Sacra Tibia: Gundelfing - Dialoge




Unterhaltungsliteratur in ihren verschiedenen Formen, wie beispielsweise Romane, Erzählungen, Kurzgeschichten, Berichte, Märchen und Sagen

Sacra Tibia: Gundelfing - Dialoge

Beitragvon almafan » Di 30. Okt 2018, 21:25

Gundelfing - Dialoge

Hiermit schreibt Hexagon nieder die Dialoge zwischen Milos, dem Ritter zu Sitavia; Herr der Bastei; Dienstmann Balians, des Jüngeren, Ritter zu Sitavia, Herr des Vorwerks Sitavia; Dienstmann des Felix Berenguer, des Schutzherrn und Fürsten der Reichsstadt Aggrippina, Lehnsmann des Königs Heinrich II.; Mitglied im Thing der freien Männer; Botschafter des Hofes in Beijing; Sohn des Iring, des fünften Kindes des Martin, Fürst und Herr über die Martinsburg und Gundelfing, Diakon und Priester zu Sitta und Halifa.
Die Aufzeichnungen der Gespräche aus dem Munde Milos' am Tage der Niederschrift 17. März, im 14. Regierungsjahr des König Heinrich II.

Inhaltsverzeichnis:

VÖ: 30.10.2018: "Was passiert eigentlich, wenn du uns nicht von Gott erzählst?"
VÖ: 27.01.2019: "Was ist, wenn einer nicht auf Gott hört?"
VÖ: 18.03.2019: "Woher weißt du, ob einer aufrichtig glaubt?"
VÖ: 12.04.2019: "Bist du traurig, wenn du siehst, dass andere mehr erreichen?"
VÖ: 21.04.2019: "Wie bleibe auch ich so zufrieden, wie du?"
VÖ: 07.06.2019: "Lenkt Gott die Welt und ist unser Schicksal vorherbestimmt?"
VÖ: 13.06.2019: "Wie belohnt mich Gott, wenn ich auf ihn höre?"
VÖ: 11.08.2020: "Wie drückt sich Glauben aus?"
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"If the biggest problem that you're having in the twenty-first century involves
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von Anzeige » Di 30. Okt 2018, 21:25

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Re: Sacra Tibia: Gundelfing - Dialoge

Beitragvon almafan » Di 30. Okt 2018, 21:26

"Was passiert eigentlich, wenn du uns nicht von Gott erzählst?"

Ich erinnere mich noch an eines der ersten Gespräche mit Gundelfing, unserem Priester auf Sudet, der damals von Goswyndorf kam. Er war da noch nicht lange in Halifa und hatte die Priesterweihe bis dato nicht erhalten. Der alte Priester hat ihn dennoch oft auf die Kanzel gelassen, damit er die Rede übe. Das Ableben des Alten war im Grunde absehbar, aber dann doch überraschend. Wir sind immer von Sitta fast zwei Stunden für den Mittwochs- und den Sonntagsgottesdienst durch den Wald gelaufen. Bei Wind und Wetter. Und zu den Passionstagen auch am Freitag. Und dann, an einem Sonntag, stand Gundelfing für die Predigt vor der Kirche und begrüßte alle. Der Alte war nirgens zu sehen. Gundelfing unterhielt sich nach der Messe mit Hotos und Bruno, den Gemeindevorstehern Sittas, und mit Ullrich, dem Gemeindevorsteher von Halifa. Dann besprachen diese gemeinsam mit dem Grundherrn Balduin die Angelegenheit. Es war nämlich so, dass der alte Priester kurz vor dem Eintreffen der ersten Frommen im Sitzen in fertigem Gewand verstarb. Das erfuhren wir Kinder und auch die meisten anderen erst einige Tage später. In Halifa machte es sicher schon die Runde, bevor nur ein Wort in unserem Dorf umherging. Ein toter Priester kurz vor dem Gottesdienst konnte kein gutes Omen sein. Es musste dort ja auch in Halifa auffallen, dass einer im Alltagsbild fehlt. An einem Donnerstag wurde er beerdigt. Hanis und mein Vater Wigberd waren seltsam still. Sie sagten so schon wenig, aber diese Stille war anders. Bedrückender. Und dabei konnte Hanis den Priester gar nicht leiden. Der hatte sich immer aufgeregt und in seinen Reden gegen Hanis gezüngelt, da dieser in den Gottesdiensten fehlte oder reichlich zu spät kam. Aber er sagte immer, das Feuer hält sich nicht an Liturgie. Na, zur Beerdigung schwieg sogar die Schmiede.

Gundelfing hielt irgendwann auf jedenfall eine seiner Predigten. Ah ... jetzt fällt's mir wieder ein. Da war Gundelfing schon Priester: Ich habe denen gern gelauscht, weil sie so einfach gehalten waren. Er übersetzte die Bibelferse sehr frei aus dem Lateinischen und schaute uns, dem einfachen Volk dabei auf's Maul. Er erzählte keine Beschlüsse und Kassenberichte von irgendwelchen fernen Gegenden, die keiner von uns je gesehen hätte. Wen kümmert der Bischof am Tiber? Aber an dem Tag konnte ich dem Gesagten nicht folgen. Ich habe mich gefragt, warum so ein junger Mann bereits so einen überzeugenden Glauben hatte und warum er mit so viel Eifer Priester werden wollte. Und dazu noch an diesem abgeschiedenen Flecken Erde.
Also habe ich ihn nach der Messe gefragt: "Du, Gundelfing, was passiert eigentlich, wenn du uns nicht von Gott erzählst?" Er hat von Hanis' Frau gerade Eier als Zehnt überreicht bekommen und drehte sich mit etwas verwundertem Blick zu mir: "Das muss ich. Das ist mein Auftrag. Ich habe gar keine Wahl." Diese Antwort konnte ich wiederum nicht so recht in die sonstige Begeisterung seiner Reden einordnen. Und so fragte ich: "Also machst du das, weil der Vikar dich zwingt?"
Darüber musste Gundelfing schmunzeln. "Nein,", versicherte er mir: "Es ist schon so, dass er einen großen Druck ausübt, aber was wäre ich für ein Priester, wenn ich nicht aus mir heraus wüsste, wie wichtig es ist, anderen von Gott zu erzählen?" Ich habe kurz überlegt: "Hm... vermutlich kein besonders guter." Er pflichtete mir bei.

Dann holte er seine Bibel und blätterte in den Evangelien. "Ich suche gerade nach einem passenden Gleichnis, dass Jesus mal seinen Jüngern auf dem Ölberg erzählte. Dieses Gleichnis hörten die Jünger nur zwei Tage vor der Hinrichtung Jesu.", sagte er. Er lobte mich dafür, dass ich mir gemerkt habe, dass Jesus da schon drei Jahre seine Apostel gelehrt hatte. Dann las er mir das Gleichnis vor, dass er in Matthäus, Kapitel 24 über die Talente fand, aber ich verstand kein Wort. Also hielt er die Bibel schräg vor mich und zeigte auf verschiedene Worte. "Das hier heißt Talent, das war eine römische Währung. Dieses Wort ist die Fünf, hier steht die Zwei, dort die Eins." Dann erzählte er die Geschichte über die drei Diener eines Herrn, die unterschiedliche Geldsummen erhalten haben und diese bis zu seiner Rückkehr verwalten sollten. Du kennst die Geschichte ja: Der erste bekommt fünf Talente und handelt damit weise, so dass es zehn werden und wird belohnt. Der zweite bekommt zwei Talente und macht daraus vier, und wird auch belohnt. Der dritte Diener erhält ein Talent und verbuddelt es. So verliert er zwar nichts, da er es aber nicht gemehrt hat, straft ihn sein Herr.
Ich Bauertrampel habe es aber immernoch nicht verstanden. Was hatte dieses Gleichnis denn mit dem Priester zu tun? Wenn der Letzte doch keinen Verlust erlitt, warum wurde er bestraft? Gundelfing fing an zu erklären: "Die Talente sind nach den jeweiligen Fähigkeiten vergeben und stehen in diesem Gleichnis für die Botschaft Gottes durch Jesus. Jeder hat ein unterschiedliches Verständnis und jeder hat unterschiedliche Fähigkeiten. Jeder sollte sich nach seinen Fähigkeiten anstrengen, das Vermögen des Herrn zu mehren, will heißen, Gott noch besser zu lieben und auch anderen diese Liebe beizubringen. Natürlich ist Jesus klar, dass nicht jeder gleich viel leisten kann. Aber, wer wie der faule Sklave nicht einmal versucht, den Zinsertrag herbeizuführen, der wird Jesus ganz sicher enttäuschen. Solche Leute kann Jesus nicht in seinem Himmelreich brauchen."
Plötzlich verstand ich. Die strengen Ermahnungen des Vikars sind vergebene Luft. Der Priester bemüht sich bereits aus Gehorsam gegenüber Gott um die Vermittlung der Liebe zu ihm. Als ich Gundelfing das auch sagte, antwortete er: "Du hast es erfasst. Und selbst, wenn er etwas anderes wöllte, müsste ich es mit Petrus halten. Der sagte vor dem Sanhedrin, dem höchsten Gericht der Juden in Jerusalem, als diese den Aposteln das Predigen verbieten wollten: 'Ob es in den Augen Gottes gerecht sei, eher auf euch zu hören als auf Gott, urteilt selbst.' "

