AT: if dreams come true




Unterhaltungsliteratur in ihren verschiedenen Formen, wie beispielsweise Romane, Erzählungen, Kurzgeschichten, Berichte, Märchen und Sagen

AT: if dreams come true

Beitragvon Nikita LaChance » Fr 1. Apr 2011, 09:22

Kapitel I


„Meine Kinder sind noch da drin!“
Ihre Verzweiflung war deutlich zu hören. Schrie die Frau doch lauthals. Doch es wirkte fast so, als wolle man sie nicht hören.
So als könne man sie nicht hören.
Die Flammen, die das Gebäude allmählich verschlangen, und das Dröhnen der Maschine, die das Wasser durch die Schläuche des Löschwagen pumpten, schienen ihre Stimme zu übertönen.
Alle um sie herum waren zu beschäftigt oder zu betäubt von dem Schauspiel vor ihren Augen, als dass sie auf die verzweifelte Mutter achteten.

Noch einmal schrie sie den Feuerwehrmann an, dass sich ihre Kinder noch in dem Gebäude befänden. Und noch immer reagierte niemand auf ihren Hilfeschrei.
So versuchte sie sich selbst auf den Weg zu dem Hitzepol auf zumachen. Auch wenn sie es nicht weit schaffen würde, so wollte sie doch selbst einen letzten Versuch wagen, ihre Kinder aus dem Haus zu bekommen.

„Sie können da nicht hinein!“ rief man ihr entgegen.
Doch sie hatte sich schon näher an die Flammen heran gewagt. Konnte die Hitze schon auf ihrer Haut spüren. Spüren wie sie allmählich ihre Haare angriff und auch die Augen zum Tränen brachten.
Nur noch wenige Schritte und sie würde in mitten der Flammen stehen.
Sie musste in das Gebäude kommen. Sie musste es versuchen.

Doch sie kam nicht sehr weit.
Jemand riss sie zurück, drängte sie immer weiter von dem brennenden Haus weg und damit auch von ihren Kindern.
Und dieser Jemand hielt sie fest, verhinderte, dass sie erneut auf die Flammen zusteuern konnte.
Und dann … als das Dach den Flammen nachgab und das Gebäude allmählich in sich zusammen fiel, fiel auch die Frau mehr oder weniger in sich zusammen.

Das Feuer hatte gesiegt. Es hatte das Haus verschlungen und somit auch jegliche Hoffnung ihre Kinder lebend zu finden.



Chance seufzte kurz und sah auf die kleine Uhr auf seinem Laptop.
Bereits kurz nach fünf.
Er hatte nicht bemerkt, wie schnell die Zeit vergangen war.
Allerdings bekam er oft kaum noch was mit, wenn er sich in seine Schreibarbeit vertiefte.
Er konnte stundenlang in kompletter Stille sitzen und vor sich hin schreiben.
Um ihn herum Zettel, vollgekritzelt mit Stichpunkten zu seinem neuesten Projekt oder mit irgendwelchen Kringeln, die er machte, wenn ihm mal wieder nichts einfiel. Aber da waren auch noch Zeitungsschnipsel und Ausdrucke aus dem Internet. Alles mögliche, was er irgendwie für seinen Roman zu verwenden hoffte.
Noch einmal sah er auf die Uhr. Nicht dass es viel später geworden war.

Es war der 27. Dezember. Der erste Tag nach den Feiertagen.
Das ganze Haus war ungeschmückt. Kein Anzeichen dafür dass man hier Weihnachten gefeiert hatte. Dabei war es früher immer so bunt und hell und freundlich gewesen.
Dieses Jahr allerdings hatte er es selbst nicht übers Herz gebracht auch nur einen kleinen Baum aufzustellen oder eines der bunten Lichter ins Fenster zu hängen.
Ihm war nicht danach gewesen.

Im Grunde war das Einzige was er so wirklich tat schreiben.
Und er verbiss sich in seiner Schreibarbeit so sehr, dass ihn seine Schwester immer wieder daran erinnern musste, dass er auch irgendwann zu essen oder zu schlafen hatte.
Dabei sollte es eigentlich umgekehrt sein.
Er sollte sich um sie kümmern. So wie er es seinen Eltern versprochen hatte. Er sollte für sie da sein.
Aber er konnte es nicht.
Geistig war er immer irgendwo anders. Driftete irgendwo zwischen Trübsinn und Trauer und natürlich seiner Fantasie umher.

Manchmal fragte er sich, wie er sich so einsam und hilflos fühlen konnte, wenn er es doch nicht war. Er hatte seine Schwester, eine liebevolle Freundin und einen besten Kumpel.
„Feiertagsdepression!“ hatte sein Chef zu ihm gesagt, „Die bekommen so einige Leute um die Weihnachtszeit!“
Chance hoffte, dass es nur das war. Er hoffte, dass man ihn nicht irgendwann zum Arzt schickte und er dann irgendwelche Pille nehmen müsste.
Pillen, die seinen Geist abschalten würden und ihn schläfrig machen würden. Nicht dass er manchmal Schlaf gebrauchen könnte oder eben nur eine Möglichkeit seine Gedanken abzustellen.
Manchmal wünschte er sich, dass es in seinem Hirn so still wäre, wie in seinem Zimmer. Aber was wäre dann?

Im Moment war Schreiben sein ein und alles.
Schon als Kind hatte er geschrieben, wenn er Probleme hatte. Wenn er irgendetwas brauchte, um sich abzuregen oder wenn er einfach nur wenn er irgendwie seine Gedanken schweifen lassen wollte.
Es war auch nicht sein erster Roman. Vergangenes Jahr hatte er ein Buch veröffentlicht. Kein Bestseller und außer seinen engsten Freunden wusste auch keiner etwas davon.
Schreiben war für ihn besser als Ärzte, Pillen oder ähnliches.

Wieder sah er auf die Uhr. Bereits viertel nach fünf.
Und allmählich schmerzten ihm die Augen vor Müdigkeit. Er war nun schon mehr als sechsunddreißig Stunden wach und hatte vor sich hin geschrieben. Einzig kurz unterbrochen, um auf Toilette zu gehen oder um zu essen.
Chance speicherte seinen Text und überlegte. Sollte er jetzt schlafen gehen oder versuchen weiter zu schreiben. Schreiben war ihm eigentlich lieber.

„Bist du immer noch wach?“ Seine Schwester stand in der Zimmertür. Sie hörte sich ebenfalls recht müde an.
„Ich wollt nur … Du weißt schon!“ antwortete er nur.
„Du musst schlafen, Chance!“ seufzte sie.
Im Grunde war dies ein wenig lustig, denn auch sie schlief nicht gerade viel und dass sie gerade in seiner Tür stand, war ein Beweis dafür, dass auch sie die Nacht durchgemacht hatte. Vermutlich hatte sie gerade noch irgendein Buch gelesen oder irgendetwas gezeichnet.
„Geh ins Bett, Chance!“ wiederholte sie noch einmal. Diesmal mit ein wenig mehr Nachdruck.
„Du aber auch!“ gab er zurück.
Chance schaltete seinen Laptop ab und begann sein Bett von den ganzen Papieren zu befreien, indem er einfach alles hinunter schob.
Noch immer wartete sie in der Zimmertür, so als wolle sie sicher gehen, dass er sich auch wirklich schlafen legte.
„Du gehst jetzt aber auch schlafen!“ knurrte er müde und lies sich so wie er war aufs Bett fallen.
„Ja, ja!“ kam nur leise zurück. Dann ging sie, wobei sie seine Zimmertür offen lies, über den Flur zu ihrem Zimmer.
„Gute Nacht!“ rief sie kurz über den Flur und dann konnte Chance hören, wie auch sie sich aufs Bett fallen lies.

Die Minuten bis zum Schlaf verfiel er wieder in Gedanken. Einerseits einige Ideen zu seinem neuen Roman, die er gerne noch schnell notiert hätte, ehe sie wieder verschwanden. Andererseits wieder einige Gedanken, die er bekam wenn er sich wieder so einsam und hilflos fühlte. Wenn er nichts tun konnte als darauf zu warten, dass die Zeit verging.

Und dann irgendwann schlief er auch endlich ein.
Und träumte.
Seltsames Zeug.
Nikita LaChance
Ritter
Ritter
 
Beiträge: 143
Registriert: So 27. Mär 2011, 09:30

von Anzeige » Fr 1. Apr 2011, 09:22

Anzeige
 

Re: AT: if dreams come true

Beitragvon Nikita LaChance » Fr 1. Apr 2011, 09:23

Kapitel II

Die Luft war kalt. Kein Wunder, war es doch früher Morgen und das mitten im Dezember.
Und die Tatsache, dass sie nur ein dünnes blaues Kleid trug, sorgte auch nicht dafür, dass ihr wärmer wurde.
Sie wusste nicht, warum sie auf das Dach gegangen war.
Sie spazierte barfuß über den Schnee und blieb erst an der Dachkante stehen.
Es war ein erhabenes Gefühl, was sie empfand, bei dem Blick auf die Straße, die weit über dreißig Meter unter ihr lag.
Um diese Zeit war niemand auf den Beinen. Alle schliefen noch und so erschien, die sonst so hektische Stadt friedlich und traumhaft.
Ein Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. Kein Gedanke an die Kälte, die ihren Körper allmählich taub werden lies.

Kurz sah sie sich noch einmal um. So als wolle sie sicher gehen, dass ihr niemand gefolgt sei und sie womöglich aufhalten würde.
Sie wusste nicht, warum sie hier oben stand. Vor wem sie flüchtete. Oder wen sie erwartete.
Und dann bemerkte sie jemanden, der plötzlich hinter ihr aufgetaucht war. Er hatte keinerlei Spuren im Schnee hinterlassen. War einfach irgendwie aufgetaucht.
Er sagte nichts. Stand einfach da und sah zu ihr hinüber.
Noch einmal lächelte sie. Wenngleich ein wenig müde.
Dann drehte sie sich wieder der Dachkante zu und ging den letzten Schritt.

Ein Gefühl von Freiheit umgab sie. Der Wind zog an ihr vorbei. Umspielte sie.
Genüsslich schloss sie ihre Augen.
Kein Gedanke an den Schmerz, der folgen würde. Keine Angst vor dem Ende.
Einfach nur Frieden und das Gefühl zu fliegen.


Schweißgebadet wachte Cassidy auf der Wohnzimmercouch auf. Sie brauchte einen kurzen Moment um sich zu orientieren und sich zu erinnern, wie sie überhaupt von ihrem Zimmer ins Wohnzimmer gelangt war.
Nicht dass es irgendwas neues gewesen wäre, dass sie auf der Couch aufwachte.
Und es war auch nicht das erste Mal, dass ihr Bruder ihr deswegen eine Standpauke hielt.
„Wieder nicht in deinem Bett geschlafen?“ bemerkte er gleich, als er das Wohnzimmer betreten hatte.
Sie schüttelte nur den Kopf und musterte ihn.
Er sah genauso müde aus, wie sie sich fühlte.
In den letzten Tagen hatte er sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, seine Haare in Zaum zu halten oder sich zu rasieren. Seine Kleidung zerknittert und fleckig.
Seine Mutter hätte geschimpft darüber. Oder seine Freundin, die die Feiertage bei ihren Eltern und der ganzen angetretenen Verwandtschaft verbringen musste.

„Frühstück?“ fragte er nur kurz und ging in Richtung Küche, ohne eine Antwort von ihr abzuwarten.
Cassidy sah ihm kurz nach, ehe sie aufstand. Ein Blick auf die Wohnzimmeruhr verriet ihr, dass gerade mal knapp zweieinhalb Stunden vergangen waren, seit er sich schlafen gelegt hatte.
„Was machst du heute?“ wollte sie dann von ihm wissen, als zu ihm in die Küche kam.
Er zuckte nur mit den Schultern. Vermutlich würde er das selbe machen, wie in den letzten Tagen. Einfach weiter an seinem Roman arbeiten.
„Felice wird heute Nachmittag noch vorbeikommen. Und Ryan wahrscheinlich auch!“ erinnerte sie ihn und holte ihre Cornflakes und eine Schale aus dem Schrank.
„Oh!“ seufzte er nur und sah an sich herunter. Es schien so, als hätte er jetzt erst bemerkt, wie heruntergekommen er im Moment aussah.
Sie schmunzelte.
„Und deine Pläne?“ gähnte er herzhaft und nahm sich ebenfalls eine Schale und etwas von ihren Cornflakes.
„Shopping mit Felice!“ seufzte sie. Cassidy hasste Shopping. Allerdings wollte sie Felice den Gefallen tun, mit ihr in die Stadt zu gehen, war es doch für Felice die einzige Möglichkeit von ihrer Familie für ein paar Stunden wegzukommen.

Beide aßen stillschweigend ihre Cornflakes. Beide in ihre Gedanken versunken.
Und irgendwann sah er sie fragend an.
„Was?“
„Du hattest wieder einen Alptraum?“ kam von ihm und sah sie mit zusammengezogenen Augenbrauen an.
Sie nickte nur.
„Wieder einen von diesen …?“
Wieder nur ein Nicken als Antwort.
„Oh!“
Wieder Schweigen.

In den letzten Jahren hatte Chance immer wieder feststellen müssen, dass seine zehn Jahre jüngere Schwester über eine eigenwillige Gabe verfügte. Obwohl dies eher einer Art Fluch gleich kam.
Cassidy hatte nicht einfach nur Alpträume. Manchmal schienen diese Träume wahr zu werden.
Und irgendwie machte es ihm sowie auch ihr Angst.

„Willst du darüber reden?“ fragte er und sah von seiner leeren Cornflakesschale auf.
Sie überlegte kurz und nickte dann.
Sie wusste, dass er einige ihrer Träume bzw. Alpträume für seine Roman verwendete oder dass er manchmal die Zeitung durchsah um zu prüfen, welcher ihrer Träume wieder wahr geworden war.
Beide fragten sich, wieso sie diese Gabe hatte und vor allem wozu sie gut sei.
Cassidy holte tief Luft und begann dann zu erzählen.
Er hörte aufmerksam zu und nickte ab und an.
So wie sie es erzählte, wäre sie selbst ein guter Schriftsteller. Vor allem konnte sie beide Rollen gut rüber bringen, die des Opfers, welches in ihrem Alptraum gequält wurde oder umkam und auch die des Betrachters.
Er hatte noch nie so genau darüber nachgedacht. Aber vermutlich konnte jeder im Traum zwei Personen sein. Im Traum war ja eigentlich alles möglich.
„Ich war nicht allein da!“ meinte sie plötzlich und riss ihn aus den Gedanken.
„Ich meine, ...“ begann sie zu erklären und stoppte gleich wieder.
„Du meinst, du hast … gesehen, wie der andere die Frau gestoßen hat?“
Cassidy hatte ihm von einer Frau erzählt, die ohne ersichtlichen Grund von einem Haus gesprungen war.
Sie schüttelte den Kopf.
„Ich glaube der andere hat nur zugesehen!“ meinte sie und versuchte sich daran zu erinnern, wie der andere in ihrem Traum ausgesehen hatte. Aber es fiel ihr nicht ein. Sie wusste nur noch, dass da jemand war und dieser jemand hatte sowohl die Frau an der Dachkante sowie auch sie als Beobachterin mitbekommen.
„Eigenartig!“ kam nur von Chance und er stand auf, um sein Geschirr in die überfüllte Spüle zu stellen.
Nicht einmal das hatte einer von beiden erledigt, dachte er sich.

„Ich kann Felice auch absagen!“ Cassidy stand plötzlich neben ihm und sah ihn mit großen Augen an.
Scheinbar verfügte sie nicht nur unter der Gabe mittels Träumen die Zukunft vorherzusehen. Vermutlich konnte sie auch seine Stimmung und seine Gefühle wahrnehmen.
Sie schien immer zu wissen, wie es ihm ging und wann er seine Ruhe haben wollte, auch ohne dass er es sagte oder zeigte.
„Nein, du solltest hier mal rausgehen!“ meinte er mit schwachen Lächeln.
Noch immer sah sie ihn eindringlich an, als wolle sie ihm sagen, dass das selbe auch für ihn galt. Aber sie sprach es nicht aus.
„Ich kümmre mich um das hier!“ gab er nur zu verstehen und wies auf den Stapel schmutzigen Geschirrs vor sich. Auch wenn er keine Lust dazu hatte.
Sie nickte nur.
Und dann ohne ein weiteres Wort umarmte sie ihn einfach.

Er wusste nicht warum sie dies tat oder warum sie ihn so besorgt ansah. Aber die Umarmung konnte er gebrauchen.
Als sie ihn wieder losließ, sah sie zu ihm auf und grinste kurz.
„Vergiss nicht, Felice kommt noch vorbei!“ merkte sie noch einmal an.
Er verstand nicht ganz was sie meinte, als sie ihn am Kinn packte und an den Härchen zupfte. Das Gewächs war schon mehr als ein Drei-Tage-Bart.
„Verstehe!“ seufzte er, „Sehe ich so mies aus?“
Sie nickte schmunzelnd und ging wieder zur Wohnzimmercouch. Dort sammelte sie einige ihrer Skizzen ein und machte sich damit auf den Weg in ihr Zimmer.
Irgendwie sah es dort kaum anders aus als wie in dem Zimmer ihres Bruders. Auch bei ihr lagen viele Zettel im Raum verstreut. Aber es waren auch Bücher und CDs im Raum verteilt.

„Toll!“ seufzte sie nur.
Da ihre Freundin nach dem Shoppingausflug noch zu ihr und ihrem Bruder kommen wollte, hieß es auch für sie, das Chaos in ihrem Zimmer zu beseitigen.
Na gut, was sollte sie so früh am Morgen auch anderes machen.
Es war kurz vor acht und Felice würde sie erst in zwei Stunden abholen.
Und während sie ihre Zeichnungen in eine Sammelmappe einsortierte, den Tisch und das Bett abräumte und die Bücher und CDs an ihren eigentlich Platz zurück brachte, dachte sie über ihren Traum nach.
Oder mehr oder weniger über ihre letzten Träume. Alle die, die irgendwann wahr geworden waren.
Keine Träume, die sie wahr haben wollte.
Der Alptraum vom morgen war noch recht frisch und beängstigend. Sie hoffte, dass dies nur ein gewöhnlicher Alptraum war. Keiner dieser Träume, die wahr wurden.
Aber es war nicht nur der Traum der sie so grübeln lies. Sie versuchte sich an den zweiten Beobachter in ihrem Traum zu erinnern. Auch wenn sie sein Gesicht nicht mehr vor Augen hatte, so kam er ihr irgendwie vertraut vor.
Nikita LaChance
Ritter
Ritter
 
Beiträge: 143
Registriert: So 27. Mär 2011, 09:30

Re: AT: if dreams come true

Beitragvon Nikita LaChance » Fr 1. Apr 2011, 09:24

Kapitel III

Fast pünktlich um zehn Uhr stand Felice vor der Haustür, bereit für die geplante Flucht vor ihrer Familie, die ihr in den letzten Tagen gehörig den letzten Nerv geraubt hatte, und bereit für eine kleine Shoppingtour.
Die Blondine war bester Laune und begann, gleich nachdem Cassidy zu ihr hinaus getreten war, von ihrem Weihnachtstag zu erzählen. Wie sich fast alle in ihrer Familie in den Haaren hatten und sich dann wenig später versuchten mit ihren Geschenken zu übertrumpfen oder wie der Weihnachtsbraten durch den Streit, wer ihn schlussendlich anschneiden darf, irgendwann auf dem Boden gelandet war. Zumindest der Teil mit dem Braten schien ein klein wenig übertrieben, wenn auch lustig.

Nach einer Weile, die sie bis zur nächsten Busstation ein paar Straßen weiter gegangen waren, verfiel Felice plötzlich in Schweigen und sah ihre Freundin besorgt an.
Nicht dass Cassidy je viel erzählte. Aber diesmal war sie doch auffällig schweigsam.
„Alles okay bei dir?“ wollte Felice von ihr wissen und sie nickte nur irritiert.
„Du siehst ziemlich fertig aus!“
„Schlecht geschlafen!“ kam nur leise von Cassidy. Das war noch nicht einmal gelogen.
Der Bus kam und beide stiegen ein. Sie hatten Glück und fanden auch zwei nebeneinander liegende Sitze.
„Ich kann dich wecken!“ meinte Felice, gleich nachdem sich Cassidy ans Fenster gesetzt und ihr Gesicht gegen die kühle Scheibe gepresst hatte.
„Ich bin aber nicht müde!“
„Du siehst aber so aus!“ Es klang ein wenig schnippischer, als es ursprünglich sein sollte.
Cassidy aber ignorierte es und sah nach draußen.

Und irgendwann, während die verschneiten Straßen an ihrem Fenster vorbeizogen, war sie eingenickt.
Stimmen drangen an ihr Ohr. Aber sie konnte weder genau verstehen, was sie sagten, noch wusste sie ob sie die Stimmen im Traum hörte oder ob sie im Bus waren.
Nur knapp zwanzig Minuten später wurde Cassidy von ihrer Freundin geweckt.
„Wir sind gleich da!“ meinte sie nur, woraufhin Cassidy nur nickte.

Kaum aus dem Bus, der sich in der Zwischenzeit stark gefüllt hatte, heraus, standen beide Mädchen vor dem Shoppingcenter.
Ein dreistöckiges Gebäude, größer als eine Lagerhalle und voller verschiedenster Geschäfte. Von Kleidung, über Schuhe, über Bücher, über Lebensmittel bis zu Drogeriewaren und Elektronik. Sogar ein kleiner Tierhandel hatte hier einen kleinen Shop.
Und in den Mittelgängen, zwischen Sitzbänken und einigen kleinen Brunnen, waren einige kleine Stände und eine Art kleiner Straßen-Café.
Cassidy sah sich müde um. Die Fenster der Geschäfte noch geschmückt mit Weihnachtsdekoration und auch von oben, vom Glasdach des Shoppingcenters, hingen riesige rote Schleifen und Weihnachtskugel. Und irgendwo in der Mitte des Centers würde wie jedes Jahr ein riesiger Weihnachtsbaum stehen, der über und über voll mit Weihnachtskugeln behangen war, sodass man die Nadeln des Baumes kaum sehen konnte, dachte sie sich.

Felice schien mehr oder weniger in ihrem Element. Ihre Augen wanderten von einem Geschäft zum anderen, so als würde sie noch nach dem richtigen suchen, bei dem sie beginnen wollte.
Dann aber erhaschte sie etwas auf dem Gang.
„Das ist doch was für dich!“ meinte sie lautstark und ging zu einem der kleinen Stände.
Cassidy war wieder aus ihren müden Gedanken gerissen und ging ihr langsam nach.
Der Stand war voller Dekokram. Elfen, Gnome, kleine Tierfiguren, Drachen und andere Fantasiegestalten.
Doch das, was Felice angezogen hatte, waren die Traumfänger. Alle in unterschiedlichen Größen und Farben.
Felice begutachtete alle Traumfänger, bevor sie einen raus suchte, der fast die Größe des Netzes eines Tennisschlägers hatte und mit grau-weißen Federn und türkisfarbenen Perlen besetzt war. Der erschien ihr genau richtig und sie kaufte ihn.
Doch nicht für sich, wie Cassidy feststellen musste.
„Damit du endlich mal richtig schläfst!“ meinte Felice grinsend und überreichte ihr das nun in einer Plastiktüte verpackte Stück.
Cassidy zog nur beide Augenbrauen hoch.
„Der fängt die schlechten Träume und lässt nur die guten durch!“ erklärte Felice und erhielt ein zustimmendes Nicken von dem Händler, der beide Mädchen neugierig musterte.

Cassidy bedankte sich leise.
„Hoffentlich funktioniert der auch!“ fügte sie noch hinzu, was Felice aber nicht hörte.
Die war schon wieder weiter gegangen.
Diesmal lag ihr Interesse bei einem Schaufenster mit Schmuck.
„Meinst du, ich könnte Chance eine Silberkette schenken?“ wollte sie von Cassidy wissen, die müde neben ihr stand.


Chance hatte es geschafft die Küche auf Vordermann zu bringen. Der Berg dreckigen Geschirrs war beseitigt, der Müll weggebracht und der Fußboden gefegt.
Nun war er dabei das Bad aufzuräumen, nicht das es da viel zu tun gab.
Sein Zimmer wollte er als letztes aufräumen, denn dass, so glaubte er bräuchte wohl etwas mehr Zeit und vor allem müsse er seine ganzen Notizen und dergleichen sortieren und wegpacken.
Er ging noch einmal zurück zum Wohnzimmer. Unter dem Tisch fand er noch eine Zeichnung von Cassidy, aber ansonsten war es aufgeräumt.
Einzig den Staubsauger würde er noch einmal hier durch jagen müssen, dachte er sich und wollte sich gerade an die Arbeit machen, als die Haustür laut aufging.
Erschrocken und irritiert über den Lärm zuckte er zusammen. Noch mehr erschrak er sich, als er bemerkte, dass es nicht seine Schwester war, die hinein gekommen war.

Drei Männer kamen ins Haus und zu ihm ins Wohnzimmer. Er kannte keinen von ihnen. Konnte sich auch nicht daran erinnern, jemals einen von ihnen gesehen zu haben.
„Was wollt ihr?“ mehr bekam er nicht über die Lippen.
Die Männer sahen sich kurz an, so als würden sie sich so absprechen, was sie als nächstes vor hätten.
Aber keine gab ihm eine Antwort.
Sie schritten näher auf ihn zu. Einer zog eine Waffe hervor. Es musste eine Waffe sein, so wie er den kurzen Stab, oder was auch immer es war, hielt.
Panik überfiel ihn. Er musste irgendetwas tun. Nur was?

Dem ersten Mann, der nach ihm packte, verpasste er einen Kinnhaken, sodass der rückwärts torkelte. Doch er fing sich schnell wieder und zog ebenfalls einen Stab hervor, den er nun auf Chance gerichtet hielt.
Vermutlich waren das Schlagstöcke, dachte Chance kurz, ehe er seine volle Konzentration wieder auf alle drei Eindringlinge richtete.
Sie versuchten ihn einzukreisen. Die Tatsache, dass sie nicht sagten, was sie eigentlich von ihm wollten, erschien ihm noch beängstigender, als die Tatsache an sich, dass sie in sein Haus gekommen waren.
Wieder griff einer nach ihm und wieder schlug er nach dem Mann.
Und nun bekam Chance zu spüren, was das besondere an den schwarzen Stäben war.
Während er nach dem einen Mann schlug, nutzte der zweite den Moment und drückte Chance die mysteriöse Waffe in die Seite.
Es war nicht der Druck, den man von einem Stock, dem man in die Seite gedrückt bekam, der Chance zusammen zucken lies. Es war viel mehr der Stromstoß der ihm durch den merkwürdigen Stab verpasst wurde. Fühlte sich an, als hätte er einen kräftigen Schlag oder Tritt in die Seite bekommen und dieses Gefühl wollte einfach nicht nachlassen.

„Lasst ihn in Ruhe!“ kam eine Stimme durch die Haustür und noch jemand betrat das Haus. Dieser Jemand stürzte sogleich auf den dritten noch unbewaffneten Mann und versuchte diesen zu überwältigen.
Doch der Mann war schneller und vor allem stärker als sein Angreifer. Ohne große Mühe und vor allem ohne ein Wort, schulterte er seinen Angreifer und warf ihn zu Boden.
Chance versuchte ebenfalls einen Angriff. Allerdings bekam er jedes Mal, wenn er sich einem Mann zuwandt, von dem anderen den Stab in die Seite oder gegen den Arm gerammt und Stromstöße verpasst.
Allmählich fühlte er sich, als stünde er in einem Boxkampf von über zehn Runden. Alles tat ihm weh, selbst das Atmen. Und die Stromstöße machten ihn dößig.

Der Mann, der ihm zu Hilfe kommen wollte, war selbst schwer am Kämpfen. Sein Gegner erwies sich als stärker und merkwürdigerweise auch ruhiger.
Noch immer hatte er nicht diesen Stromstab zu Hilfe genommen. Er kämpfte mit bloßen Händen gegen Chance´s Helfer.
„Du kannst hier nichts tun!“ kam dem Mann über die Lippen und mit einem weiteren Schlag brachte er seinen Angreifer zu Fall. Der allerdings wollte sich gleich wieder aufschwingen, als er mit dem Fuß auf der Brust zu Boden gedrückt wurde.
„Du hättest dich nicht einmischen sollen!“ knurrte der Mann nur und richtete dann seinen Blick auf Chance, der völlig außer Atem war.
„Es kann einfach sein oder schwer!“
Chance wusste weder, was damit gemeint war, noch wollte er sich so einfach in seinem Haus überfallen lassen.
Wieder versuchte er einen Angriff auf die fremden Männer. Und wieder bekam er einen Stromstoß. Und dann einen zweiten.
Und dann gingen die Lichter einfach aus. Der Schmerz zu groß.


