AT: can't find my way home




Unterhaltungsliteratur in ihren verschiedenen Formen, wie beispielsweise Romane, Erzählungen, Kurzgeschichten, Berichte, Märchen und Sagen

AT: can't find my way home

Beitragvon Nikita LaChance » Fr 30. Sep 2011, 07:44

Kapitel I

Im Grunde hatte er sich das schön viel früher vorgenommen. Nur war dies damals mehr Wunschdenken gewesen.
Sich einfach auf das Motorrad setzten und auf dem State Highway entlang fahren. Einfach mal die Freiheit genießen und sich von nichts und niemanden stressen lassen.

Und vermutlich hätte er sich diesen Wunsch auch nie erfüllt, wenn alles andere in seinem Leben geklappt hätte.

Während er über den Highway fuhr und nebenbei den Beginn des Indian Summers genießen konnte, lies er seine Gedanken noch einmal schweifen.
An die letzten Tage.


Er war glücklich gewesen. Er hatte eine feste Freundin seit fünf Jahren und vor knapp einen halben Jahr hatten sie sich endlich verlobt. Er hatte einen guten wenn auch nervigen Job in einem Großraumbüro einer Werbefirma. Und eine schöne Wohnung mit Aussicht auf den Hafen, für die manch einer sogar eine Mord begehen würde.
Alles innerhalb weniger Stunden verloren.

Im Grunde wollte er nicht daran denken was geschehen war. Nur waren die letzten Tage eigentlich der Grund warum er sich nun mitten in der kanadischen Wildnis befand. Oder vielmehr auf dem State Highway ohne wirkliches Ziel herum fuhr.

Niemand hätte wohl damit gerechnet, was alles auf einmal passieren kann. Nicht einmal er selbst.
Er hatte immer geglaubt, dass seine Verlobte glücklich mit ihm sei.
Doch dem war scheinbar nicht so.
Andernfalls hätte sie ihn doch nicht mit betrogen? Mit seinem Chef!
Wie lange diese unfreiwillige Dreiecksbeziehung bestand, erfuhr er erst wenig später.
Nachdem er seine Verlobte mit seinem Chef in seiner Wohnung und seinem Bett erwischt hatte. Nachdem er seinem Chef einen gehörigen Kinnhaken verpasst hatte.
Und nachdem der ihn natürlich gefeuert hatte.

Über drei Monate hatte ihn seine Verlobte zum Narren gehalten.
Drei Monate, in denen er selbst noch von einer Zukunft mit ihr geträumt hatte. Von Kindern und einem eigenen kleinen Haus.
Andernfalls hätte er sich nicht so viele Überstunden aufbrummen lassen. Hätte soviel Geld gespart und seine eigenen Träume und Wünsche immer nach hinten angestellt.

Nun war er alles los.
Seine Verlobte, die nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte.
Seinen Job, da er, wie es sein Chef ausdrückte, seine Emotionen nicht im Griff habe. Und vor allem weil er seinen Chef angegriffen hatte.
Und seine Wohnung. Dummerweise hatte er sie damals auf seine Verlobte schreiben lassen.
Allerdings hatte er auch kein Interesse daran, weiterhin dort zu wohnen.

Er hatte seine Sachen gepackt und musste feststellen, dass dies nicht wirklich viel war.
Danach hatte er erst seinen besten Freund angerufen, der ihm angeboten hatte, dass er zu ihm kommen könnte.
Die Idee wieder gemeinsam irgendwas zu unternehmen gefiel. Zu lange hatten sie sich nicht mehr gesehen. Es war immer irgendetwas dazwischen gekommen, sodass sie anstatt sich gegenseitig zu besuchen, nur per Telefon oder E-Mail austauschten.
Und dann, nachdem er seinem Freund erklärt hatte, dass er einige Zeit für sich allein haben wolle, bevor er zu ihm käme, hatte er seine Mutter angerufen.

Und die, war natürlich nicht ganz so verständnisvoll.
Es ging ihr dabei weniger um den verlorenen Job oder die geplatzte Verlobung.
Ihr behagte es nicht, dass ihr Sohn, obwohl längst über dreißig, vorhatte für einige Zeit auf dem Motorrad durch die Gegend zu fahren.
Sie wollte sich auch nicht beruhigen, als er ihr versprach, sie jeden zweiten Tag anzurufen. Auch nicht, als er ihr anbot, sie zu besuchen.
Irgendwann aber gab sie nach und bestand darauf, dass er seine Versprechen einhielte.

Bevor er aufgebrochen war hatte er zwei Kisten mit einigen seiner wenigen Besitztümer, wie Bücher, die er unbedingt behalten wollte oder CDs, Fotos und einigen Kleidungsstücken, per Post zu seinem Freund geschickt, der die Sachen für ihn verwahren wollte.
Seine alten Anzüge und Kleidungsstücke, die seine ehemalige Verlobte ihm geschenkt hatte, hatte er zusammen mit einigen anderen Dingen, die er selbst nicht mehr behalten wollte verkauft.
Einzig einen großen Rucksack mit einigen Wechselkleidern und einem Schlafsack für alle Fälle führte er mit sich.

Sein Motorrad hatte er vor Jahren schon erstanden. Doch die meiste Zeit hatte es ungenutzt in einer extra angemieteten Garage gestanden, da er nie Zeit für eine Ausfahrt hatte. Er hatte lediglich wenige Stunden in der Woche damit verbracht sein Motorrad zu pflegen.


Und nun war der beste Zeitpunkt.
Das alte Leben hinter sich zu lassen und ein neues zu beginnen.
Job und Verlobte vergessen und einfach die pure Freiheit genießen.

Und während er so dahin fuhr, vorbei an bunten Wäldern, kleinen Farmen und Feldern, versuchte er die Vergangenheit hinter sich zu lassen und nicht an Morgen zu denken.

Denn Morgen kann noch viel passieren!
Zuletzt geändert von Nikita LaChance am Fr 7. Okt 2011, 07:43, insgesamt 1-mal geändert.
Nikita LaChance
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von Anzeige » Fr 30. Sep 2011, 07:44

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Re: AT: can't find my way home

Beitragvon Nikita LaChance » Fr 30. Sep 2011, 07:45

Kapitel II

Brandon war gerade mal drei Tage auf seinem Motorrad unterwegs, als er zum ersten Mal Zweifel an seinem Vorhaben hatte.
Nicht nur, dass er sich daran gewöhnen musste, dass er nicht mehr so früh aufstehen und zur Arbeit hetzen musste. So war es für ihn total ungewohnt solange auf dem Motorrad zu sitzen. Und noch ungewohnter war es für ihn, nicht daheim in seinem Bett zu schlafen.

Am ersten Abend hatte er ein kleines Motel am Straßenrand gefunden.
Das Zimmer war günstig und sauber. Aber es war nicht sein zu hause und in einem fremden Bett unter einem fremden Dach zu einzuschlafen fiel ihm schwer.
Gleich nach dem Frühstück in dem zum Motel gehörenden Diner, war er wieder aufgebrochen.
Immer weiter auf dem Highway entlang.

Den zweiten Abend hatte er, lange nachdem die Sonne untergegangen war, einen Unterschlupf in einer alten und halb verfallenen Hütte gefunden.
Es war lange her, dass er draußen gecampt hatte und so war die Nacht in dem Schlafsack für ihn ungewohnt.
Ebenso wie die Geräusche.

Den dritten Tag war er im Grunde so müde, dass er hätte wollen noch viel länger schlafen. Wenn denn nicht plötzlich ein Waschbär Interesse an seinem Rucksack gezeigt hätte.
Erschrocken von dem wilden Kerlchen und besorgt darüber welche größeren Tiere nun noch auftauchen könnten, hatte er seine Sachen hastig zusammen gepackt und sich wieder auf sein Motorrad geschwungen.
Im Nachhinein und einige Kilometer später, musste er über sich selbst lachen.
Nicht nur, dass er sich hatte von einem Waschbären erschrecken lassen, so hatte er sich doch eigentlich für viel mutiger gehalten.

Nach einer Weile bemerkte er, dass auf dem Highway nun etwas mehr Verkehr war. Ein Zeichen dafür, dass er ganz in der Nähe einer Stadt sein musste.
Und schon wenig später konnte er die ersten Häuser erkennen.

Erleichtert und noch immer todmüde bog er ab und fuhr in die Stadt.
Sie sah genauso aus, wie die wenigen kleinen Städte, die er bisher schon in den letzten beiden Tagen durchquert hatte.
Eine typische Kleinstadt, mit einer Hauptstraße und alten Häusern.

Er hielt am nächstbesten Diner.
Keiner der Anwesenden schenkte ihm ein besonderes Interesse.
Es war nicht ungewohnt für sie, dass ein Reisender durch die Stadt fuhr. Und wie er schon beim Abstellen seines Motorrades bemerkt hatte, war er auch nicht der einzige, der auf einem Zweirad unterwegs war.

Brandon suchte sich einen ruhigen Platz am Fenster. Mehr oder weniger wollte er sein Motorrad nicht unbeaufsichtigt lassen und zugleich wollte er sich nicht an einen der volleren Tische setzten, an denen wild herum diskutiert wurde.
Vielleicht nur zehn Mann waren in dem Diner, einschließlich der Bedienung und dem Koch, der gelegentlich mal seinen Kopf durch den Durchreiche steckte und sich lautstark mit der Bedienung unterhielt.


„Was kann ich dir bringen, Süßer?“ wollte die Bedienung wissen und riss Brandon aus seinen Gedanken. Sie war um die Vierzig und ähnelte den Bedienungen, wie man sie aus alten Filmen her kannte, mit hellem Kleid, einer weißen Schürze, in der Schreibblock und Stift steckten, sowie einem Dutt.
„Ein Kaffee, schwarz!“ kam etwas müde von Brandon, „Und ein Frühstück?“
Sie kritzelte nur kurz auf ihren Notizblock und nickte. Dann rief sie dem Koch zu, dass er noch einmal ein Frühstück zaubern solle, ehe sie eine große Tasse schwarzen Kaffee holen ging.
„Hier, Süßer!“ meinte sie zu Brandon, lächelte zuckersüß, stellte ihm die Tasse auf den Tisch und ging zum nächsten Kunden.

Während er auf sein Frühstück wartete und an seinem bitteren Kaffee nippte, sah er aus dem Fenster.
Ein großer Truck hielt vor dem Diner und ein stämmiger Fahrer kletterte aus der Fahrerkabine. Doch anstatt zum Diner zu kommen, ging der Fahrer um den Motorblock herum und öffnete die Beifahrertür. Er wartete ungeduldig.
Und schon wenig später stieg eine junge Frau aus dem Truck mit einem Rucksack in der Hand.
Sie machte einen ebenso müden Eindruck wie Brandon sich im Moment fühlte.

Der Fahrer gestikulierte mit den Händen herum. Was er zu der Frau sagte, verstand Brandon nicht. Aber anscheinend schien das Gespräch nicht gut zu verlaufen, da sie ziemlich mürrisch drein sah.
Dennoch kam das ungleiche Paar auf das Diner zu. Nur diesmal hielt der Fahrer nicht die Tür auf.
Während er zielstrebig auf die Toiletten zusteuerte und gleichzeitig einen Kaffee bestellte, ging sie zur Theke und setzte sich zwischen zwei ältere Herren, die wortlos den Inhalt ihrer Tassen studierten.

Endlich kam auch das bestellte Frühstück, Pancakes mit Sirup und Eier mit Speck, und Brandon konnte sich anderem zuwenden als die ganze Zeit aus dem Fenster zu starren oder sich über das seltsame Pärchen zu wundern, was soeben das Diner betreten hatte.

Die Bedienung schien jeden mit „Schätzchen“ oder „Süßer“ anzureden. So auch die junge Frau, die erst nach einer Portion Schinken mit Speck fragte und dann ob es irgendeine Mitfahrgelegenheit gäbe.
Die Bedienung zuckte kurz mit den Schultern und wies dann auf einen Herren, der etwas abseits von allen saß und fast schon ein wenig deplatziert wirkte mit seinem fast schon spießbürgerlichen Aussehen.
Brandon selbst hatte ihn auch erst bemerkt, als die Bedienung auf ihn gezeigt hatte.

Nach seinem Frühstück, machte Brandon sich auf die Suche nach einer Möglichkeit seinen verloren gegangenen Schlaf nachzuholen. Die Nacht war definitiv zu kurz gewesen und er brauchte neben einem Bett auch eine erfrischende Dusche.
Zu seinem Glück fand er beides in der Herberge unweit von dem Diner entfernt. Es lohnte sich nicht, dafür erst sein Motorrad anzuwerfen und so schob er es die wenigen Meter.

Kaum bei der Herberge angekommen, hörte er den Truck wieder losfahren.
Soweit er erkennen konnte war der Fahrer allein in seiner Kabine. Und als Brandon sich nochmals zu dem Diner umsah, konnte er sehen, dass die junge Frau nun in den etwas älteren und biederen Wagen des merkwürdigen Mannes aus dem Diner setzte und der Wagen mit den beiden auf den Highway fuhr.

Für einen Moment sah er dem Wagen hinterher, der in der Richtung entschwand, in die auch er nach einigen Stunden Schlaf fahren wollte.
Brandon fragte sich, wieso er sich Gedanken um die ihn unbekannte junge Frau machte. Wieso glaubte er, dass es zu gefährlich sei, dass sie per Anhalter herum fuhr?

Den Gedanken verlor er wieder, sobald er unter der Dusche stand.
Es fühlte sich gut an, den Staub der letzten Tage von sich zu waschen. Und noch besser fühlte es sich an, endlich in einem richtigen Bett zu schlafen.


Am vierten Morgen, nach seiner Flucht aus seinem bisherigen Leben, war er so ausgeruht wie seit Tagen nicht mehr. Zwar war er mehrmals zwischen drin wach gewesen, aber er hatte recht schnell seinen Schlaf wieder gefunden.
Und falls er einen bösen Traum gehabt hatte, so hatte er ihn längst wieder vergessen.
Nun, nachdem er ausgiebig gefrühstückt, sich Proviant gekauft und sein Motorrad vollgetankt hatte, war er nun wieder auf dem Highway.

Und wieder glitten seine Gedanken davon, so wie die Landschaft. Er konnte wieder vergessen was war und was sein könnte.
Er genoss einfach nur das Gefühl der vollkommenen Freiheit.


Immer wieder kam er an kleinen Siedlungen oder Städten vorbei. Nur einmal hielt er kurz in einer Kleinstadt, um erneut zu tanken und zu essen.
Doch ansonsten fuhr er einfach nur immer die Straße entlang.

Allmählich brach die Nacht ein und Brandon fragte sich, ob er die Nacht wieder im Freien oder in einem Motelbett verbringen würde.
Er hatte sich vor seinem Reiseantritt weder eine Landkarte gekauft noch hatte er sich vorher einen Plan gemacht, welche Städte er durchqueren würde.
Es war also eine vollkommene Überraschung, wie er die Nacht verbringen würde.

Und genauso überraschend war es auch, als er vor sich am Straßenrand jemanden gehen sah.
Im ersten Moment konnte er nicht ausmachen, ob dort wirklich jemand entlang lief oder ob dort vielleicht eine Lumpenpuppe oder dergleichen hingestellt worden war.
Aber je näher er kam, um so deutlicher konnte er es erkennen.

Brandon fuhr an dem Wanderer vorbei. Doch der sah nicht einmal auf, so als habe er das Motorrad nicht mitbekommen.
Verwundert über die Gestalt sah Brandon immer wieder in den Rückspiegel seines Motorrads.
Er bemerkte, dass neben dem Wanderer, der sich in seine grüne, fast schon übergroße Jacke eingemummelt hatte und nur vor sich auf den Boden starrte, eine zweite Person ging, die lediglich ein T-Shirt und eine zerschlissene Jeans trug, so als würden ihr die nächtlichen Temperaturen der Gegend nichts ausmachen, und wild gestikulierte.

Brandon fuhr noch ein wenig weiter, ehe er plötzlich anhielt und erneut in den Rückspiegel sah.
Er war soweit gefahren, dass von den beiden Wanderern nur noch kleine Punkte in seinem Spiegel zu erkennen waren.
„Was soll der Scheiß?“ knurrte Brandon zu sich. Er hatte nicht die leiseste Ahnung warum er überhaupt angehalten hatte.
Worauf wartete er?
Vielleicht eine Bestätigung darauf, dass er, als er an dem merkwürdigen Wanderer vorbeigefahren war, nur eine Person gesehen hatte? Wieso konnte er dann im Spiegel zwei Leute sehen?

Da er nun schon einmal angehalten hatte, holte er sich seine Trinkflasche hervor und genoss sein Wasser, welches natürlich längst nicht mehr so frisch schmeckte, wie am Anfang.
Immer wieder warf er einen Blick in seinen Rückspiegel.

Immer noch waren darin zwei Leute zu erkennen. Eine Person warm eingepackt und mit Rucksack auf dem Rücken und eine Person in dünner Kleidung.

Brandon packte seine Trinkflasche wieder weg und schulterte seinen Rucksack wieder und wollte sein Motorrad wieder anwerfen, als er abermals in seinen Rückspiegel sah.
Beide Wanderer waren nun viel näher gekommen, wenngleich noch immer nicht nah genug um sie genau zu erkennen.
Er schüttelte kurz den Kopf über die Irren, die den Highway zu Fuß überqueren wollten, als er bemerkte, wie einer der beiden Wanderer aus seinem Spiegel verschwand.

Es war nur noch die Person in der grünen Jacke zu sehen. Und als sich Brandon erstmals nach ihr umsah, konnte er erkennen, dass wirklich nur eine Person auf der Straße entlang ging.
Irritiert sah er zurück in den Spiegel.
Und erschrak.

Ein fremdes Gesicht starrte ihm aus dem Spiegel entgegen und grinste.
Doch innerhalb weniger Sekunden war das fremde Gesicht verschwunden und gab wieder einen Blick auf den Wanderer frei, der immer näher zu dem Motorrad kam.

Jetzt konnte Brandon den einsamen Wanderer genauer erkennen.
Es war das Mädchen aus dem Diner. Ihre langen Haare hatte sie unter der Kapuze ihrer Jacke versteckt. Mit ihren Händen hielt sie die beiden Träger ihres Rucksacks fest.
Sie sah erst auf, als sie nahe genug heran gekommen war, um ihn zu sehen. Und wirkte ebenfalls irritiert, jemanden auf der Straße anzutreffen.
Sie ging dennoch einfach immer weiter. Kam auf Brandon zu und ging ohne ein weiteres Wort an ihm vorbei.

Brandon war irritiert und sah sich erneut um.
Er war sich sicher, dass sie ihn gesehen hatte. Schließlich hatte sie ihm doch zugelächelt. Oder?
Doch warum hatte sie ihn nicht gefragt, ob er sie mitnehmen könnte?
Wollte sie wirklich weiter die Straße entlang laufen?

„Hey!“ rief er ihr hinterher und war selbst überrascht darüber, „Wieso läufst du hier lang?“
Sie stoppte, drehte sich zu ihm um und sah ihn fragend an.
„Ich meine, ...“ Ehrlich gesagt hatte Brandon keine Ahnung, was er sie fragen wollte.
Sie schmunzelte nur und schüttelte leicht den Kopf.
„Warst du nicht mit so ´nem Kerl unterwegs? In einem Auto?“
Sie nickte und sah sich um, so als suche sie nach jemanden oder etwas.
„Du weißt schon, dass es gefährlich ist hier rum zulaufen? Oder per Anhalter zu fahren!“ meinte Brandon.
„Irgendwie muss ich aber rumkommen, oder?“ kam von ihr.
„Ja, aber …!“ fing Brandon an und wunderte sich selbst, dass er sich so viele Sorgen um sie machte. Er kannte sie ja noch nicht einmal.

Sie schüttelte nur den Kopf, drehte sich um und ging einfach weiter die Straße entlang.
Erneut blickte sich Brandon um. Es sah nicht so aus, als würde in den nächsten Stunden ein Wagen über den nächtlichen Highway fahren und eine Stadt oder überhaupt irgendein Haus war nicht zu erkennen.
„Warte doch mal!“ rief er ihr hinter her und erneut blieb sie stehen und drehte sich zu ihm um.
„Ich kann dich mitnehmen, wenn du willst!“ meinte Brandon und wies auf sein Motorrad.
Sie schien kurz darüber nachzudenken.
„Bis in die nächste Stadt!“ bot er an, „Ist besser, als die ganze Zeit zu laufen!“

Das schien sie zu überzeugen, denn sie kam zu ihm und seinem Motorrad zurück.
„Wär nicht mehr weit gewesen!“ meinte sie, kaum, dass sie neben ihm stand.
„Wie?“
„Knapp fünfzehn Kilometer, dann kommt die nächste Stadt!“ erklärte sie und zeigte in die Richtung, in die sie hatte gehen wollen.
„Und die wolltest du laufen?“
Sie nickte nur und wartete.
„Was ist mit dem Kerl passiert? Warum bist du zu Fuß unterwegs?“ wollte Brandon irritiert wissen.
„Tja, der war nicht so fromm, wie er sich ausgab! Und als er nicht bekam, was er wollte, hat er mich aus dem Wagen geschmissen und ist ohne mich weiter!“ antwortete sie mit einem müden Lächeln.
Brandon nickte nur und musterte sie.
Natürlich war sie für jeden eine leichte Beute. Sie sah auch nicht so aus, als könne sie sich großartig gegen irgendwen zur Wehr setzten, wenn er über sie herfiel.

„Soll ich dich nun mitnehmen?“ fragte er erneut.
Abermals suchte sie die Straße mit den Augen ab und schien irritiert, dass niemand sonst da war.
„Ich fall auch nicht über dich her!“ versprach Brandon.
Sie sah ihn mit großen Augen an.
Und nach einigen Sekunden nickte sie.
Brandon musste feststellen, dass seine Idee, jemanden auf seinem Motorrad mitzunehmen, wenn er doch selbst schon einen Rucksack auf dem Rücken trug, etwas schwierig war.
Er schnallte sich den Rucksack nach vorn vor den Bauch, was bei weitem nicht so bequem war, damit sie sich hinten auf den Sozius setzen konnte. Allerdings musste sie zusätzlich zu ihrem Rucksack sich nun auch noch seinen zusammengerollten Schlafsack umhängen.