Der Mann war standhaft im Glauben. Ob er aber auch so mutig wie Petrus gewesen wäre, wenn es zu einer Anhörung gekommen wäre ... Ich kann es nicht mit Gewissheit sagen. Aber ich hatte das Gefühl, dass dies erst der Beginn einiger lehrreicher Gespräche werden würde.
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Re: Sacra Tibia: Gundelfing - Dialoge

Beitragvon almafan » So 27. Jan 2019, 21:26

"Was ist, wenn einer nicht auf Gott hört?"

Weißt du, ich hatte früher ein sehr starkes Interesse, Gott zu gefallen. Mit der Zeit merkt man, dass gerade jene gut fahren, die es nicht tun. Mir wurde dann immer gesagt, dass diese zwar jetzt Ihren Vorteil haben können, aber Gott Ihnen alles auch wieder nehmen kann. Spätestens in der Hölle werden sie bereuen, dann ist es leider zu spät. Und dann kommt das Leben selbst, das es einem zeitweise schwer oder gar unmöglich macht, nach Gottes Willen zu leben. Besonders, wenn man als Dienstmann für seinen Herrn auch mal Gewalt anwenden muss. Irgendwann findet man Ausreden dafür. Und irgendwann sucht man keine Ausreden mehr. Man macht es einfach.
Das Leben schlägt zu und man schlägt wild zurück. Oft trifft man dabei Leute, die nichts dafür können, dass man in der Situation steckt, in der man nun mal steckt.
Hinzu kommen Situationen, in denen man in Bruchteilen eines Augenblicks reagieren muss. Jetzt, sofort. Da kannst du keinen Priester fragen. Du musst es schon vorher wissen. Manche Momente sind in sich aber knifflig. Zum Beispiel, dass willentliche Inkaufnehmen eines Opfers, um andere zu schützen. Bei Geiselnahmen oder bei Schlachten. In solchen Situationen war ich immer wieder. Und kein Fall liegt wie der andere. Jedesmal muss man sich neu entscheiden. Das nimmt einem keiner ab.

Es ärgerte mich als Kind und oft auch später noch, wenn einer tun und lassen konnte, was er wollte, und keiner ihn zur Rechenschaft zog. Ich fragte mich aber auch, wie Gundelfing damit umging, wenn er merkte, dass er Tag für Tag predigte, aber die Menschen doch wieder wissentlich Falsches trieben. Warum predigt er überhaupt, wenn es offenbar keinen Einfluss hat?
Eines Nachmittags fragte ich Gundelfing. Dabei nahm ich Bezug, auf unser letztes Gespräch. "Was ist, wenn einer nicht auf Gott hört? Du musst ja davon erzählen. Aber was wäre, wenn sie nicht hören?" er schaute mich kurz an und antwortete knapp: "Ich muss trotzdem predigen." Er merkte jedoch schnell, dass mich diese Antwort nicht zufrieden stellte. Also unterbrach er seine Gartenarbeiten und nahm mich in die Kirche mit. Dort schlug er die Bibel auf und suchte irgendwas angestrengt.
Er begann aber schon zu sprechen: "Wir hatten ja schon darüber gesprochen, dass der Auftrag anderen von Gott zu erzählen, nicht vom Vikar oder vom Bischof kommt. Die sind im Grunde genauso Mittler, wie ich es einer bin. Der Auftrag selbst kommt aber von Gott. Und wer bin ich, dies zu verneinen?"
Ich stimmte nickend zu. Wenn der Auftrag von Gott kommt, wird er einen tiefen Sinn haben. Ich fragte aber, was ihn motiviert weiter zu machen. Warum war er nicht traurig, dass keiner hörte?
Gundelfing hob die Bibel hoch und rief: "Ich hab's!" Dann legte er das Buch wieder hin und fuhr fort: "Hier in Hesekiel, da im zweiten Kapitel." Ich sah abermals nur lateinische Lettern. Er hätte irgendeine Bibelstelle oder gar ein anderes Buch aufschlagen können. Ich hätte es nicht bemerkt. Er verstand meine Ratlosigkeit sofort und rührte mit dem Finger die Buchstaben an, die er vorlaß: "Und du sollst meine Worte zu ihnen reden, ungeachtet, ob sie hören oder unterlassen, denn sie sind ein Fall von Rebellion."
Ich begriff nicht wirklich. Also erläuterte er es mir: "Da gibt es noch ein paar Bibelstellen, die dazu passen. Als Paulus zusammen mit Barnabas in Antiocha in Pisidien in der Synagoge vorsprachen, würden sie aus dem Ort getrieben und da steht in Apostelgeschichte ... ich denke im dreizehnten Kapitel fast am Ende ... dass sie den Staub gegen sie abschüttelten." Als er dies sprach wühlte er sich schon wieder durch die Seiten der heiligen Schrift. Er fand die Stelle und rief: "Hä, kurz bevor sie nach Ikọnion gegangen sind. Das habe ich mir gut gemerkt. So hatte es ihnen ja auch Jesus geboten." Wieder blätterte er wüst in der Bibel umher und blieb bei Lukas stehen. Dort überflog er scheinbar den Text und stoppte im zehnten Kapitel: "Wo man euch nicht freundlich aufnehmt, da schüttelt den Staub ab und sprecht: 'Sogar den Staub, der von eurer Stadt an unseren Füßen hängenblieb, wischen wir gegen euch ab. Trotzdem behaltet dies im Sinn, daß sich das Königreich Gottes genaht hat.' Der Heiland hatte es geboten und Paulus zeigte durch sein Verhalten, dass er dieses Gebot ernst nahm. Dennoch schimpfte er nicht über die Bewohner Antiochas oder irgendeiner anderen Stadt aus der er vertrieben würde. Er blieb freundlich und ließ nichts schlechtes auf Gott kommen."

Ich dachte über die Worte nach und Gundelfing schien auf eine Antwort zu warten. Ich fragte ihn, ob es dann nicht sinnlos ist, immer wieder zu predigen. Immer den gleichen Leuten. Er sagte dann, zum Abschluss des Gesprächs, folgende Worte: "Verliere nie die Freude am Geben. Schließlich weißt du nicht, was eine einzige gute Tat bewirken kann."
Ich erkannte den Sinn dahinter. Wenn einer auf reine Worte nicht hin reagieren wird, dann vielleicht auf einen,der ein gottgefälliges Leben führt. Und dazu gehört nun mal, dass man immer wieder über ihn spricht.
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Re: Sacra Tibia: Gundelfing - Dialoge

Beitragvon almafan » Mo 18. Mär 2019, 07:15

"Woher weißt du, ob einer aufrichtig glaubt?"

Ich hatte viel zum Nachdenken. Die Gespräche mit dem Priester bereiteten mir einigen Spaß. Es waren lehrreiche, anregende Gespräche. Sie führten mich näher an diesen Glauben als irgendwelche Exegesen großer Kirchenmänner und Heiliger.

