmen wollte.
„Mit dem Schlüssel kann man alle Türen öffnen. Mit ihm kann man überall hin gelangen und wer die Magie des ersten Schlüssels beherrscht kann Türen erschaffen.“ kam etwas lauter von Vigilius, „Man kann mit dem Schlüssel alle anderen Schlüssel deaktivieren! Kein anderer würde mehr irgendwo hin reisen!“
Sein Bruder schwieg, sah aber besorgt drein. Es war zwar eine gute Idee, alle anderen Schlüssel inaktiv zu machen und somit zu verhindern, dass irgendwer verloren ging. Aber dass einer allein über diese Macht verfügen sollte, war nicht wirklich gut. Wer auch immer den ersten Schlüssel bekommen und nutzen würde, könnte ihn auch einsetzen um sich unrechtmäßig zu bereichern oder schlimmeres.
„Wieso willst du den Schlüssel wirklich haben?“ wollte Vigilius Bruder von ihm wissen, „Es ist nicht nur weil du die Macht besitzen willst, oder?“
Wieder schwieg Vigilius und strafte seinen Bruder mit bösen Blicken.
„Was willst du wirklich?“
Vigilius kämpfte gegen den Kloß in seinem Hals an. Es war so, als habe sein Bruder ein lange gehütetes Geheimnis von ihm entdeckt, welches Vigilius eigentlich niemals habe preisgeben wollen.
Sein Bruder musterte ihn, so als wäre ihm das Geheimnis auf den Leib geschrieben.
„Es ist Vaters Schuld!“ platzte es Vigilius heraus.
„So?“
„Er hat unsere Mutter nicht beschützt! Er hat seine Magie für sich behalten und hat sie sterben lassen!“ schrie Vigilius, „Er hätte sie retten können!“
Der Bruder schüttelte nur den Kopf.
„Er hatte nie Zeit für uns und wenn ich ihn brauchte, war er nie da. Er war ständig unterwegs! Wie lange hat es gedauert, eh er uns eingeweiht hat? Er hätte Mutter retten können, aber er hat sie einfach so sterben lassen! Und dann ist er einfach gegangen!“
„Wie hätte er sie retten sollen?“ kam nur leise von dem Bruder.
Vigilius beantwortete ihm die Frage nicht.
Er schritt wieder auf die Tür zu und wollte schon wieder gehen.
„Vater hatte die Macht nicht verdient! Er hat sie sterben lassen!“ meinte er noch einmal.
Dann ging er.
Sein Bruder sah eine Weile auf die Tür und dachte nach. So hatte er die Sache noch nie gesehen. Zwar hatte es damals ein paar Anzeichen gegeben, dass Vigilius seinen Vater wegen irgendetwas verachtete. Und auch hatte er als Kind immer wieder versucht die Aufmerksamkeit seines Vaters zu erregen.


Kayleigh stand etwas abseits von den Jungs und versuchte zu telefonieren. Sie versuchte erneut Mica anzurufen. Doch wieder erwischte sie nur die Mailbox.
Sie wartete einige Sekunden und wählte erneut. Sie hoffte, dass er ihr helfen könnte. Irgendwie.
„Ja?“ Die Stimme am anderen Ende schien ein wenig verwirrt und auch erschöpft.
„Mica? Ich bin`s, Kayleigh!“
Wieder schien die Stimme am anderen Ende etwas konfus zu sein.
Kayleigh erklärte ihm kurz, was geschehen war. Dass sie verfolgt wurden und dass sie den Verdacht hatte, dass sie selbst der Grund dafür sei. Sie glaube ihre Magie, woher auch immer sie stamme, wäre der Auslöser der Verfolgungsjagd.
Mica schwieg einen Moment, so als müsste er überlegen.
„Das ist durchaus möglich!“ meinte er dann, „Wahrscheinlich ist es aber die Magie der Schlüssel!“ Er klang nicht wirklich überzeugt von dieser Idee.
„Die Magie der Schlüssel? Nicht … ich?“ hakte sie nach.
Wieder einen Moment Stille.
„Deine … Magie ist … anscheinend ziemlich stark und deswegen ...“ Wieder setzte Stille ein. Allerdings nicht wegen einer Funkstörung oder ähnlichem. Mica musste erneut seine Gedanken sortieren.
„Es gibt nicht sehr viele die so stark sind wie du!“ meinte er plötzlich, „Dein Onkel zum Beispiel, besaß auch so viel Macht. Sie verstärkt die Magie der Schlüssel und hinterlässt eine fast unsichtbare Spur!“
Nun war es an Kayleigh nachzudenken und zu schweigen.
„Die Spur wird stärker, wenn die Magie der Schlüssel genutzt wird. Jedes mal, wenn du einen Schlüssel aktivierst, hinterlässt du eine deutliche Spur. So als würdest du den Motor eines Autos aufheulen lassen!“ Der Vergleich schien ein wenig irritierend.
„Und wie … wie soll ich … sollen wir uns dann verstecken?“ Ihre Stimme war leise.
„Das … Ich weiß nicht, wie du dass machen kannst!“ gab Mica zu, „Bei dir ist es etwas schwieriger!“
„Was meinst du damit?“ Es war nicht so als hätte sie nicht einen Verdacht, was genau er damit sagen wollte.
„Barry und dein Bruder, sie besitzen auch die Magie. Aber ihre ist bei weitem nicht so stark wie deine. Sie könnten sich vermutlich verstecken, wenn sie die Schlüssel nicht aktivieren. Deine beiden Freunde sind weitestgehend sicher. Bei ihnen sind es nur die Schlüssel, die andere anlocken könnten. Aber bei dir … Du strahlst regelrecht!“ meinte er.
„Bin ich also radioaktiv!“ seufzte sie. Es war weniger ein Scherz, aber ein guter Vergleich.
„Du solltest versuchen nicht die Schlüssel zu aktivieren. Das verstärkt die Spur nur!“ schlug Mica vor.
„Aber das ist noch lange nicht sicher genug!“ wusste sie, „Darum ist Onkel Jim damals auch gegangen!“
Der zweite Satz war eigentlich nicht unbedingt für seine Ohren gedacht. Aber er stimmte ihr dennoch zu.
„Versuch unentdeckt zu bleiben!“ bat er, „Ich werde versuchen mit Matt, ich meine Jim, zu dir zu kommen! Gemeinsam könnten wir … versuchen aus der Sache raus zu kommen!“
„Hast du ihn gefunden?“ Es versetzte ihr einen Hoffnungsschimmer, dass er ihr versprochen hatte mit ihrem Onkel zu helfen.
Ein kurzes Lachen auf der anderen Seite.
„Ja, aber er ist ziemlich K.O.!“ meinte Mica belustigt, „Wir werden so schnell wie möglich zu dir kommen und dir helfen! Nur glaub ich, brauchen wir ein wenig … Schlaf!“
„Oh!“ Sie war dankbar dafür, dass es Mica und vor allem ihrem seit Jahren vermissten Onkel gut ging und dass sie ihr beistehen wollten.
Sie verabschiedete sich und legte wieder auf.
Ihr Freude auf ein baldiges Wiedersehen wurde sogleich wieder getrübt.
Barry stand ihr gegenüber und sah sie finster an.
„Wie konntest du versprechen, dass wir uns hier verstecken werden?“ brummte er sie an.
Sie schwieg und wollte an ihm vorbei zu ihrer Tasche gehen, um das Handy wieder wegzupacken.
Doch er hielt sie am Arm fest.
„Wir können nicht hierbleiben! Wir müssen den Schlüssel suchen!“ schimpfte er.
„Lass mich los!“ Kayleigh konnte sich nicht losreißen, da er sie ziemlich fest hielt.
„Du hast doch keine Ahnung, was passiert, wenn jemand anderes den Schlüssel bekommt!“ fluchte er verärgert.
Die Jungs sahen irritiert zu Kayleigh und Barry hinüber.
„Und du hast keine Ahnung, was passiert, wenn die ganzen Schlüsselfreaks hier auftauchen, nur weil ich sie angelockt habe!“ gab sie zurück.
Barry wollte etwas entgegnen, als Adrian zu ihnen kam und seine Schwester aus Barrys Griff befreite.
„Du solltest dich benehmen!“ meinte Adrian zu Barry, „Mir ist egal, ob du älter und mein Onkel bist! Aber solltest du meine Schwester noch einmal so anschreien oder irgendwie belästigen, bekommst du Ärger!“ Ob er wirklich durchgreifen würde, wusste Adrian selbst nicht. Doch im Moment waren sie alle ein klein wenig gereizt, so dass es durchaus möglich war, dass er seinem Onkel Barry eine reinhauen würde, wenn er nur einen Grund dazu lieferte.
Der Grund für die etwas miese Stimmung war nicht nur ihr unbequemes Versteck sondern auch der zunehmende Hunger. Auch der Regen und der Wind, der in das marode Gebäude eindrang, tat nichts zur guten Stimmung bei.

Wenig später saßen sie wieder mehr oder weniger zusammen.
Adrian war Barry zuvor gekommen und hatte sich erneut das Buch gegriffen und studierte erneut den langen Text über Thomas, den ersten Schlüsselmeister. Auch die Geschichte über den Tod seiner Mutter war noch im Buch enthalten. Doch mit keinem von beiden Texten konnte er viel anfangen, egal wie oft er sie sich durchlas.
Als er erneut die Seiten durchsah, bemerkte er, dass sich etwas auf den ersten Seiten des Buches getan hatte. Es waren die Buchseiten, die Kayleigh erst vor kurzem hinzugefügt hatte.
Allerdings konnte er auch hier nicht erkennen, was das Buch mitteilen wollte.
Was sollte man auch aus ein paar Strichen herauslesen. Es wirkte ein klein wenig so, als habe irgendwer ein paar Textstückchen markiert, nur das der Text danach wieder verschwunden war.
Auch die anderen erkannten nicht den Sinn an den Strichen.
Dearon langweilte sich ein wenig. Da sie keinen Strom in der Fabrik hatten, war es unangebracht den Akku seines Laptops auszureizen. Wer weiß wann sie vielleicht auf den Laptop angewiesen waren und wann sie wieder Strom hätten.
Jentrix erging es nicht anders. Auch er hatte kein elektronisches Spielzeug dabei und seine Fotokamera benötigte auch wieder frische Akkus. Zudem, was sollte er mit der Kamera auch im Moment anfangen. Zu fotografieren gab es hier nichts. Nicht wirklich.
Kayleigh war in Gedanken versunken. Einerseits grübelte sie darüber nach, was Mica ihr erzählt hatte und was sie selbst wusste. Mehr oder weniger war sie eine Gefahr für ihren Bruder und ihre neuen Freunde, auch wenn sie es eigentlich nicht wollte.
Barry war im Gegensatz zu den anderen weder gelangweilt noch von irgendwelchen elektronischen Geräten abhängig um sich zu beschäftigen. Da Adrian ihm mehr oder weniger das Buch vor der Nase weggeschnappt hatte, vergnügte er sich nun mit dem Fotoalbum. Noch einmal blätterte er die Seiten durch, begutachtete die Fotos seiner Familie, obwohl er einen Großteil der Abgebildeten noch nicht einmal mit Namen kannte. Und je weiter er zu dem ihm bekannten Familienzweig kam um so langsam betrachtete er die Fotos. Bis er schließlich bei einem Bild anhielt und regelrecht darauf starrte.