„Los geht’s!“ verkündete Brandon und startete den Motor seiner Maschine, „Festhalten!“
Er war sich bewusst, dass wenn er diese Aktion am helllichten Tage durchgeführt hätte, ihn mit Sicherheit ein Polizist angehalten hätte.
Denn immerhin war seine unbekannte Beifahrerin ohne Helm unterwegs. Und was seinen Rucksack vor dem Bauch anging, so war er sich nicht sicher, ob dies nicht auch verboten war.

Er spürte ihre Hände, die sich unter seinen vorn umgeschnallten Rucksack, um ihn geschlungen hatten und ihr Gesicht welches sie zwischen seine Schultern gepresst hatte.
Und für einen Moment stellte er sich vor, dass sie nicht die unbekannte Anhalterin sei, sondern seine Verlobte, mit der er vor langer Zeit hatte zusammen auf dem Motorrad herum reisen wollen.
Und wieder verlor er sich in den Gedanken an eine Zeit, die er eigentlich vergessen wollte.

„Wir sind gleich da!“ kam etwas müde von ihr.
Hätte sie nichts gesagt, wäre er vermutlich vorbeigefahren.
Doch nun konnte er die Lichter der Kleinstadt ebenfalls erkennen. Und auch das erste Motel war bereits in Sichtweite.
Nikita LaChance
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Re: AT: can't find my way home

Beitragvon Nikita LaChance » Fr 7. Okt 2011, 07:45

Kapitel III

knapp vier Monate zuvor

„Die Party war klasse! Und Magret! Oh man, die kann vielleicht Geschichten erzählen!“ Nur halbherzig hörte Louis seiner Freundin zu, die den ganzen Abend noch einmal in großen Worten Revue passieren lies, so als sei er selbst nicht gerade noch dabei gewesen.
Außer einem gelegentlichen Nicken oder einem Geräusch, welches schon vielmehr einem Grunzen gleichkam, gab er nichts von sich und versuchten sich auf die Straße zu konzentrieren.
Im Grunde brauchte er sich um den Straßenverkehr keinen großen Kopf machen.
Es war weit nach Mitternacht und kaum ein Auto war noch unterwegs.

Während seine Freundin noch weiter fleißig erzählte, mit wem sie alles geredet hatte und wen sie unmöglich fand, bemerkte Louis am Straßenrand etwas.
„Was ist?“ wollte seine Freundin auf einmal wissen, als sie bemerkte, dass er langsamer wurde und angestrengt zu erkennen versuchte, was vor ihm war.
„Das ist doch nur ein Betrunkener!“ schimpfte sie dann und wollte schon erneut weiter plappern, als er den Kopf schüttelte und das Tempo noch weiter drosselte.
„Da stimmt irgendwas nicht!“ meinte Louis nur.
Nun starrte auch seine Freundin angestrengt auf die merkwürdige Gestalt, die am Straßenrand entlang ging und stolperte. Und hinfiel.
„Das ist nur ein Säufer!“ wiederholte sie und beobachtete, wie die Figur, die noch zu weit entfernt war, um sie genauer zu erkennen, versuchte wieder aufzustehen.

Louis hielt den Wagen an und starrte angestrengt nach draußen.
„Fahr weiter!“ quengelte seine Freundin, konnte ihren Blick aber selbst nicht von der Szene vor sich abwenden.
Wieder stolperte die Figur und mühte sich krampfhaft wieder auf. Diesmal allerdings schienen die Bemühungen, wieder auf die Beine zu kommen, schwerer zu sein.
Und nur wenige Schritte weiter, ging sie erneut zu Boden.

Obwohl seine Freundin noch immer protestierte, stieg Louis aus dem Wagen und ging langsam zu dem vermeintlichen Betrunkenen hin. Louis´ Freundin stieg ebenfalls aus dem Wagen, zum Einen aus Neugier und zum Anderen aus Angst um Louis.
Sie bemerkte auch als erste die merkwürdige Spur, die zu der nun sitzenden Figur führte.
„Louis!“ rief sie, „Wir sollten hier verschwinden!“
Sie bekam Panik. Auch wenn sie in dem schwachen Licht ihres Wagens kaum erkennen konnte, was das für merkwürdige dunklen Flecken waren, die auf dem Fußweg waren.
Louis ignorierte sie. Oder versuchte es zumindest. Aber auch er hatte die merkwürdige Spur entdeckt. Und je näher er der Figur vor sich kam, um so mehr Panik überfiel ihn.

„Hey, alles in Ordnung?“ Er wusste, dass dies eine ziemlich dumme Frage war. Aber er konnte nicht anders.
Er war nun noch zwei Schritte von der Gestalt entfernt, die sich wieder aufgerafft hatte und auf unsicheren Beinen stand.
Louis konnte erkennen, dass das Wesen vor ihm nur in T-Shirt und Jeans war. Barfuß.
Aber das was er noch erkennen konnte, machte ihm noch viel mehr Angst.
„Was ist passiert?“ wollte er wissen und tat den letzten Schritt nach vorn.
Er stand nun neben der Gestalt und erschrak.

„Ruf einen Krankenwagen!“ schrie er seiner Freundin zu, die noch immer hinter ihm stand. Vor Angst und Aufregung zitternd.
Es schien einen Moment zu dauern, ehe sie ihn verstanden hatte und dann kam sie seiner Aufforderung nach. Sie stotterte in ihr Handy, nannte lediglich die Straße und dass sie und ihr Freund jemanden gefunden hätten, der verletzt zu sein schien.

Louis versuchte unterdessen, die Aufmerksamkeit der Gestalt vor sich zu erhalten.
„Hey!“ Er musste sich zusammenreißen, nicht zu laut zu sprechen und vielleicht das verletzte Wesen vor sich zu erschrecken.
Noch einmal musterte er es.
Nur langsam hob es seinen Kopf und sah ihn irritiert an.
„Hilfe ist unterwegs!“ meinte Louis nur.
Seine Freundin war nun auch näher getreten und wurde immer blasser.
„Was ist mit ihr passiert?“ wollte sie wissen, wobei ihre Stimme vielmehr einem Flüstern glich.

Louis und seine Freundin starrten ungläubig einer jungen Frau entgegen. Ihre Kleidung wie auch ihre Haare waren blutig. Im Grunde war alles an ihr blutig.
Die Unbekannte taumelte kurz und versuchte einen Schritt nach vorn zu machen. Irgendwas schien sie anzutreiben, obwohl sie zu geschwächt schien.
Doch wieder strauchelte sie und ihre Beine gaben nach.
Louis griff sie am Arm und verhinderte, dass sie zu Boden ging.
Nur hatte er nicht damit gerechnet, dass er mehr oder weniger in offene Wunden und Blut greifen würde.
Vorsichtig lies er die junge Frau zu Boden gleiten, wobei er selbst mit auf die Knie ging.
Selbst seine Freundin ging mit in die Hocke.
Ungläubig starrte sie die Frau an.
„Hilfe kommt schon!“ versicherte sie ihr und strich ihr eine klebrige Haarsträhne aus dem Gesicht.

Während Louis und seine Freundin den Krankenwagen kommen hören konnten, verlor die junge Frau ihr Bewusstsein und hing ziemlich leblos in Louis Armen.

Die Sanitäter kamen gleich angerannt, sobald ihr Wagen zum Halten kam.
Zwei Männer nahmen Louis die Frau ab und schoben ihn zur Seite. Während die beiden mit ihrer Untersuchung begannen, kam ein dritter auf Louis und seine Freundin zu und wollte von ihnen wissen, was passiert sei.
Die beiden konnten nicht viel erzählen und der Mann nickte nur irritiert.
Die Sanitäter, die sich um die Frau kümmerten kommentierten lautstark ihre Vermutungen.
„Wir sollten schnellstens ins Krankenhaus mit ihr!“ meinte einer und zusammen mit seinem Kollegen packten sie die Bewusstlose auf eine Trage und in den Krankenwagen.

In der Zwischenzeit hatte die Zentrale auch einen Polizeiwagen vorbei geschickt und gleich zwei Polizisten versuchten mehr herauszufinden. Einer der beiden fragte kurz einen der Sanitäter, während der zweite die Aussage von Louis und seiner Freundin aufnahm.


Für Louis und seine Freundin würde diese Nacht negativ in Erinnerung bleiben. Sie wussten nicht was geschehen war. In dem einen Moment waren sie noch aufgedreht von der Feier mit ihren Freunden und im nächsten Moment haben sie ein vermutliches Unfallopfer oder Opfer eines Gewaltverbrechens, so wie es der Polizist ausgedrückt hatte, gefunden.

Für die junge Frau allerdings war die Nacht noch nicht vorbei.
Gleich zwei Mann versuchten sie im Krankenwagen weitestgehend zu versorgen.
„Sie hat eine Menge Blut verloren!“ kommentierte der eine Mann und legte eine weitere Wundkompresse auf, „Ich versteh nicht, dass sie soweit laufen konnte!“
Die Sanitäter wussten nicht darüber wie genau man ihre Patientin gefunden hatte oder wie lange sie schon in diesem Zustand war. Aber einer der Polizisten hatte entdeckt, dass die Blutspur, die sie hinterlassen hatte, fast einen Kilometer weit reichte.
„Vermutlich der Schock! Ist so wie mit dem Typen, der mit nem Messer im Kopf herum lief. Der hat noch nicht mal mitbekommen, dass er verletzt war. Erst als es ihm einer gesagt hat.“ versuchte der andere Sanitäter einzubringen.

„Ja, aber was ist mit ihr passiert? Ich meine, wie ...“ Weiter kam der Mann nicht.
Sie war wieder aufgewacht und sah ihn mit großen müden Augen an.
Sie schien nicht wirklich mitzubekommen, was vor sich ging und versuchte sich aufzusetzen. Allerdings gelang ihr dies nicht. Nicht nur, dass sie zu schwach war, so war sie doch aus Sicherheitsgründen auf der Trage festgeschnallt.
„Es ist alles Okay!“ versicherte der Sanitäter ihr.
Und ihre Augen fielen wieder zu.


Es vergingen knapp zwei Wochen ohne dass sie wieder aufwachte.
Die Polizei tappte noch immer im Dunkeln, was ihre Identität anging. Die Frau hatte keine Papiere bei sich gehabt, die sie irgendwie ausweisen hätten können.
Man hatte alles versucht. Die Vermisstendatenbank durchgesehen, ihr Foto an einige Zeitungen geschickt und die Leute der Gegend befragt, in der man sie gefunden hatte. Doch niemand schien sie zu kennen. Und auch der Versuch sie anhand medizinischer Daten zu identifizieren missglückte.
Genauso wenig hatten die Polizisten herausgefunden, was geschehen war.
So hatten sie ein namenloses Opfer, wobei sie noch nicht einmal wussten, was genau geschehen war.
Zuletzt geändert von Nikita LaChance am Fr 14. Okt 2011, 08:22, insgesamt 1-mal geändert.
Nikita LaChance
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Re: AT: can't find my way home

Beitragvon Nikita LaChance » Fr 7. Okt 2011, 07:45

Kapitel IV

Das Erste, was sie hörte war ein nerviges Piepsen. Und dann noch das eigenwillige Geräusch einer Maschine, die klang als würde man eine große und schwere Luftpumpe betätigen.
Während das Piepsen mit der Zeit immer schneller zu werden schien, verhielt sich das zweite Geräusch gleichbleibend.

„Jane Doe!“ hörte sie eine Stimme sagen, „Was für´n beschissener Name!“
Sie brauchte einen kurzen Moment, ehe sie die Worte verstand. So als müsste sie ihr Hirn auf die richtige Sprache einstellen.
Sie versuchte ihre Augen zu öffnen. Es fiel ihr schwer, so als habe man ihre Augenlider fest verklebt.
Und obwohl sie sich fühlte, als habe sie sehr lange geschlafen, war sie doch zu müde um aufzuwachen. Und zu schwach.

Nur langsam flogen ihre Augen auf. Anfangs war der Raum zu hell und alles unscharf.
Doch nach einem kurzen Moment erkannte sie neben ihrem Bett die Maschinen. Ein Monitor, der ihre Herzfrequenz anzeigte und dabei dieses nervige Piepsen von sich gab und daneben ein Beatmungsgerät. Ursache für das zweite Geräusch.

„Wow!“
Verwirrt sah sie sich nach der Stimme um.
„Wusste nicht, dass ich ein Dornröschen wecken kann!“
Vor ihrem Bett stand ein Mann, Anfang Dreißig. Sein kurzes blondes Haar war ein wenig zerzaust und seine Kleidung zerknittert.
Sie sah ihn nur müde an und versuchte sich zu erinnern, wer er war.

Doch noch ehe sie genauer nach grübeln konnte, versank alles um sie herum wieder in Dunkelheit.
Der Piepton verschwand, genauso wie der Mann und der Raum um sie herum.


Als sie erneut aufwachte, bemerkte sie als erstes, das der Druck in ihrem Hals weniger geworden war. Dennoch schmerzte es beim Atmen, so als leide sie seit Tagen unter einer schweren Halsentzündung.
Sie bemerkte auch, dass irgendetwas an ihrer Nase klebte. Und auch in ihrem Arm.
Irgendwie schien sie mit einem Male alles Mögliche zu bemerken.
Die Bettdecke, die einerseits frisch gewaschen roch, aber andererseits zu sauber roch. Genauso wie der Raum, der regelrecht nach Desinfektionsmitteln stank. Die Kleidung war kratzig. Und die Luft schmeckte eigenartig.

Sie sah sich um. Konnte aber nicht erkennen, wo genau sie war.
Die Beatmungsmaschine neben ihrem Bett war verschwunden. Aber der Monitor, der noch immer ihre Herzfrequenz anzeigte, die langsam ein wenig anstieg, hing noch immer an seinem Platz. Gnädigerweise schien jemand den Ton abgedreht zu haben.

Eine ältere Dame im Kittel kam in den Raum. Sie schritt wortlos ans Bett und nahm das Notizbrett, welches am Fußende hing in ihre Hand um es zu studieren.
Dann sah sie kurz zu der Patientin und ein freundliches Lächeln trat in ihr Gesicht. Deutlich war zu erkennen, dass dies zum Großteil gespielte Freude war. Ein antrainiertes Lächeln.
„Schön!“ meinte sie, steckte das Notizbrett zurück an seinen Platz und drehte sich wieder zur Tür.
„Der Doktor wird gleich vorbei kommen!“ gab sie noch von sich, bevor sie das Zimmer wieder verließ.

Der Doktor, ein etwas älterer Herr, der vielmehr wie ein Professor aus alten Filmen wirkte, war nur wenig später im Zimmer, in Begleitung einer Krankenschwester.
Noch bevor er überhaupt irgendetwas sagte, kontrollierte er die Daten auf dem Notizblatt der Patientin vor sich und warf einen Blick auf den Herzmonitor.
„Wir haben uns schon Sorgen um Sie gemacht!“ meinte er dann und trat etwas näher, sodass er nun neben dem Bett stand.

Er bemerkte ihre Verwirrung und ihren Versuch sich aufzusetzen, sowie den Versuch irgendetwas zu sagen.
„Sie sollten noch ein wenig vorsichtig sein!“
Er sah sie besorgt an, so als müsse er überlegen, ob er ihr mehr über ihren Zustand verraten könnte oder ob es sie zu sehr belasten könnte.
„Wissen Sie noch was passiert ist?“ wollte er von ihr wissen.
Sie schüttelte nur ihren Kopf und sah ihn mit großen Augen an.
„Wissen sie, wo sie sind?“
Wieder ein Kopfschütteln ihrerseits.
Er atmete tief durch.
„Man fand Sie vor zwei Wochen schwer verletzt auf. Sie waren nicht mehr ansprechbar. Wir mussten Sie operieren und …“
Sie sah ihn nur mit großen Augen an und schien nicht wirklich mitzubekommen, was der alte Mann vor ihr von sich gab.
Er redete irgendetwas von einem schweren Schädeltrauma und von inneren Verletzungen. Sie habe mehrere Schnittwunden und Prellungen erlitten.

„Sie können sich wirklich an nichts erinnern?“ wollte er erneut wissen.
Und wieder schüttelte sie nur den Kopf.
„Können Sie sich an ihren Namen erinnern? Oder an irgendwen, den wir benachrichtigen können?“
Sie lies ihren Blick von dem Arzt vor ihr auf die Krankenschwester und wieder zurück wandern.
„Nein!“ gab sie schwach von sich.
Der Arzt musterte sie noch einmal und warf der Schwester einen seltsamen Blick zu.
„Gut! Sie sollten sich ein wenig ausruhen!“ meinte er dann zu seiner Patientin, „Ich werde später noch einmal nach Ihnen sehen!“
Damit ging er wieder, gefolgt von der Krankenschwester.

„Das ist ja mies!“
Der Blonde war zurück und stand mit vor der Brust verschränkten Armen in der offenen Tür.
Er musterte sie kurz und drehte sich wieder um und ging, noch ehe sie fragen konnte, wer er war.


Die Zeit verging schnell. Allerdings bekam sie auch nicht wirklich viel von dem Tag mit, denn kurz nachdem ihr Arzt gegangen war, war sie auch schon wieder eingeschlafen.
Und auch die nächsten Tage verbrachte sie mehr oder weniger schlafend.
Anfangs hatte man sie immer wieder gefragt, ob sie sich an irgendetwas erinnern könnte. Ob sie einen Unfall hatte oder ob sie vielleicht überfallen worden sei.
Die wichtigste Frage allerdings war immer wieder gewesen, wer sie sei. Und so sehr sie sich auch anstrengte, sie konnte sich an keinerlei Dinge erinnern, die vor dem Krankenhausaufenthalt gewesen waren. Sie konnte sich noch nicht einmal erinnern, wie sie überhaupt ins Krankenhaus gekommen war.

Am dritten Tag hatte man einen Psychologen hinzugezogen, der ihr zu verstehen gab, dass sie unter einer Amnesie leide. Man vermutete, dass dies durch ihre Verletzungen bedingt sei und sie sich früher oder später wieder an ihren Namen und ihre früheres Leben erinnern würde.
Währenddessen wolle man testen, in wie weit ihre Erinnerung Schaden erlitten hatte.
Und so saß sie am Morgen des vierten Tages in ihrem Krankenbett, mit einem Fragebogen in der Hand.
„Versuchen Sie, ob Sie den Test lesen und verstehen können!“ meinte der Psychologe, ein Doktor Harris, „Es geht nur darum zu sehen, in weit Ihr Gehirn geschädigt wurde!“
Sie nickte nur.
Eine Schwester kam in den Raum, flüsterte Doktor Harris etwas ins Ohr und wartete auf seine Antwort.

„Jane, Sie kommen doch einen Moment ohne mich klar?“ wollte er wissen und wartete auf ihre Antwort.
„Ja!“
„Ich bin gleich wieder da!“ meinte er, wobei er klang, als spreche er mit einem kleinen verängstigten Kind.
Dann stand er von seinem Stuhl, welchen er ans Bett gezogen hatte, auf und folgte der Krankenschwester aus dem Zimmer.

Sie versuchte sich auf den Test zu konzentrieren. Es sah aus, als habe man ihr einen bunt gemixten IQ-Test in die Hand gedrückt.
Und obwohl sie sich nicht an sich selbst erinnern konnte, so schien ihr der Test nicht schwer zu fallen.
Der Psychologe war schon überrascht gewesen, dass sie allen Anschein nach, trotz ihrer Amnesie, sprechen, schreiben und lesen konnte.

Sie bemerkte, dass jemand den Raum betreten hatte, sah aber nicht von dem Test auf.
Doktor Harris würde jeden Moment wieder seine Fragen stellen und sie würde, obwohl sie keine Lust auf seine Fragen hatte, brav antworten.
Doch die Fragen blieben aus und wer auch immer gerade in den Raum gekommen war, war neben das Bett getreten und sah auf den Test.

Verwundert stellte sie fest, dass es nicht Doktor Harris oder irgendeine Krankenschwester oder einer der wenigen Pfleger des Krankenhauses war, die sonst immer in dem Zimmer ein und ausgingen. Auch war es kein Arzt, der so nah neben ihr stand und den Test zu lesen versuchte.
„Wer...?“
Er schien überrascht zu sein, dass sie ihn bemerkt hatte. Noch überraschter allerdings, dass sie ihn so fragend anstarrte.
„Wer sind Sie?“ wollte sie von ihm wissen.
Er musterte sie, sah sich dann um, so als wolle er sichergehen, dass sie ihn meinte und trat einen Schritt zurück.

Noch immer gab er keine Antwort.
„Kenn ich Sie?“ wollte sie wissen.
Mit fragenden Blick schüttelte er den Kopf.
„Sie waren vorher schon hier!“ bemerkte sie und wieder schien er verblüfft zu sein, dass sie ihn gesehen hatte.
Doch wieder blieb er stumm. Er drehte sich um und ging in Richtung Tür.
Bevor er hinaus ging, sah er sie erneut an. Es schien, als wolle er sie irgendetwas fragen.
Dann verschwand er und wenig später war Doktor Harris zurück.

Den ganzen Nachmittag hatte sie über ihrem Test gesessen und nebenbei noch einige persönliche Fragen von Doktor Harris zu beantworten versucht. Allerdings waren die Fragen zu ihrem Leben schwieriger als die in dem Test.
„Ihre Amnesie scheint sich nur auf Ihr Leben zu beziehen!“ meinte Doktor Harris und klang ein klein wenig verwirrt, „Sie können sich an alles andere erinnern. Ich meine, Sie besitzen ein gutes Allgemeinwissen und ...“
Er lies seinen Blick über den Test schweifen.
„Sie scheinen eine gute Bildung genossen zu haben!“

Kurz danach hatte er sich von ihr verabschiedet und meinte, er werde am nächsten Morgen noch einmal nach ihr sehen und werde mit ihr bereden, was nun noch zu tun sei. Er hatte ihren Test mitgenommen, da er, wie er sagte, ihn genauer durchsehen wollte.
Sie sollte sich keine Gedanken machen und sich ausruhen.
Und somit war sie wieder allein. Mit sich und ihren Fragen.
Allmählich hatte sie sich schon daran gewöhnt, dass man sie mit Jane Doe ansprach. Dennoch mochte sie den Namen nicht.
Sie wollte endlich wissen, wer sie war und wo sie herkam. Irgendwer musste sie doch kennen.
Doch der kurze Besuch eines Police-Offiziers am Tag nach ihrem Aufwachen, hatte ihr keine guten Hoffnungen gemacht. Man hatte weder jemanden gefunden, der sich an sie erinnern konnte noch hatte man überhaupt irgendetwas über sie herausfinden können.


