Schlüssel der Welt




Unterhaltungsliteratur in ihren verschiedenen Formen, wie beispielsweise Romane, Erzählungen, Kurzgeschichten, Berichte, Märchen und Sagen

Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 12:00

Kapitel XXI

Kayleigh war nach einer Weile eingeschlafen, bewacht von ihrem Bruder, der sich neben sie aufs Bett gesetzt hatte. Es erinnerte ihn irgendwie an die Zeit kurz nach dem Tod ihrer Mutter. Da hatte Kayleigh auch immer Einschlafprobleme gehabt, so hatte es ihr Dad genannt. Im Grunde hatte sie Angst allein zu sein, so wie jetzt auch.
Adrian schlief auch irgendwann ein. Es kann nun mal ziemlich langweilig sein, jemanden beim Schlafen zu beobachten.
Die anderen drei unterhielten sich noch eine kleine Weile, ehe sich auch Jentrix schlafen legte. Dearon wollte die Wache übernehmen. Es sei sicherer, so seine Meinung, denn es könnte irgendwer auftauchen. Allerdings hatten sie, dadurch dass sie die Türen alle einen kleinen Spalt offen ließen, dafür gesorgt, dass niemand unbemerkt in den Raum kommen konnte. Nur war nun die Eingangstür für die normalen Leute offen, und die brauchten dann keinen magischen Schlüssel um hinein zu gelangen. So oder so, ob nun mit offener oder geschlossener Tür, war es riskant. In beiden Fällen könnte ein unerwünschter Besucher auftauchen und für reichlich Ärger sorgen.
Barry suchte sich einen Platz, von wo aus er die Eingangstür und auch die anderen beobachten konnten. Noch immer traute er Jentrix und Dearon nicht. Er kannte sie schließlich noch weniger als die Geschwister.

Wieder ein Alptraum und wieder das Erwachen in unbekannten Zimmer. Kayleigh hasste es.
Ein paar Minuten starrte sie an die dunkle Decke.
„Alles okay bei dir?“ flüsterte jemand.
Es war nicht ihr Bruder, denn der schlief noch, wie man deutlich hören konnte.
Dearon setzte sich zu ihr ans Bett.
Sie nickte nur, obwohl sie sich sicher war, dass er dies in der Dunkelheit kaum erkennen würde.
„Du hast ziemlich oft Alpträume, oder?“ stellte er fest.
Wieder nur ein Nicken von ihr.
„Manchmal hilft es, wenn man darüber redet!“ Es klang wie ein Angebot.
Aber Kayleigh wiegelte ab.
„Er wäre dann sicher sauer auf mich!“
„Dein Bruder?“ Dearon verstand nicht, was sie damit meinte. Sehr wohl aber, dass er den Grund nicht erfahren würde.

Für ein Moment herrschte Stille, außer dem Schnarchen ihres Bruders.
„Was hast du vorher gemacht?“ wollte sie dann von ihm wissen, „Ich meine, vor … deiner Reise!“
Er lachte leise auf.
„Reise klingt gut!“
Dann überlegte er kurz. Nicht was er ihr erzählen sollte, als vielmehr dachte er darüber nach was vorher war.
„Ich war auf dem Weg zu einem Casting!“ begann er.
„Casting?“ Ihr war bewusst geworden, dass sie bis jetzt außer den Namen und ihrem Alter nichts über Jentrix und Dearon wusste. Nun gut, sie wusste auch, dass beide aus Texas stammten und sich erst durch ihre Reise kennen gelernt hatten.
„Ich sollte für einen Teeniefilm vorsprechen!“ Er fand dies irgendwie komisch, denn das Lächeln war in seiner Stimme zu hören. Im Grunde war dies ein wenig komisch, da er nicht mehr Teenager war. Aber in der Filmwelt kann man mehr oder weniger mit dem Alter tricksen.
„Was ist passiert?“ frage sie leise nach, als er noch immer über sein Alter nachdachte und dann das Alter, was er hätte in dem Film haben sollen. Da lagen mehr als fünf Jahre dazwischen.
„Ich hab zuhause in L.A. meine Koffer gepackt, mich von meiner Verlobten verabschiedet und bin zur Wohnungstür raus!“
Das klang wenig spektakulär. Und so erzählte er weiter.
„Ich landete in Chicago, in der Nähe des Flughafens. Das ganze hat nur wenige Minuten gedauert.“
„Was hast du da gedacht?“ Sie konnte sich sehr gut an ihren ungewöhnlichen Reisestart erinnern. Etwas, was sie noch immer nicht so richtig glauben mochte.
Er lachte erneut.
„Ehrlich gesagt, hatte ich noch einen ziemlichen Kater, weil ich einen Tag vorher noch mit ein paar Kumpels eine Party geschmissen hatte. Also dachte ich, dass meine Kumpels mich einfach nach Chicago bugsiert haben.“
„Deine Kumpels …?“
„Das haben sie schon einmal mit mir gemacht, kurz nach meiner Verlobung. Und einmal hab ich den Streich auch einem von ihnen gespielt!“ verteidigte er sich kurz.
„Aha!“ Ein klein wenig erinnerte sie es an einen Film, den sie kurz vor ihrer Reise gesehen hatte. Nur dass dort die Streichspielenden nicht mehr erinnern konnten, wo sie ihr Opfer versteckt hatte.
„Ich bin also vollkommen verpeilt ins nächste Flugzeug zurück nach L.A. und erstmal wieder zu meiner Wohnung. Allerdings hätte ich wohl eher auf den Weg zum Casting machen sollen, als daheim noch einmal aufzutauchen zurück.“ meinte er bedrückt.
„Wieso?“
„Tja, meine Verlobte war …“ Er überlegte kurz, „... ziemlich beschäftigt! Sie hat sich mit irgendeinem Typen vergnügt, kaum dass ich aus der Wohnung war.“
Er holte Luft.
„Also hab ich mir gedacht, einfach weg zu gehen. Ich hatte meine Papiere und mein Gepäck und bin wieder aus der Tür raus. Und natürlich wieder irgendwo anders gelandet.“
Kayleigh grübelte kurz. Es kam ihr zu eigenartig vor, die Reise als einfachen Streich abzutun und das ganze dann noch einmal zu machen, wenn man doch die Wahl hatte.
„Tja, meine Verlobung war natürlich geplatzt und ich schmiss das Casting!“ beendete Dearon seine Erzählung.
„Du bist also Schauspieler?“ fragte sie müde. Nicht dass seine Erzählung so lahm gewesen sei. Viel eher war es schlichtweg der fehlende Schlaf, der sie nun wieder übermannen wollte.
„Nicht ganz!“
„Wie kann man nicht ganz Schauspieler sein?“
Er seufzte kurz.
„Als Kind hab ich zwei Jahre lang in einer Familienserie mitgespielt, an die sich keiner mehr erinnert. Ich war vier, als ich anfing als Schauspieler. Dann bekam ich nur noch sehr kleine Nebenrollen. Und meine größten Erfolge als Teeniedarsteller waren dann Nebenrollen im TV als Unfallopfer in einer Arztserie oder auch mal als Mordopfer in einem Krimi.“
„Aber es hat dir gefallen, oder?“
„Irgendwie schon. Aber ich bekam eine Zeit lang nur irgendwelche Rollen als bester Kumpel in Teenie-Soaps oder in Liebesschnulzen.“ antwortete er, „Ich hätte gern mal was in Richtung Action oder Mystery gemacht. So was wie Akte X oder so!“
Von Kayleigh kam nur noch ein leises „Mhm!“
„Du solltest wohl besser schlafen!“ meinte Dearon leise zu ihr.
Er bemerkte, dass Barry nur so tat als schliefe er. Aber im Moment war dies egal.
Kayleigh war eingeschlafen und ihm wurde ein klein wenig langweilig, also schnappte er sich seinen Laptop und spielte eines der vorprogrammierten Kartenspiele.