„Trägt Chance überhaupt Schmuck?“ wollte Felice wissen und begutachtete die Auslage des Juweliers.
Cassidy antwortete ihr noch immer nicht.
Felice sah zu ihr, wollte schon schimpfen, wie wenig hilfreich Cassidy heute war, als sie Cassidy´s Gesichtsausdruck bemerkte.
Sie war blass, noch ein wenig blasser als sonst. Und panisch sah sie umher.
„Was ist los?“ wollte Felice gleich wissen und packte Cassidy am Arm, da sie praktisch schon kurz vorm Umfallen schien.
Das hatte nichts mehr mit Müdigkeit zu tun, dachte sich Felice. Irgendetwas stimmte nicht.
„Ich muss nach hause!“ presste Cassidy, „Ich muss Chance helfen!“
„Was ist los?“ wiederholte Felice und wurde allmählich panischer, „Du jagst mir Angst ein!“
Sie hatte schon häufiger mitbekommen, dass Cassidy geistig irgendwo anders war oder dass sie manchmal irgendetwas vorher sagte, was sie unmöglich vorher hätte wissen können. Aber dabei war sie noch nie so blass und vor allem noch nie so panisch geworden.

Cassidy suchte mit ihren Augen nach dem Ausgang. Allerdings war es dabei wenig hilfreich, dass die Welt zu schwanken schien und sich auch noch ihr Frühstück dafür entschied den Weg zurück nach oben zu nehmen.
„Ich muss zurück!“ Ihre Stimme war schwach, wenngleich sie in ihren eigenen Ohren schon schmerzhaft laut schien.
Sie versuchte sich in Richtung Ausgang, oder zumindest irgendwohin zu bewegen, doch ihre Beine schien ebenfalls nachgegeben zu haben.
Und ohne es wirklich zu bemerken, saß sie plötzlich auf den Boden und die Passanten ringsum musterten sie mit finsteren oder besorgten Blicken.
Felice hatte verhindert dass sie zu Boden fiel. Allerdings konnte sie auch nicht mehr tun.
Sie hockte vor ihrer blassen Freundin, die nicht auf ihre Stimme reagierte und hielt ihre Hand.
„Was soll ich machen?“ Eine Frage an sich selbst und dennoch laut gestellt.
Ihr fiel nur ein Chance anzurufen oder wenn Cassidy nicht langsam wieder auf die Beine kam einen Notarzt.
Felice war mit der Situation mehr als überfordert.
Gerade als sie mit einer Hand in ihrer Tasche nach dem Handy suchte, hörte sie jemanden rufen und sah sich zu der Stimme um.

„Ryan!“ Felice war sichtlich erleichtert, als der junge Mann auf sie zu kam.
„Was ist passiert?“ wollte er sogleich wissen, lies seine Einkaufsbeutel neben den beiden Mädchen fallen und hockte sich ebenfalls hin.
„Ich weiß nicht!“ Felice war kurz davor lauthals los zu heulen.
Ryan musterte Cassidy kurz, deren Blick immer wieder zum Ausgang wanderte, so als habe sie ihn noch nicht mitbekommen.
„Cassie!“ Seine Stimme wie gewohnt rau, so als habe er tagelang geraucht.
Sie reagierte noch immer nicht.
Erst als er seine Hand auf ihre Stirn legte, zuckte sie zusammen.
„Cassie!“ wiederholte er und erst jetzt richteten sich ihre müden Augen auf ihn.
„Ich muss zu Chance!“ meinte sie nur und sofort ging ihr Blick wieder zum Ausgang. Sie versuchte aufzustehen, aber ihr fehlte die Kraft dazu. So als habe man sie am Boden fest gepinnt.
Zudem war sie sich noch nicht einmal sicher, ob dies hier alles wirklich war oder ob sie schlief und wieder irgendeinen merkwürdigen Traum hatte.
„Wie lange ist sie schon so?“ wollte Ryan wissen und packte Cassidy unter den Armen und zog sie auf ihre Beine.
„Ein paar Minuten!“ kam nur als Antwort und Felice stand mit auf.
„Nach hause!“ war das einzige was Cassidy von sich gab. Noch immer schien sie nur halb wach und versuchte vorwärts zu kommen. Aber der einzige Grund, weswegen sie nicht schon wieder auf dem Boden landete, war dass Ryan sie festhielt.
„Ich bin mit dem Auto hier!“ meinte er nur zu Felice und ohne weiteres nahm er Cassidy auf seine Arme.
„Wenn du meine Beutel nimmst!“ rief er und ging voraus.
Felice schnappte sich Ryan`s Einkauf und den Beutel mit dem Traumfänger und eilte hinterher.
So hatte sie sich ihren Familienfreien Tag nicht vorgestellt.

Ryan`ss roter Pick-Up stand zum Glück nicht zu weit vom Ausgang entfernt.
Er setzte Cassidy, die eingedöst, in den Wagen, und Felice sich neben sie, während er hinter dem Steuer Platz nahm.
„Ich wusste nicht was ich machen soll!“ gab Felice zu und legte besorgt einen Arm um ihre Freundin.
„Hat sie irgendwas gesagt oder so?“ wollte er wissen und legte den Wagen durch die Straßen, zurück zu Cassidy´s Haus.
„Nein! Sie meinte nur, dass sie die Nacht schlecht geschlafen hat und dann plötzlich ist sie … sie ist blass geworden und wollte nach hause!“
Ryan kniff die Augen finster zusammen.
„Was ist los?“ Felice spürte, dass er irgendwas zu wissen schien.
Er schüttelte nur den Kopf.
„Weißt du, wieso sie ausgeflippt ist?“ wollte Felice wissen und wurde etwas lauter.
Ryan´s Mundwinkel zuckten. Er wollte nichts sagen.
„Es ist nicht das erste Mal, dass sie … so ist!“ meinte er dann und tat als müsse er seine volle Aufmerksamkeit auf die Straße richten.
Felice sah von der schlafenden Cassidy wieder zu ihm.
„Sie war zwar immer komisch. Aber noch nie so!“ bemerkte sie etwas ruhiger. Sie fand es merkwürdig, dass er anscheinend mehr über Cassidy zu wissen schien, als sie. Wo sie doch ihre beste Freundin war seit ihrem ersten Schultag und er im Grunde eher der beste Kumpel von Chance war und Cassidy noch nicht so lange kannte wie sie.
„Das letzte Mal war an dem Tag, an dem ihre Mutter den Unfall hatte!“ kam von ihm und Felice konnte nichts anderes als ihn irritiert anstarren.
„Chance meinte, dass Cassie den ganzen Morgen schon so eigenartig gewesen war. Gleich kurz nachdem ihre Mutter zur Arbeit losgefahren war.“ erzählte Ryan, wohl auch damit sie aufhörte, ihn so anzustarren, „Cassie hätte die ganze Zeit gesagt, er solle Mom anrufen und ihr sagen, dass sie zurück kommen sollte. Und dann sei sie einfach zusammengebrochen und war nicht wach zu bekommen.“
Noch immer musterte sie ihn fragend und richtete hin und wieder einen Blick auf Cassidy, deren Kopf auf ihrer Schulter lag. Tränen liefen Cassidy über die Wangen und ihre Hände waren fest zu Fäusten geballt, sodass ihre Knöchel weiß hervor stachen.
„Es dauerte eine Weile, ehe sie wieder aufgewacht war!“ kam fast wie ein Seufzer von ihm, „Und kurz danach stand ein Polizist vor der Tür und erzählte … von dem Unfall.“

Ryan steuerte allmählich auf Cassidy´s Haus zu. Doch er kam nicht näher.
Mehrere Polizeiwagen, alle mit Warnlicht, standen vor dem Haus. Und ein gelbes Absperrband hielt die neugierige Masse von dem Haus und den vielen Polizisten fern.
„Was ist den hier los?“ platzte es aus Felice heraus und sie schreckte Cassidy auf.
„Nein!“ Es war wie ein hilfloser Schrei von ihr und sie versuchte aus dem Wagen zu kommen. Alle Müdigkeit war verschwunden und ihre Kraft schien wieder voll da zu sein.
„Cassie beruhig dich!“ Felice versuchte sie auf den Sitz zurück zu drängen, damit sie sich selbst erst einmal vom Sicherheitsgurt befreien konnte.
Doch Cassidy wollte sich nicht beruhigen. Wie zuvor im Shoppingcenter schien sie ihre Freundin gar nicht mitzubekommen.
Ryan hatte sich ab geschnallt und griff Cassidy an den Armen und hielt sie einfach fest. Aus seinem Griff kam sie nicht so einfach frei.
Erst jetzt schien sie ihn so richtig zu bemerken. Mit Tränen in den Augen drehte sie sich zu ihm um.
„Chance? Wo ist er?“ wollte sie von ihm wissen.
Ryan wusste nicht wie er reagieren sollte. Er sah an ihr vorbei zu dem Polizisten und dann wieder auf sie.
„Du musst dich beruhigen!“ meinte er dann und versuchte so sanft zu sprechen, wie es seine raue Stimme her gab, „Es ist nicht hilfreich, wenn du jetzt eine Panikattacke bekommst!“
Er sah ihr tief in die Augen und wartete auf eine Reaktion von ihr.
„Hast du verstanden?“
Sie schniefte noch einmal und nickte dann.
Sie schien sich weitestgehend beruhigt zu haben, so dass er sie wieder los lies und dann auf seiner Seite ausstieg.
Er hielt ihr eine Hand entgegen, wohl wissend, dass sie ihn nicht alleine zu dem Haus gehen lassen wollte.
Wieder kam sich Felice ein wenig veralbert vor. Wieso wusste sie nichts von Cassidy´s Anfällen, oder wie auch immer man das nennen konnte?

Cassidy lies sich Ryan an der Hand zu ihrem Haus führen und je näher sie ihm und den vielen Polizisten davor kam, umso zittriger wurde sie.
„Sie können hier nicht weiter!“ meinte ein Polizist und stellte sich vor sie.
„Sie wohnt hier!“ meinte Ryan nur und wies auf Cassidy, die sich ängstlich an ihn klammerte.
„Sie können dennoch nicht weiter!“ gab der Polizist nur zu verstehen.
Cassidy war wieder blasser geworden, nicht dass ihr kurzes Nickerchen im Wagen soviel mehr Farbe ins Gesicht gezaubert hätte. Und auch schien ihre kurzzeitig wiedergewonnene Kraft wieder zu schwinden.
„Wo ist Chance?“ kam leise von ihr. Ihr Frage war an keinen der beiden Männer direkt gerichtet.
Ryan warf einen Arm um sie, da er ahnte, dass sie jeden Moment wieder auf dem Boden sacken würde.
„Du musst dich beruhigen!“ flüsterte er ihr zu.
„Wo ist Chance?“ Ihr Blick wanderte immer wieder über das Grundstück vor sich.
Felice, die neben Cassidy auf der anderen Seite stand und ebenso fragend drein sah, hielt die Hand ihrer verstörten Freundin, was diese anscheinend nicht einmal mitbekam.
„Was ist los mit ihr?“ wollte der Polizist vor ihnen wissen und musterte die drei vor sich, insbesondere Cassidy.
„Sie ist ...“ begann Felice und wusste nicht, was sie sagen sollte.
„Sie ist schwer erkältet und wir waren gerade beim Arzt!“ meinte Ryan und klang dabei so ernst, dass der Polizist vor ihm die Lüge ohne weiteres abnahm.

„Was ist los?“ Ein zweiter Mann trat hinter der Absperrung auf die drei und den Polizisten zu.
Dann erkannte er zwei der drei, die immer wieder zum Haus sahen.
„Detektive Ryker!“ Ryan wirkte ein klein wenig überrascht, den Mann hier zu sehen.
„Hallo!“ kam nur müde von ihm. Der Mann trug zwar zivile Kleidung, aber seine Marke war an die Winterweste geheftet und zeichnete ihn somit als Polizisten aus.
„Was ist passiert?“ wollte Ryan von ihm wissen.
Doch Ryker´s Blick fiel zuerst auf Cassidy, die ihn mit großen Augen ansah.
Sowohl Ryan wie auch Cassidy hatten ihn schon mehr als einmal getroffen. Das letzte Mal, dass er so nah vor ihnen stand, als er ihnen den Unfall von Cassidy´s und Chance´s Mutter gemeldet hatte.
„Wo ist Chance?“ kam kaum hörbar über Cassidy´s Lippen.
Ryker holte tief Luft, ehe er antwortete.
„Was genau passiert ist, wissen wir noch nicht!“ gab er zu verstehen, „Aber ein Nachbar hat gesehen, wie vier Männer in das Haus eingedrungen sind.“
Die Augen von den den Dreien wurden immer größer und sie starrten den Polizisten vor sich an.
„Die Männer sind spurlos verschwunden und wir wissen nicht, ob sie irgendetwas gestohlen haben!“
„Wo ist Chance?“ Cassidy war wieder kurz davor, komplett ab zu driften. Und so langsam hing sie mehr in Ryan´s Armen als dass sie auf eigenen Beinen stand.
Ryker sah von ihr zu Ryan.
„Es gibt Spuren für einen Kampf ...“
Felice gab einen erschrocken Ton von sich und erntete einen verwirrten Blick der beiden Polizisten vor sich, so als habe man sie bis eben nicht mitbekommen.
„... Wir wissen nicht, wo Chance ist und ob er überhaupt in dem Haus war, als die Männer eindrangen!“ gab Ryker zu.
„Aber …?“ Ryan sah ihn irritiert an, „Die Männer? Wo sind die?“
„Weg!“ antwortete ihm der andere Polizist, „Keiner mehr da!“
Soweit hatte sich das Ryan auch gedacht. Wenn jemand dagewesen wäre, als die Polizei eingetroffen war, hätte man ihn sicherlich schon verhaftet.
„Niemand hat gesehen, wie sie verschwunden sind!“ meinte Ryker zu ihm.

Dann warf er einen erneuten Blick auf Cassidy, die mit Tränen in den Augen an ihm vorbei aufs Haus sah.
„Sie sollte vielleicht zu einem Arzt!“ meinte er dann zu Ryan, „Oder zumindest erst einmal schlafen!“
Ryan nickte nur.
„Aber nicht hier!“ gab Ryker zu verstehen.
„Ich nehm sie zu mir!“ antwortete Ryan und führte Cassidy langsam wieder zu seinem Wagen hinüber.
„Pass besser auf sie auf!“ rief ihm Ryker hinterher.
Felice sah zwischen Ryker und Ryan kurz hin und her, ehe sie Ryan folgte und sich wieder neben Cassidy setzte, die stumm und mit Tränen in den Augen vor sich hin starrte.
Felice wollte Ryan fragen, woher er den Polizisten kannte. Sie schienen zumindest ziemlich vertraut zu sein. Aber sie behielt ihre Frage für sich.
Im Moment erschien es ihr schlimmer, nicht zu wissen wo ihr Freund und Cassidy´s Bruder war. Sie hoffte inständig, dass er nicht im Haus war, als die Männer einbrachen.
Instinktiv griff sie nach ihrem Handy und wählte seine Nummer. Doch das einzige was sie zu hören bekam war die Mailbox. Und egal wie viele Male sie es wiederholte, es ging immer sofort die Mailbox ran.

Ryan´s Haus lag nur zwei Straßen weiter. Es war ein kleineres Haus, als das von Cassidy und Chance. Allerdings wohnte er auch allein hier drin.
Er parkte den Wagen in der Einfahrt und half Cassidy aus dem Wagen, nur um sie gleich danach wieder auf den Arm zu nehmen.
Felice stieg aus, griff ohne ein weiteres Wort nach den Einkauftüten und folgte ihm.
Sie war nur zwei Mal bei Ryan im Haus gewesen. Beide Male mit Chance und beide Male zu einem Filmabend zu viert.
Jetzt hier zu sein, war ein klein wenig eigenartig.

Ryan hatte Cassidy auf seine braune Ledercouch im Wohnzimmer gelegt und ihr die Schuhe ausgezogen. Sie hatte weder etwas gesagt noch irgendwie anders reagiert. Sie schien alles einfach auszublenden.
Ohne sich die Schuhe auszuziehen, ging er zu seinem Schlafzimmer, um von dort eine Decke zu holen.
„Kann ich … helfen?“ kam unsicher von Felice.
Ryan überlegte kurz, ging zur Couch und deckte Cassidy zu.
Felice wiederholte ihre Frage.
„Ruhig bleiben!“ meinte er dann nur und setzte sich in den Sessel neben Cassidy.

Für einen Moment blieb sie einfach hinter der Couch stehen und sah auf ihre Freundin, die allmählich wieder eingeschlafen war.
Dann ging sie zum zweiten Sessel und lies sich hineinfallen.
„Wo könnte Chance sein?“ wollte Felice leise wissen. Ihre Augen ruhten auf dem schlafenden Gesicht ihrer Freundin.
Noch immer weinte Cassidy und sie schien auch nicht wirklich ruhig zu schlafen. Es wirkte viel mehr so als hätte sie eine ziemlich intensiven Alptraum. Immer wieder zuckte sie im Schlaf oder verkrampfte ihre Hände.
Ryan legte eine Hand auf ihre Stirn, was sie ein klein wenig zu beruhigen schien.
Dann sah er auf und zu Felice.

„Ich hab keine Ahnung, wo er ist!“ gab er zu.
Dann blickte er wieder zu Cassidy.
„Vielleicht weiß sie, was passiert ist?“ meinte er dann und Felice sah ihn irritiert an.
Nikita LaChance
Ritter
Ritter
 
Beiträge: 143
Registriert: So 27. Mär 2011, 09:30

Re: AT: if dreams come true

Beitragvon Nikita LaChance » Fr 1. Apr 2011, 09:25

Kapitel IV

Mit finsterer Miene stand er vor dem zweistöckigen Einfamilienhaus.
Er wusste, dass es seine Schuld war. Er war zu spät gekommen.
Und nun, so wusste er auch, würde das Chaos erst richtig losbrechen.

Nur warum er nicht rechtzeitig hier gewesen war, konnte er nicht nachvollziehen.
Vor allem, wollte er wirklich hier sein, wenn die dunklen Männer auf der Jagd waren?
Vielleicht sogar auf der Jagd nach ihm?

Er hatte schon mehr als einmal vor dem Haus gestanden und die Bewohner beobachtet.
Und man hatte ihn, obwohl er mit seinem blauen Irokesen nicht unbedingt unauffällig war, nie bemerkt.
Über die Bewohner wusste er nicht viel. Aber genug.
Die Eltern waren nun schon seit einiger Zeit nicht mehr zu sehen gewesen. Nur die Kinder, eigentlich beide selbst schon im Erwachsenenalter.
Nur selten bekamen die Beiden Besuch, und wenn dann waren es immer wieder die selben zwei. Freunde, vermutlich. Vielleicht auch mehr.
So genau konnte er es nicht sagen.
Aber er hatte ja auch noch nie mit einen der Bewohner gesprochen. Er hatte sich ihnen noch nie gezeigt.
Vermutlich wussten sie noch nicht einmal dass er da war.


Sie stand auf der Straße, vor ihrem Haus. Sie wusste weder, wie sie dorthin gelangt war, noch wusste sie wie spät es nun war.
Ringsum war es stockfinster und einzig die Straßenlaternen leuchteten. Scheinbar waren alle Nachbarn längst im Bett.
Nichts ungewöhnliches, dass alle anderen längst schliefen, während sie selbst noch auf den Beinen war.
Einzig ungewöhnlich war, dass sie selbst sich einfach nicht erinnern konnte, wie sie auf die Straße vor ihrem Daheim gelangt war.

Ein Schauer lief ihr über den Rücken und dass Gefühl, dass sie beobachtet wurde verstärkte sich, je näher sie dem Haus kam.
Doch jedes mal wenn sie einen Blick nach hinten warf, konnte sie nichts erkennen.
Aber noch beängstigender als das Gefühl, welches der heimliche Beobachter in ihr wach rief, war die Ausstrahlung, die von dem Haus ausging.
Nicht dass sie je irgendwelche Schwingungen oder dergleichen empfangen hätte. Sie war zwar irgendwie eigenartig oder vielleicht auch übersinnlich veranlagt, aber an solche Dinge wie positive oder negative Schwingungen glaubte sie nicht.
Dennoch würde sie im Moment darauf beharren, dass das Haus düsterer schien.

Nur noch wenige Schritte trennten sie von dem Fußweg zur Haustür.
Es war kälter geworden. Das eigentlich hell gestrichene Haus, schien nun die dunkelste Farbe zu haben, die man sich als Anstrich nur vorstellen konnte. Und dies lag nicht daran, dass es Nacht war.
Kein Licht im Haus und scheinbar auch kein Leben.

„Ein Traum!“ murmelte sie vor sich hin, „Ein Traum!“
Es musste ein Traum sein oder eine ziemlich Detail getreue Nachbildung ihrer Nachbarschaft in einem Horrorfilm. Einzig die gruselige Musik fehlte.


Plötzlich stand er nicht mehr allein vor dem Haus.
Ein Mädchen war vor ihm aufgetaucht. Anfangs schätzte er sie auf vielleicht sieben Jahre. Doch binnen eines kurzen Augenblicks wuchs sie und wurde älter.
Da sie mit dem Rücken zu ihm stand, konnte er nicht genau sagen, wie alt sie nun aussah. Aber sie besaß nun einen erwachsenen Körper.

Noch einmal musterte er das Mädchen oder vielmehr die junge Frau vor ihm.
Er hatte sie schon mehrmals gesehen. Ja sogar beobachtet. Und wie schon zuvor, schien sie ihn nicht wirklich zu bemerken.
Erst als sie sich umdrehte, erkannte er sie richtig.
Sie wohnte in dem Haus, vor dem er stand.
Doch warum war sie nun hier? War sie nicht bei einem ihrer Freunde?

Sie sah wieder zum Haus, hatte ihn also nicht bemerkt.
Er musste irgendwas sagen. Oder tun.
Nur was?
„Hallo! Ich beobachte dich schon seit einer Weile!“ würde nicht unbedingt den besten Eindruck machen.
Warum er sich allerdings gerade jetzt den Kopf darüber zerbrach, wie er sich ihr vorstellen oder zeigen sollte, wusste er selbst nicht. Bis jetzt hatte er noch nie das Bedürfnis gehabt irgendetwas zu ihr zu sagen. Und das war eigentlich auch gut so gewesen.

Ein Grollen war zu hören und er sah sich um.
Kein Gewitter am Himmel, keine Fahrzeuge auf der Straße und auch nichts anderes, erkennbares, was solch ein Geräusch verursachen könnte.
Und dennoch hörte er es noch einmal.
Irritiert stellte er fest, dass sie es scheinbar nicht hörte. Denn sie ging auf das Geräusch zu.

Kurz zögerte er noch.
Dann aber beschloss er aus seiner Deckung auszubrechen und sich ihr zu zeigen.
Er musste es tun.


„Was machst du hier?“
Erschrocken zuckte sie zusammen und drehte sich zu der fremden Stimme um.
Das erste was ihr auffiel, war der blaue knapp zehn Zentimeter hohe Irokese und die intensiv-grünen Augen ihres Gegenübers. Ansonsten war der schätzungsweise Dreißigjährige einfach in Jeans und dunklen T-Shirt gekleidet.
Er kam ihr bekannt vor. Doch bevor sie ihn fragen konnte, wer er sei und vor allem was er vor ihrem Haus zu suchen hatte, griff er sie am Handgelenk und zog sie auf die Straße zurück.
„Du solltest nicht hier sein!“ schimpfte er.

Ein lautes Grollen ertönte und ihre sowohl auch seine Augen richteten sich auf das Haus.
„Du musst gehen!“ knurrte er sie noch einmal an und schob sie weiter vom Haus weg.
„Aber ich muss da rein! Ich muss nach Chance sehen!“ antwortete sie ihm und war selbst überrascht, dass sie mit ihm sprach.
Er kniff die Augen zusammen und schien mit einem Male verärgert.
„Du solltest jetzt von hier verschwinden!“ Seine Stimme war finsterer geworden. „Geh und halt dich von dem Haus fern!“
„Nein!“
Ihr Widerwort erstaunte ihn für einen Moment.
„Ich muss nach Chance sehen!“ Sie versuchte sich an ihm vorbei zu drängen.
„Dein Bruder ist an allem Schuld!“ platzte es aus ihm heraus und er griff sie an beiden Armen.
„Was?“
Eine Antwort gab er ihr nicht und das Grollen, welches aus dem Haus drang, wurde lauter.
„Verschwinde jetzt von hier!“
Er stieß sie weg, drehte sich zu dem Haus und verschwand.


Felice verstand nicht, was Ryan meinte.
Wie sollte Cassidy wissen, was mit Chance geschehen war. Sie war doch gar nicht im Haus gewesen, als es, was auch immer, passierte.
„Sie … weiß … Dinge!“ hatte Ryan versucht zu erklären.
Ungläubig musterte sie den besten Freund ihres Freundes.
„Hör zu, ich kann es dir nicht erklären!“
Das glaubte sie ihm und sie nickte.
„Cassie träumt manchmal, was passiert.“
„De ja-Vu!“ stimmte Felice ihm irritiert zu.
„Mehr oder weniger!“ Ryan seufzte. Er fühlte sich nicht wohl dabei, die Fähigkeiten von Cassidy offenlegen zu müssen. Vor allem, da er sich noch nicht einmal sich war, woher Cassidy sie hatte und ob sie nicht noch ein paar Fähigkeiten besaß, die niemand bemerkt hatte.
„Ich kann es nicht, … erklären!“ begann er erneut, „Sie träumt manchmal was geschieht und es geschieht. Irgendwann. Aber manchmal betrifft diese Vorahnung nicht sie selbst.“
Wieder nur ein Nicken von Felice. Deutlich konnte sie sich noch an den Tag erinnern, als ihr Cassidy ihr Mitleid zum Tod von Felice Großvater ausdrückte, noch bevor ihre Eltern davon erfahren und ihr davon erzählt hatten. Cassidy hatte ihr nicht erklären können oder wollen, woher sie das wusste.

„Du glaubst, dass sie das vorher gesehen hat?“ kam nach einigen Minuten Schweigen von Felice.
„Vermutlich!“ Wieder ein Seufzen von ihm.
„Aber warum hat sie dann nichts gesagt oder getan?“ Felice wurde etwas lauter.
„Weil sie nicht vorher sehen kann, wann die Ereignisse eintreffen!“ verteidigte Ryan Cassidy, die sich noch immer der Unterhaltung enthielt, da sie schlief. Wenn auch noch immer recht unruhig.
„Und der … Anfall?“ Jetzt wollte sie, wenn schon alles wissen.
Ein kurzes Zucken seines Mundwinkels verriet, dass dies nicht unbedingt ein Thema war, welches er breittreten wollte.
Noch einmal sah er zu Cassidy, so als wolle er sich sicher sein, dass sie nicht wach war und vermutlich sauer, dass er ihr Geheimnis oder dergleichen verriet.
„Ich weiß nicht, was genau passiert. Aber ich glaube, wenn das geschieht, was sie vorher gesehen hat, löst das in ihr diesen Anfall aus.“ Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, als hätte er plötzlich Kopfschmerzen.
„Sie schaltet dann komplett ab. Sie bekommt dann nichts mehr mit, was um sie herum gerade geschieht. Und ...“ Er stoppte.
„Weiß sie es?“
Verwirrt blickte er Felice in die Augen.
„Die Anfälle? Dass sie die Kontrolle verliert?“
So hatte er es noch nie gesehen. Er wusste, dass Cassidy geistig vollkommen woanders war, wenn sie einen Anfall hatte und dass ihr Körper einfach nachgab, als habe man ihr die ganze Kraft geraubt.
Aber er hatte noch nie darüber nachgedacht, dass es eine Art Kontrollverlust sein könnte.
Er schüttelte kurz den Kopf, um den Gedanken wieder zu vertreiben.
„Vermutlich nicht!“ gab er dann zu, „Wenn sie wieder zu sich kommt, ist sie wieder ganz klar im Kopf. Sie wirkt dann wieder wie vor dem Anfall!“
Felice nickte nur stumm und wusste nicht was sie von dieser Nachricht zu halten hatte.

Knapp zwei Stunden nachdem sie von dem Kaufhaus zurück gekommen waren und von der Polizei weggeschickt worden waren, hatte Detektive Ryker bei Ryan an der Tür geklingelt.
Er wollte mit allen Dreien reden und klang dabei sehr seriös.
„Sie schläft!“ meinte Ryan nur und Ryker nickte.
„Dann lass sie schlafen!“ kam von ihm und er bat um Einlass. Er wollte seine Nachricht nicht zwischen Tür und Angel und vor allem vor den neugierigen Nachbarn verkünden.

„Wir wissen lediglich, dass vier fremde Männer in das Haus eingedrungen sind und dass es einen Kampf gab. Ob Chance in den Kampf verwickelt wurde können wir nicht sagen. Wir können auch nicht sagen, wo er nun ist.“
Felice sah den Mann irritiert an. Sie hatte gehofft, dass er irgendwelche positiven Erkenntnisse vorzutragen hatte. Doch im Grunde konnte er nichts vorweisen.
„Wir sind uns nicht sicher, ob man Chance entführt hat!“ meinte Ryker dann und erntete einen ungläubigen Blick beider.
Sie standen auf dem Flur und Ryker warf immer wieder eine besorgten Blick zu der Ledercouch. Vermutlich wollte er nicht, dass Cassidy ihn hörte.
„Aber wo sollte er sein?“ wollte Felice von ihm wissen.
„Es gibt einige Anzeichen, dass ihr Freund ...“ Er sah zwischen Ryan und Felice hin und her, „... dass er einige Probleme hatte!“
Noch bevor Ryan irgendwas entgegnen konnte, fuhr Felice dazwischen:
„Was für Probleme?“ Sie klang genauso wütend, wie Ryan sich fühlte.