„Du kannst mich also sehen?“
Die Frage war irreführend.
Es war mitten in der Nacht und das Licht in ihrem Zimmer war erloschen. Nur schwach schien das Licht vom Korridor durch den kleinen Spalt ihrer offenen Tür.
Sie konnte sich nicht erinnern, dass sich die Tür überhaupt geöffnet hatte in den letzten Minuten.
„Du siehst mich, oder?“
Der Blonde war zurück. Er trug immer noch die selbe Kleidung, wie das erste Mal, das sie ihn gesehen hat.
„Ja? Wieso?“ Sie war irritiert. Nicht nur, dass sie ihn nicht kannte oder sich nicht an ihn erinnern konnte, so war er auch mitten in der Nacht in ihrem Krankenzimmer und es war weit nach der Besuchszeit.
Er trat näher an ihr Bett heran und lächelte.

„Gibt nicht viele, die mich mitbekommen!“ meinte er auf einmal und schien glücklich darüber.
„Wieso?“ Sie war sich noch immer unsicher, was sie von ihm halten sollte.
„Na gut, die alte Lady ein paar Zimmer weiter freut sich, wenn ich bei ihr auftauche. Aber die hält mich für ihren Enkel oder so!“
Sie verstand noch immer nicht, was er mitten in der Nacht in ihrem Zimmer zu suchen hatte.
„Und dann gibt’s noch diesen alten Kerl mit dem Raucherbein, der ständig rumschimpft. Ich glaube ein paar der Kinder auf der Pädiatrie freuen sich immer wenn ich auftauche und ein wenig die Krankenschwestern veralbere.“
„Ja, aber wieso bist du hier?“ Sie versuchte sich hinzusetzen, wobei ihre OP-Narbe an ihrem Bauch zwickte.
„Du ...“ er grinste sie an, „... bist bei weitem, die Interessanteste hier!“
„Ich versteh nicht ...?“
„Nicht schreien!“
Noch ehe sie darauf reagieren konnte, verschwand er. Er löste sich einfach in Luft auf.

Irritiert starrte sie auf die Stelle, an der zuvor noch der Blonde gestanden hatte.
„Buh!“
Er tauchte wieder auf und stand diesmal noch näher bei ihr.
„Ich hab also nicht nur Amnesie. Ich bin auch irre?“
Sein Lächeln schwand und er sah sie verdutzt an.
„Oh!“ meinte er nur und verschwand wieder.
„Super! Hab ja sonst keine Probleme!“ seufzte sie und legte sich wieder hin, „Mein Hirn hat einen Totalschaden!“

Die ganze Nacht hindurch wartete sie, dass der Blonde wieder erschien. Doch er kam nicht.
Und am Morgen, nachdem sie nur wenige Stunden geschlafen hatte, hatte sie den merkwürdigen Besuch als Traum abgetan.
Sie verriet Doktor Harris nichts davon. Er war ohnehin schon irritiert genug über ihren Gesundheitszustand.
Während er ihr erzählte, dass er ihren IQ-Test ausgewertet und sie dabei ziemlich weit oben im Durchschnitt zu sein schien, bemerkte sie den Blonden wieder.
Diesmal spazierte er über den Flur und hielt vor den Zimmer gegenüber ihrem. Sie konnte nicht erkennen, wer darin war. Aber sie konnte das Grinsen im Gesicht des Blonden sehen. Was auch immer er sah, es schien ihm zu gefallen.
Dann sah sie, wie eine der Krankenschwestern in ebendieses Zimmer ging, ohne den Blonden zu beachten, und die Tür schloss. Der Blonde lies sich davon nicht abhalten und ging einfach durch die geschlossene Tür.

„Ich werde jeden Tag für eine halbe Stunde vorbei kommen!“ verkündete Doktor Harris und riss sie somit aus ihren Gedanken, „Dann können wir sehen, an was Sie sich noch erinnern können!“
Sie nickte nur und blickte immer wieder in die Richtung des Zimmers, in das der Blonde verschwunden war.
„Wenn Sie entlassen werden ...“
„Wann?“ Ihre Frage brachte Doktor Harris kurz aus dem Konzept und er studierte die Unterlagen, die er auf seinem Schoß liegen hatte.
„Nun, wenn es keine weiteren Probleme gibt und alles gut läuft, kommen Sie in circa zwei Wochen hier raus!“ meinte er.
„Gut!“
„Nun ja!“ Doktor Harris versuchte zu ignorieren, dass sie so schnell wie möglich aus dem Krankenhaus wollte, „Wenn Sie hier entlassen werden, werden wir uns jeden zweiten Tag sehen. Schließlich gibt es ja immer noch ein große Lücken in ihrer Erinnerung!“
Sie nickte nur missmutig.
„In ein paar Tagen kommt jemand vorbei, der Ihnen erklären wird, was nun weiter passieren wird.“
Sie sah ihn fragend an.
„Solange Ihre Identität nicht geklärt ist, können wir Sie nicht sich selbst überlassen. Sie werden in einem Wohnheim unterkommen. Sie bekommen einen Arbeitsplatz und man wird Ihnen mit allem helfen!“

„Das ist doch Scheiße!“
Doktor Harris wartete auf eine weitere Frage ihrerseits. Doch sie blickte nicht ihn an, sondern den Blonden, der plötzlich wieder in ihrer Tür stand.
„Von einem Krankenzimmer ins nächste!“ schimpfte der Blonde. Doch Doktor Harris reagierte nicht auf ihn.
„Alles in Ordnung mit Ihnen, Jane?“ wollte Doktor Harris wissen und versuchte zu erkennen, was sie sah.
Sie riss sich von dem Blonden weg und sah ihren Psychologen irritiert an.
Scheinbar hatte er den Blonden weder gesehen, noch gehört.
„Kopf … Kopfschmerzen!“ meinte sie nur und der Doktor nickte.
„Sie sollten sich ein wenig ausruhen! Wenn die Schmerzen stärker werden, lassen Sie sich am Besten etwas von der Schwester geben!“ Damit stand Doktor Harris von seinem Platz auf und verließ das Zimmer.

„Was bist du?“ wollte sie wissen, gleich nachdem sie mit dem Blonden allein im Zimmer war.
Er ging zum Stuhl, auf dem zuvor noch Doktor Harris gesessen hatte, und setzte sich.
„Ich bin Eric!“ grinste er.
„Ja, aber was bist du?“

„Oh, sie haben Besuch, Jane?“ Eine Krankenschwester stand in der Tür.
Der Blonde, Eric, grinste der Schwester zu.
„Der Doktor meinte, Sie hätten Kopfschmerzen. Brauchen Sie etwas?“ wollte sie von ihrer Patientin wissen, wobei ihr Blick immer wieder auf Eric fiel.
„Nein?“
„Gut! Klingeln Sie, wenn was ist!“ Sie lächelte kurz. Aber ihr Lächeln galt vielmehr Eric, der keinen Hehl daraus machte, mit der Krankenschwester zu flirten.
Dann verschwand sie wieder, zog die Tür etwas ran und lies die beiden allein.

„Ich denk, dich kann kaum einer sehen!“
Er überlegte kurz.
„Na ja! Wenn ich will, bin ich für jeden sichtbar!“ meinte er dann, „Und nein, ich bin keine Halluzination!“
„Was dann?“
„Ein Geist?“ Er schien sich selbst ein wenig unsicher.
Sie sah ihn fragend an und er schien zu ahnen, was sie als nächstes wissen wollte.
„Ich bin nicht tot!“ meinte er selbstsicher, „Ich weiß nur nicht, wo ich bin! Ich mein, mein Körper!“
Sie nickte nur.

Für einen kurzen Moment herrschte Schweigen.
„Warum bist du hier?“
„Wie ich sagte, du bist interessant!“ meinte er. Er hatte es sich in dem Stuhl bequem gemacht und soweit nach unten gerutscht, dass sein Kopf auf der Lehne lag, während seine Beine bei ihr auf dem Bett lagen.
„Was hast du eigentlich in dem anderen Zimmer gemacht?“
Er blickte sie an und grinste begeistert.
„Was glaubst du? Da drüben war ne heiße Blondine!“ Er zwinkerte ihr zu, „Geist zu sein, hat auch Vorteile!“
„Du bist also ein Spanner!“ Über ihre Feststellung musste sie selbst schmunzeln.
„Sag nicht, du würdest das nicht ausnutzen, wenn du unsichtbar wärst?“
Seine grünen Augen schienen regelrecht zu leuchten, bei dem Gedanken daran.

„Du brauchst einen anderen Namen!“ meinte er nach einer Weile, „Jane Doe klingt doof!“
„Leider kann ich mich aber nicht an einen anderen Namen erinnern!“ seufzte sie. Sie mochte den Namen Jane ebenfalls nicht.
Er grübelte einen Moment und dann verkündete er stolz:
„Ich nenn dich Stevie!“
Er sah sie begeistert an.
„Nach dem Ort hier!“ erklärte er, „Stevenson! Stevie!“
Sie nickte nur, unsicher was sie von dem neuen Namen halten sollte.

Er stand von seinem Platz auf und blickte sich um.
„Ich sollte dich schlafen lassen!“ meinte er zu ihr und sah selbst ein wenig müde drein.
„Wir sehen uns! Stevie!“ Damit löste er sich wieder in Luft auf.
Irritiert sah sie sich um und erwartete, dass er jeden Moment wieder auftauchte.
Doch er blieb fern.
Die Krankenschwester schien ein wenig irritiert, da sie den jungen Mann nicht habe gehen sehen. Aber sie meinte, sie fand es nett, dass er Jane besucht habe.


Am nächsten Abend, nach dem Abendessen, tauchte Eric wieder auf. Er sah sich kurz in ihrem Zimmer um, so als erwarte er, dass jeden Moment noch jemand auftauche.
Dann setzte er sich wieder auf den Stuhl neben ihrem Bett.
„Sie wissen noch immer nichts über dich!“ verkündete er und sah sie verwundert an, so als hätte sie mehr Antworten als er.
„Woher willst du das wissen?“
„Ich bin der weltbeste Spion!“ lachte er, „Hab mich ein wenig umgehört!“
„Du bist kein Spion! Du bist ein Geist!“ verbesserte sie ihn.
„Spion! Klingt cooler!“
Sie rollte nur mit den Augen.
„Was bist du? Fünf?“ scherzte sie.
„Ich bin älter als du! Schätzungsweise um die zwölf bis sieben Jahre älter!“ versicherte er ihr, „Hab bei deinem Pychodoc ein wenig geschnüffelt!“
Sie sah Eric irritiert an.
„Sie haben dich auf Anfang bis Mitte Zwanzig geschätzt!“ meinte er, „Keine auffälligen Merkmale oder Narben. Abgesehen von denen, die du jetzt hast, durch die OP und den vermutlichen Unfall. Keine Eintragung als Vermisste oder als Verbrecher … Du bist ein großes Fragezeichen für sie!“
„Oh!“ mehr wusste sie nicht zu sagen.
„Tut mir leid, Kleine!“

Vor der Tür liefen einige Krankenschwestern vorbei. Niemand schaute in ihr Zimmer und so hatte niemand Eric bemerkt.
„Willst du hier raus, Stevie?“ Die Frage kam geflüstert über seine Lippen, so als wolle Eric verhindern, dass sie jemand anders zu hören bekam.
Sie sah ihn fragend an.
„Ich meine, du willst doch nicht in die nächste Einrichtung gehen, oder?“
„Was meinst du?“
„Solange die nicht wissen, was mit dir passiert ist oder wer du bist, bist du unter Beobachtung!“ versuchte Eric zu erklären. Er sah besorgt aus.
„Wieso?“
„Harris glaubt, dass du dir das vielleicht selbst zugefügt hast! Und dass deine Amnesie nur eine Show ist!“
Sie sah ihn entsetzt an.
„Ich hab ihn telefonieren gehört. Der Typ, der hier vorbei kommen soll, leitet ein Wohnheim für psychisch Labile!“ Eric schüttelte den Kopf, „Wenn du erst mal da drin steckst, wird’s nicht leicht für dich!“
„Du lügst! Oder?“ Sie hoffte, er habe sich das alles ausgedacht, um sie zu erschrecken.
Eric schüttelte nur den Kopf.

Eric wartete einen Moment, dass sie ihm eine Antwort geben würde, ob sie gehen wollte oder nicht.
Sie selbst war sich unschlüssig, ob sie ihm glauben sollte oder nicht.
„Ich geh lieber wieder!“ Er klang enttäuscht, „Schlaf gut, Stevie!“
Damit war er auch schon wieder verschwunden.

Zum ersten Mal, seit sie im Krankenhaus zu Bewusstsein gekommen war, träumte sie.
Es war ein recht wirrer Traum. Irgendetwas über ein Irrenhaus und lauter Verrückter und sie gefangen mittendrin.
Sie wusste nicht genau, ob es Eric´s Anstoß war, dass sie nun fort wollte. Oder ob er ihr nun einen noch triftigeren Grund geliefert hatte, hier abzuhauen.
Sie mochte das Krankenhaus nicht. Und irgendwas sagte ihr, dass sie diese Abneigung gegen Krankenhäuser und Ärzte schon früher hatte.
Sie mühte sich aus dem Bett, riss sich die Nadel vom Tropf aus dem Arm und ging langsam zur Zimmertür.
Der Korridor war hell erleuchtet, wie immer. Doch es war still.
Sie verließ ihr Zimmer und stützte sich an der Wand ab, während sie den Flur entlang ging.

„Jane? Wo wollen Sie hin?“
Erschrocken blieb sie stehen und sah sich um.
Die Nachtschwester kam mit schnellen Schritten auf sie zu und packte sie am Arm.
„Kopf … Kopfschmerzen!“ stotterte die junge Frau, „Ich wollte nach einer Tablette fragen!“
„Sie hätten klingeln können!“ meinte die Schwester und half ihr wieder zurück ins Zimmer und wieder ins Bett.
„Nächstes Mal klingeln Sie! Verstanden!“
Die Nachtschwester verließ nur kurz das Zimmer und kam dann mit einer Tablette zurück. Sie achtete genau darauf, dass ihre Patientin die Tablette auch schluckte.
„Und jetzt schlafen Sie!“
Wohl oder übel blieb Jane, nein Stevie, nichts anderes übrig als sich wieder hinzulegen.
Und leider musste sie nun auch feststellen, dass ihr die Nachtschwester keine Kopfschmerz- sondern eine Schlaftablette gegeben hatte.
Unfreiwillig schlief sie nun wieder ein.


„Hey, Stevie!“
Eric´s Stimme weckte sie. Er stand neben ihrem Bett und sah besorgt drein.
„Was ist los?“ wollte sie wissen und setzte sich auf.
„Du hast das Frühstück verpasst!“ meinte er und setzte sich. Diesmal allerdings nicht auf den Stuhl sondern neben sie aufs Bett.
„Was?“ Sie war noch nicht wirklich wach.
„Haben dich also ausgeknockt?“ murmelte er.
„Die Nachtschwester hat mich erwischt und hat mir eine Tablette gegeben!“ erklärte sie.
„Wolltest also doch raus!“
Sie nickte nur und er grinste sie stolz an.
„Ich helf dir!“ meinte er dann und verschwand plötzlich wieder. Und mit ihm das Gewicht auf dem Bett.
Nur wenige Sekunden später tauchte Eric wieder auf. Diesmal blieb er bei der Zimmertür stehen und schloss sie.
„Hab dir was mitgebracht!“ Er hielt ein paar Kleidungsstücke hoch und kam damit auf sie zu.
Sie sah erst ihn und dann die Sachen irritiert an.
„Na ja, wenn du hier raus spazieren willst, kannst du das ja schlecht in dem Nachthemd machen!“ erklärte er, „Die Sachen sind von jemanden auf der Kinderstation! Müsste dir passen!“
„Aber das wird auffallen!“ war sich Stevie sicher.
„Du ziehst das Zeug an, versteckst deine langen Haare unter dem Basecap ...“ Er winkte kurz mit einem Yankey-Basecap, „... und die werden denken, dass du einer der Besucher bist!“
Noch immer sah sie ihn irritiert an.
„Ins Bad, umziehen und dann hauen wir hier ab!“ meinte er und zeigte auf die Badtür.
Sie überlegte kurz und stand dann auf. Die Idee endlich hier raus zu kommen und vor allem, dass Eric einen Plan zu haben schien, schien ungeahnte Energien in ihr frei zu setzten.

Mit den Sachen in der Hand trat sie ins Bad.
„Ich halt hier Wache! Und wenn eine Schwester reinkommt, wird sie denken, dass ich dich besuche!“ erklärte Eric durch die geschlossene Badezimmertür.
Stevie hoffte nur, dass er seinen Spannertrieb nicht gerade jetzt ausleben und ins Zimmer kommen würde.

Stevie zog sich langsam aus und sah zum ersten Mal auf ihren Körper.
Sie hatte noch immer das Pflaster auf ihrem Bauch, welches die OP-Wunde verdeckte. Ein wenig höher als es für eine Blinddarm-OP war. An ihren Armen waren ebenfalls einige Pflaster und Verbände und so auch an ihren Beinen.
Stevie zog sich die Sachen, die ihr Eric gebracht hatte an. Er hatte ihr ein weites T-Shirt und ein blau-kariertes langärmeliges Hemd, sowie eine weite Jeans mitgebracht und ebenso ein paar Turnschuhe. Und während er doch bei der Kleidung einigermaßen die richtige Größe erwischt hatte, so waren die Turnschuhe etwa drei Nummern zu groß.
Sie stopfte etwas Klopapier in die Schuhe, bis sie mehr oder weniger passten und schnürte die Schuhe fest, sodass sie sie nicht unterwegs verlieren würde.
Dann trat sie an den Spiegel, um sicher zu gehen, dass sie auch alle ihre Haare unter dem Basecap verbergen würde.

Verwundert musterte sie ihr Spiegelbild.
Sie hatte rotbraunes Haar und grüne Augen mit braunen Sprenkeln um die Pupille. Sie war verwundert, dass dies nicht ausreichte um sie zu identifizieren.
„Bist du fertig?“ drang Eric´s Stimme durch die Tür.
Sie setzte sich das Basecap auf, atmete tief durch und öffnete die Badezimmertür.
„Fertig!“ verkündete sie und er grinste siegessicher.
„Verhalt dich so, als hättest du jemanden besucht und wir gehen zusammen hier raus!“ meinte er.
„Aber du verschwindest nicht gleich wieder, oder?“ Sie war sich der ganzen Sache nicht mehr so sicher.
„Ich werd solange sichtbar bleiben, bis wir hier raus sind!“ versprach er und öffnete die Zimmertür.
Er spähte kurz hinaus und trat dann auf den Flur.
Stevie sah unsicher aus ihrem Zimmer und bemerkte, dass neben den Schwestern nun auch einige Besucher über die Flure liefen.
Eric´s Plan, sich unter die Besucher zu mischen, würde funktionieren.
Sie schloss die Tür hinter sich und ging mit gesenkten Kopf neben Eric, der sich benahm, als sei er wirklich nur zu Besuch hier gewesen.
Während Eric jeder Schwester einen schönen Tag wünschte und mit ihnen flirtete, wäre Stevie am liebsten einfach nur im Boden versunken oder eben einfach nur los gerannt.
Doch zum Rennen fehlte ihr die Kraft. Sie war froh, dass sie es ohne Probleme zum Ausgang schaffte. Niemand schien zu bemerken, dass sie ein wenig schwach auf die Beine war und dass Eric sie stützte.

Kaum draußen überfiel sie kurz Panik.
„Was jetzt? Ich meine, ich weiß nicht wohin!“ Sie sah Eric mit großen Augen an.
„Erstmal weg hier!“ meinte er nur, „Am besten mit dem Taxi oder mit dem Bus in die Innenstadt!“
Während er sich nach einer Bushaltestelle umsah, wartete sie noch immer darauf, dass sie jemand zurück ins Krankenhaus zerren würde.

„Stevie!“ Er schüttelte sie kurz und riss sie aus ihrer Panikattacke raus, „Wenn du jetzt ausflippst, schnappen sie dich gleich wieder!“
Sie nickte nur.
„Wir nehmen den Bus da! In deiner Tasche müsste auch Geld sein!“ meinte er und zeigte auf die Hosentasche, die mit einem Reißverschluss versehen war.
Stevie öffnete die Tasche und fand ein paar Geldscheine.
„Ich pass auf dich auf, okay!“
Sie nickte nur und lies sich von ihm zum Bus führen.
Der Busfahrer sah nur gelangweilt drein. Verlangte von ihr nur das Geld für eine Fahrkarte und interessierte sich nicht weiter für sie.
Stevie suchte sich einen Platz weit hinten im Bus und sank in den Sitz.
Sie hoffte, dass niemand sie holen kommen würde.
Nikita LaChance
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Re: AT: can't find my way home

Beitragvon Nikita LaChance » Fr 14. Okt 2011, 08:24

Kapitel V

Brandon fuhr von dem Highway ab und steuerte auf das Motel zu.
Mit dem Motorrad war der Weg wirklich nicht sehr weit gewesen. Allerdings hätte das Mädchen zu Fuß vermutlich bis in den frühen Morgen spazieren müssen, um die Stadt zu erreichen.
Er konnte sich nicht vorstellen, warum sie sich das überhaupt antat. Er selbst wäre zu bequem dazu.