Irgendwann platzte es aus Jentrix heraus. Sie mussten nun schon fast einen Tag in dem Gebäude hocken und noch immer hatte sich das Wetter draußen nicht verbessert.
„Wir sollten uns was zu Essen besorgen, wenn wir schon hier rum hocken müssen!“ meinte er.
Die anderen sahen ihn irritiert an.
„Wo sollen wir was herbekommen?“ war sofort Adrians Gegenfrage. Er hatte aufgegeben irgendetwas in dem Buch zu erkennen. Informationen hatte er wie so oft keine gefunden.
Jentrix zog beide Augenbrauen hoch, so als habe ihm Adrian eine Fangfrage gestellt. Dann zeigte er in Richtung Eingang.
„Du willst das wir da rausgehen? In das Mistwetter?“ kam von Dearon.
„Wir müssen ja nicht alle gehen!“ gab Jentrix gleich zurück.
„Klar, und wer soll freiwillig da raus?“ wollte Barry wissen.
„Freiwillig?“
Keiner wollte durch den kalten sintflutartigen Regen und eine ihnen unbekannte Stadt spazieren, in der Hoffnung, dass sie dort irgendwo einen Lebensmittelladen finden würden.
Und da keiner freiwillig gehen wollte, beschlossen sie Münzen zu werfen.
Doch selbst dann, als Barry, Kayleigh und Adrian Kopf und die anderen beiden Zahl geworfen hatten, wollte keiner gehen. So warfen sie noch einmal und noch einmal.
Und nach dem fünften Wurf, bei dem gleich vier mal die Zahl und einmal der Kopf kam, gab Dearon nach.
„Ich geh!“ meinte er, „Bleibt ja eh nichts anderes übrig!“
Er lies sich von Jentrix noch etwas Geld geben, steckte sich sein Handy in die Jackentasche, nachdem er nachgesehen hatte, dass der Akku auch noch voll genug war, und schritt zum Eingang.
„Warte, ich komm mit!“ Kayleigh ging ihm hinterher.
„Kayleigh, nein!“ Es war ihr Bruder, der dagegen war.
„Was?“ Es klang ein wenig schnippisch von ihr. Sie hatte keinerlei Lust, weiter hier herum zu hängen und nichts zu tun. Davon abgesehen, wollte sie ein wenig Abstand von dem Buch und den Schlüsseln gewinnen. Wenigstens für eine kleine Weile.
Sie zog Jacke, die sie aus Jims Haus in Kanada hatte mitgehen lassen, zu und ging ohne ein weiteres Wort aus der Fabrik.
„Pass auf sie auf!“ kam sogleich von Jentrix und Dearon nickte ihm zu und ging schnell Kayleigh nach.

Der Regen und der Wind zerrten an ihnen. Dennoch gingen sie immer weiter. Es blieb ihnen auch kaum eine andere Wahl. Sie hatten keinen fahrbaren Untersatz, mit dem sie schneller und vor allem trocken voran kämen und sie hatten auch kein Essen in greifbarer Nähe.
Sie gingen einfach nur auf die Lichter der Stadt zu. Scheinbar eine Kleinstadt und scheinbar war die Fabrik nicht das einzige, was so langsam verfiel.
Nach einer Weile fanden sie auch endlich einen kleinen Convenience-Store. Sie waren auch nicht die einzigen, die so klitschnass waren.
Wie so oft vorher, griffen Dearon und Kayleigh nur nach eingepackten Lebensmitteln. Zwar würden sie einen Teil gleich nach dem Kauf verzehren, aber einen Teil würden sie für später aufheben müssen. Und da wären die eingeschweißten Speisen eine weit bessere Wahl als frische Waren, auch wenn das frische Essen deutlich besser schmecken und vermutlich auch gesünder wäre.
Mit reichlich eingeschweißten Sandwiches, Würstchen und ein paar Konservendosen sowie einigen Flaschen mit Wasser verließen beide das Geschäft.
Sie hatten nicht viel mit einander gesprochen auf dem Weg zum Laden und auch auf dem Rückweg war sie recht schweigsam. Keiner der beiden wusste auch nur, was er zu dem anderen sagen sollte. Allerdings hätten sie aufgrund des Unwetters was sie umgab auch nicht wirklich die Möglichkeit zu einem langen Gespräch.
Einzig ihren Verdacht, dass ihre eigenwillige Zauberkraft schuld sei, an der Verfolgung durch die anderen Schlüsselträger, hatte sie geäußert. Auch dass sie Angst hatte, dass den Jungs deshalb irgendetwas passieren könnte. Dearons Versprechen, dass nichts schlimmes geschehen würde, schenkte sie wenig vertrauen. Es war ein Versprechen, was er im Grunde nicht machen konnte, da er nicht wissen konnte, was vermutlich schon recht bald geschehen könnte.
Durchnässt und durchgefroren gingen sie schnellen Schrittes zurück zu den anderen.


„Wieso starrst du die ganze Zeit auf das Foto?“
Barry erschrak und sah auf.
Jentrix stand ihm gegenüber und sah ihn fragend an.
Auch Adrian wollte den Grund erfahren.
Barry schüttelte den Kopf, schlug das Fotoalbum zu und packte es schnell wieder in Kayleighs Tasche.
Da die Jungs aber eine Antwort haben wollten und ihn nicht in Ruhe lassen würden, meinte er nur, dass er ihm das Foto gefiele.
Adrian sah ihn irritiert an.
„Du kennst sie, oder?“ wollte er wissen.
Wieder schüttelte Barry den Kopf. Allerdings glaubten die beiden ihm nicht.
„Mica meinte, du wärst ein paar mal daheim gewesen!“ kam von Adrian und Barry sah ihn geschockt an.
„Woher weißt du das? Von dem Buch?“ wollte er sofort wissen.
„Ich hab es gehört!“ Adrian war sich bewusst, dass er allen Anschein nach ein Geheimnis von Barry entdeckt hatte. Nur wusste er noch nicht wirklich, wie viel er herausgefunden hatte oder wie er dieses Geheimnis nutzen könnte.
Barrys Miene verfinsterte sich. Er hatte das nicht preisgeben wollen.
Doch Adrian lies nicht locker und wollte mehr wissen.
„Du hast sie getroffen, oder?“ hakte er nach.
Ein zaghaftes Nicken.
„Wann?“
Barry holte tief Luft und erzählte Adrian von einem Besuch im Haus seiner Eltern, was nun etwas über dreißig Jahre her sein musste.
„Ich bin in der Bibliothek raus gekommen und wusste erstmal nicht wo ich war!“ erklärte er, „Und sie kam in den Raum und ...“
„Und was?“
„Sie war überrascht! Aber irgendwie … sie hat weder um Hilfe gerufen noch sonst irgendwas!“ Barry schien irritiert, „Sie hat mich angesehen, als hätte sie mich wieder erkannt!“
Adrian schüttelte fragend den Kopf und auch Jentrix verstand nichts von Barrys Erzählung.
„Ich hab sie fast ein Jahr später wieder getroffen.“ Es schien noch immer so, als wollte Barry nicht wirklich davon erzählen.
„Ich kannte bis dahin weder ihren Namen, noch den Grund warum sie im Haus meiner Eltern gewesen war! Und als ich sie wieder traf, hatte sie einen kleinen Jungen auf dem Arm und war in irgendeiner Stadt unterwegs. Ich weiß nicht einmal mehr, wo genau das war!“ Er verfiel kurz in nachdenkliches Schweigen.
„Und?“ Adrian wollte mehr wissen.
„Sie war … na ja, sie hatte sich mit ihrem Mann gestritten und schon eine Weile allein unterwegs. Im ersten Moment war sie irritiert, als sie mich wiedersah. Aber dann erleichtert.“
Noch immer hatten Adrian und Jentrix keinen Plan, wovon Barry sprach.
„Wir haben fast einen Monat zusammen verbracht, wohnten in einem Motel und sie erzählte mir, dass sie und ihr Mann sich scheiden lassen würden. Sie meinte, dass sie mir vertrauen würde.“
Erneutes Schweigen.
„Du warst einen Monat mit ihr zusammen? Und dann? Ich meine, kannst du nicht einfach mal zu Ende erzählen?“ Adrian schien leicht gereizt. Aber weniger deswegen, dass Barry andauernd stoppte, sondern vielmehr wegen der Geschichte an sich.
„Irgendwann rief ihr Mann an. Er wollte sich mit ihr treffen und danach … Er wollte sie wieder zurück haben. Er vermisste sie so sehr.“ erklärte Barry, „Und ich lies sie gehen!“
Barry war aufgestanden und spazierte während seiner Erzählung umher, so als wolle er damit den Blicken der beiden Jungs ausweichen.
„Und dann traf ich sie noch einmal! Auch diesmal war sie nicht allein!“
Adrian sah ihn mit großen Augen an.
„Sie hatte ein Mädchen an der Hand. Sie schien glücklich zu sein. Bis sie mich gesehen hatte.“ Ein Schmunzeln kam ihm über die Lippen, „Sie wirkte ein wenig erschrocken. Aber dann meinte sie nur, dass es ihr und ihrer Familie gut ginge!“
Jentrix grübelte nach.
„Du hast die Lady also getroffen?“ wollte er wissen, „Und du warst einen Monat mit ihr allein?“
„Na ja, nicht ganz!“ antwortete Barry, „Ihr Sohn war auch da!“
„Was auch immer!“ winkte Jentrix ab, „Aber du hast die Mutter kennengelernt und warst für eine Weile mit ihr zusammen?“
Adrian überlegte kurz.
„Mom, hat mit dir zusammen gewohnt. Einen Monat!“
Barry nickte, doch bevor er oder einer der anderen beiden etwas sagen konnte, waren Dearon und Kayleigh wieder aufgetaucht.
„Was ist mit Mom?“ wollte sie wissen und Barry sah sie erschrocken an.
Nikita LaChance
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 12:09

Kapitel XXXVIII

Barry hatte Kayleigh nicht geantwortet. Es war, als wolle er zumindest vor ihr ein Geheimnis haben. Nur was sollte ihm dies nützen?
Nachdem Kayleigh mehrmals ihren Bruder flüsternd angebettelt hatte, hatte er ihr erzählt, was Barry zuvor ihm und Jentrix preisgegeben hatte. Und auch sie reagierte, wie zuvor ihr Bruder, mit ein klein wenig Skepsis.
„Wieso sollte Mom … mit ihm …?“ Es wollte ihr nicht so recht in den Kopf gehen, warum ihre Mutter ausgerechnet mit Barry einen Monat hatte verbringen wollen. Allerdings kannte sie Barry nicht gut genug, um sich wirklich eine Meinung über sein wahres Verhalten oder seine familiären Fähigkeiten zu machen. Vielleicht steckte in ihm ja ein ganz netter Kerl. Irgendwo tief in ihm drin.
Aber da war auch noch der Gedanke an ihren Vater, den sie sehr mochte und Kayleigh konnte sich nicht vorstellen, warum ihre Mutter sich mit ihm so sehr verkracht haben sollte, dass sie einen Monat lang mit einem Fremden zusammen leben würde.
„Vielleicht ist er ja … unser Dad?“ bemerkte Adrian leicht nachdenklich.
Ein Gedanke, der Kayleigh missfiel.
„Mein Dad ist mein Dad!“ schimpfte sie etwas lauter als beabsichtigt und so sahen die anderen drei irritiert zu ihr hinüber.

