Schlüssel der Welt




Unterhaltungsliteratur in ihren verschiedenen Formen, wie beispielsweise Romane, Erzählungen, Kurzgeschichten, Berichte, Märchen und Sagen

Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » Fr 1. Apr 2011, 09:30

Kapitel I

„Musst du hier rum sitzen?“ protestierte er.
Doch wie schon zuvor zeigte seine Schwester keinerlei Reaktion. Dies war bei ihr nichts Neues. Fast immer, wenn sie ein Buch in den Händen hielt, war sie kaum noch ansprechbar.
„Hey, du Freak!“ schimpfte er etwas lauter und stieß sie leicht mit seinem Fuß an.
„Kannst du mich nicht mal in Ruhe lassen?“ schrie sie zurück und schlug nach seinem Bein.
Im Grunde könnte man anhand dieses Streits annehmen, beide wären kleine Kinder. Doch während Adrian nun schon das einunddreißigste Lebensjahr erreicht hatte, ging seine Schwester Kayleigh langsam auf die dreißig zu.
Dennoch benahmen sie sich durchaus kindisch.

Die meiste Zeit sahen sie sich nicht, was daran lag, dass sie nicht zusammen wohnten. Allerdings welcher über dreißig Jahre alter Mann lebt mit seiner Schwester zusammen, wenn er nicht dazu gezwungen war?
Dass sie nun hier gemeinsam in einem Raum waren, lag an den circa jeden Monat stattfindenden Besuchen bei ihrer Tante Meryl. Aber sie waren nicht allein bei der Tante. Ihr Vater war mit von der Partie. Er war auch der Grund für den Besuch. Mehr oder weniger.
Früher hatten er und seine beiden Kinder für einige Zeit bei der Tante mit im Haus gelebt. Zu der Zeit war Meryls Mann Jim noch da gewesen. Bis er dann spurlos verschwand.
Seit dem Auszug von Kayleigh, Adrian und ihrem Vater lebte Meryl nun dann allein in dem großen Haus und ging kaum aus dem Haus, weswegen sie als recht verschroben galt.
Nun waren der Vater und seine beiden Kinder immer einmal im Monat zur der Tante gefahren, unter anderem um nach dem Rechten zu sehen.
Dass seine beiden Kinder fast immer bei den Besuchen dabei waren, so wie jetzt auch wieder, lag unter anderem daran, dass sie einerseits Zeit hatten und andererseits auch sie sich an die Besuchstage bzw. -woche gewöhnt hatten. Es gehörte irgendwie schon dazu!

Kayleigh saß nun wie so oft mit einem Buch in der Hand auf den Stufen der Bibliothek und Adrian wollte an ihr vorbei.
Hätte die Tante nicht die Stufen als zusätzliche Buchablage genutzt, wäre dies auch ohne weiteres möglich. Doch so war kein Vorbeikommen.

„Wieso musst du eigentlich hier rum sitzen?“ fluchte er erneut.
„Wo soll ich sonst sitzen?“ kam nur als gedämpfte Antwort. Kayleigh, die noch immer an Ort und Stelle saß, hatte noch nicht einmal ihren Blick gehoben.
„Kein Wunder, dass Du noch keinen Freund hast!“ meinte Adrian, in der Hoffnung, sie irgendwie zu reizen.
Doch im Grunde war dies sinnlos. Wenn Kayleigh in ein Buch vertieft war, so war sie durch nichts abzulenken.
„Du bist im Moment auch Single!“
„Ja, aber ich bin nicht so Spinner, der den ganzen Tag zu hause rum sitzt und nichts anderes tut als lesen!“ Adrian drehte sich um und ging.
Kayleigh sah endlich vom Buch auf und schrie ihm nach: „Ich sitze nicht den ganzen Tag zu hause rum! Und ich lese nicht nur!“
Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Buch.

Es dauerte nicht lange, dann war Adrian zurück gekehrt.
Es gab nicht viel, was einem in dem Haus irgendeine Ablenkung verschaffen könnte.
Tante Meryl besaß keinen funktionierenden Fernseher mehr, seit der letzte irgendwann den Geist aufgab. Sie hatte keinerlei Interesse an solchen Dingen, wie sie einmal sagte.
Und auch sonst gab es nur eine etwas ältere Musikanlage. Doch für jemanden der an die volle Bandbreite der heutigen Berieslungsmöglichkeiten gewöhnt war, zählte dies nicht wirklich zu den Unterhaltungsmedien.
Allerdings war Adrian der einzige, der sich deswegen bei den Besuchen bei Tante Meryl langweilte. Meryl selbst kam auch gut ohne Fernsehen oder Internet klar, hatte sie doch genug Bücher zu lesen. Kayleigh hatte auch kein Problem für ein paar Tage ohne elektronische Unterhaltung zu leben und verbrachte auch so gern ihre Zeit mit der Nase in irgendwelchen Büchern. Auch ihr Vater hatte nichts gegen die Fernsehpause einzuwenden. Er war eh, die meiste Zeit mit irgendwelchen Reparaturarbeiten im Haus beschäftigt.

Eine Weile schaffte es Kayleigh ihren Bruder zu ignorieren, der sich, da sie noch immer keinen Platz gemacht hatte, hinter sie gehockt hatte und ihr nun neugierig über die Schulter sah.
„Was willst du?“ fragte sie leicht gereizt.
„Was ist das eigentlich für ein Buch?“ wollte er wissen und riss es ihr aus der Hand.
Er sah hinein und eigenartigerweise schien das Buch fast leer und war handgeschrieben.
„Ich habs von da hinten!“ Kayleigh zeigte an die einzige Buchfreie Wand, an dem ein großes halb verblasstes Gemälde hing, welches anscheinend irgendwann einmal eine Landschaft gezeigt hatte.
„Es gehörte Onkel Jim!“ flüsterte sie dann, woraufhin Adrian sie fragend ansah.
„Du weißt doch dass Tante Meryl nicht will, dass du seine Bücher anfasst!“ meinte er plötzlich in bedrückter Stimmung.
„Sie muss es ja nicht wissen!“ Kayleigh klang nun wieder mehr wie ein kleines Mädchen.
„Ja, aber das Buch ist gefährlich!“ Adrian starrte auf das Buch in seinen Händen. Er wusste im Grunde nicht einmal warum er so dachte.
Es war kein besonderes Buch. Mit einem schwarzen Stoffeinband, schon ein wenig ausgefranst an den Ecken und ohne Titel. Es sah viel eher einem alten Tagebuch gleich.
„Bücher sind nicht gefährlich!“
Adrian überlegte kurz.
„Das haben sie in der Mumie auch gesagt!“ fiel ihm dann ein.
„Das war ein Film!“ gab sie zurück und wollte gerade das Buch wieder an sich reißen, als Tante Meryl plötzlich in die Bibliothek stolperte.
Überrascht starrte sie die beiden an. Und dann fiel ihr Blick auf das Buch.
„Ich hab euch doch gesagt, dass ihr hier keine Bücher unerlaubt anfassen sollt!“ schimpfte sie und packte das Buch.
„Das … ist … meins! Ich hab keines der Bücher weggenommen!“ log Kayleigh.
„Aha!“ Meryl blätterte durch das Buch. Nur eigenartigerweise schien das Buch vollkommen leer zu sein. .
Und dann tauchte mittendrin ein einziger Satz auf.
„Folge mir!“
Irritiert starrte Meryl auf die Seite. Irgendwie kam ihr die Schrift bekannt vor.

Dann war ein Knacken zu hören. So als sei irgendwer auf einen Zweig getreten.
Das einzige Geräusch in dem stillen Raum.
Instinktiv sahen alle drei auf die Wand mit dem Gemälde.
Dort war ein großer Riss in der Wand aufgetaucht und der ging genau durch das Bild.
Meryl drückte Kayleigh das Buch wieder in die Hand, drängelte sich an ihr und Adrian vorbei und begutachtete die Wand.
Dann rief sie nach ihrem Bruder, der ebenfalls überrascht war seine beiden Kinder in der Bibliothek anzutreffen.
„Was ist los?“ wollte er nur wissen und drängelte sich ebenfalls an seinen Kindern vorbei zu Meryl.
Meryl strich irritiert über das Gemälde.
„Das hier …!“ meinte sie nur.
Der Vater verstand, nicht was sie meinte. Für ihn war da nichts außer ein Riss in der Wand. Etwas was er demnächst auch noch zu reparieren hatte.
Noch einmal strich Meryl über das Bild und den Riss. Dabei löste sich etwas ab und fiel zu Boden.
Adrian und Kayleigh starrten verwirrt zu den beiden älteren hinüber.

Meryl bückte sich, stützte sich mit einer Hand an der Wand ab und griff nach dem, was zu Boden gefallen war. Und plötzlich gab die Wand, an der sie sich abstützte, nach.
Noch irritierter, als über die versteckte Tür, die sich plötzlich aufgetan hatte, war sie über ihr Fundstück.
Eine kleine Karte. Kleiner als eine Postkarte, aber etwas größer als eine Visa-Karte.
Auf einer Seite eine gezeichnete Winterlandschaft und auf der anderen Seite nur ein Satz.
Der selbe wie in dem Buch.
„Folge mir!“
Es war sogar die selbe Handschrift.
Noch einmal begutachtete sie die Karte in ihrer Hand und dann sah sie zur Tür. Sie stemmte sich gegen die Tür, um sie ganz zu öffnen, und legte somit den dahinter verborgenen Gang frei.
„Was ist das hier?“ wollte ihr Bruder irritiert wissen.
„Das muss von Jim sein!“ entgegnete Meryl nur und ging ohne weiter darüber nachzudenken in den Geheimgang.
„Jetzt warte doch mal!“ Auch Adrians und Kayleighs Vater ging hinein, um seine Schwester zurück zu holen.

Kayleigh und ihr Bruder sahen sich verwundert an. Was gerade geschehen war, war zu irreal.
Für ein paar Minuten starrten sie auf den Geheimgang. Dann sprang Adrian auf und ging durch die eigenartige Tür, um nach seinem Vater zu suchen. Der Raum hinter der Wand konnte ja nicht wirklich groß sein.
„Du lässt mich doch nicht allein zurück!“ Panik brach in Kayleigh aus und auch sie stürmte los.

Der Raum hinter der Wand war dunkel und stickig, so wie man es wohl von einem jahrzehntelang verborgen Raum erwarten könnte.
Es schien ein langer Gang zu sein und immer wieder stieß Kayleigh mit ihren Füßen irgendwo an.
Und dann, nach schätzungsweise 100 Metern wurde es wieder heller und sie konnte vor sich ihren Bruder erkennen.
„Dad?“ schrie er, erhielt aber keine Antwort.
„Wo ist er?“ Kayleigh hatte Adrian endlich erreicht.
Keine Spur war von ihrem Vater oder von Tante Meryl zu sehen und so gingen sie schnell weiter.

Es wurde immer heller und die Luft immer trockener.
Und dann standen sie inmitten eines eigenartigen Säulenganges.
„Wie in Ägypten!“ entfuhr es Adrian.
„Wohl eher wie in Griechenland!“ verbesserte Kayleigh.
„Klugscheißer!“
Kayleigh ignorierte es und sah sich um. Hinter ihnen war ein kleines Gebäude, was einer Art Schuppen gleich kam. Anscheinend waren sie hier entweder gerade in einer Art Ausgrabungsstätte oder auf irgendeinem Privatgrundstück eines Museums oder dergleichen gelandet sein.
„Wie kann ein Tunnel von Meryls Haus bis nach … wer weiß wohin gehen?“ fragte sich Adrian und ging weiter voran.
Darauf hatte auch Kayleigh keine Antwort. Das einzige was sie wusste, war dass sie den Weg weitergehen mussten, wenn sie ihren Vater und ihre Tante wiederfinden wollten.
Sie schritten immer weiter, konnten die große eingezäunte Tempelanlage um sich herum sehen, die unmöglich da sein konnte. Sie gingen auf die nächste Tür zu, die vor ihnen war und gingen hindurch.
Und wieder umfing sie Dunkelheit.

„Wo sind wir jetzt?“
Als sie sich nach dem Durchgang umsahen, sah es aus, als wären sie durch einen einfachen Hausflur nach draußen gegangen.
Und statt einer fremdländischen Tempelanlage lag nun eine verschneite deutsch anmutende Altstadt mit Fachwerkshäusern vor ihnen.
Natürlich froren beide bei dem plötzlichen klimatischen und örtlichen Wechsel. Das war auch nicht weiter verwunderlich, da sie lediglich ihre dünnen Sachen trugen, die sie schon in der Bibliothek getragen und sie keine wärmeren Sachen über gezogen hatten. Aber sie hatten auch nicht damit gerechnet in eine so absurden Situation zu gelangen.
„Wir müssen Dad finden!“ meinte Adrian, packte seine Schwester an der Hand und zog sie mit sich. Er hatte keine Lust sie auch noch aus den Augen zu verlieren.

Die Menschen der Stadt, wohlweislich in Winterkleidung gehüllt, interessierten sich wenig für die Fremden. Es wirkte fast als schienen sie es gewöhnt zu sein, dass jemand in zu wenig Kleidung und fragendem Gesichtsausdruck durch ihre Stadt lief. Aber vielleicht war es ihnen einfach egal.
Die beiden Geschwister liefen immer weiter. Die Straßen wurden immer unübersichtlicher, fast schon labyrinthartig, und recht bald schon hatten sie sich verirrt.
„Sie müssen irgendwo hier sein!“ Kayleigh war verzweifelt.
Adrian erging es nicht anders. Er begann nach seinem Vater und Meryl zu rufen. Doch niemand reagierte.
Niemand scherte sich um die Fremden. Keiner kam zur Hilfe oder sah auch nur in ihre Richtung.
Kayleigh ging ein paar Schritte weiter und fand vor sich im Schnee die Karte, die Meryl zuvor in der Bibliothek gefunden hatte.
Sie hob die Karte auf und zeigte sie ihrem Bruder.
„Sie müssen hier irgendwo sein!“ bemerkte er daraufhin und sah sich um. Doch er konnte weder den Vater noch die Tante entdecken.
Kayleigh nahm ihm die Karte wieder ab und sah darauf, so als erwarte sie darauf den Aufenthaltsort der Gesuchten zu finden.
Aber stattdessen fand sie nur ein Wort:
„Lauf!“
Plötzlich hörte sie ein Raunen um sich herum.
„Dad? Meryl?“ rief noch einmal Adrian.
„Sie haben einen Schlüssel!“ bemerkte jemand und so langsam schien das Interesse an den Fremden geweckt.
„Lauf!“
„Adrian, hier stimmt was nicht!“ Kayleigh zog ihrem Bruder am Ärmel.
Im Grunde stimmte die ganze Situation nicht, dachte er sich. Wieso war da plötzlich ein Geheimgang in Tante Meryls Bibliothek? Und wieso führte er durch einen Tempel und dann in eine fremde Stadt? So lang war der Gang nicht gewesen.
Immer mehr Leute versammelten sich um Adrian und Kayleigh und starrten sie neugierig und zum Teil wütend an.
„Vielleicht sollten wir zurück!“ meinte Adrian nervös.
Er packte seine Schwester am Arm und versuchte so ruhig wie möglich zurück zu gehen.
Den richtige Weg zurück zu finden war nicht so einfach, da sie die Gegend noch nicht einmal kannten. Auch war es lediglich eine Idee, dass der Hauseingang durch den sie in die Stadt gekommen waren auch wieder zurück führen würde.
Es wirkte als sei die ganze Stadt hinter den beiden her. Immer wieder raunten sie, dass die Geschwister einen Schlüssel bei sich hätten.
„Was ist hier los?“ Kayleigh wurde immer panischer.
„Da ist die Tür!“ bemerkte Adrian erleichtert. Sie hatten den Hauseingang, durch den sie in die Stadt gelangt waren, endlich gefunden.
Doch als Adrian die Klinke nach unten drückte, passierte nichts. Die Tür war verschlossen.
Er probierte es noch einmal. Doch die Tür blieb verschlossen.
Kayleigh stand hinter ihm und sah sich um. Ihre Verfolger kamen immer näher und sahen alles andere als freundlich aus.
„Sie haben einen Schlüssel!“ bemerkte wieder einer.

Dann ging plötzlich die Tür vor ihnen auf.
„Los, kommt rein!“
Jemand zog die Beiden hinein und schloss die Tür hinter ihnen.
Adrian und Kayleigh bemerkten sofort, dass dies nicht der Hausflur war, durch den sie zuvor in die Stadt gelangt waren, obwohl dies dieselbe Tür gewesen war.
Sie standen nun inmitten einer dunklen kleinen Küche. Die Stimmen ihrer Verfolger waren eigenartiger weise verstummt, so als sei niemand mehr da.
„Du Idiot, ...“ bemerkte ihr Retter und drehte sich zu ihnen um, „ich hab dich noch gewarnt!“
„Du?“ Adrian starrte sein Gegenüber verwirrt an.
„Ich hab dich gewarnt! Sie sollte das Buch nicht öffnen!“ kam nur als Antwort, „Ihr beide habt gar keine Ahnung in welchem Schlamassel ihr steckt!“
Nikita LaChance
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 11:44

Kapitel II

Barry und James saßen wie so oft in dem Salon ihrer Eltern. Die meisten in ihrem Alter wussten noch nicht einmal was ein Salon ist oder verwechselten dies mit dem Saloon aus den Western.
Sie beide hatten nicht viel was sie tun konnten. Ihre Eltern waren die meiste Zeit mit sich selbst beschäftigt oder sie hatten anderes zu tun, was sie für wichtig hielten. Geschäftspartner treffen oder mit dem Frauenverein eine neue kleine Feier vorbereiten, oder ähnliches. Für die Belange ihrer jugendlichen Kinder war da weniger Zeit.
Obwohl, in ein paar Tagen sollte Barry auf die Wirtschaftsschule wechseln, um dann später das Geschäft seines Vaters zu übernehmen. Freuen tat er sich darauf nicht.
Noch hatte er seine Zeit für sich, mehr oder weniger. Und noch konnte er tun, was er wollte, zumindest wenn seine Eltern beschäftigt waren.
Und im Moment liebte er nichts anderes als das Erfinden von Geschichten. Ein Hobby welches er schon seit frühster Kindheit hegte und mit dem er seinen drei Jahre jüngeren Bruder angesteckt hatte.
So saßen sie gemeinsam über ihrem neuesten Projekt, wenn man es denn so nennen konnte. Im Grunde grübelten sie noch immer darüber was sie schreiben könnten.
„Eine Fantasystory!“ fiel Barry nur ein. Etwas, was er schon seit einigen Minuten vor sich hin murmelte.
James reagierte nur mit einem Nicken.
„Aber was genau?“ seufzte der Ältere nur.
„Musst du wirklich auf die Schule? Dorthin?“ unterbrach James plötzlich den Gedankengang seines Bruders. James war gern mit ihm zusammen. Kam sich cooler vor und wurde von seinen Klassenkameraden dann nicht immer gehänselt, wenn er mit ihm unterwegs war.
Barry war mehr oder weniger das Gegenteil von James. Er war der Sportlichere, der Abenteuerlichere und vor allem der Schlauere der Beiden. James war, selbst für seine Eltern, der Schwächling und ein Spinner.
Wenn die anderen allerdings von Barrys geheimer Leidenschaft, dem Schreiben wüssten, wäre auch er nicht mehr so angesehen.
„Ich wünschte, ich müsste nicht dorthin!“ fiel Barry nur ein, „Ich wäre lieber irgendwo anders, als an dieser dämlichen Schule!“
„Das ist es!“
Barry sah seinen jüngeren Bruder verwirrt an.
„Was?“
„Es müsste etwas geben, womit man dahin gehen kann, wohin man will!“
James Aussage und sein freudiges Gesicht verwirrten Barry nur noch mehr.
„Wenn man einfach durch die Tür gehen könnte und dann ist man … z.B. in Australien!“ versuchte James zu erklären.
„Durch eine Tür gehen …?“
„Ja, einfach raus und dann ist man dort!“
„Also um nach Australien zu gelangen, braucht man schon etwas länger als nur aus der Tür raus zu gehen und außerdem gibt’s dafür doch Schiffe!“ bemängelte Barry sarkastisch, „Und ich mag Australien nicht so!“
James setzte ein leicht schmollendes Gesicht auf.
„Ist doch nur eine Idee!“ meinte er dann, „Für die Geschichte!“
Barry grübelte kurz nach und dann stimmte er seinem jüngerem Bruder zu. So eigenartig, wie die Idee klang, irgendetwas hatte sie.
Doch an dem Tag kam er nicht dazu sich weiter Gedanken darüber zu machen. Sein Vater hatte ihn gerufen und schon wenige Minuten später musste er sich mit irgendeinem guten Freund und Geschäftspartner seines Vaters unterhalten und sich anhören, wie toll doch die Wirtschaftsschule sei, auf die er kommen würde.
James hingegen, wurde wie immer ignoriert, war er doch der in den Augen seiner Eltern weniger begabte Sohn, schnappte sich ein leeres Buch und begann alles was ihm einfiel aufzuschreiben. Und es fiel ihm sehr viel ein.

Ein paar Tage später hatte Barry wieder ein paar Minuten Zeit, die er mal nicht unter den Augen seines gestressten Vaters stand. Er wollte die Zeit nutzen und sich wieder in seiner Fantasie verlieren.
James saß wie so oft in dem Salon, vor sich das von ihm nun schon halb voll geschriebene Buch und ein kleines Stück Pappe, worauf er fleißig herum malte.
„Was hast du da?“ wollte Barry wissen und versuchte das Bild zu entziffern.
„Oh!“ James sah grinsend auf.
„Was ist das?“ wiederholte Barry.
„Ich hab ein bisschen … gesponnen!“ meinte James und hielt seinem älteren Bruder das Buch hin.
Barry blickte noch einmal verwirrt auf das Buch, ehe er es James abnahm, der sich sofort wieder seiner Zeichnung widmete.
Noch im Gehen begann Barry zu lesen und lies sich dann auf der grünen Samtcouch nieder.
Irgendwie gefiel ihm die Geschichte, die James geschrieben hatte. Auch wenn sie noch ziemlich wirr und unsortiert schien. James hatte seine Idee mit der unmöglichen Reise ausgearbeitet.
Nur hatte er nicht wirklich erklärt, wie diese Reisen möglich seien.
„Hier!“
Barry sah erschrocken auf. Er war so in die Geschichte vertieft gewesen, dass er nicht bemerkt hatte, dass James nun neben ihm stand.
„Was?“
„Du hast gesagt, dass du Australien nicht magst!“ meinte James und hielt Barry seine Zeichnung hin.
Eine Buntstiftlandschaft.
„Ein Gebirge?“
„Mhm … ja!“ meinte James etwas verlegen, „Es sollte eigentlich irgendein Gebirge in Kanada sein.“
Barry war beeindruckt. James hatte es nicht vergessen. Und wenn er nun genau darüber nachdachte, ähnelte die Zeichnung einer alten Fotografie, die sie mal von ihrem Großvater gesehen hatten. Damals war Barry mehr als begeistert gewesen von der Idee irgendwann mal dorthin zu gelangen.
„Wäre schön, wenn ich dorthin könnte!“ seufzte er kurz und wollte sich wieder der Geschichte zuwenden.
„Ja!“ seufzte sein Bruder nur und setzte sich wieder zu seinen Buntstiften und begann eine weitere kleine Zeichnung.
„Übermorgen muss ich los!“ murmelte Barry wenig begeistert, „So ein Mist!“
James schwieg dazu und versuchte sich auf die Zeichnung zu konzentrieren. Er wusste, wenn sein Bruder nicht mehr da wäre, würde er in der Schule wieder gehänselt werden und seine Eltern würden ihn noch mehr traktieren, was für ein unnützer Sohn er doch eigentlich sei.
Nur ändern könnten die beiden Brüder daran nichts.

Es kam wie es kommen musste. Barry besuchte die Wirtschaftsschule und kam nur jedes zweite Wochenende nach hause.
Die Schule gefiel ihm. Allerdings weniger des Unterrichtsstoffes wegen, als vielmehr der vielen Möglichkeiten, die sich ihm dort boten, da er nun nicht mehr unter den Augen seiner Eltern war.
Er hatte neue Freundschaften geschlossen, von denen einige seine Eltern nicht wirklich gutheißen würden. Aber dass mussten sie ja nicht wissen. Ebenso mussten sie ja nicht alles wissen, was er noch so tat. Solange er nur gute Noten heimbrachte und auch sonst nicht negativ auffiel, würden seine Eltern weder etwas bemerken noch etwas dagegen haben, falls sie es bemerken würden.
James hingegen besuchte weiterhin die Mittelstufe und wurde, wie erwartet für seine Träumereien verspottet. Zwar hatte auch er seine kleine Clique, mit der er in den Pausen und manchmal auch am Nachmittag abhing. Aber die gehörten nun mal nicht zu den beliebten der Schule. Streber und Freaks, wie man sie nannte. Aber er mochte sie und sie akzeptierten ihn.
Daheim, wenn er es schaffte seinen enttäuschten Eltern aus dem Weg zu gehen, versuchte er weiter an seiner Geschichte zu schreiben. Allerdings fiel es ihm immer schwerer. Zu einem machte es ihm zu schaffen, dass Barry nicht mehr mit ihm zusammen war und zum anderen war nun auch sein großer Bruder nicht mehr so freundlich gesonnen, wie vor seinem Auszug.
Beide stritten mehr und Barry stimmte immer häufiger seinen Eltern zu, dass James Spinnereien im Grunde zu nichts führen würden. Das Schreiben hatte er unlängst aufgegeben. Dafür gab es schließlich mehr als genug Ablenkung auf seiner Schule.