Er hielt vor der Rezeption an und wartete, dass sie abstieg. Noch ehe er selbst von seinem Sitz gestiegen und sich den Rucksack, den er sich wegen ihr hatte vor dem Bauch umgehangen hatte, abgesetzt hatte, bedankte sie sich und ging.
„Warte doch mal!“ rief er ihr noch hinterher und sie stoppte kurz.
Sie sah ihn mit großen Augen an.
„Wo willst du jetzt hin?“ wollte Brandon wissen und war ein wenig selbst darüber überrascht, dass es ihn auch wirklich interessierte.
Sie zuckte nur mit den Schultern und drehte sich wieder um.

Brandon sah kurz zu der Rezeption, wo eine Frau hinter dem Tresen saß und scheinbar ein Buch las, und dann wieder zu dem Mädchen.
Nur dass diese schon längst um die Ecke des Gebäudes verschwunden war.
Er überlegte kurz und ging ein paar Schritte in die Richtung, in die sie gegangen war.

Dann aber kam ein kleiner Ford hinter dem Haus vor, bog auf die Straße und fuhr dann über den Highway in die Richtung, in die er weiter gefahren wäre.
Brandon hatte zwei Leute in dem Wagen gesehen und schüttelte irritiert den Kopf.
Das Mädchen hatte also schon ihre nächste Mitfahrgelegenheit gefunden und war schon weiter gezogen.

„Kann mir auch egal sein!“ murmelte er zu sich, drehte wieder um und ging zur Rezeption des Motels. Die Frau hinter dem Tresen, eine Dame in den späten Vierzigern, sah auf und ihr Blick wechselte von genervt zu erfreut.
„Allein unterwegs?“ fragte sie schmunzelnd und legte ihr Buch weg.
Brandon sagte nicht viel. Er hatte weder die Muse noch die Lust zu flirten, was die Dame allerdings nicht davon abhielt, einige Sätze aus ihm heraus zu locken.
Und so verriet Brandon lediglich, dass er sich auf einer Art Road Trip befand, bei der er noch nicht so genau wusste, wohin dieser Road Trip ihn als nächstes führen würde.
Nach knapp einer Viertel Stunde, die Brandon nicht unbedingt sagen konnte, dass er das kleine Geplänkel der Frau nicht doch irgendwie genossen hatte, bekam er endlich auch seinen Zimmerschlüssel.
„Wir könnten ja zusammen frühstücken!“ meinte sie noch zu ihm, was er nur mit einem müden „Vielleicht!“ beantwortete.
Mit dem Schlüssel in der Hand ging er zu seinem Motorrad, schob es noch ein paar Türen weiter und stellte es vor seiner Zimmertür ab.

Erleichtert und müde entledigte er sich lediglich seiner Jacke und seiner Schuhe und fiel ins Bett.
Er hatte sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, dass Licht anzumachen. Es war auch nicht wirklich von Nöten, da die Motelreklame durchs Fenster schien und den Raum in ein leicht rötliches Dämmerlicht tauchte.
Und wenig später war Brandon auch schon eingeschlafen.
Seit er mit dem Motorrad unterwegs war, schlief er besser. Lag es an der vielen frischen Luft oder war es vielmehr die Tatsache, dass er nicht mehr durch Job und Freundin gestresst war? Er wusste es selbst nicht so genau.


„Du wärst wirklich weiter gelaufen?“
„Wär nicht das erste Mal!“ Stevie kramte in ihrem Rucksack und holte ein Notizbuch hervor.
„Ja, aber du wärst auch weiter gelaufen, obwohl er dir angeboten hatte, dich mit zu nehmen?“
Sie überlegte kurz und nickte dann.
Während sie noch einmal ihren Rucksack durchsuchte, sann ihr Gesprächspartner kurz nach.

„Wie war´s?“ wollte er wissen und sank tiefer in seinen Sitz.
Sie hatte ihren Kugelschreiber gefunden, der irgendwie tiefer in ihre Tasche gerutscht war, und sah ihn irritiert an.
„Wie war´s mit dem Motorrad zu fahren?“
„Nicht schlecht!“ meinte sie nur und begann in ihrem Buch zu blättern, suchte die letzte Eintragung heraus und machte sich einige kleine Notizen.
„Besser als mit `nem Auto?“
„Eric!“ Sie war ein wenig zu müde für solche Gespräche. Oder überhaupt für Gespräche.

„Was denn? Ich bin neugierig!“ verteidigte er sich.
Sie widmete sich wieder ihren Aufzeichnungen. Im Grunde schrieb sie nicht wirklich viel.
Im Grunde war es Eric´s Idee gewesen. Er hatte gemeint, wenn sie sich Notizen machen würde, an was sie sich erinnern könnte oder was ihr bekannt vorkam, würde es ihr helfen heraus zu finden, wer sie eigentlich sei.

Doch in ihrem Buch hatte sie mehr Details ihrer Reise vermerkt oder Dinge, die Eric betrafen, als irgendwas über sich.
In den drei Monaten, die sie zumeist per Anhalter unterwegs war, ohne wirklich zu wissen, wohin sie eigentlich wollte, hatte sie im Grunde nichts über sich erfahren.
Sie hatte lediglich festgestellt, dass sie einige Lebensmittel nicht mochte oder vertrug. Dass sie Hunde noch mehr als Katzen mochte. Dass sie Rockmusik mochte und Liebesromane verabscheute.
Das waren nicht unbedingt Dinge, die ihr helfen würden, herauszufinden wer sie war.
Eric hatte lediglich mal angedeutet, dass sie einen deutschen Akzent hätte. Und als sie in einer Stadt nach einem deutschsprachigen Buch gegriffen hatte, hatte sie es auch ohne Probleme lesen können.
„Vielleicht kommst du ja aus Deutschland und bist hier auf Besuch!“ hatte Eric dann gemeint. Doch Beweise gab es keine dafür.

Nachdem sie lediglich den Namen der letzte Stadt, in der sie gestoppt hatte, in ihrem Notizbuch vermerkt hatte und dass man weder sie noch Eric dort kannte, packte sie es wieder weg und lies sich auf das Bett fallen.
Eric stand von seinem Platz auf und legte sich neben sie.
Im Grunde musste er weder schlafen noch brauchte er überhaupt eine Pause. Doch hin und wieder blieb er die Nacht bei ihr. Manchmal um zu reden oder manchmal auch nur um die Stille zu genießen, die er eigentlich auch überall anders finden könnte.
„Klasse Maschine!“ murmelte er vor sich hin.
Er hatte sich auf den Rücken gelegt, die Arme hinter dem Kopf verschränkt und sah an die dunkle Zimmerdecke.
„Ja!“ seufzte sie nur und versuchte es sich bequem zu machen.
Zum Glück war das Bett breit genug für zwei, wenngleich Eric als Geist nun nicht wirklich Platz brauchen würde. Dennoch war zwischen beiden genug Platz, so als habe man eine Linie gezogen und keiner der Beiden wollte sie überschreiten.
„Eine Naked Bandit 600!“ schwärmte Eric, „Wünschte ich könnt das Teil fahren!“
Stevie war zu müde zum Argumentieren. Sie war bereits einige Kilometer gelaufen, ehe sie der Fremde mit dem Motorrad mitgenommen hatte.
Sie ließ Eric einfach weiter erzählen, bis sie schlussendlich einschlief.

Am nächsten Morgen, wenngleich das Zimmerfenster wie immer dunkel war, verließen Stevie und Eric das Zimmer wieder.
Es sah im Grunde ganz gewöhnlich aus. Cremefarbene Wände. Hellblaue Vorhänge vor dem immer schwarzen Fenster. Ein Schreibtisch mit Stuhl, ein großes Bett, ein Bücherregal und eine Musikanlage.
Es gab lediglich drei Türen. Eine führte in ein kleines Badezimmer, eine zum Wandschrank, in dem reichlich Kleidung war, und die Zimmertür. Die allerdings führte nicht in den Hausflur, wie man es erwarten würde.
Die Zimmertür führte immer wieder an den Ort zurück, wo man herkam.
Anfangs war Stevie wie auch Eric ein wenig überrascht gewesen, dass man zwar im Grunde in dieses Zimmer kam, aber nie in den Rest des Hauses. Aber sie hatten sich daran gewöhnt.
Das Zimmer war genauso merkwürdig, wie der Schlüssel, der zu dem Zimmer gehörte.
Auch der sah ganz gewöhnlich aus. Silbern und alt. Er war keines dieser flachen Schlüssel, wie man sie heutzutage meist sah.
Aber so gewöhnlich war er nicht. Er konnte jede Tür öffnen.
Nur kam man immer wieder nur in dieses Zimmer. Egal wo man ihn benutzte. Und wenn man das Zimmer wieder verließ, fand man sich wieder an dem Ort wieder, von dem aus man das Zimmer betreten hatte.
Es gab auch keine Zeitunterschiede. Die Zeit schien in dem Raum genauso schnell zu vergehen, wie außerhalb.

Während Stevie mit Eric, den außer ihr im Moment keiner mitbekam, das Zimmer verließen, wurden sie von einer alten Dame auf der anderen Straßenseite bemerkt.
Doch für sie war Stevie aus dem Lagerraum des Motels gekommen.
Stevie beachtete die Dame nicht, die ihr irritiert hinterher sah. Sie ging ums Motel herum und in Richtung Highway.
Sie oder vielmehr Eric hatte bemerkt, dass das blaue Motorrad längst wieder verschwunden war.
Und während Eric es schade fand, da er hätte wollen eine Spritztour mit dem Motorrad machen wollen, sah sich Stevie nach einer weiteren Mitfahrgelegenheit um.

Es dauerte auch nicht wirklich lange und sie wurde von einer kleinen Familie in ihrem Wagen mitgenommen, die auf dem Weg in die Nachbarstadt war.
An manchen Tagen konnte Stevie ihr Glück nicht fassen. Oftmals traf sie auf nette Leute, die sie mitnahmen, ohne wirklich irgendwelche Fragen zu stellen. Einige genossen ihre Anwesenheit und konnten sich stundenlang unterhalten.
Manchmal allerdings gab es auch einige, die glaubten, dass Stevie ihnen etwas schuldig sei. Zum Glück waren die Begegnung mit solchen Leuten selten und Eric war bisher immer dagewesen und hatte ihr geholfen.
Es gab auch Tage an denen sie den Großteil ihrer Strecke zu Fuß hinter sich brachte.
Sie hatte sich daran gewöhnt herum zu spazieren und die meiste Zeit war Eric an ihrer Seite gewesen, der sich dann darüber ausließ wie langweilig der Spaziergang war oder wie weit. Dabei musste er noch nicht einmal laufen oder wurde müde. Er konnte sich einfach von einem Fleck zum anderen teleportieren, wenn man es so nennen konnten.
Und nun da Stevie sicher zwischen einem fünfjährigen Jungen und seiner siebenjährigen Schwester auf dem Rücksitz saß und sich von beiden Kindern Löcher in den Bauch fragen lies, verschwand Eric mal wieder. Er wollte sich ein wenig die Zeit vertreiben, wie er gemeint hatte. Im Grunde hieß dies wahrscheinlich auch nichts anderes, als dass er sich in dem nächstbesten Schlafzimmer oder dergleichen beförderte und dort Frauen ausspionierte. Oder er besuchte das ein oder andere Museum, wenn er den Lust dazu hatte.


Brandon hatte gut geschlafen, hatte Frühstück in einer Pension ein paar Straßen weiter genossen und war dann wieder weitergefahren.
Dass er sein Frühstück nicht hatte allein und in Ruhe hatte genießen können, hatte ihn nicht wirklich gestört. Die Frau von der Rezeption hatte ihn abgepasst und ihn zum Frühstück begleitet.
Und während des Essens auch immer wieder versucht mit ihm zu flirten. Es hatte sie gar nicht gestört, dass er nichts von ihr wollte und schien auch nicht wirklich sauer zu sein, dass er nun ohne ihr eine Telefonnummer oder dergleichen zu hinterlassen weiter fuhr.
Brandon beschloss nicht weiter darüber nachzudenken. Von merkwürdigen Frauen hatte er eh die Nase im Moment voll.

Er hatte nicht wirklich auf die Straße geachtet, war irgendwann einfach abgebogen, wo er dachte, es könnte interessant werden und fand sich nach einiger Zeit auf einer Landstraße wieder.
Rechts und links nur die bunten Bäume und vor ihm nichts als Straße.
Es sah nicht so aus, als würde in den nächsten Kilometern irgendeine Siedlung oder dergleichen auftauchen. Doch das war ihm egal.
Im Grunde erfreute er sich an der Stille und der Natur um ihn herum.
Nur zwei Mal stoppte er. Einerseits um seine Beine zu bewegen und wieder Gefühl in seinen Hintern zu bekommen, nach dem langen Sitzen, und andererseits um zu essen und zu trinken.

Allmählich ärgerte er sich, dass er keine Kamera mitgenommen hatte. Die Landschaft um ihn herum war es Wert auf Foto gebannt zu werden. Wer weiß, wann er wieder dazu käme herum zu reisen, wenn er wieder einen neuen Job hatte.

Am späten Nachmittag zogen die ersten dunklen Wolken auf und zum ersten Mal, seit er aufgebrochen war, würde er im Regen fahren müssen.
Er hoffte, dass er rechtzeitig einen Unterschlupf oder eine Herberge finden würde. Er hatte nicht vor, vollkommen durchnässt herumzufahren.
Doch das Glück war nicht auf seiner Seite.
Es dauerte nicht lange und er steckte inmitten eines starken Schauers. Auf der Straße vor ihm bildeten sich in Sekundenschnelle große Pfützen und die Sicht wurde durch den prasselnden Regen eingeschränkt.
Vor sich hin fluchend, betete er noch immer dafür endlich irgendeinen trockenen Platz zu erreichen. Aber noch immer war nichts in Sichtweite.
Und dann blieb auch noch sein Motorrad liegen. Im ersten Moment glaubte er schon, dass ihm das Benzin ausgegangen sei. Doch der Motor gab noch genügend Geräusche von sich und auch das Licht funktionierte noch.
„Scheiße!“ knurrte Brandon.
Er steckte im Regen, mitten im Nirgendwo und sein Motorrad hatte einen Schaden, den er so schnell allein nicht beheben konnte.
Besser konnte es nicht kommen.


Stevie hatte nachdem sie mit der Familie bis in die nächste Stadt gefahren war, dort ein wenig ihre Zeit verbracht, ehe sie sich einen neuen Fahrer gesucht hatte.
Sie war nur langsam voran gekommen, was ihr im Grunde egal war. Sie hatte keinen Zeitdruck.
Und nach drei weiteren Stopps in irgendwelchen Kleinstädten, wobei sie sogar einmal mit einem Bus einige Städte weitergefahren war, hatte sie ihr letzter Fahrer an einer Bushaltestelle an einer Landstraße abgesetzt.
Von dort aus war sie, da weder ein Bus noch ein anderer Wagen vorbei kam, los spaziert.
Und steckte nun mitten im Nirgendwo im Regen.
Zu ihrem Glück hatte Eric allerdings einen alten halb ausgeschlachteten Van am Straßenrand entdeckt, in dem sie vor dem Regen Schutz fand.
Wohl oder übel würde sie ihre Nacht dort verbringen und wenn der Regen endlich nachgelassen hatte, würde sie dann weiter ziehen. Zu Fuß.

In dem einem Moment hatte Eric ihr von einem Museum erzählt, welches er den Tag besucht hatte, als er plötzlich einfach verschwand und sie irritiert sitzen ließ.
Doch Sekunden später tauchte er schon wieder auf.
„Wir sind nicht allein!“ meinte er halb im Singsang und zeigte in Richtung Straße.
Dort war ein Scheinwerfer zu erkennen, der sich nur langsam vorwärts bewegte.
Stevie musste näher an die fehlende Seitentür des Vans kriechen um mehr zu erkennen.
„Er hat anscheinend ein kleines Problem!“ meinte Eric.
Sie nickte nur und beobachtete weiter, wie jemand sein Motorrad durch den Regen schob.

Dann holte sie eine Taschenlampe hervor, die sie selten gebrauchte und leuchtete in Richtung Straße.
Es dauerte einen Moment ehe man sie bemerkte.
Der Fahrer oder vielmehr der Schieber des Motorrads stoppte und sah in ihre Richtung.
„Das ist der Kerl, der dich gestern mitgenommen hat!“ erklärte Eric. Stevie hatte diese Feststellung selbst schon gemacht.

„Willst du weiter da draußen rumlaufen?“ rief sie dem Mann zu und wartete in der Seitentür des Vans, wobei sie immer wieder Regentropfen abbekam.
Der Mann schien kurz die Möglichkeiten abzuwägen und lenkte sein Motorrad dann in ihre Richtung.
Stevie wartete bis er nahe genug war, ehe sie sich wieder in den Van zurück verkroch.
Der Ankömmling stellte das Motorrad vor dem Van ab, zog den Schlüssel, wobei das Licht erlosch und stand unschlüssig in der Seitentür.
„Kommst du nun rein oder nicht?“ wollte sie von ihm wissen.
Er warf seinen Rucksack zu erst hinein und kroch dann selbst ins trockene Innere des alten Wagens.
Dort entledigte er sich dann seines Helmes und fuhr sich mit der Hand durch seine langen Haare.

„Du?“ Er schien überrascht zu sein, Stevie anzutreffen.
Sie grinste nur.
„Was ist passiert?“ wollte sie dann wissen und lehnte sich zurück. Dass keine Sitze mehr in dem Van waren störte sie nicht im Geringsten. Zumindest das Wagendach war dicht und auch die Seitenwände boten Schutz vor Wind und Regen. Mehr konnte sie im Moment nicht verlangen.
„Motorschaden!“ seufzte er. Er hatte sich gegenüber der offenen Tür gesetzt. Seinen Rucksack, sowie den Schlafsack und seinen Helm neben sich.

Für eine kurze Weile herrschte Stille und Stevie hatte die Taschenlampe wieder ausgemacht, um die Batterien zu schonen.
„Was machst du eigentlich hier?“ wollte er dann wissen.
„Das selbe wie du!“ meinte sie nur, zog sich den Kragen ihrer Jacke höher und versuchte sich darin ein zu mummeln.
„Klar!“ knurrte er nur.
Eric war unsichtbarer Zeuge des nicht stattfindenen Gesprächs vor sich. Er war sich noch nicht einmal sicher, ob Stevie ihn im Moment wirklich mitbekam. Wenn er es wollte, konnte er sich sogar vor ihr verbergen.

„Wo willst du eigentlich hin?“ murmelte sie leise vor sich hin. Jetzt da sie nicht mehr allein war oder zumindest nicht mehr allein mit Eric, konnte sie nicht einschlafen.
„Weiß nicht!“ gähnte der andere und zupfte sich an der nassen Jeans. Er wusste, dass vermutlich all seine Sachen im Rucksack sowie der Schlafsack an sich vollkommen durchnässt waren.
„Wie kannst du nicht wissen, wo du hin willst?“
Er schüttelte kurz mit dem Kopf und meinte dann:
„Das selbe könnt ich dich doch auch fragen!“
Sie sah ihn mit großen Augen an, sagte aber nichts.
„Hast du eigentlich keine Angst, wenn du allein unterwegs bist?“ wollte er wenig später von ihr wissen.
„Ich bin nicht allein!“ gab sie zu, „Eric ist bei mir!“
Eric, noch immer für beide unsichtbar musste schmunzeln.
Der andere sah sich irritiert um.
„Eric? Und wo ist er?“
Nun sah auch sie sich kurz um, lief rot an und murmelte etwas, dass Eric ganz in der Nähe sei.

Stille kehrte wieder ein, da Stevie und ihr unfreiwilliger Bett- bzw. Vannachbar beide nicht wussten, was sie sagen sollten und im Grunde auch ziemlich müde waren.
Eric hingegen war hellwach. Nicht nur, dass er nie Schlaf brauchte, so wollte er aufpassen, dass Stevie nichts passierte.
Nur langweilte er sich dabei gehörig und begann irgendwann vor sich hin zu summen. Und während der Fremde ihn noch immer nicht zu bemerken schien, schien Stevie ihn zu hören und schmunzelte.


Den nächsten Morgen wachte Brandon frierend auf. Irritiert sah er sich nach dem um, was ihn geweckt hatte.
Es war weniger die Kälte, die er aufgrund, der noch immer feuchten Kleidung am Leib spürte, als vielmehr die Stimme eines aufgeregten Mädchens.
„Ich hab ´ne Mitfahrgelegenheit!“ verkündete sie stolz und wies über die Schulter.
„Was?“ Brandon war noch nicht wirklich wach.
„Beweg dich, Großer! Da ist jemand mit einem Pick-Up, der uns und dein Bike mit zur nächsten Werkstatt nimmt!“ meinte sie und zerrte Brandon aufgeregt auf die Beine.
Noch immer schlaftrunken griff sich Brandon seine Sachen und kletterte aus dem Van.

Die Sonne war noch nicht sehr hoch und der Morgen war frisch. Zumindest hatte es aufgehört zu regnen.
„Komm schon!“ schimpfte das Mädchen erneut und riss ihm den Schlafsack aus der Hand.
„Hey!“ protestierte er und war mit einem Male hellwach.
„Dein Freund ist wohl kein Morgenmensch!“ rief den Beiden jemand zu und erst jetzt erkannte Brandon, dass wirklich jemand am Straßenrand auf sie wartete.
Brandon schulterte seinen Rucksack, hängte seinen Helm an den Lenker des Motorrads und schob es zu dem wartenden Pick-Up.
„Seit ihr die ganze Nacht hier gewesen?“ wollte der Fahrer von ihm wissen und musterte Brandon von oben bis unten.
„Leider ja!“ seufzte er.
Der Fahrer nickte kurz.
„Deine Freundin meinte, dein Bike ist defekt und dass ihr beide eine Mitfahrgelegenheit braucht.“ erklärte der Fahrer und ging zur Ladefläche seines Wagens.
Noch ehe Brandon ihm eine Antwort gegeben hatte, winkte der Mann ihm zu, dass er sein Motorrad zu ihm bringen sollte. Glücklicherweise hatte er ein Brett auf der Ladefläche liegen, sodass Brandon sein Motorrad nicht hoch heben musste.
„Ich bin öfters mit einem Kumpel unterwegs, der auch ein Bike hat!“ erklärte der Fahrer, „Er macht bei einigen dieser Downhillrennen mit!“
Brandon nickte nur, während der Fahrer sein Motorrad auf der Ladefläche fixierte.