Während des Essens kamen allmählich andere Gespräche auf. Barry war noch immer sauer, da Kayleigh mehr oder weniger ein Reiseverbot verhängt hatte, wenn man dies so nennen könnte. Kayleigh war ein wenig überfordert von den neuen Informationen, die irgendwie ihre Familie betrafen und die anderen drei allmählich vom Wetter müde.
Dennoch versuchten sie sich alle zu konzentrieren und grübelten über die wenigen Informationen, die ihnen das Buch bereits gegeben hatte und die sie selbst über den ersten Schlüssel und den ersten Schlüsselmeister hatten erfahren können.
So zählten sie auf, wen sie für mächtig genug hielten selbst ein Schlüsselmeister zu sein und wer davon wohl am längsten unterwegs war. Aber auch hier waren es viel mehr Mutmaßungen als genaues Wissen.
„Was genau kann ein Schlüsselmeister so besonderes?“ stellte Adrian als Frage, „Ich meine Schlüssel benutzen und reisen kann doch fast jeder!“
Die anderen stimmten ihm zu.
Barry wusste die Antwort. Er erklärte, dass man bereits als Schlüsselmeister galt, wenn man Schlüssel und die dazugehörigen Durchgänge erkennen konnte.
„Das ist aber lahm!“ war Adrians Bemerkung daraufhin, „Dann gibt’s doch viel zu viele Schlüsselmeister!“
Barry dachte kurz darüber nach und nickte.
„Ein richtiger Schlüsselmeister kann noch mehr!“ kam von Kayleigh. Woher sie das wissen wollte, konnte sie nicht beantworten.
„Ein wahrer Schlüsselmeister beherrscht die Schlüssel. Er kann sie kontrollieren und ebenso die Durchgänge! Und einige von ihnen können sogar Schlüssel erschaffen!“
Die Jungs sahen sie mit großen Augen an.
„Wenn es mehrere von den sogenannten wahren Schlüsselmeistern gäbe, würde sich doch keiner für den ersten interessieren!“ meinte Barry dazu.
„Irgendwie hat er recht!“ stimmte ihr Bruder Barry zu und sah sie irritiert an.
„Der erste Schlüsselmeister ist eben was besonderes!“ mehr fiel Kayleigh dazu nicht ein und wie ein trotziges Kind ging sie etwas abseits und begann dort weiter zu grübeln.
Die Jungs sahen irritiert zu ihr hinüber, ehe sie sich selbst wieder in ihre Mutmaßungen vertieften.


Der alte Mann hatte sein Haus und seine beiden unwissenden Gäste verlassen und spazierte durch die Straßen einer irischen Kleinstadt. Alles erschien wie immer zu sein. Die alten Gebäude, die Pflastersteinstraßen und auch die Einwohner, die freundlich grüßten und auch für Fremde ein offenes Ohr zu haben schienen.
Und doch, so wusste er, dass es heute hier nicht so wie immer war.
Nicht ohne Grund war er genau hier, durch irgendeine Haustür, getreten.
Es mussten wohl fünf oder sechs Schlüsselträger in der Stadt sein. Sie hatten sich mehr oder weniger versammelt und vermutlich waren sie im Wettstreit untereinander, wie es die Schlüsselträger meist waren. Jeder wollte des anderen Schlüssel, denn wer die meisten Schlüssel hatte, hatte die größeren Chancen an ein bestimmtes Ziel zu kommen.
Aber nun hatten sie etwas viel interessanteres gefunden, als sich gegenseitig die Schlüssel abzuluchsen.
Wie die Raubtiere, die eine frische Beute witterten, schlichen sie ihm langsam hinterher. Doch er war bei weitem nicht eine so einfache Beute, wie sie annahmen.
„Da vorn, der Alte!“ hörte er einen den anderen zurufen.
„Der soll einen so starken Schlüssel besitzen?“ fragte sich ein anderer.
Die Gruppe kam ihm immer näher. Schlich sich von hinten an den alten Mann heran.
Dabei erkannten sie noch nicht einmal, dass sie ihm genau in die Falle liefen.
„Hey, Opa! Bleib mal stehen!“ Ein Kerl im Teenageralter, in viel zu großen Baggypants und ebenfalls zu großem T-Shirt, packte nach dem alten Mann und zwang ihn sich umzudrehen.
„Was wollt ihr?“ Der Alte tat unwissend.
„Die Schlüssel!“ gab der Teenager zurück und musterte den Alten.
Aber der lies sich noch immer nicht einschüchtern, weder von ihm noch von den anderen fünf Kerlen, allesamt zwischen dem zwanzigsten und dem vierzigsten Lebensjahr und alle unterschiedlicher Herkunft.
„Es ist wohl eher so, dass ich eure Schlüssel bekomme!“ meinte der Alte nur.
„Opa, du spinnst wohl!“ war die Meinung des Teenagers.
Aber der Alte gab darauf keine Antwort. Blitzschnell, schneller, als man es einem so alten Mann eigentlich zutrauen würde, entwand er sich aus dem Griff des Jüngern, wirbelte mehr oder weniger um ihn herum und entriss ihm dabei die Geldbörse, die mit einer Kette an der Hose baumelte.
„Scheiße!“ kam nur von dem überraschten Jungen und er versuchte nach seiner Börse zu greifen. Doch wieder war der Alte schneller, wich dem Griff aus und verpasste dem Jungen sogleich ein paar feste Schläge.
Der letzte Gedanken des jüngeren war, dass er sich vermutlich gerade mit einem ehemaligen Boxer angelegt haben musste, ehe die Lichter bei ihm ausgingen und er wie ein nasser Sack zu Boden ging.
Lange konnte der alte Mann sich nicht an seiner Beute und an seinem Sieg erfreuen. Die anderen Fünf griffen gemeinsam an.
Wieder verpasste der Alte seinem Gegner harte Faustschläge, wobei er noch einen zu Fall brachte. Allerdings waren die anderen jünger und auch in der Mehrzahl, sodass es auch wenig verwunderlich war, dass sie ihm überlagen. Wütend traten und schlugen sie nach dem Alten.
Vorbeilaufende Passanten schrien entsetzt auf. Aber so recht wollte keiner von ihnen den Helden spielen und dem alten, ihm ebenfalls unbekannten, Mann helfen.
„Du hättest uns die Schlüssel raus rücken sollen!“ kam etwas gebrochen von einem der Jüngeren und er riss dem Alten die erbeutete Geldbörse aus der Hand.
Der Jüngere begutachtete die Börse und fand neben ein paar Geldscheinen und einem französischen Ausweis auch drei weitere Schlüsselkarten. Im ersten Moment strahlte er siegreich über seine Beute.
Doch das Lächeln gefror ihm.
„Was ist das? Wieso sehen die … so normal aus?“ hinterfragte er laut und die anderen Angreifen sahen ihn irritiert an.
„Irgendwas stimmt hier nicht!“ bemerkte sogleich ein anderer und er sah zu seinen Mitstreitern. Er begutachtete jeden einzelnen von ihnen, so als könne er irgendetwas besonderes sehen.
Dann sah er zu dem Alten am Boden.
„Die Schlüssel … sie haben ihre Magie verloren!“ meinte er entsetzt.
Die anderen stellten ebenso entsetzt das selbe fest und ihr Blick ging ebenfalls auf den alten Mann, der sich langsam wieder aufrappelte.
„Nur sein Schlüssel ist noch aktiv!“ fiel einen der anderen auf.
Ein Schmunzeln huschte über das Gesicht des alten Mannes. Blitzschnell griff er erneut nach der Geldbörse und hielt sie demonstrativ vor die anderen.
„Keiner eurer Schlüssel wird mehr funktionieren!“ meinte er und ging langsam rückwärts.
„Was soll das heißen, Alter?“ wollten seine Angreifer wissen.
Doch er schüttelte nur den Kopf und ging weiter rückwärts, wobei die Kerle ihm nachgingen. Es war eine Art Rückzug, den er nun vollzog. Allerdings war dies weniger, weil sie ihm überlegen war, als vielmehr so, dass er im Grunde bekommen hatte, was er mehr oder weniger wollte.
„Du kommst nicht weiter, alter Mann!“ lachte einer der Kerle, als der alte Mann rücklings gegen eine Haustür prallte.
„Meinst du!“ gab er nur zurück und ohne dass er wirklich die Klinke berührte, ging die Tür auf und er viel hindurch.
„Was?“
Sofort stürzten ihm die jüngeren hinterher. Doch es war zu spät. Der Alte war verschwunden und die Tür wieder verschlossen.
„Die Schlüssel! Was hat er damit gemacht?“ fragten sie sich und besahen sich ihre Karten. Nun ohne die Magie, die sie verströmten, waren sie nur noch normale Karten. Fast so wie eine nutzlose Sammlung bunter Comicbildchen, die lange Zeit heiß begehrt und gesammelt wurden, aber irgendwann den Reiz verloren hatten.
„Er hat sie nicht einmal berührt! Wie kann das sein?“ Die Frage stellten sie sich untereinander. Eine Frage, die sie so schnell nicht beantworten konnten.
Und noch eine andere Frage, kam ihnen. Wie sollten sie hier weg kommen?
Für die Anwohner und ängstlichen Beobachter ihres Kampfes, waren sie nun nichts weiter als gefährliche Rowdys. Und als ebensolche würden sie jeden Moment verhaftet werden, auch wenn ihr Opfer nun auch seltsame Weise verschwunden war.
Das irgendwer der Einwohner die Polizei gerufen hatte, machte ihnen nun eine viel größere Sorge. Vor allem da sie nicht fliehen konnten. Nicht mehr einfach durch eine Tür schreiten und verschwinden.
Nun waren sie keine Schlüsselreisenden mehr. Nur noch einfache Männer, mit einer nutzlosen Kartensammlung.


Meryl und ihr Bruder Richard waren allein im Haus. Ihr Gastgeber, oder vielmehr ihr Entführer, war verschwunden und er hatte keine sichtbaren Vorkehrungen getroffen, dass sie nicht fliehen könnten.
Und so erkundeten beide das Haus. Während Richard allerdings die Türen prüfen wollte, interessierte sich Meryl vielmehr an dem Inventar des Hauses.
„Scheiße!“ schrie Richard auf einmal und Meryl zuckte erschrocken zusammen.
„Der Typ hat die Haustür abgeschlossen!“ fluchte er und begann am Schlüsselloch herum zu fummeln.
Doch so sehr er sich auch bemühte, er bekam die Tür nicht auf.
Meryl hingegen war weiter auf Erkundungstour gegangen. Sie hatte die alten Bücher und alte Fotos entdeckt, die so gut wie überall im Haus verteilt waren. Auch war sie noch einmal in die obere Etage gegangen und hatte sich die Truhe mit den vielen Schlüsseln angesehen.
Für sie waren die Schlüsselkarten reizlos. Nur etwas Papier mit bunten Bildchen oder Texten drauf.
„Wieso will der Kerl eigentlich, das wir hier bleiben?“ wollte Richard wissen. Er hatte seine Ausbruchsversuche aufgegeben und war seiner Schwester nach oben gefolgt.
Meryl sah erschrocken auf. Sie hatte ihn nicht kommen hören.
„Du glaubst ihm den Mist doch nicht, oder?“ fragte Richard und klang, als verlangte er von ihr, seiner Meinung zu sein.
„Die Geschichte ist schon ein wenig wirr!“ gab sie zu, „Aber du warst doch dabei! Du hast gesehen, was los war!“
„Ja, und?“
„Wieso sollte seine Geschichte nicht wahr sein? Sie ...“ Meryl hielt inne und ihr Blick blieb mit einem Male auf dem alten Familienportrait hängen.
Eine Weile starrte sie irritiert darauf.
„Was ist los?“ wollte ihr Bruder wissen und blickte ebenfalls auf das Bild.
„Der Junge,...“ Meryl zeigt auf das jüngere der abgebildeten Kinder, „... kommt er dir nicht bekannt vor?“
„Was meinst du?“ Ihr Bruder verstand nicht.
„Er sieht genauso aus wie der Junge, den wir getroffen haben!“ bemerkte sie ein klein wenig irritiert.
„Sieht ihm ähnlich!“ gab Richard zu. Dennoch war er nicht überzeugt, dass es ein und derselbe Junge sein sollte.
Auch war er nicht von Keys Geschichte überzeugt. Es klang alles viel zu unwirklich.
Ein Poltern in der unteren Etage lies sie erschrocken zusammenfahren.
„Er ist zurück?“ fragte Richard seine Schwester, die nur schulterzuckend antwortete.
Vorsichtig gingen beide nach unten.
Unten angekommen, sahen sie sich um. Aber sie konnten im Treppenhaus niemanden entdecken.
Sie schlichen in unterschiedlichen Richtungen durchs untere Geschoss und irgendwann schrie Meryl erschrocken auf.
Sofort kam Richard angerannt und auch er erschrak.
Inmitten der Küche lag der alte Mann. Er war blutig und sah aus, als sei er in einen Unfall verwickelt gewesen.
Während Meryl dem alten Mann helfen wollte und versuchte, ihn wieder irgendwie zu Bewusstsein zu bringen, sah Richard seine Chance zur Flucht.
„Wir können seinen Schlüssel nehmen und endlich hier weg!“ meinte Richard sofort und griff nach der Börse in der Hand des alten Mannes. Da waren einige dieser sonderbaren Karten drin.
„Wir können gehen!“
Doch Meryl sah ihn nur kopfschüttelnd an.
„Er ist verletzt!“ meinte sie und versuchte noch immer den alten Mann wach zu bekommen.
Richard sah sie zornig an. Er verstand nicht weswegen sie lieber ihrem Entführer helfen wollte, anstatt an die eigene Freiheit zu denken.
„Du bist verrückt!“ brummte er sie an. Noch immer dachte er nicht im Traum daran, dem alten Mann zu helfen.
„Er weiß etwas über Kayleigh und Adrian!“ war sie überzeugt, „Er weiß sicherlich wo sie sind!“
Ihr Bruder überlegte. Dann lies er die Geldbörse mit den Schlüsseln fallen und beugte sich ebenfalls zu dem alten Mann hinunter.
Er hoffte inständig, dass seine Schwester recht haben könnte. Hoffentlich konnte Keys ihnen sagen, wo seine Kinder waren. Hoffentlich wären beide gesund und in Sicherheit.