Irgendwann nachdem er mir erklärt hatte, dass er predigen muss, auch wenn keiner hört, ging ich wieder zu ihm. Es war Markttag, deshalb waren wir auch an jenem Tag in Halifa, obwohl keine Predigt war. Wir wollten Hauswaren, so zum Beispiel Bürsten und gewickeltes Garn verkaufen. Maria brachte oft ganze Nachmittage damit zu, auch nur eine Bürste zu verdrahten oder zu verhaaren. Stunde um Stunde saß sie da und machte ihrer Mutter keinen Kummer. Man wird damit nicht reich. Aber es bessert die Ausgaben aus. Aber das weißt du sicherlich schon.

Ich habe mich oft vom Markt gestohlen und so manche Schelle dafür erhalten. Da der Markt in Sichtweite zur Kirche stattfand, war es für mich nicht weit und ab und an sogar ein leichtes, unerkannt zu gehen und unerkannt wieder aufzutauchen. Aber manchmal hatte ich das Gefühl, mein Vater wusste um meine Abwesenheit und sah sie mir manchmal nach. Und so stahl ich mich am jenem Tage wieder davon und suchte Gundelfing auf. Noch immer brannten mir Fragen im Kopf und so fand ich ihn nahe des Marktes, denn auch er wollte schauen, was es zu handeln gab.
Und so frug ich: "Woher weißt du, ob einer aufrichtig glaubt?" Er schmunzelte und vermutlich war er, in einer Mischung aus Verwunderung und Begeisterung, verwirrt, warum ein kleiner Junge, solche Fragen stellt. Er schaute nicht mal in die Bibel, als er folgenden Satz rezitierte: "Was ist denn Apọllos? Ja, was ist Paulus? Diener, durch die ihr gläubig geworden seid, so wie der Herr es einem jeden gewährt hat. Ich habe gepflanzt, Apọllos hat begossen, Gott aber hat es fortwährend wachsen lassen, so daß weder der Pflanzende etwas ist noch der Begießende, sondern Gott, der es wachsen läßt. Der Pflanzende nun und der Begießende sind eins, doch wird jeder seinen eigenen Lohn gemäß seiner eigenen mühevollen Arbeit empfangen. Denn wir sind Gottes Mitarbeiter. Ihr seid Gottes Feld zur Bebauung, Gottes Bau.“ Dann ging er zum Markt und ließ mich stehen.

Ich verstand diese Aussage nicht und ich erkannte auch nicht sofort, dass er damals den Brief an die Korinther zitierte. Also lief ich ihm nach. Als ich ihn dann endlich eingeholt hatte, musste ich nochmal nachfragen, was er überhaupt meint. Der Priester nahm mich zur Seite und erklärte es mir ebendort, damit wir nicht im Wege stehen: "Paulus besagt mit diesem Satz, du wirst es sicher als Bibelzitat erkannt haben ..." Ich unterbrach mit einem Kopfschütteln. Er fuhr fort: "Jetzt weißt du es. Na, jedenfalls sprach er hier über die Quelle echten Glaubens." Und dann sah er mich fragend an und erwartete offenbar eine Antwort. Es dauerte etwas, bis ich Esel verstand.

"Du sagtest mal, du bist lediglich Mittler, wie der Vikar. Hat es damit zu tun?", fragte ich ihn. Er bestätigte das, wiederholte die Frage um die Quelle für echten Glauben.
Dann eilte er zur Ankerstelle, wo die Schiffe festgemacht werden. Dort hatte ihn jemand zu sich gewunken. Ich tat es ihm gleich, denn ich dachte, die richtige Antwort zu wissen.
Als ich ihn erreicht hatte, rief ich es etwas zu laut: "Es ist Gott!" Und fügte leise an: "Gott ist die Quelle echten Glaubens."

Jetzt lächelte er wieder: "Du hast es verstanden. Ich kann mit Engelszungen sprechen und sie würden nicht hören. Nur dadurch, dass Gott in seiner unverdienten Gnade, einen jeden zu sich zieht, den er für sich erwählt hat, ist es möglich, dass Menschen seine Lämmer werden. Ohne Gott ist die größte Tat nichts wert. Wer hört, hört durch Gott." Gundelfing wickelte unterdessen seine Geschäfte ab, tauschte ein und erhielt Korrespondenz oder Amtsblätter. Was auch immer. Ich wich ihm nicht von der Seite. "Und diese Gnade und das Gefühl des einzelnen, einzusehen, dass er doch Gott braucht kann sich zudem ändern. Heute hört er nicht und morgen vielleicht schon.“, ergänzte er seine Aussage. In seinem mitgebrachten Korb stapelten sich die Sachen und ich nahm ihm freundlicherweise etwas davon ab und trug es ihm hinterher.

Wir hatten es über den Markt geschafft und waren kurz vor den ersten Häusern, als ich meinen Vater nach mir brüllen hörte. Offenbar war er nicht begeistert, dass ich dem Priester zur Hand ging und er die Einkäufe allein bewältigen muss.
Der Priester nahm mir die Sachen ab und schickte mich mit einer Kopfbewegung zu meinem Om. Aber nicht, ohne mir noch eine letzte Lehre mitzugeben:" Stell dir vor: Du darfst den allmächtigen Schöpfer der Welt bei etwas unterstützen, was ihm am Herzen liegt. Anderen von ihm und seiner Güte erzählen."
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Re: Sacra Tibia: Gundelfing - Dialoge

Beitragvon almafan » Fr 12. Apr 2019, 18:22

"Bist du traurig, wenn du siehst, dass andere mehr erreichen?"

Ich weiß nicht, ob ich Gundelfing bereits zur Last fiel. Besonders, wenn ich Dinge fragte, die er glaubte, erschöpfend beantwortet zu haben. Aber ich hatte nicht den Eindruck, dass es so wäre. Vielleicht hätte ich mich sonst nicht so oft mit ihm unterhalten. Weißt du, man hält sich zurück, wenn man merkt, dass man stört. Aber das weißt du sicherlich besser als ich.

Ich ging mit einer neuen Frage nach einer Predigt zu ihm und ich suchte ihn schnell auf. Noch andere wollten mit ihn sprechen und mein Vater und, mit ihm zusammen, die Familie sollten und wollten schnell wieder Heim. Auch an einem Sonntag steht die Welt nicht still. Es gibt immer Arbeit und sei es nur das Füttern der Tiere.

Ich frug ihn vor versammelter Mannschaft, weil es aus mir herausplatzte: "Bist du traurig, wenn du siehst, dass andere mehr erreichen?"

Gundelfing war von der Frage etwas erschlagen. Kurz überlegte er, wohl im Wechsel, wie er die Frage beantwortet und ob er dies mit mir allein oder hier vor aller Leute klären soll. Sein Blick schweifte durch den Raum und er schaute in die ebenso verdutzten Gesichter der Gemeinde.
Dann schaute er mich an und lächelte: "Ach, tun sie das?" Nach einer kurzen Pause fügte er an: "Wenn du die Wanderprediger meinst, von denen die Kaufleute von den Schiffen sprechen ..."
Er setzte sich vorn bei dem Altar auf die Stufen. Sein Ton wurde nun weniger belehrend. Freundlicher. Und er hub an,mich zu fragen: "Kannst du dich noch an unser Gespräch über die Talente erinnern? Talent war damals eine übliche Maßeinheit für Währungen. Man zählte die Silbermünzen nicht, sondern wog sie auf und erhielt so, da alle Münzen gleich viel wogen, die Anzahl der Münzen durch ihr gesamtes Gewicht." Der Priester war echt klug. Ich fragte mich manchmal, woher er dieses Wissen nahm, denn das Kloster, das er besuchte, war nicht für seine große Bibliothek bekannt. Und bis zur Errichtung des Filialklosters in Sitavia gab auf den brahm'schen Inseln vielleicht zehn Bücher, die nicht in einer Kirche die Luturgie begleiteten. Wahrscheinlich noch weniger.
Ich hatte dir ja schon von der Begebenheit mit den Talenten erzählt, wie ein Herr jedem seiner Knechte unterschiedlich viele Silberstücke gab und sie diese bis zu seiner Wiederkehr verwalten sollten. Und so ging Gundelfing das Gleichnis vor aller Augen und Ohren noch einmal mit mir durch: "Der eine hat fünf Talente und macht bis zur Rückkehr des Herrn zehn daraus. Der zweite hat zwei Talente und erwirbt sich damit vier Talente. Der letzte, mit nur einem Talent, vergräbt seine Gabe, so dass er allein diese dem Herrn zeigen kann. Gescholten wird er dafür, nicht wenigstens den Zins eingetragen zu haben." Jeder im Raum nickte, aber verstanden hat es vermutlich niemand.