Danach stiegen alle drei ein, wobei das Mädchen zwischen den beiden Männern Platz nahm.
„Ich bin Carl!“ stellte der Fahrer sich dann vor.
„Stevie!“ grinste das Mädchen und Brandon sah sie verwirrt an, ehe auch er seinen Namen nannte.
Während Carl dann erklärte, an wen sich Brandon mit seinem Motorradproblem in der Werkstatt wenden müsste und dass der Mechaniker ein klasse Kumpel sei, versuchte Brandon erst mal richtig wach zu werden.
Er verstand nicht so ganz, warum das Mädchen neben ihm geholfen hatte. Oder wer sie überhaupt war.
Nach dem Gespräch am Vorabend hatte er sie für verrückt gehalten. Nicht nur dass es verrückt war, allein per Anhalter herum zu fahren, so hatte sie doch von einem Begleiter gesprochen, denn es allen Anschein nach gar nicht gab.

Brandon grübelte eine Weile darüber nach, während Stevie sich mit Carl unterhielt, als würden sie sich schon länger kennen.
Und nach einer Stunde erreichten sie dann endlich auch wieder die Zivilisation und auch die versprochene Werkstatt.
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Re: AT: can't find my way home

Beitragvon Nikita LaChance » Fr 14. Okt 2011, 08:24

Kapitel VI

Carl half Brandon noch das Motorrad wieder abzuladen und führte ihn in die Werkstatt, wo er ihm den Besitzer vorstellte.
Stevie lief neugierig den beiden hinterher, wenngleich sie sich etwas abseits hielt.
Nachdem der Besitzer der Werkstatt sich von Carl verabschiedet hatte, rief er einen Mechaniker heran, der sich als Mike vorstellte.
Mike würde sich um Brandon´s Motorrad kümmern, meinte aber gleich, dass dies eine Zeit in Anspruch nehmen könnte.
„Ihr solltet erst mal frühstücken!“ schlug Mike Brandon vor und wies mit einem Nicken auf Stevie hin, die noch immer ganz in der Nähe herum stand.
Brandon war im Grunde überrascht, dass sie noch nicht wieder verschwunden war.
„Ein paar Straßen weiter gibt’s ein nettes kleines Café. Da gibt’s herrlichen Kuchen!“ schwärmte Mike und erklärte Brandon den Weg.

„Wann kann ich vorbeikommen, wegen meiner Maschine?“ wollte Brandon gleich wissen.
Mike überlegte kurz.
„Ich kann dir vermutlich in drei Stunden sagen, was das Problem ist!“ meinte dieser dann grüblerisch.
Brandon nickte nur und ging dann zu Stevie hinüber. Wohl oder übel würde er dem Mechaniker vertrauen müssen und hoffen, dass er was von Motorrädern verstand.

„Du bist noch hier?“ witzelte Brandon und Stevie zuckte nur mit den Schultern.
„Wollt nur sehen, ob du klar kommst!“ meinte sie dann und lief voran.
„Klar!“
Brandon ging neben ihr her. Im Gegensatz zu ihm schien sie nicht so lange im Regen gesteckt zu haben wie er.
Er wollte eigentlich erst in trockene Sachen wechseln. Nur war ihm bewusst, dass all seine Sachen ebenfalls nass geworden sein würden und ein Wechsel in trockenere Kleidung daher unmöglich.
Aber der Hunger war doch überwiegender, als das unangenehme Gefühl nasser Jeans.

Gemeinsam betraten sie das Café und gingen auch gemeinsam zum Tresen, an dem Kuchen hinter einer Glasscheibe ausgestellt war.
„Was kann ich euch beiden anbieten?“
Stevie entschied sich für einen frischen Apfelkuchen und einen Milchkaffee, während Brandon unschlüssig war, was er nehmen sollte.
Die Verkäuferin zählte ihm die Kuchensorten auf, was die Entscheidung nicht leichter machte. Und schlussendlich war es Stevie, die für Brandon bestellte.
„Er nimmt auch einen Apfelkuchen und Kaffee!“ meinte sie und schmunzelte, als Brandon sie verdutzt ansah.
„Ich bring´s euch gleich an den Tisch!“ meinte die Verkäuferin und Stevie spazierte davon.
„Komm schon, Bran!“ rief sie ihm dann zu und noch immer verwundert über ihre Aktion setzte er sich zu ihr.

Wenig später wurde auch schon der Kaffee und der Kuchen gebracht und Brandon lenkte sich von den Fragen, die er Stevie stellen wollte ab, indem er aß.
Wieder schmunzelte sie, wobei sie leicht zu Seite sah, als hätte sie dort etwas gesehen.
Er konnte ja nicht wissen, dass Eric, für ihn nicht sichtbar, gerade schimpfte, dass er selbst gern etwas Kuchen hätte.

„Machst du das immer so?“ platzte es irgendwann aus Brandon heraus.
Sie sah ihn irritiert an.
„Na ja, ich meine, du reist per Anhalter, lässt dir Essen ausgeben und haust dann wieder ab?“
Er sah sie fragend an.
„Ich hab nicht gesagt, dass du mir das Essen ausgeben sollst!“ meinte sie und klang dabei ein klein wenig beleidigt, „Ich dachte nur, es wäre nett, mal nicht allein zu essen!“
Wieder sah er sie irritiert an.
Und nach einer Weile murmelte er eine Entschuldigung, während er sich wieder seinem Kuchen widmete.

Nach dem Frühstück, welches jeder für sich bezahlte, erkundigte sich Brandon nach einem öffentlichen Telefon und Stevie wollte wissen, ob es irgendwo eine Busstation oder eine Möglichkeit gab bei irgendwem mitzufahren. Und obwohl es mehr als ein öffentliches Telefon gab, begleitete Brandon Stevie wortlos zur Busstation.
Sie sagte nichts dazu, während Eric murmelte, dass der Kerl anscheinend mehr von ihr wolle.

„Ähm … ich geh … telefonieren!“ erklärte Brandon.
Sie nickte nur und steuerte auf den großen Fahrplan zu.
Und während sie diesen, unter zahlreichen Bemerkungen von Eric, studierte, fand Brandon ein Telefon in der Nähe.
Er wählte und hoffte im Grunde, dass niemand ran gehen würde.

Nur war seine Mutter fast immer daheim und nun da er ihr versprochen hatte sich immer brav bei ihr zu melden, schien sie regelrecht neben dem Telefon zu hocken und zu warten.
Sie war erfreut von ihm zu hören.
Als er ihr allerdings von seinem kleinen Problem mit dem Motorrad erzählte, schimpfte sie gleich.
Brandon wusste, dass sie sich Sorgen um ihn machte. Nur hatte er nicht damit gerechnet, dass sie gleich so besorgt sein würde und ihm anbot Geld zu schicken.
Er lehnte dankbar ab, da er noch genug Geld einstecken und auch auf dem Konto hätte.

Während er seiner Mutter erzählte, was er in den letzten Tagen getan hatte, wobei es da nicht viel zu sagen gab, beobachtete er Stevie.
Sie hatte sich vor dem Busfahrplan niedergelassen und hatte vor sich eine Landkarte ausgebreitet, über die sie mit dem Finger entlang fuhr.
Dann tauchte ein blonder Kerl neben ihr auf, hockte sich neben sie und blickte ebenfalls auf die Karte.
Brandon hatte das Gefühl ihn schon einmal gesehen zu haben.
Weder Stevie noch der Blonde störten sich daran, dass sie mit der Karte den Weg versperrten und die Leute über sie schimpften.

„Hörst du mir noch zu?“ wollte seine Mutter wissen und riss Brandon aus seinen Gedanken.
„Ja?“
„Hast du mit Josie telefoniert?“
Die Frage hätte Brandon am liebsten ausgeblendet.
„Nein! Wieso?“ fragte er genervt zurück.
„Sie macht sich Sorgen um dich, weil du einfach gefahren bist!“ erklärte seine Mutter.
„Mom!“ seufzte er. Seine Mutter verstand nicht alles, was zwischen ihm und seiner Verlobten vorgefallen war. Oder sie wollte es einfach nicht verstehen.

Brandon lies seine Mutter einfach weiter erzählen, dass Josie, seine nun Ex-Verlobte, ja nicht so schlecht sein könne, wenn sie sich nach ihm erkundigte.
Er warf einen erneuten Blick hinüber zu Stevie. Sie hatte die Karte wieder weggepackt und auch der Blonde war wieder verschwunden. Sie saß nun gelangweilt auf dem Steinboden.
Allerdings nicht lange.
Ein Kerl mit dicker Daunenweste und tief ins Gesicht gezogenem Basecap blieb vor ihr stehen und trat ihr leicht gegen den Fuß, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen.
Er fragte sie etwas, was Brandon von seinem Platz aus nicht hören konnte, worauf hin sie mit einem Nicken und einem erfreuten Lächeln antwortete.
Dann stand sie auf und folgte dem Kerl.
Im Vorbeigehen nickte sie Brandon kurz zu und er wusste, dass sie gerade eine neue Mitfahrgelegenheit gefunden und sich von ihm verabschiedet hatte.
Irritiert sah er ihr und ihrem neuen Fahrer nach.

Er sah, wie Stevie in einen dunklen Truck stieg und dann verschwand.
Und wieder überkam ihm kurz Sorge, wie leichtsinnig sie doch war.
Seine Mutter kämpfte unterdessen am Telefon wieder um seine Aufmerksamkeit.
Sie wollte wissen, was los sei. Er wusste nicht, ob er ihr von dem merkwürdigen Mädchen erzählen sollte oder nicht.
Und da sie seiner Vermutung nach wilde Spekulationen anstellen würde, lies er es.
Er erklärte nur, dass er gleich nochmal nach seinem Motorrad sehen würde und dass er sie in zwei Tagen wieder anrufen würde.
Missmutig beendete seine Mutter das Gespräch und er atmete auf.
Er wusste, dass er noch ein wenig Zeit totzuschlagen hatte, ehe er wieder zu Werkstatt müsse. Und so beschloss er erst mal nach einer Unterkunft zu suchen und nach zu sehen, ob er nicht doch noch ein paar trockene Sachen im Rucksack hätte.
Und dann könnte er ja noch die Stadt besichtigen.

Er verließ die Busstation und rempelte dabei einen Mann an, der wie aus dem Nichts vor ihm aufgetaucht war.
Brandon entschuldigte sich und wollte schon weiter gehen, als er bemerkte, in wen er gerade hinein gerannt war.
Vor ihm stand der Blonde, der kurz zuvor noch neben Stevie gehockt und die Landkarte studiert hatte. Er schien jemanden zu suchen.
Doch noch bevor Brandon ihn fragen konnte, war der Blonde losgegangen, ohne weiter auf ihn zu achten und war dann wenig später wieder verschwunden.

„Ich brauch unbedingt Schlaf!“ war Brandon´s Feststellung und er machte sich auf die Suche nach seiner Herberge.
Allen Anschein nach war er so müde, dass er schon Halluzinationen hatte.


Stevie saß in dem Beifahrersitz und genoss den Ausblick. Der Vorteil eines Trucks war es, dass man die Straße ein wenig von oben herab sehen konnte und somit meist noch mehr sah, als die Fahrer eines Personenkraftfahrzeugs.
Der Fahrer redete nicht mit ihr und schien in tiefen Gedanken. Stevie war mehr oder weniger auch dankbar dafür. Sie redete selbst nicht viel. Vor allem, wenn es darum ging etwas über sich selbst zu erzählen, ging ihr sehr schnell der Gesprächsstoff aus. Manchmal hatte sie einfach irgendetwas zusammen gesponnen oder einfach nur erzählt, war Eric ihr ins Ohr geflüstert hatte.
Eric war im Grunde derjenige, der die ganze Fahrt über reden konnte. Es schien immer irgendwas zu geben, was ihn interessierte oder was er mitzuteilen hatte.

Erst jetzt, da es bis auf die leise Musik aus dem Radio und dem Motorgeräuschen ziemlich still war, fiel ihr auf, dass Eric nicht da war.
Im Grunde war dies nicht besorgniserregend, da er nicht die ganze Zeit über bei ihr war. Meist war er über Stunden mit seinen Spionagetätigkeiten, wie er es nannte, beschäftigt.
Dennoch war es merkwürdig, dass er sich nicht einmal kurz gezeigt hatte, seit sie, vor Stunden, in den Wagen gestiegen war.

Nach einer Weile bemerkte sie, dass der Truck von dem Highway abfuhr in und auf eine Landstraße fuhr. Noch immer dachte sie sich nicht viel dabei.
Sie hatte mit dem Fahrer kein wirkliches Ziel ausgemacht. Sie wollte lediglich weiter in Richtung Westen fahren und er hatte gemeint, er könne sie bis knapp vor der Grenze absetzten. Er müsse dann weiter Richtung Michigan fahren.

Der Truck fuhr noch ein wenig weiter und rechts und links war nichts mehr zu sehen aus eine weite Ebene.
Stevie sah sich nervös um. Noch nervöser wurde sie allerdings, als der Fahrer stoppte und sich zu ihr drehte.
Er musterte sie von oben bis unten.
Noch immer sagte er kein Wort und dass machte ihr Angst. In Gedanken rief sie nach Eric. Sie hoffte, dass er auftauchen und ihr helfen würde, so wie er es immer getan hatte.

Der Mann griff nach ihr und obwohl sie auszuweichen versuchte erwischte er sie am Kragen ihres Shirts.
„Du hast doch sicherlich was für mich!“ brummte er und versuchte sie zu sich zu ziehen.
Stevie schlug mit der Faust nach ihm und erwischte ihn im Gesicht.
Damit hatte er nicht gerechnet. Allerdings machte dies ihn wütend und er schlug zurück.
Er schlug so hart, dass ihre Unterlippe aufplatzte.
Er packte sie erneut und zerrte sie an ihrem Arm näher zu sich.
Nun begann Stevie sich mit Händen und Füßen gegen den Kerl zu wehren. Doch immer wieder schlug er zu.
Erst ins Gesicht und dann schlussendlich ihr auch in den Magen.

Längst rief sie nicht mehr nur in Gedanken nach Eric. Sie schrie nach ihm.
Doch der Mann ignorierte ihre Schreie. Das und ihr Versuch sich gegen ihn zu wehren, stachelten ihn nur weiter an, sie zu schlagen.
Noch einmal zerrte er an ihrem Shirtkragen, sodass dieser aufriss.
Der Mann grinste, als er dies bemerkte.
Er griff noch einmal nach dem Kragen. Doch diesmal riss er nicht den Stoff auseinander. Vielmehr zerrte er an dem Lederband, welches sie um den Hals unter dem Shirt trug.
Der Knoten löste sich auf. Wobei das Band allerdings sich schmerzhaft in ihren Nacken presste, ehe es aufging.
Nun hielt er das Band mit einem silbernen Schlüssel in der Hand und musterte ihn kurz.
Stevie versuchte nach dem Schlüssel zu greifen, doch der Kerl stieß sie mit einem Faustschlag weg.
„Gib mir den Schlüssel!“ schrie sie ihn an und versuchte einen erneuten Angriff.
Der damit endete, dass er seine Faust in ihr Gesicht schlug und sie nach hinten gegen die Fahrertür fiel.
Der Mann holte erneut aus. Er schien keine Probleme mit dem engen Raum zu haben. Seine Schläge waren gezielt und hart. Und Stevie konnte nichts dagegen tun.

Sie griff hinter sich und ohne sich von der Tür wegzulehnen oder sich umzudrehen, erwischte sie den Türgriff und drückte die Tür auf.
Gerade als er erneut ihr Gesicht zielte, fiel sie nach hinten aus der Fahrerkabine.
Die Landung auf dem Sandboden presste ihr erst einmal alle Luft aus den Lungen und sie sah für einen Moment Sterne.

„ERIC!“ Sie wusste nicht was sie tun sollte. Sie hatte Angst. Sie hatte Schmerzen. Und der Kerl schien noch lange nicht fertig mit ihr.
Der Fahrer war auf die Beifahrerseite gerutscht und hatte sich Stevie´s Rucksack gegriffen und ebenfalls nach draußen geworfen.
Um Haaresbreite hätte er damit Stevie getroffen, die sich langsam wieder auf ihre Füße mühte.
Danach sprang der Fahrer selbst raus und stürzte auf sie zu.
Noch ehe sie etwas sagen oder tun konnte, hatte er sie mit einer Hand am Hals gegriffen und begann mit der zweiten ihre Taschen abzusuchen. Erst die Jackentaschen und dann die Hosentaschen.
Noch immer rief sie nach Eric. Doch da er ihr die Luft abdrückte, war dies nicht mehr als hilfloses Gewimmer.

Endlich hatte der Kerl gefunden, was er gesucht hatte. Er zog einen kleinen Bündel Geldscheine aus ihrer hinteren Hosentasche und grinste.
„Ihr seit alle gleich!“ motzte er und stieß Stevie zu Boden.
„Ihr steht am Straßenrand, bettelt und dann wenn mal einer nett zu euch ist, bestehlt ihr ihn!“ meinte er und trat nun nach Stevie, die atemlos am dem Boden lag.
Sie versuchte seinen Tritten auszuweichen und wieder aufzustehen. Doch die vorherige Prügel hatte sie geschwächt. Auch versuchte sie noch immer wieder richtig zu Atem zu kommen.

Tränen liefen ihr übers Gesicht. Sie rief nicht mehr nach Eric.
„Niemand wird dich vermissen! Niemand!“ lachte der Mann und trat erneut zu.
Diesmal erwischte er sie an der Seite und wieder sah sie nur noch Sterne.
Ängstlich und wehrlos rollte sie sich zusammen. Sie war zu schwach um sich noch zu wehren.

Eine Weile tobte er sich noch an ihr aus und erst als sie keine Regung und auch kein Geräusch mehr von sich gab, hörte er auf.
Belustigt sah er auf sein Werk.
Dann widmete er seine Aufmerksamkeit ihrem Rucksack. Schüttete den gesamten Inhalt aus und suchte nach Wertsachen. Allerdings fand er nur ein paar Kleidungsstücke, ein Notizbuch und eine Landkarte.
„Scheiß Landstreicher!“ war seine letzte Bemerkung, bevor er sich wieder in seinen Truck setzte, den Motor startete und losfuhr.
Ihm war egal, was nun aus ihr werden würde. Niemanden würde es großartig interessieren.
Nikita LaChance
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Re: AT: can't find my way home

Beitragvon Nikita LaChance » Fr 28. Okt 2011, 09:20

Kapitel VII

Eric kam es vor, als würde er gerade Verstecken spielen mit seinen Freunden. Nur dass er nicht genau wusste, wo er nach seinen Freunden suchen sollte. Und dass es im Moment eigentlich nur eine einzige Person gab, die er Freund nannte.
Er kam sich hilflos vor. Hilfloser als er es war, kurz nachdem er entdeckt hatte, dass er im Grunde Körperlos war und nicht wusste warum.
Er hatte in dem einen Moment noch mit Stevie über der Landkarte gehockt und mit ihr einige Routen durchgeplant, die sie selbst vermutlich nie einschlagen würden. Und im nächsten Moment war sie mit einem Trucker weggegangen und …
Verschwunden!
Bisher hatte er sie immer gefunden. Er hatte sich lediglich auf sie konzentrieren müssen und er war wenig später bei ihr.
Doch jetzt? Nichts.

Er wusste nicht was er machen sollte. Er wusste nicht wo er sie suchen sollte.
Er hatte erst die Stadt abgesucht und dann seinen Radius immer weiter um die Stadt erweitert.
Nicht nur dass Stevie von seinem Radar verschwunden war, so konnte er auch nicht den Truckfahrer ausmachen. Und so was war bisher noch nie vorgekommen.

Mit seinem Geisterdasein hatte er im Grunde jegliches Zeitgefühl verloren, dennoch wusste er, dass bereits einige Stunden vergangen waren, ehe er Stevie wieder spürte.
Er konnte sie regelrecht nach ihm rufen hören. Nur sehen konnte er sie nicht, war er doch selbst am falschen Fleck.

Und als Eric endlich bei Stevie ankam, war er für einen kurzen Moment zu geschockt um irgendwie zu reagieren.
Er sah den Truck wegfahren.
Und Stevie zusammen gekrümmt auf dem Boden liegen.

„Kleine?“ Er hockte sich neben sie und versuchte sie zu berühren.
Da er zu aufgeregt war, glitt seine Hand durch sie.
Also versuchte er es erneut und konzentrierte sich diesmal.
Während er sich früher noch über Patrick Swayze´s Geisterdarstellung im Film lustig gemacht hatte, war der Tipp des Geistergurus in dem Film, sich zu konzentrieren, wohl oder übel der einzige Möglichkeit irgendetwas in Bewegung zu setzten oder zu berühren.
Diesmal landete seine Hand auf ihrer Schulter.
Doch Stevie reagierte nicht.
Sie reagierte weder auf seine Versuche sie wach zu rütteln, noch auf seine Stimme.

„Scheiße!“ schrie Eric laut.
„Komm schon, Stevie, du kannst hier nicht liegen bleiben!“
Immer wieder sah Eric sich um. Doch weit und breit war kein Wagen zu sehen und so abseits wie die Straße lag, würde so schnell auch kein Wagen vorbeikommen.
Eric wusste, dass er nichts ausrichten konnte.
Seine Konzentration reichte gerade mal aus, um ein paar Dinge durch den Raum schweben zu lassen oder bei Gelegenheit einem aufdringlichen Typen durch die Gegend zu schubsen. Aber nicht, um Stevie, die scheinbar nicht aufwachen wollte, über die Straße bis in den nächsten Ort zu tragen.
Er hatte es schon einmal mit einem Stein versucht und nach knapp fünfzehn Minuten hatte es ihn nicht nur die Konzentration gekostet. Bei seinem Selbstversuch war er danach so erschöpft gewesen, dass er geglaubt hatte, er würde wieder in seinem Körper stecken und hätte gerade wirklich den Stein getragen. Natürlich hatte er Stevie von diesem Versuch nichts erzählt.
Doch im Grunde war dies nun auch egal.
Es würde weder ihm noch Stevie helfen, wenn er versuchen würde sie zu tragen.
Spätestens nach fünfzehn Minuten würde ihm die Puste ausgehen und sie würden beide vermutlich noch immer mitten im Nirgendwo stecken.
„Scheiße!“ knurrte er noch einmal.