„Depressionen!“
Beide wirkten überrascht von dieser Nachricht.
„Wir haben einige sonderbare Zeitungsberichte in seinem Zimmer gefunden und auch einige recht eigenwillige Notizen!“ versuchte Ryker seine Vermutung zu belegen.
„Er arbeitet an einem neuen Roman!“ kam sofort von Felice.
Ryker nickte.
„Ich habe mit seinem Chef gesprochen!“ meinte er dann und warf Ryan einen prüfenden Blick zu.
„Der meinte, dass Chance häufig übermüdet aufgetaucht sei. Auch sei er oft in sich gekehrt gewesen und kaum ansprechbar.“
„Das muss doch noch gar nichts heißen!“ protestierte Felice sogleich. Zwar hatte sie bemerkt, dass ihr Freund ruhiger geworden war, doch daran hatte sie nichts beunruhigendes feststellen können.
Ryker holte kurz Luft.
„Es wäre nichts ungewöhnliches, wenn man bedenkt was in den letzte zwei Jahren passiert ist.“ meinte er dann.
„Was soll das jetzt heißen? Dass er verrückt geworden ist, oder was?“ Ryan konnte seine Wut kaum noch zurück halten.
Ryker schüttelte den Kopf. Er wusste, dass er einen Fehler gemacht hatte, den beiden davon zu erzählen. Aber sie mussten es wissen.
„Ich wollte nur sagen, dass man sein Verschwinden nicht untersuchen wird!“
Entsetzten in ihren Gesichtern.
„Die Kollegen vermuten, dass er einfach verschwunden ist.“ meinte er und Felice fuhr ihm erneut dazwischen:
„Klar ist er verschwunden, aber ...“
Sie war gerade davor, lauter zu werden, als Ryker ihr eine Hand auf die Schulter legte.
„Es tut mir leid! Aber ich kann nicht viel machen!“ sagte er und versuchte ruhig zu klingen, „Er ist ein erwachsener und selbstständiger Mann, der seine eigenen Entscheidungen trifft!“
Felice riss die Augen noch weiter auf, soweit dies noch möglich war.

„Ich werd meine Augen aufhalten!“ meinte Ryker und drehte sich wieder zur Tür.
Doch bevor er die Klinke ergriff, sah er noch einmal zu der Ledercouch.
„Sie wird jetzt jemanden brauchen, der auf sie aufpasst!“ meinte er, mehr an Ryan als an Felice gerichtet.
Ryan nickte nur stumm und schloss hinter dem Detektive die Tür.

„Was sollte das gerade?“ fauchte ihn Felice an.
„Hör zu, wir können nicht viel machen!“ knurrte Ryan zurück und wusste dass, dies herzloser klang als er es eigentlich hatte sagen wollen.
Gerade wollte sie zurück schimpfen, als ihr Handy klingelte.
Ihre Eltern. Natürlich.
Mit großer Wahrscheinlichkeit hatten sie die Polizei vor dem Haus ihrer Freundin bemerkt und wollten nun dass ihre Tochter wieder nach hause kam.
„Geh du erst mal nach hause, eh du noch mehr Ärger bekommst!“ meinte Ryan dann wieder ruhiger zu ihr.
Sie wollte nicht gehen. Sie wollte endlich erfahren, was vor sich ging und vor allem wo ihr Freund steckte.
„Ich ruf dich an, sobald sie aufgewacht ist!“ versprach Ryan.
Nur widerwillig verließ Felice sein Haus und machte sich schon auf das nun folgende Gespräch mit ihrer Familie gefasst.


Ryan atmete tief durch, ehe er zu Cassidy zurück ging. Er wusste, dass sie längst wach war. Vermutlich hatte sie gehört, was Ryker gesagt hatte.
Mit großen Augen sah sie ihn an und wartete darauf, dass er irgendetwas sagte.
Doch was sollte er ihr sagen?
„Dein Bruder ist depressiv und ist einfach gegangen!“ Ryan glaubte ja selbst nicht daran. Chance würde nicht einfach so verschwinden.

„Er ist nicht da!“ kam nur leise von ihr und sie setzte sich auf.
Ryan musterte sie kurz. Er war sich für einen Moment nicht sicher, ob sie wirklich wach war oder ob sie schon wieder kurz vor einer Panikattacke stand.
„Er ist nicht hier!“
„Cassie!“ Wieder versuchte er seiner rauen Stimme etwas beruhigendes zu verleihen.
Er setzte sich neben sie und wollte seinen Arm um sie legen. Sie wusste, warum er es tat und wich aus.
„Mir geht’s gut!“ meinte sie gleich und sprang von der Couch auf.
Sofort war auch er auf den Beinen.
„Du musst nicht auf mich aufpassen!“ Sie versuchte zu lächeln. Doch ihr Lächeln war zu schwach und zu müde, um irgendwie ihren Worten Nachdruck zu verleiten.
Er riss nur die Augenbrauen hoch und sah sie erst an.
„Hör zu, mir geht’s gut! Ich hatte nur einen kleinen Aussetzer und ...“ Ihre Stimme gewann langsam wieder an Stärke, „Und nur weil du Chance vor Jahren versprochen hast, auf dem Rummelplatz auf mich aufzupassen, heißt dass nicht, dass du das immer noch machen musst!“
Er antwortete nicht darauf.

Sie holte ihr Handy aus der Jackentaschen und zeigte es ihm kurz.
„Ich will nur mal kurz ...“ meinte sie und ging in sein Schlafzimmer, wo sie die Tür schloss.
Ryan setzte sich wieder und wartete.
Was sollte er auch anderes tun? Lauschen?
Er wusste nicht, was passiert war. Er war sich noch nicht einmal sicher, dass Cassidy es ihm irgendwie erklären könnte.
Er wusste lediglich, dass er sie nicht allein lassen sollte. Das war er unter anderem Chance schuldig.


Cassidy setzte sich auf das ungemachte Bett in Ryans Schlafzimmer. Auf dem Fußboden lag ein weißes T-Shirt und ein Buch, mit der aufgeschlagenen Seite nach unten. An einer Wand stand ein großer Kleiderschrank, dessen Türen mit irgendwelchen alten Band-Stickern voll geklebt war. Vermutlich war der Schrank ein Überbleibsel aus seinem alten Zimmer bei seinen Eltern. An der Wand gegenüber des Bettes stand ein volles CD-Regal und daneben ein kleineres Regal mit Ryans Plattensammlung und vor dem Fenster eine seiner Gitarren.
Ryans Zimmer unterschied sich vollkommen von dem Zimmer ihres Bruders und sie musste kurz darüber schmunzeln.

Dann aber erinnerte sie sich wieder, weswegen sie in dieses Zimmer gegangen war.
Sie blätterte durch die Telefonnummern in ihrem Handy und wählte dann.
Es dauerte einen Moment, ehe sich am anderen Ende eine etwas müde Stimme meldete.
„Hey, ich bin´s!“ meinte Cassidy nur, „Es ist passiert!“
Am anderen Ende herrschte Stille, so als warte man auf mehr.
„Ich muss ihn suchen!“
„Und wie?“ kam nur als Gegenfrage.
„Das weiß ich noch nicht! Aber ich hoffe, du kannst mir irgendwie weiterhelfen!“
Es klang wie eine verzweifelte Bitte.
„Weißt du, wo er ist?“
„Nein!“
Kurzes Schweigen am anderen Ende.
„Hilfst du mir?“
„Ich versuche es!“ kam als Antwort, „Aber du solltest erst einmal etwas Ruhe finden!“
„Okay! Ich meld mich wieder!“ versprach Cassidy und legte wieder auf.
Sie fühlte sich nicht wirklich besser, obwohl sie nun wusste, dass sie Hilfe bekam.

Sie wartete noch einen Moment in der Stille, ehe sie wieder zu Ryan ins Wohnzimmer ging.
Er saß auf der Couch und sah fern. Er hatte ein paar Sandwiches und eine Tasse grünen Tee für sie auf den Tisch gestellt und schien nur darauf zu warten, dass sie sich wieder zu ihm setzte.
Ein schwaches Schmunzeln huschte ihr über die Lippen.
Er konnte es nicht lassen. Vielleicht konnte er nicht anders, als ihren großen Bruder zu spielen. Oder irgendetwas, das dem ziemlich nahe kam.
Also tat sie ihm den Gefallen. Sie setzte sich neben ihn, aß und genoss schweigend ihren Tee.
„Alles okay?“ wollte er irgendwann kurz von ihr wissen und sie nickte nur.

Schweigend sahen sie fern, wobei er irgendwann wieder seinen Arm auf die Rückenlehne gelegt, sodass Cassidy fast schon in seiner Umarmung steckte. Sie wusste, dass es einfach nur seine Eigenart war und vermutlich würde er irgendwann den Arm einfach um sie legen. Vermutlich dachte er sich nichts dabei oder es war eine Angewohnheit, die er immer bei Mädchen hatte.
Im Grunde hatte Cassidy sich daran gewöhnt, fand es manchmal sogar irgendwie okay.

Und nach einigen langen Minuten und einem ziemlich langweiligen Film, döste Cassidy an seine Seite gekuschelt ein. Sein Arm um sie gelegt.
Auch er schlief irgendwann ein.


Warme Sonnenstrahlen durchfluteten den Mischwald. Die Luft roch sauberer, noch reiner als in irgendeinem Stadtpark. Auch wirkte die ganze Umgebung viel natürlicher als es in einem von Menschen geschaffener Park sein könnte.
Das Moos gab bei jeden Schritt nach.
Es fühlte sich einfach herrlich an. Frei und vor allem lebendig.

Alles war wie es sein sollte. Und doch war da etwas oder besser gesagt jemand, der nicht hier her gehörte.
Er war schon oft hier gewesen. Aber dabei war er immer allein gewesen. Zumindest am Anfang.
„Du?“ platzte aus ihm heraus und er ging auf das Wolfsrudel zu, welches wie immer inmitten einer kleinen Lichtung auf ihn wartete.
Diesmal allerdings waren die Wölfe nicht allein. Sie hatten sich alle um ein Mädchen versammelt und versuchten jeder ihre Aufmerksamkeit zu erwecken und Streicheleinheiten von ihr zu bekommen.
Für einen Moment schienen weder die Wölfe noch das Mädchen ihn zu bemerken. Und so beobachtete er sie ein klein wenig irritiert.
„Cassie?“ fragte er leise.
Das Mädchen vor ihm sah genauso aus wie sie. Die selben langen dunkelbraunen,fast schon schwarzen Haare, die selben blau-grünen Augen und das selbe Lächeln, welches sie in letzter Zeit viel zu selten gezeigt hatte.

Er ging näher auf sie zu und erst jetzt bemerkten ihn die Wölfe, die ihn freudig begrüßten und sich von ihm streicheln ließen.
Cassidy sah ihm schmunzelnd entgegen.
„Ich bin neidisch auf dich!“ kam leise über ihre Lippen und er sah sie fragend an.
„Deine Träume sind besser als meine!“ gab sie zu und er konnte spüren, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss.
„Gut, dass ich nicht gerade was anderes träume!“ murmelte er, mehr zu sich selbst.
Cassidy grinste nur und stand von ihrem Platz auf.
„Wie kann das sein, dass du hier bist? Ich meine, ...“ Er war ein wenig ratlos.

Aber er bekam keine Antwort.
Cassidys Lächeln schwand, ebenso die helle und grüne Lichtung.
Es löste sich einfach alles vor seinen Augen auf. Der Wald und Wölfe verschwanden wie eine simple Luftspiegelungen.
Erschrocken sah er sich um.
Cassidy war noch immer da. Allerdings schien sie nicht mehr so glücklich zu sein, wie noch vor wenigen Sekunden.
Er erkannte die Straße wieder und auch das Haus vor ihm.

„Wieso sind wir hier?“ wollte er wissen, „Das ist nicht mein Traum!“
Cassidy sah ihn kurz irritiert an.
„Nein, Ryan, das ist mein Traum!“ Sie schien sich da selbst nicht so sicher zu sein.
„Wieso sind wir hier?“ fragte er erneut.
„Um Chance zu finden!“ antwortete sie nur und ging auf das Haus zu.
Ryan sah sich erneut um. Das war eindeutig das Haus von Chance und Cassidy, nur dunkler und unheimlicher.
Er folgte ihr. Selbst wenn er nicht verstand, was vor sich ging, wollte er sie nicht aus den Augen verlieren.

Beide gingen durch die Haustür und fanden sich inmitten eines Kampfes wieder.
Ryan wollte gerade eingreifen, als Cassidy ihn am Arm packte und zurück hielt.
„Aber das ist Chance!“ meinte er nur.
„Er ist nicht mehr hier!“ antwortete sie ihm und als er wieder zu den kämpfenden Männern sah, waren sie verschwunden.
„Wie?“
„Sie haben ihn mitgenommen!“ Cassidy sah finster drein und ging zu der Stelle, an der kurz zuvor noch ihr Bruder bewusstlos am Boden gelegen hatte.
„Aber ...“ Ryan war überfordert. Er war in einem Traum und dass hieß, dass hier nichts logisches vor sich ging.
Außerdem, warum sollte er hier eine Antwort darauf finden, was mit seinem besten Freund passiert ist?
Cassidy ignorierte ihn und sah sich im Wohnzimmer um, so als erwarte sie dort irgendeinen Hinweis auf die Angreifer oder dem Verbleib ihres Bruders zu finden.

„Ich hab dich gewarnt, verdammt noch mal!“ schrie plötzlich jemand und stürmte ins Haus.
Ryan konnte nicht schnell genug reagieren und so lief der Fremde an ihm vorbei und ging auf Cassidy los.
„Was willst du hier?“ bluffte sie zurück und riss sich von dem festen Griff den Irokesen los.
„Das selbe könnte ich dich auch fragen!“ Wieder packte er sie am Arm und versuchte sie in Richtung Ausgang zu ziehen.
„Lass sie los!“ Ryan musste einfach eingreifen, ob real oder nicht.
„Ihr versteht beide gar nicht, in was für einem Schlamassel ihr steckt!“ meinte der Fremde nur und ignorierte Ryans wütenden Blick.
Cassidy versuchte sich von dem festen Griff des Fremden zu befreien. Doch diesmal gelang es ihr nicht. Auch nicht als sie bei ihrem Versuch kratzte. Er ignorierte es einfach und versuchte mit ihr zum Ausgang zu gelangen.
Doch Ryan stand ihm ihm Weg.

„Verdammt noch mal, wir müssen hier raus!“ schrie der Mann Ryan entgegen.
Und wie zur Bestätigung war wieder ein lautes Grollen zu hören. Es schien aus dem oberen Stockwerk zu kommen.
„Was war das?“ wollte Ryan wissen und war für einen Moment unachtsam.
Der Fremde stieß ihn zur Seite und zerrte Cassidy mit sich.
Sofort stürzte Ryan hinterher und griff den Fremden von hinten an. Um sich besser verteidigen zu können, lies dieser Cassidy los, die ein paar Schritte zur Seite machte und sich den schmerzenden Arm hielt.
Der Fremde verpasste Ryan einen Kinnhaken und dieser revanchierte sich mit einem Schlag in den Bauch. Die beiden waren gerade dabei einen ausgedehnten Faustkampf zu beginnen, als erneut das Grollen zu hören war.

Es hörte sich nicht an wie bei einem nahenden Gewitter. Es klang auch nicht wirklich nach einem nahendem Fahrzeug oder irgendetwas mechanischem.
Irgendwie klang es fremdartig und unheimlich.
Der Fremde war sofort wieder auf den Beinen und starte dem Geräusch entgegen.
„Raus, jetzt!“ schrie er, wobei er noch panischer klang, als er es vorher schon gewesen war. Was auch immer das Geräusch verursachte, schien ihm Angst zu machen.
Cassidy wollte auch nicht hier stehen bleiben und sehen, was diesen Lärm verursachte.
Ein erneutes Grollen.
Und nun war auch Ryan für einen Rückzug.
Diesmal packte er Cassidy am Arm und zog sie nach draußen.

Alle drei liefen auf die nachtschwarze Straße und hielten erst auf dem gegenüberliegenden Fußweg an.
Was auch immer in dem Haus grollte, es zeigte sich nicht. Aber es war deutlich zu hören. Schien alles zum Vibrieren zu bringen.
„Du solltest nicht hier sein!“ meinte der Fremde erneut zu Cassidy und griff nach ihrem Handgelenk.
„Lass sie endlich in Ruhe!“ fauchte Ryan ihn an und wollte Cassidy von dem Fremden befreien.
„Du hast keine Ahnung, was hier vor sich geht!“ meinte dieser nur, zog ein Messer hervor und hielt es Ryan vor das Gesicht.
Ryan starrte zornig auf das Messer.
„Es ist hier viel zu gefährlich!“ Ohne eine weitere Vorwarnung holte der Fremde mit dem Messer aus und verpasste Ryan einen Schnitt am linken Oberarm.

„Was soll der Scheiß?“ fluchte Ryan und wollte nach dem Kerl packen.
Doch der war verschwunden.
Irritiert sah Ryan sich um.
„Was ist jetzt los?“
Cassidy sah für einen Moment ebenso ratlos drein.
Sie standen noch immer auf der Straße, gegenüber von ihrem Zuhause.
Nur sah es jetzt anders aus als zuvor.
Das Haus hatte wieder seine ursprüngliche Farbe und ein gelbes Polizeiband hing noch immer vor der Tür. Auch die Nachbarschaft sah aus wie immer. In einigen Fenstern brannte noch Licht.
„Was ist passiert?“ wollte Ryan von ihr wissen.
Aber sie antwortete ihm nicht.
Sie sah nur auf seinen Arm, der noch immer blutete. Und bemerkte, dass ihr Arm noch weh tat, wo sie der Fremde fest gehalten hatte.
Nikita LaChance
Ritter
Ritter
 
Beiträge: 143
Registriert: So 27. Mär 2011, 09:30

Re: AT: if dreams come true

Beitragvon Nikita LaChance » Fr 1. Apr 2011, 09:25

Kapitel V

„Wieso bist du hier?“ Die selbe Frage hätte er seinem Gegenüber auch stellen können.
Aber er wich dem wachsamen Blick des Mannes vor ihm aus.
„Lennox!“ Der andere wollte unbedingt eine Antwort.
„Das geht dich nichts an!“
Nicht unbedingt das, was der andere hören wollte.
Lennox ignorierte den bösen Blick des Mannes, ihm gegenüber. Sie kannten sich schon eine Weile und wussten vermutlich auch so manch schmutzige Geheimnisse des anderen. Aber vor allem wussten sie, wie sie sich gegenseitig das Leben schwerer machen konnten.
„Du solltest dich von ihnen fernhalten!“ knurrte der Mann den Jüngeren an.
Lennox aber entgegnete nichts darauf. Er drehte sich einfach um und ging.
„Vielleicht solltest du dich fernhalten! Sie werden dich auch suchen!“ rief er dann, ohne sich umzusehen, dem Älteren zu.
Der Mann bedachte Lennox noch einmal mit einem finsteren und dennoch besorgten Blick, ehe auch er sich umdrehte und ging.
Vielleicht hatte Lennox recht und er sollte sich von der ganzen Sache fernhalten. Er war sich nur nicht sicher ob er dass auch könnte.


„Wir sind wieder zurück?“ kam nur von Cassidy und sie sah sich um.
Sie standen auf der Straße. Vor ihrem Haus.
Alles war wie immer. Abgesehen von dem Polizeiband.
Ryan verstand nicht was sie damit meinte.
„Zurück? Wo zum Teufel waren wir eigentlich?“
Cassidy starrte auf das Absperrband und war ein wenig irritiert. Wenn die Polizei dem Verschwinden ihres Bruders nicht nachgehen wollte, wieso hing dort noch das Band?
„Cassie!“ Er wurde etwas lauter, um ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich zu ziehen.
„Wir sind wieder … hier!“ Sie gestikulierte mit ihrer Hand, wobei dies auch nicht mehr Sinn ergab.
Er sah sie nur fragend an.
„Okay, ich hab nicht die leiseste Ahnung, was genau passiert ist!“ gab sie zu und holte tief Luft.
„Wir sind doch bei mir vorm Fernseher eingeschlafen?“ fragte er und sah sich irritiert um.
„Ja!“ Ihre Augen wanderten wieder über seinen verletzten Arm.
„Aber wenn wir …?“ Er schüttelte den Kopf, so als würde das seine Gedanken besser sortieren. Aber es half nicht. Er hatte noch immer keine Ahnung, was vor sich ging.
„Das ist vorher nur ein oder zweimal passiert!“ kam von ihr leise.
„Was?“
„Das ich … ähm ...“ Sie wusste nicht, wie sie es erklären sollte.
Er wartete.
„Wir haben geträumt...“
Ryan nickte nur.
„... und sind im Traum dann in meinem Haus gelandet!“
Wieder ein zustimmendes Nicken.
„... und zum Schluss waren wir auf der Straße vor dem Haus!“
„Ja und?“
„Wir sind … durch einen Traum gegangen und dort gelandet, wo er aufgehört hat!“
„Das ergibt überhaupt keinen Sinn!“ kam von Ryan nur.
Cassidy sagte nichts dazu.
Sie konnte sich selbst nicht mehr richtig daran erinnern, wann genau sie das letzte Mal träumend irgendwo anders gelandet war. Vielleicht hatte sie es sich auch nur eingebildet oder Chance hatte ihr irgendwann man eine Geschichte davon erzählt.
„Schlafwandeln! Huh?“ fiel Ryan nur ein.
„So was in der Art!“

Cassidy hatte keine Lust mehr, noch länger auf der Straße herum zu stehen. Außerdem war es ziemlich kalt und beide trugen keine Jacken.
Sie ging auf ihr zu hause zu. Kam jedoch nicht sehr weit, da Ryan sie sogleich am Arm packte und festhielt.
„Du kannst da nicht rein!“ meinte er ernst, „Da ist irgendwas gefährliches drin!“
Kurz bedachte sie ihn mit einem irritierten Blick.
„Das Ding ist aber nicht hier!“ antwortete sie und befreite sich aus seinem Griff, „Es ist genauso wenig hier wie Chance!“
„Klar, dass Chance nicht hier ist … aber das ...“
Sie schüttelte des Kopf.
„Du verstehst nicht!“ Sie schien ein klein wenig betrübt darüber. „Sie haben Chance mitgenommen. Er ist nicht hier!“
Ryan zweifelte allmählich an ihrem Verstand. Und auch an seinem.
„Wo soll er sein?“ platzte es ihm ein klein wenig genervt heraus.
Sie zog beide Augenbrauen hoch und warf ihm einen hilflosen Blick zu.
„Er ist … in der Traumwelt?“
Eindeutig den Verstand verloren, ging Ryan durch den Kopf.
„Hör zu, glaub mir oder nicht!“ brummte sie ihn an und ging zielstrebig zum Haus. Diesmal konnte er sie nicht so schnell packen.

Kaum hatte sie das Haus betreten, wobei sie sich unter dem Absperrband durch schummelte ohne es abzureißen, bemerkte sie, dass es genauso aussah wie in ihrem Traum.
Das Wohnzimmer war verwüstet. Ansonsten aufgeräumt, wenn auch nicht unbedingt sauber.
„Cassie, komm schon!“ Ryan war ihr gefolgt und stand nun ebenfalls irritiert drein blickend vor dem Chaos.
„Komm wieder mit zu mir rüber!“ bat er.
„Ich muss ihn finden!“ antwortete Cassidy nur und ging zu ihrem Zimmer hinauf.
„Wie willst du ihn finden?“ Er ging ihr hinterher. Warum wusste er selbst nicht so genau. „Und vor allem wo willst du suchen?“
Aber sie antwortete nicht.
Sie kramte einen großen Rucksack aus ihrem Kleiderschrank hervor und packte ein paar Kleidungsstücke hinein.
„Wo willst du hin?“
Aber sie ignorierte ihn noch immer. Packte einfach wortlos weiter.

Ryan war kurz vorm Platzen. Er wusste nicht was er machen sollte. Sein bester Kumpel war scheinbar spurlos verschwunden und die Schwester war anscheinend kurz davor auch wegzulaufen. Oder verrückt zu werden.
„Cassie, ich weiß, dass du ihn finden willst. Aber nicht so! Du kannst nicht einfach so los stürmen und ...“
Sein Handy unterbrach ihn und in der Hoffnung, dass Chance sich endlich melden und die ganze Sache als Scherz entlarven würde, nahm er das Gespräch an.

Nur war es nicht Chance.
Felice wollte wissen wo er und Cassidy seien. Sie hätte sich mit ihrer Mutter gestritten und wollte eigentlich zu ihm.
„Na toll!“ kam ihm über die Lippen. Nicht dass er Felice nicht leiden konnte. Nur war ihm im Moment nicht danach, gleich zwei ausflippende Mädchen um sich zu haben.
Aber dann dachte er sich, dass Felice vielleicht Cassidy davon überzeugen könnte, nicht Hals über Kopf in die Irre zu rennen.
Er sagte Felice wo sie im Moment steckten und als er das Handy wieder wegpackte, bemerkte er, dass Cassidy nicht mehr im Zimmer war.
„Scheiße!“ fluchte er laut.

„Ich bin hier drüben!“ kam nur als leicht genervte Antwort.
„Ich dachte schon, du bist abgehauen!“ knurrte er nur verstimmt und ging über den Flur zu Chance Zimmer hinüber.
Darin war Cassidy gerade dabei, die vielen Zettel neben dem Bett durch zu sehen.
Wie Ryker gesagt hatte, hatte Chance eigenartige Sachen darauf notiert. Und auch die Zeitungsausschnitte hinterließen einen ziemlich eigenwilligen Eindruck.
Wenn sie nicht selbst wüsste, dass Chance an einem Roman schrieb, würde sie sagen, er hätte ein ziemlich morbides Hobby und sammle neben scheinbar trübsinnigen Gedanken und vielen kleinen Stichpunktzetteln auch noch Todesnachrichten aus verschiedensten Zeitungen.

Einen der Notizzettel schenkte Cassidy große Aufmerksamkeit. Die Schrift ihres Bruders war wie immer ein klein wenig krakelig und leider auch klein und so hatte sie einige Mühe überhaupt irgendwas darauf lesen zu können.
Sie setzte sich aufs Bett und begann den Zettel genauer zu lesen. Nur um dann festzustellen, dass die Notiz darauf plötzlich endet. Also begann sie in den anderen Zetteln nach der Fortsetzung zu suchen.
Sie war so auf die Zettel fixiert, dass sie Ryans irritierten und genervten Blick nicht bemerkte.
Sie bekam auch nicht mit, dass Felice von unten nach ihnen gerufen hatte und nun die Stufen nach oben kam.

„Was ist los?“ wollte sie von Ryan wissen.
„Frag mich was besseres!“ meinte er nur und zeigte auf Cassidy, die noch immer die Notizzettel studierte, ohne auf die beiden zu achten.
„Erst will sie abhauen und dann sitzt sie hier und liest!“ seufzte Ryan und klang dabei ziemlich frustriert.
Er wusste, dass Mädchen bzw. Frauen manchmal ziemlich kompliziert sein konnten. Doch Cassidy schien dies noch zu überbieten.


„... sie kommen … kommen am helllichten Tag in mein Haus...
Sie suchen scheinbar schon eine Weile nach mir. …
ich weiß, dass ich mich wehren muss. … bin aber zu schwach …
Warum suchen sie mich eigentlich?

sie nehmen mich mit … Wohin? … kenne den Ort nicht ...“


„Cassie?“ Felice setzte sich neben sie und blickte mit auf den Zettel.
Erst jetzt sah sie auf und ihrer besten Freundin in die Augen.
„Er wusste es?“ murmelte Cassidy nur irritiert.
„Was wusste er?“ Felice starrte noch immer auf den Notizzettel.
„Dass sie ihn holen!“ Sie hielt Felice den Zettel näher.
Doch diese schüttelte nur den Kopf.
„Das kann doch keiner lesen!“ meinte Felice dann.
Cassidy warf selbst noch einmal einen Blick auf das Papier.
Buchstaben, klar und deutlich.