Gundelfing schaute sich um und sah wohl nur ratlose Gesichter. Was hatte dieses Gleichnis mit den Wanderpredigern zu tun? Also fing er an: "Der Herr ist Jesus, der am Tage des jüngsten Gerichts zurückkehren wird. Die Knechte sind die im wahren Glauben verwandten Priester. Die Talente stehen für die Gemeinschaft der Christen und für den Glauben derer an den Herrn und Erlöser Jesus Christus."
Noch immer verstand um uns herum offenbar keiner, was Gundelfing damit Aussagen wollte. Er führte also weiter aus: "Es gilt für die Priester ihren Glauben und den Glauben ihrer Schüler, also auch euch, zu mehren. Meine Aufgabe ist es, euch in die Liebe und unverdiente Gnade Gottes zu führen. Die Verbindung zu dieser Liebe ist der Glaube, dass Gott denen ein Belohner ist, die ihn als Herrn annehmen und ihn fürchten und ehren. Das sind meine Talente, die ich mehren muss. Gott straft mich nicht, wenn ich nur zwei Talente, statt der fünf erhalte, wenn ich sie nur mehre und mich darin ernstlich bemühe. Mit Freude frohlocke ich über jede gute Gäbe, die ihr eurem König im Himmel gebt. Und mit Freude bete ich für die, die Trost bei Gott suchen. Denn das ist ihm wohlgefällig."

Die Menge freute sich über die aufmunternden Worte, die ihnen Lob zusprach, wo sonst nur Schelte wäre. Dann schaute er wieder auf mich: "In dem Paulusbrief an die Galater findet sich auch folgender Ausspruch, der sinngemäß lautet: 'Jeder erprobe sein eigenes Werk, und dann wird er Grund zum Frohlocken im Hinblick auf sich allein und nicht im Vergleich mit einer anderen Person haben.' Ein Vergleich mit anderen bringt mich nicht nur wenig weiter und könnte mich verdrießen, er wird auch durch Gott nicht gutgeheißen."

Er stellte sich wieder auf, stieg die Stufe zum Podest auf und hielt kurz inne. "Ich maße mir nicht an, im rechten Glauben zu sein. Aber ich hoffe es. Wenn ein Wanderprediger oder ein Wunderprediger durch die Lande zieht und oft viele hundert Menschen begeistert folgen, freut mich das für ihn. Ich hege keinen Groll, denn er begeistert die Leute nicht mit falschen Göttern, sondern mit der Erkenntnis über den wahren Gott. Solange er damit Menschen zu Gott führt, kann mich vielleicht Neid um seines Erfolges und meines Misserfolges befallen. Nicht aber Groll gegen ihn oder Gott, ziehen wir doch dennoch am gleichen Strang. Aber mehr noch, ich freue mich. Denn jeder der durch Glauben gerettet werden kann, ist Gott wohlgefällig. Und da Gottes Wort die höchste Instanz in der Predigt sein soll und vielerorts wohlweißlich nicht ist, so will ich mit einem Text aus der heiligen Schrift enden und euch noch einen Hinweis hinterlassen, bevor ihr wieder ausgeht und den Tag ein- und ausklingen lasst. Im ersten Brief an die Korinther schrieb Paulus 'Nun gibt es verschiedene Gaben, aber es ist derselbe Geist. Es gibt verschiedene Dienstaufgaben und doch ist es derselbe Herr. Auch gibt es verschiedene Wirkungen, und doch ist es derselbe Gott, der sie alle in jedem hervorruft. Der Geist aber offenbart sich durch jeden zu einem nützlichen Zweck.' Das ist wichtig zu wissen und beachtet, was der Junge hier euch lehrt."

Dabei zeigte er auf mich und setzte fort: "Auch wer Fragen über Gott und den Glauben an ihn stellt, ist Gott wohlgefällig. Denn Gott sieht, wenn du Interesse an ihm zeigst und er wird es nicht unversucht lassen, dir die Antworten zu reichen. Auf welchem Wege auch immer.
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Re: Sacra Tibia: Gundelfing - Dialoge

Beitragvon almafan » So 21. Apr 2019, 13:14

"Wie bleibe auch ich so zufrieden, wie du?"

Einige Tage nachdem er nach der Kirchenpredigt, durch mich, noch eine Zugabe für die Festigung des Glaubens gab, bin ich wieder zu ihm. Weitere Fragen aus der Dorfgemeinschaft blieben vorerst aus. Doch wer aufmerksam die Leute beobachtete, der verspürte einen neuen aktiveren Geist. Irgendwie hatte die Predigt ihr Inaktives verloren. Die Bewohner waren nicht mehr nur anwesend und ließen sich während der Andacht in Gedanken treiben.
Ich hatte das Gefühl, wenn schon nicht persönlich berührt, dann nutzen die Leute von Sudet die Zeit der Predigt nun wenigstens dafür, mal nicht über den Hof nachzudenken. Besonders Hanis hat man oft angemerkt, dass er in Gedanken schon längst wieder beim nächsten Werkstück war oder innerlich fluchte, weil er dann wieder das Feuer aufschüren musste.
Seit Gundelfing die Predigten hielt, war ich sowieso mehr Ohr als bei dem alten Priester. Das sagte ich doch bereits. Aber er hatte jetzt generell ein viel aufmerksameres Volk, das er belehren konnte.

Balduin saß in der Loge und war sicher der erste und oft einzige, der irgendwelche Spitzfindigkeiten bemerken würde. Und die Ostermessen wurden bewusst nach Ostern locker gehalten. Zu oft davor hört man von Leid und Opferbereitschaft. Danach geht es ja mehr um die Gaben und Segnungen Gottes, heute schon und später im Himmel dann noch mehr.
Doch Balduin freute sich immer über die Nachostermessen, wo auch die Oberen mal mehr im Fokus standen und auch sie nicht von Forderungen und Winkelzügen in der Rhetorik verschont blieben. Die Zeit in den Morgenlanden hat sie offenbar feingeistiger gemacht. Sie liebten die hohe Poesie und waren gute Leser. Einmal rief zu späterer Zeit mein Lehnsherr in die Messe, als Gundelfing ein Kratzen im Hals hatte: "Wenn's dir die Sprache nimmt, muss es ein fürchterlich schwerer Fall sein, der sogar einen treuen Gottesmann in seiner Reinheit fordert. Wenn der Satz dir nicht über die Lippen will, soll ich ihn dann lesen?"
Balduin war alles andere als ein Heiliger. Aber er vermochte Spitzfindigkeiten zu erkennen und zu kontern.
Wenn es mal zu einem verbalen Disput kam, über irgendeine Sache, und beide Seiten ihre Waffen mit Worten schärften, war unsereins völlig überfordert, auch nur einen Satz zu begreifen.