Eines Tages, hatten seine Eltern von einem seiner Missetaten erfahren und waren darüber, dass dies den Rauswurf aus der Schule bedeuten könnte, nicht sehr begeistert. So kam es zu einem lautstarkem Streit zwischen ihnen und Barry und als sie plötzlich anfingen zu diskutieren, dass er sich ebenso wie sein jüngerer Bruder alle guten Chancen verbauen würde, schrie Barry zurück, dass er etwas hätte, womit er viel mehr verdienen würde, als sie es sich je vorstellen könnte.
Keiner wusste, was er damit meinte.
Wütend begann er alle seine Sachen zusammen zu packen. Er wollte einfach nur fort.
Mit gepackter Tasche ging er zum Salon. Mit Sicherheit würde er dort seinen jüngeren Bruder finden, der sich dort immer versteckt hatte, wenn es mal etwas lauter zuging. Angeblich konnte er sich dort besser konzentrieren.
„Du gehst?“ fragte James verschüchtert. Wie immer sein kleines Buch in den Händen, da er immer noch an seiner Geschichte zu schreiben versuchte.
Barry antwortete nicht. Er starrte noch immer wutentbrannt auf ihn und dann auf das Buch.
„Hier!“ James zog eine kleine Karte aus dem Buch hervor. Es war die kleine Landschaftszeichnung, die er für seinen Bruder gemacht hatte.
Doch Barry reagierte nicht darauf.
„Gib mir das Buch!“ knurrte er nur.
James sah ihn irritiert an.
Und da er nicht tat, was man er ihm sagte, griff Barry nach dem Buch und versuchte es James aus der Hand zu reißen.
„Was soll das?“ James hatte Mühe das Buch festzuhalten.
„Du kannst damit nichts anfangen!“ knurrte Barry angestrengt, „Aber mir wird es helfen!“
„Das ist meins!“ protestierte James. Er wollte seine Geschichte nicht weggeben. Vielleicht, wenn Barry ihn gefragt hätte, hätte er ihm das Buch vielleicht gegeben, wenn er es fertig geschrieben hätte. Aber so, so sollte es nicht sein.
„Jetzt gib schon her!“ Barry war ein wenig verwundert über den Starrsinn und über die Kraft, über die sein kleiner Bruder plötzlich verfügte.
James schaffte es, das Buch aus Barrys Händen zu reißen und seinen Bruder von sich zu stoßen. Dieser stolperte gegen die Salontür, die lautstark zuknallte.
„Jetzt gib mir dieses verdammte Buch!“ schrie Barry James an.
Der Jüngere konnte nur schwer an sich halten, nicht los zu heulen. Das Buch wollte er nicht hergeben.
Barry wollte gerade einen neuen Angriff starten, als er die Stimme seines Vaters hörte. Er schrie etwas davon, die Polizei zu rufen, wenn er sich nicht bei ihm entschuldige und sich wieder wie ein normaler Sohn benehme.
Zornig überlegte er nun, was er tun sollte. Er wollte und konnte sich nicht entschuldigen. Er wusste, dass das was er tat, das Richtige war. Seine Eltern hatten ja keine Ahnung.
„Verdammt!“ knurrte er nur.
Er drehte sich zur Tür um und wollte gehen.
„Du bist ein Idiot! Du kannst mit dem Teil nichts anfangen!“ meinte er nur zu seinem kleinen Bruder, der etwas verängstigt im Raum stand.
Barry ging zur Tür, griff nach der Klinge und öffnete sie.
Er ging einfach hindurch und verschwand.

Als er wieder auf der anderen Seite herauskam, musste er sich neu orientieren.
Er wusste nicht, wo er war. In der letzten Zeit hatte er so viele Türen durchschritten, dass er keine Ahnung mehr hatte, wo er ursprünglich gestartet war.
Wie viel Zeit mochte wohl schon vergangen sein.
Stunden? Tage? Ja, vielleicht sogar Jahre?
Er wusste es nicht.
Als Siebzehnjähriger hatte er im Streit seinen kleinen Bruder verlassen. Wollte von zu hause ausreißen. Nun im Grunde war es im gelungen, von zu hause und von seinen Eltern los zu kommen. Nur war es nicht genauso gewesen, wie er es sich vorgestellt hatte.
Nichts war so, wie er es sich vorgestellt hatte.
Nur vage konnte er sich an das Gesicht seines Bruders erinnern. Wie er ausgesehen hatte, als sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Verängstigt! Und jedes mal, wenn er sich daran erinnerte, schmerzte es ihn. So hätte es nicht sein sollen.

Er stand nun in einem großen Raum voller Bücher. Einzig eine Wand war frei und daran hing ein großes Landschaftsgemälde. Es kam ihm bekannt vor, obwohl von dem Bild nicht mehr viel zu erkennen war.
Und dann erschrak er. Er war nicht allein im Raum.
„Wer bist du?“ fragte ihn eine Mädchenstimme.
Neugierige Kinderaugen starrten ihn an.
Er war zwar häufiger irgendwem begegnet, wenn er eine Tür durchschritt, aber meist reagierten die anderen nicht so.
Bevor er dem Mädchen eine Antwort geben konnte, stellte sich ihm jemand entgegen.
Ein Junge, nur zehn Jahre alt, positionierte sich genau zwischen ihm und seiner Schwester, um sie zu schützen.
Barry sah sich erneut um. Woher kannte er nur diesen Raum? Vielleicht war er schon einmal durch die Tür gegangen. Es kaum oft vor, dass er mehrmals im gleichen Raum landete, ohne das vorher zu wissen.
Er ging an den Kindern vorbei, die ihm neugierig nach starrten. Sonderbarer weise, wie er fand, riefen sie nicht nach ihren Eltern.
Allerdings wurde ihm recht schnell bewusst, warum. Lautstark war es zu hören. Ein Streit. Drei oder mehr schrien sich an, ungeachtet ihrer Wortwahl und dass die Kinder sie hören konnten.
Das Mädchen war neugieriger und mutiger als ihr Bruder und ging Barry nach.
„Wo kommst du her?“ wollte sie wissen.
Barry musste schmunzeln.
„Von überall!“
„Bist du ein Freund von Dad?“ stotterte der Junge und starrte ihn an.
„Lüg!“ dachte Barry sich und nickte nur, während er weiter die Bücherregale anstarrte.
„Ganz schön viele!“ bemerkte er nur.
„Ja! Und das hier, ist das beste Buch!“ gab das Mädchen hinter ihm zu.
„Du liest?“ entfuhr es ihm und er sah zu ihr, „Wie alt bist du?“
„Acht!“ Sie schien stolz zu sein. Ihr Bruder hingegen genervt.
„Du liest?“ Sarkasmus. Er kannte kaum ein Kind, dass in dem Alter gerne las. Gerade in dem Alter, wo man es gerade erst lernte oder lernen sollte.
Er konnte sich noch an seine ersten Lesestunden erinnern. Er hatte es gehasst, da ihn seine Eltern zwangen, jeden Tag mehrere Stunden zu üben.
Dann bemerkte er, von welchem Buch sie sprach.
Es war in einem schwarzen Stoffeinband gehüllt und sah recht alt aus.
„Kann ich mal?“ Es kam ihm bekannt vor.
Stolz hielt sie ihm das Buch entgegen.
„Wo hast du das her?“ wollte er plötzlich wissen. Ein flaues Gefühl stieg in ihm auf.
„Gefunden!“ meinte sie nur und wollte es wieder haben. Doch Barry starrte auf das vergilbte Papier mit der ihm bekannten Handschrift.
Er blätterte es bis zur letzten Seite durch. Es war voll. Oder zumindest so gut wie. Nur knapp zehn Seiten waren unbeschrieben. Allerdings steckte eine kleine Zeichnung dazwischen. Ein Bild einer Australischen Landschaft.
„Du solltest das Buch nicht anfassen!“ entfuhr es ihm. Er klang dabei zorniger, als er wollte.
Zwar kannte er die Zeichnung nicht, aber das Buch. Und daran hatte er keine guten Erinnerungen.
Sie allerdings lies sich von seiner aufkommend gereizten Stimmung nicht abschrecken und versuchte wieder an ihr Buch zu kommen. Doch Barry wollte es ihr nicht geben.
Dann mischte sich auch ihr Bruder ein. Anscheinend kam er sich dumm dabei vor, dass seine jüngere Schwester mutiger war als er.
„Gib es ihr wieder!“ versuchte er mutig hervor zu bringen.
Barry starrte die beiden Kinder an. Und dann starrte er auf die Tür.
Deutlich war von draußen noch immer der Streit der Erwachsenen zu hören und dann war da noch etwas anderes. Oder vielmehr jemand anderes.

Jemand anderes war ebenfalls in dem Raum gelandet. Genauso sonderbar wie Barry. Er war durch die Tür gegangen, ohne das draußen jemand etwas davon mitbekommen hatte. So als wäre die Tür zwischen drin halbiert, so dass ein Teil zu blieb und der zweite in den Raum hinein.
Die Kinder und Barry starrten irritiert dem Neuankömmling entgegen.
Fettige Haare und schmutzige Kleidung. Und ebenso finster wie er aussah, schienen auch seine Gedanken.
Ein Grinsen huschte über ein Gesicht.
„Irgendeiner von euch hat sicherlich einen Schlüssel!“ meinte er und musterte sie.
Barry kannte die Situation, war er ihr doch schon öfters ausgesetzt gewesen. Allerdings war er dabei meist allein gewesen.
Nun aber waren das zwei Kinder, die keine Ahnung hatten von alle dem.
Kurz huschte vor seinem geistigen Auge, der letzte Satz der anscheinend unfertigen Geschichte aus dem Buch vorbei.
„Plötzlich tauchte ein Fremder auf. In der Hand ein Messer. Seine Absichten alles andere als gut. ...“
Und so, als hätte es das Buch vorhergesagt, lies der Fremde ein verstecktes Messer aus seinem Ärmel in die Hand gleiten.
„Wer hat den Schlüssel?“ fragte er erneut und wieder wanderte sein Blick von einem zum anderen.
Und blieb dann bei dem Mädchen haften.
„Du ...“ lachte er und schritt auf sie zu.
Barry musste etwas tun, dass wusste er. Er trat vor die Kinder, dem Fremden entgegen.
„Ah … der große Samariter! Du hast einen Schlüssel!“ meinte der Fremde und hielt ihm drohend das Messer hin.
„Verschwinde!“ knurrte Barry ihm entgegen. Im Grunde war er alles andere als mutig, aber er konnte die Kinder nicht so hilflos dastehen lassen.
„Ich würde, wenn ich könnte!“ meinte der Fremde nur, „Aber ich brauch dennoch einen neuen Schlüssel!“
„Ich hab aber keinen!“ schrie Barry etwas lauter, um so seine Angst zu verbergen.
Die Kinder starrten mit großen Augen auf die seltsame Szenerie, die sich vor ihnen abspielte.
Der Fremde wurde ungeduldig und stürmte auf Barry zu. Dieser konnte noch gerade so verhindern, dass ihm das Messer zwischen die Rippen gestoßen wurde. Aber der Angreifer war nicht nur bewaffnet, sondern auch noch stärker als er.
Und so lag Barry bald schon auf dem Boden, sein Angreifer grinsend über ihm und die Kinder ängstlich an die Wand gepresst.
Der Fremde tastete die Jackentasche von Barry ab und zog seine Brieftasche heraus.
„Da ist bestimmt was für mich drin!“ lachte er und stand auf.
Er sah in die Brieftasche, grinste erfreut und ging zur Tür.
„Das hättest du auch einfacher haben können!“ meinte er, machte die Tür auf und ging hindurch. Und wieder war es, als sei die Tür zweigeteilt. Denn draußen war noch immer der Streit zu vernehmen. Sie hatten von den Geschehnissen im Raum nichts mitbekommen.
Barry raffte sich auf und sah sich um.
„Alles in Ordnung mit euch?“ fragte er die Kinder. Die beiden nickten nur stumm.
Dann tastete er seine Taschen ab.
„Mist!“
Dann fiel sein Blick wieder auf die Kinder, die ihn ängstlich und fragend ansahen.
„Ähm … das solltet ihr keinem erzählen!“ fand Barry, „Ich muss … wieder los!“
Er war schon wieder auf dem Weg zur Tür, als er noch einmal zurück ging.
„Das hier, solltest, du nicht anfassen!“
Barry hob das Buch auf, welches ihm beim Kampf mit dem Fremden aus der Hand gefallen war, und brachte es zu einem sehr hohen Regal.
„Aber...!“ Das Mädchen wollte protestieren und sprang ihm entgegen. Aber das Buch erwischte sie nicht. Auch schaffte sie es nicht, zu verhindern, dass er das Buch ganz nach oben legte.
„Es ist gefährlich!“ schimpfte Barry und dann richtete er sich an den Jungen, „Du solltest aufpassen, dass sie das Buch nicht mehr in die Hand nimmt!“
Der Junge nickte nur stumm. Anscheinend hatte er noch nicht so ganz verdaut, was eben vor sich gegangen war.
Barry ignorierte das Gebettel der Kleinen, ihr das Buch wiederzugeben, und ging wieder auf die Tür zu. Er griff nach der Klinge und öffnete die Tür.
Doch wie der Fremde zuvor, landete er nicht vor der Bibliothek, sondern irgendwo anders.
Nikita LaChance
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 11:45

Kapitel III

„Was …?“ Adrian war recht verwirrt.
„Ich hatte dich doch gewarnt!“ schimpfte der Fremde ihn an.
Kayleigh war noch ein wenig verwirrter als ihr Bruder. Nicht nur, dass sie sich nicht erklären konnte, was eben geschehen war, jetzt stand sie auch noch in einer fremden Küche, obwohl hinter der Tür gerade eben noch ein Hausflur gewesen war.
„Du … ähm … wie …?“ Adrian brachte keinen anständigen Satz zustande.
„Wo sind wir?“ Seine Schwester allerdings schaffte es.
„In einer Küche!“ kam nur als trockene Antwort von dem Fremden.
„Das seh ich auch!“ protestierte sie, „Aber wie sind wir hierher gekommen?“
Nun schien der Fremde ratlos.
„Ihr seit durch eine Tür gegangen!“
Kayleigh rollte mit den Augen. Diese Antwort hätte sie sich auch selbst geben können.
„Was meintest du mit Schlamassel? Und wo zum Teufel sind wir?“ platzte es aus Adrian heraus.
Der Fremde seufzte.
„Das Wo lässt sich schwer erklären! Ich kann nur sagen, dass es irgendeine Küche ist! Mehr weiß ich auch nicht!“ gab er zu.
„Und der Schlamassel?“ hinterfragte Kayleigh genervt. Sie wollte einfach nur heim. Dort würde sich hoffentlich alles nur als dummes Hirngespinst raus stellen.
„Ihr seit durch eine Tür gegangen und … Oh man, das ist nicht ganz so einfach zu erklären!“ meinte der andere.
„Was war das mit dem Schlüssel?“ bemerkte Adrian, „Ich meine, die Leute vorhin haben davon geredet, dass wir irgendeinen Schlüssel hätten!“
„Jepp!“ kam als Antwort, „Ihr hab einen Schlüssel in der Hand!“
Er zeigte auf Kayleigh, die ihn verwirrt anstarrte. Noch immer hatte der eigenartige Typ keinerlei zureichende Antworten geliefert.
In der einen Hand hielt sie noch immer das Buch und in der anderen die kleine Karte, die sie in der Stadt gefunden hatte.
„Ich hab aber keinen Schlüssel!“
„Die Karte!“ Der Fremde kam auf sie zu und nahm sie ihr ab.
Er begutachtete sie und zog eine Augenbraue erstaunt nach oben.
„Mit der Karte kann man Türen öffnen! Sie ist sozusagen ein Schlüssel!“ versuchte er zu erklären und zeigte die Karte nach oben.
Kayleigh und ihr Bruder waren sich noch immer unsicher, ob sie nicht an dem Verstand des Fremden zweifeln sollten. Allerdings wenn sie ihn schon für verrückt hielten, was war das die ganze Sache um sie herum?
„Das Ding öffnet also Türen! Und wie weiter?“ wollte Adrian wissen.
Kayleigh nickte.
„Gut,...“ wieder seufzte der Fremde. Anscheinend hatte er nicht mit so sturen Zuhörer gerechnet.
„Mit der Karte kann man Türen öffnen. Man nennt das Ding deswegen auch einen Schlüssel.“
Er wartete kurz darauf, dass sie ein Zeichen des Verstehens gaben. Beide nickte nur kurz.
„Es gibt allerdings mehr als nur einen Schlüssel!“
Wieder ein Nicken der beiden.
Dann sah Adrian ihn fragend an.
„Das ist also so wie in dem Film Matrix?“ wollte er wissen, „Mit dem Schlüssel kann man jede Tür öffnen und überall hingehen?“
„Das ist kein Film!“ schimpfte Kayleigh gleich.
Der Fremde starrte ihn verwundert an.
„Matrix?“ Anscheinend kannte er den Film nicht und wusste daher auch nicht so recht, worüber die beiden gerade stritten.
Dann schüttelte er kurz den Kopf, so als wollte er die Gedanken daran erst mal ablegen, und ging wieder zu seiner ursprünglich geplanten Erklärung.
„Man kann überall hin gelangen ...“
„Aber?“ Sie schien gereizt.
„Aber man kann es sich nicht aussuchen!“
Fragend sahen beide ihn an.
„Wozu soll das dann gut sein?“ platzte es aus Adrian.
„Weiß nicht! Ich glaube, da gibt es keinen wirklichen Plan dazu!“ meinte der Fremde, „Leider!“
„Also kann ich mit der Karte jetzt die Tür öffnen und bin wieder zu hause?“ wollte die Schwester ungeduldig wissen.
„Ähm … Nein!“
„Wie jetzt? Ich denke, man kann damit einfach durch die Tür spazieren und kommt dann irgendwo anders raus!“ hinterfragte Adrian. Auch er schien langsam mit der Geduld am Ende.
„Okay, noch einmal ganz langsam!“ seufzte der andere, „Man kann mit den Karten bzw. den Schlüsseln fast jede Tür öffnen. Aber man kann sich nicht aussuchen, wohin die Tür geht. Es ist auch nicht so, dass man immer mit dem selben Schlüssel am gleichen Ort landet!“
Ungläubig starrten sie ihn an.
„Es ist also ziemlich gefährlich! Man weiß nie wo man landen wird!“
Keine Regung.
„Und wie ihr auch mitbekommen habt, sind die Schlüssel heiß begehrt!“
Er zeigte kurz auf die Tür, durch die sie in die Küche gelangt waren.
„Ihr seit nicht die einzigen, die eine unfreiwillige Weltreise machen!“
„Da … sind noch mehr?“
„Viele mehr! Und mehr oder weniger sind alle auf der Suche nach dem Heimweg!“ lachte er kurz, so als sei dies lustig, „Nur, wie schon erwähnt, sie die Schlüssel nicht sehr präzise mit ihrem Durchgang!“
Kayleigh musste kurz schlucken. Glauben wollte sie seine Story nicht, aber irgendwie schien sie ihr vertraut.
„Man könnte also, wenn man hier raus geht, in … Paris beim Eiffelturm raus kommen?“ hinterfragte Adrian.
„So lange dort eine Tür ist!“
Wieder starrten beide ihn an.
„Okay, eine Tür?“
„Klar, wo willst du denn landen? Ohne eine Tür weder ein Aus- noch ein Eingang!“
„Jede Tür?“
Kayleigh stellte eine berechtigte Frage, fand Adrian. Wenn man durch jede Tür gehen könnte bzw. hinter jeder Tür landen würde, wäre es bei einigen mehr als nur gefährlich, wie er sagte.
Wieder ein Seufzen.
„Fast jede Tür! Bewegliche Türen funktionieren da nicht!“
Als sie ihn wieder fragend ansahen, konkretisierte er seine Aussage:
„Also Türen von Fahrzeugen gehen nicht! Ihr landet als weder in einem Auto noch fallt ihr aus einem raus!“
Sie schienen ein klein wenig erleichtert.
„Gittertüren sollen angeblich auch nicht funktionieren!“ meinte der Fremde dann.
„Aber du bist dir nicht sicher, oder?“ bemerkte Adrian.
„Na ja, ich selbst bin noch durch keine gegangen und ich hab auch von keinem gehört, der eine Gittertür passiert hat!“

Für einen kurzen Moment herrschte Stille in der fremden Küche.
Adrian und Kayleigh waren damit beschäftigt die Erzählung zu verdauen.
„Das Buch ...“ fiel ihr plötzlich wieder ein, „Wieso hast du gesagt es ist gefährlich?“
„Ich ...“ Jetzt musste der Fremde nachdenken, „Ich hab nicht gesagt, dass es gefährlich ist!“
„Damals? Du bist in der Bibliothek aufgetaucht, einfach so. Und dann bevor du wieder verschwunden bist, hast du gesagt, das Buch sei gefährlich!“
Für einen ganz kurzen Moment war er beeindruckt, dass sie sich an ihn erinnerte.
„Alles fing mit dem Buch an und dann stand noch darin, was dann später eingetroffen ist. Da kann man schon mal in Panik geraten!“ antwortete er.
„Aber … da steht doch gar nichts von damals drin!“ Zumindest hatte Adrian, als er einen Blick auf das Buch geworfen hatte, nichts entdecken können. Weder damals als Kind noch vor wenigen Minuten oder auch Stunden.
„Wie?“
Kayleigh nickte. Auch sie hatte nichts von den damaligen Ereignissen, die angeblich drin stehen sollten, gelesen. Und sonderbarer weise schien ihre Tante auch nichts eigenartiges lesen können.
„Zeig!“ Der Fremde bat um das Buch, wenn auch nicht unbedingt in einem freundlichen Ton.
Nur etwas widerstrebend gab sie ihm das Buch und als er darin blätterte, wurde sein Blick immer verwirrter.
„... Barry hatte gerade zwei Kinder gerettet. Erneut! ...“ las er vor.
„Wer ist Barry?“ wollte Adrian wissen.
Der Fremde sah auf.
„Ich!“
Es war mehr als nur eigenartig seinen Namen in dem Buch zu lesen. Und noch eigenartiger war, dass sich der Text änderte. Kaum dass er die Zeile gelesen hatte, war sie wieder verschwunden und das Buch leer.
Als er es Kayleigh zeigte, schien sie ebenso ratlos.

Dann hörten sie Schritte. Jemand kam auf die Tür zu, die in Richtung Wohnzimmer führen musste.
Erschrocken starrten sie alle auf die Tür.
„Es könnte Ärger geben, wenn uns jemand hier erwischt!“ meinte Barry, „Nicht jeder ist begeistert einen Fremden in seiner Wohnung zu finden!“
Sie erwarteten, jeden Moment den Eigentümer der Örtlichkeit gegenüberzustehen. Jeden Moment würde die Tür aufgehen.
Doch dann verhalten die Schritte und die Tür blieb zu.
Alle drei atmeten auf.
„Manchmal ...“ fing Barry an, „... kann es passieren, dass sie die … Wege kreuzen! Man kann also den anderen hören!“
Das Geschwisterpaar nickte nur.

„Kommen wir irgendwann wieder nach hause?“ wollte Kayleigh plötzlich wissen. Sie hatte das Buch wieder an sich genommen und auch die Karte hatte sie von Barry wiederbekommen.
„Vielleicht?“ Er wusste es nicht.
„Und die beiden … Meryl und Dad …?“ fragte Adrian etwas zaghaft.
„Vielleicht? Ich meine … es kann sein, dass auch sie jetzt durch die … Welten reisen. Aber es kann auch sein, dass sie in der Stadt bleiben, wo sie gelandet sind!“ Barry war sich selbst überhaupt nicht sicher.
„Muss man immer weiter gehen?“
„Gute Frage!“ gab Barry zu und grinste Kayleigh kurz an, „Muss man nicht! Ich meine, du kannst dir aussuchen, ob du bleiben willst. Du kannst, da wo du landest neu anfangen. Aber dann müsstest du dich damit anfreunden niemals deine Heimat wieder zu sehen.“ Wieder überlegte er kurz und korrigierte seine Aussage, „... Es sei denn du findest auf normalen Weg wieder heim! Dazu müsstest du als erstes raus bekommen, wo du gerade steckst!“
„Aber … wenn man beschließt, weiter zu gehen … meinst du, dass man irgendwann wieder nach hause kommt?“ wollte Kayleigh wissen.
„Vermutlich! Nur … so richtig weiß man das nicht!“ Die Antwort kam etwas gequält rüber, „Es kann Jahre dauern! Vielleicht dein ganzes Leben!“
„Oh!“

Wieder trat Schweigen ein. Das Gehörte musste verdaut werden.
„Also was macht ihr jetzt?“ wollte Barry dann nach einer Weile wissen.
Adrian sah seine Schwester an und dann ihn.
„Bleiben?“ war seine Idee.
„Nein! Ich will Dad und meine Tante wiederfinden und dann will ich zurück nach hause!“ antwortete Kayleigh gefasst. Sie war sich aller Möglichkeiten bewusst.
„Aber …? Wir haben keine Ahnung, wo wir raus kommen!“ bemerkte Adrian. Wieder einmal schien er einerseits der Vernünftigere als auch der Ängstlichere zu sein.
„Ja, und? Willst du hier bleiben?“ frage sie ihn.
„Na ja, … kann ja nicht so gefährlich sein!“
„Ja klar! Nur ist das hier ...“ Kayleigh zeigte um sich, „... eine fremde Küche! Du hast keine Ahnung in welcher Stadt bzw. welchem Land wir sind!“
„Und?“
„Ich finde das nicht sehr sicher!“ meinte sie, „Aber wenn du bleiben willst!“
Im Grunde wollte sie weder ins Ungewisse spazieren, noch wollte sie so richtig an die Geschichte mit den komischen Schlüsseln und Türen glauben. Aber sie wollte auch nicht in der Fremde bleiben, wenn da irgendwo ihr Vater und ihre Tante verschollen waren. Nur wenn sie nach den beiden suchte, wollte sie ihren Bruder nicht missen. Schließlich war er das einzige, was sie nun noch von ihrer Familie hatte.

Wieder waren Schritte zu hören. Und wieder starrten sie alle auf die Tür.
Nur rechneten sie nicht damit, dass diesmal auch jemand durch diese Tür auf sie zu kam.
Was er sagte, verstanden sie nicht. Aber es klang nicht sehr freundlich.
Und als er das Licht anmachte, konnten sie seine bullige Statur sehen. Und auch seine zu Fäusten geballten Hände.
Er war bereit sein Heim gegen die Eindringlinge zu verteidigen.
„Wir sollten besser gehen!“ murmelte Barry den Geschwistern zu.
Kayleigh sah ihren Bruder bettelnd an.
„Wir müssen einen Weg zu Dad und Tante Meryl suchen!“ flüsterte sie ihm zu und er nickte.
Auch er schien sie nicht verlieren zu wollen.
„Dann sollten wir lieber jetzt los! Der Typ scheint nicht darauf aus zu sein, uns einfach so laufen zu lassen!“ meinte Barry etwas lauter.
Der Wohneigentümer trat auf sie zu. Vermutlich hoffte er, dass seine Statur und seine finstere Miene allein ihn gegen die vermeintlichen Einbrecher, die recht jugendlich schienen, half.

Barry trat an die Tür, die er zuvor noch verschlossen hatte und legte seine Hand auf die Klinke. Er wartete, dass die beiden ganz nahe bei ihm standen, ehe er die Klinke drückte.
Die Tür ging auf und helles Licht strahlte ihnen entgegen.
Egal, was auf der anderen Seite war, es konnte nicht schlimmer sein, als ein wütender Anwohner, der jeden Moment Amok laufen würde.
Sie gingen einfach durch die Tür.