In ihren Gesprächen ging es nach einer Zeit nur noch um Filme, Frauen und auch um irgendwelchen technischen Schnickschnack, den die Jungs irgendwie interessant fanden. Sie hatten weder irgendetwas über den Schlüssel noch über den ersten Meister zusammenfassen können. Sie wussten noch immer nicht, wo sie suchen könnten.
Kayleigh hatte die ganze Zeit etwas abseits gesessen und nur mit halben Ohr hingehört, während sie selbst einer Theorie nachging.
Sie hatte überlegt, welcher der ihr bekannten Reisenden womöglich ein wahrer Schlüsselmeister sein könnte. Zumindest nach dem was sie über einen wahren Schlüsselmeister dachte.
Er müsste die Schlüssel und die Durchgänge beherrschen können, dachte sie sich. Und er würde die Türen und Schlüssel erkennen.
Bei dem Einkauf mit Dearon hatte sie Kreide mitgehen lassen und so schrieb sie die Namen der vermeintlichen Schlüsselmeister auf. Selbst wenn sie noch nicht wusste, was ihr das schlussendlich bringen sollte.
Ganz oben hatte sie Thomas Learmont notiert. Er war der erste Schlüsselmeister. Der Erschaffer des ersten Schlüssels und vermutlich auch der Erschaffer der meisten Schlüssel, die im Umlauf waren.
Als nächstes hatte sie Vigilius aufgeschrieben. Auch er kam ihrer Definition eines Schlüsselmeisters nahe. Und er konnte die Spuren bestimmter Schlüssel und ihrer Träger verfolgen, wie auch immer er das anstellen mochte.
Dann hatte sie kurz überlegen müssen. Sie hatte nicht viel über Thomas Nachfahren erfahren. Und so notierte sie die nächsten Namen einfach ohne einer möglichen chronologischen Ordnung.
„Onkel Jim alias Matt … Mica ...“ hatte sie aufgeschrieben und danach nur das Wort: „Ich“
Irgendwann war sie dann darüber eingeschlafen.
Auch die Jungs hatte irgendwann der Schlaf übermannt und einer nach dem anderen war eingenickt.
Diesmal hielt keiner Wache. Dazu waren sie zu müde.

Am frühen Morgen, wobei man es bei dem Wetter nicht wirklich erkennen konnte, wie spät es nun vermutlich sein musste, war es Adrian, der als erstes aufwachte.
Verschlafen und ein wenig durchgefroren sah er sich um und bemerkte seine Schwester ein wenig abseits am Boden liegend.
„Kayleigh?“ Sie reagierte nicht und so ging er zu ihr hinüber.
Aber obwohl er sie vorsichtig antippte, wollte sie nicht aufwachen. So wurde er etwas ruppiger.
„Was soll das?“ murrte sie ihn an und setzte sich auf.
„Alles in Ordnung bei dir?“ wollte er sofort wissen. Für seinen Geschmack war sie ein wenig zu blass um die Nase.
„Mir geht’s gut!“ versicherte sie ihm. Allerdings konnte sie dies nicht überzeugend herüber bringen, da sie genau in dem Moment ein kurzer Schüttelfrost überkam.
Adrian fühlte ihre Stirn.
„Super!“ seufzte er, „Du hast Fieber!“
Doch Kayleigh ignorierte seine Prognose, schubste ihn zur Seite und stand auf. Es fühlte sich an, als wären ihre Beine aus Wackelpudding und so ging sie dementsprechend schwankend zu ihrem Rucksack.
Auch die anderen Jungs bemerkten, dass mit ihr etwas nicht stimmte.
Doch ehe einer von ihnen etwas fragen konnte, musste Dearon lauthals niesen.
„Das kann doch nicht wahr sein!“ protestierte Barry lautstark, „Wir sollten hier weg! Zwei von uns sind nun schon krank!“
Sein Ausraster kam recht deplatziert, wenngleich er recht hatte.
„Mir geht’s gut!“ log Kayleigh erneut und griff nach dem Buch. Sie wollte es zurück in ihren Rucksack packen, ebenso wie das Fotoalbum.
Aber wie um zu beweisen, dass es ihr nicht gut ging, fiel ihr das Buch aus der Hand und blieb gleich auf der zweiten Seite offen liegen.
Das wenige Licht, des verregneten Morgens, reichte aus um sichtbar zu machen, was anscheinend soeben aufgetaucht war.
Auf den Seiten, auf denen vor wenigen Stunden oder auch Tagen, ein paar sonderbare Striche aufgetaucht waren, bei denen nicht erkennbar war, wozu sie da waren, standen nun auch ein paar Namen.
Allen voran der Name Thomas Learmont. Darunter war ein Datum.
„Was ist das?“
Thomas Name war natürlich nicht der einzige, der aufgetaucht war. So waren noch knapp zehn weitere Namen und Daten aufgetaucht. Einige der Namen waren mit Strichen verbunden, die sich darunter teilten und zu weiteren Namen führten.
„Das sieht aus wie ein Stammbaum?“ bemerkte Adrian irritiert.
„Ich dachte, mit den verlorenen Seiten finden wir einen Hinweis auf den ersten Schlüssel!“ kam etwas enttäuscht von Jentrix.
Von Dearon kam nur ein Nieser. Auch er fühlte sich nicht wohl und sah ein wenig blasser als sonst aus.
„Das ist erstmal egal, oder?“
Die anderen sahen Barry irritiert an. Sonst immer war er es, der so scharf auf das Buch und seine Geheimnisse war. Und nun interessierte ihn das ganze nicht?
„Wir sollten uns einen trockenen und vor allem warmen Platz suchen!“ meinte er, „Wenn wir hier weiter rum hocken, werden wir alle krank! Und dann kommen wir auch nicht besser voran bei unserer Suche!“
Nikita LaChance
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 12:10

Kapitel XXXIX

Seit einigen Tagen herrschte dicke Luft zwischen Ama und ihrem Mann Remi. Oder vielmehr bereits seit Monaten.
Und immer wieder ging es dabei um ihr kleines Geschäft in London, denn obwohl es noch immer gut besucht wurde, waren ihre Lieblingskunden wie vom Erdboden verschwunden und somit auch ihre große Einnahmequelle.
Die Schuld am Fernbleiben der Kunden war schnell gefunden.
„Seit Barry die Geschwister angeschleppt hat, ist kein Reisender mehr aufgetaucht!“ schrie Ama Remi an, „Du weißt es!“
„Ja, na und? Das ist Zufall!“ gab er nur zurück. Einerseits sah er zwischen dem Besuch von Barry und seinen jugendlichen Freunden und dem Verschwinden ihrer großen gewinnbringenden Kundschaft keinen Zusammenhang, andererseits fand er es auch irgendwie merkwürdig. Vor allem dass seine Frau so sehr an dem Mädchen von damals interessiert war, irritierte ihn irgendwie.
Auch hatte Ama mehrmals gemeint, dass es bisher niemanden gelungen sei, durch einen Schrank zu reisen. Nie hätte dort irgendein Schlüssel funktioniert. Und die Antwort „Zufall!“ lies sie dabei nicht gelten.
Nach einer Weile hatte Ama zumindest einen Teil der Antwort gefunden. Schlüssel funktionieren nur bei Türen mit einem Rahmen. Bei jedem anderen Schrank wären sie also nutzlos, da diese normalerweise keinen Rahmen drumherum hatten. Doch der Kleiderschrank in ihrem Gästezimmer war alt und hatte ringsum einen breiten Rahmen. Eigenartigerweise waren Barry und seine Freunde die ersten und zum Glück auch die einzigen, die bisher durch die Schranktür geflohen waren.
„Es ist das Mädchen!“ gab Ama erneut von sich. Dass sie dabei merkwürdige Blicke ihrer normalen Kundschaft zugeworfen bekam, ignorierte sie.
„Das Mädchen ist nichts besonderes!“ brummte Remi zurück, wobei er versuchte nicht zu laut zu werden.
Allerdings lies das die Kunden noch mehr aufhorchen, die annahmen, sie seien gerade in einen Ehekrach geraten, da er seine Frau mit einer jüngeren betrogen hatte.
„Sie ist … schuld an dem ganzen Mist!“ fauchte Ama.
„Woher willst du das wissen?“
„Du hast die Nachrichten gesehen!“ antwortete sie ihm. Und während Remi verstand, was sie meinte, waren die Lauscher recht unwissend.
„Alle sind nun hinter ihr und dem Buch her! Das was passiert ist, ist doch nicht normal! Die ganze Meute in Berlin und … überall tauchen sie nun in Gruppen auf und verfolgen etwas!“
Remi schüttelte den Kopf. Ein Zeichen, dass sie endlich leiser sprechen sollte.
Doch Ama ignorierte diese Geste. Sie hatte keine Lust leiser zu werden und auch keine Lust sich wieder zu beruhigen.
Auch in ihr wuchs der Wunsch, wenn man es denn so nennen konnte, wieder auf Reisen zu gehen. Es war eigentlich viel mehr ein Drang. Vermutlich so, wie es bei den ganzen anderen Reisenden auch war.
„Du wirst aber nichts tun können!“ meinte Remi nur und ging an ihr vorbei auch einen der neugierigen Kunden zu.
Auch er verspürte den Drang, endlich wieder unterwegs zu sein. Nur wusste er nicht woher dieser Wunsch kam, schließlich hatte er sich hier mit seiner Frau eine Existenz aufgebaut und war glücklich gewesen.
Kurz nach dem Besuch von Barry und den Geschwistern, waren plötzlich so viele Reisende aufgetaucht, die alle nur nach einem besonderen Schlüssel suchten und dann ohne etwas zu kaufen, wieder verschwanden. Es war als würden sie etwas oder jemanden verfolgen. So als folgten sie den Geschwistern und ihrem Buch oder vielleicht einem ihrer Schlüssel. So als wären die Reisenden angelockt worden.
Und ihn und seine Frau hatte das selbe ergriffen, wie die anderen Reisenden. Wie eine ansteckende Krankheit, der man nicht fliehen könnte. Vermutlich wäre die einzige Heilung bzw. Lösung für dieses eigenartige Rätsel, auch die Geschwister zu verfolgen.
Nur wusste er nicht warum er das tun sollte! Es musste doch einen Grund geben!