„... bin nicht der Einzige … sie suchen noch andere …
… Opfer und einige Tote …
… jeder hinterlässt irgendwie Spuren … so haben sie mich gefunden, sagen sie! …
… keiner wird nach mir suchen … sie sorgen dafür …
Ich komm nie wieder zurück! ...“


„Das sieht aus wie irgendeine Fantasieschrift!“ meinte Felice ein wenig frustriert.
Ryan kam näher um auch einen Blick auf den Zettel zu werfen. Auch er konnte die Zeichen nicht deuten.
„Manchmal hat er so in der Schule geschrieben!“ bemerkte er dann, „Bis der Lehrer ihn zusammen gestaucht hat, dass er mit der Sprache nichts anfangen kann!“
Felice sah ihn erst in Augen, so als wollte sie prüfen, dass er sie nicht veräppelte.
„Chance meinte, er schreibt einfach nur auf, was ihn in den Sinn kommt und achtet nicht darauf in welcher Sprach das ist!“ versuchte er zu erklären und bemerkte selbst wie eigenwillig das ganze klang.
Cassidy sah noch einmal auf den Notizzettel und dann warf sie einen Blick auf einen der anderen Zettel. Und erst jetzt fiel ihr auf, dass die beiden recht hatten. Auf dem Zettel in ihrer Hand waren ganz andere Buchstaben, ja sogar vollkommen andere Schriftzeichen.
„Asiatisch! Huh ...“ murmelte sie nur. Sie hatte es nicht bemerkt.
Felice´s Mundwinkel zuckten nur und sie blickte finster drein.
„Wenn du mich mit dem Zettel nur verarschen wolltest ...“ begann sie zornig, doch Cassidy verteidigte sich sogleich.
„Ich hab´s nicht mitgekriegt!“ meinte sie, „Komm schon, du weißt, dass ich ...“ Sie stoppte.
„Ja, du bist ein universelles Sprachgenie!“ knurrte Felice nur und blickte finster auf den undefinierbaren Text in Cassidys Hand.

„Entschuldige!“ seufzte Cassidy, „Chance hat hier Notizen gemacht über ...“
Beide sahen sie fragend an.
„... über sein Verschwinden!“
„Warte mal! Er soll es gewusst haben?“ platzte es aus Ryan, „Wie?“
Cassidy hatte keine Ahnung.
„Er hat es also auch!“ Noch immer klang Frust und Zorn in Felice Stimme mit.
„Vielleicht!“
„Toll, gibt’s in deiner Familie vielleicht auch irgendwen, der nicht über irgendwelche komischen Kräfte verfügt?“
„Felice!“ Ryan legte ihr seine Hand auf die Schulter und sofort verstummte sie wieder.
„Ich glaube, es ist nur … nur ein Zufall … Vielleicht nur irgendwas zu seinem Roman!“ versuchte Cassidy sich zu verteidigen.
Sie begann alle Notizzettel und Zeitungschnipsel wieder in den Ordner zurück zupacken und steckte diesen dann zusammen mit dem Laptop von Chance in ihren Rucksack.

„Wir sollten wieder zu mir gehen!“ kam sogleich von Ryan. Er befürchtete noch immer dass Cassidy einfach so los stürmen würde.
Und im Grunde war ihr auch genau dieser Gedanke gekommen.
„Gut!“ seufzte sie nur, schulterte den Rucksack und folgte Ryan.
Felice war noch immer wütend über ihre Freundin und deren verschwundenen Bruder. Sie hatte keine Ahnung, was der ganze Unsinn sollte.

Erst in Ryans Wohnzimmer, wo Cassidy sofort Chance Laptop angeschaltet hatte, begann sie wieder mit ihr zu reden.
„Warum suchen sie nicht nach ihm?“ wollte Felice wissen.
Cassidy, die gerade den Laptop nach irgendwas brauchbaren durchsucht hatte, sah sie fragend an.
„Ich meine, wie können die Cops einfach sagen, dass sie nicht nach ihm suchen?“
Ryan hatte die Schnittwunde an seinem Arm versorgt und setzte sich zu den Mädchen.
„Ich meine, Chance war doch nicht verrückt!“ Felice sah zu Cassidy und fügte ein leises „Oder?“ hinzu.
„Nicht verrückter als jeder andere!“ bestätigte Ryan sofort.
„Aber warum suchen sie ihn dann nicht?“
Eine richtige Antwort konnte ihr keiner der beiden geben.

Ryan wollte einfach nur das Thema wechseln und so wollte er genau von Felice wissen, weswegen sie nun bei ihm war. Und sie erzählte ein wenig ausführlicher von ihrem Streit mit ihrer Mutter.
Cassidy hörte den beiden nur halb zu. Sie konzentrierte sich auf den Text auf dem Bildschirm.
Auch hier schienen es nur unsortierte Notizen zu sein. Zu verwirrend um einen wirklichen Zusammenhang zu erkennen.
Nur dann irgendwo mitten im Text fand sie die Zeilen wieder, die sie in der fremden Schrift gelesen hatte. Die Zeilen, die Ryan und Felice hatten nicht lesen können.
Dahinter war ein Kapitelnummer vermerkt und Cassidy wollte mehr wissen.
Sie suchte den Roman auf dem Laptop heraus und las.

„Er wusste, dass er entführt wird!“ platzte es aus ihr heraus und Ryan und Felice sahen sie ernst an.
„Ich meine, er hat hier in dem Roman ...“
„Im Roman?“ Felice war wieder kurz davor, ihrer Freundin zumindest in Gedanken den Hals umzudrehen.
„Hör zu, Chance hat genau das geschrieben was passiert ist!“ versuchte Cassidy zu erklären, „Er hat von drei Männern geschrieben, die am helllichten Tag in sein Haus einbrechen und ihn angreifen. Sie überwältigen ihn und nehmen ihn mit.“
Ryan sah sie prüfend an.
„Drei?“
„Du warst aber nicht dabei! Woher willst du also wissen, was genau passiert ist?“ schimpfte Felice.
„Ich … hab´s gesehen!“
Felice rollte nur mit den Augen.
„Er hat wirklich nur von drei Männern geschrieben?“ wollte Ryan nur wissen.
Cassidy las erneut die Zeilen und nickte dann.
„Aber … wenn … das vorhin … du weißt schon …“
„Der vierte Mann?“ Noch einmal überflog sie die Zeilen. „Von dem steht hier nichts!“
„Könntet ihr beiden aufhören so … verrückt zu machen!“ schimpfte Felice lautstark und frustriert.
„´tschuldige!“ kam sofort von Cassidy.
„Was soll das eigentlich heißen, vorhin?“ wollte Felice wütend wissen. Sie kam sich stark veralbert vor.
„Cassidy und ich ...“ Ryan fuhr sich durchs Haar und suchte nach den richtigen Worten, „Wir hatten beide den selben Traum.“
Felice riss nur ihre Augenbrauen nach oben und wartete auf eine vernünftige Erklärung, die sie wahrscheinlich nie erhalten würde.
„In dem Traum sind wir in Cassie´s Haus gegangen und haben gesehen, wie Chance von drei Männern verprügelt wurde und dann haben sie ihn und einen anderen Mann mitgenommen. Bzw. sie sind einfach spurlos verschwunden!“
„Das war nur ein Traum!“ protestierte Felice und sprang von der Couch auf.
Ryan vermied zu sagen, dass sich er und Cassidy kurz danach auf der Straße wiedergefunden hatten. Diesmal aber nicht mehr im Traum.

„Manchmal werden Träume wahr!“ kam von Cassidy nur und sie lief rot an.
„Das ist Unsinn!“ protestierte Felice noch immer.
Cassidy schüttelte den Kopf und sah zu ihrer Freundin auf.
„Du weißt das auch!“ bemerkte sie dann leise zu ihr.
„Aber es sind nur Träume!“ kam etwas ruhiger von Felice zurück.
Ryan sah zwischen beiden Mädchen hin und her.
„Wenn das wirklich so gewesen sein sollte, wie haben sie ihn verschwinden lassen? Und warum?“ wollte Felice wissen und setzte sich langsam wieder.
„Ich weiß nicht wer die Männer waren und Chance hat nichts darüber notiert!“ Sie überflog erneut die Zeilen auf dem Bildschirm.
„Wie?“
„Sie sind ...“ Cassidy brauchte im Grunde nur den Text vorlesen.
„Sie sind in seinen Traum gegangen und haben Chance mitgenommen.“
Kurz Stille und irritierte Blicke.
„Wie kann man in einen Traum gehen?“ murmelte Ryan irritiert und Cassidy zuckte nur mit den Schultern.

Felice sagte nichts, starrte nur auf den hellen Bildschirm und las die Zeilen.
„Die Polizei würde ihn nicht suchen! Niemand würde das, denn die Männer haben es so veranlasst!“ las sie dann laut vor.
Cassidy nickte nur.
„Und das soll wirklich so passiert sein?“ Felice erhielt darauf keine Antwort.

Ryan stand auf und griff nach dem Laptop.
„Genug jetzt von dem Trübsinn!“ meinte er und schloss den Laptop einfach. Er packte ihn zusammen mit den Ordner voller Zettel, den Cassidy auf den Couchtisch gelegt hatte, einfach in das Schubfach seines TV-Schranks.
Cassidy wollte sich die Sachen sofort zurück holen, als er sich vor sie stellte und ernst ansah.
„Genug jetzt!“ befahl er mit fester Stimme, „Wir sollten alle schlafen gehen und ...“
„Ich will aber nicht schlafen!“ kam sofort von Cassidy. Sie klang dabei wie ein kleines Kind.
„Ihr Mädels nehmt das Bett im Schlafzimmer und ich die Couch!“
Ryan packte Cassidy einfach an den Schultern, drehte sie in Richtung Schlafzimmer und schob sie mehr oder weniger vor sich her.
Felice folgte ihm ohne Widerworte. Auch sie wollte nicht wirklich schlafen gehen. Sie wollte endlich klare Antworten.

„Bitte, ich will nicht schlafen!“ versuchte Cassidy sich erneut raus zureden.
„Wenn du dich nicht hinlegst und schläfst, werd ich dich ans Bett fesseln und dir Schlaftabletten geben!“ brummte Ryan und blickte sie so ernst an, dass sie ihm glauben musste.
„Ich will aber nicht!“ brummte sie noch einmal leise und kroch dennoch ins Bett.
Felice kletterte ebenfalls in das Bett. Sie war froh, dass Ryan keines dieser schmalen Betten besaß, bei den man befürchten musste, mitten in der Nacht hinaus zu fallen. Im Grunde konnte man sein Bett beinahe als Doppelbett bezeichnen.
„Ich bin im Wohnzimmer und ich lass die Tür offen!“ Eindeutig war die Warnung an Cassidy gerichtet. „Morgen überlegen wir uns dann gemeinsam was wir machen können!“
„Okay!“ kam sofort von Cassidy und sie zog die Decke übers Gesicht.

Ryan ging zurück ins Wohnzimmer, schaltete den Fernseher an und machte es sich auf der Couch bequem. Vermutlich würde er noch die ganze Nacht wach bleiben, nur um sicher zu gehen, dass Cassidy sich nicht heimlich davon stahl. Zu seinem Glück lief gerade ein Footballspiel im TV, und selbst wenn es eine Wiederholung war, so würde ihn dass wach halten.
Er überlegte kurz.
Wenn Träume wirklich wahr werden würden, würde er sich an manchen Tagen gar nicht mehr aus dem Bett bewegen. Und er wäre dann natürlich nicht allein.
Ein kleiner schmutziger Gedanke, der ihn schmunzeln lies.

„Soll das wirklich funktionieren? Das mit den in Träume gehen?“ flüsterte Felice.
„Ich weiß nicht!“ Cassidy zog die Decke von ihrem Gesicht.
„Es war das, was Chance geschrieben hat!“Nach einer kurzen Pause fügte sie flüstern hinzu: „Und was ich gesehen habe!“
„Aber du glaubst nicht daran, oder?“
„Woran?“ Cassidy hatte keine Ahnung, was ihre Freundin hören wollte.
„Dass niemand nach Chance sucht!“
„Die Polizei vielleicht nicht!“ seufzte Cassidy, „Ich schon!“
„Hmh...“
Felice wurde wieder ruhig. Allerdings schlief sie nicht gleich ein.
Ihr ging eine Menge durch den Kopf.

„Wenn sie also in … seinen Traum sind und ihn mitgenommen haben ...“ fing sie plötzlich wieder an zu flüstern, „... dann können sie also einfach überall hin und machen was sie wollen?“
Cassidy musste erst einmal das Gehörte durch den Kopf gehen lassen.
„Vermutlich!“ meinte sie nur. Sicher war sie sich nicht.
„Aber wie?“
Cassidy wünschte sich in diesem Moment nicht sehnlichster, als dass ihre Freundin endlich einschlief oder wenigstens keine Fragen mehr stellte, auf die sie keine Antworten hatte.
„Traumwanderer!“ platzte es aus Cassidy heraus, „Vermutlich sind sie so was!“
„Hm?“
„Chance hat das geschrieben!“
„Und das heißt?“ Felice klang zwar recht müde, aber noch nicht müde genug, um die Sache ungeklärt zu lassen.
„Traumwanderer können in fremde Träume eindringen und manchmal können sie den fremden Traum auch verändern oder eben beherrschen!“ kam von Cassidy.
„Klingt nach einem Märchen!“
„Irgendwie schon!“ seufzte Cassidy.
„Was können sie noch? Die Wanderer?“
„Sie können ...“ Cassidy überlegte. Sie hatte zwar ein paar der Notizen und auch ein paar der Zeilen des Romans lesen können, aber sie wusste dennoch keine genaue Antwort darauf. Sie konnte sich allerdings an etwas erinnern, was ihr Bruder irgendwann mal zu erklären versucht hatte, als er den Roman begonnen hatte.
„Einige Traumwanderer können etwas aus den Träumen mitbringen oder auch hineinnehmen.“ Sicher war sie sich nicht bei dieser Antwort.
„Und manchmal … sehen sie … Dinge voraus!“ Dies war ihre Erfindung, da war sie sich sicher.
Allerdings hörte Felice ihr längst nicht mehr zu. Sie war eingeschlafen.
„Ich will nicht schlafen!“ murmelte Cassidy leise zu sich selbst und verkroch sich wieder unter der Bettdecke.


Wieder stand er vor dem Haus.
Er wusste selbst nicht so genau, warum es ihn immer wieder hier hin zog.
Vielleicht wollte er wissen, was vor sich ging.
Er wusste, dass er hätte hier viel eher sein müssen. Als die drei Männer aufgetaucht waren und den Bewohner des Hauses angegriffen hatten. Und als sie dann mit ihm verschwunden waren.
Er hätte da sein müssen um seinem Bruder zu helfen.

„Du bist zurück gekommen!“ Die Stimme klang fest und dominant und er zuckte zusammen.
„Dachte nicht, dass dich die Sache hier interessiert!“
Er drehte sich zu dem anderen um.
„Was willst du?“ Er versuchte ebenso stark zu wirken, wie sein Gegenüber.
„Nun, Lennox! Du weißt was ich will!“ bekam er nur als Antwort, „Du könntest mir dabei helfen!“
Lennox sah sein Gegenüber nur finster an.
„Ich misch mich in deine Geschäfte aber nicht ein!“ knurrte er dann.
Sein Gegenüber, ein Anzugträger von knapp fünfzig Jahren, schmunzelte nur.
„Du hast dich aber schon längst eingemischt!“ meinte er dann, „Vergiss nicht, dass es nur zu deinem Nutzen wäre, wenn du mir hilfst!“
Lennox blickte noch einmal zu dem Haus.
„Und das Ding?“ wollte er wissen.
Der Anzugträger zuckte nur mit den Schultern.
„Ist nur eine Sicherheitsmaßnahme!“ war die saloppe Antwort von ihm.

Lennox sah sich um und dann zu dem Anzugträger.
„Du bist allein unterwegs?“ wollte er von ihm wissen.
„Oh, wie immer ein Blitzmerker!“ lachte dieser nur.
Keine Reaktion von Lennox.
„Nun denn, ich wollte nur mal sehen, ob sich hier irgendwas getan hat. Vielleicht kommt ja irgendwann noch jemand interessantes hier vorbei!“ Ein spöttisches Lächeln erschien im Gesicht des Anzugträgers.
Lennox ignorierte die Bemerkung und ging einfach an dem Mann vorbei.
„Du weißt, wie du mich findest!“ rief dieser ihm nur hinterher, „Überleg es dir!“


Draußen ging allmählich die Sonne wieder auf.
Felice schlief noch immer tief und fest in Ryans Bett.
Ryan selbst war im Wohnzimmer auf der Couch eingeschlafen. Das Spiel war längst zu ende und im Fernsehen liefen erst die Nachrichten und dann eine Sitcom.
Und Cassidy … Sie war längst wieder auf den Beinen.
Nikita LaChance
Ritter
Ritter
 
Beiträge: 143
Registriert: So 27. Mär 2011, 09:30

Re: AT: if dreams come true

Beitragvon Nikita LaChance » Fr 1. Apr 2011, 09:26

Kapitel VI


Träume können einen in wunderbare Welten entführen. Sie spielen mit unseren Erinnerungen, verschönern mitunter auch das Leben . Sie helfen uns, wenn auch oft ungeahnt, bei wichtigen Entscheidungen und sie helfen uns, Dinge besser zu verstehen.
Allerdings können sie uns auch in Schrecken versetzten.



Chance träumte. Doch noch nie war ihm ein Traum so real vorgekommen.
Anders als seine Schwester wusste er zwischen Traum und Realität zu unterscheiden. Glaubte er zumindest.
Meist konnte er sich nicht an seine Träume erinnern. Und die, an die er sich erinnern konnte, verarbeitete er auf seine Weise.
„Mit meinen Alpträumen könnte ich eine Menge Horrorstorys schreiben!“ hatte er einmal gemeint und nur ein müdes Schmunzeln von seiner Schwester bekommen. Sicherlich könnte auch sie eine Unmenge an Gruselgeschichten beisteuern.

Sein neuestes Projekt sollte von Träumen handeln. Zumindest war dies sein Grundgedanke.
Er hatte einige Stunden gebraucht, ehe er einen Anfang gefunden hatte. Dann aber schien sich die Geschichte wie von selbst zu schreiben.



Die Mutter hatte nie erfahren, wohin ihre Kinder verschwunden waren. Jeder sah sie an, als sei sie verrückt und niemand glaubte daran, dass ihre Kinder, wenn sie denn überhaupt welche hatte, in dem brennenden Haus gewesen seien.



Chance versuchte aufzuwachen. Raus aus diesem merkwürdigen Traum.
Doch er hatte keine Ahnung, wie er das anstellen sollte.

Man hatte ihn in seinem Haus überfallen, zusammengeschlagen und dann … entführt. Doch wo war er nun?
Alles tat ihm weh und zu allem Übel hatte man ihm die Hände auf dem Rücken gebunden.
„Geht´s?“
Erschrocken sah sich Chance zu der Stimme um.
Erst jetzt bemerkte er, dass er in dem Schuppen, als was anderes konnte man die mit Dreck und Heu verschmutzte Holzhütte nicht bezeichnen, nicht allein war.
„Alles okay?“ wurde er erneut gefragt.
Natürlich war nichts okay. Schließlich hatte man ihn entführt und er wusste nicht warum.
Doch das sagte er seinem Gegenüber nicht.

Irritiert musterte er den Mann, der ebenso wie er gefesselt auf dem dreckigen Boden saß.
Blau-graue Augen, kurzes dunkelblondes Haar und eine einigermaßen sportliche Figur. Chance kannte ihn. Nicht nur, von den wenigen Minuten vor seinem Blackout und der Entführung.
„Was machst du hier?“
Sein Gegenüber sah ihn verwirrt an.
„Sie haben mich auch mitgenommen!“ antwortete er dann.
„Ähm … klar!“ Chance schüttelte kurz den Kopf, „Ich meinte, warum bist du hier?“
Sein Gegenüber schien nicht ganz zu verstehen, was Chance hören wollte.
„Du solltest doch ganz woanders sein!“ grummelte Chance und versuchte seine Fesseln zu lösen. Allerdings war er noch nie wirklich gut darin gewesen und die Tatsache, dass er seine Fesseln nicht sehen konnte, erschwerte seinen Versuch.

„Vielleicht hätte ich woanders sein sollen!“ meinte der andere leise, „Aber ich wollte dir helfen!“
Chance wirkte für einen Moment überrascht. Fasste sich aber schnell wieder.
„Du hättest aber nicht mir helfen sollen!“ schimpfte er dann.
Noch immer kämpfte er verzweifelt mit seinen Fesseln und es kam ihm vor, als würden sie immer fester werden, je mehr er sich zu befreien versuchte.
Der andere Mann rückte näher heran.
„Warte kurz!“ meinte er, setzte sich mit dem Rücken zu Chance und begann, selbst gefesselt, Chance zu helfen.
Und nach einer Weile kam erst Chance und dann dank seiner Hilfe auch der andere frei.

Wieder auf die Beine zu kommen, war auch nicht so einfach. Es kam ihm so vor, als sei er mehrere Kilometer gelaufen, so sehr schmerzten ihm die Beine.
„Die Stromschläge!“ meinte der andere nur und kämpfte sich selbst hoch.
„Ich versteh nicht, warum man uns entführt und dann unbewacht hier sitzen lässt!“ grummelte Chance vor sich hin.
Er ging ein paar wackelige Schritte in Richtung Scheunentür.
„Warte doch mal!“ Der andere hielt ihn am Arm zurück, „Du weißt weder wo du bist, noch was hier los ist!“
„Ich muss aber zu Cassie zurück!“ war Chance Antwort und er riss sich los.
„Du kannst aber nicht so einfach zurück!“
Chance sah ihn frustriert und wütend zugleich an.
„Denkst du sie lassen dich so einfach wieder verschwinden? Sie haben eine Weile gebraucht, ehe sie dich gefunden hatten!“
„Was?“
Der andere reagierte nicht darauf. Er sah sich um und starrte dann ziemlich lange mit zusammengekniffenen Augen in die entgegengesetzte Richtung, weg von der Tür.

„Wir sollten gehen!“ meinte er dann.
„Was ist los?“
Chance bekam keine Antwort.
Der andere stieß ihn in Richtung Tür. Er hatte es eilig und schien auch Angst zu haben.
Während Chance und er immer weiter auf die Tür zu gingen, sah er sich immer wieder um. Chance hatte keine Ahnung, was der andere Mann dort sah.
„Du musst es ändern!“ fluchte der dann.
„Was ändern?“
„Mach es einfach!“ Er hatte nicht vor zu erklären, was genau er meinte.

Sie hatten die Tür erreicht und Chance ergriff den Griff, um sie zu öffnen.
„Wenn du nicht gleich was machst, haben sie uns!“ schimpfte der andere.
„Liam, ich habe nicht die geringste Ahnung, was du meinst!“
Liam richtete seinen Blick wieder auf die gegenüberliegende Wand und dann wieder auf Chance.
„Sie beobachten dich!“ murmelte er dann.
„Verdammt noch mal, wer?“ Chance wurde lauter, „Warum?“
„Weil ...“ Liam stoppte.



Die Geschwister waren getrennt worden. Befanden sich wie schon so oft in einer fremden Welt. Jedenfalls sah dies nicht so aus, wie die Welt, die sie kannten.



Noch bevor Liam ihm erneut irgendwelche merkwürdigen Befehle geben konnte, hörte Chance Schritte vor der Tür.
„Mach was!“ schimpfte Liam sogleich und schien panischer zu werden.
Doch das einzige was Chance einfiel war, dass er von der Tür weggehen musste. Wer oder was auch immer dort war und hinein wollte, Chance wollte nichts mit damit zu tun haben. Er wollte einfach nur weg.
„Ändere es!“ wiederholte Liam und packte ihn am Arm, „Du weißt, was du tun musst!“



Man hatte eines der Kinder gefangen und weg gesperrt. Sie hatten nicht gesagt, was sie vorhatten. Und es schien, als würden sie es auch nie tun.

„Ändere es!“ sagte jemand zu ihm.
Das Kind hatte nur verängstigt und fragend zu dem Fremden gesehen.
„Das hier ist ein Traum und du kannst ihn ändern!“ antwortete dieser nur, „Konzentrier dich!“
Noch immer sah ihn das Kind mit großen Augen an.
„Sie werden dir wehtun, wenn du es nicht tust!“
„Aber warum?“ deutlich hörbar das Zittern in der Stimme.
„Weil du etwas besonderes bist!“ war nur die Antwort.
Das Kind verstand nicht, was der Mann meinte.
„Ändere den Traum und du kannst frei sein!“



„Konzentrier dich und ändere es!“ schrie Liam und war diesmal noch lauter.
Er hatte Angst vor den Männern, die immer näher kamen. Nicht mehr lange und die Tür würde aufgehen und sie würden in der Scheune ihnen gegenüber stehen.
„Ändere es!“
Viel Wahl hatte Chance nicht. Er konnte hier einfach stehen bleiben und mehr oder weniger nichts tun oder er konnte versuchen, irgendwie seinen irren Traum zu ändern.
Ob man wirklich einen Traum so einfach ändern konnte, fragte er sich.

Er erinnerte sich an das was damals seine Mutter mal zu ihm gesagt hatte, als er als kleiner Junge nach einem Alptraum nicht mehr hatte einschlafen können.
`Denk einfach an einen schönen Ort, bevor du einschläfst!`
Nun gut manchmal hat dies auch perfekt funktioniert. Manchmal sogar besser als sein Kuscheltier.

Also konzentrierte er sich.
Wenn dies hier wirklich ein Traum war, müsste er etwas ändern können. Wenn es sein Traum war, auf alle Fälle.
Also dachte er an seinen Lieblingsort und wie gern er nun dort wäre.
Vielleicht war dies einfacher, als aufzuwachen. Denn das hatte bis jetzt nicht funktioniert.

Die Scheune begann sich auf einmal aufzulösen. Es wirkte so als hätte man Wasser über ein Aquarellbild gegossen und die Farben würden immer mehr verwaschen, ehe sie ganz verblassten.
Für einen kurzen Moment konnten Liam und Chance schwarz gekleidete Männer sehen, die in die Scheune gestürmt waren und wild schrien. Aber auch sie lösten sich in Nichts auf.
Und nun standen sie an einem Fluss, in dem Holzstämme schwammen. Im Hintergrund war eine lange Brücke und eine Großstadtsiluette vor einem schneebedeckten Gebirge.
Chance wusste, wo sie gelandet waren. Er hatte nur nicht gedacht, dass es wirklich funktionieren würde.
„Wahnsinn!“ war das erste was ihm einfiel.
Liam war nicht ganz so begeistert wie er. Ihm schien es egal zu sein, wo sie waren, solange sie nicht mehr gefangen waren und vor allem nicht mehr bei den mysteriösen schwarzen Männern.

„Sie werden dir folgen!“ seufzte Liam, so als hätte er gern irgendetwas anderes gesagt.
„Aber …?“ Chance war wieder auf den Boden der Tatsachen angelangt.
„Du bist nicht der erste, der hier landet und lange nicht der einzige!“ gab Liam von sich und sah sich um.
Chance wartete, dass Liam noch mehr von sich gab.
Und er tat dies auch. Irgendwann.
„Sie sind auf der Jagd. Und nicht viele sind ihnen entkommen.“ In seinem Gesicht war deutlich zu lesen, dass es den wenigen, denen eine Flucht gelungen war, nichts gutes widerfahren war.
Chance wollte wissen, warum die Männer auf der Jagt waren. Aber Liam antwortete nicht darauf.

„Und Cassie?“
Liam sah ihn nicht an. Sein Blick war auf die Stadt gerichtet. Er tat, als wäre sie interessanter, als die Fragen, die Chance hatte.
„Ich muss zurück!“ kam sofort von Chance, „Sie ist allein und ...“
„Nein!“ Liams Stimme klang hart, „Du kannst nicht zu ihr!“
„Was?“
„Sie ist nicht mehr da!“
Liams eigenwillige Aussage, beunruhigte Chance noch mehr.
„Und du kannst ihr nicht helfen! Du musst ...“
Chance wollte ihm dazwischen sprechen.
„... etwas tun! Du musst eingreifen!“
Chance öffnete den Mund und schloss ihn gleich wieder. Er hatte irgendwie den Faden verloren.
„Die Männer werden ewig nach dir und deiner Schwester jagen! Du musst sie daran hindern!“ meinte Liam, „Wenn du sie schützen willst, musst du was tun!“
Nikita LaChance
Ritter
Ritter
 
Beiträge: 143
Registriert: So 27. Mär 2011, 09:30

Re: AT: if dreams come true

Beitragvon Nikita LaChance » Fr 1. Apr 2011, 09:27

Kapitel VII

Es war kurz vor neun als Felice aufwachte. Sie wusste im ersten Moment nicht, wo sie war. Das Zimmer war unbekannt und definitiv männlich.
Vermutlich hätte sie noch ein wenig geschlafen. Zumindest hätte sie es gewollt.
Allerdings war der Anrufer anderer Meinung.
Genervt sah Felice auf ihr Handy. Der Name auf dem Display erfreute sie noch weniger.
Sie überlegte kurz, einfach das Klingeln zu ignorieren. Doch sie wusste, dass es vermutlich noch den ganzen Tag vor sich hin klingeln würde. Und wenn sie dann noch immer nicht an ihr Handy gehen oder es sogar ausschalten würde, würde sie nur wenig später dem Anrufer von Gesicht zu Gesicht gegenüberstehen. Und dass konnte sie nicht auch noch gebrauchen.
„Ja?“ fragte sie nur und schwang sich aus dem Bett.
Am anderen Ende war eine ziemlich aufgebrachte Stimme und für einige Minuten konnte Felice nichts anderes tun, als abzuwarten, dass ihr Gesprächsteilnehmer wieder verstummte und auch sie mal antworten lies.
Ehrlich gesagt, bekam sie in ihrem Halbschlaf nicht allzu viel mit oder sie versuchte zumindest einen Großteil der Diskussion auszublenden, während sie das Schlafzimmer verließ.
„Okay, ich bin in ...“ Sie sah kurz auf die Uhr, die im Flur hing, „... in zehn Minuten da!“
Noch bevor sie irgendwas weiteres sagen konnte, war das Gespräch beendet und Felice seufzte.