Verwirrt stand der Mann nun in seiner Küche.
Gerade eben noch waren drei Jugendliche gewesen und nun waren sie durch die Tür gegangen und verschwunden. Sonderbarer weise hatte er nicht gesehen, dass die Tür sich wieder geschlossen hatte. Und doch war sie zu.
Und als er die Klinke nach unten drückte, passierte gar nichts. Die Tür blieb zu. Verschlossen. Und selbst als er sie aufschloss und dann noch einmal die Klinke drückte und sich die Tür öffnete, war da nichts zu erkennen. Wie auch, es war stockdunkel draußen. Nacht!
Aber er hatte doch gesehen, dass die drei in helles Licht gegangen waren.
Oder hatte er das nur geträumt.
Nikita LaChance
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 11:45

Kapitel IV

Es war hell und laut und kalt.
Es dauerte eine Weile, ehe sich ihre Augen an die plötzliche Helligkeit gewöhnt hatten. Und auch brauchten sie einen Moment, ehe sie sich wieder im Klaren war, was eben passiert war.

Sie waren durch eine Tür gegangen.
Keiner würde ihnen die Story wirklich abnehmen. Eine Reise von einem Ort zum anderen. Einfach nur durch eine Tür gehen und man wäre … irgendwo.

„Wo sind wir, zum Teufel?“ fluchte Adrian und versuchte sich zu orientieren.
Zumindest waren sie nicht in ihrer Heimatstadt und auch nicht in der Stadt, in der ihre Tante wohnte.
„Wir sollten nicht hier stehen bleiben!“ meinte Barry nur und deutete auf eine ältere Frau, die die Ankömmlinge fragend ansah. Anscheinend hatte sie gesehen, wie plötzlich aus dem Nirgendwo aufgetaucht waren.
Sie standen auf einem Fußweg, auf dem im Grunde ein regelrechtes Gedränge war. Und sie standen mittendrin und so war es wenig verwunderlich, dass man ihnen nicht freundlich entgegen kam bzw. sie anrempelte.
Sie gingen einige Schritte, wobei sich Kayleigh etwas panisch an dem Shirt ihres Bruders festhielt. Sie wollte ihn nicht in der Menge verlieren.
„Kannst du das mal lassen?“ nörgelte er irgendwann genervt und befreite sich von ihr.
„Ja, aber ...“ Sie war in Erklärungsnot, aber allen Anschein nach reichte es, ihn hilflos anzusehen.
Adrian rollte kurz mit den Augen und packte seine kleine Schwester dann an der Hand und zog sie hinter sich her und versuchte dabei Barry nicht aus den Augen zu verlieren.

Kayleigh lies immer wieder ihren Blick über die Straße gleiten und knobelte, wo sie nun sein könnten. Dass sie dabei nicht nur ein wenig komisch aussah und auch nicht hinsah, wo sie lang ging, interessierte sie nicht im geringsten.
Irgend woher kannte sie die Gegend.
Eine Straßenkreuzung mit sechs riesigen bunten Reklameflächen an den Hauswänden. Und dann in der Mitte des Platzes eine hohe Skulptur. Ein Engel?
Kayleigh hatte die Kreuzung schon irgendwo gesehen. Und dann als sie den ersten Bus auf der Straße vorbeiziehen sah, wurde es ihr klar, wo sie gerade steckten. Schließlich war der Bus unverkennbar. Rote Doppeldecker.
„Wir sind in England! London!“ fiel ihr ein.
„Toll!“ war nur die Reaktion ihres Bruders. Gelangweilt und genervt zugleich.
Während Kayleigh sich begeistert umsah, war Adrian genervt von den vielen Leuten. Barry hingegen schien es egal zu sein, wo sie gerade steckten. Er ging einfach immer weiter voran, warf gelegentlich einen Blick auf sein Begleiter und wirkte auch sonst so als suche er nach etwas.

„Euer erster Trip?“
Adrian blieb abrupt stehen und Kayleigh lief in ihn hinein, da sie nicht darauf geachtet hatte, was vor ihr vor sich ging.
„Ihr seit … neu!“ bemerkte ein Mann vor ihm und musterte Adrian und Kayleigh.
Beide wussten nicht, was sie antworten sollten.
Der Typ vor ihnen sah aus, wie jemand, der Touristen abschleppt und in irgendwelche Spelunken bringt, dachte sich Adrian.
„Ihr seit noch nicht lange unterwegs!“ stellte der Mann fest und grinste. Seine weißen Zähne leuchtete aus seinem dunklen Gesicht hervor.
„Wieso?“ platzte es aus Adrian heraus.
Wieder grinste der Dunkle.
„Tja, das sieht man euch an! Hier ist Winter!“ Er zeigte auf die anderen Passanten, die sich nun auch um ihn herum drängen mussten. Sie alle trugen dicke Jacken oder Mäntel. „Und ihr zwei rennt nur in einfachen Shirts rum!“
Klar, es musste Winter sein. War ja kalt, dachte Adrian sich. Seine Schwester allerdings würde das noch nicht so richtig als kalt empfinden.
„Ich könnte euch einen Platz zum Aufwärmen anbieten!“ kam von dem Fremden.
Kayleigh drückte nur die Hand ihres Bruders. Ihr war nicht so wohl dabei, einfach einer fremden Einladung zu folgen. Auch Adrian war dies nicht so geheuer und er suchte nach Barry, der weiter vorne ging.
„Wir … gehen lieber weiter!“ meine Adrian dann nur.
„Ach komm schon, Junge, brauchst keine Angst haben!“ kam nur als Antwort, „Ich kann euch vielleicht helfen!“
„Helfen?“
Der Fremde erschrak kurz, denn Barry stand hinter ihm.
„Oh! Du schon wieder!“ war nur die knappe Begrüßung. Dann musterte er Barry und dann erneut die Geschwister vor sich.
„Deine Freunde? Hättest sie besser vorbereiten sollen!“
„Klar!“ seufzte Barry nur, „Als hätte ich das können!“
Adrian und Kayleigh kamen sich vor, wie bestellt und nicht abgeholt.
„Hab euch kommen sehen!“ grinste der Fremde wieder, „Aber deine Freunde sollten vielleicht erst mal ins Warme!“
Nun warf auch Barry seinen Begleitern einen musternden Blick zu.
„Vielleicht hast du recht!“ bemerkte er dann nur.
„Hab sogar ein paar neue Schlüssel!“ meinte der Dunkle, was Barry nur nickend kommentierte.
„Na los, kommt einfach mit!“
Der Fremde winkte den Beiden zu und ging mit Barry schwatzend voran.
Adrian sah seine Schwester kurz fragend an, da er sich nicht sicher war, ob sie den beiden folgen sollten.
„Geh!“ flüsterte sie nur und zog ihn mit sich.

Irgendwann, nachdem sie nun schon mehrere Häuserblöcke weiter gegangen waren, drehte sich Barry kurz zu den Geschwistern um, um endlich ihren Führer vorzustellen.
„Das ist Remi!“ Der Dunkle winkte kurz, ohne sich um zu drehen.
„Er hat hier einen Shop! Touristenkram!“ Remi war über die Bezeichnung nicht so ganz zufrieden.
„Und er … verkauft auch Schlüssel!“
„Jepp!“ merkte nur Remi an.
„Verkauft?“
„Tja, einige klauen sich die Schlüssel zusammen und andere verdienen sich mit den Dingern eine goldene Nase!“ antwortete Barry Adrians Frage.
„Eine goldene Nase hab ich mir damit nun nicht verdient!“ protestierte Remi, „Aber ich sammle auch Geschichten!“
„Geschichten? Was für Geschichten?“ Eigentlich hätte Adrian die Frage von seiner Schwester erwartet, aber er selbst hatte sie gestellt.
Remi drehte sich zu ihm um und lief rückwärts, während er die Frage beantwortete:
„Nun, in meinem Kiosk“ Er betonte das Wort extra, „kommen häufiger Reisende vorbei und kaufen mir Schlüssel ab oder tauschen sie. Und dabei erzählen sie ein wenig von dem, was sie gesehen haben oder wo sie gerade herkamen.“
„Aha!“
Remi drehte sich wieder richtig herum.
„Ist nicht mehr weit!“ meinte er nur und behielt recht.
Vor ihnen lag ein kleiner Kiosk. Schwarze Schrift über der beigen Tür „Benetts“, eine bunte Auslage mit den typischen Souvenirs und einem Postkartenständer vor der Tür.
„Tada!“ meinte Remi und hielt den Dreien die Tür auf.
Im Kiosk war es ein wenig eng. Auf der einen Wandseite ein riesiges Zeitschriftenregal, auf der anderen ein paar kleinere Regale mit Schneekugeln und Modellen des Big Bens und der berühmten roten Doppeldeckerbusse und zwei kleine Tischchen, an denen ein paar Kaffeetrinker ins Gespräch vertieft waren.
An der dritten Wand war der Tresen mit Postkarten, Süßkram und der Kasse, hinter der eine etwa Vierzigjährige stand. Auch sie war dunkelhäutig und grinste breit, als sie die Neuankömmlinge sah.
„Hallo Barry!“ grüßte sie und kam hinter ihrer Kasse hervor.
„Du warst lange nicht mehr hier!“ meinte sie zu Barry und drückte ihn. Man könnte annehmen, dass sie die besten Freunde wären und er auf Besuch.
„Und das? Deine Freunde?“ wollte sie dann wissen und musterte das Geschwisterpaar.
„Niedlich!“ meinte sie dann und grinste wieder.
„Hast du noch was warmes zu trinken für sie?“ bat Remi und ging kurz zu den Kaffeetrinkern, um sie in einer fremden Sprache zu begrüßen.
„Ich bin Ama!“ stellte sie sich vor und schüttelte Kayleigh und Adrian die Hand.
Sie lies die beiden und Barry sich was zu trinken aussuchen und lies sie durch die Tür, die hinter der Kasse in einen Nebenraum führte.
Mit einem Male wurde es in dem Kiosk lauter und Remi rief Ama wieder nach vorn, damit sie ihm helfen könnte.
Kayleigh warf einen Blick in den Verkaufsraum. Eine Gruppe von zehn Männern und Frauen standen mitten im Laden und sahen sich um.
„Habt ihr noch … ein paar Karten?“ wollte einer aus der Gruppe wissen und sah sich etwas vorsichtig nach den Kaffeetrinkern um, die ziemlich ruhig dastanden, so als seien sie es gewöhnt, dass ständig jemand einfach aus dem Nirgendwo auftaucht.
Ama zeigte auf einen kleinen Ständer, der über und über mit kleinen Karten bestückt war. Einige dieser Plastikkärtchen zeigten Glückwunschsprüche oder irgendwelche Comictiere.
Die Reisegruppe inspizierte den Kartenständer und tuschelten untereinander welche sie nehmen sollten.
Remi bemerkte Kayleigh und kam zu ihr.
„Eigentlich ist es egal, welche Karte sie nehmen!“ meinte er grinsend, „Aber sie hoffen, die richtige zu finden!“
Kayleigh nickte nur und setzte sich wieder zu ihrem Bruder.
Noch immer hielt sie das Buch fest, ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein.
Aber Remi bemerkte es.
Er kam in den Nebenraum und grinste sie an.

„Eigentlich eigenartig, dass ihr so unvorbereitet unterwegs seit!“ fiel ihm auf und er lehnte sich in die Tür.
Adrian sah ihn fragend an, während er seine Hände an dem Kaffee aufwärmte.
„Na ja, ihr habt da einen Reiseführer in der Hand und scheint dennoch unvorbereitet!“ meinte Remi und zeigte auf Kayleighs Buch.
„Reiseführer?“ Adrian entfuhr ein Lacher, „In dem Ding steht doch nichts drin!“
Remi zog eine Augenbraue nach oben und dann schmunzelte er wieder.
„Aha! Also eines dieser Dinger!“ Die Bemerkung bescherte Remi nur noch mehr fragende Blicke. Der einzige, der ihn nicht fragend ansah, war Barry. Der saß ziemlich ruhig auf seinem Stuhl und sah abwechselnd von Kayleigh zu Adrian.
„Ihr habt also eines dieser Bücher, die immer wieder ihren Text ändern!“
Adrian sah zu Kayleigh und dann wieder zu Remi.
„Wie kann ein Buch seinen Text ändern? Was soll der Mist?“ fluchte er genervt.
Remi schmunzelte.
„Genauso hättest du fragen können, was es mit den Schlüsseln auf sich hat!“ lachte er.
Kayleigh brannte ebendiese Frage auf der Seele.
„Weißt du, es heißt, dass es zu den Schlüsseln auch Bücher gab. Beides sollte irgendwie … magisch oder so geschaffen worden sein. Vielleicht um sich Wissen an zueignen oder um an irgendwelche Schätze zu kommen.“ versuchte Remi zu erklären.
„Es heißt?“
„Tja, es gibt unzählige Geschichten unter den Reisenden. Angeblich gibt es einen Plan für diese Schlüssel und ihre Reiseroute. Und es gäbe Schlüsselmeister, die das ganze erfunden haben und kontrollieren kann. Aber vermutlich ist da genauso viel wahres dran, wie an der Geschichte über den Raum der tausend Türen.“
Er zwinkerte Kayleigh zu, die sofort rot anlief und weg sah.

Der Lärm im Geschäftsraum ebbte ab und plötzlich kam Ama in den Nebenraum, sah sich um und grinste dann auch kurz.
„Lass dich von ihm nicht einschüchtern, Kleine!“ meinte sie zu Kayleigh.
„He, ich schüchtere sie nicht ein!“ versuchte Remi sich zu verteidigen.
Kayleigh fand es einfach nur peinlich und so starrte sie auf das Buch. Sie würde gern einen Blick hineinwerfen, in der Hoffnung irgendeine Antwort zu finden. Aber sie traute sich nicht.
„Gut!“ Ama riss sie aus ihren Gedanken.
„Vielleicht wollt ihr heute Nacht hier bleiben? Dann könnte euch der Meister hier,“ Sie zeigte auf Remi, „noch ein paar Tipps geben!“
„Ich weiß nicht, ob das so gut ist!“ meinte Barry erst und stellte seine Tasse, mit der er die ganze Zeit gespielt hatte, auf dem Tisch ab.
„Ach komm schon!“ bettete Ama, „Die beiden sind müde und durch gefroren! Wer weiß, wo ihr als nächstes landet!“
„Sie könnten aber auch hier bleiben!“ meinte Remi zu ihr und klang fast wie ein kleines Kind, dass seine Mutter um ein Haustier anbettelte.
Ama sah ihn etwas böse an.
„Die Kleine ist viel zu jung für dich!“ meinte sie nur.
Kayleigh sah irritiert zu ihr und Remi hinüber und dann kurz auf ihren Bruder.
„Zu jung?“ murmelte sie, „Wie alt glauben die, dass ich bin?“
Adrian zuckte mit den Schultern und musterte seine Schwester mit einem irritierten Blick.
Ama grinste kurz.
„Wenn ich schätzen müsste, bist du nicht älter als ...“ Sie musterte sie nochmal, „sechzehn!“
Kayleigh riss ihre Augen weit auf und es platzte aus ihr heraus:
„Aber ich bin neunundzwanzig!“
Remi brach in Lachen aus. „Klar doch!“
„Sags ihnen!“ befahl sie ihrem Bruder, der sie noch immer fragend ansah.
„Aber du siehst wirklich anders aus!“ bemerkte Adrian nur etwas leise.
„Was?“
„Tja, ich würde mal sagen, dass ihr beide ziemliches Glück habt!“ meinte Ama etwas neidisch.
„Was für Glück? Was soll das heißen?“
„Es soll durchaus ein paar Durchgänge geben, die einen jünger machen können!“ antwortete Remi etwas zu begeistert.
„So eine Art Zeittunnel?“ wollte Adrian wissen.
„So könnte man es natürlich auch sehen!“ Remi verschränkte die Arme vor der Brust. „Aber ihr könnt nicht in der Zeit herumreisen. ...“
„Man kann nur für einige Zeit in den Tunneln, oder wie auch immer du das nennen willst, verschwunden bleiben, ehe man auf der anderen Seite irgendwo wieder auftaucht!“ unterbrach Barry im ernsten Ton.
„Wie? Man kann verschwinden?“ Kayleigh sah ihn erschrocken an und Barry verstand, weswegen sie so verstört reagierte.
„Man bleibt nicht verschwunden! Nur passiert es schon mal, dass man einen Trip in nur wenigen Sekunden macht und bei einem anderen dauert es schon mal mehrere Tage ehe man auf der anderen Seite wieder raus kommt!“ erklärte Barry, „Aber man kommt immer auf der anderen Seite wieder raus!“
„Und diese Zeittunnel? Wenn man nicht durch die Zeit zurück reisen kann, wie kann das einen jünger machen?“ wollte Adrian wissen.
„Das ist wirklich ein großes Rätsel! Und vor allem kann man die Verjüngung ja nicht vorherbestimmen!“ kam von Remi.
„Dann kann man auch plötzlich altern?“
„Du hast sie wirklich nicht vorbereitet!“ seufzte Remi nur mit Blick zu Barry, der sich keiner Schuld bewusst war.
„Man kann nicht älter werden, als man schon ist!“ meinte er dann, „Du kannst also nicht plötzlich vierzig werden, es sei denn, du warst schon vierzig! Warst du doch nicht, oder?“
„Nein! Einunddreißig!“ antwortete Adrian nur.
„Aber ich will nicht schon wieder sechzehn sein!“ maulte Kayleigh missmutig. Mit diesem Alter verband sie keine guten Erinnerungen.
Noch einmal warf sie ihrem Bruder einen musternden Blick zu. Auch er sah anders aus.
Jünger. So um die siebzehn oder achtzehn.
Ihr war es nicht sofort aufgefallen. Doch wenn sie nun genau hinsah, sah er nun genauso aus wie immer, nur eben jünger.
Seine hellbraunen Haare hingen wie immer fransig in seinem Gesicht, eine Frisur die vor wenigen Jahren plötzlich wieder modern geworden war und eigentlich so aussah, als sei er gerade eben aus dem Bett gestiegen. Von seiner Statur her war er wie immer etwas dürr. Zu wenig Muskeln, dachte sich Kayleigh. Aber dennoch hatte Adrian es immer geschafft, irgendwie ein Mädchen anzulachen. Vermutlich lag es an seinen blauen Augen, hatte er dann immer gescherzt.
Wenn er so jung aussah, konnte sie sich vorstellen, wie sie nun aussah.
Ihre Haare waren vermutlich etwas länger, da sie damals als Teen ihre Haare bis zum Po trug. Aber die dunklen Fransen konnte man nicht wirklich Frisur nennen. Das einzige was sie als Teenager an sich mochte waren ihre blau-grünen Augen. Ihre Figur hingegen empfand sie damals als pummelig, obwohl ihr jeder sagte sie sei schlank. Aber das empfand sie als Ansichtssache.
„Toll!“ grummelte sie nur, bei dem Gedanken, dass sie nun wieder ein pummeliger Teenie sein sollte.
Dann sah sie zu Barry hinüber und stellte sich die Frage, wie alt er wohl sei.
„Wie lange ...“ stotterte sie fragend, „... bist du schon … unterwegs?“
Barry zog die Augenbrauen nach oben und überlegte, was er wohl antworten könnte.
Währenddessen musterte sie ihn nun genauer.
Er hatte lange dunkle Locken, fast so dunkel wie ihr Haare, und blaue Augen. Ein markantes Gesicht und ein Drei-Tage-Bart, eine kräftige Statur. Nicht zu muskulös aber auch kein Spargeltarzan. Genau die perfekte Mischung, wie Kayleigh fand. Und genau wie ihr Bruder war Barry mindestens über fünfundzwanzig Zentimeter größer als sie, was nichts besonderes war, bei ihrer Größe von knapp 1,60m.
„Ich bin schön länger unterwegs!“ Genaueres wollte Barry nicht preisgeben. Aber vielleicht wusste er es auch nicht genau. Auch sein Alter wollte er nicht wirklich preisgeben. Er musste so um die zwanzig sein. Aber vermutlich war er viel älter.

„Hallo?“ Eine Stimme im Kiosk erschreckte die Fünf.
„Hallo, ist hier jemand?“ Sie hatten nicht bemerkt, dass jemand den Laden betreten hatte, so ins Gespräch vertieft waren sie.
Ama und Remi gingen nacheinander in den Kiosk, wo eine knapp dreißigjährige Frau stand, die ziemlich erschöpft schien.
Kayleigh, die neugierig war, schlich ebenfalls in den Laden, um zu sehen, was vor sich ging.
„Bitte, haben sie dieses Mädchen gesehen?“ fragte die Frau und hielt ein Flugblatt hoch.
Darauf eine Suchanzeige einer Achtjährigen mit langen blonden Haaren und blauen Augen.
„Sie ist vor einer Woche spurlos verschwunden. Bitte, haben sie Elaine gesehen?“ wollte die Frau wissen. Sie war den Tränen nahe.
„Tut uns leid!“ kam nur von Remi, „Aber wir haben sie nicht gesehen!“
„Wo ist sie denn verschwunden?“ fragte Kayleigh und trat zum Tresen, um einen genaueren Blick auf das Flugblatt zu bekommen.
„Sie war zu hause. Sie ist einfach aus ihrem Zimmer verschwunden und … und die Polizei meint, sie sei weggelaufen. ...“ Nun brach sie vollends in Tränen aus und Kayleigh wusste nicht wie sie darauf reagieren sollte.
„Wir werden ein Plakat aufhängen und unsere Kunden bitten, die Augen mit aufzuhalten!“ versprach Ama und stoppte somit kurzzeitig den Tränenfluss der hilflosen Mutter.
Kayleigh starrte mit ebenso hilfloser Miene auf das Bild des verschwundenen Mädchens.
„Danke!“ Die Frau gab ein Flugblatt an Ama und ging wieder aus dem Kiosk.
Ama hängte das Bild wie versprochen an die Wand hinter der Kasse und seufzte kurz.
„Armes Mädchen!“ meinte sie nur.
„Sie ist auch durch eine Tür gegangen!“ murmelte Kayleigh gedankenverloren, „Wo ist sie dann hin?“
„Das weiß keiner!“ antwortete Remi nur und ging wieder zu den anderem beiden in den Nebenraum.
Kayleigh starrte eine Weile auf das Bild des Mädchens und las sich immer wieder die Daten darauf durch.
„Elaine Harris, acht Jahre“
Dann aber erregte etwas anderes in dem Laden ihre Aufmerksamkeit.
Inmitten der Zeitschriften leuchtete etwas, so als hätte dorthin jemand einen Lichtstrahl mit einem Spiegel umgeleitet.
Ama folgte ihrem Blick, aber sie konnte nichts sehen.
Neugierig ging Kayleigh nachsehen und zog aus mehreren Lagen Zeitschriften eine kleine Karte hervor. Noch immer schien die Karte zu leuchten.
Ama beobachtete Kayleigh mit hochgezogener Augenbraue.
„Das muss jemand dahinten verloren haben?“
Kayleigh reichte die Karte an Ama weiter, die nur kurz darauf sah und sie ihr wieder gab.
„Behalt sie!“ meinte sie nur und ging wieder in den Nebenraum zu Remi und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
Barry beobachtete die beiden mit ernster Miene.
Adrian dachte noch ein wenig nach. Er musste mehr oder weniger noch verdauen, dass er nun wieder ein Teenager war. Obwohl, im Gegensatz zu seiner Schwester, hatte er nichts dagegen.

„Ihr bleibt doch noch eine Weile hier, oder?“ fragte Ama freundlich und riss Adrian aus seinen Gedanken.
Der sah zu Barry, der anscheinend auf seine beiden Begleiter nicht verzichten wollte und sich darum ihrer Entscheidung fügen wollte.
„Ich kann euch was Wärmeres zum Anziehen leihen!“ meinte Remi, „Und ihr könnt vermutlich auch etwas Schlaf brauchen!“
„Ja! Das wäre vielleicht gut!“ antwortete Adrian dann. Warum sollte er das Angebot nicht nutzen?
Kayleigh schwieg dazu. Sie fragte sich noch immer, warum sie die Karte gefunden hatte. War das bei allen Reisenden so? Leuchteten die Schlüsselkarten damit man sie besser erkennen konnte?

Ama führte die Drei durch eine zweite Tür, die in das Treppenhaus führte und brachte sie dann zu ihrer Wohnung.
„Wir haben zwar nur ein Gästezimmer. Aber das wird schon irgendwie klappen!“ meinte sie und zeigte ihnen besagtes Zimmer. Es war geräumig, mit einem Bett und einer etwas älteren Couch sowie einem riesigen Kleiderschrank, aus dem sie eine graue Strickjacke für Kayleigh und einen schwarzen Pullover für Adrian raus holte.
„Damit euch nicht so kalt ist!“ meinte sie und ging wieder.
Als die drei allein im Zimmer waren, wollte Kayleigh sofort von ihrem Fund berichten. Doch stattdessen fragte sie Barry etwas anderes:
„Wie erkennt man eigentlich einen funktionierenden Schlüssel?“
„Das … weiß ich nicht!“ gab er zu, „Man kann das nicht erkennen, glaub ich! Das ist wie ein Glücksspiel! Entweder die Schlüssel funktionieren oder nicht!“
Kayleigh verfiel in Schweigen.

Ama erzählte unterdessen Remi was sie gesehen hatte. Nun im Grunde hatte sie nur gesehen, dass Kayleigh eine Karte gefunden hatte. Selbst Remi fand das nicht so sonderlich interessant.
„Ja, aber sie könnte nützlich sein!“ meinte Ama, „Sie hat das Buch und sie ist vielleicht ein Schlüsselmeister!“
Remi sah sie irritiert an.
„Die Kleine? Die hat doch keine Ahnung!“ antwortete er, „Und Schlüsselmeister … gibt es nicht!“
„Aber …?“
„Die beiden sind harmlos. Die können wir für uns arbeiten lassen. Nur Barry ...“ murmelte Remi gedankenverloren, „Barry könnte Probleme machen!“
„Aber die Kleine sie muss einer sein!“ war Ama überzeugt, „Wir können sie nicht gehen lassen!“
Noch einmal dachte Remi nach. Vermutlich hatte seine Frau recht. Irgendwie würden die beiden Teenager einen Gewinn für sie bedeuten.
Nikita LaChance
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 11:46

Kapitel V

Adrian zog sich den Pullover über und lies sich auf das Bett fallen. Wenn es nach ihm ginge, könnten sie hier eine Weile Pause machen. Er fühlte sich, als sei er schon seit mehreren Tagen auf den Beinen. Vielleicht stimmte dies ja auch, sicher war er sich nicht.
Kayleigh war zu aufgeregt, um wirklich müde zu sein. Es schien fast so, als hätte die Müdigkeit ihren Geist nur noch mehr angeregt und trieb sie nun zu den sonderbarsten Gedanken. Nur, war das was gerade vor sich ging, keines ihrer Tagträume und auch keine der Geschichten aus ihren geliebten Büchern.
Sie setzte sich auf die Couch und starrte nachdenklich auf das Buch in ihren Händen.
Barry wartete kurz und lauschte, ob vielleicht Remi und Ama noch in der Nähe waren. Er traute seinen alten Freunden nicht so recht. Zumindest nicht Remi.
Dann setzte er sich neben das Mädchen, wobei er die ganze Zeit die Tür im Auge behielt.