„Hey, Prinzessin! Aufwachen!“ Jentrix tippte ihr auf die Schulter.
„Wie spät ist es?“ wollte sie verschlafen wissen.
„Mhm … schwer zu sagen, bei dem ganzen hin und her! Wir müssten eigentlich einen ganz schön heftigen Jetlag haben!“ Er grinste kurz, „Also sagen wir es mal so, hier dürfte es Mittag sein!“
Kayleigh sah ihn irritiert an.
Er seufzte, so als habe sie seinen Witz nicht verstanden.
„Laut TV-Nachrichten ist es nun zwölf Uhr mittags!“ verbesserte er sich.
„Okay!“ kam daraufhin nur von ihr. Sie stand auf, wobei sie im ersten Moment erst mal ein wenig Mühe hatte. Noch immer erschien ihr der rechte Arm zu schwer. Aber dagegen konnte sie nichts tun.
Sie wollte als erstes aus dem Krankenhaushemd. Es war weder so richtig bequem noch in irgendeiner Weise vorteilhaft. So kramte sie in ihrem Rucksack nach einem T-Shirt, bei dem die Ärmel etwas lockerer waren, sodass sie es über ihren Gips bekam. Mit dem Shirt in der Hand ging sie ins Bad und lies die Tür hinter sich nur einen winzigen Spalt offen. Sie hatte mehr Angst davor, dass irgendein fremder Reisender durch die Tür kommen konnte, als davor, dass einer der Jungs durch den Türspalt linsen könnte.
Nachdem sie sich nun ohne gestört zu werden umgezogen und auf Toilette erleichtert hatte, kämmte sie ihre langen Haare mit den Fingern durch. Besser würde sie das schwarze Gewussel auch nicht frisieren können.
Als sie zu den Jungs in den Raum zurück ging, hielt Jentrix ihr gleich einen Becher Cappuccino hin und eine kleine orangefarbene Dose.
„Was ist das?“ wollte sie irritiert wissen.
„Aspirin! Könnte dir gegen die Schmerzen helfen!“ meinte er und zeigte auf ihren Gips, „Und hier gibt’s noch ein wenig Frühstück!“
Sie setzte sich an den Tisch, an dem bereits ihr Bruder und Dearon saßen, der schon wieder an seinem Laptop herumspielte. Barry saß auf dem Bett, mit Kayleighs Buch in der Hand und versuchte wie immer aus dem Wenigen darin schlau zu werden.
Jentrix setzte sich neben Kayleigh und starrte eine Weile seinen Kumpel an.
„Was gibt’s neues?“ platzte es ihm dann, da Dearon nicht reagierte.
„Nun, ein Erdbeben in Asien, ein Vulkanausbruch, der den Flugverkehr in Europa lahm gelegt hat, einen ewig andauerten Krieg … Also was genau interessiert dich daran?“ wollte dieser im Gegenzug wissen. Anscheinend hatte er gerade ein paar Nachrichten im Internet gesehen, dass er so genau aufzählen konnte, was in der Welt so passiert war.
Jentrix wusste dass Dearon nur so tat, als sei er genervt.
„Hast du … was über meine Familie gefunden?“ kam schüchtern von Kayleigh, die an einem belegten Brötchen herum kaute.
„Na ja, die Suche ist nicht ganz so einfach!“ stellte Dearon gleich fest, „Es ist ja nicht so, als hätten sie ein Peilgerät an sich.“
Kayleigh sah ihn erwartungsvoll an.
„Es gibt keine Nachrichten über ein plötzlich aufgetauchtes Paar! Sorry!“ verbesserte er sich.
Dennoch suchte er weiter.
„Mhm? Die Seite muss neu sein!“ kam dann von ihm.
Adrian neben ihm sah ebenfalls ein wenig irritiert drein.
„Eine Vermisstenwebseite!“ stellte dieser dann fest. An sich nichts besonderes. Nur war hinter einigen Namen ein Sternchen, ohne jedoch eine Erklärung was dies bedeuten könnte.
Dearon drehte den Laptop zu Kayleigh und Jentrix, damit auch sie einen Blick darauf werfen konnten.
„Ich glaube, die Sternchen sind Reisende!“ war Jentrix Meinung.
„Nicht ganz, glaube ich!“ Kayleigh zeigte auf die Namen ihrer Familie. Hinter dem Namen ihres Vaters und ihrer Tante war ein Sternchen, hinter dem von ihr und ihrem Bruder allerdings nicht.
„Und was ist es dann?“ wollte Jentrix von ihr wissen.
„Vielleicht ist es eher eine Liste der Vermissten, die man irgendwo gesehen hat!“ antwortete sie und wollte mit der linken Hand den Laptop zu sich ziehen.
Aber Jentrix sah sie mit großen Augen an.
„Kannst du mal den Namen oder den Stern dahinter anklicken?“ Sie zeigte auf den Namen ihres Vaters.
„Und dann?“ fragte Jentrix und tat es ohne auf ihre Antwort zu warten.
Es öffnete sich eine kleine Detailinfo unter dem Namen, die lediglich ein Datum und einen Ort enthielt.
„Was ist das?“
„Russland, Militärbasis!“ las Kayleigh vor. Das war der Ort gewesen, wo man ihren Vater und ihre Tante erwischt hatte. Von ihrem Auftauchen gab es sogar einen Beweis auf Video, das nun ebenfalls einen Weg ins Internet geschafft hatte. Und das Datum hinter dem Ort, schien das Datum der Sichtung zu sein.
„Ist bestimmt nicht einfach, alle Vermissten raus zu suchen und dann noch raus zu kriegen, wo sie aufgetaucht sind!“ stellte Jentrix fest.
Dann fuhr er scrollte er die ganze Seite ab, suchte nach versteckten Buttons oder Links. Doch er fand außer der ungewöhnlichen und langen Liste nichts weiter.
„Hier steht nur nicht, wer sich die Mühe gemacht hat!“ war sein Resultat.
Kayleigh widmete sich wieder ihrem Essen zu, wobei sie nach grübelte, wer der Urheber der Seite sein könnte. Ihr fiel lediglich Matt aus Australien ein, der eine ganze Wand voller Vermisstenanzeigen in seinem Arbeitszimmer hatte. Aber ob er diese enorme Recherche fürs Internet ausgeweitet hatte?

Barry unterdessen hatte das Buch mehrmals durchgeblättert. Bei den ersten zwei Malen stand lediglich darin, dass es jemanden gab, der die Gefahr der Schlüssel und ihrer Nutzer sah und versuchte seine Familie zu beschützen. Wie er dies tat und wer er überhaupt war, stand allerdings nicht drin.
Dann war beim dritten Durchblättern der Text plötzlich verschwunden und es tauchte ein neuer auf. Er war viel länger und erzählte von einem Streit zweier Brüder.
Barry las den Text im Ganzen, aus Angst er könnte sofort wieder verschwinden. Doch nachdem er erneut ein paar Mal vor und zurückblätterte, in der Hoffnung auf weitere und wenn möglich brauchbarere Informationen, fand er den Text immer wieder auf den selben Seiten. Anscheinend hatte sich das Buch überlegt, nun nicht mehr seine Texte verschwinden zu lassen, was an sich ein recht eigenwilliger Gedanke war. Schließlich war das Buch kein Lebewesen! Jedenfalls nicht im klassischen Sinne!
Der Text blieb und mit ihm das Gefühl endlich ein klein wenig aus der Vergangenheit der Schlüssel erfahren zu haben. Nur war es zu wenig um genug über die Herkunft der Schlüssel zu wissen.
Frustriert legte Barry das Buch wieder weg. Es würde ihm nichts weiter verraten.