„Wir können hier nicht weg!“ protestierte Kayleigh.
„Was, nur weil du das deinem Kumpel versprochen hast?“ kam etwas lauter von Barry. Dass er sich gerade jetzt als fürsorgender Erwachsener aufspielen wollte, missfiel Kayleigh, schließlich passte es nicht im geringsten zu seinem bisherigen Verhalten.
Allerdings wollte ihr kein Grund fürs Bleiben einfallen. Sie hatte es versprochen, sich unauffällig zu verhalten und die Schlüssel nicht einzusetzen, andernfalls könnte das wieder die Jäger auf ihre Spur bringen.
„Komm schon, Kayleigh! Wenn wir hier bleiben, werden wir alle krank!“ meinte ihr Bruder.
Sie wollte erneut Widerspruch geben, aber schwieg. Wohl oder übel hatten die Jungs recht. Zwar waren sie bisher von größeren Erkrankungen verschont geblieben, trotz der schnellen Wechsel der Klimazonen, aber sie konnten nicht die ganze Zeit auf dieses Glück hoffen.
Obwohl sie nichts sagte, ahnte Adrian, dass sie immer noch darauf pochte, dass mit ihr alles in Ordnung sei, selbst wenn deutlich das Gegenteil zu sehen war.
„Du weißt, dass wir nicht bleiben können!“ meinte er erneut.
Und wie auf ein Zeichen musste Dearon niesen.
Ein schwaches „Okay!“ kam von ihr und sie packte das Buch langsam wieder ein.
„Wir müssen nur eine Tür finden und ...“ Barry sah sich um. Aber er sah keine nützliche Tür. Und ihm fiel ein, dass sie nicht wissen konnten, wo sie landen würden.
„Wenn wir einfach so losgehen, kann´s passieren, dass wir ins nächste Unwetter geraten oder dass, wir ...“ Ein richtiges Argument wollte ihm zwar nicht einfallen, aber auch die anderen hatten leichte bedenken.
„Und wenn wir in einem Hotel oder so landen würden?“ dachte Adrian laut nach.
„Könnte problematisch werden, wenn sie uns erwischen und falls wir etwas länger als ein paar Stunden oder so bleiben. Wir haben auch kaum noch Geld!“ antwortete ihm Dearon verschnupft.
„Aber wir haben keine andere Möglichkeit!“ kam von Barry nachdenklich, „Wir müssen es so versuchen!“
Jentrix grübelte kurz und meinte dann, dass er vielleicht eine Idee hätte.
Ohne weitere Erklärung griff er sein Handy, wählte und wartete kurz.
Er rief einen Freund an, wie die anderen recht bald mitbekamen. Er meinte, er sei gerade bei ihm in der Nähe zu einem Fotoshooting und würde seinen Kumpel nach langer Zeit mal wieder besuchen wollen.
„Oh, das trifft sich schlecht!“ so die Antwort, des Angerufenen, „Ich bin für zwei Wochen für ein Shooting noch in Japan unterwegs! Ich dachte, ich hätte es dir gemailt?“
Jentrix stellte sich unwissend.
„Schade! Dann müssen wir das Treffen verschieben!“
„Ja, tut mir leid!“ Zu Jentrix Glück war sein Freund ziemlich unter Zeitdruck, weswegen das Telefongespräch etwas kürzer ausfiel als es vermutlich gewesen wäre. Er versprach seinem Freund, dass er ihm demnächst eine Mail schreiben würde und legte wieder auf.
Jentrix packte das Handy wieder weg und bemerkte, dass ihn die anderen vier irritiert ansahen.
„Ich hab eine Unterkunft für uns gefunden!“ meinte er zu ihnen.
„Und woher wusstest du …?“ wollte Barry gleich wissen und griff damit Adrian vor, der dasselbe wissen wollte.
„Woher ich weiß, dass er nicht daheim ist? Er hat mir in einer Mail geschrieben, dass er von Mitte Juli bis ungefähr Mitte August in Japan unterwegs ist!“ erklärte er und beantwortete sogleich eine noch ungestellte Frage der anderen, „Er ist Fotograf und ist mit einer Freundin im Urlaub. Nebenbei geht er dort noch seiner Arbeit nach!“
Zwar brannten in Adrian sowie auch in Barry weitere Fragen, nach der Vertrauenswürdigkeit oder warum Jentrix sich so sicher gewesen war, dass er mit seiner Lüge durchkam, aber keiner von beiden stellte auch nur eine. Im Moment gab es wichtigeres, als mehr über Jentrix´ Vergangenheit und seine Freunde zu erfahren.
Sie mussten endlich ins Warme und vor allem ins Trockene.
„Schön und gut, wir haben eine Unterkunft. Nur wie kommen wir dahin? Der einzige Durchgang ist womöglich draußen das Pförtnerhäuschen und mit Pech landen wir dann wieder sonst wo!“ kam von Barry etwas enttäuscht.
„Aber Kayleigh kann uns doch hinbringen, wohin wir wollen!“ bemerkte Jentrix sofort.
Barry sah zu ihr hinüber.
Auch wenn sie zustimmend nickte, war er sich dessen nicht so sicher. Im Grunde machte sie eher den Eindruck als würde sie jeden Moment zusammenbrechen.
„Dann sollten wir jetzt los!“ meinte Adrian sofort und schwang seinen Rucksack seinen Rücken. Dann griff er auch den seiner Schwester, die gerade protestieren wollte. Aber er schüttelte nur den Kopf und sie griff sich schweigend ihre Umhängetasche.
Auch die anderen setzten sich ihre Rucksäcke wieder auf den Rücken und machten sich bereit zum Aufbruch.
„Wir sollten uns beeilen, ansonsten sind wir blitzschnell durchnässt!“ meinte Jentrix gleich.
Zu fünft rannten sie durch den Regen zu dem Pförtnerhaus, Kayleigh hatte einen Schlüssel aus ihrer Tasche genommen und Jentrix nannte ihr die Adresse seines Freundes und bat sie, dass sie dafür sorgen sollte, dass sie in der Wohnung und nicht davor landen sollten.
Kayleigh hielt den Schlüssel gegen die Tür, doch nichts passierte.
„Du musst dich konzentrieren!“ schrie Barry in den Regen.
So sehr sie es auch versuchte, mangelnde Konzentration war nicht ihr einziges Problem. Sie konnte sich kaum auf den Beinen halten, war schon wieder bis auf die Knochen nass und zitterte wie Espenlaub.
Adrian griff nach Kayleighs Hand, so als wolle er sie führen und drückte ihre Hand mit dem Schlüssel gegen die Tür. Dann öffnete sie sich endlich und wies anstatt des verfallenen Inneren des Pförtnerhauses einen hellen und vor allem trockenen kleinen Flur auf.
Schnell gingen sie durch die Tür und waren froh endlich im Trockenen zu sein.


Vigilius dachte lange nach. Dass er gerade irgendwo in einer russischen Kleinstadt gelandet war interessierte ihn im Moment recht wenig.
Er war einfach drauflos gegangen. Er hatte einfach nur wieder von seinem Bruder weg wollen. Es war, als hätte das Gespräch mit seinem Bruder negative Erinnerungen in ihm geweckt.
Aber vielleicht war es das Gespräch gewesen, dass ihm nun zum Nachdenken gebracht hatte. In den ganzen Jahren hatte er sich nicht wirklich große Gedanken darüber gemacht, warum er dem ersten Schlüssel so verbissen folgte. Allerdings konnte es auch sein, dass er den Grund während dieser rastlosen Jahre aus den Augen verloren hatte.
Ja, er war einerseits wütend auf seinen Vater, da Vigilius seiner Meinung als Kind zu wenig Aufmerksamkeit von ihm bekam und andererseits, war er wütend, da sein Vater zugelassen hatte, dass seine Mutter viel zu früh gestorben war.
Seiner Meinung nach, hätte der Vater irgendetwas unternehmen müssen. Wo er doch so viel Magie besaß, hätte er sie retten können, glaubte Vigilius.
Dass sein Vater allerdings gegen die Krankheit, dessen Namen er im Grunde noch nicht einmal kannte, unternehmen konnte und damals die Medizin teilweise noch in den Kinderschuhen steckte, jedenfalls im Gegensatz zu heute, ignorierte er immer wieder.
Es war, als bräuchte er einen Grund für seine Wut und seine Suche.
„Er hätte sie in eine andere Stadt bringen müssen!“ murmelte er vor sich hin, „Er hätte sie solange jung halten können ...“
Die Gedanken verliefen sich immer mehr im Sand und verloren sich allmählich wieder, als er den Druck im Magen spürte. Es war nicht das selbe Gefühl, was er bekam, wenn er dem ersten Schlüssel oder Kayleigh und ihrer Bande folgte. Es war schwächer. Aber es war da.
Irgendein Schlüsselträger musste in der Nähe sein. Und als Vigilius sich umsah, bemerkte er, dass der andere auch ihn sah.
Und ehe einer der beiden auch nur ein Wort zu dem anderen sagen oder irgendwie anders reagieren konnte, tauchten weitere Schlüsselträger auf.
Gleich sechs weitere Männer, aller verschiedener Herkunft, kamen auf Vigilius und dem anderen entgegen. Und sie alle wirkten wie auf der Jagt.
Hastig warfen sie sich Blicke zu. Deutlich war die Gier nach den Schlüsseln der anderen in ihren Augen zu erkennen.
Zum ersten Mal fühlte sich Vigilius recht unwohl in seiner Haut. Bis jetzt hatte er noch nie das Problem gehabt, gleich auf mehrere Reisende zu treffen. Zumindest nicht auf so viele zugleich, die alle nur auf seine Schlüssel aus wahren.
Die sechs gingen sofort aufeinander los. Versuchten sich im Kampf gegenseitig die Schlüssel zu rauben.
Einige Anwohner der Stadt reagierten wie erwartet mit Panik und riefen um Hilfe.
Vigilius wusste im ersten Moment nicht,was er tun sollte. Auch er wollte die Schlüssel der anderen haben. Doch einen Kampf wollte er nicht unbedingt austragen, vor allem da einer der Männer plötzlich eine Schusswaffe gegen seine Mitstreiter einsetzte.
Getroffen von einer Kugel sackte einer der Männer zusammen. Ein zweiter Schuss fiel, ehe man dem Schützen die Waffe entriss. Allerdings beendete die Schießerei noch lange nicht den Wettstreit und den Schlüsselträgern.
Der Kerl, der Vigilius zuvor allein gegenüber gestanden hatte, war davon gelaufen. Auch er hatte keine Lust auf einen blutigen und tödlichen Kampf mit den anderen.
Einen kurzen Moment sah Vigilius auf die kämpfende Bande, ehe er blitzschnell kehrt machte und sich durch die nächstbeste Tür davon machte.
Es war keine Feigheit. Viel eher Vorsicht! Unbewaffnet einer Meute Schlüsseljäger zu begegnen war in diesen Tagen mehr als gefährlich geworden.
„Irgendwie sind alle irre!“ meinte er mehr zu sich und ging weiter den Weg entlang, der plötzlich hinter der Tür aufgetaucht war.