Wieder sah er sich um.
Dann hatte er einen Entschluss gefasst.
Er beugte sich zu ihr hinunter und flüsterte ihr ins Ohr, dass er gleich zurück sei.
Und dann verschwand er.
Unwissend ob Stevie ihn überhaupt bemerkt hatte.


Der Fahrer steuerte sein Gefährt weiter über die Straße und nahm gleich den erstbesten Abzweig zurück auf den Highway.
Er dachte darüber nach, was gerade geschehen war und musste schmunzeln.
Sein Funkgerät gab ein knackendes Geräusch von sich und er betätigte die Sprechtaste.
„Was gibt’s?“ fragte er lediglich, so als wisse er genau, wer sich auf der anderen Seite der Leitung befand.
„Hast du sie gefunden?“ kam als Gegenfrage zurück.
„Sie sah so ähnlich aus!“ meinte der Fahrer nur und steuerte seinen Truck an zwei Personenkraftfahrzeugen vorbei.
„War sie es oder nicht?“
„Ich sagte doch, sie sah ihr nur ähnlich!“ knurrte der Trucker in sein Funkgerät.
„Ich hatte dir ein Foto geschickt!“ Der andere schien immer ungeduldiger zu werden.
„Ja und?“
„Was hast du mit ihr gemacht?“
Der Trucker verdrehte genervt die Augen, was sein Gesprächspartner zum Glück nicht sah.
„Was soll ich schon gemacht haben!“ erklärte er, „Ich dachte im ersten Moment, dass ich mir die Chance auf ein kleines Schäferstündchen nicht entgehen lassen kann. Doch dann dachte ich, wie schäbig so eine kleine Anhalterin doch sein muss. Wer weiß wer sich an der schon bedient hat?“
Der andere entgegnete nichts darauf.
Doch dann fragte er erneut nach, ob das Mädchen, welches sich der Trucker seiner Aussage nach entledigt hatte, nicht doch die Gesuchte sei.
„Sie hätte mich doch erkannt, oder? Wenn sie es gewesen wäre, hätte sie mich erkannt und wär abgehauen!“ war die Meinung des Truckers, „Was ist eigentlich so besonders an ihr?“
Der andere war für einen kurzen Moment still, so als müsse er sich seine Antwort überlegen.
„Sie hat etwas, was ich haben will. ...“ begann er zu erklären, als der Trucker ihm ins Wort fiel:
„Die Kleine hatte einen Schlüssel um den Hals, den sie nicht hergeben wollte!“
„Hast du den Schlüssel bei dir?“
„Ja! Wieso?“
„Weil du vermutlich das richtige Mädchen gefunden hast!“ erklärte die Stimme aus dem Funkgerät.
„Aber ich sagte doch, dass sie mich nicht erkannt hat! Sie wär nicht in meinem Truck gestiegen und ...“
„Fahr zurück, such sie, such das Schließfach oder was auch immer der Schlüssel öffnet und bring mir, was du findest!“ befahl die Stimme.
„Und das Mädchen?“ wollte der Trucker unsicher wissen.
„Bring sie mit!“
Noch ehe der Trucker irgendwas entgegnen konnte, war das Gespräch beendet worden und er sah verdutzt auf das Funkgerät.
„Klasse!“ knurrte der Fahrer mehr zu sich, „Jetzt muss ich das kleine Miststück schon wieder suchen!“


Brandon hatte in einem Motel ganz in der Nähe der Werkstatt ein Zimmer gefunden. Noch bevor er sich schlafen gelegt hatte, hatte er seinen Rucksack in aller Eile nach trockener Kleidung durchsucht und sich danach eine frische Dusche gegönnt.
Er hatte dann ein paar Stunden geschlafen und auch wenn er hätte vermutlich den halben Tag durch schlafen können, war er aufgestanden, um nach seinem Motorrad zu sehen.
Allerdings hatte Mike ihm keine gute Nachrichten verbreiten können. Wohl oder übel würde das Motorrad noch über einen Tag in der Werkstatt bleiben müssen und somit blieb auch Brandon nichts anderes als noch länger in der Stadt zu bleiben.

Er war gerade wieder in sein Zimmer zurückgekehrt und hatte begonnen seine Kleider zum Trocknen aufzuhängen, als plötzlich ein fremder Kerl mitten im Raum stand.
„Scheiße!“ entfuhr es Brandon und er sprang auf die Beine, bereit sich zu verteidigen.
„Ich brauch deine Hilfe!“ meinte der andere allerdings nur, unbeeindruckt von der Kampfpose seines Gegenübers.
Brandon musterte den Fremden und dann fiel es ihm wieder ein, warum er ihm bekannt vor kam.
„Du warst doch bei Stevie!“ stellte er fest.
„Ich bin Eric!“ stellte der andere sich kurz vor und trat einen Schritt näher auf Brandon zu.
„Und … was willst du jetzt hier?“ Brandon war sich nicht wirklich sicher wie er reagieren sollte.
„Ich brauch deine Hilfe!“ wiederholte Eric und klang allmählich wütend, „Stevie ist verletzt und ich … kann ihr nicht helfen!“
Brandon schüttelte ungläubig den Kopf. Er verstand nicht, wie der Kerl in seinem Zimmer hatte auftauchen können, ohne dass er die Tür geöffnet hatte. Und noch weniger verstand er, warum er ihm helfen sollte.
Eric sah ihn zornig an und löste sich in Luft auf.

„Was war das jetzt?“ Brandon sah sich um.
Und erschrak.
Denn der Blonde war zurück. Noch immer stinksauer.
„Was? Wie?“
Eric rollte genervt mit den Augen.
„Können wir den Scheiß auf später verlegen, verdammt noch mal! Du musst Stevie helfen! Sie ist verletzt und ich weiß nicht wie ich sonst helfen kann!“ wiederholte er.
„Du bist … ein Geist?“
„Hallo!“ schrie Eric gereizt, „Wer oder was ich bin tut jetzt nichts zur Sache! Du musst mir mit Stevie helfen!“
Brandon sah ihn noch immer irritiert an.
„Verdammt!“ Eric wollte schon wieder verschwinden und drehte sich zur Tür um, als Brandon ihn aufhielt.
Oder es versuchte.
Seine Hand glitt durch Eric´s Arm, als er diesen zu packen versuchte.
„Okay, Geist!“ murmelte Brandon zu sich und sah Eric dann mit großen Augen an.
„Was ist passiert?“ wollte er dann von dem Blonden wissen.

„Ich hab keine Ahnung was passiert ist!“ gab der nur gereizt zurück, „Sie ist mit einem Trucker weg und ich hab sie aus den Augen verloren. Und dann hab ich sie wiedergefunden. Verletzt!“
„Wo?“ Brandon schnappte sich seine Jacke und ging in Richtung Zimmertür, wobei er Eric auswich, so als sei er kein körperloses Wesen.
„Auf ´ner Landstraße! Ich kann dich hinführen!“ erklärte Eric und folgte Brandon aus dem Zimmer.
Erst draußen fiel Brandon wieder ein, dass er im Grunde keinen fahrbaren Untersatz hatte, was er Eric allerdings nicht sofort mitteilte.

Er führte den Blonden zur Werkstatt, wo er auf Mike traf, der gerade über den Motor eines alten Dodge gebeugt war.
„Mike? Wie weit ist mein Motorrad?“
Mike drehte sich sein Gesicht in Brandon´s Richtung, ohne jedoch seinen Kopf aus dem Motorraum hoch zunehmen.
„Bin noch nicht fertig! Morgen früh kommt noch ein Ersatzteil. Hab ich doch schon gesagt, oder?“ antwortete Mike nur und musterte Brandon kurz.
Dann jedoch bemerkte Mike den Blonden hinter Brandon und er zog fragend eine Augenbraue hoch.
„Wieso brauchst du´s denn?“ wollte er dann wissen und drehte sich wieder dem Motor zu.
Brandon sah kurz zu Eric, der unruhig umher sah, als wäge er ab, wo er jemand anderen finden könnte, der Stevie hilft.
„Ähm … eine Freundin hatte eine kleine Panne und ich sollte sie abholen?“ Er klang so unsicher, dass er wusste, dass Mike ihm die Lüge niemals abnehmen würde.

Mike trat endlich von dem Motor weg und wand sich ganz Brandon zu.
Noch einmal musterte er ihn und den Blonden.
„Eine Freundin?“
Brandon nickte nur.
„Hast du vielleicht ein Auto, was ich borgen könnte?“ Eric´s Unruhe steckte nun auch Brandon an.
Mike sah sich um und sein Blick fiel auf einen alten gelben Ford.
„Ich brauch den Wagen nur, um sie abzuholen.“ Brandon sah ihn flehend an, „Und du hast doch auch mein Motorrad als Pfand!“
„Aha!“ Mike dachte kurz nach und sein Blick fiel abermals auf den Blonden hinter Brandon.
„Gut!“ Damit fischte er einen Autoschlüssel aus seiner Hosentasche und zeigte auf den gelben Ford.
„Den will ich aber wieder haben!“ meinte er und ging damit ohne weitere Worte an seine Arbeit zurück.

Für einen kurzen Moment war Brandon irritiert darüber, dass Mike ihm den Autoschlüssel ohne weiteres gegeben hatte. Doch dann besann er sich wieder und er stieg in den Wagen.
Es war ungewohnt für ihn nun nach Tagen hinter einem Lenkrad zu sitzen und vier statt zwei Räder über die Straße zu bewegen. Aber bevor er zu seinem Road Trip aufgebrochen war, hatte er fast jeden Tag mit einem Auto zur Arbeit fahren müssen.
Eric hatte neben ihm auf dem Beifahrersitz Platz genommen und hatte ihm lediglich die Richtung gezeigt in die sie fahren müssten.

Nach einer Weile, nachdem die Stadt und somit die Werkstatt von Mike außer Sichtweite war, wollte Brandon mehr wissen.
„Wieso warst du nicht bei ihr?“
Eric biss verärgert die Zähne zusammen. Er hatte sich die Frage selbst schon gestellt. Er hatte es versucht, doch er hatte sie nicht gefunden. Jedenfalls nicht rechtzeitig.
„Sie hat gesagt, du wärst immer bei ihr!“
Noch immer gab Eric keine Antwort darauf. Er sah stur gerade aus.

Plötzlich verschwand Eric ohne ein Wort zu sagen aus dem Wagen und tauchte gleich wenige Sekunden später wieder auf dem Beifahrersitz auf.
Brandon erschrak logischerweise und durch seine Reaktion schwenkte der Wagen aus. Brandon war es nicht gewohnt, dass der Beifahrer solch merkwürdige Kunststückchen vollführte.
„Verdammt noch mal!“ knurrte er leise zu sich und versuchte seinen Puls wieder unter Kontrolle zu bekommen.
„Hier jetzt runter!“ meinte Eric nur, ohne auf Brandon´s Schrecken zu reagieren.
Er erklärte ihm, wie er weiter zu fahren hatte, ehe er dann schließlich irgendwann meinte, dass sie gleich da seien.


Stevie war mitten in dem Dreck aufgewacht. Ihr tat alles weh und für einen kurzen Moment wusste sie weder wo sie war, noch was passiert war.
Doch dann fiel es ihr wieder ein und sie setzte sich blitzschnell auf, aus Angst, dass der Fahrer sie erneut angreifen könnte.
Die Reaktion verursachte ihr nicht nur Schmerzen in der Rippen- und Magengegend sondern auch ein heftiges Schwindeln im Kopf.
„Eric?“ es war noch immer nur ein schwaches Flüstern, was sie von sich gab. Sie wusste nicht, warum sie noch immer nach ihm rief.
Vielleicht wollte er einfach nicht mehr zu ihr kommen und ihr helfen. Oder er konnte nicht.

Sie blieb eine Weile so sitzen. Unsicher, was sie nun tun sollte.
Sie steckte mitten im Nirgendwo.
Dann hörte sie ein Auto näher kommen.
Einerseits war sie erleichtert, denn das bedeutete, dass sie endlich hier weg käme. Andererseits, was wenn der Fahrer sie auch nur verprügeln würde oder schlimmeres. Bisher hatte sie sich über dies nie wirklich Gedanken gemacht. Allerdings war bisher auch immer Eric da gewesen, der sie vor schlimmeren bewahrt hatte.

„Stevie!“
Eric tauchte neben ihr auf, noch ehe der Wagen hielt.
Sie sah ihn mit großen Augen an, so als könne sie nicht glauben, dass er wirklich da war.
Dann bemerkte sie, dass jemand aus dem Wagen gestiegen war und erschrocken sah sie von Eric auf den Fahrer.
Sie war irritiert, warum Eric so ruhig blieb, während der Fahrer immer näher kam.

„Hey! Alles okay bei dir?“
Stevie sah an der Gestalt nach oben und erkannte erst jetzt Brandon, der sie besorgt ansah.
Sie wollte ihm antworten, dass es ihr gut ginge. Dass sie keine Hilfe bräuchte. Aber sie bekam kein Wort über die Lippen.
Brandon hockte sich zu ihr und musterte sie genauer.
Eric sah zwischen den Beiden hin und her, so als müsse er abwägen, ob er Brandon wirklich vertrauen könnte oder ob er ihn vielleicht doch wieder zum Teufel schicken sollte.

„Wir sollten dich zu einem Arzt schaffen!“ meinte Brandon dann und hielt Stevie eine Hand hin, um ihr aufzuhelfen.
Noch immer sah sie ihn unsicher mit großen Augen an.
Er schien ihre Angst zu bemerken und meinte nur, dass er ihr nichts tue und ihr helfen wolle.
Eric hatte sich nun ebenfalls erhoben und beide Männer sahen auf Stevie herab und warteten.
„Mir … mir geht’s gut!“ murmelte sie und versuchte allein aufzustehen, was ihr allerdings nicht so recht gelang.
Es war als wären ihre Beine aus Gummi oder als habe man ihr einfach alle Kraft genommen. Und das Schwindelgefühl war nun fiesen Kopfschmerzen gewichen.
Ohne auf ihre Aussage zu achten oder darauf, dass sie sich nicht helfen lassen wollte, packte Brandon sie unterm Arm und zog sie auf die Beine.

Sie versuchte allein zu stehen, aber irgendwie klappte dies nicht so recht und so musste sie sich wohl oder übel von ihm stützen lassen.
„Bis zum Wagen und dann kannst du dich auf dem Rücksitz hinlegen!“ meinte Brandon nur und warf sich einen ihrer Arme um seine Schulter, während er seinen Arm um ihre Hüfte schlang und sie so zum Wagen führte.
Stevie biss die Zähne zusammen und zwang ihre Beine die wenigen Schritte zu tun.
Allerdings war sie erleichtert, als sie endlich auf dem Rücksitz Platz nehmen konnte. Sie legte sich zwar nicht auf die Rückbank, aber rutschte soweit hinab, dass sie ihren Kopf mehr oder weniger bequem auf der Rücklehne ablegen konnte. Und dann schloss sie ihre Augen, während sie sich ihre Arme um sich schlang.
Brandon betrachtete sie kurz und malte sich aus, was hätte alles passieren können.

Eric hatte blitzschnell alle Sachen von Stevie wieder eingesammelt und in den Rucksack gestopft, den er in den Fußraum des Beifahrersitzes stellte.
Brandon war ohne darauf oder dass Eric sich zu Stevie auf den Rücksitz gesellte, wobei seine Beine durch ihre hindurchgingen, zu reagieren, wieder losgefahren.
Er fuhr die Straße wieder zurück, die er gekommen war und warf immer wieder eine Blick in den Rückspiegel.
Er konnte sehen, wie Stevie die Augen zusammenpresste und jede Bodenunebenheit ihr Schmerzen bereiteten. Er konnte auch sehen, wie besorgt Eric aussah und dass der junge Mann ihr vermutlich tröstend über den Kopf streichen oder die Hand halten wollte, es sich aber verkniff.

„Es tut mir leid!“ flüsterte Stevie dann und drehte den Kopf in Eric´s Richtung.
Sie sah ihn mit müden Augen an.
Nikita LaChance
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Re: AT: can't find my way home

Beitragvon Nikita LaChance » Fr 28. Okt 2011, 09:21

Kapitel VIII

Die Rückfahrt kam Brandon länger vor als die Hinfahrt.
Immer wieder hatte er einen Blick auf dem Rücksitz geworfen.
Stevie schien eingedöst zu sein und Eric wirkte, als würde er jeden Moment irgendjemanden verprügeln wollen.
Brandon hatte nicht ganz verstanden, weswegen sich Stevie bei ihrem Geisterfreund hatte entschuldigt.
Sie hatte irgendwas von einem gestohlenen Schlüssel erzählt. Eric hatte nichts dazu gesagt.
Doch warum war Stevie der Schlüssel wichtiger, als sie selbst? Diese Frage geisterte Brandon die ganze Zeit durch den Kopf.

„Eric? Du weißt nicht zufällig, wo hier ein Krankenhaus ist? Oder ein Arzt?“ fragte Brandon nach hinten.
Eric riss seine Augen von Stevie los und sah ihn irritiert an.
„Sie muss zu einem Arzt!“ erklärte Brandon mit Blick in den Rückspiegel.
„Wird ihr aber nicht gefallen!“ murmelte Eric nur.
„Das ist mir egal!“ gab Brandon mit harter Stimme zurück, „Wir wissen nicht, wie schwer sie verletzt ist.“
Eric wägte diese Information kurz ab und nickte dann.
Er warf noch einmal kurz einen Blick auf Stevie, die ihre Augen noch immer geschlossen hielt. Sie waren allen Anschein nach wach, dass konnte Eric daran erkennen, dass sie noch immer ihre Zähne zusammenbiss und die Schmerzen zu ignorieren versuchte.
„Ich bin gleich zurück!“ meinte Eric dann und verschwand.

Und war nur wenige Sekunden später wieder da. Er war wieder auf dem Rücksitz aufgetaucht und beugte sich nach vorn zu Brandon.
Er wies ihm den Weg und zeigte dann auf eine kleine Tagesklinik.
Brandon hielt direkt davor und drehte sich dann zu Eric und Stevie um.
Stevie hatte ihre Augen wieder geöffnet und sah von der Klinik auf Eric. Es wirkte, als wolle sie jeden Moment dagegen protestierten, dort hin zu gehen. Aber sie sagte nichts.
„Es ist besser so!“ flüsterte Eric ihr zu und sie nickte schwach.

Brandon stieg aus und half dann Stevie aus dem Wagen. Er half ihr auch in die Klinik.
Es sah vermutlich ein wenig eigenwillig aus, wie sie so halb in seinem Arm hing. Aber niemand sagte etwas dazu.
Brandon half Stevie sich auf einen Stuhl im Wartebereich zu setzten, bevor er zum Empfang ging und die dahinter sitzende Schwester ansprach.
„Wir brauchen einen Arzt!“ meinte er und die Schwester sah von ihm auf die beiden anderen, die auf den Stühlen saßen.
Sie holte ein Klemmbrett mit einem Informationsblatt hervor und schob es Brandon zu.
„Füllen Sie das hier aus und dann kommt gleich jemand, der das Mädchen in den Untersuchungsraum holt!“ meinte sie nur und widmete sich wieder ihrer Schreibarbeit am Computer.

Mit dem Zettel ging Brandon wieder zu Stevie und Eric.
„Ich versteh nicht, warum wir warten müssen!“ murmelte Eric gereizt, „Wir sind die einzigen hier!“
Brandon zuckte nur mit den Schultern und studierte den Zettel.
„Name des Patienten?“ las er vor und Eric und Stevie sahen ihn fragend an.
„Schreib Nicks! Stevie Nicks!“ schlug Eric vor. Brandon konnte sich vorstellen, dass der Name erfunden war, sagte aber nichts dazu.
Gemeinsam mit Eric versuchte Brandon das Blatt auszufüllen, was sich allerdings als recht schwierig erwies, da sie weder wussten, ob Stevie irgendwelche Vorerkrankungen oder Allergien hatte noch ihre Adresse oder wer im Notfall zu benachrichtigen sei.
So hatten sie außer einem Namen und einem erfundenen Geburtstag, den Eric aus dem Tag, an dem er Stevie kennenlernte und dem geschätzten Alter von ihr zusammensetzte, nur noch eingetragen wieso sie nun medizinische Hilfe bedurfte.

Kaum hatten sie die wenigen Daten auf das Blatt geschrieben, trat eine Ärztin auf die Drei zu.
„Hallo! Ich bin Doktor Sanders!“ stellte sie sich vor und lies sich von Brandon das Klemmbrett geben.
Sie las sich kurz die wenigen Angaben durch.
„Stevie Nicks, geboren 28. Juli 1990, richtig?“ Sie sah die Drei an und Eric war der erste, der nickte.
„Ein Überfall?“ Sie musterte die Drei genau, bevor ihr Blick auf Stevie hängen blieb.
Stevie konnte nicht anders und nickte.
Die Ärztin wartete kurz, ob sie noch weitere Informationen bekäme. Als diese aber ausblieben, bat sie Stevie ihr ins Behandlungszimmer zu folgen.
Eric und Brandon waren ebenfalls aufgesprungen, doch die Ärztin meinte, dass sie das Mädchen allein untersuchen müsse.
Beide Männer hatten sich dann besorgt angesehen, während Stevie der Ärztin hinterher schlich.