Für einen Moment herrschte wieder Schweigen unter den Fünf. Einzig aus dem Laptop kamen ein paar Geräusche, die vermutlich Musik sein sollten. Nur hatte Jentrix den Ton runter gedreht und sah sich etwas belustigt eine Videoaufnahme eines irritierten alten Mannes an, der an einer Tür ohne Wand drumherum vorbei läuft, als da jemand durch tritt und vor dem Alten auftaucht. Nun gut, dies war durchaus möglich, da die Tür, obwohl ohne stützende Wand drumherum, noch immer einen Türrahmen hatte. Allerdings schien dieser Clip weniger ein Überwachungsvideo zu sein, als vielmehr ein Scherzfilmchen.
„Wir müssen noch einmal zur Tankstelle!“ fiel Kayleigh plötzlich ein und alle Jungs sahen sie an.
„Du weißt aber schon, dass wir kein Auto haben?“ bemerkte Adrian mit leicht sarkastischem Unterton.
„Da ist ein Schlüssel versteckt!“ antwortete sie nur kurz und knapp.
„Und das weißt du weil?“ kam sofort von ihrem Bruder.
„Weil ich den Schlüssel gesehen habe! So wie in London!“
Barry und Adrian nickten. Sie waren schließlich mehr oder weniger dabei gewesen. Jentrix und Dearon allerdings schienen ein klein wenig überrascht.
„Wie kommt es, dass du die Schlüssel erkennst und finden kannst und sogar die Durchgänge siehst?“ wollte Jentrix wissen.
„Und wie kannst du selbst eine Tür schaffen?“ war Dearons Frage.
„Ich … ich weiß nicht?“ Das stimmte sogar. Sie hatte keine Ahnung, woher ihre sonderbaren Kräfte stammten, wenn man es so nennen konnte. Allerdings hatten sowohl ihr Bruder Adrian als auch Barry ein paar funktionierende Schlüssel und die passenden Türen dazu gesehen. Da blieb eigentlich nur noch die Frage, woher sie die Fähigkeit hatte, einen Durchgang zu erschaffen. Dass sie nun anscheinend auch Schlüssel über Entfernungen spüren konnte, verriet sie lieber nicht.
„Nun gut, dann sollten wir uns den Schlüssel holen!“ kam sofort von Barry. Es war immerhin ein Schlüssel, ob nun im Moment brauchbar oder nicht. Er musste ihn bekommen, eh es ein anderer tat.
Also war dies beschlossene Sache.
Sie sammelten ihr Zeug wieder zusammen und zogen sich ihre Jacken wieder über. Kayleigh allerdings musste sich eine Jacke ihres Bruders leihen, da sie keine Möglichkeit sah, mit ihrem Gipsarm in ihre Jacken zu passen. So sah sie ein wenig lustig aus, da ihr Bruder größer als sie und die Jacke dementsprechend länger war. Das war im Grunde egal, so lange sie ihren Zweck erfüllte.

Sie gingen den Weg entlang, den Jentrix und Dearon in der Nacht genommen hatten. Nun am Tage sah die Gegend ein klein wenig anders aus.
„Wo sind wir eigentlich?“ wollte Adrian wissen, nur um die stille Wanderung durch die Straßen zu vertreiben.
„Mexiko!“ kam von Barry, der sich an Kayleighs Vermutung der Nacht erinnerte.
Bald schon sahen sie eine Straße, die neben einem Zaun verlief und ein Schild.
„Wir sind an der Grenze? Wow!“ meinte Adrian plötzlich, „Wir sind fast zuhause!“
Kayleigh sah ihn mit großen Augen an. Ihr Zuhause war nicht wirklich in der Nähe. Sie waren, so wie es das Straßenschild verriet, in Tijuana und auf der anderen Seite lag San Ysidro, Kalifornien. Boise, Idaho, ihr Zuhause, lag als noch in weiter Ferne.
„Wenn wir Papiere hätten, wäre es vermutlich einfach, über die Grenze zu gehen!“ kam von ihr, wobei sie ihren Bruder scharf ansah, „Allerdings kommst du mit den Schlüsseln schneller voran. Da braucht man keinen Ausweis!“
Adrian seufzte.
„Schneller ja! Wäre aber schön, wenn man sein Ziel selber wählen könnte!“ bemerkte er.
Sie nickte.
„Und wenn wir nach hause laufen, werden wir Dad und Meryl wahrscheinlich nicht verfolgen können!“ fügte er hinzu.
„Finden!“ verbesserte seine Schwester ihn.
Und wieder brach Schweigen aus.

Sie betraten die Tankstelle und Kayleigh blieb erschrocken stehen. Im Laden stand der selbe Kerl wie schon in der Nacht.
„Was ist?“ wollte Dearon gleich wissen. Irgendwie schien er immer ein wachsames Auge auf sie zu haben oder er hatte einfach nur ein gutes Gespür dafür, wenn es jemanden nicht so gut ging.
„Er … hat mich gestern … belästigt!“ kam leise und zaghaft von ihr.
Alle vier Jungs sahen den Mann finster an. Dass Adrian deswegen sauer war, war ja noch zu verstehen. Immerhin war er ihr großer Bruder. Bei den anderen dreien war diese Reaktion etwas irritierend.
„Such du den Schlüssel!“ meinte Jentrix zu ihr, „Der da, macht keine Probleme!“
Sie sah ihn panisch an. So wie er es gesagt hatte, klang es, als würden die Jungs den Kerl verprügeln wollen.
„Der Schlüssel!“ erinnerte er sie.
„Ihr tut ihm aber nichts!“ gab sie scharf zurück.
Er nickte, wenn auch genervt.
Erst dann suchte sie nach dem Schlüssel und zog ihn dann hinter einem Reihe Bierdosen hervor. Dass er niemanden sonst aufgefallen war, lag vermutlich daran, dass er mehr oder weniger wie ein Sticker an dem Wandregal hinter dem Bier klebte.
Sie hielt den Schlüssel, auf dem ein Werbemotiv einer wohl älteren Biersorte war, hoch, sodass ihn die Jungs sehen konnten.
„Wir sollten wieder los!“ meinte Barry dann, wobei die anderem ihm zustimmten.
Auch Kayleigh war dafür, dass sie wieder aufbrachen. Sie mussten nur noch einen Durchgang finden.
Der Typ von der Tankstelle sah immer noch ein wenig verängstigt aus, so als befürchte er noch immer, jeden Moment von den Jungs verprügelt zu werden. Allerdings war er auch irritiert, dass sich die Fremden so für einen Sticker begeistern konnten.
Die Jungs gingen zur Eingangstür und wartenden eigentlich nur noch darauf, dass Kayleigh zu ihnen aufschloss, als diese plötzlich stehen blieb und zur Hintertür des Ladens sah.
„Was ist?“ kam von Barry, „Ich denk wir wollen weiter?“
Kayleigh war sich nicht so sicher. Sie spürte wieder diesen sonderbaren Druck in der Magengegend.
Aber diesmal war es weniger ein Schlüssel, der dieses Gefühl bei ihre verursachte. Es musste etwas größeres sein.
„Kayleigh?“
Noch immer starrte sie auf die Hintertür.
Nun starrte auch der Tankwart hin, wusste aber nicht, was sie sah.
„Da geht’s nicht raus! Ist abgeschlossen!“ meinte er nur.
Aber dann ging die Tür auf.
„Wir sollten verschwinden!“ kam von Kayleigh. Panik in ihrer Stimme.
Sie ging mit dem neuen Schlüssel auf die Eingangstür zu, noch ehe sie sah, wer durch die Tür trat.
Sie hielt den Schlüssel noch nicht einmal richtig an die Tür, als sie sie öffnete.
Alle schienen irritiert zu sein, was sie auf der anderen Seite der Tür zu sehen bekamen. Es war nicht mehr Mexiko. Es schien ebenso staubig zu sein, aber viel lauter.
„Los!“ brüllte Kayleigh die Jungs an, „Wir müssen gehen!“
Die Jungs wussten nicht, weswegen sie so panisch reagierte. Dann aber sahen sie, wer durch den anderen Durchgang trat.
„Er schon wieder?“ bemerkte Barry. Nun wollte auch er weg.
Er ging voran, gefolgt von Kayleigh und den anderen drei.