„Sind wir hier richtig?“ wollte Adrian wissen und sah sich irritiert um. Nicht nur der Flur war klein. Auch die Wohnung, wenn man denn bei dem einen Raum, indem eine Küchenzeile sowie eine gemütliche Sitzecke, die womöglich den Wohnbereich darstellen sollte, so nennen konnte. Und wie um zu beweisen, wie gering doch der Wohnraum war, war das Bett über der Sofaecke auf einer Art Überbau aufgestellt, der ungefähr auf knapp zwei Meter Höhe an der Wand festgemacht war.
Zwar war die Fläche gering, aber die Wände recht hoch. Zumindest auf der einen Seite, denn auf der anderen Wandseite, wo auch hohe Fenster waren, war eine Dachschräge.
Adrian richtete sich an Jentrix, der nur kurz schmunzelte. Er hatte beinahe schon vergessen, wie klein die Wohnung doch im Gegensatz zu seinem letzten Wohnsitz war.
„Neunundzwanzig Quadratmeter!“ gab Jentrix schmunzelnd zu verstehen.
„Aha!“ kam von Barry, „Aber ich glaube wir haben hier ein anderes Problem!“
Und wie auf Befehl, gaben Kayleighs Beine auf einmal nach und sie saß blass auf dem Teppichboden.
Jentrix riss sich wieder zusammen.
„Klar, wir brauchen erst mal trockene Sachen und dann ...“ Er hatte seinen Rucksack abgesetzt und wollte sich was trockenes raus suchen. Nur war der ganze Rucksack durchnässt und somit auch seine Anziehsachen.
Auch den anderen erging es nicht wirklich besser. Ihre Rucksäcke haben dem vielen Wasser nicht lange Stand halten können und so waren alle ihr Klamotten feucht.
„Toll! Und nun?“ maulte Barry, „Wir können nicht nackt hier rum laufen!“
Kayleigh sah irritiert zu ihm hoch.
Jentrix ging zu einer Ecke an der Dachschräge, die sich bei genauerer Betrachtung als Einbauschrank herausstellte und sah darin nach.
„Vielleicht …“ begann er und hielt seine Fundstücke für die anderen sichtbar hin, „Vielleicht sollten wir uns hiermit begnügen!“
Selbst Dearon war ein wenig irritiert, dass sich Jentrix scheinbar so gut in der kleinen Wohnung auskannte.
Jentrix kam mit ein paar Kleidungsstücken zu den anderen zurück und drückte jedem etwas in die Hand.
„Ähm … kannst du dich allein umziehen?“ wollte er von Kayleigh wissen, wobei sie sofort rot anlief.
„Ich schaff das allein!“ Sie klang ein wenig wie ein kleines Kind. Sie mühte sich auf ihre Beine und sah sich irritiert um.
„Wo ist das Bad?“
Wieder ein schmunzeln von Jentrix und dann zeigte er in die Richtung, aus der er gekommen war.
„Dahinten ist das Badezimmer!“ meinte er dann und gab Kayleigh die trockenen Sachen seines Kumpels, „Ich hoffe, dass das irgendwie passt!“
Kayleigh wankte ins Bad und entledigte sich ihrer nassen Kleidung. Dann zog sie den trockenen Sachen an. Eine kurze Sporthose, die man enger machen konnte, und ein T-Shirt, welches fast wie ein Kleid an ihr wirkte.

Frisch umgezogen ging sie zurück in den Wohnraum und blieb erschrocken stehen.
Auch die Jungs waren dabei sich umzuziehen und so stand Adrian noch in Unterhosen da, während die anderen zumindest schon eine trockene Hose an hatten.
„Ähm …!“ Sie wusste nicht so recht, was sie nun machen sollte oder wo sie hinsehen sollte.
Jentrix kam auf sie zu, grinsend über ihr rot angelaufenes Gesicht und wegen der zu großen Klamotten, und nahm ihre Hand.
„Du gehst ins Bett!“ Sein Befehl klang ein wenig zweideutig, weswegen Kayleigh ihn irritiert ansah.
„Da hoch!“ Er zeigte auf das Hochbett und da sie sich nicht vom Platz rührte, zog er sie zu der Leiter, die nach oben führte.
Kayleigh kletterte hoch, wobei er ihr hinterher ging, unter anderem um sicher zu gehen, dass sie nicht runter fiel oder stolperte.
Das Bett stellte sich mehr oder weniger als eine große Doppelbett-Matratze heraus. Alles war frisch bezogen.
„Du solltest nun schlafen!“ meinte er zu ihr und wartete, bis sie sich unter die Decke verkrochen hatte. Dann ging er wieder nach unten.

Die Jungs hatten sich umgezogen und wussten nicht wohin mit den nassen Sachen.
„Er hat einen Trockner hier!“ meinte Jentrix, nahm seinen Stapel Sachen und ging zur Kochecke, wo sich unter diese und eine Waschmaschine unter dem Geschirrschrank befand.
Etwas verärgert darüber, dass er seine Sachen doch erst vor kurzem gereinigt hatte, begann er nun seine feuchte Kleidung in die Waschmaschine zu stopfen. Da sie schon einmal feucht war, konnte er sie auch waschen, dachte er sich.
Auch die anderen begannen ihre nassen Sachen durch zu gehen. Einiges hingen sie zum Trocknen auf und ein paar Sachen wollten sie noch einmal durch waschen.
„Und nun?“ wollte Barry müde wissen.
Doch so recht wusste es niemand. Sie alle waren müde und genossen nun die bequemere und vor allem trockenere Unterkunft.


Während sein Begleiter eingeschlafen war, lag Mica noch eine Weile wach. Bereits drei Mal hatte er versucht Kayleigh anzurufen. Aber niemand war ans Handy gegangen. Und so grübelte er eine Weile so vor sich hin.
Er überlegte, was er alles über die Schlüssel herausbekommen hatte, was im Grunde noch nichts genaues war. Und dann fiel ihm wieder ein, wie gefährlich die Schlüssel werden konnten, oder zumindest die, die danach trachten.
Besorgt rief er erneut auf Kayleighs Handy an.
Eine verschlafene Stimme meldete sich. Doch es war nicht Kayleigh. Es musste einer der Jungs sein.
„Ich bin´s! Mica!“ erklärte er.
„Oh, ...“ kam von der anderen Seite, „... was gibt’s?“
Mica knobelte kurz, wen er am anderen Ende hatte. Der Stimme nach, musste es Jentrix sein.
„Ich … wollt wissen, was bei euch los ist!“ kam etwas stockend. Dies nicht wirklich der Grund seines Anrufs, aber er wusste nicht, wie er auf darauf zu kommen sollte.

Jentrix erzählte ihm, dass sie aus ihrem letzten Versteck hatten verschwinden müssen, da es Kayleigh nicht so gut ging. Als er meinte, dass sie ihr Fieber runter gespielt hatte, antwortete Mica nur, dass sie das öfters so machen würde.
„Sie kümmert sich weniger um sich selbst als um andere!“ seufzte er.
„Ihr müsst vorsichtig sein!“ meinte Mica dann zu Jentrix.
Jentrix verstand nicht ganz.
„Die Schlüssel sind eigenartig in letzter Zeit. Die … ziehen sich irgendwie gegenseitig an, glaube ich!“ erklärte Mica, „Ich weiß nur nicht, warum!“
Jentrix schwieg.
„Hör zu, ihr müsst aufpassen! Sie sind alle hinter euch her, vor allem aber hinter Kayleigh!“ meinte Mica etwas strenger als gewohnt, „Ihr müsst nur … den ersten Schlüssel finden!“
Gerade der letzte Satz klang eigenwillig. Dass war sich Mica auch bewusst.
„Pass auf Kayleigh auf!“ bat er noch einmal, „Ich werd versuchen mit ihrem Onkel zu euch zu kommen und dann werden wir zusammen versuchen, was heraus zu bekommen, oder so!“
„Ja! Vielleicht wär das besser, wenn der Schreiber erzählt, was im Buch wirklich drin stand!“ meinte Jentrix.
„Was steht denn jetzt drin?“ wollte Mica wissen.
Er konnte hören, dass Jentrix durch den Raum ging, wobei sich im Hintergrund seine Freunde fragten, was los sei. Dann hörte er das Blättern im Buch.
„Hm?“ kam erst einmal nur.
„Hier sind noch mehr Namen aufgetaucht!“ meinte Jentrix dann.
Auf Micas Anfrage hin, las er sie vor. Nun waren es bereits neun Namen und Daten, die alle nicht wirklich zusammen zu hängen schienen.
„Eigenartig!“ meinte Mica nur dazu. Was genau das zu bedeuten hätte, wusste er nicht.
„Okay, ich sollte vielleicht versuchen noch ein wenig Schlaf zu bekommen!“ Auch wenn er keinen Schlaf finden würde, so musste er doch ein wenig über die Neuigkeiten nachdenken.
Er lies sie von Jentrix die Adresse ihrer jetzigen Unterkunft geben und meinte, dass er mit Kayleighs Onkel so schnell wie möglich zu ihnen stoßen würde.


Jentrix hatte wieder aufgelegt. Es war ein wenig irritierend, dass Kayleighs Exfreund ihm nun den Befehl gab auf sie aufzupassen. Aber vermutlich hatte er recht. Wenn Kayleigh schon nicht auf sich selbst achtete, so musste es ein anderer tun.
„Was jetzt?“ wollte Barry wissen. Es war mehr oder weniger die Frage des Tages.
„Ich hab keine Ahnung! Aber wir sollten nicht weggehen, bevor´s Kayleigh wieder besser geht!“ gab Jentrix zurück und warf das Buch auf den Tisch, wo es Barry gleich an sich nahm.
„Ich versteh nicht, wie uns das helfen soll!“ kam sofort von Adrian, der neben Barry saß und einen Blick auf die seltsame Namensliste warf.
„Sieht aus wie ein Familienstammbaum!“ meinte Dearon verschnupft und zog die dünne Couchdecke über seine Schultern. Anscheinend hatte er nun auch mehr als nur Schnupfen bekommen.
„Ja, aber wie soll uns der weiterhelfen?“ wollte Adrian wissen.
„Vielleicht hat einer von ihnen den Schlüssel!“ fiel Barry ein.
„Und wer?“
Darauf hatte Barry keine Antwort.
„Das ist sinnlos!“ seufzte Jentrix, „Selbst wenn uns das irgendwie einen Hinweis auf den ersten Schlüssel geben sollte, es sind zu viele Namen!“
Barry sah ihn irritiert an.
„Na, das sind ...“ Er sah noch einmal auf die Buchseiten, „Das sind über neun Generationen, oder so! Und dann ist noch immer nicht sicher, dass das hier wirklich alle Namen sind. Dann weißt du noch nicht mal wo sie stecken, wenn sie denn überhaupt noch leben!“
Er klang zu recht ein wenig enttäuscht.
„Und dann ist ja noch nicht einmal klar, ob der Schlüssel wirklich in der Familie von Thomas blieb!“ meinte Dearon und alle sahen ihn fragend an.
„Na ja, in der Geschichte steht doch drin, dass seine Cousine ihm einen Schlüssel geklaut hat. Es stand aber nicht drin, was für einen. Sie könnte also den ersten Schlüssel mitgenommen haben!“ war er überzeugt.
Jentrix fragte sich, wie es sein konnte, dass sich Dearon an den Teil der Geschichte im Buch erinnern konnte.
„Streber!“ entgegnete er nur.
„Unser Problem wäre dann also nicht nur, dass wir noch immer nicht wissen, wer den Schlüssel von den Leuten hier ...“ Adrian zeigte auf die Buchseiten, „... hat und wo sie stecken, sondern nun kann es also auch sein, dass eine fremde Familie den Schlüssel besitzt!“
Die Jungs sahen ihn irritiert an.
„Das hier ist nur der Stammbaum von Thomas!“ erklärte er, „Der Stammbaum beginnt mit ihm und bis jetzt ist noch nichts anderes über seine Vorfahren oder Verwandten bekannt geworden, oder?“
Ein Seufzen ging um.
„Also so nützlich wie immer!“ meinte Dearon sarkastisch und lehnte sich zurück. Er war müde und konnte Schlaf durchaus vertragen.