Stevie sollte sich auf die Untersuchungsliege setzten und die Ärztin schloss die Tür hinter sich. Beide hatten Eric und Brandon gesehen, die ihnen gefolgt waren und nun vor der Tür warteten.
Panik stieg in Stevie auf.
„Keine Angst!“ versicherte die Ärztin ihr, „Es wird schnell gehen!“
Das beruhigte das Mädchen nicht im Geringsten.
„Ein Überfall also!“ fing die Ärztin an und zog sich Handschuhe über.
Stevie wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Mit großen Augen beobachtete sie, wie die Ärztin einige Utensilien auf ein Tablett legte und dieses dann auf das kleine Tischchen neben der Liege abstellte.
„Du bist nicht der erste Streuner, der hier eingeliefert wird!“ meinte die Ärztin und zog sich einen Hocker heran, sodass sie sich Stevie gegenüber setzten konnte.
„Und vermutlich wirst du auch nicht der letzte sein!“ seufzte die Ärztin und geträufelte ein Wattebausch mit einer stinkenden Flüssigkeit.
„Das wird jetzt ein wenig wehtun!“
Mit dem Wattebausch begann sie Stevie´s verletzte Lippe zu reinigen. Und die Ärztin hatte recht. Es brannte höllisch.
„Die Jungs sind deine Freunde?“ Allen Anschein nach versuchte Doktor Sanders sie von der Untersuchung abzulenken, oder sie versuchte einfach nur Stevie zum Reden zu bringen.
Stevie allerdings sagte nichts weiter. Sie nickte lediglich um zu bestätigen, dass die beiden Männer vorm Untersuchungsraum Freunde waren.

Für einen kurzen Augenblick konnte Stevie Eric im Raum sehen. Und obwohl sie lediglich sein Spiegelbild hatte sehen können, während er ansonsten unsichtbar blieb, beruhigte es sie.
Jedenfalls bis die Ärztin sie bat, ihr Oberteil auszuziehen.
Stevie hatte die Ärztin mit großen Augen angesehen und war dann rot angelaufen.
„Nur für die Untersuchung!“ versicherte Doktor Sanders ihr.
Stevie schluckte kurz, hob ihr Shirt hoch und versuchte es auszuziehen. Sie hoffte inständig, dass Eric genug Anstand ihr gegenüber besaß und wieder aus dem Raum verschwunden war.
Sie bekam das Shirt nicht hoch genug, ohne dass ihr die Bewegung zu sehr Schmerzen zufügte.
Die Ärztin half ihr wortlos und ignorierte das rote Gesicht des Mädchens.

Doktor Sanders führte ihre Untersuchung wortlos fort und musterte Stevie mit prüfenden Auge. Anscheinend hatte sie geahnt, dass wenn sie Stevie gefragt hätte, ob ihr irgendetwas weh täte, dass sie dann gelogen hätte. So achtete sie auf jede noch so kleine Reaktion.
Und als die Ärztin mit ihren Fingern prüfend über die Rippen der rechten Seite fuhr, zuckte Stevie zusammen.
„Gebrochen ist nichts!“ meinte sie zu Stevie und nahm ihr Stethoskop, um Stevie´s Brustkorb abzuhören.

Stevie wartete nur darauf, dass die Ärztin endlich fertig wurde und sie wieder gehen konnte.
Doch die Ärztin schien noch lange nicht fertig zu sein.
„Dein Handgelenk!“ meinte sie und packte ohne darauf zu warten, dass Stevie irgendwie reagierte, nach deren linker Hand.
„Au!“ entfuhr Stevie leise.
Die Ärztin drehte es kurz, was Stevie erneut zusammen zucken lies.
„Verstaucht!“ verkündete Doktor Sanders nur und griff nach dem Verbandsmaterial am dem Tablett neben sich.
Damit begann sie das Handgelenk eng zu bandagieren.

„Fertig!“ verkündete sie wenig später und meinte, Stevie könne sich ihr Shirt wieder anziehen. Natürlich musste auch dabei die Ärztin ihr helfen, was sie kommentarlos auch tat.
Stevie rutschte unruhig auf der Liege herum und ihr Blick ging sogleich zur Tür des Behandlungszimmers.
„Gibt es sonst noch irgendwelche Verletzungen?“ Doktor Sanders sprang mit beruhigender Stimme. Ruhiger als vorher.
Und Stevie sah sie irritiert an.
„Irgendetwas, was die beiden da draußen nicht wissen sollen?“
Für einen Moment wusste Stevie nicht, was die Ärztin andeutete.
Doktor Sanders musterte Stevie genau.

„Nein!“ gab Stevie mit leichtem Kopfschütteln von sich.
Noch immer wartete die Ärztin darauf, ob Stevie nicht noch irgendetwas anders sagen würde. Doch dann gab sie auf und hoffte, dass das Mädchen lediglich in eine Schlägerei geraten war.
„Du solltest vorsichtig sein!“ meinte sie zu ihr, „Diesmal hast du Glück gehabt!“
Doktor Sanders stand auf und ging zu einem kleinen Schrank mit vergitterten Glastüren. Sie schloss den Schrank auf, holte etwas heraus und schloss die Tür wieder ab.
„Nimm die hier!“ Die Ärztin hielt Stevie zwei Tabletten hin und Stevie blickte sie irritiert an.
„Gegen die Schmerzen! Und behaupte nicht, dass du keine hast!“
Ohne Widerworte nahm Stevie die Tabletten und wartete noch immer darauf, dass sie endlich gehen könnte.

Doktor Sanders ging zur Tür und als sie sie öffnete, erschraken Brandon und Eric, die davor gewartet hatten.
„Sie sollte sich ein wenig ausruhen und sich nicht so viel bewegen!“ verkündete die Ärztin den beiden Männern.
Brandon nickte und warf einen Blick in den Raum zu Stevie, die wieder von der Liege geklettert war und unsicher auf den Beinen stand.
Noch ehe er die Ärztin fragen konnte, meinte diese, dass sie Stevie wieder mitnehmen könnten.
„Aber warum bleibt sie nicht hier?“ wollte er irritiert wissen.
Doktor Sanders schmunzelte und warf noch einmal ein Blick zu Stevie in den Raum, die Brandon mit großen Augen ansah, als habe er gerade verkündet, er wolle sie einsperren lassen.
„Die Kleine ist ein Streuner!“ meinte die Ärztin schmunzelnd, „Wenn ich sie einweisen würde, würde sie schon wenige Stunden später wieder weg rennen!“
Eric und Brandon sahen die Frau fragend an.
„Sie ist nicht der erste Ausreißer, der hier landet! Einige sind sogar noch im schlimmeren Zustand als sie und dennoch haben alle den Drang so schnell wie möglich wieder weg zu wollen!“
Damit ging die Ärztin. Doch nach wenigen Schritten drehte sie sich noch einmal zu Eric und Brandon.
„Es wäre allerdings vermutlich besser, wenn ihr sie für einer Weile von der Straße fernhalten könntet! Und sie sollte sich ein wenig ausruhen! Und etwas essen!“
Dann ging sie ihrer Wege und ließ Eric und Brandon verwirrt über den Befehlston der Ärztin zurück.

Stevie war langsam zu den beiden Männern auf den Flur gelaufen. Sie hielt sich noch immer ihre Rippen.
Allerdings konnte sie die Wirkung der Schmerztabletten schon fühlen.
Nun verschwanden zwar die Kopf- und auch alle anderen Schmerzen, aber dafür wurde ihr schummrig und sie wurde müde.
„Alles okay bei dir?“ wollte Eric von ihr wissen. Er sah sie besorgt an.
Als sie ihm allerdings in die Augen sah, lief er kurz rot an.
„Nur schwindlig!“ flüsterte Stevie, „Verstauchtes Handgelenk und blaue Flecken!“
Brandon sah das Mädchen prüfend an und überlegte was er nun machen sollte.

„Wir sollten ins Motel fahren!“ verkündete er dann und noch ehe Eric oder Stevie Protest einlegen konnte, hatte er sie einfach gepackt und nahm sie auf den Arm.
Unter Eric´s Geschimpfe, dass er das hätte auch machen können, und Stevie´s leisem „Lass mich runter!“ und dem irritierten und genervten Blick der Schwester am Empfang, trug er Stevie nach draußen zum Wagen.
Er half ihr auf den Rücksitz und stieg dann wieder in den Fahrersitz.
„Du wirst heut nicht draußen schlafen!“ meinte er mit fester Stimme zu ihr und ignorierte Eric´s Protest, dass Brandon das nicht zu bestimmen hätte.
Stevie nickte nur müde.

Brandon fuhr mit dem Wagen zum Motel, half dort Stevie aus dem Wagen und in sein Zimmer. Stevie hatte protestiert, dass sie laufen könnte und so ging er mit ihrem Rucksack neben ihr her, während sie langsam voran ging.
Eric hatte sich wieder beruhigt und war erst im Zimmer wieder aufgetaucht.
„Ihr beide bleibt hier!“ meinte Brandon mehr zu Eric, „Sie legt sich hin und schläft!“
Eric nickte .
Stevie brauchte im Grunde keine zweite Aufforderung. Sie war aufs Bett gekrochen und hatte sich zusammengerollt und war kurz davor einzuschlafen.
„Ich bring den Wagen zurück zu Mike und dann will ich ein paar Antworten!“ meinte Brandon und stellte Stevie´s Rucksack ab.
Dann verließ er das Zimmer wieder und überlegte kurz, ob er die Tür hinter sich abschließen sollte, damit zumindest Stevie nicht weglaufen könnte.
Aber er entschied sich dagegen. Unter anderem, da Stevie eh viel zu KO war, um wegzulaufen.

Er brachte den Ford wieder zur Werkstatt, wo Mike mit einer Flasche Bier saß, so als habe er ihn bereits erwartet.
„Danke!“ meinte Brandon, als er Mike den Schlüssel zurückgab.
„Wie geht’s ihr?“ wollte Mike wissen und wies mit seinem Blick in Richtung Motel. Es war klar, dass er Stevie gesehen haben musste.
Für eine Sekunde überlegte sich Brandon, ob er Mike sagen sollte, dass es ihm nichts anginge. Aber dann entschied er sich, ihm die selbe Lüge zu erzählen, wie zuvor der Ärztin.
Mike nickte nur und nahm einen tiefen Schluck von seinem Bier.

Dann sah er erneut zu Brandon auf, musterte ihn und meinte:
„Sie war schon einmal hier!“
„Was?“ Brandon wusste nicht genau, was Mike meinte.
„Deine kleine Freundin! Sie war vor über vier Monaten schon mal hier!“
Zuletzt geändert von Nikita LaChance am Fr 11. Nov 2011, 09:05, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: AT: can't find my way home

Beitragvon Nikita LaChance » Fr 4. Nov 2011, 08:49

Kapitel IX

„Sie war vor über vier Monaten hier!“ wiederholte Mike, so als habe Brandon ihn nicht verstanden.
Doch dieser sah ihn immer noch irritiert an.
„Und?“
Mike zog verwundert beide Augenbrauen nach oben.
„Kennst du die Kleine überhaupt?“ wollte er dann von dem Mann vor sich wissen.
Brandon wollte im ersten Moment lügen, dann aber erklärte er, dass er sie erst vor wenigen Tagen getroffen hatte.
Wieder nickte Mike und nahm einen Schluck Bier, bevor er sprach:
„Sie war allein damals. Sah ein klein wenig verloren aus!“
Brandon wusste noch immer nicht, was Mike ihm überhaupt sagen wollte.
„Sie muss auf jemanden gewartet haben. Oder sie hat etwas gesucht.“ mutmaßte Mike, „Hat allerdings mit niemanden weiter geredet!“
Brandon warf einen Blick hinter sich in Richtung Motel, so als erwarte er, dass sich Stevie und ihr Freund raus schleichen würden. Dann sah er wieder zu Mike.
„Nach zwei Tagen war sie wieder verschwunden.“
Mike sah ihn erwartungsvoll an, so als erhoffe er von Brandon irgendwelche nähere Informationen oder zumindest irgendeine Frage. Doch Brandon blieb stumm.

Mike leerte seine Flasche, erhob sich und wollte bereits gehen, als er sich erneut zu Brandon umsah.
„Du solltest vorsichtig sein!“ meinte er zu ihm, „Das letzte Mal als sie hier war, gab´s danach ein ganz schönes Chaos!“
Ohne nähere Erklärung ging Mike wieder in die Werkstatt und verschloss die Tür hinter sich.
Brandon hatte noch immer keine Ahnung, was Mike hatte andeuten wollen. Im Moment kam ihm Eric eindeutig gefährlicher vor als Stevie.
Verwirrt ging er wieder zum Motel zurück, noch immer halb in der Erwartung, dass das Mädchen und ihr Freund verschwunden waren.

Doch beide waren noch da.
Sie hatte sich auf seinem Bett zusammengerollt und schlief, während der blonde Kerl neben ihr auf einem Stuhl saß und sie beobachtete.
Brandon schloss die Tür hinter sich und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Ich will Antworten!“ verkündete er und richtete seinen Blick auf Eric, der erst jetzt von ihr auf sah.
„Dann solltest du erst mal eine Frage stellen!“ konterte Eric, setzte sich aufrecht und verschränkte ebenfalls die Arme vor der Brust.

„Wer oder was bist du?“
„Ich dachte, das hätten wir geklärt!“ knurrte Eric zurück.
Brandon nickte nur grimmig blickend.
Eric rollte mit den Augen.
„Du bist tot?“
Eric riss entsetzt die Augen auf.
„Ich bin nicht tot!“ schrie er, bevor er sich bewusst wurde, dass neben ihm Stevie schlief. Doch die schien von dem ganzen gar nichts mitzubekommen.
„Ich weiß nur nicht, wo mein Körper steckt!“ gab er etwas leiser zu.
„Und sie?“
Eric seufzte kurz und erzählte in Kurzform, dass er Stevie in einem Krankenhaus getroffen hatte und sie zusammen unterwegs waren.
Auf Brandon´s Frage wohin, hatte er lediglich geantwortet, dass Stevie Eric helfen wollte, seinen Körper wieder zu finden.
„Und die Geheimniskrämerei? Der falsche Name vorhin!“
Eric´s Blick wanderte kurz zu Stevie und dann wieder zu Brandon. Sein Ausdruck änderte sich von genervt zu besorgt und Brandon war irritiert.
„Sie weiß nicht, wer sie ist!“ kam von Eric mit ruhiger Stimme, „Als ich sie getroffen hatte, war sie gerade aus einem Koma erwacht. Soweit ich mitbekommen hatte, hatte sie vorher einen Unfall oder so was ähnliches.“
„So was ähnliches?“
„Sie war schwer verletzt gewesen, als man sie gefunden hat. Niemand war bei ihr!“ erklärte Eric, „Und niemand kannte sie. Die Polizei hat versucht irgendetwas über sie heraus zu finden. Doch nichts!“
Brandon´s Blick fiel auf Stevie, die noch immer nichts mitbekam. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Eric´s Geschichte wirklich wahr war.
„Sie ist im Grunde ein Niemand!“ seufzte Eric kaum hörbar, „Doch sie ist im Grunde, der einzige, der mir helfen will!“

Brandon wollte noch so viel mehr fragen. Aber er blieb stumm. Er ahnte, dass er nicht mehr erfahren würde.
„Passt du auf sie auf?“ Eric sah zu ihm auf, „Ich muss … nur mal frische Luft schnappen!“
Brandon nickte nur und Eric löste sich wieder in Luft auf.
Dann sah er wieder auf das schlafende Mädchen.
„Was hab ich mir da nur eingebrockt?“ fragte er sich selbst flüsternd.
Er ging näher zum Bett, nahm die lose Seite der Bettdecke und legte sie über Stevie. Danach nahm er den Platz ein, den zuvor Eric besetzt hatte.
Brandon wusste nicht wirklich, was er nun machen sollte.
Erst vor knapp einer Woche hatte er sich von seiner Verlobten getrennt und hatte sich geschworen, die Motorradreise allein zu verbringen. Vor allem wollte er eine Weile ohne weibliche Gesellschaft bleiben. Und nun hatte er ein unbekanntes Mädchen in seinem Zimmer, die scheinbar noch mehr Geheimnisse hatte, als seine Verlobte.
Über seine Gedanken, was er verloren hatte, schlief er ein.


Mike war sich unsicher, was er nun tun sollte.
Er kannte das Mädchen im Grunde nicht. Er hatte sie auch nie wirklich angesprochen.
Sie war vor vier Monaten in der Stadt aufgetaucht. Vermutlich war sie mit dem Bus gekommen. Vielleicht auch per Anhalter.
Sie war ihm ein wenig merkwürdig vorgekommen, da sie einerseits aussah, als suche sie jemanden, aber andererseits schien sie sich verstecken zu wollen.

Gerade mal zwei Tage war das Mädchen in der Stadt gewesen. War die meiste Zeit allein umher gewandert und hatte mit niemanden weiter gesprochen.
Sie hatte, bevor sie verschwunden war, allerdings einen Streit mit einem Kerl gehabt, der ebenfalls auf Durchreise schien. Worum es in dem Streit ging, wusste keiner. Es schien auch niemand die Sprache der beiden verstanden zu haben.
Aber es war ein heftiger Streit gewesen, wobei der Kerl auch handgreiflich geworden war.
Mike selbst war nicht dabei gewesen, aber er hatte einige Leute darüber reden gehört.
In einer Kleinstadt blieb halt nie irgendetwas lange geheim.

Es war ihm merkwürdig gewesen, dass sie nun wieder in der Stadt war.
Vielleicht war sie ja nicht freiwillig hier.
Was Mike allerdings größere Sorge bereitete war, dass der Ärger ihr vermutlich folgte.
Er konnte spüren, dass mit ihr irgendetwas nicht stimmte. Nur wusste er nicht was. Auch bei ihrem blonden Freund hatte er gemischte Gefühle.
Brandon hingegen schien in seinen Augen ein harmloser Kerl zu sein. Der vermutlich noch nicht einmal wusste, mit wem er sich angefreundet hatte.

„Hey Mike!“ Sein Chef riss ihn aus den Gedanken, „Was machst du noch hier?“
Mike schüttelte nur den Kopf und sortierte noch einige seiner Werkzeuge an seinen Platz.
„Kann das sein, dass ich die Kleine schon mal gesehen hab?“ wollte sein Chef wissen.
Mike wusste sofort, wen sein Chef meinte und nickte.
„Komisch!“ gab sein Chef nur von sich.
„Was ist komisch?“
„Dass sie sich nicht mehr an mich erinnert!“
„Wieso?“ wollte Mike wissen.
„Sie war mal hier und hatte sich hier versteckt. Hatte sie im ersten Moment nicht gesehen.“
Mike sah seinen Chef mit großen Augen an.
„Die Kleine hatte Angst und hat sich in einem der Autos, die hier zur Reparatur waren, versteckt. Hab sie erst mitgekriegt, als ich abschließen wollte.“ erzählte sein Chef, „Wer auch immer hinter ihr her war, hat ihr mehr Angst gemacht, als die Cops, die ich rufen wollte.“
„Hast du?“
Sein Chef lachte kurz auf und schüttelte dann den Kopf.
„Hab sie mit nach hause genommen. Meine Frau war erst überrascht. Hat der Kleinen aber dann Essen gemacht und sie im Gästezimmer schlafen lassen.“
Die Geschichte kannte Mike nicht.
„Die Kleine ist total harmlos. War verschüchtert bis zum geht nicht mehr.“
Dann blickte sein Chef zur Werkstatttür.
„Wüsst zu gern, wovor sie weggelaufen ist!“
Der Chef holte tief Luft und wand sich wieder an Mike.
„Du solltest jetzt endlich nach hause!“ meinte er dann schmunzelnd, „Morgen kannst du weiter mit dem Werkzeug spielen!“
Mike nickt nur, verabschiedete sich und machte sich auf den Weg nach hause.
Trotz der Geschichte seines Chefs, hatte er noch immer ein ungutes Gefühl im Magen, was das Mädchen anbelangte.


Ein lautes Krachen riss Stevie aus ihrem Schlaf und erschrocken setzte sie sich auf. Die schnelle Bewegung verursachte ihr Schmerzen und sie somit vollkommen aus ihren Träumen.
Irritiert sah sie sich in dem dunklen Raum um. Sie konnte sich nur wage daran erinnern wie sie hier gelandet war.
Neben ihr auf einem Stuhl saß Brandon. Schlafend, mit vor der Brust verschränkten Armen.
Sie fragte sich, warum er sie nicht raus geschmissen hatte. Warum er sich überhaupt um sie gekümmert hatte.
„Eric?“ flüsterte sie in die Dunkelheit. Sie war sich sicher, das er der Grund für Brandon´s Hilfe sein musste.
Doch es kam keine Antwort zurück und Panik stieg langsam in Stevie auf.

Wieder konnte sie es krachen hören und sie zuckte ängstlich zusammen.
Das Geräusch klang wie Donner und wie zerberstende Scheiben.
Und erst jetzt bekam sie mit, dass es draußen stürmte.
Gewitter und Regen.
Doch da war noch etwas anderes.
Zitternd stand sie auf und ging zur Zimmertür.
Jetzt konnte sie den Lärm noch deutlicher hören.
Und als sie Tür öffnete, konnte sie sehen, was los war.

Kalte Luft weckte Brandon, noch ehe es der Lärm tat.
Blitzschnell sprang er von dem Stuhl auf und sah sich um.
Das Bett neben ihm war leer und für eine Millisekunde glaubte er schon, dass das Mädchen abgehauen sei und mit ihr womöglich auch sein Besitz.
Doch dann fiel sein Blick auf die offene Zimmertür.
Dort stand sie. Hielt mit einer Hand die Tür fest, während sie die Finger der anderen Hand immer wieder zusammen kniff, als müsse sie wieder Gefühl in die Finger bekommen.

Ein Blitz durch fuhr den Himmel und warf sein Licht ins Zimmer.
Doch der Lärm vor der Tür war nicht nur Donner.
Brandon ging nun ebenfalls zur Tür, um zusehen was los war.
Erst als er hinter Stevie stand, bemerkte er, dass sie zitterte. Nur wusste er nicht, ob aus Angst oder vor Kälte.