Gundelfing war aber auch ein Meister der schlichten Worte, wenn er merkte, dass sein Gegenüber nicht verstand was er meinen könnte. Vielleicht konnte er uns Bauernvolk so gut verschiedene Dinge erklären.
Diesmal wollte ich von ihm wissen, wie man so zufrieden sein konnte, wie er immer war. Seine erste Antwort wirkte etwas müde und abgekämpft. Wahrscheinlich hatte ich ihn gerade nach einer schweren Arbeit erwischt. Weißt du, er hatte damals keine Frau und musste auf seinem Hof und dem Gottesacker und bei den Grabstätten alles alleine machen. Nur ab und an wurde ihm von Balduin eine Mannschaft aus Frondienstlern gestellt.
Der alte Priester hatte auch seine Arbeiten gehabt und freute sich sicher, dass er durch Gundelfing als Kaplan und Schützling nun einen hatte, der sich um die wirtschaftlichen Güter kümmerte, während er sich für die Liturgie und den Gottesdienst sorgte. Aber nach dem Tod des Alten war Gundelfing allein. Für Forderungen gegenüber Balduin und dessen Sohn, der auch Balduin hieß, war er nicht selbstsicher genug. Und so hatte er eben nicht ständig oder auf Abruf Leute für seine Arbeit, sondern wenn die Grundherren es einteilten.

Meine Frage war an dem Tag also wohl schlecht platziert, dachte ich. Gundelfing ging an sein Wasserfass und wusch sich die Hände. "Alle haben gesündigt und erreichen nicht die Herrlichkeit Gottes."
Ich verstand nicht. Wie so oft. Was hatte dieser Satz mit meiner Frage zu tun?
Jetzt drehte er sich zu mir um und erklärte: "Um Zufriedenheit zu empfinden müssen wir realistisch bleiben. Und zwar in Bezug auf unsere Grenzen und die Grenzen anderer. Das und vieles mehr besagt diese Bibelstelle aus Paulus' Brief an die Römer."
Dann holte er die Binel zur Hand und schlug sie weit vorn auf. "Hier in dem ersten Buch des Mose wird die Schöpfung von Anbeginn der Zeit beschrieben. Die ersten drei Kapitel handeln von Gottes Werkwoche und enden im Sündenfall des Adams und der Vertreibung aus dem Paradies. Der gesamte Rest, also vom vierten Kapitel dieses ersten Buches bis zum letzten Vers der Offenbarung geht es schlicht und ergreifend darum, wie Gott es durch die unverdiente Gnade und den Loskaufpreis des Messias alles wieder gut wird. Der Teufel wird dann für tausend Jahre gebunden und schlußendlich vernichtet. Aber Gott sah, dass seine Schöpfung gut war. In den ersten Versen des ersten Kapitels erschafft Gott Licht und Finsternis, Himmel und Erde, Wasser und Land. Und diese Schaffensperiode schließt er mit einer schlichten Erkenntnis ab. Vers zehn endet mit den Worten 'Und Gott sah, dass es gut war.' Dann erschuf Gott alle Pflanzen und wieder schließt er mit der selben Erkenntnis in Vers zwölf 'Und Gott sah, dass es gut war.' Dann erschuf er Sonne, Mond und Sterne und wieder finden wir die Aussage 'Und Gott sah, dass es gut war.' in Vers achtzehn. Dann erschuf er alle Tiere der Meere, der Lüfte und auch die an Land." Ich ergänzte frech: "Vermutlich sah Gott, dass es gut war."
Gundelfing grinste: "Ja, in Vers fünfundzwanzig bestätigt er seine Schöpfung wieder. Und dann erschuf er den Menschen, macht ihn zum Herren über die Tiere. Und..."
Diesmal forderte er mich regelrecht auf, also ergänzte ich abermals: "... Gott sah, dass es gut war?"

Und gleich stellte ich die nächste Frage: "Was hat das mit Zufriedenheit zu tun?"
Gundelfing führte aus: "Fünf mal bestätigt Gott die Perfektion in seiner Schöpfung. Bis zur Erhebung des Teufels hatte sie keinen Makel. Alles war nicht nur zum Guten eingerichtet. Es war zum Besten eingerichtet. Die Herrlichkeit Gottes übersteigt unser Begriffsvermögen völlig. Er kann jederzeit Rückblick auf sein Schaffen halten und sagen, dass es sehr gut war. Nach der Erschaffung des Menschen erwähnt er 'sehr gut' anstelle von 'gut'. Ein Mensch kann das nicht. Selbst der vollkommene Adam machte diesen fatalen Fehler. In seinem Rückblick war eben nicht alles gut. Die Sünde kam durch ihn in die Welt. Deshalb müssen wir sterben und sind unvollkommen. Wir alle machen Fehler und erreichen nicht die Herrlichkeit Gottes."
Ich dachte verstanden zu haben, was er wohl meinte und unterbrach ihn: "Also ist der Schlüssel zur Zufriedenheit, zu erkennen, dass einem im Gegensatz zu Gott Grenzen gesetzt sind?"

Gundelfing nickte, holte aber noch einmal aus: "Das allein ist es aber nicht. Ich möchte einmal einen Vergleich bringen, dann wirst du verstehen. Das griechische Wort, dass mit 'Sünde' übersetzt wird, kommt von Wurzel, die 'das Ziel verfehlen' bedeutet. Stell dir ein Preisschießen mit dem Bogen vor. Unser Bogenschütze bekommt drei Pfeile und soll wenigstens einmal das Ziel treffen. Sein erster Pfeil verfehlt das Ziel um viele Fuß. Der zweite Pfeil ist etwas genauer, aber auch err verfehlt. Voll konzentriert schießt er den letzten Pfeil ab. Diesmal verfehlt er das Ziel nur um Haaresbreite."
"Das ist schade.", entfuhr es mir. Gundelfing setzte gleich an: "Sicherlich ist das eine Enttäuschung. Er hätte fast getroffen. Doch verfehlt ist verfehlt. Uns allen geht es oft wie diesem Schützen. Manchmal verfehlen wir das Ziel ziemlich gründlich, manchmal nur um Haaresbreite. Aber wir verfehlen es eben. Und das frustriert. Aber gehen wir noch einmal zum Schützen zurück: Niedergeschlagen geht er vom Platz, denn er hätte wirklich gern den Preis bekommen. Plötzlich ruft ihn der Ausrichter zurück und übergibt ihm den Preis trotzdem."
Ich war verwirrt. Warum sollte der Preisrichter das machen? Noch bevor ich die Frage stellen könnte, beantwortete Gundelfing sie mir: "Der Ausrichter hat gesehen, wie sehr sich der Bogenschütze dafür angestrengt hat. Er will dieses Bemühen belohnen."

Ob ich deswegen so ein guter Bogenschütze geworden bin, weil Gundelfing damals dieses Beispiel verwendete? Ich kann es nicht mit Sicherheit ausschließen.
Aber ich verstand den Gedankengang dahinter. Gott will uns das ewige Leben schenken. Wir können uns dieses ewige Leben nicht verdienen. Es ist eine Gabe von Gott. Aber, er wird sie uns nicht vorenthalten, weil wir trotz Anstrengungen ins Wanken geraten oder uns etwas nicht gelingt. Er wird dieses Geschenk denen vorenthalten, die es nicht einmal versuchen.
Zufriedenheit liegt also darin, sich realistische Vorhaben zu setzen und darin, bei Fehltritten nicht aufzugeben und weiter auf Gott zu vertrauen.
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Re: Sacra Tibia: Gundelfing - Dialoge

Beitragvon almafan » Fr 7. Jun 2019, 07:52

"Lenkt Gott die Welt und ist unser Schicksal vorherbestimmt?"

Ein paar Tage nach unserem letzten Gespräch hielt Gundelfing eine interessante Predigt. Ihm war es immer daran gelegen, das Freiwillige im Dienst für Gott hervorzutun. Du schreibst meine Geschichten nicht auf, weil Gott uns heute ganz gezielt zusammen gesetzt hat und ich habe die Kämpfe meines Lebens nicht deswegen geführt, weil Gott jede Begebenheit meines Lebens in diese Kämpfe gesteuert hat, so dass sie unausweichlich sind.
Diese vorgetragene Predigt war prägend für mich und Gundelfing betonte, dass dies auf eigenen Studien der Bibel beruhte. Er lehrte uns etwas, dass er nicht im Kloster gelernt hat, durch das Abschreiben irgendwelcher Schriften von Heiligen oder dem Rezitieren von irgendwelchen Exegeten.