„Sehen die Leute einen, wenn man durch eine … Tür kommt?“ Die Frage klang im Grunde recht verrückt. Aber Kayleigh wollte es dennoch wissen.
Sie spielte im Grunde auf ihre kürzliche Ankunft in London an, bei der sie plötzlich auf einem überfüllten Bürgersteig gelandet waren.
„Eigentlich … ja!“ grübelte Barry, „Nur die meisten Leute ignorieren ihre Umgebung und bemerken dich erst, wenn du in sie rein rennst.“
Kayleigh nickte nur kurz.
„Im Grunde ist es für die anderen ja auch nur, als würdest du ganz normal durch eine Tür gehen!“ meinte Barry.
„Kann man durch jede Tür?“
Wieder musste er nachdenken. Eigentlich hatte er diese Frage schon beantwortet gehabt, kurz nachdem sie ihn getroffen hatten.
„Man kann doch mit den … Schlüsseln jede Tür öffnen, oder?“ fragte Kayleigh erneut.
„Nur geschlossene Türen!“ fiel Barry ein.
„Oh man, das klingt doch irgendwie ziemlich … blöd!“ brummte Adrian, „Man kann nur geschlossene Türen öffnen!“
Dann lachte er kurz und warf seiner Schwester einen spottenden Blick zu.
„Das hätte selbst ich dir sagen können! Offene Türen muss man nicht öffnen!“ lachte er müde und drehte sich zur Seite.
Kayleigh sah etwas verärgert zu ihm herüber. Zwar hatte er recht, aber sie mochte es nicht, wenn er sich über sie lustig machte.
„Die Schlüssel funktionieren nur, wenn die Tür geschlossen ist. Sie muss nicht zugeschlossen sein, einfach nur zu.“ Barry bemerkte selbst wie eigensinnig und dennoch logisch das Ganze klang und schmunzelte.
Kayleigh hingegen verfiel wieder in Schweigen.

„Wir werden warten, bis sie schlafen!“ versuchte Ama Remi zu beruhigen.
„Sie sind zwar unwissend, aber Barry nicht!“ zischte Remi zurück.
„Ja, aber sie können nicht weg!“
„Das meinst du! Hast du nicht gesagt, dass die Kleine einen Schlüssel gefunden hat. Und mit Sicherheit haben sie noch einige einstecken!“ gab Remi erregt zurück. Er hatte keine Lust zu warten.
„Ja, aber es gibt nur eine Tür und die haben wir schon lange präpariert, damit keiner in unsere Wohnung kommt!“ flüsterte Ama zu ihm.
Remi sah sie etwas ungeduldig an. Doch dann gab er nach. Es würde nicht viel bringen, wenn sie überstürzt handelten.
Also setzte er sich in seinen Lieblingssessel und überlegte, was er denn alles mit den Teenies machen könnte. Ihre Schlüssel könnte er ohne Probleme verkaufen, vermutlich sogar ohne weiteres das Buch. Es gab so einige Leute, die ein Vermögen für so ein Buch, einen Reiseführer, wie sie es nannten, zahlen würden. Und mit viel Überzeugung könnte er die beiden Teenies sogar als Schlüsselmeister verkaufen. Dass niemand einen Schlüsselmeister je gesehen hatte, bedeutete ja nicht, dass es keine gab. Und niemand wüsste wie sie wirklich aussehen. Aber vielleicht könnte er ja auch irgendwas anderes mit den beiden anstellen, sodass sie ihm Geld bringen könnten.
Nur Barry musste er erstmal aus dem Weg räumen.

„Weißt du,“ fing Barry mit einem Male an, „ihr beide müsst vorsichtig sein!“
Kayleigh, die gerade vor sich hin döste, schreckte auf und sah ihn fragend an.
„Es lauern überall Gefahren!“
„Wie?“ Kayleigh setzte sich auf, sah kurz zu ihrem Bruder, der nun eingeschlafen war, und dann wieder zu Barry, der neben ihr auf der Couch saß.
„Man weiß nie wo man landet!“ murmelte Barry, „Aber gefährlicher als Unwissende können die sein, die sich auskennen!“
Kayleigh verstand rein gar nicht, was er meinte.
„Ihr müsst vorsichtig sein, mit wem ihr euch anfreundet!“ erklärte er.
„Und dir sollen wir trauen?“ bemerkte sie mit hochgezogener Augenbraue.
Kurz schien er überrascht, ihrer Frage wegen, doch dann schmunzelte er wieder.
„Ich seh vielleicht nicht so vertrauenswürdig aus, aber ich kann euch helfen. Oder ich will es zumindest versuchen!“ verteidigte er sich schmunzelnd.
„Mhm ... ich glaube, ein Bösewicht würde das auch von sich behaupten!“ lachte Kayleigh kurz.
„Bösewicht!“ schmunzelte er leicht.
„Und die beiden? Remi und seine Frau?“ Kayleigh sah ihn mit großen Augen an. „Kennst du sie länger?“
„Na ja, nicht wirklich! Ich war zwar schon ein paar Mal hier, aber ich kann nicht behaupten, dass wir die besten Freunde sind. Es ist wohl eher vergleichbar mit einer Bekanntschaft zwischen Verkäufer und Kunde.“ meinte Barry, „Einen Verkäufer kennt man im Normalfall auch nur aus dem Laden und weiß nicht, was sie privat so machen!“
Sie nickte nur.
„Ich mag ihn nicht!“ entfuhr es ihr plötzlich, „Er ist … komisch!“
Barry teilte das Gefühl mit ihr, sagte aber nichts dazu.
Schweigen brach wieder aus.

Wieder war Kayleigh eingedöst und selbst Barry war kurz davor einzuschlafen. Selbst er war schon seit zu vielen Stunden wach. Doch jetzt einzuschlafen, wäre nicht gut, das wusste er.
Er war lange genug unterwegs um zu wissen, dass man immer ein Auge offen halten sollte. Nicht immer waren die Besitzer der Häuser und Wohnungen oder wo immer man auch landete, diejenigen die Gefahr bedeuteten und sich und ihre Besitztümer zu verteidigen versuchten. Manchmal passierte es auch, dass ein anderer ebenfalls mit einem Schlüssel durch die Tür kam und dann nicht immer freundlich reagierte einen anderen Reisenden zu treffen. Vor allem nicht, wenn es darum ging, funktionierende Schlüssel zu finden und zu sammeln.
Selbst er hatte schon ein paar Mal einem anderen Reisenden seine Schlüssel abgenommen und das war nicht kampflos geschehen.
Im Moment, so hatte er nur ganz kurz gedacht, wäre es ein Leichtes, Kayleigh und ihrem Bruder die Schlüssel und das Buch abzunehmen. Aber irgendetwas in ihm sträubte sich gegen diesen Gedanken. Er war zu lange allein unterwegs gewesen und vielleicht war es die Erinnerung an seinen Bruder, die ihn nun dazu veranlasste, den beiden beizustehen. Vielleicht aber war da noch etwas anderes.

Leise schlichen sie zum Gästezimmer. Es war langsam Zeit zu handeln. So still, wie es im Moment war, mussten sie schlafen. Perfekt für ihren Plan.
Sie wussten, was sie tun mussten. Es hatte schon einmal geklappt. Da hatten sie einem jungen Reisenden die Schlüssel abgenommen und ihn ohne irgendetwas in einer Gosse abgesetzt.
Vorsichtig drückte Ama gegen die Tür, während Remi einen Baseballschläger in seiner Hand hielt, bereit zuzuschlagen.
Doch die Tür gab nicht nach.
Verwirrt sah Ama zu ihrem Mann.
„Was ist?“ flüsterte er zu ihr.
Sie zuckte mit den Schultern und versuchte dann noch einmal die Tür aufzudrücken. Sie gab nach, ging aber nicht auf.

Kayleigh spürte den Druck. Mit aller Kraft stemmte sie sich gegen die Tür und versuchte zu verhindern, dass sie aufging. Im Grunde war dies nicht einfach, denn die Tür, war gar nicht festgemacht. Sie hing nicht in den Angeln, wie sie es eigentlich tun sollte.
Wieso hatte sie es nicht bemerkt? Die Tür war nicht im Rahmen befestigt, sondern vielmehr davor. An einer eigenwilligen Konstruktion, die vortäuschte, dass es eine normale Tür sei.
Noch einmal stieß jemand von außen gegen die Tür. Mit genügend Druck würde die Tür vermutlich aus ihrer Halterung springen und der Durchgang wäre offen.
„Verdammt!“ knurrte Kayleigh, die nicht mehr lange durchhalten würde.
„Was soll das? Lasst uns rein!“ drang eine Stimme durch die Tür.
Das weckte Adrian und Barry, die beide einen Moment verdutzt aus ihrer Wäsche schauten.
„Was ist los?“ fragte Adrian nur, da er nicht den blassesten Schimmer hatte, was vor sich ging.
Barry hingegen ahnte es und sprang sofort auf.
Auch er hatte nicht den Trick mit der Tür bemerkt und sah kurz auf das eigenwillige Konstrukt.
„Macht die Tür auf!“ schrie Ama von draußen und stieß noch einmal dagegen.
Kayleigh sah die Jungs flehend an.
„Jetzt komm schon!“ knurrte Barry Adrian an und versuchte den Kleiderschrank in Richtung Tür zu schieben. Kein leichtes Unterfangen, war der Schrank doch größer als sie und scheinbar vollkommen aus Holz. Keines dieser neumodischen Pressspannmöbel.
Adrian, der noch immer nicht so ganz wach war, mühte sich mit Barry ab und schlussendlich schafften sie es die Tür zu versperren, gegen die sich nun auch Remi stemmte. Wütend, wie man deutlich hören konnte.
„Was nun?“ platzte es aus Adrian heraus, „Wir können nirgendwo hin!“
Auch Kayleigh und Barry sahen das so. Den einzigen Ausgang hatten sie soeben versperrt und aus dem Fenster könnten sie auch nicht klettern.

„Sie sitzen in der Falle!“ lachte Remi kurz und stemmte sich erneut gegen die Tür, die aber nun noch schwerer aufzustoßen war.
Ama drückte ebenfalls gegen die Tür.
„Wir hätten das Ding überhaupt nicht einbauen sollen!“ protestierte sie, „Einfach ein Vorhang! Hätte doch gereicht!“
„Klar!“ spottete Remi, „Eine türlose Wohnung sieht auch so normal aus!“
Ama antwortete mit einem bösen Blick und noch einmal versuchten beide zeitgleich mit voller Kraft die Tür auf zu bekommen.
Dann hielt sie plötzlich inne und sah ihren Mann fragend an.

„Funktioniert jede Tür?“ fiel Kayleigh ein.
„Wie?“ Barry verstand nicht ganz. Die einzige Tür hatten sie soeben versperrt und da die Tür im Grunde nicht einmal in ihrer ursprünglichen Halterung war, funktionierte nicht als Durchgang. Jedenfalls nicht in dem Sinne, wie sie es nun brauchen könnten.
Kayleigh ging auf den großen Schrank zu, der durch die Versuche von Remi und Ama, in den Raum zu gelangen, wackelte.
„Die müssten doch auch gehen, oder?“ fragte sie und blickte zu Barry.

„Der Schrank!“ gab Ama von sich und Remi stoppte seine Versuche.
„Was meinst du?“ knurrte er und rieb sich die Schulter.
Im ersten Moment, wusste sie nicht, wie sie ihm ihre Idee erklären sollte.

„Ein Schrank?“ Barry überlegte, „Bis jetzt bin ich noch nie durch einen Schrank gegangen!“
Adrian zog die Augenbrauen hoch und meinte sofort:
„Wir sind hier nicht im Film Narnia, wo man durch einen Schrank in eine Zauberwelt kommt!“
Kayleigh sparte sich die Erklärung, dass sie weder in einem Film waren, noch dass seine ständigen Vergleiche irgendwie hilfreich waren.
„Ich meine theoretisch könnte es möglich sein!“ kam von Barry, der wie Kayleigh Adrians Kommentar ignorierte. Er allerdings hatte auch keine Ahnung wovon der Junge sprach.
„Ja, und was kommt als nächstes? Gehen wir das nächste Mal durch einen Kühlschrank? Oder wie wäre es mit einem Ausflug ins Tiefkühlfach?“ Adrian war es zuviel. Die ganze Sache, mit den sonderbaren Durchgängen, und der wenige Schlaf machten ihn aggressiver, als er sonst war.

„Der Schrank!“ murmelte Ama noch einmal.
„Was ist mit dem Ding?“ fluchte Remi. Er wollte endlich an seine Beute.
„Was ist, wenn der Schrank als Durchgang funktioniert?“ fragte sie ihn.
„Wenn das gehen würde, hätten wir schon reichlich Besuch gehabt!“ knurrte er nur und drückte noch einmal gegen die Tür.
„Ja, aber …!“ Eine wirkliche Erklärung für ihre Theorie hatte sie nicht. Aber eine leise Vorahnung.
„Hör zu! Die Bande sitzt in der Falle! Der Schrank ist nur ein Schrank!“ versuchte Remi sie zu beruhigen, „Noch nie ist jemand durch einen Schrank gegangen! Meinst du nicht, dass wir das irgendwann mal gehört hätten?“
Sie nickt nur kurz. Glauben wollte sie es dennoch nicht. Irgendwie war ihr das Mädchen nicht geheuer.

Kayleigh öffnete die Schranktür.
Gebannt starrten alle drei in den Schrank.
„Kein Durchgang!“ brummte Adrian, der sich bestätigt sah, „Wir müssen einen anderen Weg finden!“
Auch Barry war ein wenig enttäuscht, dass Kayleigh sich geirrt hatte. Doch so wirklich hatte er nicht damit gerechnet durch den Kleiderschrank gehen zu können. Einen Kleiderschrank könnte man ja auch nicht Durchgang nennen.
Kayleigh aber ignorierte die beiden Jungen und sah kurz auf den Inhalt des Schrankes.
Ein paar Kleidungsstücke und ein paar Taschen. Anscheinend hatten Remi und Ama hier einige ihrer alten Sachen gelagert.
„Das ist gut!“ murmelte Kayleigh zu sich selber und griff sich eine der kleineren Umhängetaschen.
Sie hängte sich die Tasche um und packte das Buch hinein. Das wäre besser, als das Ding immer in der Hand zu halten, fand sie. Und unter Umständen könnte die Tasche noch nützlich sein, falls sie noch weitere Dinge oder zumindest ein paar weitere Schlüssel mitnehmen würden.
Dann schloss sie den Schrank wieder.
Die Jungs sahen sie enttäuscht und fragend an.
„Wie funktioniert das mit dem Schlüssel?“ wollte sie von Barry wissen, „Muss man den nur in der Hand halten? Oder wie?“
Barry sah sie verwirrt an.
„Der Schrank wird nicht funktionieren!“ meinte er dann.

Auch Remi war der Meinung, dass der Schrank als Tür ungeeignet wäre. Da er noch niemals sowas verrücktes gehört hatte, würde es niemals passieren.
Nur Ama lies sich von dieser Idee nicht abbringen.
„Wir müssen sie aus dem Zimmer griegen!“ meinte sie nur, „Das Mädchen … Sie ...“
Wie sollte sie ihrem Mann ihre Vorahnung verständlich machen.
„Sie ist anders!“
Remi verstand nicht, was sie meinte.

„Er wird!“
„Woher willst du das wissen?“ knurrte Adrian seine Schwester an.
Sie sah ihn böse an, da er ihr nicht vertraute.
„Ich weiß es einfach!“ protestierte sie. Im Grunde hatte sie keine Ahnung, ob es funktionieren würde. Sie hoffte es nur. Und dann war da noch dieses sonderbare Gefühl, so ähnlich wie das, als sie die Karte in dem Zeitungsstappel gefunden hatte.
Barry sah sie noch immer fragend an.
Kayleigh holte die zuletzt gefundene Schlüsselkarte hervor und sah darauf. Es war als würde sie leicht glühen. Und dann sah sie auf den Schrank. Auch er glühte leicht. Genau zwischen den beiden Türen.
„Das wird funktionieren!“ murmelte sie und überlegte kurz.
Bei ihrem ersten Durchgang hatten sie nichts getan. Tante Meryl hatte eine Karte in der Hand gehalten und eine geheime Tür geöffnet. Dann als sie mit Barry aus der Küche geflohen waren, hatte sie die Karte und das Buch in der Hand gehabt, dachte Kayleigh. Doch Barry hatte die Tür geöffnet. Aber wie? Sie hatte es nicht gesehen.
Reichte es wirklich, die Karte nur in der Hand zu halten? Oder musste man an irgendwas bestimmtes denken? Einen Zauberspruch, oder so?
Kayleigh hielt die Karte vor sich und öffnete erneut die Schranktüren. Doch noch immer war da kein Durchgang. Immer noch war es ein normaler Schrank.
„Ich hab doch gesagt, dass es nicht funktioniert!“ schrie Adrian wütend. Er wollte weg. Egal wohin und egal wie.
Etwas enttäuscht schloss Kayleigh die Türen wieder.

„Los, wir haben sie gleich!“ feuerte Remi seine Frau an. Er hatte Adrians wütenden Schrei gehört und war erleichtert, dass die drei nicht verschwinden konnten.
Ama hatte noch immer ein ungutes Gefühl. Aber vermutlich machte sie sich umsonst Sorgen. Und so half sie ihrem Mann.
Gemeinsam stemmten sie sich gegen die Tür und deutlich konnten sie spüren, wie sie den Schrank, der die Tür von der anderen Seite versperrte, langsam zur Seite rutschte. Noch ein paar Mal pressen und sie würden die drei zu fassen bekommen.
Einen Ausweg gab es für sie nicht.

Noch einmal sah sie von der Karte auf die Schranktüren. Beides glühte. Und der Türschlitz glühte noch stärker, als sie die Karte nah heran hielt.
Dann kam ihr der eigenwillige Gedanke, dass sie es ja so wie in den Filmen versuchen könnte. Wenn sie eine Tür aufbrechen wollten, reichte es in manchen Filmen aus, eine Chipkarte zwischen Tür und Angel zu führen und damit das Schloss zu öffnen. Vielleicht musste sie es so machen? Selbst wenn es bei dem Schrank gar kein Schloss gab?
Vorsichtig steckte sie die Karte in den Schlitz zwischen den beiden Türen und zog ihn nach unten. Dann öffnete sie die Tür.

„Los, noch einmal!“ feuerte Remi seine Frau an, „Wir haben sie gleich!“
Wieder glitt der Schrank ein kleines Stück zur Seite und so langsam kamen sie ihrem Ziel immer näher.

„Was …?“ Adrian war sprachlos.
Ebenso Barry.
„Wir sollten los!“ kam nur von Kayleigh, die die Jungs ernst ansah.
Barry nickte kurz und ging auf den Schrank zu.
So recht glauben konnte er nicht, was er da sah. Anstatt des Schrankinhaltes sah er einen Steinfussboden und ein paar sonderbare Statuen.
„Jetzt komm schon!“ fluchte Kayleigh und packte ihren Bruder, der noch immer angewurzelt dastand und irritiert aus der Wäsche schaute.
Sie zog an ihm und stieß ihn in den Kleiderschrank. Er kam noch nicht einmal dazu zu protestieren.
Dann sah sie Barry fordernd an.
„Ich geh freiwillig!“ meinte dieser nur und betrat ebenfalls den Kleiderschrank.
Kayleigh sah sich kurz um und ging ebenfalls in den Schrank, wobei sie die Türen zu zog.
Deutlich konnte sie noch Remis und Amas Stimme hören. Sie hatten es anscheinend ins Zimmer geschafft und so rechnete Kayleigh schon damit, die beiden ebenfalls gleich in dem Durchgang zu sehen.
Doch kaum hatte sie die Türen zugezogen, waren sie verschwunden. Anstatt der Kleiderschranktüren war das nun eine alte Holztür mit einem Betreten verboten- Schild daran.

Remi und Ama hatten es ins Zimmer geschafft. Doch nirgends eine Spur ihrer drei Gäste.
„Der Schrank!“ flüsterte Ama nur und so gingen sie zu dem riesigen Teil, welches die Tür versperrte.
„Sie werden sich darin versteckt haben!“ lachte Remi und hob den Baseballschläger, bereit ihn einzusetzen.
Auf sein Zeichen hin riss Ama die Türen auf.
„Aber die waren doch noch eben hier!“ protestierte Remi zornig.
Vor ihm, im Schrank, waren nur ihre Sachen. Keine Spur der drei und dass obwohl sie sie noch gehört hatten, kurz bevor sie ins Zimmer gekommen waren. Noch nicht einmal eine Minute her.
„Wie kann … so ein Scheißschrank eine Tür sein?“ fluchte er und schmiss die Türen zu.
„Ich hab doch gesagt, die Kleine ist eigenartig!“ meinte Ama darauf und starrte auf den Schrank.
Das sonderbare Gefühl, dass irgendetwas mit Kayleigh nicht stimmte, hatte sie noch immer.
Remi war sauer, schließlich war ihm ein beachtlicher Fang durch die Finger gegangen. Daran, dass irgendetwas ungewöhnliches an dem Mädchen und ihren Bruder sein könnten, glaubte er nicht. Für ihn waren sie nichts weiter als gewöhnliche Reisende. Nun ja, so gewöhnlich wie Reisende nun mal sein konnten, die mithilfe irgendwelcher Karten von einem Ort zum anderen gelangten, ohne dass ihnen dabei die Zeit oder die Entfernung einen Strich durch die Rechnung machen könnten!
Nikita LaChance
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 11:47

Kapitel VI

Oliver stand vor einer der vielen Statuen. Ohne Probleme hätte er sagen können, welche Gottheit sie darstellen sollte. Aber er tat unwissend, damit er unter den anderen seiner Reisegruppe, die hauptsächlich aus Älteren bestand, nicht so auffiel. Jedenfalls nicht mehr, die er dank seiner fünfundzwanzig Jahren schon tat.
Der Reiseführer, ein Herr der ebenfalls schon jenseits der fünfzig war, gab reichhaltige Erklärungen über das Museum und auch über die Dinge, die wohl weniger das Museum betrafen. Die Alten konnten so neugierig und gleichzeitig nervig sein, dachte Oliver sich und hielt deshalb etwas Abstand.
Im Moment versuchte er das Geplapper seiner Mitreisenden und des Reiseleiters zu ignorieren und konzentrierte sich auf die Kamera in seiner Hand. Er hatte sie sich kurz vor seiner Reise zugelegt. Irgend so ein neumodisches Teil, mit zigfach Zoom und jeder Menge Pixel und was nicht noch alles an technischem Schnickschnack, die der Verkäufer so runter geleiert hatte.
Und wie schon bei seinem Handy, würde die Kamera recht bald irgendwo in der Ecke liegen. Ungebraucht.
Das er das Teil nun mit sich herum schleppte, lag vielmehr an seiner nervigen Schwester, die ihm die ganze Zeit in den Ohren gelegen hatte, dass es wohl mehr als von Nutzen sein könnte, Fotos zu machen. Vor allem, da er nun ein paar Recherchen für seinen neuen Roman machte. Er hatte vor irgendetwas über Götter zu schreiben, falls ihm irgendwann einmal der richtige Aufmacher einfallen sollte.

Noch immer kämpfte er mit der Technik. An war die Kamera schon mal. Aber funktionieren wollte sie nicht.
„Mistding!“ fluchte er, wobei ihn eine ältere Reisebegleiterin schmunzelnd ansah.
Wohl oder übel musste er auf die Fotos verzichten, oder sich eines der Museumsbücher kaufen.
Um nicht weiter im Blickfeld der Alten zu sein, tat er so, als habe er sein Foto geschossen und ging weiter zur nächsten Figur.
Im Grunde musste er dazu nicht weit gehen, denn in die Statuen standen sich schon gegenseitig auf den Füßen, so voll war es hier.
Und im Moment war das Museum auch voller Touristen.
Ein weiterer Schritt zur Seite und er wurde beinahe umgerannt.

„Hey!“ protestierte jemand und Oliver sah sich um.
Ein Museumsangestellter hatte eine jugendliche Gruppe von einer Tür weg gescheucht, auf der deutlich zu lesen war, dass diese für Besucher gesperrt war.
„Gehen Sie zurück zu ihrer Gruppe!“ tadelte der Museumsangestellte und wies zu Olivers Reiseleiter, der noch immer die Fragen seiner Gruppe beantwortete.
Die Teenager sahen den Angestellten fragend an und taten wie befohlen.
Oliver war irritiert. Er kannte die drei nicht. Sie gehörten nicht zu seiner Gruppe. Vielleicht aber zu einer anderen, schließlich war das Museum voller Touristen.
Er wollte sich schon wieder der Statue vor seiner Nase widmen, als das Mädchen der Gruppe auf ihn zukam.
„Sorry?“
Oliver sah sie erschrocken an.
Sie stellte ihm eine Frage und Olivers Verwirrung wuchs immer mehr. Er verstand nicht viel und so wedelte er mit den Händen.
„Kein Englisch!“ versuchte er verständlich zu machen und das Mädchen sah ihn fragend an.
Ihre zwei Begleiter kamen zu ihr und stellten sich neben sie. Einer mit wachsamen Augen auf ihn gerichtet und der andere sah fragend auf das Mädchen.
Sie holte kurz Luft, überlegte und stellte erneut ihre Frage. Diesmal aber für Oliver verständlich. Wenngleich die Frage schon irgendwie recht eigenartig klang.
„Wo sind wir hier?“ Sie hatte einen sonderbaren Akzent.
Der blonde Junge lies seinen Blick umherschweifen, bevor er wieder auf das Mädchen sah.
„Wo sind wir?“ wiederholte sie ihre Frage in gebrochenem Deutsch.
Oliver zog eine Augenbraue nach oben.
„Kairo? Ägyptisches Museum?“ Oliver war sich nicht sicher, ob sie ihn nicht wirklich nur veralberte.
Sie nickte kurz, wobei sie ihn noch immer fragend ansah.
Einer der Jungen fragte sie etwas und wieder verstand Oliver nur knapp die Hälfte. Und auch ihre Antwort war kaum verständlich für ihn. Englisch war nicht so ganz seine Sprache und sein Schulenglisch, wie er nun feststellen musste, war nicht unbedingt ausreichend für ein längeres Gespräch oder um eines zu belauschen.
Und während sich die drei in ihrer Sprache unterhielten, musterte er sie. Wieso trugen sie eigentlich langärmelige Sachen? So kalt war es doch gar nicht!