Der Tankwart war einerseits überrascht, dass die Hintertür anscheinend nicht verschlossen war, andererseits war da noch die sonderbare Gruppe, die verschwunden war. Dass die Gegend vor der Tür nicht mehr die richtige war, war noch verwirrender.
Was nun geschah, war nicht minder irritierend.
Durch die Hintertür war ein Junge von knapp zehn Jahren getreten. Er sah verärgert aus. Ohne ein Wort zu dem Verkäufer, ging er zur Vordertür und hielt irgendein Kärtchen dagegen, ehe er die Tür öffnete. Auch bei ihm war auf der anderen Seite der Tür nicht mehr die mexikanische Ortschaft zu sehen. Hier war plötzlich eine ziemlich grün bewaldete Gegend.
Der Junge ging durch die Tür und verschwand.
Der Mann zweifelte an seinem Verstand und ging zur Hintertür, nur um festzustellen, dass diese wirklich verschlossen war. Und auch hinter der Vordertür war keine andere Landschaft als die übliche zu sehen.
Was war hier also geschehen?
Nikita LaChance
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von Anzeige » So 3. Apr 2011, 12:00

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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 12:00

Kapitel XXII

James war gerade eben wieder von einer seiner Reisen zurückgekehrt. Er hatte sich längst daran gewöhnt, einfach durch die Tür zu gehen und in einer anderen Gegend zu landen. Im Grunde machte es ihm auch irgendwie Spaß.
Warum auch nicht? Niemand verbot ihm die Ausflüge, da niemand davon wusste! Er brauchte kein Geld für seine Reise, zumindest nicht für die Reise an sich. Und niemand verlangte irgendwelche Papiere von ihm, da er im Grunde keine einzige Grenze überschritt.
Noch aber, wusste er nicht genau, wie es funktionierte. Noch wusste er woher er die Fähigkeit dazu hatte.
Aber er hatte jemanden getroffen, der es ihm erklären wollte.
Ein netter älterer Herr, der wie er, die Kunst des Reisens beherrschte.

Wenige Tage später hatte James begonnen zu schreiben.


Er war weit gereist, hatte die Welt gesehen und vieles erlebt, was in den vielen Jahrhunderten alles geschehen war. Er hatte mehr erfahren, als wohl ein einziger Mensch in seinem Leben kennen lernen würde. Er war eigentlich auch viel älter geworden als ein gewöhnlicher Mensch.

Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts, nach viele Jahren einsamer Rastlosigkeit, gab es für ihn einen neuen Traum. Etwas was er längst verloren hatte.
Er nutzte die Chance in der Fremde und wagte einen Neubeginn. Hier in New York fand er auch eine liebevolle Frau, die ihm schon recht bald zwei Söhne schenken sollte.

Sein Geheimnis blieb sein Geheimnis. Zumindest eine Weile lang.
Niemand kann lange vor seiner Frau verbergen, womit man den Lebensunterhalt beschreitet oder woher man die kleinen sonderbaren Geschenke hat.

Als seine Frau nur knapp ein Jahr nach der Geburt des zweiten Kindes verstarb und er sich nun allein um seine beiden Söhne kümmern musste, wusste er, dass es Zeit war, für immer daheim zu bleiben. So zog er mit ihnen zurück in seine alte Heimat.
Sein Geheimnis war wieder seines.
Und doch konnte er es nicht wirklich lange für sich behalten. In Geschichten verpackt nannte er es ihnen.
Er erzählte ihnen von einem magischen Familienschatz.
„Wie sieht er aus?“ wollte der Jüngste wissen und bettelte immer wieder, dass der Vater ihm den Schatz zeigen sollte.
Und so präsentierte er seinen Söhnen eine kleine Zeichnung.
„Das ist der Schlüssel!“ hatte er gesagt.

Nur wenige Tage später nahm der Vater seine Söhne mit auf einen Ausflug. Er zeigte ihnen die nun bereits verlorenen Familienminen in Indien. Daher stammte ihr einstiges Vermögen. Doch wie es mit vielen Bodenschätzen ist, verlieren einige an Wert und andere haben ihren Besitzer schneller gewechselt als man es bemerken könnte.

Der Ausflug hatte den jüngsten Sohn angespornt, selbst zu reisen. Aber es war nicht nur das Abenteuer, was ihn lockte.
Der ältere sah viele Chancen für einen Neuanfang oder auch um neues zu entdecken, was auf normalen Wege nicht zu sehen wäre.
So begann zwischen den Brüdern ein Streit, der vieles verändern sollte.

Der Vater ging. Des langen Streits seiner Söhne überdrüssig und noch immer um die letzte Liebe trauernd.
Er hatte den Söhnen nie sein Geheimnis erklärt. Er hätte es auch nie wirklich im Ganzen aufklären können.
Was beide Söhne im ersten Moment nicht wussten war, dass er die kleine Zeichnung, den Schlüssel, mit sich nahm.

Beide Söhne versuchten den geheimnisvollen Schlüssel, den der Vater mit sich nahm, zu finden. Sie versuchten sogar selbst einen zu erschaffen und so zeichneten sie ebenfalls kleine Motive. Einige von ihnen hatten die selbe Kraft, wie der Schlüssel des Vaters. Sie konnten Türen öffnen.
Und obwohl sie nun selbst Schlüssel besaßen, war es als würden sie nicht richtig funktionieren. Meist versagten die Schlüssel und ließen eine Tür verschlossen und manchmal fand man nicht mehr an den gewünschten Ort zurück.

Und noch immer stritten die Brüder. Der jüngere sah sein Anrecht auf den ersten Schlüssel, den Familienschatz.
All die Schlüssel, die sie und ihr Vater bereits geschaffen hatten, waren mehr oder weniger unwichtig für ihn.

Bereits einmal hatte ihn sein älterer Bruder weggeschickt. Und als er wiedergekommen war, war der Vater verschwunden und der ältere Bruder hatte seine eigene Familie gegründet.
Und wieder gab es den Streit, bei dem der Jüngere noch immer den anderen beschuldigte, ihm den Familienschatz zu enthalten.

Der jüngere Sohn des ersten Schlüsselmeisters wollte nicht aufgeben. Zwar hatte er den ersten Schlüssel seit Jahren nicht mehr gesehen, aber er hatte eine Spur gefunden, die ihn zum Schlüssel führen würde.
Eine Spur, der er für Jahren folgen würde.


James hatte so vieles in sein Buch geschrieben. Seine Erlebnisse mit den Erzählungen des alten Herren vermischt, den er auf seinen Ausflügen kennen gelernt hatte.
Wie viel Wahrheit nun zum Schluss noch in der Geschichte stehen würde, wusste er irgendwann selbst nicht mehr. Aber kaum einer würde die Geschichte für bare Münze nehmen!

Barry hielt das Buch nach langer Zeit wieder in seinen Händen. Nach mehr als sechsunddreißig Jahren las er erneut die Geschichte. Oder vielmehr den Bruchteil der Geschichte, die sein Bruder einst geschrieben hatte.
Zwar konnte Barry sich nicht an den genauen Wortlaut erinnern oder auch an alle Details des Romans, aber er wusste, dass dies hier nicht ganz das war, was James notiert hatte.
Das Buch schien ein Eigenleben zu haben. Nicht nur, dass es immer nur wage Andeutungen waren, die es preisgab und die danach immer wieder verschwanden. So schrieb das Buch anscheinend auch seinen eigenen Inhalt.
Wahr oder nicht, blieb ungewiss. So wie immer!
Nikita LaChance
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 12:00

Kapitel XXIII

Auf der anderen Seite der Tür war es staubig und der Geruch von verbranntem Gummi und Holz lag in der Luft. Im ersten Moment kam es ihnen so vor, als seien sie in einer alten Wohnsiedlung gelandet, die sich gerade im Abriss befand. Nur wäre dann nicht dieser Lärm.
Er hörte sich nicht wie ein Bagger oder eine ähnlich lärmende Baumaschine an. Vielmehr klang es ein klein wenig wie Feuerwerk.
Nur dass dies hier kein schönes und hell leuchtendes Feuerwerk war, welches man zumeist an Silvester zu sehen bekam.

„Das ist nicht gut!“ war sofort Barrys Feststellung. Schon mehr als einmal hatte er eine kleine Auseinandersetzung mitbekommen. Manchmal lief es einigermaßen glimpflich ab, ein anderes Mal war er leicht verletzt worden. Nicht immer konnte man sich dem Geschehen enthalten.
Doch diesmal war es keine kleine Auseinandersetzung, dass wussten auch die anderen vier.
„Wo sind wir hier?“ versuchte sich Adrian zu orientieren.
„Wir stecken mitten in einem Krieg!“ gab Jentrix etwas lauter zu.
Im Grunde hatte er recht. Es war egal, wo sie gerade steckten. Viel wichtiger war es, dass sie unbeschadet wieder weg kamen.