Gundelfing begann mit einer Bibelstelle, die für gewöhnlich damit ausgelegt wird, dass Gott vorher wisse, wie alles ablaufen wird und es genau so lenkt. Er las aus einem der Paulusbriefe: "Keine Versuchung hat euch ergriffen, ausgenommen eine allgemein menschliche. Gott aber ist treu, und er wird nicht zulassen, daß ihr über euer Vermögen versucht werdet, sondern mit der Versuchung wird er auch den Ausweg schaffen, damit ihr sie ertragen könnt."
Dann schaute er in die Runde der Zuhörer. Kurze Stille. "Denkt ihr, Gott wägt im Voraus ab, was wir ertragen können, und entscheidet dann, welchen Schwierigkeiten wir begegnen?"
Wieder Stille. Er schaute zu Felix: "Hat er die Schwester deiner Schwiegertochter im Kindbett sterben lassen, weil er wusste, dass deren Eltern es ertragen können?"
Dann wurde er allgemeiner und fragte in die Runde: "Lässt er Frieden auf jenem Landstrich und bringt einem Volk den Krieg, weil sie es unterschiedlich ertragen können? Stirbt der eine jung und der andere alt, weil sie ein unterschiedliches Maß an Durchhaltevermögen haben? Lässt er den einen in die Sünde laufen, den anderen aber warnt er, je nach Kraft, die der Sünder in der ewigen Feuerqual der Hölle aufzubringen vermag?"
Er ließ uns kurz Zeit über die Fragen nachzudenken. Irgendwie wollten diese Fragen nicht zu einem Gott passen, der seinen Sohn aus Liebe für alle Menschen dahingab und hoffte, dass alle Sünder zur Reue gelangen. Das passt nicht.
"Gibt es stichhaltige Gründe zu glauben, Gott lenke Ereignisse in unserem Leben auf so konkrete Weise, dass wir in genau solche Prüfungen kommen müssen?", unterbrach er unsere Stille. "Ich nenne euch vier Gründe, warum man das nicht schlussfolgern kann."

Wir warteten gespannt. Er verstand es, seine Zuhörerschaft in den Bann zu ziehen. Er sagte: "Es gibt keinen biblischen Grund zu glauben, dass Gott erst beurteilt, was wir ertragen können, und dann entscheidet, was er zulässt. Der erste Grund für diese Schlussfolgerung ist folgender: Gott gab uns einen freien Willen. Im fünften Buch des Mose nimmt 'Gott Himmel und Erde als Zeugen, um zu bekunden, dass er einem jeden von euch Leben und Tod vorlegt habe, Segen und Fluch. Du sollst das Leben wählen, damit du am Leben bleibst, du und deine Nachkommen. Dies, indem du deinen Gott liebst, auf seine Stimme hörst und fest zu ihm hältst. Denn er ist das Leben.' Auch sagte Josua, der Nachfolger des Mose, nachdem er alle Machttaten Gottes für sein Volk aufgezählt hatte, dass es dem Volk frei steht, den Göttern der Vorfahren auf der anderen Seite des Euphrat oder den Göttern der Amorịter, in deren Land sie nun wohnten zu huldigen. Er aber und seine Familie werden Gott dienen. So dient auch ihr dem wahren Gott, dem lebendigen Gott. Er wird eure Pfade gerade machen. Folgt dem Satan und seinen Dämonen und es wird euch am Tag des letzten Gerichtes schlecht ergehen. Dies ist der Rat Gottes. Doch würde er festlegen, welche Schwierigkeiten uns begegnen, würde er dann nicht in Wirklichkeit unseren freien Willen schmälern? Doch ohne freien Willen bräuchten wir keine Ermahnung und keine Belehrung. Wir wären wie ein Werkzeug, da dieses seinen Zweck nicht bestimmt und sich der Benutzung nicht erwehren kann."

Wieder ließ er eine Pause, um unser Denken anzuregen. Er befeuchtete kurz seine Lippen und fuhr fort: "Der zweite Grund ist jener, den Jesus auf Erden erwähnte. Im Evangelium des Lukas wird ein tragisches Ereignis beschrieben. Ein Turm stürzt um und achtzehn Menschen sterben. Doch der Christus stellte klar, dass es nicht die Sünde war, die diesen Menschen das Leben kostete. Jeus sagte: 'Zeit und unvorhergesehene Dinge trifft uns alle'. Gott gibt den Rat, sein Haus auf festem Grund zu bauen. Er selbst hinterlässt in der Schöpfung viele Beispiele für Bauwerke, die Jahrtausende überdauern. Doch die Häuser und Türme errichtet der Mensch. Stürzen sie ein kann es jeden treffen. Doch Gott hat es nicht verursacht. So wie er das Leid des Hiob nicht verursacht hat."
Er blätterte kurz nach vorn: "Das führt uns zum dritten Grund. Jeder von uns ist in die Streitfrage um die Souveränität Gottes verwickelt. Satan, sein Widersacher stellt Gott als Lügner dar. Er hat Eva geraten, die verbotene Frucht zu essen, da Gott Ihnen diese vorenthalte und so die Welt ins Unglück gestürzt. Seitdem prüft er immer wieder, ob Menschen loyal zu Gott stehen können und wollen. Satan behauptete, Hiob würde ihn nur anbeten, weil Gott ihm alles gegeben hat und nun schützt. Wie ihr die Geschichte kennt, blieb Hiob auch lauter, als Satan ihm Vieh und Kinder nimmt, ihn arm und krank macht. Angenommen, Gott bewahrt uns vor bestimmten Schwierigkeiten, weil er sie als untragbar einstuft ... Würde dies nicht Satans Behauptung stützen?"

Jetzt blätterte er wieder ein wenig nach hinten: "Das führt uns schon zum vierten und damit letzten Grund. Gott, der Allmächtige, kann in die Zukunft schauen und in die Vergangenheit. Wie aus den Worten Davids hervorgeht, sieht er uns schon im Mutterleib, noch ehe wir gezeugt sind. Doch er möchte gar nicht alles vorhersehen. Zu denken, Gott lege im Voraus unsere Schwierigkeiten fest, hieße, dass er alles über unsere Zukunft weiß. Das ist aber nicht biblisch."
Unsere fragenden Gesichter brachten ihn kurz zum Schmunzeln und er wusste um seine Aufmerksamkeit: "Natürlich kann Gott in die Zukunft blicken, denn es schreibt sein Prophet in alter Zeit, Jesaja, aus dem Munde Gottes folgendes Wort: 'Von Anfang an sage ich vorher, wie eine Sache ausgeht und lange im Voraus kündige ich an, was noch nicht getan worden ist. Ich sage, meine Entscheidung wird feststehen und ich werde tun, was immer ich möchte.' Aber gemäß den Worten Mose wählt Gott gezielt aus, welche Geschehnisse er vorhersehen möchte. So ist es geschehen vor der Vernichtung Sodoms und Gomọrras als Gott in Gestalt der drei Engel zu Abraham sagte: 'Der Aufschrei gegen Sọdom und Gomọrra ist wirklich groß und ihre Sünde ist sehr schwer. Ich werde hinuntergehen und nachsehen, ob ihr Handeln tatsächlich dem Aufschrei entspricht, den ich gehört habe. Und wenn nicht, kann ich es herausfinden.' Auch bestätigt es sich, abermals bei Mose, dass Gott auch Abrahams Opfer sah, bevor er es gab, denn so sprach er zu ihm: 'Tu dem Jungen nichts, denn ich weiß wohl, dass du Ehrfurcht vor mir hast, weil du mir deinen Sohn, deinen einzigen Sohn, nicht vorenthalten hast.'
Gebraucht er also sein Vorherwissen, respektiert er dabei unseren freien Willen. Und vollkommen ist sein Tun."