Barry blätterte durch das Buch und sah erneut irritiert drein.
„Was soll das jetzt?“ fragte er sich und legte das Buch sichtbar auf den Tisch.
Eine Zeichnung war darin aufgetaucht.
„Das ist ein Scherz, oder?“ wollte Adrian wissen.
Das Bild zeigte die fünf. Kayleigh und ihr Bruder vorn, dahinter Barry und dann Jentrix und Dearon.
„Die Hüter des Buches … Suchende des Schlüssels ...“ las Adrian vor.
„Ehrlich gesagt, geht mir das Buch allmählich auf die Nerven!“ fluchte Jentrix, wobei ihm die anderen zustimmten.
„Ihr solltet schlafen und ich halt Wache!“ meinte Barry auf einmal. Das war das erste Mal, dass er von sich auch Wache halten wollte. Allerdings hatte niemand was dagegen.
Barry schlug das Buch zu und suchte sich etwas aus der wohnungseigenen sehr kleinen Bibliothek, die zum Großteil aus Fotobüchern bestand, aus, womit er sich die Zeit vertreiben wollte.

„Ich seh mal nach ihr!“ kam von Jentrix, worauf allerdings keiner weiter reagierte.
So ging Jentrix die Leitersprossen nach oben und kroch zu Kayleigh hinüber, die wie immer ein wenig unruhig schlief.
Gerade als er ihre Stirn fühlen wollte, wachte sie erschrocken auf und sah ihn mit großen Augen an.
„Wieder ein Alptraum?“ fragte er, wobei er die Antwort längst wusste.
Er strich ihr ein paar Haare aus dem Gesicht und lächelte.
„Du solltest wieder einschlafen!“ meinte er leise.
Sie nickte nur müde.
Er wollte schon wieder zurück nach unten gehen, als sie nach seiner Hand griff.
„Soll ich warten bis du eingeschlafen bist?“
Wieder nur ein Nicken.
Vermutlich war ihre Reaktion dem Fieber zuzuschreiben, dachte sich Jentrix.
Dennoch rückte er näher zu ihr, legte sich neben sie und hielt ihre Hand fest, bis sie eingeschlafen war.
Nikita LaChance
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 12:11

Kapitel XL

Oft erscheinen Träume wie die Realität und die Realität wie ein Traum. Manchmal ist es schwer auseinander zu halten wann man im Schlaf umher wandelt und wann man der Wirklichkeit gegenüber steht.
Vor allem für Kinder ist es oftmals etwas schwierig, den genauen Unterschied zwischen dem Erträumten und der Realität zu erkennen.

Nur den Erwachsenen erscheint es nicht ganz so geheuer zu sein.
Magie? Zaubertüren? Zauberschlüssel?

Mit ihren gerade mal zweieinhalb Jahren spazierte das kleine Mädchen durch das große Haus. Oft war sie schon hier gewesen, mit ihren Eltern. Meist war sie dabei auf dem Arm ihrer Mutter.
Doch nun war sie allein unterwegs. Und von der Mutter keine Spur.
Im Haus schien sie niemand zu erwarten. Keiner kam, um sie auf den Arm zu nehmen und herum zu tragen. Niemand kam, um ihr etwas Süßes zu geben oder sie äußerst kindisch voll zu lallen. Zum Glück war sie noch zu jung, um zu erkennen, wie sehr sich die Erwachsenen meist vor ihr zum Narren machten.
Keiner schien daheim zu sein und dennoch hatte das Kind keine Angst.
Zielstrebig ging es auf die Tür zu und versuchte sie zu öffnen. Doch um die Tür allein auf zu bekommen, fehlte ihr noch die nötige Kraft und auch die richtige Größe, um wirklich an die Klinke greifen zu können.
Aber noch immer kein Ton von ihr. Kein Ruf nach der helfenden Mutter oder einen Schreianfall, weil die Tür nicht aufgehen wollte. Nichts.
Hinter der Tür gab es etwas, was sie haben wollte. Und obwohl sie noch so jung war, vermutlich zu jung, um überhaupt zu verstehen, was genau sie tat, blieb sie hartnäckig.

Plötzlich ging die Tür vor ihr auf. Jemand hatte sie von innen geöffnet.
Und dieser Jemand schien genauso überrascht zu sein wie sie, jemanden auf der anderen Seite der Tür vorzufinden.
„Was machst du hier?“ kam die leicht erschrockene Frage des Mannes. Hinter ihm ein Raum voller Bücher.
Das Mädchen sah an ihm hoch und strahlte übers ganze Gesicht. So als wäre er es, den sie gesucht hatte.
Dann riss sie wortlos, aber freudig strahlend ihre Arme nach oben.
Er verstand und nahm sie hoch.
Mit ihr auf dem Arm ging er durch das Haus. Er verstand nicht, wo das Kind auf einmal herkam und suchte nun nach der Mutter, die sonst immer dabei war.
Aber er war mit dem Mädchen allein im Haus. Seine Frau war bei einem Treffen mit einer Freundin und würde erst spät nach hause kommen.
„Wieso bist du allein hier?“ fragte er die Kleine. Doch noch immer antwortete sie nicht, sei es, weil sie nicht wollte oder weil sie noch nicht wirklich verständlich sprechen konnte.
Ein Seufzen ging über seine Lippen und dann trug er das freudestrahlende Mädchen wieder zurück in den Raum voller Bücher.
Dort setzte er das Kind in einen der alten Sessel, gab ihr ein Buch mit vielen Fotos und setzte sich ihr gegenüber, wobei er sich selbst ein Buch in die Hände nahm. Nur zum Lesen kam er nicht so recht.
Das bunte Fotobuch war nicht interessant genug für die Kleine und so kletterte sie vom Sessel und ging zu ihm hinüber. Sie griff nach dem Buch.
Doch der Mann nahm es zur Seite und sah das Mädchen irritiert an. Irgendetwas hatte sich im Buch verändert. Nur war der Text auch schon so schnell wieder verschwunden wie er aufgetaucht war.
Es waren Zeilen gewesen, die selbst bisher noch nie in dem Buch gesehen hatte. Aber er hatte den Text nicht einmal lesen können.
Der Mann wollte dem Kind noch einmal das Buch hinhalten, in der Hoffnung, dass dann der sonderbare Text wieder auftaucht, als plötzlich die Bibliothekstür auf ging.
Seine Frau war es nicht, die herein kam. Und auch hatte sich die Tür nicht wirklich geöffnet. Viel eher gespalten, wobei die Seite der Tür vor der Bibliothek zu blieb, während die Innenseite auf ging.
„Hier bist du!“ kam erstaunt von der Frau. Ihr Spruch galt dabei viel weniger dem Mann als vielmehr dem Kind bei ihm.
„Evangeline?“ Der Mann war überrascht. Nicht nur, dass erst das Kind einfach so aufgetaucht war, so war nun auch die Mutter wie aus dem Nichts erschienen.
„Sie sollte eigentlich ihren Mittagsschlaf machen und in ihrem Bett liegen!“ meinte die Mutter und zeigte auf das Mädchen, welches noch immer freudestrahlend bei dem Mann stand.
„Wie ist sie eigentlich hier her gekommen?“ wollte dieser wissen.
Die Mutter sah ihn nur eindringlich an, so als müsse er die Antwort kennen.
„Oh!“ kam nur von ihm.
Evangeline ging zu dem Mädchen hin und hob es hoch.
„Das sollte nicht passieren!“ meinte sie und klang irritiert. Die Mutter sprach zu dem Mann und nicht zu dem Kind, woraufhin er nickend antwortete.
Sie drehte sich mit dem Kind auf dem Arm um und ging wieder auf die Bibliothekstür zu.
„Du solltest vorsichtig sein!“ meinte der Mann zu ihr, bevor sie verschwand.
Die Frau schritt mit dem Kind durch die Tür, die sich gleich danach wieder zusammenfügte, und der Mann blieb allein zurück. Irritiert und mit vielen Fragen.

Wie gesagt, ist es für Kinder schwer zwischen Realität und Traum zu unterscheiden. Für Erwachsene weniger. Und auch vergessen einige Kinder ihre sonderbaren Erlebnisse.
Nur die Mutter vergaß den ungewöhnlichen Ausflug ihrer kleinen Tochter nicht so schnell. Sie hielt immer ein wachsames Auge auf sie und ihren zwei Jahre älteren Bruder gerichtet. Und lange Zeit schien es so, als sei das Ereignis einmalig gewesen.

Knapp zwei Jahre später war das Mädchen erneut durch eine Tür gegangen, ihre Zimmertür, und landete erneut im Haus des Mannes. Und wieder reagierte er überrascht.
„Du solltest nicht hier sein!“ meinte er und ging bereits zum Telefon, um die Mutter zu benachrichtigen.
„Aber ich will dich besuchen!“ kam unschuldig von dem kleinen Mädchen und sie sah ihn mit großen Augen an.
„Das ist gefährlich!“ antwortete er und wählte.
Es war ein kurzes Gespräch und anscheinend gab die Mutter ihm die Schuld am Verschwinden ihrer Tochter.
Jeder andere hätte sich gefragt, wie das Mädchen eine Strecke von mehr als einhundertfünfzig Kilometern in nur wenigen Sekunden bewältigen konnte. Aber anscheinend wussten beide Erwachsene mehr darüber Bescheid, als so manch anderer.
„Deine Mom kommt dich gleich abholen!“ meinte er zu dem Kind und sah sie irritiert an.
Trotzig lies sie sich einfach auf den Boden fallen und verschränkte die Arme auf der Brust.
„Ich will aber nicht nach hause!“ gab sie murrend zu verstehen.
„Wie bist du hier her gekommen?“
Eine Frage, die die Kleine anscheinend nicht verstand.
„Hast du … eine Karte gehabt?“
Mit fragendem Blick sah sie zu ihm hoch.
„Ein kleines Bild oder so?“
Wie sollte er dem Mädchen verständlich machen, was genau er von ihr wissen wollte.