„Wir haben unsere … Gruppe verloren!“ gab das Mädchen von sich.
Oliver nickte nur. Noch immer verwundert über ihre zu warme Kleidung.
Sie schienen nun auch bemerkt zu haben, dass ihre Pullover und die Strickjacke für die circa zwanzig Grad zuviel waren und zogen sie hastig aus. Allerdings trugen sie darunter noch immer langärmelige Shirts.
Das Mädchen nahm dem Blonden neben sich den Pullover ab und stopfte ihn zusammen mit ihrer Strickjacke in ihre Tasche.
„Da müsst ihr euch ...“ Oliver sah sich um.
Sein Reiseleiter war noch immer anderweitig mit Erklärungen beschäftigt und war mit der Gruppe schon ein wenig weiter gegangen. Wenn er nicht aufpasste, würde er ihr Schicksal teilen und würde seine Reisegruppe verlieren.
„Ich muss weiter!“ meinte Oliver hastig und ging schnellen Schrittes seiner Reisegruppe hinterher, ohne auf die drei Fremden zu achten.

„Und nun?“ wollte Adrian von seiner Schwester wissen.
Barry hatte nicht verstanden, was Kayleigh mit dem Fremden beredet hatte. Auch die wenigen Worte des Fremden hatte er nicht verstanden.
„Wir müssen eine Tür finden!“ meinte Kayleigh nur und sah sich um.
Unter anderen Umständen hätte sie sich vielleicht die Zeit genommen, das Museum zu erkunden. Wann kommt man schon mal nach Kairo?
Aber sie mussten weiter.
Vor allem, da man sie schon wieder so eigenartig ansah. Der Museumsangestellte, der sie von der Tür, durch die sie gekommen waren, verjagt hatte, sah zu ihnen herüber. Er suchte nach der dazugehörigen Reisegruppe.
„Los, kommt mit!“ murmelte Barry und er ging voran. Vorbei an den Statuen und den Vitrinen, gefüllt mit altägyptischen Schätzen, in die Richtung, in die der Fremde gegangen war.
Für den Museumsangestellten ein Zeichen, dass die drei ihre Gruppe wiedergefunden hatten. Dennoch wollte er sie nicht so schnell aus den Augen lassen. Zumindest nicht, bis sie endlich das Gebäude wieder verlassen hatten.

Barry führte seine beiden Begleiter durch das Museum, wobei er immer in der Nähe der Reisegruppe vor sich blieb. So würden sie zumindest den Anschein erwecken, dass sie zu ihnen gehörten und wären vor lästigen Fragen und Blicken einigermaßen sicher.
Wie selbst Adrian feststellen musste, gab es nicht viele Türen. Jedenfalls keine, die sich als Durchgang für ihre verrückte Reise eignen könnten.
„Wie kommen wir hier wieder weg?“ wollte er wissen.
„Keine Ahnung!“ brummte Barry zurück. Auch er sah sich besorgt um. Wieso konnte er keinen brauchbaren Ausgang finden.
Es war sonderbar, eine Menge Türen und Durchgänge vor sich zu haben, aber keinen Durchgang, wie sie ihn nun brauchten.
So blieb ihnen im Moment nichts anderes übrig, als dem geschwätzigen und neugierigen Haufen vor sich zu folgen.
„Sie haben draußen einen Bus!“ flüsterte Kayleigh ihren Begleitern zu.
„Wie?“ Barry blieb stehen und sah sie fragend an.
„Der Bus der Gruppe steht draußen! Hat er gerade gesagt!“ Sie zeigte auf den Reiseführer vor sich, der die Meute um sich herum unterhielt.
„Wir könnten doch …!“ fing sie an.
„Willst du dich jetzt bei denen einschleichen?“ protestierte Adrian, „Wir haben andere Probleme!“
„Was willst du machen? In Kairo herum irren, bis du eine Tür findest?“ keifte Kayleigh zurück.
„Wir können uns nicht einfach so einer fremden Gruppe anschließen!“ Adrian verstand seine Schwester nicht mehr.
Barry fing langsam an seine Idee, die beiden auf ihrer Reise zu begleiten, zu überdenken.
„Seid still! Alle beide!“ platzte es aus ihm heraus, woraufhin ihn die Geschwister erschrocken ansahen.
„Wann treffen sie sich am Bus?“ wollte er von Kayleigh wissen.
„Er hat etwas von einer halben Stunde gesagt!“ gab sie zu.
Barry nickte, dachte kurz nach und meinte dann, dass sie sich einfach unter die fremde Reisegruppe mischen könnten. Zumindest wären sie dann aus dem Museum raus und mit viel Glück würden sie dann auch eine passende Tür finden.
Adrian schnappte nach Luft und wollte erneut protestieren, doch Barry kam ihm zuvor.
„Entweder so oder du bleibst hier!“
Barry lies ihn nicht zu Antwort kommen. Er ging einfach. Vorbei an der Reisegruppe, die sich allmählich ebenfalls so langsam in Richtung Ausgang bewegte.
Vor dem Museum ein grüner Rasen, darauf einige Sphinxen, obeliskartige Gebilde und andere Steine, die so aussahen, als hätten sie nicht mehr ins Museum gepasst.
Barry ging zielstrebig auf den Parkplatz zu, auf dem mehrere Busse parkten.
Es war nicht nur eine Reisegruppe unterwegs. Allerdings war unklar, wohin die weitere Reise gehen würde.
Im Grunde war dies auch egal. Mit viel Glück würden sie in dem Bus nicht so schnell auffallen und würden dann, wo auch immer sie dann landen würden, endlich einen weiteren Durchgang finden.
Manchmal aber sollte man die Dinge nehmen wie sie kommen und ein wenig die Gegend genießen, dachte Barry sich. Einige Male hatte er dies schon getan. Solange es ging, sich einer gewöhnlichen Reisegruppe anschließen und ihre Annehmlichkeiten teilen.
Manchmal braucht man auch mal Urlaub vom Reisen, hatte Barry recht früh bemerkt.
Sehr oft war es gut gegangen und er war nicht weiter aufgefallen. Doch nun waren sie zu dritt und vor allem war das Geschwisterpaar nicht gerade leise im Umgang miteinander.

Kurz begutachtete er die Busse. Ein paar sahen wie frisch poliert aus, während zwei aussahen, als hätten sie bereits zuviele Kilometer auf dem Zähler und somit einen beängstigenden Eindruck hinterließen.
Er wählte einen der sauberen Busse, einen weiß-orangenen mit einem blauen Strich, der vermutlich an einen Vogel erinnern sollte. Er schlich sich vorsichtig an und sah hinein.
Er hatte nicht bemerkt, dass ihm das Geschwisterpaar gefolgt war und Adrian neugierig hinter ihm stand.
„Willst du das Ding aufbrechen?“ fragte er und erschreckte Barry damit.
„Verdammt nochmal, kannst du nicht leiser sein?“ fluchte dieser und Kayleigh reagierte mit einem Schmunzeln.
„Sei einfach still und pass auf, dass niemand kommt!“ knurrte Barry und begann sich an der Bustür zu schaffen zu machen.
Kayleigh sah sich um. Es war irgendwie ein wenig eigenartig, dass der Busfahrer nicht in der Nähe seines Gefährts war. Aber vermutlich war es ihm im Bus zu warm und zu langweilig. Zwar mochte es gerade mal um die zwanzig Grad sein, aber im Bus konnte es viel heißer sein.
Und vor allem stickig, wie sie recht bald heraus fanden.
Barry hatte die Tür des Busses irgendwie aufbekommen. Vielleicht hatte er heimlich üben können, dachte Adrian sich.
Zu dritt schlichen sie sich ganz nach hinten in den Bus, dort wo nur noch Taschen lagen. Vermutlich war die Reisegruppe nicht so groß gewesen, dass sie den ganzen Bus ausfüllte und so nutzte man die Rücksitze als Ablage.
„Hinsetzen und ruhig bleiben!“ befahl er den beiden und setzte sich.
Adrian sah ihn grimmig an. Befehle wollte er gar nicht hören. Kayleigh setzte sich zu ihrem Bruder und kramte in ihrer Tasche nach dem Buch.
Sie wollte nur einen Blick hineinwerfen. Vielleicht würde sie ja jetzt irgendeine Antwort finden. Auf welche ihrer zahlreichen Fragen auch immer.
Barry starrte angestrengt nach draußen, da er befürchtete, dass jeden Moment ihr Schwindel auffallen würde und sie eine Menge Ärger bekämen.

Nach knapp einer halben Stunde tauchte die Reisegruppe auf. Lautes Geschnatter verkündete ihr Kommen, noch lange bevor sie überhaupt in Sichtweite waren.
„Duckt euch!“ knurrte Barry nur kurz und tauchte ab.
Der Reiseleiter öffnete die Tür und zählte jeden, der den Bus betrat. Erst als er sich sicher war, alle Mitglieder seiner Gruppe da waren, stieg auch er ein und erklärte den weiteren Ablauf der Tour. Erst danach tauchte auch der Fahrer auf, ein etwas untersetzter Mann um die Fünfzig. Auch er schien im Grunde fremd in der Gegend zu sein.
Barry verstand nichts von den weiteren Reiseplänen. Kayleigh und ihr Bruder allerdings schon. Und mit einem kurzen vorsichtigen Blick erkannte sie die Reisegruppe, bei der sie sich soeben eingeschlichen hatten.
„Was macht ihr hier?“
Barry zuckte zusammen. Er hatte nicht damit gerechnet, so früh aufzufallen.
„Wir … wollen nur mitfahren!“ flüsterte Kayleigh.
Vor ihnen saß der junge Mann, den sie vor Minuten im Museum angesprochen hatten. Er saß abseits der viel älteren Reisegruppe, die sich so lautstark miteinander unterhielt, dass sie seinen überraschten Ausspruch gar nicht gehört hatten. Und der Reiseleiter, der ganz vorn saß, schien im Moment Pause zu machen und sich eine Weile ausruhen zu wollen. Er hatte schon genug Fragen beantwortet, von Leuten, die glaubten, schlauer als er zu sein.

Der junge Mann überlegte kurz, ob er nicht dem Fahrer Bescheid geben sollte. Aber dann lies er den Gedanken fallen.
Vielleicht hatten die drei wirklich nur ihre Gruppe verloren? Allerdings war es schon merkwürdig, dass sie sich dann nicht an einen Polizisten oder ähnlichen gewendet hatten. Jemand, der ihnen dabei helfen könnte, zurück zu finden.
Er starrte eine Weile nach vorne, anscheinend darüber grübelnd, ob es richtig war, was er tat. Dann drehte er sich zu ihnen um und musterte die drei erneut.
„Wo kommt ihr her?“ wollte er dann wissen.
Kayleigh zog die Augenbrauen hoch und auch Adrian war für einen Moment recht sprachlos. Barry hingegen verstand die Frage nicht.
„Ähm … wir sind ...“ Eine richtige Antwort wollte Adrian nicht einfallen.
„Wir kommen aus London?“ meinte Kayleigh. Im Grunde hatte sie damit recht, auch wenn er vermutlich wissen wollte, wo sie aufgewachsen oder gewohnt hatten.
„Und ihr sprecht Deutsch?“ Er schien verwundert, da sie ihn so gut verstanden.
„Unser Dad kommt aus Deutschland!“ antwortete sie. Dass er, genauso wie Tante Meryl eigentlich bereits als Kinder aus Deutschland weggezogen waren, musste er ja nicht wissen.
Der Fremde nickte nur. Dann sah er erneut nach vorn zum Reiseleiter, der die blinden Passagiere noch nicht bemerkt hatte.
„Vielleicht sollten wir es so machen!“ meinte er plötzlich und zog eine Tageszeitung hervor. Er entfaltete sie und hielt sie nach oben, so als wolle er sie lesen.
Nun würde weder er noch das Geschwisterpaar hinter ihm auffallen. Und Barry tauchte einfach nach unten und warf immer wieder fragende Blicke auf Kayleigh und Adrian.
„Ich bin Oliver!“ stellte sich der Fremde ihnen vor. Anscheinend war er erleichtert, dass er endlich jemanden zum reden gefunden hatte. Aber vielleicht wollte er auch nur ein wenig Abwechslung, denn die Fahrt zum Hotel schien ewig zu dauern.
Adrian stellte sich und seine beiden Begleiter vor. Auch er schien ein wenig begeistert, endlich mal jemand anderen zum Reden zu haben, als seine nervige Schwester und einen fremden Sonderling.
Kayleigh ignorierte das Gespräch, welches Adrian eigenartigerweise begonnen hatte. Er hatte es tatsächlich geschafft, das Gespräch von blinden Passagieren auf Filme umzulenken. Ein Thema welches sie nicht sonderlich interessierte.
Sie überflog die deutschen Anzeigen in der Zeitung, die als Sichtschutz dienen sollte. Und dann ging ihr Blick nach oben auf die Datumsanzeige.
„Das kann nicht sein!“ entfuhr ihr in ihrer Landessprache und Oliver sah sie fragend an.
„Was ist?“ wollte Adrian von ihr wissen.
„Wir waren über eine Woche unterwegs?“ meinte sie und sie zeigte auf das Datum der Zeitung. Oliver sah ebenfalls darauf.
„Eine Woche?“ hinterfragte Adrian. Er konnte sich nicht mehr so genau erinnern, wann genau sie ihre Reise von Meryls Haus aus sie gestartet hatten.
„Ja! Die Zeitungen in diesem Londoner Kiosk waren vom einundzwanzigsten Januar!“ erklärte Kayleigh.
„Meinst du?“ Adrian verstand nicht ganz.
Nun war es Oliver, der das Gespräch nicht verfolgen konnte. Einerseits war es seiner mangelnden Englischkenntnisse wegen, andererseits war es der Gesprächsinhalt, der ihn verwirrte.
„Wir waren lange unterwegs!“ kam nur leise von Barry, „Kann schon mal passieren!“
Oliver sah die drei fragend an.
„Ähm … wir machen … eine Weltreise!“ versuchte Adrian ihm zu erklären.
„Weltreise?“ wiederholte Oliver unglaubwürdig.
„Ja, mehr oder weniger eine unfreiwillige?“ gab Adrian leiser zu.
Oliver nickte nur, wobei er sich erneut fragte, wieso er den Fremden soviel Vertrauen schenkte.

„Wir werden jeden Moment ankommen! Bitte achten sie auf ihre Handtaschen!“ kam von vorn die Stimme des Reiseleiters.
„Was nun?“ Adrian wurde erneut etwas panisch. Nun, wenn alle ausstiegen, würden sie auffallen.
„Ihr solltet vielleicht kurz warten, bis alle gegangen sind!“ meinte Oliver plötzlich und die drei sahen ihn verwirrt an.
„Das Zeug hier hinten wird erst viel später rein gebracht! Wenn ihr eine Weile wartet, dann könnt ihr behaupten, dass ihr im Bus geschlafen habt. Der Busfahrer achtet eh nicht darauf, wer alles aussteigt!“ erklärte Oliver.
„Meinst du nicht, dass wir trotzdem auffallen?“ entfuhr es Adrian.
„Ihr seid bis jetzt noch nicht mal aufgefallen!“ bemerkte Oliver, „Die ganze Truppe ist so k.o., dass die euch nicht mitbekommen!“
Kayleigh schwieg, wenngleich sie einige Bedenken hatte. Sie warf Barry einen fragenden Blick zu. Aber der hatte Olivers Erklärung nicht verstanden.
„Deckung jetzt!“ meinte Oliver und packte die Zeitung wieder zusammen.
Kayleigh und Adrian rutschten tiefer in die Sitze und verstummten.

Gerade als Oliver die Zeitung zur Seite legen wollte, fiel etwas heraus.
Barry hatte es bemerkt und sah erschrocken zu Oliver. Der sah nach, was aus der Zeitung gefallen war und hob es auf.
Nun konnte es selbst Kayleigh sehen und auch sie starrte irritiert auf das Ding in Olivers Hand.
Der musterte die Karte nur.
Eine Zeichnung von einer katzenähnlichen Figur. Auf der Rückseite irgendwelche ägyptischen Zeichen.
Er steckte die Karte in seine Hosentasche, als er aufstand und mit den anderen den Bus verließ.
Nur ganz kurz schaute er zu den drei blinden Passagieren, die sich noch immer auf den hinteren Sitzen versteckt hielten. Er nickte ihnen nur zum Abschied zu und stieg aus.
Draußen zählte der Reiseleiter erneut seine Truppe durch und ging dann mit ihr ins Hotel. Auch der Busfahrer war ausgestiegen und streckte seine Glieder.
„Los, raus jetzt!“ meinte Kayleigh und sprang auf.
Barry folgte ihr sogleich und Adrian hatte einige Mühe ihnen zu folgen.
Als die drei aus dem Bus raus stürmten, erschrak der Busfahrer kurz und meinte nur, dass sie sich beeilen müssten, da ihre Gruppe schon im Hotel sei.
Wie Oliver angenommen hatte, hatte der Busfahrer keine Ahnung, dass die drei im Grunde nicht zur Gruppe gehörten. Vielleicht aber war es ihm auch egal.

Barry hatte es eilig, Oliver zu folgen. Und auch Kayleigh war ein wenig neugierig.
Schließlich hatte er eine Schlüsselkarte gefunden.
Sie konnten Oliver vor sich sehen. Wie er mit der ganzen Gruppe durch den Eingangsbereich ging und dann durch die Tür in den Speisesaal.
Adrian verstand die Verfolgung nicht so ganz. Aber als er dann das Essen sah, welches man für die Gruppe aufgebaut hatte, war er begeistert. Vielleicht hatten sie ja Glück und konnten sich ja auch noch etwas zu Essen mopsen.
„Scheinbar … funktioniert die Karte nicht bei ihm!“ murmelte Barry irritiert.
Kayleigh schwieg. Sie hatte sich schon die ganze Zeit gefragt, ob jeder mit den Karten reisen könnte.
Und nun hatte sie ihre Antwort. Für Oliver war die Karte nichts weiter als eine Karte. Kein magischer Schlüssel.
Allerdings keimte dann eine neue Frage in ihr auf. Wenn anscheinend nicht jeder zu einem unfreiwilligen Reisenden wurde, was war dann der Auslöser ihrer sonderbaren Funktion?

Oliver hatte seine Verfolger bemerkt und war davon wenig begeistert. So langsam wurde es ihm unheimlich.
„Ihr solltet jetzt besser verschwinden, oder ich werd euch melden!“ meinte er zu Adrian, der neben ihm am Buffet stand und sich einen Teller voll packte.
Adrian sah ihn nur fragend an. Dabei lud er seinen Teller immer voller, bis nichts mehr an Kartoffeln und Würstchen darauf passte.
Dann ging er zu Kayleigh und Barry und erzählte ihnen, was Oliver angedroht hatte.
„Vielleicht sollten wir wirklich gehen!“ war Kayleighs Meinung.
Barry aber reagierte nicht. Noch immer starrte er Oliver nach. Anscheinend auf irgendein Zeichen wartend.
„Ob die hier auch einen Computerraum haben?“ fragte Adrian plötzlich und biss in eine Wurst.
„Was?“
„Na, ich hab irgendwo mal gelesen, dass einige Hotels für ihre Gäste PCs haben. Wir könnten mal im Internet nachsehen, ob wir was über Dad ausfinden!“ erklärte Adrian.
Einerseits klang das sehr schlau von ihm, andererseits doch irgendwie eigenartig. Wie sollten sie im Internet etwas über den Aufenthaltsort ihres Vaters und ihrer Tante raus finden?
„Vielleicht hat man sie ja irgendwo gefunden!“ war seine Meinung dazu, „Vielleicht sind sie ja irgendwo aufgetaucht und man hat das gemeldet!“
Es klang als hätte er die beiden Verschwundenen gerade mit einem entlaufenen Kater verglichen, den man beim Auffinden auf irgendeiner Internetseite meldete.
„Es ist ein Versuch!“ versuchte er seine Mitstreiter zu überzeugen.
„Ja, einen Versuch ist es wert!“ kam nur müde von Kayleigh.
Adrian ging mit dem vollen Teller aus dem Speisesaal. Kayleigh wollte ihm schon folgen, als sie bemerkte, dass Barry Oliver noch immer nicht aus den Augen lies.
„Kommst du nun mit?“ fragte sie ihn. Aber er reagierte nicht.
Und so zog sie ihn einfach am Arm mit sich.
„Er wird nicht reisen!“ meinte sie, als sie Barrys zornigen Blick sah, „Er ist anscheinend … nicht dafür … gedacht!“
Barry war wenig erfreut über ihre Meinung. Selbst wenn Oliver kein Reisender sein würde, besaß er doch nun einen Schlüssel und sie könnten diesen wohl besser brauchen, als jemand der keine Ahnung hatte was er da besaß.
„Komm jetzt!“ meinte Kayleigh bestimmend und zog Barry mit sich.
Adrian hatte sich nach den Computern erkundigt und er hatte eigenartigerweise sogar recht gehabt. Das Hotel hatte zwei PCs für ihre Gäste bereit gestellt. Wohl unter anderem für diejenigen, die geschäftlich auf den PC angewiesen waren oder einfach nur sehnsüchtig mit ihren Daheim gebliebenen Kontakt halten wollten.
Und während Adrian nun essend im Internet nach irgendeinem Zeichen über den möglichen Verbleib seines Vaters suchte, machte es sich Kayleigh in einem der Sessel bequem. Barry saß ihr gegenüber. Zornig über ihr bestimmendes Verhalten.
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 11:50

Kapitel VII

Der Internetanschluss der Hotelcomputer war sogar noch besser, als Adrian angenommen hatte. Fast genauso gut, wie der, denn er bei sich daheim nutzte.
Einen Moment lang knobelte er, wie er denn irgendeine Information über den Verbleib seines Vaters und seiner Tante herausfinden könnte. Sich auf der Seite einer Bundesbehörde einloggen, würde nicht funktionieren. Das klappte im Grunde nur im Film. In der Realität musste man schon etwas mehr tun als nur ein zwei Tasten drücken.
Also probierte er das erstbeste aus, was ihm einfiel. Er gab einfach den Namen seines Vaters in seinen Lieblingssuchdienst im Netz ein und erhielt, wie erwartet, mehr Treffer, als wie er im Moment haben wollte.
Seine Augen huschten über den jeweiligen Infotext.
„... Richard Bachman … Andrew Clarkson ...“ Wohl ein Auszug aus dem Telefonbuch?
„... Richard Bachman beim Konzert …; ... Bachman und Jackson …; … Richard … und Roger Bachman ...“
Im Grunde fand er alles mögliche. Wie gewohnt spuckte die Suchmaschine alles aus, was nur in Entferntesten den Namen Richard und Bachman gemein hatte. So fand er Überschriften aus irgendwelchen Blogs, von Fotos, sogar von einer Katze und einen Autoren.
Und nach langem Suchen, auf der zweiten oder dritten Seite, auch endlich eine Anzeige, die seinen Vater zu betreffen schien.
„... Richard Bachman, Adrian Bachman, Kayleigh Bachman und Meryl Matthews ...“
Adrian klickte auf die Anzeige und sofort öffnete sich die Homepage der heimischen Tageszeitung.
Verwundert starrte er darauf.
Er, seine Schwester, sein Dad und seine Tante. Alle vier galten als vermisst.
In der Annonce hieß es, die vier seien vor knapp einer Woche spurlos verschwunden. Niemand könne sich erklären wohin sie gegangen seien, vor allem da es keinen Grund gebe, wegzugehen. Auch sei unklar was die Verschwundenen an Kleidung tragen würden. Verwundert sei man allerdings darüber, dass sowohl der Wagen des Vaters sowie der Tante noch beim Haus gestanden habe und das Haus verschlossen war. Auch sei kein Geld seit ihrem Verschwinden von den jeweiligen Konten abgehoben worden.
Für die Polizei war dies ein sonderbarer Fall, bei dem sie eine Entführung nicht ausschließen könnten, hieß es in der Anzeige. Man solle sich bei der Behörde melden, falls man einen der vier sehen würde.

Adrian war irritiert. Klar hatte er damit gerechnet, dass man irgendwann ihr Fehlen bemerken würde. Zumindest das seines Vaters, da er einer geregelten Arbeit nachging. Und auch er würde mit Sicherheit innerhalb weniger Tage von seinen Kumpels vermisst werden. Einen Job hatte er im Moment mal wieder nicht und daher würde ihn zumindest kein Arbeitgeber als vermisst melden. Was Kayleigh anging, wusste er nichts über ihre Freunde oder ob sie überhaupt welche hatte. Und eine geregelte Arbeit hatte sie anscheinend im Moment auch nicht. Zumindest hatte sie nichts davon erwähnt und er selbst hatte nicht danach gefragt. Bei Tante Meryl allerdings war es schon anders. Sie hatte weder einen Job noch Freunde. Ihr Mann war seit Jahren schon spurlos verschwunden und in der Stadt war sie nicht so sehr beliebt, dass auch nur irgendwer auf die Idee kommen könnte sie zu suchen. Wer suchte schon eine Verrückte?