Wieder eine Denkpause: "Wie also sind die Worte des Paulus' zu verstehen, dass Gott uns nicht über unser Vermögen versuchen wird. Nun, wichtig ist nicht, was Gott vor einer schwierigen Situation tut. Wichtig ist, was er in der schwierigen Situation tut. Paulus sagte ja, 'Gott wird nicht zulassen', dass die Versuchung zu groß wird und 'er wird den Ausweg schaffen'. Damit ist nicht allein das künftige Seelenheil im Himmel gemeint, dass durch Jesu Blut und Gottes Gnade erfüllte Siegel, dass den frommen und guten dieser Welt erwarten darf. Diese Worte sind direkt zu verstehen.
Wenn wir auf Gott und Christus, unseren Herrn vertrauen, wird er uns stützen. Keine Prüfung wird mit Gottvertrauen zu schwer werden. Paulus sagte auch, dass jede Versuchung eine 'allgemein menschliche' ist und bezieht sich im Kontext auf das Volk Israel, das in der Wildnis ja ebenfalls Prüfungen ausgesetzt war. Sie litten, wenn sie ungehorsam waren und lebten ohne Mühen, wenn sie auf ihn ihr Vertrauen legten. Nichts, was uns widerfährt, ist Gott und seinen Engeln neu. 'Gott ist treu', schrieb Paulus in diesem Brief. Aller Verrat kommt von Menschen oder Dämonen."
Nun kam er zum Ende seiner Ausführungen und befeuchtete noch ein letztes Mal seine Lippen: "Doch Gott wischt nicht einfach alle Sorgen beiseite," sagte er: "sondern er wird 'den Ausweg schaffen, damit wir es ertragen können'. Das geschieht durch geistigen Beistand und die Hoffnung auf das Himmelreich. Geistige Anleitung kann unseren Schritt in vernünftige Bahnen lenken und uns aus schwierigen Situationen herausführen. Aber auch ihr untereinander könnt Mut machen, sogar ihr Kinderlein. Erinnert euch daran, welche Prüfungen schin hinter euch liegen und wie ihr stärker als zuvor aus ihnen hervorkamt."

Er atmete noch einmal tief durch und wurde in der Stimme ruhiger: "Gott sucht die Prüfungen nicht für uns aus und in der Prüfung, meine Brüder und Schwestern, lässt er uns nicht allein."

Ich habe beim alten Priester nie Applaus gehört. Nur so viel möchte ich seiner Rede beifügen.
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Re: Sacra Tibia: Gundelfing - Dialoge

Beitragvon almafan » Do 13. Jun 2019, 07:10

"Wie belohnt mich Gott, wenn ich auf ihn höre?"

Wie Gundelfing mir einmal im Vertrauen sagte, findet das Alte Testament in der Liturgie fast nicht statt. Alle Predigten beziehen sich auf die Rolle der Kirche als Vertreter des himmlischen Reiches Gottes auf Erden. Die Schriften vor Jesu' Menschwerdung finden nur dann Anwendung, wenn irgendwer im rechten Glauben einen Krieg gegen einen anderen Stamm oder ein Volk erzwingen will. Dann ist der Kampf Abrahams gegen die fünf Könige, die Lot entführten gerade recht. Oder der Einmarsch der Israeliten ins gelobte Land. Ich weiß, wie du die Sache siehst, aber darum geht es nicht.

Noch erstaunlicher war, dass ich bei der Fronarbeit auf seinem Hof oft sehen konnte, dass er auf und ab schritt und immer wieder den Text zur nächsten Predigt einstudierte. Wie er mir zugab, zu einer späteren Zeit, schrieb er nicht gern und obendrein nicht sehr leserlich. Er sagte aber auch, dass er einen auswendig gelernten Text bei der Predigt variiert. Also er spricht ihn anders, als er ihn eingeübt hat. Und er schaut uns an, außer er liest aus der Bibel vor. Dann weiß er, ob noch was erklärt werden muss.
Das finde ich gut. Das hat der alte Priester nicht gemacht. Der las vor, meist in Latein. Und dann fügte er an das Gelesene an: "Drum höret..." Höret dies oder das, höret auf zu tun. Es war nicht mit Herz, nur reine Gebote und Verbote. Besonders für uns Kinder war das immer anstrengend. Gundelfing brachte Vergleiche, Geschichten, Gedankenanstöße. Das war neu. Das war frisch. Nur bei der Visitation war er der Liturgie verhaftet. Denn wenn aufflöge, dass er sich nicht an die vorgegebenen Prozesse hält, wäre er schnell ausgetauscht worden. Und so schwor er vor dem Eintreffen immer wieder auf's Neue die Schultzen ein, die dann die Dorfgemeinschaften auf die geänderten Umstände einschworen.

Aber diesmal war der Vikar nicht da und der Priester konnte die Liturgie ruhen lassen, sich um den Garten und den Friedhof kümmern und in den Dörfern Hausbesuche für Salbungen, Ölungen und Weihen machen.
An dem Tag des folgenden Gesprächs war er auf dem Weg nach Sitta, da Bruno ihn an seinen Hof bestellt hat. Mit dem Besprengen der Türpfosten und stillem Gebet sollte das Fieber seiner Frau verschwinden. Dazu machte Gundelfing für gewöhnlich kalte Umschläge und gab abgekochtes, ausgekühltes Wasser zu trinken. Reichlich.
Ich habe ihn mal gefragt, warum er sich auch um die Heilung kümmert, wenn er es im Gebet doch Gott in die Hände legt. Da antwortet er doch: "Du kannst Gott bitten, dass dich niemand bestehle, doch deine Schätze solltest du trotzdem verschließen." Gott kann nur das Handeln segnen, nicht die leeren Worte.

An dem Tag war er zumindest noch unterwegs nach Sitta. Und ich auch, da ich gerade zwei Schafe zum Markt in Halifa geführt hatte. Allein. Ich war ja der Große. Jetzt hatte ich einen Packen Tauschware in der Hotte und Vuk dicht bei mir. Wir marschierten zu Dritt gerade durch den Gabeler Pass. Der liegt fast genau auf halber Strecke zwischen den Dörfern. Das ist eine niedrige Stelle in der Hügelkette, die sich quer durch die Insel zieht und vom Hochwald bis an den Dorn im Osten reicht.

Da fragte ich ihn, gar nicht lange nach der letzten großen Predigt: "Wie belohnt mich Gott ... wie belohnt dich Gott, wenn ich ... wenn du auf ihn hörst?" Ich war mir nicht sicher, ob ich diese Frage persönlich stellen sollte oder auf mich bezogen. Er verstand trotzdem.
"Erstmal gibt es da ja das ewigliche Himmelreich.", fing er an: "Aber unmittelbarer ... Da gibt es einen passenden Bibeltext." Er blätterte ziemlich weit vorn in der Bibel und zeigte mir dann etwas aus dem 3. Buch Mose. Latein. Meine Begeisterung hielt sich in Grenzen.
Dann las er vor, aber in meiner Zunge: "Wenn ihr meine Bestimmungen weiter befolgt und meine Gebote haltet und danach lebt, werde ich euch zur richtigen Zeit Regenschauer geben. Das Land wird seinen Ertrag abwerfen und die Bäume des Feldes werden ihre Frucht hervorbringen. Eure Dreschzeit wird bis zur Weinlese dauern und die Weinlese bis zur Aussaat. Ihr werdet euer Brot essen, bis ihr satt seid, und in eurem Land in Sicherheit leben. Ich werde dafür sorgen, dass im Land Frieden herrscht, und ihr werdet euch hinlegen, ohne dass euch jemand Angst macht. Ich werde die wilden Tiere, die Schaden anrichten, aus dem Land beseitigen, und kein Schwert wird durch euer Land ziehen. Ihr werdet ganz bestimmt eure Feinde verfolgen und sie werden durch das Schwert vor euch fallen. 5 von euch werden 100 verfolgen und 100 werden 10 000 verfolgen. Eure Feinde werden durch das Schwert vor euch fallen."

Das klingt für einen Jungen, der sich vorstellt, mal Ritter zu sein, nicht schlecht. Der letzte Teil. Der erste Teil ist auch nicht übel. Aber Gundelfing erklärte mir auf meine nächste Frage, ob man denn für das Obst, das Gemüse und das Getreide immernoch seine Arbeit verrichten muss, dass in diesem Bibeltext explizit von der Dreschzeit, von der Weinlese und von der Aussaat. Er erklärte: "Es handelt sich nicht um reine Zeitangaben, sondern um das Ausführen dieser Arbeiten. Wenn Gott nur das Handeln segnen kann, dann segnet er mit reichen Erträgen die harte Arbeit, die du in deinen Acker und deinen Garten steckst. Gott zahlt deinen Glauben mit Früchten aus."
Das stellte mich nicht wirklich zufrieden. Immerhin muss man weiterhin hart arbeiten.