Sie drehten sich wieder zur Tür zu. Viel war von dem Haus drumherum nicht zu erkennen.
Überall Einschusslöcher in verschiedenen Größen.
„Wir müssen weg!“ so Barrys Meinung. Irgendwie hatte er einen leicht väterlich besorgten Ton angenommen. Aber vermutlich lag es einfach nur an der gefährlichen Situation, in der sie waren.
Zwar waren die Schützen nicht in unmittelbarer Nähe, aber es war dennoch gefährlich. Man konnte nie wissen, wann es einen Soldaten mit dem Abzug am Finger den Weg entlang kam und einfach schoss.
Kayleigh war ein klein wenig blass geworden. Es lag weniger an der Stauballergie, die sich nun irgendwie bemerkbar machte und in der Nase und den Augen juckte. Es waren die Geräusche, die sie verängstigten. Selbst die Silvesterknallerei machte ihr Angst, auch wenn sie die bunten Lichter am Himmel mochte.
Die Jungs zogen ihre Schlüsselkarten hervor. Kein einfaches Unterfangen, ruhig zu bleiben bei der drohenden Gefahr. Und auch den richtigen Schlüssel zu finden war nicht unbedingt einfach. Auch waren es zu viele.
Adrian, der es bereits geschafft hatte, einige Schlüssel zu erkennen, versuchte erneut sein Glück. Aber es funktionierte nicht so ganz.
„Kayleigh, versuch du es!“ meinte er. Sie hatte schon so manchen Schlüssel erkannt und auch die dazugehörige Tür.
Doch Kayleigh hatte ihm nicht zu gehört. Sie hatte sich umgesehen und neben den zerstörten Wohnhaus auf der gegenüberliegenden Seite, ein Mauerstück auf der Straße entdeckt.
„Kayleigh!“ Adrian sprach etwas lauter, da sie nicht reagierte.
„Da drüben!“ meinte sie nur etwas abgelenkt und zeigte zu dem Mauerstück.
„Wir müssen hier weg!“ gab er zurück. Es war ihm egal, was sie gesehen hatte. Sie sollte einfach nur den richtigen Schlüssel raus suchen, damit sie endlich wieder weg konnten.
„Das ist Elaine!“ Sie klang nachdenklich.
„Was?“ Barry versuchte zu erkennen, wohin sie wies.
„Wer ist Elaine?“ fragte Dearon sofort. Ihm war es eigentlich auch wichtig aus der Gefahrenzone zu kommen.
„Elaine! Sie wird in London vermisst!“ gab Kayleigh leise von sich.
„Das ist tragisch! Aber wir müssen hier weg!“ Natürlich war Adrian sich bewusst, wie hart das klingen musste. Doch was sollte er tun?
Kayleigh unterdessen sah die ganze Sache anders.
Sie setzte ohne ein weiteres Wort ihren Rucksack und die Tasche ab.
„Was machst du? Die Tür ...“ schimpfte Barry.
Doch Kayleigh ignorierte ihn und die anderen drei.
Sie sah rechts und links die Straße runter, so wie man es bei einer Überquerung machen sollte. Nur dass sie hier nicht wirklich mit einem Auto rechnen müsste.
Und dann, als sie sich sicher war, dass weder ein Auto angerast kam noch dass ein Schütze in der Nähe war, lief sie los. Einfach zu dem Stückchen Mauer.

„Was soll das?“ fluchte Adrian genervt. Dass sie immer ein klein wenig eigenwillig oder auch dickköpfig war, wusste er längst. Aber dass sie nun auch noch lebensmüde war, fand er nicht so gut. Dabei kannte sie doch das Mädchen noch nicht einmal.
„Sie will das Mädchen holen?“ dachte sich Dearon, wobei er dies laut aussprach.
„Aber das bringt uns nicht weiter!“ protestierte Adrian, „Das ist viel zu gefährlich!“

Inzwischen war Kayleigh zu dem Mauerstück gelaufen.
Zusammen gekauert saß hier ein kleines Mädchen. Ihre blonden Haare waren recht wirr und die Kleidung war eingestaubt. Außer ein paar kleineren Kratzern schien das Kind unversehrt.
„Elaine?“ Kayleigh berührte sie sanft an der Schulter.
Das Mädchen zuckte erschrocken zusammen.
Logisch, dass sie hier Angst bekam, dachte sich Kayleigh. Nicht nur, dass sie sich nicht mehr in ihrem Zimmer war, so war sie auch nicht unbedingt in der besten Gegend gelandet.
„Ganz ruhig!“ sprach Kayleigh leise, „Ich tue dir nichts!“
„Ich will zu meiner Mami!“ kam von Elaine zurück.
Kayleigh nickte nur. Sie konnte unmöglich dem Kind versprechen, sie nach hause zu bringen. Sie wusste nicht wie. Sie konnte sie lediglich woanders hinbringen. Mit viel Glück in eine Gegend, die nicht so gefährlich war.
„Von wo bist du gekommen?“ wollte sie dann wissen.
Elaine sah sie fragend an.
„Durch welche Tür bist du gekommen?“ verbesserte Kayleigh.
Elaine sah sie noch immer mit großen Augen an und zeigte dann auf die Tür, durch die Kayleigh und die Jungs gekommen war.
Noch einmal sah sich Kayleigh um. In der näheren Umgebung war dies auch die einzige Tür, die noch immer im originalen Ursprung war und noch in ihrem Rahmen steckte.
„Dann müssen wir jetzt darüber!“ meinte Kayleigh.
„Nein, nein, nein ...“ Elaine hatte zu viel Angst um sich irgendwohin zu bewegen. Sie wollte einfach nur zu ihrer Mutter.

„Was macht sie da? Wir haben keine Zeit um Kinder zu hüten!“ schimpfte Adrian.
Währenddessen versuchte Barry noch immer alle Schlüssel zu testen. Er fand dies wichtiger als sich darüber aufzuregen, dass Kayleigh allen Anschein eine Dummheit beging.
Jentrix und Dearon wussten nicht wie sie reagieren sollten.
Dann, ohne ein weiteres Wort, entledigte sich Dearon seines Gepäcks und nach einem kurzen Blick nach rechts und links, lief auch er zu dem Mauerwerk.
„Na toll! Noch ein Verrückter!“ Das war zum Haare raufen. Adrian wusste nicht, was er nun tun sollte. Noch immer fand er Kayleighs Versuch, dass Mädchen zu retten, leichtsinnig. Aber andererseits bewunderte er sie für ihren Mut, so dumm er auch immer war.

„Kayleigh, wir müssen hier weg!“
Dearon hatte das Versteck erreicht, wenn man es denn so nennen konnte.
Sie wusste nicht was sie sagen sollte. Das Kind hatte zu viel Angst davor sich vom Fleck weg zu bewegen.
„Wir müssen weg!“ Dearon sprach ruhig, mehr zu Elaine als zu Kayleigh.
Aber noch immer blieb das Kind sitzen und wiederholte immer wieder ein und den selben Satz:
„Ich will zu meiner Mom!“
Dearon nahm das Kind auf die Arme. Dagegen konnte das Mädchen nichts tun.
„Kayleigh, wir müssen …!“
Sie nickte nur und folgte Dearon, der mit dem Mädchen auf dem Arm, zurück zu den anderen lief.

„Was jetzt?“ protestierte Adrian gereizt.
Barry war nicht weiter gekommen, dabei hatte er fast die Hälfte der Schlüssel getestet. Auch er war kurz davor einen Wutanfall zu bekommen.
Dearon und Kayleigh waren zurück. Vorsichtig setzte Dearon das Mädchen ab. Allerdings klammerte sie sich sofort ängstlich an ihn.
Adrian wollte gerade seine Schwester anschreien, als es einen lauten Knall gab.
Der Boden vibrierte und Schutt wurde durch die Luft geschleudert.
„Es wird langsam Zeit!“ meinte Adrian zu Barry, der nun noch schneller den richtigen Schlüssel suchte.
Kayleigh war schlagartig noch blasser geworden. Ebenso Elaine, die sich an Dearons Jacke fest krallte.
„Verdammt noch mal! Welcher dieser Scheißschlüssel ist es denn nun!“ fluchte Barry.
Adrian packte Kayleigh fest am Arm und zog sie näher zu Barry.
„Kayleigh, die Schlüssel!“ protestierte er.
Aber sie warf nur einen kurzen Blick auf die Schlüsselsammlung in Barrys Hand.
„Er ist nicht dabei!“ flüsterte sie und sah sich um.
Doch der richtige Schlüssel lag nicht, wie vermutet, auf dem Boden. Also erweiterte sie ihre Suche.
Wieder knallte es laut.
„Wir müssen endlich hier weg! Das wird langsam immer gefährlicher hier!“ meinte Dearon. Er hatte sich seinen Rucksack wieder aufgesetzt und hielt Elaine an sich gedrückt, so als habe er Angst, sie könne weglaufen.
„Kayleigh, wir brauchen den Schlüssel!“ schimpfte Adrian.
Kayleigh sah wieder zu dem Mauerstück auf der Straße. Da wo vor wenigen Minuten noch das kleine Mädchen gekauert hatte.