Ryan war auch erst vor ein paar Minuten wach geworden. Auch durch das Handyklingeln.
Er sagte nichts dazu.
„Willst du eine Kaffee?“ gähnte er müde und schlurfte zu seiner Küchenzeile.
Felice überlegte kurz, ob sie dazu überhaupt noch Zeit hätte und nickte dann.
„Ist Cassie schon wach?“ bemerkte sie dann zu ihm und sah sich irritiert um.
„Ich dachte, sie ist bei dir?“ meinte er nur und drehte sich wieder zu ihr.
Sie schüttelte nur den Kopf.
„Vielleicht …“ Ryan suchte zwei Tassen aus dem Schrank und machte sich daran Kaffee zu kochen, „... vielleicht ist sie nur kurz raus!“
Nur ein Nicken von Felice.
„Ich meine, ihre Sachen sind noch hier! Und ich hab ihr den Hausschlüssel für drüben abgenommen!“ meinte er.
„Vielleicht!“ seufzte Felice nur und versank in Gedanken.

Ryan war sich nicht sicher, ob Cassidy wirklich nur einen kleinen Spaziergang machte oder ob sie … Ob sie einfach verschwunden war?
Er suchte sein Handy und wählte.
Felice beobachtete ihn irritiert.
„Das ist eigenartig!“ meinte er plötzlich, legte auf und wählte erneut.
„Was?“
„Ich bekomm kein Signal!“ Er legte wieder auf, wählte erneut und wartete.
Felice ging zu ihm hin und konnte nun das Rauschen aus seinem Handy hören.
Er legte wieder auf und sah auf das Display.
Voller Empfang und auch voller Akkustand.
Er wählte erneut, sah den Namen Cassie auf dem Display erscheinen und dann … Die Anzeige des Empfangs und der Akkustand spielten verrückt und das Display schien zu flackern.
Beide, Felice und er, starrten ungläubig auf das Mobiltelefon.
Als Ryan wieder auflegte, war die Anzeige auf dem Display wie gewohnt.
„Probier mal meine Nummer!“ kam nur von Felice.
Er tat wie geheißen.
Es erschien die Anzeige, dass der Gesprächspartner angerufen wird und nur wenige Sekunden später klingelte Felice Handy.
Nur um sicher zu gehen, sahen beide auf Felice Handy und auch dort erschien die gewohnte Anzeige.

„Das ist irgendwie gruselig!“ meinte Felice dann, begann aber selbst auch den Versuch, Cassidy auf dem Handy anzurufen.
Und auch bei ihr spielte plötzlich die Anzeige auf dem Display verrückt.
Ryan fiel dabei nur die Szene eines Horrorfilms ein. Auch da hatten die Handys verrückt gespielt. Allerdings war es dort weniger wegen einer Telefonnummer als … Ach egal!
Noch bevor einer der beiden seine Gedanken wegen des seltsamen Verhaltens ihrer Mobiltelefone aussprechen konnte, klingelte Felice Handy und beide zuckten erschrocken zusammen.

Doch es war nicht Cassidy, die sich meldete, wie beide mit einem Blick aufs Display feststellen mussten.
„Es sind doch noch keine zehn Minuten vergangen!“ seufzte Felice.
Ryan nickte nur und ging, mit seinem Handy in der Hand zur Küche zurück.
„Willst du sie noch warten lassen oder willst du gleich rüber?“ wollte er von ihr nur wissen und füllte eine der beiden Tassen mit Kaffee.
Felice überlegte kurz und entschloss sich, erst noch ein wenig Koffein zu genießen, bevor sie sich ihrer Mutter und ihres langen Dialogs aussetzte.
„Ich komm gleich danach wieder her!“ meinte sie sofort, „Cassie wird bestimmt gleich wieder hier sein!“
Ryan nickte nur und nahm einen tiefen Schluck von seinem Kaffee.
„Ich meine, sie kann ja nicht weit sein ...“ Felice wusste, dass sie mehr oder weniger vor sich hin redete, wie sie es meist tat, wenn sie nervös oder aufgebracht war. Und dass sie jeden Moment eine Standpauke von ihrer Mutter erhalten würde, beruhigte sie nicht im geringsten.
Kaum hatte sie ihren Kaffee ausgetrunken, wobei sie länger als die zehn versprochen Minuten gebraucht hatte, ging sie wieder zu sich nach hause. Allerdings nicht ohne nochmals zu versprechen, dass sie danach sofort wieder zu ihm und Cassidy kommen würde.
Ryan hatte nur genickt und danach abermals versucht Cassidy auf dem Handy anzurufen. Und wieder spielte sein Telefon verrückt.


Cassidy hatte keine Ahnung, wo sie war. Und genau dies machte ihr Angst.
Sie erinnerte sich daran, dass sie bei Ryan war und dass sie dort eingeschlafen war.
„Verdammt!“ fluchte sie und ging vorsichtig den Flur entlang.
Sie war eingeschlafen, das war passiert. Darum war sie hier. Wo auch immer sie gerade war.

Sie kannte weder die Wohnung noch das Haus, in dem sie gerade herum lief. Graue Betonwände, gelegentlich mit bunten Graffiti beschmiert oder mit Resten vergilbter Tapete behangen, der Betonfußboden staubig und teilweise auch mit Müll bedeckt und die Fenster waren auch nicht mehr unbedingt im besten Zustand.
Die Wohnungstür hing kaum noch in ihren Angeln und fiel zu Boden, sobald Cassidy versuchte sie ganz aufzudrücken.
Vorsichtig sah sie sich wieder um. Vor ihr waren noch zwei andere Wohnungen, die nicht wirklich besser waren, und ein staubiges Treppenhaus.
Cassidy warf einen Blick nach unten. Sie war im obersten Stockwerk und sie zählte die sechste Etage.
Wenn sie es sich hätte aussuchen können, wäre sie viel lieber an einem freundlicheren Ort gelandet. Vielleicht irgendwas an einem Strand oder vielleicht auch auf einem Berg mit Ausblick auf ein grünes Tal. Oder vielleicht auch eine Bücherei.
Aber scheinbar produzierte ihr Hirn einfach nicht genug positive Gedanken um sie in ein schönes Traumland zu schicken?

Wohl oder übel würde sie nun erst mal hier feststecken. So sehr sie auch sich konzentrieren versuchte einen schönen Ort zu finden, es ging nicht.
Sie ging zur Treppe, beäugte sie argwöhnisch und fing an sie vorsichtig hinab zusteigen.
Jede der anderen Etagen sah gleich aus. Alles war alt, grau und schmutzig und durch die Fenster drang nur wenig Licht.
Auf der dritten Etage bemerkte sie dann noch etwas anderes. Ihr war, als hätte sie vor wenigen Sekunden noch ein paar Vögel gehört. Doch nun herrschte auf einmal unheimliche Stille. So als sei jegliches Geräusch gelöscht.

Ein kaltes Kribbeln durchlief sie und sie sah sich um. Sie steckte ungefähr in der Mitte des Hauses. Zumindest war die Treppe stabiler als sie auf den ersten Blick wirkte.
Sie machte einen weiteren Schritt, als sie über sich etwas hörte.
Doch als sie nach oben sah, konnte sie nichts erkennen. Aber sie konnte deutlich spüren, dass da irgendwas oder irgendwer war.
Sie wurde schneller.
Erreichte die zweite Etage.
Die Geräusche kamen immer näher, so als würde ihr jemand hinterher laufen oder vielmehr stampfen.
Noch einmal sah sie nach oben und bemerkte, dass die oberen zwei Stockwerke in tiefes Schwarz gehüllt schienen. Und mit jedem geräuschvollen Schritt, den ihr Verfolger tat, wurde es dunkler im Treppenhaus.

Cassidy rannte die Stufen hinunter und rannte in Richtung Haustür. Allerdings war diese durch eine Kette zu gehangen und auch war reichlich Müll davor, der den Ausgang versperrte.
Die Schritte und die Dunkelheit kamen immer näher.
Ängstlich sah sie sich um und ihr fiel die Wohnung gegenüber des Ausgangs ins Auge. Dort hing eine intakte Tür im Rahmen.
Sie wollte gerade auf die Wohnung zu rennen, um sich darin zu verstecken oder vielleicht auch zu versuchen, durch eines der Fenster zu klettern, als ihr Verfolger die untere Etage erreicht hatte und die Dunkelheit mit sich brachte.

Sie konnte nicht erkennen was das Ding war, was auf sie zu kam. Es hatte einerseits keine richtige Form, aber andererseits schien es doch Augen und Klauen zu haben. Es war wie ein Schatten.
Hinter dem Ding konnte Cassidy noch das schwache Licht der Wohnung ausmachen und sie rannte darauf zu. Gerade als sie den Schatten passieren wollte, griff das Ding nach ihr und versuchte sie festzuhalten. Aber es bekam sie nicht zu fassen.
Es war, als hätten sich lange Krallen versucht in ihr Fleisch zu bohren, um sie zu halten. Nur waren da keine Löcher an ihren Arm, es sah eher danach aus, als hätte ein Raubtier versucht ihren linken Arm zu zerkratzen.
Fünf lange und vor allem tiefe Striemen zogen sich über den Unterarm und als wenn das noch nicht genug war, wirkte es als wären die Krallen heiß gewesen. Brandblasen hatten sich gebildet und die Haut war aufgeplatzt und blutig.
Cassidy wollte vor Schmerz schreien, aber sie hatte keine Stimme.
Sie musste hier weg. Sie musste raus. Raus aus dem Haus und auch aus diesem Traum.

Sie hatte die Wohnung erreicht, noch ehe das Ding sie erneut zu fassen bekam. Glücklicherweise hing die Tür wirklich noch in ihren Angeln und lies sich sogar schließen.
Cassidy stemmte sich gegen die Tür, versuchte das Schattenwesen draußen zu halten und gleichzeitig zu Atem zu kommen.
Sie hatte Angst und vor allem Schmerzen. Sie wusste nicht was von beidem im Moment größer war.
„Ich will nach hause!“ ging ihr nur durch den Kopf. So sehr sie es auch versuchte, ihre Stimme schien sie verlassen zu haben.
Vermutlich hatte der Schatten vor der Tür auch sie verstummen lassen, so wie das ganze Umfeld.

Das Ding schien sich Zeit zu lassen. Es drückte nicht gegen die Tür, wie Cassidy gedacht hatte. Es tat anscheinend gar nichts, als zu warten.
Das war dennoch nicht wirklich beruhigend.
Der Schatten wollte sie, dass konnte Cassidy spüren. Wenngleich sie nicht wusste warum.

Cassidy sah sich um. Hinter ihr das Fenster schien ein Ausweg zu sein.
Nur schwach konnte sie einen dürren Baum und einige verdorrte Büsche sowie weitere Häuser ausmachen.
Sie wollte unbedingt aus dem Haus und weg von dem Schattenwesen. Doch gerade als sie einen Fuß von der Tür wegmachte, spürte sie wie das Ding auf der anderen Seite dagegen drückte und sie konnte eine Klaue hören, die über das Holz gezogen wurde.
Für eine Moment fand sie es eigenartig, dass sich das Ding so sehr Zeit lies und nicht einfach die Tür aufbrach oder mit der Klaue durchschlug.
Es war wie Folter.

Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür, um sie zuzuhalten, ignorierte den Schmerz in ihrem Arm und fischte nach ihrem Handy, welches in ihrer Hosentasche war.
Sie musste Hilfe rufen. Irgendwie.
Doch der Blick auf den Display sagte ihr, dass dies nicht funktionieren würde.
Dennoch wählte sie. Ihr Handydisplay flackerte als hätte es einen Wackelkontakt und auch die Anzeige des Empfangs und des Akkus spielten verrückt.
Und dann war da noch das Rauschen, welches zu hören war. Das einzige Geräusch was der Schatten scheinbar noch nicht verschlungen hatte.
Sie legte wieder auf und wählte die nächste Nummer.


Ryans Handy klingelte und er erschrak. Die ganze Zeit hatte er damit gespielt und nichts war passiert.
Noch bevor er wirklich auf das Display gesehen hatte, ging er ran.
„Ja?“
„Hier ist Ryker!“
Ryan seufzte. Mit ihm hatte er nicht gerechnet. Vielleicht hätte er doch nachsehen sollen, wer ihn da anruft.
„Ich wollte nur wissen, ob sich Chance bei euch gemeldet hat!“ meinte Ryker gleich.
„Nein!“ kam nur knapp von Ryan, der sich fragte, ob es nicht irgendwas gab, was Ryker wusste.
„Oh!“ war Rykers Reaktion, so als hätte er etwas anderes erwartet.
Dann war kurz Stille.
„Was macht Cassidy? Geht´s ihr soweit gut?“ wollte Ryker wenig später wissen.
Ryan überlegte kurz, was er darauf antworten sollte, dann seufzte er und meinte nur, dass er nicht wisse, wo sie sei.
„Was?“ Ryker schrie beinahe ins Telefon, „Wieso hast du sie aus den Augen gelassen?“
„Ich hab sie nicht aus den Augen gelassen! Verdammt noch mal!“ protestierte Ryan lautstark, „Sie hat verdammt noch mal geschlafen und alle Türen und Fenster waren verschlossen!“
Noch bevor Ryker dazu antworten konnte, hatte Ryan ergänzt, dass sich Cassidy unmöglich hätte an ihm vorbei schleichen können. Zudem sei sie nicht allein im Zimmer gewesen.
Wieder kam nur ein „Oh!“ von Ryker.
„Ich versteh nicht, wo sie hin ist und wie sie überhaupt verschwinden konnte!“ sprach Ryan mehr zu sich als zum Detektive am anderen Ende.
„Ich hoffe, sie findet den Weg zurück!“ kam etwas leise zurück.
Ryan zog beide Augenbrauen irritiert zusammen und wollte gerade fragen, was Ryker damit meinte, als dieser sich verabschiedete und versprach sich in ein paar Stunden noch einmal zu melden.

Ryan kam sich veralbert vor. Er verstand den Detektive nicht. Er konnte fühlen, dass mit dem Mann irgendetwas nicht stimmte. Dass er irgendwas wusste, was mit Chance und nun auch Cassidys Verschwinden zu tun hatte.
Allerdings hatte er nun anderes zu tun, als darüber zu grübeln was Ryker womöglich wusste. Er musste Cassidy wiederfinden und dann mit ihr zusammen Chance.


Cassidy war an der Tür hinab gerutscht und starrte auf ihr Handy. Sie wusste nicht mehr wie viele Male sie nun schon versucht hatte irgendwen anzurufen. Immer wieder hatte ihr Telefon verrückt gespielt. Und auch ihre Versuche in Richtung Fenster zu flüchten endeten lediglich damit, dass der Schatten hinter der Tür versuchte hineinzukommen.
Und sie schaffte es auch nicht, sich auf etwas anderes zu konzentrieren, was die Situation ändern könnte.
Das Einzige, was ihr einfiel war, dass sie irgendwie aufwachen musste. Nur war sie sich noch nicht einmal sicher, ob sie wirklich nur schlief oder ob sie wirklich hier in diesem eigenartigen Haus war, mit dem Monster vor der Tür.
Zumindest der Schmerz fühlte sich ziemlich real an.
Irgendwo hatte sie mal gelesen, dass man aufwacht, wenn man im Traum stirbt. Ein Gedanke, der warum auch immer in diesem Moment gekommen, nicht wirklich beruhigend war.
Vor allem wenn man mehr als einmal Zeuge war, wie Träume Realität geworden waren.

Irgendetwas musste sie tun. Sie konnte nicht alle Ewigkeit am Boden sitzen bleiben und hoffen, alles würde sich von allein auflösen.
Sie mühte sich wieder auf die Beine. Eigenartigerweise fühlte sie sich schlapp und müde. Konnte man in einem Traum überhaupt müde werden?
Ein Blick durch das gegenüberliegende Fenster verriet ihr, dass es draußen allmählich wieder dunkler wurde. Allem Anschein nach hatte sie den ganzen Tag in ihrem Versteck ausgeharrt und das Schattending auf der anderen Seite der Tür schien eine ziemliche Ausdauer zu haben.
Kaum war Cassidy wieder auf den Beinen und einen Schritt von der Tür entfernt, drückte das Ding gegen das Holz. Diesmal energischer.
Nur schien der Druck noch nicht auszureichen. Die Tür gab nicht nach.
Noch einmal stemmte sich der Schatten gegen die Tür und als diese noch immer nicht nachgab, schlug es mit der Klaue dagegen.
Diesmal aber gelang es dem Schatten die knapp vier Zentimeter Pressholzplatte zu durchschlagen.
Cassidy konnte gerade noch rechtzeitig ausweichen, wobei sie gegen die gegenüberliegende Wand sprang.

Ein dunkler Arm mit langen Krallen kam durch das Loch in der Tür und versuchte nach Cassidy zu greifen. Doch bekam sie nicht zu fassen.
Und so machte sich der Schatten daran, das Loch zu vergrößern, indem es das Holz auseinander zu reißen versuchte.
Cassidy konnte ein Knurren von dem Wesen hören.

Das Loch in der Tür wurde immer größer und Cassidy war starr vor Angst. Sie war zu geschockt, zu müde und es war, als hätte ihr das Ding neben der Stimme nun auch noch jegliche Kraft geraubt.
Ein knurriges Lachen war zu vernehmen und kaum war die Tür weitestgehend zerlegt, trat das Schattenwesen ein und auf Cassidy zu.
Wieder versuchte es nach Cassidy zu greifen.

Vor Angst hatte sie ihre Augen geschlossen und wartete auf weitere Schmerzen. Und als diese nicht kamen, sah sie sich erschrocken um.
Vor ihr noch immer die zerstörte Tür und die grauen Betonwände. Alles war wie zuvor und doch …
Es war heller. So als wäre wieder Tag.
„Scheiße!“ kam ihr nur schwach über die Lippen und sie wagte einen Schritt von ihrem Platz weg.
Sie hatte nun also ihre Stimme und ihre Kraft wieder. Aber sie war, wie sie schnell bemerkte, noch immer verletzt und tierisch müde.

Das sie noch immer ihr Telefon in der Hand hielt, hatte sie schon wieder vergessen. Noch immer suchte sie nach einem Ausgang.
Doch noch immer war alles versperrt und sie erwartete mehr oder weniger jeden Moment die Dunkelheit und das mysteriöse Monster zurück.
Sie war nur wenige Schritte aus der Wohnung hinaus ins Treppenhaus gegangen und gleich nachdem sie erkannt hatte, dass dort kein Weg hinaus führte wieder zurück gegangen.
Sie setzte sich auf den schmutzigen Boden, gegenüber der kaputten Tür und lehnte sich gegen die kalte Betonwand.
Sie war müde und ihr war kalt. Alles tat ihr weh, allem voran die Wunde an ihrem Arm.

Ihr Handy klingelte und hallte in dem Haus wieder.
Irritiert starrte sie darauf, ehe sie ran ging.
Sie sagte nichts, wartete nur darauf, dass der Anrufer mit ihr sprach.
„Cassie?“ Es war Ryans aufgebrachte Stimme.
„Cassie?“ wiederholte er. Er klang als würde er jeden Moment ausflippen.
„Ja?“ Sie war selbst zum Sprechen zu müde.
„Wo bist du?“
Sie sah sich um. Wenn sie darauf nur eine Antwort wüsste.
„Cassie, verdammt noch mal! Wo? Bist? Du?“
„Ich ...“ Sie war so müde, „... ich bin gleich zu hause!“
„Sag mir, wo du bist! Ich komm dich abholen!“
„Zehn Minuten!“ meinte Cassidy nur und legte auf.
Sie wusste weder wo sie war, noch wie sie nach hause kommen sollte.
Sie starrte einfach weiter auf die Tür vor sich.
Sie musste nach hause, aber sie fühlte sich zu kraftlos.


Ryan starrte besorgt auf sein Handy. Cassidy hatte einfach aufgelegt. Er hatte über vier Stunden versucht sie zu erreichen und herauszubekommen, wo sie war und sie hatte einfach aufgelegt.
Im Geiste ging er noch einmal das kurze Gespräch durch. Er hatte keine Geräusche im Hintergrund ausmachen können, was ihm die Suche nach ihr hätte erleichtern können. Er hatte lediglich ein Echo ihrer Stimme hören können.
„Verdammt noch mal!“ schimpfte er und wählte erneut ihre Nummer. Doch diesmal sprang sofort die Mailbox an, was ihn noch mehr frustrierte.
Er konnte nicht einfach zu hause darauf warten, dass sie irgendwann heimkam. Er konnte sich noch nicht einmal vorstellen, wo sie steckte. Er hoffte nur, dass sie nicht zu weit weg war.
Einen kurzen Moment überlegte er, was er nun machen sollte.
Er schrieb Felice eine SMS, dass er mit dem Pick Up nach Cassidy suchen würde und setzte gleich danach seinen Plan in die Tat um.
Felice antwortete nur, dass sie mit helfen wolle. Allerdings wollte Ryan sie nicht auch noch irgendwo verschollen wissen und riet ihr, bei ihren Eltern zu bleiben. Sie solle lediglich versuchen Cassidy anzurufen und sie dazu zubringen ihr zu verraten, wo sie stecke.


„Was machst du schon wieder hier?“
Cassidy musste kurz eingedöst sein. Noch immer saß sie auf dem staubigen Boden in dem eigenartigen Haus. Das Licht, was schwach durch die Fenster drang, lies keine genaue Schätzung der Uhrzeit zu, aber vermutlich waren nur wenige Minuten vergangen, seit Ryans Anruf.
Schläfrig richtete Cassidy ihren Blick nach oben.

Vor ihr stand schon wieder der Typ mit dem farbigen Irokesen und den grünen Augen.
Für einen Moment sah er sie an, als wolle er sie zusammen stauchen oder ihre eine saftige Ohrfeige verpassen.
Dann aber wanderte sein Blick auf ihren verletzten Arm und er wirkte mit einem Male etwas besorgter.
Er ging in die Hocke um mit ihr auf Augenhöhe zu sein und musterte sie.

„Ich weiß nicht wie ich nach hause komme!“ gab sie flüsternd zu.
Er nickte nur und sah sich um, so als erwarte er jeden Moment noch jemanden.
Dann fiel sein Blick wieder auf ihre Verletzung.
„Wie lange?“ wollte er wissen.
Sie sah ihn fragend an und versuchte sich aufrechter hinzusetzten. Aber es war, als fehle ihr selbst für diese winzige Bewegung die Kraft.
„Wie lange bist du schon hier?“
„Ich weiß nicht!“ gab sie zu und fragte sich, ob dass den irgendwie relevant sei.
Wieder nur ein Nicken von ihm.
Dann legte er ihr eine Hand auf die Stirn und Cassidy erschrak bei der schnellen Bewegung. Seine Hand war angenehm kühl und sie konnte sich ein Seufzen nicht verkneifen.
„Du musst hier weg!“ flüsterte er und seine Hand glitt von ihrer Stirn über ihre Augen, wo er sie lies.
Cassidy wusste nicht wie sie darauf reagieren sollte und sie griff nach seiner Hand, um sie wegzuziehen.
Sie konnte spüren, wie er näher an sie heran kam und wurde panischer.

Er nahm seine Hand nicht von ihren Augen und seine zweite Hand landete auf ihrer Schulter.
Sie zuckte erschrocken zusammen und begann zu zittern. Sie wusste nicht was er vorhatte. Allerdings, konnte er nicht schlimmer sein als das Monster zuvor.
Sein Atem streifte ihre Wange, als er ihr ins Ohr flüsterte, dass sie sich konzentrieren sollte.
Es fiel ihr schwer an irgendetwas anderes als diese Situation zu denken.
„Denk an zu hause!“ flüsterte er, „Konzentriert dich darauf, wo du hin willst!“
Sie versuchte es. Doch irgendwie kreisten ihre Gedanken um alles Mögliche.

Und dann spürte sie, wie seine Hände und seine Wärme verschwanden.
Sie öffnete ihre Augen und fand sich mitten auf einer stark befahrenen Straße wieder.
Das war definitiv nicht der Ort, wo sie hin wollte. Und vor allem auch nicht besser, als das komische Haus von zuvor.
Autos rasten an ihr hupend vorbei.
In ihrer Panik blieb sie nicht still stehen.
Nur ein, zwei Schritte und sie stand auf der Fahrbahn.
Sie sah ein großen Wagen auf sich zu kommen. Aber sie war auf einmal wie vor Angst erstarrt.
Mit quietschenden Reifen kam der Wagen nur knapp vor ihr zum Stehen.
Cassidy zitterte vor Angst und Kälte und starrte auf den Wagen.
Der Fahrer sprang aus dem Wagen und kam schellen Schrittes auf sie zu.

„Verdammt noch mal!“ schimpfte er lautstark, „Was sollte das? Ich hätte dich überfahren können!“
Cassidy brauchte einen Moment ehe sie bemerkte, wer da vor ihr stand und mit ihr schimpfte.
Und dann erkannte sie auch den Wagen vor sich.
„Ryan?“ kam nur schwach von ihr und sie versuchte nach ihm zu greifen.

Hinter Ryans Pick Up bildete sich ein Stau und die Autofahrer hupten verärgert.
Ryan packte Cassidy am Arm und zerrte sie, wenn auch ziemlich unsanft zur Beifahrertür, setzte sie in den Wagen und sich dann wieder hinters Steuer. Er sagte nichts. Startete nur seinen Wagen und fuhr noch wenige Meter weiter, ehe er an den Straßenrand fuhr und parkte. Diesmal ohne den Verkehr aufzuhalten.
Cassidy zitterte noch immer und sah ihn verwirrt an.
„Wo warst du?“ kam sofort von ihm und er drehte sich zu ihr, „Ich hab mir verdammt noch mal Sorgen gemacht!“
„Ich hab doch gesagt, ich komm zurück!“ gab sie nur schwach von sich und versuchte zu grinsen.
„Das war vor über sechs Stunden!“ meinte er und wollte erneut wissen, wo sie war.
Sie schüttelte nur den Kopf, was einerseits bedeutete dass sie nicht wusste wo sie war und andererseits dass sie es ihm nicht sagen wollte.

Er musterte sie von oben bis unten und sein Blick blieb auf ihrem Arm hängen. Es war ihm anzusehen, dass er wissen wollte, woher sie die Verletzung hatte. Aber er sprach es nicht aus.
Stattdessen legte er eine Hand auf ihre Stirn und wieder zuckte sie zusammen. Nicht nur wegen der Bewegung und der kühlen Hand, sondern weil sie befürchtete jeden Moment wieder in dem Haus zu sein.
Doch nichts geschah. Sie blieb auf dem Autositz, zitternd und müde.
Als Ryan die Hand wieder weg nahm, wirkte er noch besorgter und schien einen Augenblick lang zu überlegen, was er tun sollte.
Dann, ohne seinen Plan zu erläutern, zog er seine Jacke aus, legte sie ihr über die Schultern und startete den Wagen.
Cassidy sah nur müde auf die Straße vor sich.

Ryan hatte sich erst überlegt, sie ins Krankenhaus zu fahren. Allerdings wusste er nicht, welche Geschichte er ihnen erzählen sollte. Schließlich wusste er nicht, woher sie die blutigen Krahler hatte.
So fuhr er wieder zu sich. Er parkte vor seinem Haus, stieg ohne etwas zu sagen aus und ging dann auf die Beifahrerseite um ihr aus dem Wagen zu helfen.
Er musste sie ein wenig stützen, so müde war sie.
Er führte Cassidy ins Wohnzimmer und setzte sie auf die Couch. Dann verschwand er im Badezimmer, nur um dann mit Verbandsmaterial und Schmerztabletten wieder zu kommen. Aus der Küche holte er noch ein Glas Wasser.
Cassidy war zu müde um sich dagegen zu wehren, sich von ihm verarzten zu lassen. Kaum hatte er ihre Verletzung gesäubert und dann vorsorglich verbunden, reichte er ihr das Glas Wasser und ein paar Schmerztabletten, die sie ohne ein weiteres Wort einnahm.
„Du solltest schlafen!“ meinte er dann und stand auf.
Mit einem Male war Cassidy wieder hellwach und schüttelte energisch den Kopf.
„Ich will nicht schlafen!“ protestierte sie.
Ryans Blick verfinsterte sich kurz, dann zog er noch eine Packung Tabletten hervor und hielt sie ihr hin.
Irritiert sah sie erst ihn und dann die Tabletten an.
„Helfen beim Einschlafen!“ meinte er.
Wieder ein energischen Kopfschütteln ihrerseits.
„Keine Träume!“
Sie überlegte kurz.
„Nimmt die Tabletten und dann geh schlafen! Du kannst es brauchen!“ seufzte er. Er klang als müsse er gerade ein Kleinkind ins Bett stecken, dass partout nicht auf ihn hören wollte.
„Ich will nicht schlafen!“ kam erneut von ihr, diesmal leiser.
„Tabletten! Bett! Schlafen!“ Ryan war kurz davor auszuflippen und diesmal wollte er kein Widerwort hören.
Endlich gab sie nach, nahm eine der Schlaftabletten und trank das Glas Wasser vollständig aus.
Ryan half ihr wieder auf die Beine und führte sie ins Schlafzimmer.
Dass sie eigentlich so müde war, dass sie prima ohne Tabletten eingeschlafen wäre, wollte sie ihm nicht erzählen. Aber vermutlich konnte er es ihr auch ansehen.
Sie schlurfte hinter ihm her, lies sich von ihm aufs Bett setzten und die Socken ausziehen. Sie hatte noch nicht einmal bemerkt, dass sie die ganze Zeit ohne Schuhe unterwegs gewesen war.
Doch jetzt wo er ihrer staubigen Socken ausgezogen hatte, war es zu kalt an den Füßen.