Wieder knallte es.
Und nun konnte auch Brandon sehen, was passierte.
„Er ist böse auf mich!“ kam geflüstert von Stevie.
Vor dem Motel stand ein Familienvan, dessen Front- und Seitenscheiben zerschlagen waren.
Und dann zerbarst die hintere Seitenscheibe mit einem lauten Krach.

Brandon bemerkte, dass er nicht der einzige war, der zusehen konnte, wie die Scheiben, des Autos zerbarsten. Und alle anderen Zuschauer, darunter vermutlich auch der Besitzer des Wagens, waren entsetzt und erschrocken darüber. Vor allem, da sie nicht sahen, was genau geschah.

Stevie drehte sich kurz zu ihm um und Brandon sah ihre Tränen.
„Es ist meine Schuld!“ meinte sie noch einmal und schien für einen Moment unschlüssig, ob sie nach draußen in den Regen rennen oder zurück ins Bett kriechen sollte.
„Was ist deine Schuld?“ wollte Brandon wissen und packte sie an den Schultern, damit sie nicht weg lief.
Sie sah noch einmal zu dem Wagen und Brandon tat es ihr nach.
Und für einen kurzen Moment konnte er Eric sehen.
Dann ging die Heckscheibe des Wagens entzwei.

Brandon zog Stevie zurück ins Zimmer, knallte die Tür zu und sah sie für einen Moment wütend an.
Doch die Wut verflog sogleich, als er sie so ängstlich vor sich sah.
„Scheiße!“ schrie er auf, wobei sie zusammenzuckte. Er fuhr sich mit beiden Händen verzweifelt durch die Haare und musterte sie erneut.
Er sollte sie raus schmeißen, dachte er sich für einen Moment. Sie und ihr Freund würden nur Ärger bringen.
Vielleicht hatte genau das Mike gemeint.

Aber er konnte es nicht.
Sie sah hilflos aus. Wusste nicht, wo sie hinsehen sollte.
„Du solltest dich wieder hinlegen!“ meinte Brandon zu ihr. Doch sie rührte sich nicht vom Platz.
„Komm schon!“ Er nahm sie am Arm und zog sie zum Bett.
Lauter Donner lies sie erneut zusammen zucken und sie sah zur Tür.
Brandon wusste nicht, ob sie sich vor dem Gewitter fürchtete oder vor Eric, der draußen einen Wagen zerlegt hatte.
Erst als er sie in Richtung Bett schob, setzte sie sich darauf. Und nach wenigen Sekunden kroch sie unter die Decke und zog sie sich über den Kopf.
Innerlich fluchte Brandon erneut. Über seine Vertrauensseligkeit und seine Dummheit.

Er lies sich wieder auf den Stuhl fallen und starrte auf das Bett, in dem sich Stevie versteckt hatte.
Eric´s plötzliches Auftauchen lies ihn zusammenfahren und erneut aufspringen.
Für einen kurzen Augenblick sah ihn Eric wütend an. Doch dann fiel sein Blick aufs Bett und sein Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig. So als habe man ihm kaltes Wasser über den Kopf geschüttet.
Ohne auf Brandon zu achten, der mehr oder weniger ohne Aufforderung, eine Erklärung von ihm wollte, ging Eric zu dem Bett und setzte sich auf dessen Kante.

„Stevie?“
Sie rollte sich noch mehr zusammen.
„Hey Kleine!“ Eric berührte sie an der Schulter. Zumindest vermutete er ihre Schulter an der Stelle.
„Es tut mir leid!“ kam kaum hörbar zurück.
„Was sollte das da draußen?“ fuhr Brandon dazwischen. Doch Eric ignorierte ihn.
„Ich wollt deinen Schlüssel nicht verlieren!“
„Ist okay!“ Eric zog die Decke ein wenig nach unten, sodass er Stevie´s Gesicht sehen konnte.
Sie sah ihn ängstlich und mit großen Augen an und wirkte wie ein kleines Kind, was von seinen Eltern ausgeschimpft wurde.
„Ich bin nicht böse auf dich!“ versicherte Eric ihr, „Den Schlüssel werd ich schon wiederfinden!“
Noch immer sah sie ihn mit großen Augen an.
Und dann sah sie zu Brandon hinüber.

Der verstand nicht so recht was vor sich ging.
Noch immer wartete er auf eine Antwort.
Eric strich Stevie eine Haarsträhne aus dem Gesicht und schenkte ihr ein Lächeln. Doch es erreichte seine Augen nicht.
„Versuch zu schlafen!“
Sie nickte auf seine Aufforderung hin. Dennoch lies sie ihn und Brandon nicht aus den Augen.

Eric stand auf und richtete seine Aufmerksamkeit auf Brandon.
Für einen Augenblick schien er nicht zu wissen, was er sagen sollte.
„Was sollte das?“ Brandon versuchte seine Stimme ruhig zu halten.
Eric´s Blick fiel erneut kurz auf Stevie.
„Ich bin … ein bisschen ausgerastet!“ erklärte er nur.
„Das hab ich mitbekommen!“ kam von Brandon zurück.
Eric´s Mundwinkel zuckte und für eine Sekunde schien es, als würde er Brandon am liebsten eine runter hauen.
Doch dann sah er beschämt zu Boden.
„Ich war sauer, weil ich sie im Stich gelassen habe!“ gab er zu, „Und weil, ich … weil ich ihr im Grunde nicht helfen kann!“
Brandon musterte Eric verwundert.
Er wollte ihn zusammen stauchen für den Mist den er gerade abgezogen hatte. Doch er sagte nichts.
„Ich weiß!“ schnaufte Eric, „Hab überreagiert!“
Brandon nickte nur.
„Bin halt so!“ gab Eric leise zu und lies sich aufs Bett fallen, so dass er wieder neben Stevie saß.

„Ist nicht ihre Schuld!“ meinte er noch einmal und hoffte, dass Brandon weder ihn noch Stevie aus dem Zimmer warf. Vor allem nicht Stevie, die beide Männer ängstlich musterte.
Brandon sagte nichts dazu.
Er nahm wieder auf dem Stuhl Platz und schaltete den Fernseher ein.
Er würde keinen Schlaf mehr finden, so aufgewühlt er ihm Moment auch war.

Das Gewitter zog nur langsam ab und obwohl der Donner immer leiser wurde, zuckte Stevie zusammen und zog sich schlussendlich die Decke wieder über den Kopf.
„Hab vergessen, dass sie Angst vor Gewitter hat!“ meinte Eric nur leise und strich über Stevie´s zugedeckte Beine, was sie zu beruhigen schien.
Brandon nickte nur.
Einerseits wollte er mehr wissen, über das eigenartige Gespann. Andererseits wollte er sie wieder los werden. Wenngleich Stevie in seinen Augen harmlos war, so war Eric doch ziemlich unberechenbar.
Und Brandon hatte auf seiner Motorradreise vor allem eines gesucht: seine Ruhe!
Zuletzt geändert von Nikita LaChance am Fr 11. Nov 2011, 09:06, insgesamt 1-mal geändert.
Nikita LaChance
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Re: AT: can't find my way home

Beitragvon Nikita LaChance » Fr 4. Nov 2011, 08:50

Kapitel X

Keiner von den drei hatte wirklich eine Auge zugetan.
Stevie hatte sich die halbe Nacht unter der Bettdecke verkrochen, bis es ihr darunter zu warm geworden war. Sie war immer wieder kurz eingedöst und dann immer wieder erschrocken aufgewacht. Und immer wenn sie Eric, der sich nicht vom Bett bewegt hatte, gesehen hatte, schien sie sich wieder beruhigt zu haben.
Brandon hatte keinen Schlaf gefunden. Er hatte eine Weile auf den Fernseher gestarrt, tief in Gedanken und noch bevor er eingedöst war, hatte jemand an seine Tür geklopft.

Jemand hatte die Polizei gerufen, die nun jeden im Motel wegen der Randale und vor allem wegen dem zerstörten Wagen befragte.
Brandon meinte, er wissen nicht was passiert sei. Er habe nur gesehen, wie die Scheiben des Wagens plötzlich explodiert sein.
Der Polizist hatte nur einen Blick ins Zimmer geworfen, hatte Stevie gesehen. Doch Brandon versicherte ihm, dass sie auch nichts weiter gesehen hätte und vermutlich auch keine Auskunft geben könne, weil sie Schmerzmittel eingenommen hätte.
Für einen Augenblick hatte der Polizist Stevie gemustert und dann genickt.
Er hatte Eric nicht bemerkt, der sich nicht vom Fleck bewegt hatte.
Dann hatte der Mann Brandon und Stevie noch eine gute Nacht gewünscht und war wieder gegangen.

Brandon war wieder zu seinem Platz zurück gekehrt und obwohl es ihn auf der Seele brannte zu erfahren, warum der Polizist Eric nicht gefragt hatte, starrte er wortlos auf den Fernseher.

Kurz nach acht gab Brandon schlussendlich auf.
Er war müde und ihm taten die Knochen weh, vom langem sitzen. Und er hatte Hunger.
Er bemerkte, dass Stevie auch längst wieder wach war. Oder noch?
Zumindest saß sie aufrecht im Bett und musterte ihn.
Blaue Flecken zierten ihr Gesicht und zeigten jetzt noch deutlicher, wo der Fahrer sie erwischt hatte.
Eric vermied es ihr ins Gesicht zu sehen und sah stattdessen auf den Boden vor sich.

„Frühstück?“ unterbrach Brandon die merkwürdige Stille.
Beide sahen zu ihm auf.
Brandon konnte sehen, dass Stevie Protest einlegen wollte.
„Ich geb was aus!“ meinte er sofort und suchte sich seine Jacke.
Stevie sah kurz zu Eric und stand dann auf. Wortlos zog sie sich ebenfalls ihre Jacke und ihre Schuhe an.
Sie unterdrückte ihre Schmerzen.
„Gut!“ meinte sie und lächelte, so als sei gar nichts gewesen, „Frühstück klingt gut!“
Eric nickte nur, sagte aber noch immer nichts. Einerseits war er noch immer beschämt über sein Verhalten in der Nacht. Andererseits aber war er auch froh darüber, dass Brandon seine Fehlverhalten nicht Stevie in die Schuhe schob.

Gemeinsam gingen sie zum Diner, in dem sie schon am Vortag waren.
Stevie ging immer einen halben Schritt hinter Brandon, so als habe sie Angst er könnte jeden Moment seine Meinung ändern und sie fort jagen. Oder schlimmeres. Dennoch hielt sie mit ihm Schritt.
Eric blieb unsichtbar. Lediglich in der Spiegelung der großen Fenster des Diners war er kurz zu erkennen.

Trotz der frühen Morgenstunde herrschte schon emsiger Betrieb.
Brandon wählte eine etwas ruhigere Ecke und kaum hatten er und Stevie sich gesetzt kam auch gleich die Bedienung.
Stevie überließ es Brandon für sie mitzubestellen. Sie wollte ihn nicht noch mehr ausnutzten, als sie es bereits getan hatte.
Beide warteten in vollkommener Stille auf ihr Essen.
Brandon warf Stevie immer wieder einen fragenden Blick zu, da er noch immer nicht schlau aus ihr wurde. Stevie versuchte seine Blicke zu ignorieren und spielte stattdessen mit einer Papierserviette, die sie immer wieder am Rand zusammen und wieder aufrollte.

„Er ist nicht immer so!“ meinte Stevie während sie genüsslich ihre Pancakes aß.
Brandon sah irritiert von seinem Frühstück, ebenfalls eine Portion Pancakes mit Sirup und einem Obstsalat sowie einen Kaffee, auf.
„Eric! Er ist nicht immer so!“ wiederholte sie, „Er ist nur besorgt!“
Brandon nickte nur und sah sich um, ohne den Kopf zu bewegen.
Sie schmunzelte und wies nickend auf den Stuhl zu ihrer rechten.
„Er ist manchmal eben nur ein wenig sauer, dass er ein Geist ist!“
Ein Räuspern war von ihrer rechten Seite zu hören und Stevie schmunzelte erneut.
Anscheinend war diese Aussage Eric peinlich. Dennoch sagte er nichts weiter dazu. Vermutlich wollte er nicht für Aussehen sorgen.
Brandon war einerseits neugierig, wie es wohl war so als Geist so zu leben. Aber andererseits, konnte er sich vorstellen, dass man als körperloses Wesen so einiges vermissen würde.
Noch ehe er genauer darüber nachdenken oder sogar Eric selbst dazu befragen konnte, bemerkte er, dass jemand auf ihren Tisch zusteuerte.

„Hallo!“
Stevie und Brandon sahen überrascht zu dem Jungen, der freudestrahlend an ihrem Tisch aufgetaucht war.
Der Junge sah zwar in Stevie´s Richtung, aber ihr nicht in die Augen. Sein Blick wich ihrem immer wieder aus.
Dennoch lächelte er.
„Hi!“ grüßte Stevie zurück.
„Deine Haare sind länger!“ meinte der Junge.
Brandon sah irritiert zwischen Stevie und dem fremden Jungen hin und her.
Der Junge musste um die fünfzehn sein. Vielleicht auch ein wenig älter. Er sah eigentlich wie ein ganz normaler Teenager aus.

Noch bevor Stevie ihm antworten konnte, rief eine Frau nach dem Jungen.
„Mama, sie ist wieder da!“ verkündete er, wobei er nicht vom Tisch wich und sich auch nicht nach der Frau umsah.
„Julian, ich hab dir doch gesagt, du sollst die Leute in Ruhe lassen!“ schimpfte sie. Dennoch kam sie nicht herüber, um den Jungen zu holen.
Der Junge Julian musterte Stevie kurz, wobei seine Augen immer wieder an ihren vorbei schweiften.
„Der böse Mann ist weg!“ meinte er dann und Stevie sah ihn verwirrt an.
„Welcher böse Mann?“ wollte Brandon wissen.
Julian lies Stevie nicht aus den Augen und sah sie mit traurigen Augen an.
„Er hat geschimpft.“ erklärte er, ohne sich an Brandon zu richten, „Er hat ihr weh getan!“
Brandon sah zu Stevie, so als könne sie ihm erklären, wovon der Junge redete.
„Wann?“ kam mit schwacher Stimme von ihr. Der Junge konnte unmöglich von dem Truckfahrer wissen, der sie am Vortag verprügelt hatte.

Julian überlegte kurz.
„Viele gestern!“ meinte er dann.
Stevie verstand nicht, was er damit meinte und Brandon war irritiert, was mit dem Jungen los sei.
„Die Polizei hat ihn weggeschickt!“ berichtete Julian und erneut glitt sein Blick über ihr Gesicht, ohne jedoch ihr in die Augen zu sehen.
„Keine Angst mehr!“

„Julian!“ rief erneut die Mutter, die in der Zwischenzeit ihr Frühstück bestellt hatte und nun eigentlich nur noch auf ihren Sohn wartete.
Doch der rührte sich nicht vom Fleck.
So kam sie nun auch noch zum Tisch von Brandon und Stevie und Eric, der sich noch immer im Verborgenen hielt.
„Julian, das Frühstück wird kalt!“ meinte sie.
„Mama, sie ist wieder da!“ wiederholte er und lächelte wieder, so als sei das eine gute Nachricht.
Die Mutter sah von ihrem Jungen zu den Gästen am Tisch und wollte sich gerade entschuldigen, als sie Stevie wiedererkannte.
„Oh!“ meinte sie verwundert, „Hallo!“
Sie blickte Stevie freundlich an.
„Wieder auf der Durchreise?“ fragte sie sie und Stevie nickte nur, da sie nicht wirklich eine Antwort dafür parat hatte.
Die Frau musterte Stevie kurz.
„Sie erinnern sich nicht mehr!“ Für einen Moment klang es als sei sie ein wenig beleidigt darüber.
Doch dann erklärte sie, dass Stevie vor vier Monaten mit Julian Freundschaft geschlossen hatte, der hier im Diner auf sie hatte warten sollen. Leider hatte Julian´s Mutter sich verspätet, was den Sohn immer unruhiger machte und er somit einige Gäste störte.
„Sie haben sich zu ihm gesetzt und sich mit ihm unterhalten!“ erklärte die Mutter, „Nicht viele machen das!“
Brandon wollte schon fragen warum, doch die Mutter kam ihm zuvor.
„Julian ist Autist. Wenn irgendetwas anders ist als sonst, kann er ein klein wenig … überreagieren. Die meisten Leute wissen damit nicht umzugehen!“
Julian lies sich von der Erzählung seiner Mutter weder beeindrucken noch irgendwie irritieren. Er lächelte weiter in Richtung von Stevie, so als habe er sie vermisst und freue sich, dass sie endlich wieder da sei.
„Als ich dann hier ankam, saßen Sie mit Julian an unserem Tisch und haben zusammen gezeichnet.“
Stevie versuchte sich an den Tag zu erinnern. Doch wie so viele andere Erinnerung war diese nicht in ihrem Hirn aufrufbar.
„Er hat das Bild noch zu hause!“ verkündetet die Mutter stolz, „Obwohl ich mich verspätet hatte und er sonst immer einen Anfall bekommt, war er ruhig, als wäre nichts passiert!“
Stevie nickte nur und schenkte der Mutter ein Lächeln. Auch wenn sie sich nicht daran erinnern konnte, so klang es doch nett.

Julian schien erfreut, dass sie endlich lächelte.
„Besser jetzt!“ verkündete er. Dann drehte er sich zu seiner Mutter und meinte, dass er jetzt frühstücken wolle.
Die Mutter verabschiedete sich und entschuldigte sich noch einmal für die Störung und folgte ihrem Sohn, der bereits auf dem Weg zu ihren Tisch gegangen war.

Brandon sah Stevie mit großen Augen an. Und sie wusste, obwohl sie ihn nicht sehen konnte, dass auch Eric sie fragend ansah.
„Ich kann mich nicht mehr daran erinnern!“ murmelte sie und aß betrübt weiter.
„Vielleicht kennt sie dich ja!“ kam geflüstert von Eric.
Doch Stevie schüttelte den Kopf.
Brandon wusste nicht, was er dazu sagen sollte.

Stevie hatte ein wenig den Appetit verloren und stocherte mehr in ihrem Obstsalat herum als das sie ihn aß.
„Was ist los?“ wollte Brandon von ihr wissen.
„Es ist nicht!“ meinte sie nur. Sie wollte ihm nicht auf die Nase binden, dass sie es hasste, nichts über sich zu wissen.
Brandon musterte sie noch einmal. Sie kam ihm auf einmal verloren vor.
Sie wirkte weder so verängstigt wie in der Nacht, als er Zeuge von Eric´s Wutausbruch geworden war, noch so lebhaft, wie als er sie zum ersten und zweiten Mal traf.
Nach einer Weile hatte sich Brandon die Tageszeitung vom Tresen geholt und las, während Stevie noch immer wortlos ihr Obst in ihrer Schale hin und her schob.

„Hier!“
Julian war wieder aufgetaucht und sowohl Stevie als auch Brandon waren überrascht, dass er sich so geräuschlos hatte nähern können.
Er schob Stevie ein Blatt Papier hin.
„Damit du nicht vergisst!“ meinte er freudestrahlend und zeigte auf die Zeichnung.
„Das bist du!“ erklärte er und wies auf die gezeichnete Mädchenfigur. Es wirkte wie eine Comicdarstellung.
„Und das bin ich!“ Damit zeigte er auf einen gezeichneten Jungen.
„Was ist das?“ wollte Stevie wissen und tippte auf das merkwürdige Ding, was zwischen den beiden Figuren war.
„Dein Schatz!“ Julian musterte die Zeichnung noch einmal, „Der Mann wollte es wegnehmen!“
Sein Blick war wieder ernst geworden.
„Aber das war nicht seine! Und er ist böse geworden!“
Stevie sah Julian verwundert an.
„Du hast ihn versteckt! Vorher!“ erklärte er, so als wisse er, was sie ihn fragen wollte.
Stevie nickte nur.

„Du bist nicht mehr allein!“ flüsterte Julian und zeigte auf Brandon, „Er ist nicht böse!“
Brandon sah den Jungen verwundert an.
Die Mutter rief erneut nach ihrem Jungen.
„Muss jetzt gehen!“ verkündete er und lächelte erneut.
Irgendwie hatte sein freundliches Lächeln etwas ansteckendes und so lächelte Stevie zurück.
„War schön dich wieder zu sehen!“ meinte sie zu ihm. Auch wenn sie sich an ihr erstes Treffen nicht mehr erinnern konnte.
Das erfreute ihn noch mehr.
Er verabschiedete sich von ihr und drehte sich kurz zu Brandon und auch wenn er den Blickkontakt vermied, verabschiedete er sich auch von ihm. Dann ging er wieder.
Seine Mutter winkte Stevie und Brandon nur zu und verschwand mit ihrem Sohn.

„Merkwürdig!“ murmelte Brandon nur und sah den beiden aus dem Fenster nach.
Auch Eric fand das ganze ein wenig eigenartig, auch wenn er brav seinen Mund gehalten und seine Anwesenheit nicht verraten hatte.
Stevie sah auf die Zeichnung vor sich. Beide Figuren waren ziemlich gut getroffen und man konnte die Ähnlichkeiten mit den beiden, die sie darstellen, gut erkennen.
Nur das Ding in der Mitte war auf dem ersten Blick nicht zu entziffern.
Es sah aus wie ein Zylinder mit Zacken obendrauf.

Brandon widmete sich wieder der Zeitung zu.
Er hatte eh nicht wirklich etwas zu tun. Sein Motorrad war noch in der Werkstatt.
Zudem wollte er Stevie noch nicht gleich wieder aus den Augen lassen. Auch wenn er noch immer nicht wirklich schlau aus ihr geworden war, so machte er sich doch Sorgen um sie.
Nach einer Weile flüsterte Stevie Eric etwas zu und Brandon sah auf.
„Was ist?“
„Er soll nur nachsehen, ob es hier Schließfächer gibt!“ antwortete sie ihm.
„Wieso?“ wollte Brandon wissen.
„Weil ich glaube, dass ich hier was versteckt habe!“ Damit tippte sie auf das undefinierbare Ding zwischen den beiden gezeichneten Figuren.
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