Noch einmal starrte er auf die Suchanzeige und auf die, zugegeben, etwas älteren Fotos von sich und den anderen drei vermissten Familienmitgliedern.
Dann bemerkte er einen Link am Seitenrand.
„spurlos verschwunden und wieder aufgetaucht“
Neugierig klickte er darauf und erhielt einen anderen Zeitungsbericht.
Darin ging es ebenfalls um verschwundene Leute. Allerdings, so stand es im Bericht, waren einige von ihnen wieder aufgetaucht.
So gab es einen jungen Mann in Norwegen, der innerhalb von Sekunden in Australien auftauchte und sich selbst nicht erklären konnte, wie er dahin gelangt war. Und jemand sei aus seinem Haus in Frankreich verschwunden und war nach knapp einer Woche in irgendeinem kleinen Dorf in China wieder aufgetaucht. Ebenfalls auf sonderbare Weise.
In dem Bericht standen einige Namen, alle anscheinend erst in dem letzten Monat verschwunden und irgendwo anders wieder auftauchten, ohne im Geringsten auch nur irgendeine Erklärung für ihre Reise zu haben.
Und wieder gab es einen Link an der Seite. Und wieder klickte er darauf.
Diesmal hatte er sonderbarer weise einen Blog gefunden. Viele bunte Fotos und viel Text, den er nur knapp überflog. Im ersten Moment schien der Blog rein gar nichts mit dem vorher verlinkten Text zu tun zu haben. Doch dann bemerkte er, dass es darin um eine Weltreise ging. Der Verfasser des Blogs allerdings erwähnte nicht im Entferntesten wie er zu dem jeweiligen Land gereist war und er schien auch keine feste Reiseroute zu haben. Gelegentlich war ein Foto einer Tür zu sehen, mit einem kleinen Statement dazu. „Tolle Route“ oder „Vorsicht bissiger Bewohner“
Auf zwei oder drei Fotos war sogar eine Karte zu sehen, mit einer knappen Erklärung, wo er sie gefunden hätte.
Im Grunde schien der ganze Blog nichts weiter als ein Reisetagebuch im Internet zu sein, in dem der Verfasser manchmal jeden Tag und manchmal nur einmal im Monat etwas hineinschrieb und Fotos dazu steckte.
„Nicht jede Reise führt einen an das gewünschte Ziel! Doch die Reise selbst kann auch ein Ziel sein!“ so das Motto des Autors.
Und wieder ein Link am Rand, mit dem Hinweis des Blogschreibers: „Nützlich, wenn auch zum Teil über- oder untertrieben!“

Adrian klickte darauf und seine Verwunderung wuchs erneut.
„Eine Liste?“ murmelte er und las sich den Text durch.
Im Grunde hatte er gerade eine Seite geöffnet, auf der man Tipps für eine Weltreise bekam. Thema Ausrüstung.
Nun gut, er war mit seiner Schwester auch auf einer Weltreise. Wenn auch unfreiwillig und vor allem ohne ein klares Reiseziel. Aber vielleicht konnte die Liste auch nützlich sein, dachte er sich und las sie sich im Ganzen durch.

Während Adrian sich nun am PC fest gebissen hatte und Kayleigh im Sessel eingeschlafen war, wuchs in Barry die Unruhe. Er wollte unbedingt diesen Schlüssel haben. Oder zumindest herausfinden ob Oliver auch ein Reisender war. Entweder er war ein gewöhnlicher Tourist und die Schlüsselkarte in seinen Händen harmlos oder er war ein Reisender, der vollkommen unvorbereitet war. In beiden Fällen musste er ihm die Karte abnehmen. Er wollte sie haben und konnte sie brauchen und nebenbei würde er verhindern, dass Oliver das gleiche Schicksal wie er oder die beiden Geschwister erleiden würde. Gefangen im Nirgendwo, immer auf Reisen.
Barry stand auf, murmelte Adrian nur etwas zu, dass er mal auf Toilette müsse und ging.
Adrian hatte es vermutlich noch nicht einmal gehört.

Barry ging zurück in Richtung Speisesaal, denn dort hatten sie Oliver zuletzt gesehen. Aber der Saal war bereits wieder leer. Einzig ein paar Angestellte räumten die Tische auf und bereiteten den Saal für den nächsten Tag vor.
So blieb ihm nichts anderes übrig, als das Hotel nach dem jungen Mann abzusuchen. Er überlegte kurz, ob nicht an der Rezeption nach seinem Zimmer fragen könnte. Aber im Grunde kannte er nicht seinen vollen Namen, noch wusste er wie seine Reisegruppe hieß.
Also begann er im Hotel umher zu schweifen und hoffte, irgendwo eine Spur von Oliver zu finden. Er durchsuchte die untere Etage erfolglos. Zimmer gab es hier keine, jedenfalls nicht für die Gäste. Einzig ein paar Festsäale, der Speisesaal und die Empfangshalle sowie eine kleine Boutique waren hier. Die Gästezimmer waren auf die oberen vier Etagen verteilt.
Barry bestieg den Fahrstuhl. Er mochte die Dinger nicht wirklich. Vermutlich hatte er sich an sie nicht gewöhnt oder es wahr das beklemmende Gefühl, was er immer bekam, wenn er dann doch mal in einen Fahrstuhl stieg. Als er ein Kind war, waren die Teile noch nicht so weit verbreitet gewesen und selbst wenn man in den fünften oder sechsten Stock oder sogar noch höher hinaus wollte, war man einfach zu Fuß hinaufgegangen.
In der ersten Etage bemerkte er recht schnell, wie schwierig seine Suche werden würde. Wie sollte er herausbekommen, in welchem dieser vielen Zimmer dieser Oliver steckte. Auf dem Flur zumindest stand er nicht und an den Türen war auch kein Zeichen, auf denen das Symbol der Reisegruppe war.
Er wollte schon wieder zurück zum Fahrstuhl gehen, um sein Glück in der nächsten Etage zu testen, als er eine ältere Dame bemerkte. Er hatte sie schon einmal gesehen, dachte Barry sich. Sie musste zu Olivers Reisegruppe gehören.
Er starrte sie an und überlegte, ob sie ihn vielleicht bei seiner Suche helfen könnte. Immerhin hatte er die Dame im Bus gesehen und auch im Speisesaal.
Sie schien ihn ebenfalls bemerkt zu haben und grinste ihn breit an. Ihrem musternden Blick nach zu urteilen hatte sie gerade einen nicht ganz jugendfreien Gedanken.
Barry zog irritiert die Augenbrauen hoch. Den Blick kannte er, wenn er auch nicht damit gerechnet hatte, ihn von so einer alten Frau zu bekommen.
„Entschuldigen sie,...!“ begann er und ging einen Schritt auf sie zu. Etwas das sie zu begrüßen schien.
„Ich suche einen Freund!“ vollendete Barry seinen Satz.
Sie wirkte einen kurzen Moment enttäuscht, fand aber schnell ihre Fassung und ihren nicht jugendfreien Gedanken wieder.
„Suchen wir nicht alle irgendjemanden?“ fragte sie mit versucht bezirzender Stimme und gebrochenem Englisch.
Barry versuchte ihre Flirtversuche zu ignorieren.
„Ähm … mein Freund müsste in ihrer Reisegruppe sein. Oliver?“
Wieder sah sie ihn nur auf eigenartig verträumte Weise an.
„Können sie mir sagen, in welchen Zimmer er ist?“ Barry spürte das Unbehagen das die Dame mit ihrem Blick in ihm auslöste.
Sie versuchte noch einmal in mit ihrem schmachtenden Blick für sich zu gewinnen. Doch als sie bemerkte, dass sie keine Chancen bei ihm hatte, seufzte sie kurz.
„Tja, da kann ich ihn nur beneiden!“ meinte sie etwas enttäuscht, „Zimmer 108!“
Barry überlegte kurz, was sie damit gemeint haben könnte und kam dann zu dem Entschluss weder weiter darüber nachzudenken noch etwas dazu zu sagen. Allerdings hätte weder das eine noch das andere etwas gebracht, denn die Dame hatte schon wieder diesen sehnsüchtig verträumten Blick angenommen. Die Gedanken mit Sicherheit im Moment noch schmutziger als vorher.
Barry ging an ihr vorbei und zu besagtem Zimmer. Dabei spürte er ihre Augen auf sich ruhen. Ein Gefühl welches dem des Fahrstuhlfahrens gleichkam, machte in ihm breit.
Er versuchte ruhig zu bleiben, die Dame zu ignorieren und klopfte an Zimmertür 108.

Nichts passierte. Und so klopfte er erneut. Er musste sich zumindest anständig benehmen, wenn er nicht auffallen wollte. Zumindest nicht noch mehr als ohnehin.
„Was?“ kam von drinnen, eine etwas gereizte Stimme.
„Oliver?“
Die Tür ging einen Spalt breit auf und ein müdes Gesicht schaute heraus.
„Was?“ war die erneute Frage.
Barry blickte noch einmal den Flur entlang. Die ominöse Dame war verschwunden und der Flur leer.
Ohne ein weiteres Wort stieß Barry die Zimmertür auf und stürmte hinein.
Oliver war zu Tode erschrocken. Er stand nur in kurzen Hosen im Zimmer, anscheinend hatte er gerade zu schlafen versucht.
„Was soll das?“ brachte er auf Deutsch heraus. Worte die Barry nicht verstand.
„Den Schlüssel!“ fauchte Barry ihm entgegen. Zornig.
Er schloss die Tür hinter sich. Es musste ja nicht jeder mitbekommen, dass er gerade jemanden mehr oder weniger überfiel.
„Was?“ Oliver hatte das Wort wohl verstanden, wusste aber dennoch nicht, wovon der Fremde redete.
„Gib mir den Schlüssel!“ knurrte Barry erneut und warf einen Blick in den Raum.
Oliver war noch zu müde und zu irritiert, um irgendeine Art von Gegenwehr zu zeigen. Verdattert stand er in seinem Zimmer und starrte fragend den Fremden an.
„Die Karte! Wo ist sie?“ änderte Barry seine Frage und ging auf Oliver zu, der aus Angst vor Schlägen oder ähnlichen gleich zwei Schritte rückwärts ging.
„Die Karte, die du im Bus gefunden hast?“
Noch immer hatte Oliver keine Ahnung, was genau der Fremde eigentlich von ihm wollte. Wieso war er so scharf auf eine Karte. Normalerweise waren Diebe und Einbrecher doch hinter Wertgegenständen her, fiel ihm nur ein.
Barry wurde immer zorniger. Wollte Oliver ihn nicht verstehen?
Diesem war durchaus nicht entgangen, dass der Fremde vor ihm jeden Moment aggressiver werden würde, und so hastete er schnell durch das Zimmer, auf der Suche nach seiner Hose, die er kurz zuvor noch getragen hatte. Er fand sie in der Nähe des Bettes, im Grunde da wo er sie hatte fallen lassen. Und in der Tasche die Karte, die er im Bus aufgehoben hatte.
Irritiert blickte Oliver darauf. Auf der einen Seite das Katzenwesen und auf der anderen Seite ein paar ägyptische Zeichen. Es war nichts besonderes an der Karte zu erkennen.
„Her damit!“ fauchte Barry ihn nur an und riss ihm die Karte aus der Hand.
Dann ohne ein weiteres Wort oder eines weiteren Blickes ging er wieder aus Olivers Zimmer.
Für ein paar Sekunden stand Oliver noch fragend im Raum und dann, als er endlich wieder einen vernünftigen Gedanken fassen konnte, tat er das was er vermutlich hätte schon viel eher tun sollen.
Er rief um Hilfe und meldete die Fremden.

Barry ging schnellen Schrittes zurück zum Fahrstuhl. Im Moment war weder irgendwer auf dem Flur noch im Fahrstuhl selbst. Aber, da war er sich sicher, dass würde sich rasch ändern.
Noch hörte er niemanden rufen und noch stürmte ihm niemand entgegen um ihn aufzuhalten.
Wenn er darüber nachdachte, war es diesmal fast schon zu einfach gewesen an einen Schlüssel zu kommen. Aber eben nur fast.
Als er den Fahrstuhl wieder verließ, konnte er die aufgebrachte Stimme des Empfangschefs hören. Den Telefonhörer noch in der Hand, warf er einen fragenden Blick auf Barry.
„Mist!“ dachte er sich und ging schneller. Er musste endlich weg von diesem Hotel.
Er rannte schon fast.

Adrian sah vom Computer auf und auch Kayleigh sah irritiert aus. Beide starrten zur Tür und hörten die aufgebrachten Stimmen.
„Was ist jetzt schon wieder los?“ murrte Adrian etwas genervt.
„Wir müssen los!“
Barry stand etwas atemlos vor ihnen.
„Was hast du gemacht?“ wollte Kayleigh von ihm wissen. Ihr war die Karte in Barrys Hand nicht entgangen.
Doch Barry hatte nicht vor, ihr darauf eine Antwort zu geben. Er drehte sich zur Tür um und schloss sie.
„Los!“ knurrte er noch einmal seinen Begleitern entgegen.
Kayleigh schulterte ihre Tasche und ging zu ihm hinüber. Adrian stand nun auch von seinem Platz auf.
„Was nun?“ wollte er wissen und sah Barry irritiert an, der die Karte an die Tür hielt. Aber nichts geschah. Ebenso, als er mit der soeben erbeuteten Karte zwischen Tür und Rahmen entlang fuhr.
Panik stieg in ihm auf. Die Angestellten des Hotels waren bereits auf der anderen Seite der Tür angelangt und würden jeden Moment im Raum sein.
Barry sah sich hastig im Raum um. Dies war die einzige Tür. Sie könnten nirgends anders durchgehen.
Was sollte er nun tun? Alle seine Karten hervorholen und alle probieren? Oder die Karten von Kayleigh und Adrian? Mitunter würde das zu lange dauern!
Kayleigh und Adrian waren genauso ratlos wie er. Auch sie waren sich bewusst, dass es keinen anderen Ausgang gab. Diesmal gab es nicht einmal einen Schrank, durch den sie hätten gehen können oder sich darin verstecken könnten.

Adrian tat das einzige was ihm im Moment einfiel.
Er zog einen Stuhl herbei und klemmte ihn gekonnt unter die Klinke. Diesen Trick kannte er aus so einigen Filmen. Sonderbarerweise schien er auch zu funktionieren, was ihn überraschte.
Aber die Aktion löste noch nicht ihr Problem. Sie hatten noch immer keinen Durchgang.
„Das Fenster!“ meinte Kayleigh nur.
Barry war zu irritiert, um irgendwas zu sagen. Ein Fenster würde sie noch lange nicht fort bringen.
Kayleigh und ihr Bruder rannten zum Fenster, das einzige in dem Raum. Lange Stores bis zum Boden.
„Das hilft uns nicht weiter!“ meinte Barry nur und starrte noch einmal auf die Tür. Von der anderen Seite stieß immer wieder jemand dagegen und der Stuhl würde nicht mehr lange die Tür versperren.
„Das ist besser, als hier zu warten!“ fauchte Kayleigh, riss das Fenster auf und stieg hindurch. Ihr Bruder tat es ihr nach.
Für einen kurzen Moment überdachte Barry die Situation und dann lief er auch zum Fenster und kletterte hindurch.

Der Stuhl sprang zur Seite und die Angestellten stürmten in den Raum. Alle waren aufgebracht. Nicht nur, dass die drei Fremden keiner Reisegruppe angehörten, so waren sie allen Anschein nach auch noch gefährlich.
Doch im Computerraum war keiner mehr.
So sehr sie auch suchten.
Einer der beiden Computer lief noch und ein halb voller Teller mit Essen, aber ansonsten war kein weiteres Zeichen zu sehen, dass jemand in dem Raum war.

„Du, Idiot! Was hast du gemacht?“ schimpfte Kayleigh leise, während sie die Straße entlang liefen.
Barry schwieg.
„Wie kommen wir jetzt hier wieder raus?“ wollte Adrian wissen, der neben seiner Schwester herlief. Obwohl sie die kürzeren Beine hatte, hatte sie ein ganz schönes Tempo drauf.
„Wir brauchen eine Tür!“ kam von Barry.
Kayleigh abrupt blieb stehen und sah ihn zornig an.
„Was?“ kam nur von ihm.
„Wieso hast du ihm die Karte geklaut? Die ist wertlos!“ fauchte sie ihn an.
Barry zog eine Augenbraue nach oben.
„Woher willst du das wissen?“
„Hätte sie funktioniert, wäre Oliver doch längst irgendwohin unterwegs!“ gab Kayleigh lautstark als Antwort.
Barry wusste nicht was er sagen sollte. Aber er mochte es nicht, dass sie so mit ihm redete. Wohl auch weil er älter war als sie. Nicht nur in seinem jetzigen circa einundzwanzigjährigem Ich. Im allgemeinen war er älter als sie.
„Könntet ihr euren Streit woanders austragen!“ kam von Adrian. Er hatte recht damit, denn so langsam hatten Barry und Kayleigh die Aufmerksamkeit der Leute auf den Straßen Kairos auf sich gezogen.
„Suchen wir lieber nach einer Tür!“ meinte er dann und schritt voran, obwohl er keine Ahnung hatte, wo er einen Durchgang finden sollte.
Er ging direkt auf die nächstbeste Tür zu und wartete auf seine streitlustigen Begleiter.
„Probieren wir die!“ meinte er.
Barry und Kayleigh musterten die Tür und das dazugehörige Gebäude. Ein verputztes Haus, vermutlich ordentlich zurecht gemacht um den Touristen ein schönes Bild zu bieten, die Holztür allerdings war schon etwas älter.
Da die beiden keinen Schritt machten und ihn sowie das Haus fragend ansahen, riss Adrian Barry die Karte aus der Hand und versuchte damit die Tür zu öffnen.
Er fuhr mit der Karte zwischen dem Rahmen und der Tür entlang und öffnete sie.
Drinnen war es dunkel und still.
„Was jetzt?“ brummte er, da sich noch immer keiner bewegte, „Wollt ihr hier draußen stehen bleiben?“
Kayleigh schüttelte den Kopf und folgte ihm durch die Tür. Barry sah sich noch einmal um und ging dann auch in die Dunkelheit hinein.
Nikita LaChance
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 11:50

Kapitel VIII

„Von wegen der Schlüssel funktioniert nicht!“ war das erste, was Barry einfiel.
„Kannst du das vielleicht noch lauter sagen!“ protestierte diesmal Adrian.
Es war dunkel in dem Raum und still. Dennoch war es etwas eigenartig hier.
Es roch eigenartig. Nach altem Essen und nach irgendetwas anderem.
„Sind wir immer noch in dem Schuppen?“ wollte Kayleigh wissen. Dass sie nicht sehen konnte, was vor ihr war, gefiel ihr gar nicht.
„Hey, ist da jemand drin?“ drang eine Stimme durch die Tür. Sie klang ziemlich benebelt.
Adrian, der noch immer die Karte in der Hand hielt, griff nach der Klinke. Einerseits wollte er sie einfach aufreißen und raus stürmen, andererseits wollte er sie auch zuhalten. Er hatte keinerlei Lust Bekanntschaft mit dem Besitzer der stinkigen Bude zu machen.
Doch als er die Klinke berührte, spürte er, dass dies ein weiterer Durchgang war. Anscheinend konnte er noch einmal durch die selbe Tür gehen. Würde er dann wieder in Kairo landen?
Er öffnete vorsichtig die Tür und sah in einem hellen Raum. Die Luft war bei weitem besser.
Und so ging er hindurch, gefolgt von Kayleigh, die sofort wieder seine Hand ergriffen hatte, aus Panik ihn zu verlieren. Barry trottete etwas missmutig hinterher.
Wo auch immer sie nun gelandet waren, es war erheblich besser als in dem Raum zuvor. Allerdings waren sie nicht allein. Eine vollkommen überraschte Frau starrte ihnen entgegen und lies vor Schreck einen Teller mit Pfannkuchen zu Boden fallen.
Sofort kamen zwei kleine Kinder um die Ecke gerannt und starrten ebenso irritiert auf die Fremden.
Adrian stammelte nur etwas von Entschuldigung und stürmte mit seiner Schwester an der Hand durch die Wohnung und gerade als er durch die Wohnungstür hinaus wollte, hatte er einen weiteren Durchgang geöffnet.
Denn anstatt sich vor der Wohnung wiederzufinden, stand er nun in einem Hausflur. Und diesmal waren sie wieder nicht allein im Raum.
Ein großer Rottweiler stand ihnen gegenüber und knurrte.
„Das ist nicht gut!“ meinte Adrian. Nicht das er Angst vor Hunden hatte, aber Rottweiler jagten ihm schon einen Schauer über den Rücken.
Barry sah die Situation genauso und drehte sich zur Tür um. Die Haustür, schweres Holz mit Glaseinsatz, allerdings war verschlossen.
Und während die Jungs sich langsam schon als Kauknochen sahen, blieb Kayleigh ruhig und blickte sich um.
„Da vorn!“ flüsterte sie ihrem Bruder zu und zeigte auf die Tür unter der Treppe.
„Ja, aber hier steht noch ein kleines Problem im Weg!“ gab Adrian mit zusammengepressten Zähnen zurück.
Kayleigh seufzte kurz, lies die Hand ihres Bruders los und ging langsam und vorsichtig auf den Hund zu.
„Na du?“ fragte sie den Hund, „Lässt du uns durch?“
Adrian riss die Augen auf und wollte schon los schreien, als er sah, dass der Hund sich über Kayleighs Reaktion freute.
„Wie?“
Kayleigh hockte sich vor den Hund und begann ihn zu streicheln.
„Guter Junge! Pass fein auf, dass niemand fremdes hier rein kommt!“ meinte sie zu dem Tier. Der Hund schien die Streicheleinheiten zu freuen.
„Na los, weiter, Jungs!“ meinte Kayleigh und ging zur Tür unter der Treppe, wobei ihr der Hund auf den Fuß folgte.
Barry und Adrian gingen vorsichtig und mit einem großen Sicherheitsabstand hinterher. Allerdings waren sie sich wohl bewusst, dass der Sicherheitsabstand rein gar nichts bringen würde. Der Hund wäre auf jeden Fall schneller als sie.
„Machst du nun auf?“ schimpfte Kayleigh, als Adrian sich noch immer nicht regte.
Diesmal fuhr er mit der Karte zwischen den Rahmen und der Tür und öffnete sie.
Wieder war es auf der anderen Seite dunkel, wie man es wohl von einem Schrank unter der Treppe erwarten konnte. Hatte der Schlüssel diesmal überhaupt funktioniert.
„Weiter!“ protestierte Kayleigh und musste die Jungs zum weitergehen bewegen. Adrian ging als erstes hinein, gefolgt von Barry. Aber beide blieben fragend in der Tür stehen.
Kayleigh hockte sich noch einmal zu dem Hund hinunter.
„Und du passt hier fein weiter auf!“ meinte sie zu ihm, strich ihm noch einmal über den Kopf und ging dann ebenfalls in den Schrank unter der Treppe.

Die Tür schloss sich wieder und sie steckten erneut in Dunkelheit.
Und dann, nachdem sich ihre Augen an die Finsternis gewöhnt hatten, erkannten sie, wo sie waren. Oder zumindest hatten sie einen wagen Verdacht.
Vor ihnen standen viele Regale und einige große Figuren. Und hinter ihnen, war die Tür, durch die sie soeben gekommen waren.
„Das ist ein Scherz, oder?“ meinte Adrian und wies auf das Schild auf der Tür hin.
Damenklo!
Kayleigh schmunzelte kurz.
„Sieht so aus!“ lachte sie.
Barry dachte sich nur, dass es gut war, dass sie niemand hatte kommen sehen. Dass sie scheinbar zu dritt aus dem Damenklo gekommen war, wäre nur peinlich gewesen und ihm wäre mit Sicherheit keine plausible Erklärung eingefallen.
„Steck die Karte erstmal weg!“ meinte Kayleigh plötzlich zu ihrem Bruder, der sie daraufhin fragend ansah.
„Ersten muss ich mal!“ erklärte sie, „Und dann sieh dich doch mal um!“
Er tat wie geheißen, verstand aber noch immer nicht, was sie meinte.
„Wir stehen hier in einem Laden?“
Noch immer verstand er nicht. Doch dann ging ihm ein Licht auf.
„Okay!“ sagte er nur und steckte die Karte weg.
Kayleigh öffnete die Tür zu den Toiletten, als Adrian plötzlich zu ihr meinte, sie solle die Tür lieber offen lassen.
„Wie?“ Sie wusste gar nicht so recht, wie sie darauf reagieren sollte.
„Na ja, so kannst du nicht plötzlich verschwinden!“ meinte Adrian. Zum Glück war es zu dunkel in dem Raum, als dass sie seine rote Gesichtsfarbe hätte sehen können.
Kayleigh nickte nur stumm, lies die Tür einen Spalt offen und ging auf Toilette. Zwar war seine Idee mit der offenen Tür gut, aber auch irgendwie peinlich.
Den Jungs allerdings ging es nicht anders als ihr. Vor einem Damenklo zu stehen und zu warten, gehörte weiß Gott nicht zu den Dingen, die sie beide gerne taten und vermutlich aus anderen Gründen auch nie getan hätten.

Als Kayleigh wieder zurück war, gingen sie zu dritt durch den riesigen Raum.
Wie sie vermutet hatte, standen sie inmitten eines riesigen Ladens. Inmitten der Klamottenabteilung.
„Shopping!“ seufzte sie nur und Barry sah sie fragend an.
„Na ja, du denkst doch nicht, dass ich ständig die gleichen Klamotten tragen will!“ meinte sie zu ihm. Doch noch immer verstand er nicht, was sie vorhatte.
Adrian hingegen schon. Von ihm kam nur ein kurzes „Cool!“
Er schien begeistert von der Tatsache, dass sie nun, wie Kayleigh es nannte, shoppen konnten, ohne dass ihnen irgendeine Verkäuferin lästig wurde oder auch nur irgendein Kunde sie dumm ansah. Vor allem hatten sie die Chance, sich im wahrsten Sinne zu bedienen und einfach ohne zu zahlen zu gehen.
Adrian dachte noch einmal kurz darüber nach, was er auf der Liste „ Ausrüstung und Tipps für eine Weltreise“ im Internet gelesen hatte.
Es hatte ein großes Kapitel nur für Klamotten gegeben. Zwar bezog sich die ganze Liste auf eine normale Weltreise, bei der man mit verschiedensten Fahrzeugen in die verschiedensten Winkel der Welt fuhr, aber mehr oder weniger war sie ihm nützlich vor gekommen.
Zum Thema Kleidung hatte der Verfasser gemeint, dass man am besten im Zwiebellook gehen sollte. So würde man nicht so viel Gepäck mit sich herum schleppen müssen und könnte, je nach Bedarf weitere Kleidungsstücke anlegen oder eben ablegen.
Desweiteren hatte der Autor der Liste darauf hingewiesen, dass man doch auf robuste Hosen achten sollte, sowie auf schmutzkompatible Oberbekleidung. Was im Grunde soviel heißen sollte, dass man nicht unbedingt auf weiße Sachen bestehen sollte, da dies sehr schnell zu schmutzig werden würde.
Eigenartigerweise konnte er sich an die gesamte Liste erinnern. Vielleicht weil er den Vergleich der Weltreise mit seiner jetzigen Reisesituation lustig fand. Vielleicht aber auch, weil er wusste, dass dies wichtig sein könnte. Und Dinge, die er für wichtig fand, behielt er oft lange im Kopf, auch wenn dies für andere nichts als Unsinn war.