„Du solltest dich umziehen!“ meinte er und suchte in seinem Schrank nach ein paar Sachen. Das war für ihn einfacher, als in ihrem Rucksack was zu suchen.
Er holte eine alte Jogginghose und eines seiner T-Shirts hervor und hielt es ihr hin.
„Zieh dich um! Dann leg dich hin! Und schlaf!“ Er gab kurze Befehle und verließ das Schlafzimmer wieder.
Während Ryan die Sachen im Wohnzimmer wieder aufräumte und Felice Bescheid gab, dass er Cassidy wiedergefunden hatte, saß sie noch immer auf dem Bett und starrte leicht betäubt auf die Anziehsachen. Und nach ein paar Minuten zog sie sich endlich um.
Die Sachen waren viel zu groß. Glücklicherweise hatte die Hose eine Schnürung, sodass sie ihr nicht von den Hüften rutschen würde.
Ihre eigenen Sachen lies sie einfach auf dem Boden liegen. Sie war zu müde, um sich darum zu kümmern. Auch ihr Handy blieb in dem Kleiderhaufen liegen.
Cassidy kroch unter die Bettdecke und rollte sich zusammen. Schlafen wollte sie nicht. Sie traute der Sache nicht, dass die Tabletten dafür sorgen würden, dass sie nicht träumte.
Aber entweder war sie schon zu müde oder der Geruch der frischen Wäsche oder eben doch die Tabletten ließen sie schlussendlich doch gegen ihren Willen einschlafen.

Sie bekam nicht mit, das Ryan nach einigen Minuten ins Zimmer kam und sich zu ihr setzte.
Er hatte Felice davon abhalten können, sofort zu ihm herüber zu kommen. Im Grunde wollte er seine Ruhe und auch dass Cassidy endlich ein wenig schlief.
Er fragte sich, wo sie die ganze Zeit gesteckt und woher die Verletzung hatte. Eine Frage, die er ihr Stellen würde, sobald sie wieder wach war.
Er musste daran denken, was nur den Tag davor passiert war. Vermutlich war es hier das selbe gewesen.
Ein seltsamer Ausflug durch die Traumwelt, wie es Cassidy genannt hatte.

Er war kurz davor selbst einzudösen, als er ein Handy klingeln hörte. Es war nicht sein Handy, welches unter anderem im Wohnzimmer lag.
Es war Cassidys Mobiltelefon, was die Ruhe störte.
Er sah kurz darauf. Den Namen kannte er nicht.
„Cassidy kann nicht ans Telefon kommen!“ meinte er, als er das Gespräch annahm.
„Hm!“ war die Reaktion darauf.
„Sag ihr, dass wir uns treffen müssen!“ meinte dann die Frauenstimme am anderen Ende und legte auf.
Nikita LaChance
Ritter
Ritter
 
Beiträge: 143
Registriert: So 27. Mär 2011, 09:30

Re: AT: if dreams come true

Beitragvon Nikita LaChance » Fr 1. Apr 2011, 09:27

Kapitel VIII

Ryker saß an seinem Schreibtisch, der über und über mit Akten zugedeckt war. Sein Kaffee, den er sich zu Schichtbeginn geholt hatte, war inzwischen längst kalt und noch immer unangetastet.
Auf seinem Computermonitor erschienen gerade die neuesten Suchmeldungen.
„Das geht alles zu schnell!“ murmelte er vor sich hin und erntete einen fragenden Blick eines Kollegen, der nur einen Tisch weiter saß.
Ryker klickte gerade durch die Meldungen, um sie mehr oder weniger nach Dringlichkeit zu sortieren, als sein Telefon klingelte.
Fast hätte er schon Chance oder Ryan erwartet, obwohl er wusste, dass sich keiner der Beiden, bei ihm melden würde. Vor allem nicht, da er ein Cop war.

„Sie sind schon wieder unterwegs!“ meinte eine tiefe Stimme am anderen Ende, noch ehe sich Ryker mit Namen melden konnte.
„Wo?“ wollte Ryker nur wissen und suchte sogleich nach einem freien Stück Papier und einem Stift.
Er bekam eine Adresse genannt, wobei Ryker feststellen musste, dass weder in seinem Zuständigkeitsbereich lag noch in dem Bundesstaat. Dennoch notierte er sich die Adresse.
„Wieso passiert das jetzt?“ stellte Ryker seinem Partner als Frage.
„Das wüsste ich selbst gern!“ seufzte die Stimme am anderen Ende, „Ich meld mich wieder, wenn ich was neues erfahre!“
Der andere wollte gerade wieder auflegen, als Ryker ihn noch einmal zurück rief.
„Cassidy ist schon wieder verschwunden!“ meinte er nur und hatte gleich wieder die volle Aufmerksamkeit des anderen.
„Bist du dir sicher?“
Ryker musste verneinen. Er hatte keine Ahnung, ob Ryan ihn angelogen hatte oder ob sie in der Zwischenzeit längst wieder daheim war.
„Und der Junge?“
Chance als Jungen zu bezeichnen war schon etwas lustig. Chance war dreißig.
„Hab von ihm noch nichts gehört!“ gab Ryker zu.
„Sie sind aufgebracht!“ war die Meinung am anderen Ende, „Sie haben die Geschwister aus den Augen verloren!“
Ryker sagte nichts dazu. Er wartete mehr oder weniger auf bessere Neuigkeiten oder zumindest auf irgendwas womit er mehr anfangen konnte.
„Vermutlich starten sie deshalb so durch! Sie sind auf der Suche nach den Richtigen!“

Rykers Kollege beobachtete ihn irritiert. Vermutlich war er neugierig darauf zu erfahren, mit wem Ryker sprach oder warum er sich in den letzten Tagen so sehr für die Vermissten der letzten Jahre interessierte.
„Ich versuch der Sache nach zu gehen!“ versprach Ryker, „Aber ich muss jetzt wieder los!“
„Ich meld mich wieder!“ kam nur zurück und der andere legte auf.
Ryker schloss die Fenster auf seinem Monitor und schnappte sich seine Jacke. Wenn er dem Tipp seines Anrufers nachgehen wollte, sollte er sich beeilen.


Ryan hatte sich zu Cassidy aufs Bett gesetzt, um so besser ein Auge auf sie zu haben. Aus Langeweile hatte er sich dann eine der Musikzeitschriften gegriffen und darin zu lesen begonnen. Allerdings machte auch das nicht lange Spaß und er döste ein.
Nur schlief er nicht lange. Genauso wie Cassidy, die sich unruhig im Bett umher wälzte.

„Wie spät?“ wollte sie von ihm wissen und setzte sich auf.
„Kurz vor 19 Uhr!“ gab er zurück und streckte sich.
Für einen Moment überlegte sie, ob sie sich wieder unter die Bettdecke verkriechen sollte oder ob sie aufstehen sollte. Doch das Bett war so schön warm, selbst wenn sie schon wieder wach war.
Also blieb sie sitzen.
„Wo warst du eigentlich?“ kam wieder von ihm und er musterte sie.
„Traum!“ war nur ihre knappe Antwort. So genau wusste sie es nicht.
„Klar!“ Er klang nicht sehr überzeugt.
Sie verdrehte nur die Augen und überlegte, dass sie nun doch lieber aufstehen wollte.
Doch noch ehe sie ihre Fluchtgedanken in die Tat umsetzten konnte, hatte er sie am Arm gepackt und hielt sie fest.
„Was ist wirklich passiert?“ wollte er von ihr wissen und sah sie ernst an.
„Ich weiß nicht!“ Sie setzte sich wieder und wünschte sich dass er sie wieder los lies. Nicht nur dass er einen ziemlich festen Griff hatte, so wollte sie doch eigentlich auch nicht, dass er so bevormundend reagierte.
Noch immer wartete er auf eine Antwort und sein Blick wechselte von besorgt zu wütend.
„Ich bin … in einen Traum rein gegangen und wurde angegriffen!“ gab sie zu.
Er schüttelte nur ungläubig den Kopf.
„So wie … den Tag davor?“
Sie nickte.
„Und wie soll das ganze funktionieren? Ich meine, du hast mir das ganze noch nie erklärt!“
Sie seufzte kurz und suchte nach den richtigen Worten.

„Manchmal werden Träume wahr und manchmal …“ Sie wusste nicht so recht wie sie es ausdrücken sollte, „ … Manchmal verirr ich mich darin!“
„Was?“ Ryan verstand rein gar nichts.
„Es ist irgendwie … so wie Chance geschrieben hat!“ meinte sie und versuchte sanft seine Hand von ihrem Arm zu lösen.
Doch er lies sie nicht los. Vermutlich hatte er Angst, dass sie jeden Moment wieder verschwinden könnte.
„Chance hat in seinem Roman darüber geschrieben oder wollte darüber schreiben. Irgendwas über Traumwanderer und ...“
„Cassie, stopp!“ Ryan fuhr sich mit der freien Hand durch die langen Haare, „Mir ist egal, was er geschrieben hat. Ich will, dass du es mir erzählst! Was ist passiert?“
„Ich hab geträumt und bin in einem Hochhaus oder so was aufgewacht. Ich konnte nicht raus und irgendwas hat mich angegriffen!“ erzählte sie, „Und dann … bin ich auf der Straße wieder raus gekommen!“
Er wartete, ob noch etwas von ihr kam. Aber sie sagte nichts weiter.
„Und du hast keine Ahnung, wie genau das passiert ist?“
Sie schüttelte nur den Kopf. Sie wünschte sich sie hätte eine wüsste, wie das alles passieren konnte. So hätte sie zumindest eine Chance sich dagegen zu rüsten oder irgendwie zu verhindern, dass sie in einen ihrer seltsamen Träume hinein geriet.
Es ist ein Unterschied von etwas zu träumen oder ganz in dem Traum zu gehen und dabei sogar zu Schaden zu kommen.

„Das ist alles großer Mist!“ fluchte Ryan auf einmal und lies sie wieder los, „Wenn Träume wahr werden … okay, sollen sie! Dann wär ich zumindest erfolgreicher Musiker und würde jeden Abend auf der Bühne stehen!“
Sie sah ihn mit großen Augen an.
„Aber, dass man in seinen Träumen verschwindet!“ Ryan gestikulierte wild umher und wusste gar nicht so recht, wie er nun eigentlich reagieren sollte. Das ganze war zu verrückt um wahr zu sein. Wenn er nicht wüsste, dass er weder Drogen nahm noch übermäßig Alkohol konsumierte, so hätte er seinen sonderbaren Ausflug den Tag zuvor und auch die ganze Geschichte von Cassidy darauf geschoben. Als einfachen verrückten Trip. Aber so?

Für eine Moment saßen sie beide sich schweigend im Halbdunkel gegenüber.
„Du hattest einen Anruf!“ fiel Ryan plötzlich ein und er stand vom Bett auf.
Sie sah ihn nur fragend an.
„Ich weiß nicht wer´s war!“ gab er zu, „Aber sie sagte, dass sie dich treffen muss!“
„Aha!“ kam nur leise von ihr und auch sie stand auf.
„Wer war das?“
„Eine Freundin!“
Ryan rollte genervt mit den Augen. Anscheinend ging Cassidy wieder dazu über, nur noch in kurzen Sätzen zu antworten.
„Sie sagte nicht, wo und wann sie dich treffen will!“ meinte er und erhoffte sich, mehr über die mysteriöse Freundin zu erfahren.
Doch Cassidy nickte nur und ging aus dem Schlafzimmer.
Er stürzte ihr sofort hinterher. Er wollte sie nicht schon wieder aus den Augen lassen. Obwohl ihr letztes Verschwinden nicht seine Schuld gewesen war.


Wohl oder übel hatte Felice fast den ganzen Tag bei ihrer Familie zugebracht und hatte sich neben der üblichen Standpauke ihrer Mutter auch noch das Genörgel ihrer Tante und ihrer Großmutter anhören müssen.
Im Moment wollte sie nichts anderes als raus aus dem Haus voller Leute, die irgendwie immer wieder was fanden, worüber sie sich beschweren konnten. Sie wollte zurück zu Ryan und Cassidy und vor allem wollte sie zu Chance. Nur wussten weder sie noch ihre Freunde wo er war oder wie sie ihn finden sollten.
Sie hoffte, dass Cassidy irgendwie eine Idee hätte, wo ihr Bruder stecken könnte.

Felice saß nun in ihrem Zimmer und blätterte schon zum dritten Male durch eines ihrer Lehrbücher. Nicht dass ihr im Moment danach war zu büffeln, sie wollte sich nur irgendwie beschäftigen, während sie darauf wartete, dass Ryan ihr Bescheid gab, dass Cassidy wieder wach war und sie herüberkommen durfte.
Außerdem war dies eine gute Möglichkeit ihre Mutter davon abzuhalten, sie weiterhin voll quatschen zu wollen, wenn sie so tat, als würde sie sich auf den Unterricht nach den Ferien vorbereiten.
Das Piepsen ihres Handys riss sie aus ihren Gedanken und sie lies das Lehrbuch fallen, um gleich nachzusehen wer ihr schrieb.
Ein Absender war nicht zu erkennen. Die SMS war anonym.
„Sei vorsichtig!“ Mehr stand da nicht.
Die Nachricht musste von Chance sein, dem war sie sich sicher. Nur warum hatte er nicht mehr geschrieben oder wenigstens seine Nummer mitgesendet?

Im Grunde war es egal, ob die Nachricht von ihm war oder nicht. Sie würde nach ihrem Freund suchen.
Sofort begann sie in ihrem Kleiderschrank nach einem kleinen Rollkoffer zu suchen und ihn mit Sachen voll zupacken. Sie wusste nicht wohin sie die Suche nach Chance führen würde oder wie lange sie vermutlich unterwegs sein würde, aber sie wollte wenigstens nicht ohne Wechselkleidung herumreisen.
Dann schrieb sie noch eine Notiz für ihre Mutter, die sie vermutlich gleich wieder ausflippen ließ.
„Bin mit Cassidy und Ryan unterwegs! Suche nach Chance!“
Sie schrieb nicht, dass sie sich irgendwann melden würde oder wann sie wieder zurück kommen wollte.
Sie zog sich ihre Winterjacke über und die neuen Stiefel, die in ihrem Kleiderschrank standen, und kletterte mit ihrem Koffer aus ihrem Zimmerfenster. Zum ersten Mal seit langem war sie dankbar, dass sie ein Zimmer im Erdgeschoss hatte.


Ryker hatte das Polizeidepartement verlassen und war ohne ein Wort an seine Kollegen losgefahren.
Er wusste nicht, ob er überhaupt rechtzeitig ankommen würde. Und er wusste auch nicht, was ihn dort erwarten würde.
Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, dort einem alten Bekannten über den Weg zu laufen.

„Was machst du schon wieder hier?“ platzte es sofort aus ihm heraus, kaum dass er aus seinem Wagen gestiegen war.
„Du bist zu spät!“ bekam er nur als Antwort und sein Bekannter ging ohne noch ein weiteres Wort an ihn zu richten weiter.
Ryker sah sich um.
Er wusste, dass er schon ein paar Meilen hinter sich gelassen hatte. Doch die Gegend sah nicht so aus, als wäre er hier richtig.
„Verdammt!“ Er hatte sich verirrt.
Vor ihm war nur ein altes baufälliges Wohnhaus und auch um ihn herum waren nur leer stehende Gebäude zu sehen.
Er hatte sich nicht nur verirrt, er war hier vollkommen falsch.

Er stieg wieder in seinen Wagen, zog den Zettel mit der Adresse hervor und las sie noch einmal gründlich durch.
Dann atmete er tief durch und startete seinen Wagen. Er musste weiterfahren.
Er wusste nicht, warum er an diesem eigenartigen Ort gelandet war. Und manchmal wünschte er sich er hätte ein Navigationsgerät im Wagen, was ihm irgendwie weiter helfen könnte.
So aber blieb ihm nichts als sein eigener Verstand, seine Intuition und vor allem reichlich Konzentration. Allerdings fiel gerade dies ihm so schwer.
Wie sollte er sich auf sein Ziel konzentrieren, wenn ihm so viel anderes durch den Kopf ging?


Felice war keine fünf Minuten nach ihrer Flucht durchs heimische Fenster bei Ryan angelangt. Ihr war egal, ob sie nun noch vorbei kommen durfte oder nicht. Sie musste einfach weg von ihrer Familie und vor allem ihren Freunden von der ominösen SMS erzählen.
Ryan sah mürrisch drein, als er ihr die Tür öffnete und sie einließ.
Cassidy saß nur in T-Shirt und Jogginghose auf der Couch. Vor ihr eine Tasse Tee und ein Teller mit Sandwiches und der Laptop ihres Bruders sowie dessen Notizen.
Sie sah nur kurz auf, nickte Felice zu und widmete ihre volle Aufmerksamkeit den eigenwilligen Notizen ihres Bruders. Ihr selbst fiel nicht auf, dass die Zettel teilweise in drei verschiedenen Sprachen geschrieben waren.
„Sie ist erst seit ein paar Minuten wach!“ meinte Ryan nur, ging an Felice vorbei und setzte sich neben Cassidy.
Felice entledigte sich ihrer Stiefel und ihrer Jacke, lies den Koffer im Flur stehen und setzte sich zu den beiden und wartete.

Allerdings konnte sie nicht lange still sitzen. Sie musste es unbedingt loswerden.
„Chance hat mir eine SMS geschickt!“ platzte es aus ihr heraus und beide sahen zu ihr auf.
Sie zog ihr Handy hervor, öffnete die Nachricht und hielt das Handy Cassidy vor die Nase.
Diese zog nur die Augenbrauen zusammen und sah dann verwirrt zu ihrer Freundin.
„Bist du dir sicher, dass er es war?“ wollte Ryan wissen und sofort verteidigte sich Felice, dass kein anderer ihr so eine Nachricht schicken würde. Im Grunde war ihr bewusst, dass es Wunschdenken war, dass die SMS von Chance stamme. Doch das wollte sie nicht zugeben.
„Was machen wir nun?“ wollte sie gleich wissen, um die wiederkehrende Stille zu verhindern.
„Wir suchen einen Anhaltspunkt, wo Chance sein könnte!“ murmelte Cassidy, wobei sie ihre Augen nicht von den Notizen nahm.
„Du suchst die Antwort da drin?“ Felice zeigte auf den PC.
Cassidy antwortete ihr nicht.

„Ich weiß nicht, die ganze Sache ist zu verrückt ...“ begann Ryan auf einmal und stand wieder auf, „Die Geschichte, die Chance geschrieben hat, kann nicht … kann doch nicht für diesen Mist ...“
Es war zum Haare raufen.
„Wie sollte er über etwas schreiben, was noch nicht passiert ist?“ formulierte Felice seine Aussage gekonnt um.
„Genau!“ Ryan nickte zustimmend, „Der ganze Scheiß, die Entführung und der … Ausflug von dir ...“ er zeigte auf Cassidy, „Chance konnte das unmöglich wissen!“
Wieder sah Cassidy nur mit zusammengezogenen Augenbrauen auf.
„Das wusste er nicht!“ meinte sie auf einmal.
Felice und Ryan sahen sie fragend an.
„Chance wusste, dass sie kommen um ihn zu holen. Er wusste zwar nicht wer oder wann, aber er wusste dass sie kommen!“ erzählte Cassidy mit ernster Miene, „Aber das was mir passierte, davon wusste er nichts!“
„Wieso also vergeudest du dann deine Zeit damit sein Geschmiere durchzusehen?“ wollte Ryan von ihr wissen. Im Grunde war er kurz davor, ihr die Sachen wieder weg zu nehmen.
„Weil ich hoffe, eine Antwort darauf zu finden, wo er hin ist! Oder warum er entführt wurde!“ gab sie zu.
„Aber du … findest nichts, oder?“ Felice legte ihr die Hand auf den Arm. Leider erwischte sie dabei die verbundene Verletzung und Cassidy zuckte zusammen.

Felice, die bis jetzt nicht mitbekommen hatte, dass ihre Freundin verletzt war, sah sie erschrocken an.
„Wann ist das passiert?“ wollte sie wissen und zeigte auf den Verband.
Ryan antwortete, da Cassidy darüber schwieg.
„Als sie wieder aufgetaucht ist, war sie schon verletzt!“ meinte er nur.
„Aber …?“
„Okay, dass war in … meinem Traum! Jetzt hör auf zu fragen!“ grummelte Cassidy vor sich hin, „So schlimm ist´s nicht!“
Ryan räusperte sich und wollte dem widersprechen. Doch sie warf ihm einen finsteren Blick zu und so schwieg er darüber.
„Ich fass mal zusammen!“ begann Felice und sah sie mit großen Augen an, „Du bist verschwunden und wurdest im … Traum … verletzt?“
„Klingt verrückt!“ gab Cassidy zu, „Aber es ist wahr!“
„Die ganze Geschichte ist also wahr!“ Felice sprach mehr zu sich als zu ihrer Freundin, „Diese Traumwander-Sache?“
Cassidy seufzte nur und wollte sich wieder den Notizen zuwenden, aus denen sie bis jetzt noch keinerlei brauchbare Informationen hatte ziehen können.


In dem einen Moment hatte Ange in ihrem Bett gelegen und aus Langeweile mit ihrem Teddybär gespielt und im nächsten Moment befand sie sich inmitten eines riesigen Spielzeugladens.
Ihre Augen leuchteten und sie begann, mit ihrem Teddy an der Hand durch die riesigen Regale zu schlendern. Dass sie allein in dem Geschäft war, fiel ihr gar nicht weiter auf.
Es war als wäre sie in ihrem eigenen kleinen Paradies. Ein Paradies mit ihren Lieblingsspielwaren und auch mit einem großen Becher Erdbeereis, der plötzlich vor ihr stand.
Alles war so schön, so wie sie es sich schon immer gewünscht hatte. Hier war weder ein nervender Bruder noch eine immer strenge Mutter, die ihr sagte, sie solle nicht so viel naschen oder immer ihr Zimmer aufräumen. Hier konnte sie tun und lassen was sie wollte.
Und auch ihr Teddybär war hier nicht nur ein lebloses Plüschtier. Hier war er lebendig und ihr bester Freund.
Gemeinsam mit ihm naschte sie von dem Eisbecher, der irgendwie nicht weniger wurde.

Ange bemerkte nicht, dass sie beobachtet wurde. Und selbst wenn sie es bemerkt hätte, so hätte sie nicht sagen können, wer in ihren Traum sah. Oder warum!
Sie sah nicht, dass zwei in schwarzen Anzügen gekleidete Männer auf sie zu kamen. Erst als die beiden bei ihr standen und sie ansprachen, bemerkte sie sie und erschrak.
Sie wollte um Hilfe rufen, doch ihre Stimme war weg.
„Du hättest nicht hier her kommen sollen!“ meinte einer der beiden Männer, wobei dieser Ange über die Schulter sah.
Während sein Partner das kleine Mädchen packte, ging der zweite Mann an ihr vorbei, streckte seine Hand aus und …


„Cassie! Atme!“
„Cassidy!“
Jemand packte sie fest an den Schulter und schüttelte sie.
„Atme, verdammt noch mal!“
Sie brauchte einen Moment um wieder zu sich zu kommen.
„Cassie! Atme!“ Ryans Stimme klang besorgt. Und vor allem ziemlich laut.
Sie wollte ihm schon entgegnen, dass er sie nicht so anschreien sollte. Doch sie konnte nicht.
Nicht nur dass ihr schwindelig war, was durch sein Geschüttel auch nicht besser wurde, so fühlte sie sich vollkommen kraftlos.
„Komm schon!“ schimpfte Ryan. Er hatte aufgehört sie zu schütteln. Allerdings nur, um ihr eine Ohrfeige zu verpassen.
„Du kannst doch nicht …!“ hörte sie Felice protestierten.
„Au!“ kam Cassidy endlich über die Lippen und sie versuchte ihren Atem wieder unter Kontrolle zu bekommen. Es kam ihr vor, als sei sie zu lange unter Wasser gewesen.
Nur saß sie eigentlich noch immer auf der Couch.
Ryan strich ihr ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht und musterte sie eindringlich.
„Wieder alles okay?“ wollte er von ihr wissen.
Eine Frage, die sie ganz und gar nicht verstand. Dennoch nickte sie.
„Du kannst einen ganz schön schocken!“ beschwerte sich Felice und sah sie böse an.
„Was war?“ kam Cassidy schwach über die Lippen.
Ryan musterte sie noch immer.
„Du bist … ich weiß nicht!“ fing er an und schien nach den richtigen Worten zu suchen, „Du bist zusammen gesackt und ich weiß nicht ...“
„Du hast einfach nicht geatmet!“ schimpfte Felice.
Cassidy schüttelte den Kopf und wünschte sich sogleich, dass sie das gelassen hätte, denn zu dem Schwindelgefühl kamen nun auch noch Kopfschmerzen.
„Wie lange war ich weg?“ wollte sie schließlich wissen.
Beide sahen sich kurz an.
„Nur ein paar Sekunden, oder so!“ meinte Felice dann, „Du hast uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt!“
„Du hättest wohl besser noch ein wenig schlafen sollen!“ brummte Ryan und lies wieder von ihr ab.

„Ich hab nicht mitbekommen, dass ich …“ Cassidy sah sich um, als müsste sie sich auf einmal orientieren, „... weg war!“
Ryan schob ihr die Tasse Tee unter die Nase und zwang sie, erst mal etwas zu trinken.
„Was ist passiert?“ wollte er dann wissen.
Cassidy nahm eine großen Schluck und sah ihn fragend an.
„Du hast was gesehen, oder?“
Felice sah zwischen beiden irritiert hin und her, so als würden beide eine ihr unbekannte Sprache sprechen.
„Die Männer haben ein Mädchen entführt!“ antwortete Cassidy dann.
„Kanntest du sie?“ wollte er von ihr wissen und sie verneinte es mit einem Kopfschütteln.
„Warte mal!“ mischte sich Felice ein, „Du hattest gerade einen … Anfall, oder so, … und du … hast gesehen, wie jemand ein dir unbekanntes Mädchen entführt?“
Cassidy nickte.

Für einen kurzen Augenblick kehrte wieder nachdenkliche Stille ein.
„Wieso hast du das gesehen?“ wollte Ryan plötzlich wissen. Er hatte sich wieder neben sie gesetzt.
„Ich weiß nicht!“ gab Cassidy nur flüsternd zu, „Aber sie haben mich anscheinend bemerkt!“
„Die Männer?“
„Ja! Sie suchen irgendwas oder jemanden!“
„Sie sind also hinter dir her?“ war Felice Frage, „So wie hinter Chance?“
„Wahrscheinlich?“ Cassidy war sich nicht sicher.
„Und sie haben ihn?“ Felice sah sie mit großen Augen an und wieder antwortete Cassidy nur mit einem Nicken.
„Wo?“ Es war als erwarte Felice von ihr alles zu wissen.
„Nicht hier!“ kam leise von Cassidy und sie rieb sich die Augen, „Er ist nicht hier!“
Wahrscheinlich wollten sowohl Ryan als auch Felice ihr sagen, dass ihnen wohl bewusst war, dass Chance nicht hier war.
Aber Cassidy kam ihnen zuvor.
„Sie haben ihn mitgenommen … in die Traumwelt!“ meinte sie, „Er ist nicht mehr hier … in der Realität!“
Sie wusste wie verrückt das klang.
„Und wie finden wir ihn dann?“ Felice klang immer mehr wie ein Kind in seiner „Warum“-Phase.
„Wir müssen … einfach nur … wechseln!“
„Du meinst träumen?“
Cassidy wünschte sich, dass Felice endlich aufhören würde zu fragen. Vor allem nach Dingen, auf die sie keine Antwort parat hatte.
„Wir müssen in die andere Welt und dort nach ihm suchen!“ gab Cassidy zu, „Aber das kann ziemlich gefährlich werden!“
„Was du nicht sagst!“ war nur Ryans Kommentar dazu, „Und wie kommen wir … dorthin?“
Cassidy rollte nur mit den Augen. Diese Frage erschien selbst Felice zu unsinnig, um sie zu stellen.
„Wir werden Hilfe brauchen!“ meinte Cassidy, stand auf und ging in Richtung Schlafzimmer.
„Was …?“ Ryan war sofort aufgesprungen und wollte ihr hinterher.
„Ich will mich nur anziehen!“ gab sie zurück, „Ich hab nicht vor nur in Jogginghose und T-Shirt rum zu rennen!“


„Wie sieht´s aus?“
„Wir haben das Kind!“ kam nur als Antwort.
„Probleme?“
„Nein!“
„Die Geschwister?“
„Sie sind uns erneut durch die Finger gegangen!“
„Findet sie!“
„Wir sind nicht die einzigen, die nach den beiden suchen!“
„Dann seid schneller, als die anderen!“ Der letzte Befehl war fast schon ein wütender Aufschrei, „Findet sie und bringt sie her!“
Nikita LaChance
Ritter
Ritter
 
Beiträge: 143
Registriert: So 27. Mär 2011, 09:30

Re: AT: if dreams come true

Beitragvon Nikita LaChance » Fr 1. Apr 2011, 09:28

Kapitel IX

Ryker versuchte sich zu konzentrieren.
Er hatte einen Namen und eine Adresse. Ein Ziel, was er erreichen wollte.
Allerdings war er irgendwie von seinem Weg abgekommen.
Hätten seine Kollegen von seinem, nennen wir es mal, Missgeschick erfahren, so hätten sie es ihm später noch tagelang vorgehalten. Aber zum Glück wussten sie nichts davon. Weder von seiner Mission, die er sich mehr oder weniger selbst auferlegt hatte, noch wussten sie, was er wirklich tat.
Ja, er war ein Polizist, sogar ein ziemlich guter Detektive. Doch er war im Grunde noch mehr.
Irgendwie.