Und wieder lief sie los. Ihr war bewusst, dass dies, da die Geräusche immer lauter wurden, wohl das Dümmste war, was sie im Moment tun konnte. Aber sie musste es versuchen.
Ihr Bruder schrie ihr hinterher, dass sie zurück kommen sollte.
„Was soll der Scheiß!“
Kayleigh erschrak für einen Moment.
Diesmal war Jentrix ihr nach gelaufen und ging mit ihr hinter der Mauer in Deckung.
„Was willst du hier?“ wollte er wissen, „Das Mädchen ist in Sicherheit!“
Kayleigh suchte den Boden ab, wobei einige Glassplitter ihr in die Finger schnitten.
„Elaines Schlüssel!“ antwortete sie nur.
„Was?“
Wieder gab es einen lauten Knall. Diesmal schien er viel näher zu sein und der ganze Dreck sowie ein paar Steine flogen durch die Luft.
Jentrix hatte sich schützend über Kayleigh gebeugt, weswegen auch er das meiste ab bekam.
„Wir sollten schleunigst weg hier!“ murrte er sofort.
Kayleigh versuchte ruhig zu bleiben. Dass die Explosionen immer näher kamen, war mehr als beängstigend.
Noch immer suchte sie den staubigen und mit Stein, Holz und Glassplittern übersäten Boden durch.
„Ich hab ihn!“ In ihrer Hand hielt sie eine kleine Karte. Sie sah nicht nur staubig aus und war schon ein klein wenig eingerissen an den Seiten, nun war sie auch mit Blut beschmiert.
„Gut! Ist das der richtige?“ wollte Jentrix wissen und versuchte die aufgerissenen Finger von Kayleigh zu ignorieren.
„Ich glaube schon!“ gab sie etwas unsicher zu. Zwar leuchtete der Schlüssel, zumindest in ihren Augen, aber das musste noch längst nicht bedeuten, dass er auch zu der einzigen Tür gehörte, die hier weit und breit zu sehen war.
„Dann sollten wir jetzt weg hier!“
Er griff ihre Hand, sah kurz hinter dem Mauerwerk die Straße entlang und als er sich sicher war, dass da nichts und niemand war, lief er los.

Wieder bei den anderen, zeigte Jentrix den Schlüssel, indem er einfach Kayleighs blutige Hand hoch hielt.
„Dann mach die Tür endlich auf!“ schimpfte Barry zornig.
Kayleigh mochte es zwar nicht, dass er sauer auf sie zu sein schien, aber sie sagte nichts dazu. Sie ging mit der Karte an die Tür und hielt sie kurz dagegen. Dann öffnete sie ohne weiteres die Tür.
„Gut!“ kam sofort von Barry, der voraus ging. Egal was sie nun auf der anderen Seite zu erwarten hatten, es würde besser sein. Hoffte er zumindest.
Kayleigh nahm wieder ihren Rucksack und ihre Tasche auf. Sie sah sich noch einmal kurz um. Dann ging auch sie zur Tür.
Adrian wartete auf seine Schwester. Seiner Meinung nach hatte sie genug Dummheiten für heute gemacht.
„Gehen wir nun?“ wollte Jentrix ungeduldig wissen.
Dearon nahm Elaine wieder hoch und ging mit ihr einfach ohne weiteres durch die Tür.
Jentrix schob Kayleigh weiter, sodass sie nicht länger ängstlich auf die näher kommenden Geräusche hörte. Dann ging er hinterher, gefolgt von Adrian.
Und so als hätte man es perfekt abgestimmt, hörten sie einen weiteren Knall. Lauter als alle anderen. Und Staub und Steine fielen durch die noch offene Tür.
Jentrix reagierte schnell und stieß die Tür zu.
Rechtzeitig, denn der Durchgang zerbrach. Zerstört, auf der Seite, auf der sie gerade noch waren.

Vor ihnen lag nun Dunkelheit. Und einzig das Quieken von Ratten und das elektrische Summen war zu hören.
„Wo sind wir?“ fluchte Barry und stolperte über etwas.
Es dauerte einen Moment, dann hatten sich ihre Augen an das Dunkel gewöhnt und sie konnten zumindest einige Umrisse erkennen.
„Sind das Schienen?“ bemerkte Adrian irritiert.
„Sieht so aus?“ Dearon sah wieder nach rechts und nach links.
Es waren mehrere Gleise nebeneinander. Wie viele genau konnte er nicht erkennen.
„Vielleicht sollten wir hier besser nicht rum stehen!“ meinte Kayleigh, „Vielleicht sollten wir ...“
Auch sie sah in beide Richtungen. Es war nicht zu erkennen, auf welcher Seite ein Ausstieg oder ähnliches war. Es war einfach nur dunkel.
„Da lang!“ meinte Barry nur. Im Grunde war es ihm egal, wo lang sie gingen. Irgendwann würden sie irgendwie den Ausgang oder einen weiteren Durchgang finden. Er hoffte nur, dass sie zwischendrin nicht von einem Zug überrascht wurden.
So gingen sie einfach die Gleise entlang. Und nach einer Weile sahen sie ein rotes Licht.
„Wir kommen anscheinend zu einer Station!“ war nun Adrians Bemerkung.
Und nach einigen Metern wieder eine Lampe. Und schon recht bald auch ein Licht vor ihnen.
„Wird auch Zeit!“ so die Meinung der Jungs.
Kayleigh schwieg. So langsam taten ihr die Füße weh. Schließlich waren sie vermutlich schon mehr als zwei Kilometer in dem Tunnel herum gerannt. Auch war sie ein wenig müde, so wie die anderen vier wahrscheinlich auch.
Aus den vielen Gleisen wurde nur noch eines. Ein deutliches Anzeichen, dass sie zu einer Bahnstation kamen. Wo sie allerdings nun genau steckten wussten sie noch immer nicht.
„Wir sollten vielleicht, langsam von den Gleisen runter!“ meinte Jentrix.
Also gingen sie ein wenig schneller. Immer weiter auf das Licht zu.
Und schon recht bald war die Station zu erkennen und eine Menge Stimmen zu hören.
Allerdings war dies nicht das einzige, was sie hören konnten.
Hinter sich konnten sie das Klackern des Zuges hören. Er kam immer näher.
So liefen sie noch schneller und erreichten erleichtert den Bahnsteig.