„Gut, als erstes brauchen wir einen Rucksack und dann sucht jeder seine Klamotten zusammen!“ meinte Adrian zu den anderen zwei.
Kayleigh nickt nur. Barry hingegen verstand noch immer nicht so ganz den Zweck der Aktion.
„Wozu die Sachen?“ wollte er wissen und erntete sowohl von Kayleigh als auch von Adrian einen leicht angewiderten Blick.
„Du willst doch nicht sagen, dass du seit Ewigkeiten in den Klamotten rum läufst?“ meinte Adrian. Er selbst war zwar, wie vermutlich ein Großteil der männlichen Gesellschaft, nicht der Typ der jeden Tag die komplette Kleidung austauschte. Aber er war auch niemand der Wochenlang in der selben Unterwäsche oder dem selben T-Shirt herumlaufen könnte.
„Nein!“ gab Barry zu, „Bis jetzt hab ich aber noch nie Klamotten mitgeschleppt!“
Wieder sahen ihn die Geschwister etwas irritiert und angeekelt an.
„Ich hab bis jetzt immer irgendwo was zu Anziehen gefunden!“ erklärte er.
Kayleigh rollte kurz mit den Augen.
„Mach was du denkst!“ meinte Adrian nur zu ihm und dann zu seiner Schwester:
„Wir sollten uns beeilen!“
Sie nickte und suchte mit ihm gemeinsam als erstes nach einem Rucksack. Die fanden sie auch recht schnell und jeder griff sich einen.
„Du packst dein Zeug zusammen und ich meins!“
Adrian ging in die Herrenabteilung, gefolgt von Barry, der sich nun mehr oder weniger eingestehen musste, dass die beiden vielleicht recht hatten.
Kayleigh ging in die Damenabteilung.

Während Adrian sich nun durch die Hosen und durch die Shirts wühlte, auf der Suche nach der richtigen Größe, wollte er von Kayleigh wissen, wieso sie keine Angst vor dem Hund hatte.
Dass er durch den gesamten Laden rief, war ihm im Moment, da sie drei ja allein waren, egal.
„Das war der Hund einer alten Freundin!“ gab Kayleigh zurück.
„Wie alte Freundin?“
„Ich war vor drei Jahren mal für einen Monat bei ihr. Sie wohnt in einer Kleinstadt in Deutschland.“
Adrian schien irritiert über die Aussage seiner Schwester. Er konnte sich nicht erinnern, dass Kayleigh irgendwann mal für einen Monat weg war.
„Aber wieso kannte dich dann der Hund?“ wollte er wissen.
„Na den hatte sie damals schon! Und in dem Monat wo ich bei ihr war, war ich die meiste Zeit allein mit ihm.“ gab Kayleigh zurück, während sie ebenfalls in den Sachen nach der richtigen Größe kramte, „Sein Name ist Killer!“
„Killer?“ lachte Adrian und probierte ein Shirt über. Es passte. Er zog es wieder aus und stopfte es sofort in seinen Rucksack.
Auch Kayleigh hatte ein T-Shirt gefunden. Allerdings war sie sich nicht sicher, ob sie denn noch immer die selbe Kleidergröße hätte. Immerhin war sie als Teenager ihrer Meinung nach kräftiger gewesen als als neunundzwanzigjährige.
Sie zog das T-Shirt über und war verwundert. Sie hatte noch immer die selbe Größe. Oder war sie als Teen so verblendet gewesen, dass sie nur angenommen hatte dicker zu sein?
Da sie sich ihrer Kleidergröße nun sicher war und die Tatsache, dass sie im Grunde ja noch immer in ihre Kleidung, die sie seit Reisebeginn trug, ohne Probleme passte, begann sie im Eiltempo ihre Sachen zusammenzusuchen. Sie probierte nicht mehr, sie suchte nur nach der richtigen Größe, hielt sich die Klamotten gelegentlich nur noch an und packte sie dann in ihren Rucksack.
So wanderten gleich zwei Jeans in den Rucksack, ebenso ein paar T-Shirts, ein paar langärmelige Shirts sowie ein paar ärmellose Teile, eine dünne Jacke und Unterwäsche sowie auch ein paar Socken. Ihr Rucksack wurde langsam voller, wohl aber nicht so voll wie man es vermutlich bei einem Mädchen hätte erwarten können.
Ihrer Meinung nach war sie fertig. Sie hatte genug Sachen eingepackt.
Dann aber sah sie auf ihre Schuhe. Nicht unbedingt für alle Klimazonen geeignet. Zumindest nicht Wasserdicht, bemerkte sie.
Wohl oder übel musste sie sich also auch noch durch die Schuhabteilung kämpfen.
Wenn sie eines nicht mochte, dann war es nach Klamotten oder Schuhen zu shoppen. Das tat sie im Grunde nur wenn sie unbedingt neue Sachen brauchte und dann versuchte sie es auch noch lange hinauszuzögern.

Adrians Rucksack beinhaltete nun ebenfalls ein paar Jeans zum Wechseln, ebenso lang- und kurzärmelige Shirts, sowie ein paar Hemden, zum Drüberziehen, einer dünnen Jacke und zwei Kaputzenpullover. Auch an Unterwäsche und Socken hatte er gedacht.
Und auch er schien mit seinen Schuhe nicht ganz so zufrieden.
Ebenso wie Kayleigh musste er sich nun etwas passenderes suchen.

Barry hatte Adrian erst beobachtet. Und dann, nach langer Überlegung, war auch er zu dem Entschluss gekommen, sich ein paar Sachen einzupacken. Er hatte sich ebenfalls einen Rucksack gesucht und begonnen ein paar Kleidungsstücke seiner Wahl einzupacken.
Vielleicht hatten die beiden recht und er käme so öfters auf den Genuss frischer Wäsche, ohne darauf hoffen zu müssen irgendwo welches vorzufinden.
Er allerdings suchte sich nicht ganz so viel Kleidung zusammen. So viel würde er nicht brauchen, dachte er sich.

Nun standen sie zu dritt in der Schuhabteilung. Und wieder bot sich ihnen ein große Anzahl an Möglichkeiten an.
Die hohen Schuhe, die hauptsächlich die Damenabteilung der Schuhwelt bevölkerten, lies Kayleigh von vornherein außer acht. Sie mochte die Dinger nicht, konnte noch nicht einmal darin laufen. Wenn es nach ihr ginge und es im Grunde das Wetter und die Umgebung zuließe, würde sie vermutlich den ganzen Tag barfuß laufen.
In der Damenabteilung wurde sie nicht so recht fündig. Also ging sie zu Adrian in Abteilung mit den Männerschuhen. Und während er sich gerade mit ein paar Bikerboots anfreundete, entdeckte sie gerade ein paar halbhohe schwarze Schnürboots.
Bei jeder anderen Frau hätte es bei der großen Auswahl an Damenschuhen womöglich gleich Liebe auf dem ersten Blick geheißen. Bei Kayleigh war es mehr oder weniger so beim Anblick der Boots.
Zielsicher griff sie nach den Schuhen, probierte sie an und war mehr als erleichtert, dass sie passten.
„Gut dass du kein richtiges Mädel bist!“ lachte Adrian nur erleichtert.

„Wir sollten vielleicht wieder gehen!“ meinte Barry plötzlich. Er hatte seinen Rucksack mit den Sachen seiner Wahl gefüllt, wobei er keine neuen Schuhe in Bedacht zog.
„Also ich bin fertig!“ kam von Adrian.
„Ich auch!“ Kayleigh sah sich um.
Viele Türen bot der Laden nicht.
Einzig die Toiletten hatten normale Türen, ansonsten gab es nur noch den Vordereingang. Eine Glastür.
Für einen Moment hatte Kayleigh dort etwas gesehen. Durch die Tür.
„Wir sollten machen das wir wegkommen!“ meinte sie dann, wobei sie ihre Stimme dämpfte.
Adrian und Barry sahen ebenfalls zum Eingang. Doch sie konnten nicht erkennen, was sie gesehen hatte.
„Ich glaube nicht, dass man uns nicht bemerkt hat!“ kam leise von ihr und sie zog ihren Bruder am Arm mit sich, in Richtung der Toiletten.
Adrian verstand noch immer nicht ganz, weswegen sie es jetzt auf einmal so eilig hatte. Und als sie noch einmal an der Herrenabteilung vorbei gingen, sah er an einer der Dekopuppen eine Kaputzenjacke hängen.
„Warte mal kurz!“ meinte er nur, ging zur Puppe und nahm ihr die Jacke ab, die er sich sofort überzog.
Dann ging er wieder zu seiner Schwester zurück und für einen Moment hatte auch er etwas gesehen.
Irritiert drehte er sich um und starrte in Richtung Eingangstür.

Ein Lichtstrahl fiel durch den Raum. Und dann waren da flüsternde Stimmen. Nicht ihre. Jemand anderes hatte den Verkaufsraum betreten. Mindestens zwei Mann, mit Taschenlampen.
Kayleigh hatte recht. Sie waren nicht unbemerkt geblieben. War ja auch dumm gewesen, zu denken, dass es in einem solchen prall gefüllten Klamottenladen keine Überwachungskamera gegeben hätte.

Kayleigh schritt voran. Auf die Tür zu, durch die sie in den Laden gelangt waren.
Allerdings entdeckte auch sie unterwegs noch etwas was, sie unbedingt noch brauchen könnte. Sie sagte den Jungs, sie sollen an der Tür zur Damentoilette auf sie warten. Sie würde sofort nachkommen.
Schnell rannte sie in die Abteilung der Damensachen, während die Jungs taten wie geheißen.
Allerdings blieben sie nicht unbeobachtete dabei.

Die Wachmänner hatten sie gesehen und schlichen langsam auf sie zu. Sie sagten etwas in einer fremden Sprache, wahrscheinlich befahlen sie, dass die Jungs sich ergeben sollten oder ähnliches.
Adrian und Barry standen sprachlos vor dem Damenklo und wussten nicht, was sie nun tun sollten. Adrian suchte in seiner Hosentasche nach dem Schlüssel.
„Wo bleibt deine Schwester?“ grummelte Barry panisch.
Die fremden Männer kamen immer näher und blendeten sie mit ihren Taschenlampen. So war es schwer zu sagen, ob sie vielleicht auch noch irgendeine Waffe in der Hand hielten oder nicht.
Mit der Karte fuhr Adrian durch den Schlitz zwischen Tür und Rahmen und öffnete sie. Doch es geschah nichts.
Es war noch immer das Damenklo auf der anderen Seite.
„Mist! Das funktioniert nicht!“ fluchte er und zog die Tür wieder zu.
Nun begann Barry in seinen Hosentaschen nach seinen Karten zu suchen.
Und die Männer waren nur noch wenige Schritte von ihnen entfernt.

Kurz bevor die Männer vor ihnen standen und mehr oder weniger nach den Jungs greifen konnten, kam Kayleigh angestürmt. Sie war so schnell, dass sie beinahe an den Jungen und der Tür vorbei schlitterte.
Sie hielt eine Karte in der Hand, berührte damit leicht die Tür und stieß sie auf.
Diesmal war nicht das Damenklo auf der anderen Seite. Irgendeine lichtdurchflutete und laute Landschaft.
Alle drei stürmten durch die Tür und verschlossen sie wieder.
Die Wachmänner versuchten hinterher zu kommen. Aber sie waren nicht schnell genug. Sie rannten genau in die geschlossene Tür.
Und als einer von ihnen die Tür öffnete, war dahinter als wie gewohnt das Damenklo.
Keiner von ihnen verstand, was soeben passiert war.
Es war genauso sonderbar gewesen, wie dass, was sie auf ihrem Überwachungsmonitor hatten gesehen. Drei Teenager die durch die geschlossene Tür des Damenklos in den Laden kamen. Und die nun auch wieder durch die Toilettentür ins Nirgendwo verschwunden waren.
Vielleicht, so meinte einer, waren das ja Geister. Sein Kollege schwieg dazu. Der Bericht zu dem Einsatz würde schon unglaubwürdig genug ausfallen.
Nikita LaChance
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 11:50

Kapitel IX

Es war hell und viel zu warm. Und laut.
„Na klar, jetzt wo ich mir eine Jacke über gezogen habe!“ knurrte Kayleigh genervt.
Adrian hatte ebenso wie Barry das selbe Problem, waren aber noch zu verwundert ihrer Umgebung wegen, als dass sie lautstark protestierten.
„Wo sind wie jetzt schon wieder hingeraten?“ murmelte Adrian.
Vor ihnen eine Schar mit Kameras bewaffneter und mit ihrer Kleidung viel besser an das warme Wetter angepasster Leute. Alle lautstark diskutierend. Und mittendrin ein Herr im bunten Hawaiihemd und braunen Shorts, der versuchte den Leuten die Umgebung zu erklären.
„Touristen?“ bemerkte diesmal Barry, setzte seinen Rucksack kurz ab und zog sich seine Jacke und das langärmelige Shirt, was er darunter trug aus. Im T-Shirt war es schon etwas angenehmer, wenngleich es dennoch nicht wirklich gegen diese Hitze half.
Auch Kayleigh und Adrian erkannten nun, dass sie erneut inmitten eine Reisegruppe geraten waren. Allerdings hatten sie nicht die geringste Ahnung, wo sie nun stecken.

Sie standen vor der Tür, durch die sie soeben gekommen waren. Auf den ersten Blick, den sich die drei verschafften, sah die Gegend vor ihnen aus wie eine Kleinstadt in irgendeiner trockenen Gegend. Aber eben nur auf dem ersten Blick.
Einige der Häuser waren in den Fels hinein gebaut. Oben auf den steinigen bzw. sandigen Dächern schauten Rohre heraus.
Es erschien alles ein wenig sonderbar. Und Adrian kam sogleich der Vergleich mit den Höhlenbehausungen der Hobbits aus dem Film in den Sinn. Allerdings hatten diese viel Grün zu bieten und runde Türen. Hier war es trocken und staubig und die Türen bzw. die Hauswände zur Straße zu normal gebaut.
„Wo sind wir?“ wollte Adrian von seiner Schwester wissen.
Aber die wusste es selbst nicht.
„Du weißt doch sonst immer alles aus deinen Büchern!“ murrte Adrian sogleich.
Die Geschwister hatten sich ebenfalls von ihren Jacken und zu warmen Shirts befreit und standen nun noch immer schwitzend in T-Shirts und Jeans herum.
Wie schon im Ägyptischen Museum zuvor, war die Touristengruppe und deren Führer, der Herr im Hawaiihemd, zu sehr mit sich selbst und der Umgebung beschäftigt, als dass sie die drei großartig für voll nahmen.
„Wir sollten nicht hier rumstehen!“ meinte Kayleigh, verstaute ihre Sachen in ihrem Rucksack und setzte ihn sich wieder auf. Kein angenehmes Gefühl bei der Hitze.
„Also ich wäre dafür wenn wir uns irgendwo in den Schatten verdrücken könnten!“ stöhnte Barry genervt. Auch er mochte die Wärme nicht leiden.
Sie gingen an der Reisegruppe vorbei, die sich vor irgendeinem witzigen Schild versammelt hatten, und wanderten die Straße entlang.
Und wieder, wie ein kleines Kind, kam von Adrian:
„Wo sind wir?“
Als hätten sie in den letzten Sekunden eine Antwort darauf gefunden.
Wieder stand ein Schild vor ihnen, welches davor warnte, alleine durch die Gegend außerhalb der Stadt zu streifen. Unmarkierte Minen!
Allerdings noch immer keine Angabe, in welchem Nest sie gelandet waren.
Für einige Minuten herrschte wieder nachdenkliches Schweigen bei den drei.
„Australien!“ platzte es aus Barry heraus und die Geschwister sahen ihn fragend an.
„Na, ich denk mal, dass wir hier irgendwo in Australien sind!“ versuchte er zu erklären, „Die Hitze und der rote Sand?“
Die anderen beiden sagten nichts dazu. Ihnen war einfach viel zu warm.
Doch noch ein paar Schritte weiter, sahen sie ein Café. Jedenfalls stand dies über der Tür. Aber wie so viele der Gebäude in der Kleinstadt, gab es nur eine einzige Hauswand, während der Rest des Gebäudes im roten Felsgestein verschwand.
„Da rein!“ kam nur noch schwach von Barry und sie hielten auf das Café zu.

Im Café war es schon angenehmer. Aber auch hier schienen einige Touristen zu Gast zu sein, denn auch hier waren viele Gäste mit Kameras bewaffnet.
Die Kellnerin begrüßte die drei sofort und bot ihnen einen der wenigen Sitzplätze an.
„Ihr braucht sicherlich erst mal was zu trinken!“ meinte sie und tauchte sogleich mit drei Gläsern Wasser auf, indem eine Zitronenscheibe schwamm.
Kayleigh sah sich fragend um. Anscheinend hatte die Kellnerin auch angenommen, dass sie zu den Touristen gehören würden.
Dennoch war weder sie noch ihre Begleiter dem kühlen Getränk abgeneigt.
„Wollt ihr vielleicht noch etwas anderes? Was zu essen?“ erkundigte sich die Kellnerin.
Sie konnten ja nicht zugeben, dass sie im Grunde keinerlei Bargeld bei sich hatten. Also meinte Adrian nur, dass sie es sich noch überlegen würden und erst mal nur eine Verschnaufpause bräuchten.
Die Kellnerin nickte freundlich und ging zurück zu ihrem Tresen, wo sie sogleich einen sonnengegerbten Kerl ein kühles Bier ausschenken durfte.
„Ich mag die Hitze nicht!“ seufzte Kayleigh und sank etwas tiefer in ihren Stuhl. Das Glas Wasser ausgetrunken und der Durst längst noch nicht gelöscht.
Im Gegensatz zu seiner Schwester mochte Adrian das warme Wetter, wenngleich es hier in dem Gebiet auch für ihn zu viel war. Auch war es hier zu trocken für ihn.
„Vielleicht sollten wir einfach weitergehen!“ meinte er dann, worauf seine Begleiter nur schwach nickten.

„Wollt ihr wirklich schon weiter?“
Alle drei sahen erschrocken auf.
Vor ihnen stand ein circa fünfundvierzigjähriger Mann mit wildem Bartwuchs und dunklen Haaren und ebenso dunklen Augen.
Er wartete auf keine Antwort oder irgendeine andere Reaktion. Er setzte sich einfach zu den Drei an den Tisch und winkte die Kellnerin heran.
„Nochmal ein Wasser für alle und ...“ Er sah auf die drei, „... vielleicht was zu essen?“
Nun sah auch die Kellnerin von dem Mann auf die Teenager und wartete.
„Wollt ihr was essen? Ich zahle!“ meinte der Mann nur und grinste breit über die noch immer verwirrten Gesichter.
Kayleigh sah auf Adrian und dann auf Barry, der nur kurz mit den Schultern zuckte.
„Vielleicht für jeden eine Portion Pommes!“ meinte der Mann zur Kellnerin, „Das kommt immer gut!“
Sie nickte und verschwand wieder, um die bestellten Sachen zu bringen.
„Ähm … wieso machen sie das?“ fragte Kayleigh mit leiser Stimme.
„So misstrauisch, Kayleigh?“ meinte er und lächelte, wobei seine Augen strahlten.
„Woher kennen sie ihren Namen?“ kam es sogleich von Barry. Sein Misstrauen war schon längst geweckt.
Aber der Fremde lies sich keineswegs von Barrys harschem Ton und seinem finsteren Blick beirren. Er behielt sein Lächeln bei.
„Nun ja, das wäre etwas schwieriger zu erklären!“ gab der Fremde dann zu, „Und hier ist vielleicht auch nicht der richtige Ort um darüber zu sprechen!“
Die Kellnerin kam wieder und brachte vier Gläser, die sie gegen die leer getrunkenen austauschte.
Der Mann bedankte sich bei ihr und nahm gleich einen großen Schluck von seinem Wasser.
Noch immer traute sich keiner der drei etwas zu sagen oder auch nur einen Schluck aus ihrem Glas zu nehmen.
Wenig später kamen die bestellten Pommes.
„Du solltest dich vielleicht mal rasieren!“ meinte die Kellnerin grinsend zu dem Mann, „Dann würdest du die anderen nicht so verschrecken!“
Er blickte kurz in die irritierten Gesichter der Teenager, strich sich über den Vollbart und stimmte ihr zu.
Die Kellnerin ging wieder zurück und lies ihn mit den verschüchterten Teenies zurück.
„Ihr solltet erst mal was essen! Ist nicht gut, wenn ihr immer so viel rum reist!“ meinte der Mann und schob sich ein Pommes in den Mund.

Kayleighs Hunger war zu groß, als das sie das Angebot, was auch immer es bedeuten sollte, länger ausschlagen konnte. Langsam begann auch sie zu essen. Und nach ein paar Sekunden taten es die Jungs ihr nach.
„Also noch einmal, woher kennst du meinen Namen?“ wollte sie wissen. Nun etwas mutiger.
Er schüttelte nur den Kopf und grinste wieder.
Kayleigh hatte den Eindruck, dass sie ihn irgendwo schon einmal gesehen hatte. Aber sie konnte sich bei weitem an keinen vollbärtigen Australier erinnern.
„Ich weiß so einiges!“ gab er nur kauend zu.
So leicht wollte Kayleigh nicht aufgeben.
„Ihr seit ganz schön misstrauisch!“ bemerkte er, „Aber nicht alle wollen euch die Schlüssel abnehmen!“
Wieder sahen alle drei erschrocken drein.
„Wir sollten aber über eure Reise nicht unbedingt hier reden!“ meinte er sogleich und aß geduldig weiter.
„Woher …?“ begann Barry ungeduldig, aber der Fremde unterbrach ihn sogleich,
„Nicht hier! Zu viele Ohren!“
Die Kellnerin lief vorbei, breit grinsend und erkundigte sich am Nebentisch, ob dort noch etwas gewünscht wäre.
„Deine Freunde sehen immer noch ganz schön eingeschüchtert aus, Matt!“ meinte sie im Vorbeigehen zu dem Fremden.
Und wieder huschte ein Schmunzeln über sein Gesicht.
„Könntest du uns dann wenigstens verraten, wo wir stecken?“ wollte Kayleigh wissen.
„Australien!“
Adrian rollte mit den Augen.
„Das wussten wir schon!“ meinte er gleich.
„Wo genau?“ Kayleigh ignorierte, dass ihr Bruder sogleich anfangen würde, sich lauthals zu beschweren, dass man ihm nicht sofort alle Fakten auf den Tisch legte.
„Coober Pedy!“ kam sogleich als Antwort vom Fremden.
Alle drei sahen ihn fragend an. Ehrlich gesagt hatte keiner von ihnen von dem Ort gehört und ahnte auch nur im geringsten in welchem Teil Australiens das nun liegen sollte.
„Südaustralien!“ fügte der Mann gleich hinzu.
„Dann wäre das hier viel eher was für meinen Bruder!“ gab Barry leise von sich, wobei der Mann ihn mit hochgezogener Augenbraue ansah.
„Du kennst unser Problem?“ wollte Kayleigh wissen.
„Sozusagen!“
Der Mann hatte seine Portion Pommes aufgegessen und beobachtete die drei Teenies an seinem Tisch, die ihn noch immer misstrauisch musterten.
„Du heißt Matt?“ Kayleigh hatte vielleicht nur knapp die Hälfte der Pommes auf ihrem Teller gegessen und schien aber nun viel eher auf Konversation aus.
Er überlegte kurz, ehe er eine Antwort gab.
„Matthew, aber Matt ist okay!“
„Du stammst nicht von hier!“ bemerkte sie, „Also … bist du … auch ein Reisender!“
Adrian merkte sofort, dass sie dabei nicht nur neunmalklug klang sondern auch ziemlich neugierig war, und stieß sie von der Seite an.
„So könnte man es ausdrücken! Aber ich war lange nicht mehr unterwegs!“ meinte Matt nur. Er schien noch immer belustigt darüber, dass sie über seine Absichten grübelten. Nebenbei amüsierte er sich über die neugierigen Blicke der Kellnerin, die ihn nicht so oft mit Touristen reden sah.
So langsam hatten sich auch die Jungs satt gegessen und sahen ihren Gastgeber fragend an.
„Und wieso bist du dann nicht nach hause zurück?“ wollte Kayleigh wissen. Ihrer Ansicht nach war dies eine harmlose Konversation, bei der niemand, der vielleicht lauschte auch nur im Entferntesten ihre eigenwillige Reisevariante heraushören könnte.
Wieder überlegte er kurz.
„Das wäre nicht gut!“ seufzte er nur. Er wollte nicht darüber reden.
Kayleigh überlegte noch immer woher sie ihn kannte. Vielleicht trug er damals keinen Bart?
Matt wollte gerade etwas sagen, aber er hielt plötzlich inne und sah besorgt in Richtung Eingangstür des Cafés.
„Wir sollten hier fort!“ meinte er. Auf einmal war er wie ausgewechselt. Seine Fröhlichkeit war verschwunden und nun wirkte er viel eher besorgt, wenn nicht sogar ein wenig gehetzt.
Er sprang auf, ging zum Tresen, zahlte dort bei der Kellnerin und kam zurück an den Tisch.
„Los!“ meinte er, da sie sich noch immer nicht von der Stelle gerührt hatten.
„Was? Wieso?“ murrte Adrian nur.
„Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt zu gehen!“ kam nur von Matt und wieder ging sein Blick zur Tür, so als erwarte er, dass jeden Moment jemand dort auftauchen würde.
Kayleigh sah ihn irritiert an. Irgendwie steckte seine Unruhe auch sie an, denn auf einmal spürte auch sie eine Art Unbehagen. Sie stand auf, schulterte ihren Rucksack und warf ihrem Bruder, der sich noch immer nicht rührte, einen strafenden Blick zu.
Nun erhob auch er sich endlich und Barry tat es ihm nach.
„Kommt mit!“ meinte Matt zu den Teenies und ging zur Tür.
„Wir werden doch jetzt nicht einem Fremden folgen!“ beschwerte sich Adrian.
Kayleigh sah ihn finster an und griff einfach nach seiner Hand, so dass ihm nichts anderes übrig blieb, als ihr zu folgen. Und sie hatte vor mehr von Matt zu erfahren, weswegen sie ihm wohl oder übel nachgehen musste.
Bevor Matt nach der Tür griff, vergewisserte er sich, dass alle drei noch bei ihm waren. Dann öffnete er sie und ging hindurch.
Kayleigh spürte noch immer diesen seltsamen Druck im Bauch, als sie auf die Tür zuging. Und sie konnte einen Blick durch das Schaufenster neben der Tür werfen.
Ein Junge, vielleicht gerade mal um die zehn, sah ihr mit ebenso fragendem wie entsetzten Gesicht entgegen.
Dann ging sie durch die Tür, Adrian an der Hand führend.