Wieder tauchte die Mutter wie aus dem Nichts auf und wieder war sie wenig erfreut ihre Tochter nicht daheim vorzufinden.
„Kayleigh, was machst du hier?“ wollte sie wissen und klang dabei ein wenig streng.
Die Kleine riss nur die Augen weit auf.
„Ich will Onkel Jim besuchen!“ meinte sie dann.
„Aber du darfst nicht alleine gehen!“ kam von der Mutter besorgt.
„Wie oft ist das jetzt passiert?“ wollte der Onkel wissen.
Fragend sah Evangeline den Mann an.
„Wie oft ist sie nun schon durch irgendeine Tür gegangen?“
„Ich weiß nicht!“ gab die Frau zu, „Es ist schwer sie … zu halten!“
„Und wie oft … hattet ihr schon Besuch?“ wollte er wissen.
Jeder andere hätte ihm an den Kopf geworfen, dass es ihn gar nichts anginge, wie oft die Mutter und ihre Familie nun schon Besuch bekommen hätten. Aber bei jedem anderen wäre dieser Besuch ganz normal mit Vorankündigung durch die Haustür getreten. Und nicht durch jede mögliche Zimmertür ihrer Wohnung.
Evangeline sah ihn besorgt an.
„Ich schaff es nicht, die Durchgänge geschlossen zu halten!“ meinte sie und er verstand.
Er schien das selbe Problem zu haben.
„Eigentlich sind hier auch alle Türen verschlossen!“ gab er zu.
Dann blickten beide auf das Mädchen, welches fragend zwischen Mutter und Onkel hin und her sah.
„Es muss wegen ihr sein?“ stellte Onkel Jim irritiert fest.
Die Mutter schüttelte erst ihren Kopf. Doch dann sah auch sie ein, dass auch bei ihr daheim sonderbare Dinge passierten, wenn das Mädchen da war.
„Aber wie soll das gehen? Sie hat nicht … die Kraft dazu!“ Es war unvorstellbar für die Frau zu verstehen, was genau vor sich ging.
„Es liegt in der Familie!“ mutmaßte er, „Vermutlich ist es deswegen!“
Die Frau schüttelte den Kopf.
„Du hast die Kraft doch auch!“ meinte er, „Warum sollte sie es nicht von dir haben und ...“
Er stoppte, da sie ihm böse ansah. Sie wollte nicht, dass er weiter sprach.
„Dennoch hatte ich als Kind nicht so viel Kraft und konnte Türen öffnen und Schlüssel aktivieren!“
Er seufzte kurz.
„Sie ist eben … was besonderes!“ gab er zu.
„Ja, und vermutlich macht es das besonders gefährlich! Für sie und für andere!“ Evangeline war nicht sehr begeistert davon.
„Sie ist mächtiger als alle, die ich bis jetzt getroffen habe!“ kam etwas leiser von dem Mann.

Während Evangeline und Jim so einiges über diese merkwürdige Art des Reisens, wie sie es nannten, wussten und auch die Gefahren kannten, war sich das Mädchen Kayleigh dessen nicht bewusst.
Für sie war es ein Spaß, wenn sie ihre geheimen Reisen unternahm. Ganz gern besuchte sie ihren Onkel Jim, der sich mit der Zeit an ihr plötzliches Auftauchen gewöhnt hatte. Und obwohl er und ihre Mutter dem Mädchen immer wieder einbläuten, wie gefährlich die ganze Sache war und sie an ihrer Zauberei zu hindern versuchten, nutzte Kayleigh sie ganz gern. Manchmal auch irgendwie unbewusst.
Aber sie sowie auch ihre Mutter und ihr Onkel waren nicht die Einzigen, die über die eigenwillige Zauberkraft verfügten. Es gab auch noch andere.
Einige davon waren verwirrt, plötzlich in einer ihnen unbekannten Gegend zu landen. Andere schienen sich mit der Art des Reisens bestens auszukennen.
Und von denen gab es wieder einige, die andere Reisende überfielen und ihren irgendwelche Karten stahlen, mit denen sie weiter zu reisen hofften.
Einige dieser Fremden waren auch bei Onkel Jim aufgetaucht und wollten Schlüssel von ihm.
Und wieder einige waren sogar hinter dem Mädchen hinterher. Zwar hatte sie selbst es nicht mitbekommen, aber sie schien mehr oder weniger eine Zielscheibe für die Reisenden zu sein.
Ihr Onkel wusste, wie gefährlich die Reisenden werden konnten und hatte es sich zur Aufgabe gemacht das Mädchen und ihre Familie zu beschützen.
Und so bewachte er sie und ihren Bruder, unwissend von allen anderen.
Nicht einmal die Kayleighs Mutter wusste etwas davon.

Eines Tages war ein fremder Reisender in der Schule des Mädchens und ihrem Bruder ein Reisender aufgetaucht. Alle Schulkinder waren gerade zur Pause auf dem Hof und tobten wild umher, wobei allerdings Kayleigh ein wenig abseits zu den anderen stand.
Noch bevor der Fremde sichtbar war, hatte sich Kayleighs irritiert in seine Richtung gedreht und sie sah, wie er durch die Tür auf den Hof kam.
Für einen Moment schien er ebenfalls irritiert zu sein. Unwissend, wo genau er gelandet war. Doch dann ging sein Blick zu Kayleigh.
Er wollte schon zu ihr hingehen, als ihn ein anderer Mann entgegen trat. Kayleighs Onkel sprach in einer fremden Sprache zu dem Fremde und schien ihm zu drohen, so dass er einfach vom Hof rannte.
Die Lehrer und Lehrerinnen allerdings waren weder begeistert von dem unbekannten Besucher auf ihrem Schulhof noch von dem eigentlich heldenhaften Eingreifen von Kayleighs Onkel. Ohne auf ihre Beschimpfung und Drohung, der Mutter von Kayleigh über diesen Vorfall Bescheid zu geben, zu reagieren, ging er auf die Schultür zu, öffnete sie und verschwand spurlos.

Allerdings rief man wie angedroht die Mutter an und diese war alles andere als begeistert davon.
Noch am Nachmittag war Evangeline mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern zu Jim und seiner Frau gefahren. Und während sich ihr Mann mit Jims Frau unterhielt, fing Evangeline Jim vor der Bibliothek ab.
Hätte sie gewusst, dass in eben dieser ihre Kinder steckten, hätte sie sich vermutlichen einen anderen Ort ausgesucht, mit ihm zu reden.
Evangeline wollte von Jim wissen, wieso er ihre Kinder verfolgte. Sie vermutete, dass sein Auftauchen in der Schule nicht das erste Mal gewesen sei, was er auch zugab.
Er meinte, er beobachte die beiden Kinder, um sie zu beschützen. Vor allem Kayleigh, sei seiner Meinung nach, schutzbedürftig.
„Das gibt dir noch lange nicht das Recht sie zu verfolgen!“ beschwerte sich die Mutter.
„Sie ist aber in Gefahr!“ verteidigte sich Jim, „Vor allem da sie nicht weiß, was Sache ist!“
Zornig sah Evangeline Jim in die Augen.
„Ich werde es ihr aber nicht erzählen! Das macht die Sache noch schlimmer!“ war sie überzeugt.
„Wenn sie aber nicht weiß, was sie für eine Kraft hat, wird sie sie immer wieder unwissend einsetzten und noch mehr Jäger anlocken!“ gab Jim ebenso wütend zurück.
„Wenn sie es weiß, wird sie ihre Fähigkeiten aber auch nicht unterdrücken!“
„Es ist aber gefährlich sie unwissend zu lassen! Sie muss es wissen!“ forderte Jim, „Sie muss wissen, was hier vor sich geht und wie sie sich dagegen schützen kann!“
„Du weißt selbst, dass man sich gegen die Jäger nicht wirklich wappnen kann. Mal taucht einer auf, der selber kaum die Magie der Schlüssel nutzten kann und dann gibt’s welche, die können sogar deine Spuren verfolgen!“
„Wir müssen es ihr trotzdem sagen! Sie muss es wissen!“
Dass die beiden mit ihrem Streit nicht nur das Interesse ihrer Kinder hinter der Bibliothekstür erwecken könnten, sondern auch das Interesse von Jims Frau und Evangelines Mann, schienen beide für einen Moment vergessen zu haben.
Deswegen waren sie auch ein klein wenig überrascht, als plötzlich Evangelines Mann bei den beiden Streithähnen auftauchte.
„Was ist hier los?“ wollte er wissen.
Evangeline wollte ihrem Mann gerade irgendetwas antworten, als Jim wieder zu ihr meinte, dass Kayleigh die Wahrheit erfahren müsste.
Evangelines Mann sah ihn mit großen Augen an.
„Du darfst es ihr nicht sagen! Sie muss es nicht wissen!“ Der Mann wusste im Grunde nicht, worüber Evangeline und Jim sich gestritten hatten. Doch er nahm an, dass es ein Geheimnis war, welches nur die drei kannten.
Keiner der beiden Streitenden antwortete ihm. Fast zeitgleich richtete sich der Blick beider auf die Bibliothekstür.
In ihrer Zankerei hatten sie es nicht bemerkt. Dieses sonderbare Gefühl in der Magengegend. Es war irgendwie der sonderbare Eindruck, den die Magie wach rief.
Zwar konnten sie Kayleighs Macht spüren, aber da waren für einen Moment noch zwei andere, etwas schwächere Magier.
Jim riss sofort die Tür auf und sah in das erschrockene Gesicht seines Neffen. Seine Nichte allerdings sah weniger überrascht aus.
„Was … war los?“ wollte Jim wissen. Er konnte sie nicht fragen, ob ein Fremder im Raum war. Sein Schwager würde diese Frage merkwürdig finden, da er keine Ahnung von dem Geheimnis Evangelines und Jims hatte. Er hätte es auch nicht verstanden. Er wusste nichts von der eigenartigen Zauberkraft der beiden und seiner Tochter und er hätte es auch nicht geglaubt.
Beide Kinder logen. Auch sie wussten nicht genau, was genau geschehen war. Zumindest der Junge war unwissend.
Jim drehte sich kurz zu Evangeline um.
„Sie verfolgen sie!“ meinte er leise zu ihr und große Sorge stand in seinem Gesicht geschrieben. Eine Befürchtung, die Evaneline nun mit ihm teilte.
Am Anfang hatte sie noch gehofft, dass Kayleighs erster Ausflug purer Zufall gewesen sei. Aber nun war das Mädchen immer stärker geworden. Und anscheinend zog die Kraft des Kindes nun immer mehr Reisende an.

In den kommenden Jahren bekam Kayleigh ihre Kräfte scheinbar immer besser unter Kontrolle. Es tauchten nicht mehr so viele Fremde bei ihr daheim auf. Vielleicht aber war es die Mutter, die die Türen verschlossen hielt, sodass keine magischen Durchgänge mehr geschaffen werden konnten.
Doch irgendwann übernahm wieder Kayleighs Fähigkeit die Oberhand. Oder zumindest schien sie ein besonders starkes Signal oder dergleichen auszustrahlen, welches einen Jäger anlockte. Und er war wieder einer der gefährlicheren Sorte gewesen.
Er war einer Spur gefolgt und fand statt einem Schlüssel einen Teenager und seine Mutter.



Kayleigh fragte sich, weswegen sie eigentlich wieder zu dem Buch gegriffen hatte.
Vor ein paar Minuten hatte sie noch in einem warmen Bett gelegen, wenngleich sie seit einer Weile wieder wach war. Sie war auch nur aufgestanden, weil sie auf Toilette musste.
Ansonsten wäre sie im Bett geblieben. Vor allem da es ihr noch immer nicht gut ging.
Die Jungs schliefen alle. Logisch, dass auch sie k.o. waren von den Ereignissen der letzten Tage und vor allem von dem Wetter ihres letzten unfreiwilligen Stopps.
Warum hatte sie sich nur das Buch genommen und darin gelesen?
Alles was sie gerade erfahren hatte, war, dass sie Schuld war, dass so viele eigenartige Dinge daheim passierten. Dass sie eine Gefahr für sich und andere sei.
All die anderen Sachen, dass sie bereits als Kleinkind die Schlüsselmagie nutzen konnte, hatte sie vergessen. Vielmehr hatte sie alles verdrängt, was vor dem Mord an ihrer Mutter passiert war. Ebenso wie sie den Mord selbst aus ihren Erinnerungen verbannt hatte.
Und nun, überfielen die ganzen Erinnerungen sie. Das Buch wusste mehr als sie, so schien es. Oder hatte es einfach alles aus ihrem Leben in sich aufgesogen und gab es nun einfach wieder? Doch wozu? Wozu sollte Kayleigh all die schmerzvollen Erinnerungen wiederbekommen?
Nikita LaChance
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