Bereits zum zweiten Mal in Folge hatte er den jungen Mann getroffen. Unverkennbar mit seinem blauen Irokesen und den grünen Augen.
Er hatte ihn schon zuvor mehrmals gesehen und kannte ihn. Ryker wusste, dass der Kerl mitunter ziemlich viel Ärger bedeuten konnte.
Nur wusste Ryker nicht, warum der Kerl ihm gerade jetzt wieder über den Weg laufen musste.

Sein Handy klingelte und riss ihn damit aus seinen Gedanken.
„Sie haben das Kind!“ hörte er noch, bevor er fragen konnte, wer ihn anrief. Nicht dass er es ohnehin schon wusste.
Ryker blieb stumm.
„Cassidy ist ihnen nur knapp durch die Finger gegangen, als sie das Kind geholt haben!“ meinte der mysteriöse Mann am anderen Ende.
„Wie?“
„Sie muss in den Traum der Kleinen gesehen haben!“ mutmaßte der andere nur, „Vermutlich weiß sie noch nicht einmal, was sie getan hat.“
„Aber sie … ist in Sicherheit?“ wollte Ryker wissen.
„Du weißt selbst, dass sie es vermutlich nie sein wird!“ lachte der andere.
Ryker ignorierte den Kommentar seines Gesprächspartners und auch die dunkle Landstraße, auf der er sich plötzlich befand.
„Sie werden sich jetzt noch mehr Mühe geben, Cassidy und Chance zu finden!“
„Und dann?“ war Rykers Frage. Er hatte noch nie erfahren, was mit den entführten Träumern geschah.
Der andere schien darüber nicht reden zu wollen. Oder er wusste es nicht.
„Hör zu, du musst die beiden finden und wegbringen!“
„Wohin soll ich sie bringen? Es gibt nirgends einen sicheren Ort!“ fluchte Ryker, „Sobald sie einschlafen und träumen, sind sie doch wieder gefundenes Fressen!“
„Dann suche einen sicheren Ort, verdammt noch mal!“ kam als Antwort.
Ryker starrte gerade aus auf die Straße. Einen sicheren Ort zu finden, den es nirgends gab, war ein ziemlich sinnloses Unterfangen.
„Und wenn jemand gegen die Männer vorgehen würde? Würde dass vielleicht was bringen?“ fiel ihm plötzlich ein. Eine Frage, die er sich schon öfters gestellt hatte.
Ein Lachen, was fast schon wie ein Husten klang, drang durch das Handy.
„Du willst etwas zu Fall bringen, von dem du noch nicht mal weißt, was es ist!“ der andere schien ein klein wenig darüber zu lachen, „Dazu bräuchtest du nicht nur eine Menge Energie, du müsstest auch einen Schwachpunkt finden!“
„Aber es wäre möglich?“ wollte Ryker wissen.
„Möglich wäre alles. Sogar das Schweine fliegen!“ war die sarkastische Antwort darauf.
Ryker entgegnete nichts darauf. Denn da wo er gerade war, würden sogar Schweine fliegen können. Hier, in der sogenannten Traumwelt, war alles möglich.
„Hör zu, du kannst nur versuchen, den Jägern dazwischen zu funken! Oder du versuchst Chance und Cassidy in Sicherheit zu bringen!“ brummte der andere, „Solange die Geschwister nicht in den Fängen der Jäger sind, dürfte es möglich sein, irgendwas auszurichten!“
Was genau er damit meinte, verriet er nicht. Noch ehe Ryker irgendetwas sagen oder fragen konnte, war das Gespräch beendet worden und nur noch Rauschen war zu hören.

Für ein paar Sekunden starrte Ryker auf das Handy. Die Anzeige auf dem Display ergab keinen wirklichen Sinn. Statt des Datums und der Uhrzeit zeigte es irgendwelche kryptischen Zeichen an, während ein Kompass-ähnliches Teil immer wieder auf flackerte.
Für ihn war dies nichts ungewöhnliches. Er war das merkwürdige Aussehen seines Handydisplays genauso gewohnt, wie auch die schnellen und auch irgendwie ungewöhnlichen Szenenwechsel der Landschaft um sich herum. Sogar die kaum nachvollziehbaren Gespräche mit seinem Bekannten war er gewohnt.
Nur eines war ungewohnt für ihn. Dass er nun gar nicht wusste, was er machen sollte.
Er sorgte sich um Cassidy und ihren Bruder. Und er sorgte sich auch um die ganzen anderen, die in die Fänge der ominösen Männer geraten waren oder die, die bald schon von ihnen verschleppt werden würden.

Ryker konzentrierte sich wieder. Allerdings diesmal nicht auf den Namen des kleinen Mädchens, dem letzten Opfer der Jäger.
Er dachte an eine bestimmte Adresse und sogleich erschien die richtige Straße vor seinem Wagen.
Nun musste er nur noch …
In dem einen Moment war die Straße vor ihm leer und dunkel gewesen und im nächsten war sie befahren und von Straßenlaternen und Weihnachtslichtern erhellt.
Es gelang ihm immer schneller zwischen den beiden Welten zu wechseln, sodass er manchmal den Übergang schon gar nicht mehr mitbekam.

Er fuhr nur noch wenige Meter und dann hatte er sein Ziel erreicht.


Cassidy hatte sich ihre zerschlissene Jeanshose, ein langärmeliges Shirt und ihre Schuhe angezogen und kam wieder zu ihren Freunden ins Wohnzimmer.
Ryan und Felice sahen sie fragend an.
„Es ist einfacher mit Kleidung zu wechseln, als wenn man sich darauf konzentrieren muss, was man tragen will!“ versuchte sie zu erklären.
Doch beide sahen sie noch immer irritiert an.
„Zieht einfach Schuhe an!“ forderte Cassidy dann etwas genervt und setzte sich wieder auf die Couch.
Für einen kurzen Augenblick sahen sich Ryan und Felice fragend an, dann gingen sie sich ihre Schuhe anziehen und kamen zurück. Sie setzten sich Cassidy gegenüber und warteten darauf, was nun passieren sollte.
„Wir müssen … schlafen!“ meinte Cassidy nur.
„Klingt logisch, oder?“ war Felice einzige Bemerkung dazu.
„Und wir müssen uns konzentrieren, damit wir … am richtigen Ort landen!“
„Und wo soll der richtige Ort sein?“ wollte Ryan sogleich wissen und zog die Augenbrauen zusammen.
„Wir müssen uns mit Brisby treffen!“ antwortete Cassidy und kontrollierte, dass ihr Handy noch immer in ihrer Hosentasche steckte.
„Wer oder was ist Brisby?“ Ryan klang irritiert.
„Meine Freundin!“ kam von Cassidy und sie sah sich etwas besorgt um, so als suche sie irgendetwas.
„Was für eine Freundin? Warum suchen wir nicht nach Chance?“ platzte es sogleich aus Felice heraus, „Wieso sollen wir jetzt zu deiner Freundin? Wir müssen ...“
„Brisby kann uns vielleicht helfen!“ Cassidy versuchte ihre Freundin zu übertönen, „Sie kennt sich ein wenig mehr mit … solchen Sachen aus!“
„Und woher kennst du sie?“ Ryan traute der Sache nicht ganz.
„Ich ...“ Cassidy schien nicht zu wissen, wie sie ihm darauf antworten sollte, „Ich kenn sie schon eine Weile und wir haben uns auch schon öfters mal getroffen.“
Ryan musterte sie eindringlich.
„Hör zu, Brisby kann uns helfen! Irgendwie!“ versuchte sie ihn zu beschwichtigen, „Brisby weiß eine Menge Dinge!“
Keiner der beiden schien mit ihrer Aussage zufrieden zu sein.
„Sie hätte mich nicht angerufen und gesagt, ich soll sie treffen, wenn sie nicht helfen könnte!“ meinte Cassidy sofort und hoffte damit, dass die beiden keine weiteren Fragen über die fremde Freundin mehr stellen würden.

„Und wie kommen wir nun dahin?“ seufzte Ryan etwas genervt, da sich nun scheinbar gar nichts mehr tat.
„Ja, ich meine, wie soll ich jetzt einschlafen?“ kam von Felice.
„Tabletten?“ Es war mehr eine Frage als ein Vorschlag. Cassidy wusste, dass Ryan Schlaftabletten im Haus hatte. An manchen Tagen brauchte er eine, um überhaupt irgendwie zur Ruhe zu kommen.
„Aber funktioniert das denn?“ wollte er sofort wissen.
„Normalerweise schon! Wir müssen einschlafen und uns konzentrieren!“ antwortete Cassidy nur und wollte schon in Richtung Bad laufen, als ihr auffiel, dass sie gar nicht genau wusste, wo Ryan die Tabletten versteckt hatte.
„`Normalerweise schon`, ist eine verdammt beschissene Antwort!“ knurrte er nur und ging dann selbst die Tabletten suchen.

Auf seinem Weg zurück zu den Mädchen brachte er noch zwei Gläser und eine Flasche Wasser mit.
„Wie viele sollen wir jetzt nehmen?“ wollte er gleich wissen.
„Ich hab nicht vor statt bei Chance im Krankenhaus mit ´ner Überdosis Schlaftabletten zu landen!“ protestierte Felice gleich.
Cassidy rollte nur mit den Augen und nahm Ryan die Tabletten ab. Sie überflog den Beipackzettel, ignorierte dabei die zahlreich aufgeführten Nebenwirkungen und drückte sechs Tabletten aus der Folie.
Felice riss die Augen weit auf und warf Ryan einen alarmierenden Blick zu.
„Du willst doch nicht …!“ fing sie gleich an.
Cassidy schüttelte den Kopf.
„Zwei für jeden sollten reichen!“ meinte sie dann, gab zwei Tabletten an Felice und zwei an Ryan weiter.
Dann nahm sie ihre zwei Schlaftabletten mit einem Schluck Wasser, welches sie aus ihrer Teetasse trank, ein.
Ryan und Felice warfen ihr noch immer nur einen fragenden Blick zu.
„Nehmt die Tabletten und konzentriert euch!“ forderte Cassidy etwas genervt.
„Auf was bitte?“ kam gleich von Ryan, „Ich kenn deine Freundin doch nicht, also …?“
„Dann konzentriert euch darauf, dass ihr mich nicht verliert, oder so!“
Ryan unterdrückte weitere Fragen, schluckte einfach die Tabletten und wartete. Nur wusste er nicht so recht worauf.
„Ich hoffe mal, dass das funktioniert!“ seufzte Felice schlussendlich und nahm auch die Tabletten ein.


Liam und Chance waren den Weg entlang in Richtung Innenstadt gegangen. Gesprochen hatten sie nicht wirklich.
Immer wieder hatte Chance Antworten haben wollen, zum Beispiel warum Liam ihm hatte helfen wollen oder warum man hinter ihm her war und vor allem wer.
Doch Liam schwieg darüber.
Irgendwann platzte Chance endgültig der Kragen.
„Okay, es ist genug jetzt!“ begann er zu schimpfen und blieb einfach auf dem belebten Fußweg stehen, „Ich will endlich wissen, was hier wirklich los ist!“
Liam sah an ihm vorbei, so als würde ihn das alles nichts angehen.
„Ich hab mir das so nicht ausgedacht!“ fluchte Chance und packte Liam am Kragen, „Verrat mir endlich was verdammt noch mal los ist!“
„Das hab ich dir schon gesagt!“ gab der nur zurück und befreite sich von Chances Griff.
„Das ergibt aber keinen Sinn!“ beschwerte sich Chance wütend, „Ich meine, was sind das für Kerle, die mich angegriffen haben? Warum bist du aufgetaucht? Und vor allem, was ist hier eigentlich verdammt noch mal los?“
Dass die Passanten die beiden Männer irritiert im Vorbeigehen ansahen und vermutlich auf einen Kampf warteten, schien Chance nicht zu bemerken.

Liam seufzte kurz und antwortete dann:
„Du magst dir einen Teil ausgedacht haben, aber ...“
Chance wartete und sah Liam finster an.
„... Aber es ist bei Weitem keine Geschichte von dir!“
Das ergab irgendwie keinen Sinn und Chance schüttelte ungläubig den Kopf.
„Die Traumwanderer ...“
Chance riss die Augen auf. Er hatte nur wenigen von seinem Roman und den merkwürdigen Figuren darin erzählt.
„Es gibt sie wirklich. Dass was du notiert hast, waren Träume von dir!“ Liam klang ruhig, „Alles was passiert ist, hast du vorhergesehen!“
„Die Entführung!“ meinte Chance, „Die hab ich gesehen, aber nicht dass du rein platzt!“
Liam zuckte mit den Schultern.
„Du solltest aber eigentlich bei Cassidy sein! So hab ich es gesehen! Ich meine, geschrieben!“ Chance war verwirrt.
Liam wusste nicht, was er darauf sagen sollte und nickte daher nur.
„Die Männer, du sagst sie sind auf der Jagt!“
Wieder nur ein Nicken.
„Warum?“
„Ich weiß es nicht genau! Sie suchen nach Traumwanderern! Sie jagen sie und verschleppen sie. Aber ich hab keine Ahnung wohin oder warum!“ gab Liam zu.
Chance verfiel wieder in Schweigen.

„Wenn sie Traumwanderer suchen, warum sind sie dann nicht hinter mir her?“
Liam sah ihn fragend an.
„Ich meine jetzt, wo sind sie jetzt?“ wollte Chance von ihm wissen und sah sich um.
„Wir … sind nicht mehr im Traum!“ gab Liam etwas zaghaft zu verstehen.
„Dann … sind wir … hier? Wirklich hier?“ Wieder lies Chance seinen Blick schweifen.
„Ich verstehe nicht, wie …?“
Liam seufzte nur und schüttelte dann den Kopf.
„Wieso bin ich hier und nicht …?“
„Du bist ein Traumwanderer und hast den Ort gewechselt!“ meinte Liam und griff sich an die Stirn. Er sah aus als hätte er ziemliche Kopfschmerzen.
„Ja, aber das funktioniert doch nur im Traum! Wieso bin ich jetzt hier?“ wollte Chance von ihm wissen, „Wie kann ich hier in der … Realität sein?“
„Könntest du aufhören, solch dumme Fragen zu stellen und vielleicht weniger … verwirrendes Zeug … denken?“
„Was?“ Chance sah ihn mit großen Augen an.
Dann musterte er Liam eindringlich und schüttelte den Kopf.
„Du willst mir doch nicht sagen, dass du das wirklich kannst?“ platzte es aus ihm heraus.
Liam warf ihm einen finsteren Blick zu.
„Wow, Gedankenlesen!“ Chance schien beeindruckt. Er erinnerte sich noch deutlich daran, wie er einer seiner Romanfiguren mentale Fähigkeiten gab.
„Ist nicht ganz so toll, wie du es dir vorstellst!“ brummte Liam genervt und rieb sich die Stirn, „Vor allem nicht, wenn man jemanden vor sich hat, der die meiste Zeit nur Trübsal bläst!“
„Du liest doch nicht etwa meine Gedanken?“ Chance machte einen Schritt zurück.
„Ich versuch´s zu vermeiden!“ schimpfte Liam, „Ist aber vorteilhaft, wenn man einigen Leuten aus den Weg gehen will!“
Chance war wenig begeistert. Nicht nur dass er noch immer keine Antwort darauf hatte, was wirklich vor sich ging, so hatte er nun auch noch einen Gedanken lesenden Begleiter an seiner Seite.

Chance sah sich noch einmal um, versuchte zu ignorieren, über welche Fähigkeiten Liam verfügte, und ging dann einfach weiter in Richtung Stadtzentrum. Er wusste nicht wirklich, ob es ihm irgendwas bringen würde, dorthin zu gehen oder was er vielleicht dort finden könnte. Er wollte einfach nur weiter gehen.
Liam folgte ihm. Wortlos. Immer wieder kniff er die Augen zusammen und sah den ein oder anderen Passanten finster entgegen. Nur ein oder zwei Mal schmunzelte er.
Gedankenlesen schien vermutlich doch nicht so toll zu sein, wie Chance anfangs gedacht hatte. Nicht wenn man mehr oder weniger keine Kontrolle darüber hatte, mit welchen Gedanken man konfrontiert wurde.

„Kannst du´s ausschalten?“ platzte es aus Chance heraus, als er noch einmal über seinen Roman, der ja nun mehr oder weniger lebendig war, und seine Figuren nachdachte.
„Im Grunde schon!“ seufzte Liam, „Aber manchmal sind es zu viele Gedanken auf einmal, um sie wirklich filtern zu können. Oder ich versuch mich auf eine bestimmte Person zu konzentrieren. Zum Beispiel um sie zu finden oder eben, um ihr aus dem Weg zu gehen!“
„Die schwarzen Männer?“
„Zum Beispiel!“
Wieder brach Schweigen zwischen den beiden aus.

„Warum hast du versucht mir zu helfen und bist nicht bei Cassidy?“ wollte Chance erneut wissen.
„Weil ich hoffe, dass du die Männer stoppen kannst!“ war Liams Antwort, „Du hast etwas ausgelöst und deswegen kannst du es nur beenden!“
„Was?“
Darauf erhielt Chance keine Antwort. Liam schien sich wieder aufs Sortieren der einströmenden Gedanken zu konzentrieren.
Chance wusste also noch immer nicht, was los war und er wusste auch nicht, was man nun von ihm erwartete.
Wenn das alles ein Traum war, so wollte er endlich aufwachen und alles vergessen.


„Scheint nicht zu funktionieren!“ Ryan stand von seinem Platz auf und streckte sich ausgiebig.
„Super!“ grummelte Felice nur, „Sollen wir vielleicht noch mehr Tabletten nehmen?“
„Dann müssen wir eben was anderes probieren!“ meinte Cassidy nur und streckte sich ebenfalls.
„Und was bitte schön?“ Felice schien ein klein wenig gereizt zu sein.
Cassidy zuckte nur unbeeindruckt mit den Schultern.
„Du hast doch hoffentlich einen Plan, was wir machen könnten?“ wollte Ryan wissen und musterte Cassidy.
Die grübelte kurz und schüttelte dann nur den Kopf.
Felice wollte ihr gerade entgegnen, dass Cassidy sich schnellstens was einfallen lassen sollte, als es lautstark an der Tür klopfte.
Alle sahen erschrocken auf.

„Felice! Ich weiß dass du hier bist! Komm raus!“ schrie eine wütende Stimme und wieder hämmerte jemand an die Tür.
„Na toll!“ seufzte Felice nur, „Die hat mir jetzt gefehlt!“
Noch einmal rief die Frauenstimme lautstark, dass Felice endlich herauskommen sollte, ehe sie genervt aufstand und zur Tür ging.
Vor der Tür stand ihre Mutter. Das Gesicht knallrot und die Augen funkelnd vor Zorn.
„Wie kannst du es wagen, ...“ begann die Mutter sofort und Felice drückte sie von der Tür weg, um hinaus zu treten.
Sie zog die Tür hinter sich heran, damit Ryan und Cassidy das Gespräch zwischen ihr und ihrer Mutter nicht mitbekommen würden. Oder damit es wenigstens gedämpft war.

Ryan sah besorgt zur Tür und dann zu Cassidy, die noch immer unbeeindruckt drein sah.
„Sollen wir ihr nicht helfen?“ wollte er wissen.
„Nein, Felice wird schon irgendwie damit klar kommen!“ meinte Cassidy nur und machte es sich auf der Couch bequem.
„Okay?“ Er wusste nicht so recht, was er nun tun sollte und setzte sich wieder.

Deutlich waren die Stimmen vor der Tür zu hören.
Die Mutter schien unermüdlich zu sein, Felice die Hölle heiß zu machen.
Immer wieder sah Ryan von der Haustür zu Cassidy. Doch sie schien die ganze Situation zu ignorieren und musterte ihn amüsiert.
„Was versuchen wir als nächstes, um ...“ Er gestikulierte hilflos umher, „... um zu deiner Freundin zu kommen oder Chance zu finden oder so?“
Sie sah ihn fragend an und setzte sich dann wieder auf.
„Du musst doch eine Idee haben, was wir machen können!“
„Nein!“ Es war weder Bedauern noch Enttäuschung in ihrer Stimme zu hören.
„Dann sollten wir vielleicht ...“ Er sah sich um und sein Blick fiel auf Chance Notizen, „Vielleicht sollten wir es hier mit probieren!“
Ryan packte den Stapel Papier auf den Tisch, fing an ihn durch zu blättern und musste feststellen, dass er nichts davon lesen konnte.
Noch mehr allerdings irritierte war, dass Cassidy keine Anstalten machte ihm irgendwie zu helfen.
Sie saß ihm noch immer gegenüber und wirkte … belustigt.

Dann stand sie auf, ging zu ihm hinüber und setzte sich vor ihm auf den Zettelhaufen.
„Du solltest das hier mal vergessen!“ meinte sie und grinste.
Ryan sah sie mit großen Augen an.
„Das ist nicht dein Ernst?“ war alles was ihm einfiel. Seine Hände ein wenig hilflos in der Luft schwebend, wusste er nicht so recht was er nun tun sollte.
Wieder grinste sie, packte eine seiner Hände und legte sie sich auf ihre Hüfte.
„Vergiss das hier einfach und hab auch mal ein wenig Spaß!“ meinte sie zu ihm und strich ihm die langen Haare aus dem Gesicht.


Felice kam gar nicht zu Wort. Oder zumindest schaffte es ihre Mutter sie zu übertönen.
„Ich habe dir gesagt, dass du dich von dieser verrückten Familie fernhalten sollst!“ schimpfte Felices Mutter, „Dieses Mädchen bringt nur Schwierigkeiten. Und ihr Bruder ist auch so ein Nichtsnutz!“
Im Grunde erzählte ihr ihre Mutter das selbe, was sie auch vor wenigen Stunden daheim gesagt hatte.
Dass Cassidy und Chance ein schlechter Umgang seien. Vor allem zu ungebildet und auch zu gewöhnlich, wie sie es nannte. Und Ryan sei genauso schlecht.
Was könnte man auch erwarten, hatte die Mutter gesagt. Chance sei ein Nichtsnutz, der versuchte mehr oder weniger seine Schwester groß zuziehen, jetzt da beide Eltern verstorben seien. Vermutlich waren die beiden Kinder selbst schuld. Und Ryan war nur ein Spinner mit langen Haaren, der es nie weit bringen würde.
„Du solltest dir bessere Freunde suchen!“ wetterte die Mutter weiter, „Sie ziehen dich nur runter und du endest genau wie sie im Dreck!“
Felice standen die Tränen in den Augen. Sie wollte Konter geben, doch irgendwie schien sie nicht stark genug dafür zu sein.
An manchen Tagen war genau dies der Grund, weswegen sie ihre Mutter hasste. Denn ihre Mutter hasste einfach alles was Felice mochte. Ihre Freunde, ihre Träume und auch war alles was Felice tat falsch und ohne Sinn.
„Du solltest endlich aufhören, dich mit diesem Abschaum abzugeben und endlich ...“

Felice konnte nicht mehr. Die Tränen liefen ihr nun übers Gesicht und ihre Ohren dröhnten.
Sie nahm allen Mut und alle Kraft zusammen und stieß ihre Mutter einfach von sich weg.
„Du hast keine Ahnung!“ schrie sie ihr entgegen.
Doch es schien nichts zu nützen. Sofort trat ihre Mutter wieder näher und wetterte weiter.
„Halt den Mund!“ schrie Felice lauter, „Ich will nichts mehr von dir und deinem Scheiß hören!“
Für einen kurzen Moment warf ihre Mutter ihr einen zornigen Blick zu, der ihr bedeutete, nicht weiter zu reden.
„Das hier ist mein Leben und du hast mir gar nichts zu sagen!“ warf Felice ihrer Mutter an den Kopf. Im Grunde sagte sie nun das, was sie ihr hatte schon öfters sagen wollen, aber sich nie getraut hatte.
„Wenn es dir nicht passt, was ich mit meinem Leben mache, dann … dann lass mich doch einfach gehen!“
„Wage es ja nicht …!“ wollte ihre Mutter wieder anfangen.
„Es ist mein Leben! Das sind meine Freunde und du hast mir nichts mehr zu sagen!“ schrie Felice abermals und diesmal mit Mut in der Stimme.
Ihre Mutter verstummte und sah sie zornig an. Anscheinend hatte es ihr die Sprache verschlagen.


„Komm schon, ich weiß was du willst!“ flüsterte Cassidy und nahm Ryans Gesicht zwischen ihre Hände und kam näher auf ihn zu.
Er war zu verblüfft um zu reagieren. Wollte er überhaupt was dagegen machen?
Cassidy war kurz davor ihn zu küssen, als er ihr Hände packte und zurückwich.
„Was denn?“ Sie klang ein wenig enttäuscht. Allerdings schien dies nur gespielt zu sein, wie er in ihren Augen lesen konnte.
„Was soll das hier werden?“ wollte er wissen.
„Ich gebe dir nur, wovon du geträumt hast!“ kam von ihr nur leise und sie war wieder dabei sich ihm zu nähern.
„Cassie, stopp!“ brummte er nur und versuchte sie auf Abstand zu halten.
„Warum denn? Hast du Angst wegen Chance oder Felice? Denk nicht an sie! Mach einfach das, was du schon immer mal machen wolltest!“
Ryan sprang auf und ging in Richtung Küche. Er musste einfach nur weg.
Sie sah ihm nach und grinste.
„Denkst du etwa ich bin dumm?“ witzelte sie, „Ich weiß, dass du darüber schon mal nachgedacht hast! Komm schon, ich bin kein kleines Kind mehr!“

Ryan fuhr sich mit den Händen über die Augen, so als würde es ihm irgendwie helfen.
„Hab einfach ein wenig Spaß!“ kam wieder von ihr und sie stand auf, „Alles andere ist egal!“
„Nein!“ platzte es aus ihm heraus. Er war wütend. Nicht darüber, dass er vermutlich eine Chance verstreichen lies. Sondern auf Cassidy.
Sie ignorierte seinen finsteren Blick und kam langsam auf ihn zu. Eindeutig flirtend.
„Du bist sie nicht!“
Sie blieb stehen, zog die Brauen fragend zusammen und legte den Kopf schief.
„Wer bin ich nicht?“
„Du bist nicht Cassie!“ bemerkte er mit wütender Stimme.
„Warum sollte ich es nicht sein?“ entgegnete sie nur.
„Du bist nicht Cassie und das hier ist nicht echt!“ Ryan wies auf den Raum ringsum.
„Bist du dir sicher?“ Sie kam wieder näher auf ihn zu.
„Du bist nicht echt und vermutlich ist das da draußen auch nicht Felice Mutter!“ brummte er und ging auf die Haustür zu.
„Du hast keine Ahnung, auf was du dich einlässt, Junge!“ Cassidys Stimme klang dunkler, bedrohlicher.
Doch Ryan ignorierte sie und riss die Tür auf.

Vor der Tür stand noch immer Felice, mit Tränen in den Augen. Und ihr gegenüber ihre Mutter, mit einem leuchtenden Handabdruck auf der Wange.
Ryan packte Felice an der Schulter und zog sie von dem Haus weg.
Allerdings hatte er keine Ahnung, wohin er nun mit ihr gehen sollte. Und so stieg er mit ihr in seinen Wagen, der vor dem Haus parkte.
„Sie hat ...“ fing Felice an und schniefte.
„Das war nicht deine Mutter!“ brummte Ryan nur und versuchte den Wagen zu starten.
„Was?“ Felice sah aus dem Autofenster und sah den wütenden Blick ihrer Mutter.
„Wir sind in einem Traum und das hier ist alles nicht echt!“
„Dann hat es funktioniert?“ schniefte Felice und sah ihn mit großen Augen an, „Woher weißt du das?“
Er schüttelte nur den Kopf.
„Ich weiß es einfach!“ Er hatte nicht vor, ihr zu erklären, was gerade im Haus passiert war.
„Und wo ist dann Cassie?“ wollte sie von ihm wissen und er stoppte kurz seine Versuche, den Wagen zum Laufen zu bringen.