Eigentlich hatten sie erwartet wieder auf der staubigen Straße zu landen, doch sie standen plötzlich inmitten eines kühlen Flurs. Hinter sich eine Holztür, deren Farbe bereits abblätterte.
„Geht schon mal weiter!“ meinte Matt und schob sich an den dreien vorbei.
Sie aber blieben irritiert stehen und sahen zu, wie er die Tür einen Spalt weit öffnete und so verkeilte, dass sie weder weiter auf ging noch zufiel.
„Immer noch misstrauisch!“ bemerkte Matt nur und ging an ihnen vorbei, den kurzen Flur entlang
und die wenigen Stufen dahinter hinab.
„Hier können wir in Ruhe reden!“ meinte er etwas lauter, da sich die Gruppe noch immer nicht wirklich vom Fleck bewegt hatte.
Kayleigh war die erste, die sich ein Herz fasste. Wohl auch weil sie ziemlich neugierig war.
Sie lies ihren Bruder los und folgte Matt.
Der stand wartend in einer Art Wohnzimmer.
Im Grunde war dies hier so ähnlich wie das Café aufgebaut. Oder man sollte wohl eher sagen, aus dem Fels geschlagen bzw. gegraben.
Die hellen Steinwände und die dunklen Holzmöbel gaben dem ganzen einen rustikalen Stil. Und nur wenige Gemälde brachten Farbe in den Raum.
Auch hier herrschte ein angenehmes Klima.
„Wo hast du uns hingebracht?“ wollte Kayleigh wissen und setzte ihren Rucksack wieder ab.
„Ihr seit bei mir zuhause! Hier können wir ungestört reden!“ antwortete Matt und setzte in einen seiner braunen Sessel.
Kayleigh musterte den Raum.
So langsam trauten sich auch die Jungs in das steinerne Wohnzimmer.
„Ihr seit noch immer in Coober Pedy. Nur eben nicht … im Zentrum!“ meinte Matt. Er hatte seine Fröhlichkeit wiedergefunden.
Kayleigh entdeckte, dass sogar eine Kochnische in den Fels gebaut worden war und auch ein paar Kammern, die im Moment im Dunkeln lagen. Eigenartigerweise gab es nirgends Türen.

„Also ihr wolltet wissen, woher ich euch kenne!“ begann Matt und bot den dreien an sich zu setzen.
Sie nickten und warteten auf Antworten.
„Ich habe eure Vermisstenanzeige gelesen!“
Adrian riss sofort die Augen weit auf. Er hatte die Anzeige in Internet gelesen. Fragwürdig war im Grunde nur, dass Matt sie sofort erkannt hatte, obwohl sie doch nun vierzehn Jahre jünger, als im Gesuch angegeben, waren.
Matt stand auf und ging zu einer der Kammern. Dort machte er Licht und begann irgendetwas zu suchen.
Kayleigh starrte gebannt in die Richtung und bemerkte einige Suchplakate. Sie stand auf, noch immer zu neugierig, und ging zur Kammer.
„Kayleigh, nicht!“ protestierte Adrian flüsternd und schlich ihr nach, um sie zurück zu ziehen.
Aber zu spät.
Sie standen nun in dem Durchgang und erblickten die Vielzahl an Steckbriefen und Suchplakaten.
„Oh!“ kam nur von Matt, der den Ausdruck des Vermisstenanzeige von Adrian und seiner Familie in der Hand hielt.
„Was ist das hier?“ platzte es irritierte aus Kayleigh heraus und sie zeigte auf die ganzen Zettel, mit denen die Wand zu tapeziert schien. Selbst der Schreibtisch, der neben der Tür stand, war voller Zettel. Und über dem Computer eine Weltkarte, an der eine Vielzahl bunter Pins steckten.
Nun schien er ein wenig verlegen über seine sonderbare Sammlung.
„Ich … beobachte!“ meinte er.
Kayleigh zog die Augenbrauen nach oben.
Barry stand nun ebenfalls in dem als Arbeitszimmer eingerichteten Raum. Er warf einen Blick auf die Steckbriefe und erkannte so einige wieder. Ein paar der Gesuche waren schon mehr als zehn Jahre alt, andere wiederum waren ziemlich frisch.
Und dann gab es eine Suchanzeige, die schon dreißig Jahre alt war. Sein eigenes Gesicht starrte ihm darauf entgegen. Er hatte vergessen, wie lange er bereits unterwegs war.
„Du beobachtest? Was soll das heißen?“ platzte es aus ihm heraus und er zeigte auf die Gesuche an der Wand, „Was soll das ganze hier?“
Er war gereizt, doch der Fremde blieb ruhig.
„Du hast versucht herauszubekommen, woher die Schlüssel stammen!“ dachte Kayleigh laut, „Woher kommen sie?“
Nun war Matt wieder sprachlos und suchte nach den richtigen Worten.
„Versucht ja!“ meinte er matt, „Aber herausgefunden habe ich nicht viel!“
Er bat sie mit einem Handzeichen wieder zurück Richtung Wohnzimmer zu gehen. Und als sie ihn fragend ansahen, meinte er nur, dass er für sie keine Gefahr sei.
Und wieder war es Kayleigh, die ihm vertraute. Vielleicht lag es an dem Gefühl ihn zu kennen oder in der Hoffnung, dass er endlich ein paar Antworten geben konnte, die sie und ihr Bruder verzweifelt suchten.
Erst als sie wieder Platz genommen und Matt ihnen etwas zu Trinken gegeben hatte, begann er zu erzählen, was er wusste.

„Viel habe ich nicht erfahren!“ gab er zu, „Die Schlüssel sind anscheinend sehr alt.“
„Woher kommen sie? Und wozu sind sie da?“ wollte Adrian sofort wissen.
Matt schüttelte den Kopf.
„Ich weiß nur, dass sie in den letzten dreißig Jahren sehr aktiv geworden sind. Es sind anscheinend immer mehr Schlüssel geschaffen worden. Doch wozu, weiß ich nicht!“
„Wer hat die Schlüssel gemacht?“ Barry brannte die Frage schon lange auf der Seele.
„Da gibt es verschiedene Geschichten! Mal heißt es es seien Magier gewesen, ein anderes Mal waren es irgendwelche Traumreisende und dann gibt es noch das Gerücht mit den Schlüsselmeistern!“
Barry zog die Augenbrauen zusammen. Soviel hatte er selbst schon in Erfahrung bringen können.
„Es gibt auch noch Geschichten über den Raum der tausend Türen oder auch welche von einem verborgenen Schlüssel!“ erzählte Matt mit müder Stimme.
Kayleigh überlegte kurz und dann fiel auch ihr eine Frage ein.
„Wie erkennt man einen funktionierenden Schlüssel?“
Selbst Barry warf ihr einen irritierten Blick zu.
„Das können nicht viele! Aber es heißt, dass diejenigen die einen Schlüssel erkennen auch die Durchgänge erkennen können!“ kam von Matt.
Barry richtete sich an Kayleigh und wollte von ihr das Buch.
„Das hier ...“ begann Barry und stoppte mitten im Satz als er den überraschten Blick Matts sah.
„Man hat uns gesagt, dass es eine Art Reiseführer sei!“ unterbrach Kayleigh die entstandene Stille.
Matt traute sich nicht das Buch zu berühren, obwohl es ihm deutlich unter der Fingern juckte.
„Es kann euch durchaus helfen!“ meinte er dann zu ihr.
„Wie soll es uns helfen? Da steht doch nichts drin!“ bemerkte Adrian sarkastisch.
„Ihr müsst die Geschichte darin finden!“
Keiner verstand so recht, was Matt damit meinte. Aber er gab keine genauere Antwort.
„Wieso verändert sich der Text auf den Schlüsseln und im Buch?“ wollte Kayleigh wissen. Doch auch dass konnte Matt ihr nicht wirklich beantworten. Alles was er wusste, waren im Grunde nur irgendwelche Gerüchte.

Wieder brach bedrückende Stille aus. Matt konnte keine wirklichen Antworten liefern, weswegen er sich ein wenig schlecht fühlte. Schließlich hatte er sie zu sich gebracht, um ihnen irgendwie weiter zu helfen.
„Hast du jemals jemanden von denen gefunden?“ wollte Kayleigh wissen und zeigte in Richtung Arbeitszimmer.
„Leider nein!“ gab Matt zu, „Einige tauchten von allein wieder auf und fanden dann irgendwie heim. Aber andere … blieben spurlos verschwunden!“
Er klang ein wenig traurig, so als habe sie ihn gerade an etwas schlimmes erinnert.
„Mein Dad und meine Tante sind … verschwunden!“ meinte Kayleigh ebenfalls bedrückt, „Und wir sind auf der Suche nach ihnen!“
Adrian nickte nur und sah Matt an, als hoffte er, dass er einen Hinweis auf ihren Verbleib geben könnte.
Doch er schüttelte nur den Kopf.
„Manchmal tauchen die Reisenden nur wenige Sekunden später woanders wieder auf und werden gefunden. Manchmal aber sind sie über Tage oder auch Monate in einem Durchgang verschwunden. Und dann gibt es noch die Türen, die einen Jünger machen, sodass man den Vermissten nicht mehr erkennen kann! Und ...“
Plötzlich verstummte Matt wieder und sah sie mitleidig an.
„Und was?“ Kayleigh war kaum noch zu hören.
„Manche kommen um oder werden getötet. Von Mitreisenden, die ihnen die Schlüssel rauben wollen!“
Alle drei schluckten schwer.
„Nicht nur der, der hinter der Tür lauern könnte, ist gefährlich. Meist ist es auch derjenige, der an deiner Seite reist!“ kam leise von Matt.
Wieder schwiegen sie alle.
„Gibt es einen Weg, wie man an ein bestimmtes Ziel kommt?“ Noch immer schien Kayleighs Stimme recht schwach.
Matt sah sie fragend an.
„Na ja! Du hast uns vom Café hierher gebracht. So als hättest du gewusst, wie du dass du hier landest!“ meinte sie etwas bestimmter, „Du musst also deinen Schlüssel lenken können!“
„Nur den einen!“ Matt zeigte eine Karte hoch, auf der ein Comic-Känguru im roten T-Shirt grinste.
„Allerdings funktioniert das auch nur zwischen meinem Haus und dem Café!“
Er schien sich nicht ganz so sicher zu sein.
Dennoch nickte Kayleigh nur, so als hätte sie verstanden.

„Ihr müsst vorsichtig sein!“ kam von Matt.
Wieder sahen sie ihn fragend an, so als erwarteten sie mehr von ihm zu erfahren. Und wieder gab er keine ausreichenden Informationen. Wie sollte er auch? Wusste er doch nicht wirklich mehr als sie.
„Ihr solltet euch mehr Zeit nehmen auf eurer Suche!“
Matt stand auf und ging erneut ins Arbeitszimmer. Als er wieder kam, hielt er eine Schlüsselkarte in der Hand.
„Ich kann euch nur raten, nicht immer so schnell von einer Tür zur nächsten zu laufen! So werdet ihr nichts herausfinden!“
Er hielt Kayleigh die Karte hin.
„Und manchmal ist es auch gut, sich vom Reisen auszuruhen!“
Kayleigh nahm die Karte und sah fragend darauf. Es war irgendein undefinierbares grünes Bild darauf.
„Vielleicht solltet ihr euch nun wieder auf die Suche machen!“ meinte Matt nur.
Er sah Kayleigh merkwürdig an.
Adrian bemerkte Matts Blick.
„Was ist?“ wollte er wissen.
„Nichts! Ich drück euch nur die Daumen, dass ihr eure Familie wiederfinden werdet und dass euch nichts passiert!“ antwortete Matt nur und ging zur Treppe.
Kayleigh steckte die Karte ins Buch und das wieder zurück in ihre Umhängetasche, die sie trotz Rucksack noch immer mit sich trug. Dann setzte sie ihren Rucksack wieder auf und ging langsam zu Matt hinüber.
Auch die Jungs luden ihre Rucksäcke wieder auf.
Vielleicht hatte er recht und es war Zeit weiter zu ziehen.
Zusammen gingen sie Treppe hinauf und Matt schloss die Tür, hielt eine weitere Schlüsselkarte dagegen und öffnete sie wieder.
„Ihr müsst vorsichtig sein! Einige sind nur darauf aus die Schlüssel zu sammeln und sie gehen, wenn es sein muss, dafür auch über Leichen!“ erklärte Matt noch einmal und machte den Weg für sie frei.
Diesmal konnten sie das Ziel ihres Durchgangs erkennen. Es mutete italienisch an.
„Ich drück euch die Daumen!“ meinte Matt dann und lies sie die Drei gehen.
Bevor Kayleigh durch die Tür ging, drückte er ihr noch einen Umschlag in die Hand.
„Das könnt ihr sicherlich gebrauchen!“ meinte er nur.
„Komm schon!“ Adrian packte seine Schwester bei der Hand und zog sie mit sich.
Sie konnte keine weiteren Fragen stellen oder noch irgendwas zu Matt sagen. Sie waren auf der anderen Seite der Tür angelangt.
Noch immer konnten sie ihn sehen. Vermutlich konnte man immer auf die andere Seite der Tür schauen, solange sie offen war.
Matt sah bekümmert aus. Sorgenvoll. Und dann schloss er die Tür und er war verschwunden.
Da wo er gerade noch eben war, in seinem aus Fels gehauenen Flur, war nun eine blau gestrichene Holztür mit einem gebundenen Kranz aus Kräutern.

Die drei setzten noch einmal ihre Rucksäcke ab, zogen wieder ihre Jacken über und gingen dann schweigend den gepflasterten Weg entlang.
Zu viele Fragen in ihren Köpfen.
Nikita LaChance
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 11:51

Kapitel X

Wind umwehte ihn. Trocken und warm.
Er hatte keine Ahnung, wie er hier her gelangt war. Auch wusste er nicht, wo er war. Aber da dies mit Sicherheit nur ein Traum war, war es auch irgendwie egal.
Die Landschaft war bedeckt von rotem Sand und mittendrin einige Löcher, so als habe sich ein überdimensionales Erdhörnchen daran gemacht, seine Höhlen zu bauen.
„Hey, Junge, sei vorsichtig!“ rief ihm jemand zu und zog ihn zurück.
Erschrocken blickte er sich um. Zu dem Mann, der ihn soeben davor bewahrt hatte, in eines der Löcher zu stürzen.
Der Mann war über und über mit Staub bedeckt und in seiner Hand hielt er einen Spaten. Und neben dem Mann eine kleine Hütte aus schlecht zusammengeschusterten Holzbrettern. Womöglich die Behausung des Mannes.
„Wo kommst du eigentlich her?“ wollte der Mann wissen.
Gute Frage! Er wusste es nicht. Nicht wirklich.
„Wo bin ich hier?“ wollte er wissen. Seine Stimme klang ziemlich verschreckt.
Der Mann zog die Augenbrauen zusammen und sah sich um. Anscheinend suchte er nach dem Gefährt, mit dem der Junge hierher gekommen war.
„Coober Pedy!“ antwortete er dann, ohne eine nähere Erklärung abzugeben.
Noch einmal suchte er in der sandigen Landschaft nach jemanden, der zu dem Jungen gehören könnte. Doch da war niemand.
Nur er und der Junge.
„Besser wir gehen erstmal ins Haus und dann ...“ begann der Mann. Er schien hilflos und wusste nicht, was er mit dem Jungen tun sollte.
Er gehörte nicht hierher. War fremd und die Gegend war nicht unbedingt geschaffen für ein Kind, das alleine zu sein schien.
Der Junge ging zur Tür. Egal wie ängstlich er im Moment war, der Schatten der windschiefen Hütte wäre allemal besser als die heiße Sonne.
Als er die Tür öffnete und hindurch ging, hatte er eigentlich erwartet, in einer staubigen Bretterbude zu stehen. Aber es war ein großes und dunkles Zimmer, mit einem weichen Bett, einem mit Büchern belegten Schreibtisch und einem großen übervollen Bücherregal. Selbst auf dem Boden lagen Bücher, sodass man den Raum beinahe schon mit einer kleinen Bibliothek verwechseln könnte.
Es war sein Zimmer. Daheim im Haus seiner Eltern.
Den nächsten Morgen erwachte er mit einem sonderbaren Gefühl und einem trockenen Hals. Ihm war der Traum so real vorgekommen.
Und mit einem Blick in den Spiegel bemerkte er den roten Staub auf seinem Pyjama.
War er schlafgewandelt? Doch von wo kam dann der Staub?
Lange dachte er nicht darüber nach, denn seine Eltern riefen sofort nach ihm. Und den ganzen Tag musste er sich ihre Predigt anhören, dass er sein Leben vertrödeln würde.

Erst ein paar Tage später dachte er wieder an seinen sonderbar realen Traum. Allerdings war ein weiterer Traumausflug der Grund dafür.
Diesmal aber fand er sich nicht in irgendeiner ihm unbekannten Sandlandschaft wieder. Er war irgendwo in einer ihm fremden Stadt. Er war, wie auch beim letzten Mal im Pyjama unterwegs.
Die Bewohner der Stadt waren zu recht irritiert vom Auftauchen des Jungen. Sie tuschelten untereinander, aber was sie sagten verstand er nicht. Und so schön die ihm fremde Stadt auch war, so machte es ihm doch auch Angst, dass er nicht wusste was sie sagten.
Er überlegte, wie er wieder zurück käme.
Aufwachen! Logisch! Doch er schien wach zu sein.
Und dann auf einmal packte ihn jemand. Ein älterer Herr mit finsterem Gesichtsausdruck. Er beschimpfte ihn und die Bewohner schienen dem Herrn zuzustimmen.
„Du musst aufwachen!“ flüsterte der Junge sich immer wieder zu. Doch er wachte nicht auf.
Irgendwie schaffte er es, sich aus dem Griff zu befreien und er rannte los. Die blanke Panik hatte ihn nun erfasst. Nicht nur, dass er nicht wusste wo er war, hier schien man nicht ganz so friedlich auf seinen Besuch und vor allem hatte er nicht die geringste Ahnung, wie er zurück kam bzw. wie er endlich aus seinem eigenwilligen Traum aufwachen konnte.
Er rannte. Immer weiter.
Er brauchte ein Versteck, fiel ihm ein und er stürmte auf die erstbeste Tür zu. Er riss sie auf und wie schon bei seinem vorherigen Traumausflug fand er sich in seinem Zimmer wieder.
Und wie auch schon zuvor, oder eigentlich wie fast jeden Tag, waren seine Eltern wieder dabei ihn in Misskredit zu ziehen.

Es waren nun schon mehrere Ausflüge gewesen, wobei er sich noch immer nicht sicher war, wie sie von statten gingen. Und nun saß er, wie so oft mit seinem älteren Bruder in dem Salon seiner Eltern und grübelte über einen gemeinsamen Roman nach.
Bis jetzt hatte er seine Ausflüge geheim gehalten. Niemand würde es ihm glauben. Selbst dann nicht, wenn er seine Souvenirs präsentierte. Selbst dann würden sie nur denken, dass er alles geträumt habe und dann mit Hilfe der vielen Bücher, die er las, detailliert zusammen gesponnen habe.
Immerhin war er sich nun sicher, dass sie keine Träume waren. Er war wirklich dort gewesen. Er hatte, wenn man es mal so sah, die halbe Welt bereist. Natürlich nicht auf dem herkömmlichen Weg. Aber er war schon an einigen Plätzen gewesen, von denen er vorher noch nicht einmal gelesen hatte. Bei seinen letzten Ausflügen hatte er zum Glück auch keinen Pyjama mehr getragen, obwohl er mitunter oftmals die falsche Kleidung trug. Mal zu warm, mal zu kalt.
Die Brüder versuchten zu ignorieren, dass sie bald nicht mehr so oft zusammen sein konnten. Der Ältere sollte auf die Wirtschaftsschule und danach das Geschäft seines Vaters zu übernehmen.
„Ich wünschte, ich müsste nicht dorthin!“ meinte sein Bruder plötzlich, „Ich wäre lieber irgendwo anders, als an dieser dämlichen Schule!“
Und dann fiel es ihm wieder ein.
Verpackt als eine Idee für ihren gemeinsamen Roman erklärte er ihm seine Art zu reisen.
„Das funktioniert doch so gar nicht!“ war die Reaktion des Bruders.
„Ist doch nur eine Idee!“ verteidigte er sich, „Für die Geschichte!“
„Klar doch, James!“ lachte der Ältere.
Weiter konnten sie beide an dem Tag nicht reden. Weder über die Planung ihrer Geschichte noch konnte James seinem Bruder irgendetwas von seinen Ausflügen erzählen. Wieder einmal hatten die Eltern seinen Bruder zu sich gerufen und wieder einmal sollte es um dessen Zukunft gehen.
Um James Zukunft machten sie sich keine Gedanken, denn er galt es längst als der missratene Sohn.
Und so begann James einfach alles aufzuschreiben, was ihm einfiel.

In den kommenden Tagen hatte James eine Menge von seinen Reisen notiert. Allerdings er die Geschichte nicht wie eine Art Tagebuch aufgebaut. Viel mehr schien dies nun ein vollkommen eigenständiger Roman zu werden, in denen er alles hineinschrieb was er gesehen oder auch nur gehört hatte.
Er hatte auch begonnen zu zeichnen. Zweifellos hatte er am Anfang wenig Talent dafür, aber je mehr er zeichnete um so besser wurde er.
Sein Bruder schien mehr als begeistert von dem Roman, obwohl er keine Erklärung erhielt, woher James die Idee dazu her habe.
Auch verschwieg James noch immer, dass er fast täglich einige Ausflüge irgendwohin unternahm. Wie hätte er auch erklären sollen, wie es funktionierte? Wusste er es selbst nicht so genau!
Er wusste, dass er durch eine Tür gehen konnte und dann irgendwo in einer anderen Stadt oder sogar in irgendeinem anderen Land aus einer Tür heraustrat. Und er hatte herausgefunden, dass die Türen eine Art Schlüssel benötigten. Doch keine gewöhnlichen. Es waren vielmehr kleine Karten. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie die Karte seiner ersten Reise ausgesehen hatte. Sein erster Schlüssel? Hatte er überhaupt einen gehabt?
Es kamen der Tag an dem er von seinem großen Bruder Abschied nehmen musste. Während er noch immer in die Mittelstufe ging, musste sein Bruder auf die Wirtschaftsschule.
James umgab sich wie jeher mit seinen ebenso wenig beliebten Freunden. Ein Paar von ihnen hatte einen Blick in seinen Roman werfen dürfen. Aber auch sie glaubten dabei nicht daran, dass sie auf mehr oder weniger realen Erlebnissen von ihm basierten.
„Die Geschichte ist wirklich klasse!“ fand seine zwei Jahre ältere Freundin. Seine Eltern waren gegen die Freundschaft. Weniger weil sie älter war, als vielmehr der Tatsache wegen, dass sie aus Deutschland stammte und vor allem, da sie wie auch James andere Freunde nichts gutes vorweisen konnten.
Zweifelsohne würde James auf ewig der Verlierer sein, für den seine Eltern ihn hielten.
James älterer Bruder war schon immer der Lieblingssohn gewesen. Der auf den sie bauten und der als einziger das Familiengeschäft fortführen konnte.
Doch schon wenige Monate nachdem der gute Sohn auf die Wirtschaftsschule ging, fern ab der elterlichen Kontrolle, hatte sich einiges geändert. Ihr Lieblingssohn war rebellisch geworden, nahm Drogen und scherte sich nicht mehr um eine gute Ausbildung. Ihm war seine Zukunft egal.

James hatte seinen Roman noch nicht fertig geschrieben. Seitdem sein Bruder gegangen war, war es ihm immer schwerer gefallen sich auf den Text zu konzentrieren, obwohl seine Story eine Art Eigenleben entwickelt hatte. Auch hatte er weniger Ausflüge unternommen.
Als sein Bruder wieder einmal im Elternhaus zu Besuch war, gab es einen heftigen Streit zwischen dem Lieblingssohn und seinen Eltern.
James hatte sich wie so oft im Salon versteckt und konnte alles mit anhören.
Und nicht nur dass seine Eltern seinem Bruder vorwarfen, dass er sein Leben vergeuden würde, sein Bruder wollte nichts mehr mit der Familie zu tun haben.
Wutentbrannt stand er in der Tür und verlangte von James den Roman, welchen er so gut wie immer bei sich trug.
Doch James wollte das Buch nicht einfach weggeben. Es war so etwas wie ein Teil seines Lebens und das wollte er nicht einfach wegnehmen lassen.
Und nach langem hin und her, gab der Ältere auf und lies ihm das Buch.
Er ging wieder.
Wenig später öffneten James Eltern den Salon, da sie mit ihrem einstigen Lieblingssohn sprechen wollten.
James verstand nicht. Sein Bruder hätte an ihnen vorbei gehen müssen. Doch er war es nicht.
Er war verschwunden.

Seine Eltern suchten lange nach ihrem älteren Sohn. Sie taten alles um ihn wiederzufinden.
Doch er war spurlos verschwunden.
James hatte einen Verdacht, was passiert war. Und er fühlte sich schuldig.
Er hatte seinem Bruder noch eine seiner kleinen gezeichneten Kärtchen gereicht. Eine der Karten, die er selbst für seine Ausflüge nutzt.
Und so versuchte er auf seine Art seinen Bruder wiederzufinden. James reiste durch so gut wie die ganze Welt, doch seine Suche blieb erfolglos.

Die Jahre vergingen. Seine Eltern hatten mit der Zeit jegliche Hoffnung ihren Ältesten zu finden aufgegeben und das Familiengeschäft war mit den Jahren immer weiter den Bach herunter gegangen, so wie viele andere Geschäfte in der Gegend.
James hatte geheiratet und wieder Erwarten seiner Eltern hatte er es zu Geld gebracht. Wie er dies geschafft hatte, hielt er geheim. Ebenso wie seine Ausflüge und auch seinen noch immer unfertigen Roman.
Insgeheim suchte er noch immer nach seinem Bruder.
Zweiundzwanzig Jahre waren nun vergangen, seit sein Bruder spurlos verschwunden war. Und so einiges war geschehen. Dinge, für die sich James schuldig fühlte.
Und um seine Familie zu schützen, plante er, selbst zu verschwinden. Ohne ein Wort.
Nikita LaChance
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