Gundelfing merkte vermutlich meinen Missmut und konterte: "Wie würdest du eine Sache, eine Prüfung oder irgendeine Situation besser überstehen oder die bessere Wahl treffen oder aus ihr gestärkter hervorkommen? Wenn du ein lohnendes, befriedigendes Ziel vor dir hast oder wenn du es nur machst, um es hinter dich zu bringen? Wo ist deine Motivation und deine Kraft größer?"
Ich dachte darüber nach.

"Vertrauen auf das Kommen des Königreiches Gottes und die Strafe für die Bosheit in der Welt lässt dich Ungerechtigkeit besser ertragen. Die Belohnung auf das Leben in den himmlischen Örtern lässt dich Mühsal besser ertragen. Man kann bei einer richtigen, gottgefälligen Entscheidung Glück und Zufriedenheit empfinden. Es ist mehr als nur bloßes Durchhalten."
Gundelfings Ausführungen klangen plausibel und ich erkannte, unmittelbarer als eine positive Auswirkung auf die eigene Gesinnung geht es ja eigentlich nicht.
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Re: Sacra Tibia: Gundelfing - Dialoge

Beitragvon almafan » Di 11. Aug 2020, 21:32

Wie drückt sich Glauben aus?

Weißt du, das ganze System des Glaubens ist stark geprägt durch Barmherzigkeit. Nicht nur die Barmherzigkeit Gottes uns gegenüber, seine göttliche Gnade. Sondern besonders die Barmherzigkeit der Menschen zueinander. Wir sollten uns in Milde begegnen. Und das ist ganz schön schwer. Aber die rechte Einstellung zu einer Sache war ja schon erwähnt.

Gundelfing war nach der Hilfe für Brunos Frau noch im Dorf unterwegs. Wenn er schon den weiten Weg gemacht hat, prüfte er meist auch die Gärten der anderen Höfe, fragte, ob irgendwo zu helfen sei, und klapperte in der Regel die Höfe der Schultzen ab. Dort fragte er nach dem Befinden der Dorfbewohner und des Burgherren. Zu diesem ging er bei einem günstigen Zeichen auch oft. Und diesmal war es wohl günstig.

Wenn Gundelfing zur Burg will, muss er an den Höfen im alten Dorf vorbei. Also auch an dem meines alten Ohm Wigberd.
Ich mochte ihn gern Vater nennen, aber er ist es nicht.

Ich sah ihm vom Misthaufen aus, den ich gerade Wälzen sollte. Das ist echt eine üble Arbeit. Den zu Kompost gewordenen Mist muss man freischaufeln und wegkarren und den darüber liehenden neuen Mist neu ausschütten. Der Mist ganz unten stinkt kaum noch. Übel ist das Zeug darüber. Jedesmal, wenn man mit der Schaufel neu ansetzt und eine neue Kerbe schlägt, kommt eine Wolke aus Gestank heraus.
Ich habe die Arbeit dennoch gern gemacht. Die erste Zeit kann man prima nachdenken. Es ist nichts, wo der Verstand viel zu tun hätte. Nach ein paar Stunden dann wird das Denken schwer. Aber es war noch vor der Mittagsspeise, als ich ihn sah.

Ich rief über den Zaun unseres Hofes: "Hey, Gundelfing!" Er konnte mich unmöglich überhören. Ich kletterte vom Misthaufen herunter und ging durchs Tor. Gundelfing wartete. Er wusste wohl schon, dass ich wieder Fragen hatte.

"Wie zeige ich, dass ich Glauben habe?" Gundelfing war erstaunt, dass ich direkt mit der Frage begann. Er bekam erst nicht den Mund auf. Dann schaute er kurz zu der Stelle, wo ich gerade noch war, auf dem Misthaufen. "Das tust du doch gerade."
Ich verstand nicht und das bemerkte er, also fuhr er fort: "Kümmerst du dich um den Hof?" Ich sagte: "Ja". Er fragte: "Kümmerst du dich um die Tiere?" Wieder bejahte ich. Er fragte: "Kümmerst du dich um deine Geschwister?" Ich nickte nur noch stumm. "Hörst du auf deine Eltern?" Ich musste kurz schmunzeln, er auch. Aber im Grunde wusste er auch, dass ich meine aufgetragenen Arbeiten erledigte. Und auch sonst helfend zur Hand ging. Im Dorf war ich schon als fleißiger Junge bekannt. Aber ich verstand trotzdem nicht, was er mit diesen Fragen bezwecken wollte.

Er kam nun darauf zu sprechen: "Ich hätte dir auch wie von der Kanzel reden können, dass du die Gesetze Gottes halten sollst, wie es im Brief des Jakobus steht." Er blätterte kurz in der Bibel, die er immer dabei hatte und schlug weit hinten auf. "Ich übersetze es dir einmal: 'Denn wer auch immer das ganze Gesetz hält, aber in einem einzigen Punkt einen Fehltritt tut, der hat sich gegen alle vergangen. Denn der, der gesagt hat:" Du sollst nicht ehebrechen", hat auch gesagt: "Du sollst nicht morden." Wenn du nun nicht die Ehe brichst, aber mordest, bist du ein Gesetzesübertreter geworden.' Willst du dich an alle Gebote Gottes halten?"
Ich musste kurz überlegen. Denn ich kannte ja vermutlich nicht alle Gebote, wie soll ich sie dann halten.

Er bedeutete mir mit zu kommen, denn immerhin war er ja zum Burgherren unterwegs. "Jakobus fährt in diesem Brief fort, uns zu erklären, wie wir unseren Glauben zeigen können. Im vierzehnten Vers spricht er dies: 'Von welchem Nutzen ist es, meine Brüder, wenn jemand sagt, er habe Glauben, hat aber keine Werke? Dieser Glaube kann ihn doch nicht etwa retten? Wenn sich ein Bruder oder eine Schwester in nacktem Zustand befindet und es ihnen an der für den Tag hinreichenden Speise fehlt, aber einer von euch sagt zu ihnen: "Geht hin in Frieden, haltet euch warm und wohlgenährt", ihr gebt ihnen aber nicht das Notwendige, von welchem Nutzen ist das? Ebenso ist der Glaube, wenn er keine Werke hat, in sich selbst tot.' Jakobus spricht also davon, dass sich Glaube durch Werke zeigt. All die Dinge, über die wir vorhin gesprochen haben, sind Werke. Gott sagt, du sollst Vater und Mutter ehren und das tust du. Man soll für die Seinigen in der Hausgemeinschaft sorgen und auch das tust du. Das sind auch bei Gott lobenswerte Eigenschaften."
Ich fragte ihn, ob Glauben an Gott nicht auch ein Zeichen für sich sein kann. Und er antwortete: "Jakobus schrieb ab Vers neunzehn: 'Du glaubst, daß es einen einzigen Gott gibt, nicht wahr? Du tust sehr wohl. Doch glauben auch die Dämonen und schaudern.' Der Glaube allein, dass es einen Gott gibt, führt also nicht gleich zu Werken. Abraham wurde durch seine Werke von Gott geehrt und gesegnet. Er hat seinen Glauben durch Taten gezeigt. Er wurde sogar Freund Gottes genannt. Das ist eine ziemlich hohe Ehrung."

Ich musste kurz überlegen und dann wollte ich mich schnell auf den Rückweg zum Hof machen. Gundelfing war etwas erstaunt, dass ich ihn so ohne Vorwarnung verlassen wollte und fragte,wo ich hin will. "Na, auf Hof meines Vaters meine Aufgabe erfüllen und so für die Hausgemeinschaft sorgen. Außerdem halte ich dich nur von deinen Aufgaben ab."

Und ich rannte los.
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