Ein Mann im schwarzen Anzug hatte aus Entfernung das Haus von Ryan beschattet. Es war keine Regung in seinem Gesicht zu erkennen. Dennoch schien er nicht ganz so glücklich darüber zu sein, was er gesehen hatte.
Er griff nach seinem Telefon und ohne, dass er wählen musste, meldete sich sogleich eine Stimme am anderen Ende.
„Report!“
„Wir haben sie getrennt!“
„Und das Mädchen?“ kam nur zurück, „Wo steckt sie?“
Eine andere Stimme erklang und verkündete, dass die gesuchte Person in einem anderen Traum stecken würde und es nicht mehr lange dauern würde, ehe man sie geschnappt hätte.
„Die beiden Freunde haben sich losgerissen! Was soll ich nun tun?“ wollte der Mann wissen.
„Halt sie auf! Sie dürfen uns nicht dazwischen funken!“ war nur die Antwort.

Allerdings hörte der Anzugträger dies nicht mehr, da man ihn hinterrücks K.O. geschlagen hatte.
Er hatte seinen Gegner weder kommen sehen noch gehört.
„Verdammte Scheiße!“ knurrte der Angreifer nur und untersuchte die Taschen des bewusstlosen Mannes.
Er fand lediglich das Telefon und einen dieser merkwürdigen Stäbe, welchen er sich einsteckte.
Dann rannte er zu dem roten Pick-Up hinüber und klopfte gegen die Fensterscheibe.


Ryan und Felice erschraken und bemerkten einen jungen Mann am Beifahrerfenster.
„Der schon wieder!“ knurrte Ryan nur wütend.
Felice kannte den Fremden nicht, allerdings wirkte dieser wirkte mit seinem blauen Irokesen und seinem ganzen Aufzug nicht wirklich vertrauenerweckend.
„Wo ist Cassidy?“ wollte der Mann wissen.
Felice warf Ryan einen hilflosen Blick zu.
„Wo ist sie?“ kam erneut die Frage.
„Sie ist nicht hier!“ rief Felice dem Fremden zu und hoffte, dass er einfach wieder verschwinden würde.
„Das ist mir klar!“ knurrte er und riss einfach Felices Tür auf, „Wo könnte sie stecken?“
Ryan wollte schon hinüber greifen und die Tür wieder zuziehen, als der Kerl seine Frage wiederholte.
„Ihr müsst doch irgendeine Ahnung haben, wo sie stecken könnte!“ brummte dieser, „Sie steckt, verdammt noch mal, in Schwierigkeiten!“
Weder Felice noch Ryan wussten eine Antwort.

„Verdammt noch mal, denkt nach! Sie haben euch getrennt und euch jeweils in einen Traum gesteckt!“ knurrte der Mann.
„Das war nicht so toll!“ murmelte Felice kaum hörbar vor sich hin.
„Denkt nach!“ Der Fremde war ungeduldig, „Irgendwas was sie verwirren könnte oder vielleicht ablenken?“
Ryan musterte den Kerl eindringlich.
„Wieso suchst du sie?“ wollte er wissen.
„Weil ich ihr, verdammt noch mal, helfen will!“ bekam Ryan nur als Antwort.
„Das hier, war um uns zu trennen und uns zu verwirren?“ war Felices Frage, so als hätte sie nichts anderes vernommen, „Wieso?“
Der Irokesenträger rollte genervt mit den Augen.
„Wenn Cassidy allein ist, bekommen sie sie besser in die Finger und wenn sie in ihrem Traum gefangen ist und … nachgibt, ist es für die Kerle noch leichter sie zu schnappen!“ versuchte er zu erklären, „Wo könnte sie stecken?“
„Bei ihrem Bruder?“ fiel Felice nur ein.
„Das würden sie nicht zulassen!“ meinte der Irokese nur.
„Ihre Eltern!“ war Felice zweiter Gedanke.
„Aber die sind tot!“ war Ryans Bemerkung dazu.
„Wo sind sie?“
Ryan sah ihn irritiert an und auch Felice verstand die Frage nicht.
„Friedhof?“ meinte sie nur und der Kerl nickte.

Ohne ein weiteres Wort stieg er in den Wagen und wäre Felice nicht zur Seite gerutscht, hätte er sich auf ihren Schoß gesetzt.
Ryan sah ihn finster an.
„Starte den Wagen!“ befahl der Kerl nur, „Ihr werdet meine Hilfe brauchen!“
Felice stieß Ryan von der Seite an, damit er endlich los fuhr. Sie wusste nicht, ob sie dem Fremden trauen könnten oder nicht. Aber vielleicht konnte er doch nützlich sein.

Ryans Pick-Up war kaum ein paar Meter gefahren, als sich nicht nur die Gegend änderte sondern es auch schlagartig wie aus Eimern schüttete.
„Was ist jetzt los?“ wollte Felice erschrocken wissen.
„Ich hab ein bisschen nachgeholfen!“ meinte der Kerl neben ihr nur und sah angestrengt nach vorn.
Deutlich war der Friedhof zu erkennen.
Und auch ein paar seltsame Anzugträger, die sich sofort zu dem Pick-Up umsahen.
„Nicht gut!“ kam nur von dem Irokesen, „Fahr einfach weiter!“
„Ich kann doch nicht mit dem Auto über den Friedhof fahren!“ zischte Ryan ihn an.
„Du hast verdammt noch mal keine andere Möglichkeit!“ bekam er sogleich als Antwort zu hören, „Die Kerle sind nicht so harmlos, wie sie vielleicht aussehen!“
„Fahr!“ bat nun auch Felice und Ryan gab Gas.
Er war froh, dass das Friedhofstor offen stand und er so ohne weiteres auf den Friedhof fahren konnte. Er bretterte über den eigentlich schmalen Fußweg und versuchte den Grabsteinen auszuweichen.

Und schlussendlich fand er sein Ziel. Er konnte sich nicht erinnern, dass das Grab von Chances und Cassidys Eltern so Zentral gelegen hatte. Aber vielleicht war das auch nur wieder eine dieser Traumtäuschungen.
„Da vorn ist sie!“ schrie Felice sogleich und wies zu dem Grabstein, der im Scheinwerferlicht des Pick-Ups aufgetaucht war.
Auf dem Grab, auf dem aufgeweichten Erdboden, lag Cassidy. Und sie schien zu schlafen.
Kaum hatte der Wagen gehalten, sprang sofort der Kerl mit dem Irokesen raus und rannte auf Cassidy zu.
Ryan war ihm sofort auf den Fersen und beide beugten sich fast zeitgleich über das Mädchen.
„Was ist mir ihr?“ wollte Ryan besorgt wissen.
„Sie haben sie in einen Traum gesteckt!“ knurrte der andere nur.

Felice wollte ebenfalls gerade aus dem Wagen steigen, als sie die Männer bemerkte, die näher kamen.
Instinktiv schlug sie auf die Hupe und beide Männer drehten sich erschrocken zu ihr um.
„Scheiße!“ fluchte der Irokese, als er die nahende Gefahr erkannte.
Ryan versuchte Cassidy aufzuwecken. Doch sie reagierte nicht.
„Ihr müsst hier weg!“ kam von dem anderen, „Du nimmst Cassidy mit und ich halt die Männer auf!“
Das lies sich Ryan nicht zweimal sagen. Er hob Cassidy hoch und war schon auf dem Weg zurück zum Wagen, als ihm auffiel, das der andere unmöglich gegen die ganzen Kerle allein antreten konnte.
„Verdammt, haut ab!“ rief ihm der Irokese nur zu, „Ihr müsst hier raus!“

Die Männer hatten den Pick-Up fast erreicht und zogen seltsame Stäbe aus ihren Anzügen hervor.
Ryan hatte gesehen, was passiert war, als sie Chance mit den Dingern berührt hatten und er hatte nicht vor die selbe Begegnung mit den merkwürdigen Waffen zu machen.
Er setzte Cassidy zwischen sich und Felice, die wieder ganz auf die Beifahrerseite gerückt war und sich wieder hinters Steuer.
Noch einmal warf er eine Blick nach draußen zu dem Kerl, der ihnen warum auch immer helfen wollte. Und noch einmal verspürte er den Drang, nach draußen zu gehen und gegen die Anzugträger anzutreten.
„Haut endlich ab!“ bekam er sogleich zu hören.

„Fahr los!“ wimmerte Felice und schrie erschrocken zusammen, als einer der merkwürdigen Männer neben ihrem Fenster erschien. Er wollte gerade nach der Tür greifen, als Ryan endlich den Rückwärtsgang eingelegt hatte und weg fuhr.
Rückwärts durch den Friedhof zu rasen und den Grabsteinen auszuweichen, war nicht gerade einfach. Dennoch gelang es Ryan irgendwie und er konnte schon das Tor erkennen.
Als er einen Blick zu den Männern und dem Kerl mit dem Irokesen warf, konnte er den Kampf sehen, der dort stattfand. Er konnte allerdings auch sehen, dass einige der Anzugträger den Wagen hinterherrannten und eigenartiger Weise waren sie auch noch sehr schnell.
„Scheiße!“ knurrte er und versuchte noch mehr Gas zu geben.
Aber das schien den Männern nichts auszumachen. Sie kamen immer näher.

Gerade als die Männer den Wagen fast eingeholt hatten, rollte eine Druckwelle über den Boden.
Diese schien die Männer wie Nebelschwaden aufzulösen, den Pick-Up noch ein wenig weiter nach hinten zu drücken und lies die Wagenfenster bersten.
Felice und Ryan konnten sich gerade noch schützend über Cassidy werfen.
Kaum hatte der Scherbenregen aufgehört, saßen die beiden wieder kerzengerade in ihren Sitzen und starrten nach draußen.
Von den Männern keine Spur und auch hatte der Regen aufgehört.
„Was ist passiert?“ vernahmen sie eine schläfrige Stimme und sofort richtete sich ihre Blicke auf Cassidy, die in durchweichter und schmutziger Kleidung zwischen ihnen saß.
Nikita LaChance
Ritter
Ritter
 
Beiträge: 143
Registriert: So 27. Mär 2011, 09:30

Re: AT: if dreams come true

Beitragvon Nikita LaChance » Fr 1. Apr 2011, 09:28

Kapitel X

Der Kampf auf dem Friedhof war unausgeglichen. Gleich zwölf Mann gingen auf einen einzigen los.
Die Männer waren alle in dunkle Anzüge gekleidet, so dass sie eigentlich viel eher wie Vertreter wirkten oder wie irgendjemand seriöses von einer der vielen geheimen Behörden mit drei Buchstaben. Ihre Waffen waren allerdings ein klein wenig ungewöhnlich. Jeder hielt anstatt einer Schusswaffe oder einem Messer, wenngleich man dies wohl noch weniger bei einem Anzugträger erwarten könnte, einen kurzen Stab in der Hand. Dessen freie Spitze leuchtend und wenn er mit etwas in Berührung kam konnte man gelegentlich ein paar kleine Blitze sehen oder ein Knistern hören.

Immer wieder schlugen die Männer nach ihrem Angreifer oder Opfer. Das war hier Ansichtssache.
Der Kerl mit dem Irokesen hatte sich in ihre Verfolgungsjagd eingemischt und dass wollten sie sich nicht bieten lassen.
Der Irokesenträger war ebenfalls in Besitz eines dieser elektrischen Stäbe. Aber als zweite Waffe hielt er noch ein Messer in der Hand. Beides Waffen für einen Nahkampf.
Ob er wirklich bereit war jemanden zu verletzen war nicht zu erkennen. Vielleicht versuchte er nur, sich zu verteidigen.

Mitten im Kampf war eine Stimme zu hören. Eines der Telefone oder Funkgeräte der Anzugträger war auf Empfang gestellt.
Die Stimme am anderen Ende verlangte endlich einen Report, den niemand geben konnte, da sie alle im Kampf steckten.
„Habt ihr das Mädchen?“ schrie die Stimme am anderen Ende noch einmal auf.
Nach einer Weile griff einer der Männer nach seinem Telefon und verneinte.
„Wir wurden gestört!“ gab er zu.
„Was ist passiert?“ war die große Frage.
Als Antwort kam nur ein Name. Aber das reichte, sodass der Befehlshaber am Telefon lautstark fluchte.
„Schnappt ihn! Ich will mit ihm reden!“ war der nächste Befehl. Deutlich die Wut über den Fehlschlag seiner Männer zu hören.

Den einen Mann zu schnappen erschien nicht ganz so einfach, wie es aussah.
Nicht, dass er ein übermächtiger Gegner war, aber schien zumindest im Kampf geschult zu sein. Und so gelang es ihm immer wieder einen angreifenden Anzugträger auszuweichen und sogar zwei von ihnen weitestgehend kampfunfähig zu machen.
Aber es waren noch immer zehn Mann übrig.
„Packt ihn einfach!“ schrie einer seinen Kollegen zu, „Wenn wir alle gleichzeitig angreifen, kann er uns gar nichts anhaben!“
Und so gingen alle zehn auf ihn zu. Alle mit ihrer Waffe auf ihn gerichtet.
Und doch schafften sie es nicht, ihn einen Stromstoß zu verpassen, der ihn gelähmt hätte.
Noch bevor sie ihn zu packen bekamen oder berühren konnten, wurden sie von einer Druckwelle umgestoßen.
Allerdings war diese nicht so stark, wie die wenige Minuten zuvor.
So wurden die Männer lediglich zurückgestoßen und konnten sich dabei nur mit Mühe auf den Beinen halten, aber um sie vollends umzuwerfen, war die Welle zu schwach.

Wieder gingen sie auf den Irokesen zu.
„Bist schwach geworden!“ spottete einer von ihnen und löste sich aus der Formation, um den Kerl als erstes anzugreifen.
Sein Übermut allerdings kostete ihn allerdings seine Waffe.
Der Irokese hatte blitzschnell reagiert, nach dem Angreifer getreten und gleichzeitig den Stab aus der Hand geschlagen.
Der Angreifer ging zu Boden.
Noch immer neun weitere auf dem Friedhof.

Die anderen Männer allerdings blieben in Formation. Keiner machte den selben Fehler.
Sie mussten nur zusammen angreifen, dass wussten sie.
Noch einmal spürten sie eine Druckwelle auf sich zukommen und an ihnen vorbei ziehen.
Sie ging von dem Irokesen aus.
Und wieder war die Druckwelle zu schwach, um irgendetwas anzurichten. Sie glich nun mehr oder weniger einer seichten Welle am Strand, die einem über die Füße fuhr.

Der Irokesenträger war nicht begeistert, dass sein Trick nicht funktionierte.
Seine Gegner aber schienen belustigt darüber.
Sie hatten ihn wirklich umkreist und nur noch wenige Zentimeter lagen zwischen ihren Elektro-Waffen und ihrer Beute.

Der Mann in der Mitte konzentrierte sich abermals. Aber es war, als sei ihm die Energie ausgegangen.
Wie ein kleiner Windhauch zog die letzte Druckwelle an den Anzugträgern vorbei.
„Genug gespielt!“ meinte einer von ihnen und alle setzten fast zeitgleich ihre Waffen ein.
Alle neun Waffen berührten mit ihrer Spitze den Mann mit den blauen Haaren und verpassten ihm einen Stromschlag.
Er versuchte noch einmal um sich zu schlagen. Doch seine Versuche gingen mehr oder weniger ins Leere.
Und nach wenigen Sekunden brach er mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammen.
Obwohl er schon am Boden lag, hielten die Männer ihre Waffen auf ihr Opfer gerichtet und verpassten ihm Stromschläge.

Dann griff einer zu seinem Telefon und verkündete, dass man den Mann überwältigt hätte.
„Dann bringt ihn her!“ kam nur zurück.
Sie fesselten ihr Opfer mit einer Art Handschellen auf den Rücken und zerrten ihn auf die Beine. Allerdings war der Mann bewusstlos und so mussten sie ihn mit sich schleifen.
Doch es war für sie kein weiter Weg.

Nichts ist wirklich weit, wenn man weiß wie man an sein Ziel kommt. Nicht wenn man, sich nur auf sein Ziel konzentrieren musste und es vor einem erschien.
Der junge Mann mit dem blauen Irokesen bekam davon nichts mit. Sie hatten ihn besiegt.
Aber zumindest hatte er sie, wie er es geplant hatte, von der Spur von Cassidy und ihren beiden Freunden abgebracht.


Alle drei sahen verwundert durch das zerborstene Frontfenster des Pick-Ups. Sie wussten nicht so recht was gerade geschehen war.
„Wo sind die Männer hin?“ wollte Felice wissen, „Die haben sich in Luft aufgelöst!“
„Wir sind ...“ fing Cassidy irritiert an, „... wieder … draußen!“
Ryan sah sie fragend an. „Draußen?“
„Wir sind nicht mehr im Traum!“ kam von Cassidy.
„Da schaut doch keiner durch!“ brummte Ryan nur und seufzte kurz.
„Was nun?“ wollte er dann wissen und wartete auf irgendeine Art Befehl von Cassidy.
„Fahr einfach los!“ war alles was sie sagte und sie versuchte den Dreck und die Scherben von sich zu wischen.

Ryan startete den Wagen, fuhr aber nicht los.
Er schüttelte noch einmal kurz den Kopf, zog die Augenbrauen angestrengt zusammen und blickte sich um.
Er stand mit dem Wagen vor dem Friedhof. Alles sah so aus wie vorher. Woher wusste dann Cassidy dass sie wieder in der Realität waren und nicht im Traum und warum konnte er dies nicht so schnell feststellen. Gab es überhaupt irgendeinen Unterschied zwischen der Traumwelt und der realen?

„Wenn wir hier sind, kommen wir aber nicht zu deiner Freundin, oder?“ war seine Feststellung und er blickte Cassidy mit ernstem Gesicht an.
Sie wirkte kurz als sei ihr die Erkenntnis auch gerade eben gekommen und sie seufzte kurz.
„Fahr … fahr einfach die Straße lang!“ meinte sie dann, „Ich lass mir was einfallen!“
„Ähm ...“ Er wollte gerade protestieren, als sich Felice einmischte.
„Du weißt schon, dass wir noch immer die Schlaftabletten in uns haben!“
Cassidy nickte nur.
„Das heißt, dass es ziemlich ungesund ist, unter Einfluss von den Tabletten hier rum zu fahren!“
„Und was willst du dann machen?“ murmelte Cassidy nur leicht genervt.
„Weiß nicht! Vielleicht sollten wir uns einen stillen Platz suchen und warten bis die Wirkung der Tabletten nachlässt, ehe wir uns umbringen!“
Cassidy rollte nur die Augen.
„Das ist Scheiß-gefährlich!“ schimpfte Felice lautstark, „Wir können dabei draufgehen!“

„Sie hat recht!“ kam dann auch von Ryan und er wollte gerade den Motor wieder abstellen, als Cassidy den Kopf schüttelte.
„Fahr einfach gerade aus!“ brummte sie ihn an.
„Nein!“ schrie Felice ihn an und er zuckte kurz zusammen.
Cassidy sah wieder stur nach draußen und konzentrierte sich.
„Wenn du jetzt losfährst, landen wir statt im Traum im Leichenschauhaus, Ryan!“ protestierte Felice erneut.

„Nicht wenn wir schon wieder drin sind!“ bemerkte Cassidy kurz, ohne ihren Blick auf ihre Freunde zu richten.
„Was?“
Ryan verstand nicht ganz. Dann aber sah auch er durch das Frontfenster.
Sie standen noch immer vor dem Friedhof. Aber wieder war alles ringsum in Stille und Dunkelheit gehüllt.
„Woher willst du wissen, dass wir schon wieder gewechselt haben?“ kam von ihm.
„Weil du in der Realität das nicht zu sehen bekommst!“ meinte sie nur und zeigte nach vorn.
Felice wollte gerade wieder los schimpfen, dass sie lieber aussteigen als sterben wollte. Doch die Worte blieben ihr im Hals stecken, als sie das merkwürdige Tier vor sich sah.
Es wirkte wie ein Hirsch mit einem leuchtenden Geweih.
An sich wäre das vielleicht nichts ungewöhnliches, wenn der Hirsch nicht vollkommen weiß war und das Geweih eben leuchten würde.
Der Hirsch trotte gemütlich die Straße entlang, am Wagen vorbei und löste sich wieder in Luft auf.

„Ich war´s nicht!“ gab Cassidy gleich von sich, so als müsste sie sich für das merkwürdige Ereignis verteidigen.
Ryan sah sich noch einmal nach dem Hirsch um und dann wieder zu Cassidy.
„Einfach fahren?“ fragte er unsicher, „Und dann kommen wir zu deiner Freundin?“
Sie nickte nur.
„Wäre allerdings toll, wenn wir ein paar Fenster hätten, damit wir nicht das ganze Ungeziefer und die kalte Luft abbekommen!“ knurrte Felice gleich, nachdem der Wagen wieder losgefahren war.
Cassidy sagte nichts dazu. Aber sie konzentrierte sich stark und nicht nur, dass die Straße vor ihnen allmählich immer unebener und vor allem grüner wurde, so schien in den leeren Fensterrahmen des Wagens neue Scheiben zu entstehen. Obwohl es eher wirkte, als würden sie gerade zusammenwachsen.
„Das wäre irgendwie cool, wenn´s nicht gruselig wäre!“ war Ryans Kommentar dazu.
„Nur ein kleiner Trick!“ meinte Cassidy. Ein Trick, der ihr gehörige Kopfschmerzen verpasst hatte.
Neben ihr versuchte sich auch Felice zu konzentrieren. Allerdings machte sie dabei ein Gesicht, als müsste sie unbedingt mal auf Toilette.
„Wieso funktioniert das bei mir nicht?“ knurrte sie sogleich.
Cassidy antwortete ihr nicht darauf.

Die Straße und die Häuser ringsum hatten sich mehr oder weniger aufgelöst und waren einem Wald gewichen.
Rechts und links standen mit einem Male mit Moos bewachsene hohe Laubbäume. Die Luft war warm und roch natürlich, so wie ein Wald für gewöhnlich duften sollte. Vögel waren zu hören und gelegentlich auch das ein oder andere Waldtier am Wegesrand zu sehen.
„Wo sind wir jetzt? Disneyland?“ brummelte Felice vor sich hin.
„Wir sind gleich da!“ meinte Cassidy nur und zeigte nach vorn.

Und mit einem Male tauchte vor ihnen, mitten im Wald eine Holzhütte auf. Sie schien schon ziemlich alt zu sein und wirkte nicht wirklich bewohnbar. Es gab keinerlei Anzeichen, dass dort überhaupt noch jemand darin wohnen würde.
„Wir habens geschafft!“ kam sogleich von Cassidy und sie wirkte erleichtert.
Ihre Freunde allerdings sahen nicht so optimistisch drein.


Ryker stoppte seinen Wagen und stieg aus.
Er wollte gerade auf das Haus vor sich zugehen, als sein Telefon klingelte. Er sah kurz drauf und war irritiert.
Es war nicht seine Arbeit.
„Ich hab gerade gehört, dass sie versucht haben Cassidy zu schnappen!“ bekam er gleich berichtet, noch ehe er fragen konnte, wer dran war.
Er war sich nicht sicher, wer wirklich am Telefon war, obwohl er die Stimme wiedererkannte.
„Hör zu!“ befahl der Mann am anderen Ende, „Sie konnte entkommen! Aber sie und ihre Freunde stecken nun in der anderen Welt und sie werden verfolgt!“
„Wie konnte sie wechseln?“ wollte Ryker wissen und obwohl er die Frage eher sich selbst gestellt hatte, bekam er eine Antwort.
„Weil sie es wollten!“
„Dann muss ich zurück!“ knurrte Ryker und ging wieder zu seinem Wagen.
„Wir sollten uns treffen! Es gibt ein paar Sachen, die ich dir zeigen muss!“ verkündete sogleich der Mann am anderen Ende, „Es geht um die Jäger!“
„Ich hoffe, du hast was zu melden, was ich noch nicht weiß!“ gab Ryker zurück und legte einfach auf.
Er setzte sich wieder hinter das Steuer und startete seinen Wagen. Er fuhr die Straße, die er gekommen war, wieder zurück und schon nach wenigen Meter hatte er wieder gewechselt.
Er war wieder in der anderen Welt. In der sogenannten Traumwelt.


„Du willst mir doch nicht vormachen, dass hier in dieser beschissenen Waldhütte jemand lebt!“ beschwerte sich Felice, als sie aus den Wagen aussteigen sollte, „Wer lebt hier? Irgendeine verkrüppelte alte Hexe?“
Cassidy zog eine Augenbraue nach oben und musterte ihre Freundin.
„Alles okay, mit dir?“ wollte sie dann wissen.
Felice antwortete nicht und stieg aus.
Ryan war ebenfalls ausgestiegen und wartete nun auf Cassidy, dass sie voran ging. Auch er hatte nicht die geringste Ahnung, was ihn hier erwarten würde.

Ohne ein weiteres Wort der Erklärung ging Cassidy auf die Hütte zu und klopfte dann an die Tür.
Als diese dann aufging, erwarteten Felice und Ryan schon irgendeinen Waldschrat oder eben eine alte buckelige Hexe.
Statt dessen aber stand in der Tür eine junge Frau mit langem dunkelblonden Haar und großen blauen Augen. Sie trug ein schwarzes Samtkleid, welches ihre Kurven gekonnt betonte.
Sie musterte die Besucher und grinste dann.
„Brisby, das hier sind Ryan und Felice!“ stellte Cassidy ihre Freunde vor.
„Schön!“ kam von der Frau und sie wich zur Seite, „Kommt rein!“

Stumm taten Ryan und Felice wie geheißen, traten ein und bleiben sogleich erneut stehen.
„Wie ist das möglich?“ staunte Felice und sah sich verwundert um.
Vor außen wirkte die Hütte wie irgendein verfallenes altes Bauwerk, welches den nächsten heftigen Windstoß nicht zu überleben schien. Innen allerdings wirkte es vielmehr wie eine geräumige Blockhütte mit einem Mittelalterlichen Touch.
An einer Wand hing ein gelber Schild mit roten Eichelblättern darauf und unter dem Schild zwei gekreuzte Schwerter. Davor eine mit Schaffell bedeckte Sitzbank und ein Tisch. Ein großes Gemälde einer undefinierbaren Landschaft zierte eine andere Wand, darunter ein niedriges Regal voller Bücher.
Eine Art hölzerner Altar und reichlich obskures Material war an die dritte Wand gestellt.
Obwohl der Raum nur ein kleines Fenster hatte, war es erstaunlich hell und warm.
„Die Magie der Träume!“ schmunzelte die Frau, als sie die erstaunten Blicke ihrer Besucher mitbekam.
„Sie sind … neu!“ gab Cassidy zu und musste selbst darüber ein wenig lächeln.

„Es ist schön, dich mal wieder zu sehen!“ kam von der Frau und sie fiel Cassidy um den Hals.
Diese war kurz erschrocken, ehe sie reagierte und eine Arm um ihre Freundin warf.
„Es ist gefährlich geworden!“ meinte dann die Frau und lies Cassidy wieder los.
„Ja!“ seufzte diese nur und ging ohne ein weiteres Wort zu der Sitzbank.
Die Frau folgte ihr sogleich und beide setzten sich, ohne auf die beiden erstaunten Besucher zu achten, die noch immer damit beschäftigt waren, alles anzusehen.

„Was hast du raus bekommen, Brisby?“ wollte Cassidy wissen.
Brisby wechselte kurz einen Blick mit den anderen beiden, die noch immer mitten im Raum standen und sie ebenfalls fragend ansahen.
„Dass du ganz schön im Schlamassel steckst!“ gab sie dann als Antwort.
„Das weiß ich auch!“ seufzte Cassidy nur und warf ihren Freunden einen Blick zu, der ihnen zu verstehen gab, dass sie sich endlich hinsetzen sollten.
„Ich meine, du steckst richtig tief im Schlamassel!“ wiederholte Brisby, „Du hast nicht nur einen Verfolger!“
Alle drei sahen sie irritiert an.
„Und warum verfolgen sie Cassie?“ wollte Felice wissen.
Und noch bevor Brisby darauf antworten konnte, stellte ihr Felice eine weitere Frage:
„Ist deswegen auch Chance verschwunden? Cassies Bruder?“
Brisby warf ihr kurz einen mitfühlenden Blick zu, ehe sie sich wieder an ihre Freundin wendete.

„Andrew und ich haben ein wenig herausgefunden!“ verkündete sie, „Und das ist vermutlich nicht gut!“
Nikita LaChance
Ritter
Ritter
 
Beiträge: 143
Registriert: So 27. Mär 2011, 09:30

Nächste

TAGS

Zurück zu Belletristik


Wer ist online?

0 Mitglieder

cron