Einige Leute auf dem Bahnsteig reagierten erschrocken. Schließlich rechnete niemand damit, dass eine Gruppe Jugendlicher auf dem Gleisen herum spazierte. Vor allem konnten auch sie den Zug hören.
„Wir müssen hier hoch!“ meinte Barry sogleich und zog sich am Bahnsteig nach oben.
Dearon hob Elaine hoch, damit Barry sie ihm abnahm. Erst dann kletterte er selbst hinterher.
„Hoch jetzt!“ kam panisch von beiden und sie halfen Adrian hoch.
Kayleigh hatte ein wenig mehr mühe. Einerseits hatte sie wegen ihrem Gips so ihre Probleme, andererseits war sie auch nicht so groß wie die Jungs, weswegen sie nur auf Zehenspitzen an die obere Kante ran reichte.
Jentrix hob Kayleigh nach oben, während Dearon und Adrian nach ihr griffen und sie hoch zogen. Dann halfen die beiden auch Jentrix nach oben.
Gerade noch rechtzeitig. Denn nur eine halbe Minute später fuhr der Zug ein.
„Eine U-Bahn!“ stellte Jentrix fest.
Elaine hatte sich wieder an Dearons Jacke festgekrallt. Sie hatte noch immer riesige Angst.
Vor allem waren es die vielen Leute, die alle über den Leichtsinn der Gruppe schimpften.
„Wir sind ...“ Kayleigh sah sich irritiert um, „... in London!“
Ein Schild wies die Station als Baker Street aus und ein paar Werbeanzeigen hingen neben einem großem Fahrplan, vor dem noch einige Leute standen.
„Wir sollten hier nicht rum stehen!“ meinte Adrian sogleich. Auch ihn beunruhigten die vielen Leute ein klein wenig.
Kayleigh griff nach der Hand von Elaine und wollte losgehen. Doch Elaine hielt sich noch immer an Dearon fest.
„Wir bringen dich zu deiner Mom!“ erklärte Kayleigh der Kleinen.
Die sah sie mit großen Augen an und nickte dann nur.
Die Jungs und die beiden Mädchen entfernten sich vom Bahnsteig, wobei sich sich durch die Leute kämpfen mussten. Man sah sie missbilligend an. Aber nicht alle hatten mitbekommen, wo sie herkamen. Einige sahen sie nur entsetzt an, weil sie ziemlich dreckig aussahen.
„Und was jetzt?“ wollte Adrian von seiner Schwester wissen.
Doch sie kam nicht dazu ihm zu antworten.
Eine Gruppe von gleich fünf Bahnpolizisten kam auf sie zu.
„Kommen sie mit!“ wurden sie aufgefordert, wobei einer der Polizisten Kayleigh am Arm packte. So hatte sie keine Chance wegzulaufen.
Kayleigh warf ihrem Bruder einen strengen Blick zu und schüttelte den Kopf. Er sah sie erst irritiert an, ehe er verstand, was sie meinte.
„Wir sollten mitgehen!“ flüsterte er den anderen zu.
Sie hatten im Moment auch keine andere Möglichkeit.
Nikita LaChance
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 12:01

Kapitel XXIV

Man hatte sie in eine Art Verhörraum gebracht. Im Grunde ähnelte es auch irgendwie einem einfachen Warteraum, nur dass dieser gleich ein Büro nebenan hatte und eine abschließbare Tür.
Die Polizisten hatten sie hier rein gebracht und nur den Befehl gegeben sich zu setzten. Dann waren sie aus dem Raum gegangen, um angeblich etwas zu prüfen.
Kayleigh hatte mehrmals gesagt, dass sie das Mädchen gefunden hätten und hatten heimbringen wollen. Aber natürlich nahm ihr das niemand ab. Vielleicht aber prüften sie nun den Namen.

„Na toll, wie lange sollen hier nun hier rum hocken?“ protestierte Adrian erneut.
Kayleigh hatte ebenso wenig Lust, hier zu bleiben und mit der Polizei zu verhandeln. Zudem war es schwierig ihnen plausibel zu erklären wer sie waren, wo sie herkamen und wie sie hier gelandet waren. Im Moment war die Gruppe für die Bahnpolizei niemand anderes als irgendwelche verrückten Teenager, die auf den Bahngleisen spazieren waren. Nicht dass das nicht verboten wäre.
Kein normaler Mensch würde ihnen ihre Reisegeschichte abkaufen, ohne zu glauben, sie wären durchgeknallt.
„Wir sollten hier weg!“ meinte Kayleigh leise zu den Jungs.
Jentrix sah sie mit großen Augen an. Und auch Elaine, das Mädchen, dass sie gerettet hatten, sah sie fragend an.
„Na ja, Elaine ist … zu hause! Mehr oder weniger!“ gab Kayleigh zu, „Ich meine, die Polizei wird sich jetzt um sie kümmern!“
Dearon nickte und auch Barry verstand, was sie meinte. Adrian allerdings sah nicht so ganz durch.
„Du willst sie jetzt hier lassen?“
„Es ist besser, als wenn wir sie weiter mit uns nehmen!“ fand sie, „Wir wissen ja nicht, wie gefährlich es noch werden kann!“
Dann wandte sie sich zu dem Mädchen.
„Die Polizei wird dich wieder zu deiner Mutter bringen!“
Die Kleine nickte nur.
„Hast du einen passenden Schlüssel?“ Es klang ein klein wenig sarkastisch, aber Barry hoffte, dass Kayleigh die lange Sucherei verhindern könnte.
Aber Kayleigh redete noch immer mit dem Mädchen. Die Kleine musste ihr versprechen, nicht mehr durch fremde Türen zu treten, hinter denen sich eine andere Landschaft verbarg.
Im Grunde wusste sie selbst, dass dies ein unmögliches Versprechen war. Manchmal ist doch die Neugier größer oder es ist nicht erkennbar, was einen auf der anderen Seite der Tür erwartet. Aber Elaine versprach es ihr.
Damit verabschiedete sich Kayleigh von ihr, zog wieder die Karte hervor, mit der sie in der U-Bahn gelandet waren und ging damit an die von außen verschlossene Tür.
Elaine sah verwirrt dabei zu, wie Kayleigh ohne weiteres die Tür öffnete, wobei diese sich scheinbar spaltete, und wie Kayleigh dann zusammen mit den Jungs durch die Tür ging.
Ebenso irritiert reagierten die Polizisten, als sie wenig später in den Raum kamen und lediglich nur noch das Kind vorfanden.

Ein leichter warmer Regenschauer war das Erste, was sie auf der anderen Seite der Tür erwartete. Doch der Regen war angenehmer, als das staubige und trockene Nirgendwo, in dem sie zuvor gelandet waren. Zudem wusch der Regen einigen Dreck von ihnen.
„Wir sollten uns irgendwo einen trockenen Unterschlupf suchen!“ kam von Barry. Er hatte wieder einen leicht väterlichen Ton eingeschlagen.
„Wir sollten uns vor allem einen Platz suchen, wo wir reden können!“ kam sofort von Jentrix.
Kayleigh ahnte, was genau er bereden wollte. Sie würden ihr wieder Fragen stellen. Woher sie ihre Kraft hätte und ähnliches. Doch sie selbst hatte keine Ahnung, wie sie an die Magie, oder wie auch immer man das nennen sollte, gekommen war.
Sie gingen eine Weile. Wieder still schweigend. Dann sahen sie eine Hotelanlage.
„Dort werden wir vielleicht ein Zimmer bekommen!“ meinte Dearon gleich und sie steuerten gleich darauf zu.
Überraschender Weise, interessierte sich kaum jemand dafür woher sie kamen oder weswegen sie so verschmutzt waren. Auch war es dem Hotelangestellten an der Rezeption egal, dass Dearon auf einem Zimmer für alle fünf bestand.
Zwar gab es höchstens Vierbettzimmer im Hotel, aber man meinte, dass der Fünfte ja auch auf der Couch im Raum schlafen könnte.
Dearon bezahlte vorerst für die erste Nacht. Falls sie länger in dem Hotel bleiben würden, würden sie dies bei ihrem Auszug bezahlen.

Sie gingen sofort auf ihr Zimmer und entledigten sich ihres Gepäcks.
„Konntest du kein Zimmer nehmen, wo mehr als nur eine Dusche ist?“ beschwerte sich Jentrix gleich, nachdem er das Hotelzimmer inspiziert hatte.
Dearon ignorierte ihn grinsend. Bis jetzt hatte sich Jentrix noch nie darüber beschwert.
Der erste, der sogleich das Bad in Beschlag nahm war Adrian. Er genoss die Dusche und kam einige Minuten später mit frischer Kleidung zurück in den Raum.
„Ist schon komisch, wenn man die Tür nicht schließen darf!“ stellte er fest.
Gleich danach verschwand auch Barry unter der Dusche und danach Dearon. Ladys first, zählte hier nicht. Aber Kayleigh bestand auch nicht unbedingt darauf, wie ein Mädchen behandelt zu werden.
Jentrix lies sie vor. Auch sie kam sich ein klein wenig eigenartig vor, bei leicht geöffneter Tür zu duschen.
Nach der kleinen Schwierigkeit mit dem Gipsarm zu duschen, wobei der Gips trocken bleiben sollte. Auch schmerzten die Schnitte, die sie sich bei ihrer Suche nach Elaines Schlüssel zugezogen hatte.
Wenig später kam auch Kayleigh erfrischt aus dem Bad und in frischer Kleidung. Da ihr zu warm war, trug sie nun nur ein Achselshirt zu ihren Jeans. Das war bequem und sie konnte das Shirt ohne Probleme über ihrem Gipsarm ziehen.
Während nun Jentrix unter der Dusche verschwand, stellte Kayleigh fest, dass die anderen drei Jungs sich jeder ein Bett genommen hatten. Adrian war sogar schon wieder eingeschlafen, während Barry mal wieder das Buch studierte und Dearon am Laptop hing. Es war also wie immer.
Kayleigh machte es sich auf der Couch bequem und schaltete gelangweilt im TV umher. Sie wollte nicht allein im Raum mit den Jungs sein, denn sie hätten sofort wieder zu fragen angefangen. Und darauf hatte sie im Moment keine Lust.

Irgendwann musste sie auf der Couch eingeschlafen sein.
Jemand saß neben ihr und versuchte sie zu beruhigen. Und im ersten Moment stieß sie ihn von sich, da sie ihn nicht sofort erkannte.
„Hey, bleib ruhig!“ kam dann nur die geflüsterte Stimme.
Es war Jentrix.
Kayleigh sah sich müde um. Er saß allein bei ihr und es war still. Der Fernseher flimmerte noch vor sich hin, anscheinend hatte Jentrix den Ton abgestellt.
„Du schläfst nicht viel!“ stellte er fest.
„Egal!“ seufzte sie nur. Sie hatte noch nie wirklich viel geschlafen und auch das mit dem Durchschlafen war so eine Sache für sich.
„Wie geht’s deiner Hand?“ wollte er plötzlich wissen.
Kayleigh verstand nicht, was er meinte.
„Die Schnitte ...“
„Ist nicht so schlimm!“ antwortete sie nur. Im Grunde sah die Hand aus als hätte sie sich gerade mit einer wütenden Katze angelegt. Aber Kayleigh war dies egal. Schlimmer oder nerviger fand sie den Gips, der nicht nur schwer war sondern auch hinderlich. Vor allem da sie eigentlich Rechtshänderin war und nun alles mit Links versuchen musste. Wahrscheinlich wäre ihre Handschrift nun noch unleserlicher, sollte sie wirklich etwas schreiben müssen.
Für einen Moment herrschte wieder Stille im Raum und beide starrten auf den stummen Fernseher, in dem irgendeine Krimiserie lief.
„Dearon hat noch einmal auf diese eigenartige Internetseite gesehen!“ meinte Jentrix plötzlich.
Von Kayleigh kam gerade mal ein „Mhm!“, mit wenig Interesse.
„Tja, hinter deinem Namen ist nun auch ein Sternchen!“
„Wie?“ Kayleigh sah ihn fragend an.
„So wie´s aussieht, hat jemand dich und deinen Bruder auf der Bahnstation wiedererkannt! Als Datum steht da der vierte Mai, also letzte Woche!“ antwortete Jentrix.
Kayleigh begann darüber nach zu grübeln. Es irritierte sie ein wenig, dass irgendwer sie wiedererkannt hatte, obwohl sie und ihr Bruder ja jünger geworden waren. Aber wenn man es genau nahm, hatte sie sich nicht wirklich verändert. Sie war weder größer geworden, noch merklich dicker oder dünner. Einzig die Haarlänge war anders. Auch bei ihrem Bruder gab es kaum Veränderungen. Lediglich seine Frisur hatte sich in den Jahren zwischen seinem achtzehnten Lebensjahr, welches er nun wieder durchleben konnte, und seinem eigentlichen Alter von einunddreißig merklich verändert hatte.
„Und mein Dad?“ fiel ihr ein.
„Bei dem stand nichts neues!“ Eine Antwort die Kayleigh wenig gefiel. Aber sie konnte nichts dagegen tun.
Dann konzentrierten sich beide wieder auf den stummen Fernseher und Kayleigh schlief nach ein paar Minuten wieder ein.
Jentrix hingegen zwang sich wach zu bleiben. Schließlich hielt er Wache. Einerseits, damit nicht zufällig ein Reisender seinen Weg in das Hotelzimmer fand, auch wenn sie das zu verhindern versuchten, indem sie die Türen einen Spalt breit offen ließen. Andererseits musste er aufpassen, dass nicht plötzlich irgendein anderer die Chance nutzte und einfach so durch die offenen Türen trat.

Als Kayleigh wieder aufwachte, was wohl kaum drei Stunden später war, saß Jentrix noch immer neben ihr und versuchte wach zu bleiben. Der Krimi war längst vorbei und nun lief irgendein Trickfilm, der anscheinend auch ohne Ton ziemlich lustig war.
„Schon wieder wach?“ fragte Jentrix kurz, ohne jedoch den Blick vom Fernseher zu nehmen.
„Hältst du allein Wache?“ stellte sie als Gegenfrage.
„So wie´s jetzt aussieht, nicht!“ gab er zurück.
Für einen Moment sahen beide auf das bunte Geflimmer.
„Wie hast du das gemacht?“
„Was gemacht?“ Kayleigh hatte gehofft, noch eine Weile von diesen Fragen verschont zu bleiben.
„Du hast gesagt, die Kleine stamme aus London und schwupps, wir sind in London gelandet!“
Kayleigh überlegte.
„Du … bist doch nicht etwa … ein Schlüsselmeister?“ fragte jemand plötzlich.
Dearon war aufgestanden und setzte sich zu ihnen auf einen Stuhl.
„Ich bin kein Schlüsselmeister! Glaub ich!“ Sicher war sie sich nicht.
„Na ja, aber du besitzt schon irgendwie eigenartige Fähigkeiten!“ fing Dearon an, „Du erkennst die Schlüssel und die Türen, ohne weiteres! Und dann die Tür, die du geschaffen hast!“
„Tja und so wie es aussieht, kannst du auch das Ziel bestimmen!“ fügte Jentrix an.
Kayleigh zog die Augenbrauen zusammen. Sie konnte sich keine der genannten Dinge erklären. Wie sollte sie es dann ihnen erklären?
„Adrian kann auch die Schlüssel und die Türen sehen!“ meinte sie etwas trotzig.
„Aber bis jetzt hat er noch keine Tür geschaffen!“ gab Dearon gleich zurück.
Ein klein wenig fühlte sich Kayleigh wie in einem Kreuzverhör.
„Und mein Onkel hat auch eine Tür geschaffen!“
„Dein Onkel?“
„Es war seine Tür, durch die mein Dad und meine Tante verschwunden sind. Und durch die vorher er verschwunden ist!“ meinte sie.
„Also war er ein Schlüsselmeister und hat es dir vererbt?“ grübelte Jentrix.
„Wir sind nicht blutsverwandt!“ stellte sie klar, „Er ist … angeheiratet!“
Beide Jungs nickten grüblerisch.

„Oh man, kann man denn hier nicht einmal in Ruhe schlafen?“ brummte Adrian und kam ebenfalls herbei geschlürft, „Ihr fragt ständig dasselbe!“
Auch Barry konnte nicht mehr schlafen, wenn er es denn überhaupt getan hatte.
„Vielleicht haben wir den ersten Schlüssel gefunden!“ meinte er und alle Blicke richteten sich auf ihn.
„Denkst du?“ Adrian glaubte nicht wirklich daran. So viel Glück würden sie nicht haben.
„Der Schlüssel von dem kleinen Mädchen! Sah ziemlich alt aus, oder?“ meinte Barry gleich.
Kayleigh holte die Karte hervor. So alt und zerschlissen wie sie aussah, könnte sie es wirklich sein. Die erste Schlüsselkarte.
„Mhm … könnte gut möglich sein!“ gab Dearon zu.
„Ja, aber niemand weiß, wann der erste Schlüssel geschaffen wurde!“ kam sofort von Jentrix als Einwurf.
„Vielleicht ja doch!“ Barry ging noch einmal zu seinem Bett zurück, wo das Buch von Kayleigh lag.
Mit dem kam er zurück zu den anderen, blätterte und hielt ihnen den Text, den er vor kurzem entdeckt und der seitdem nicht verschwunden war, hin.
Sie überflogen ihn.
„Okay, Anfang neunzehntes Jahrhundert!“ meinte Adrian, „Das könnte der Schlüssel sein!“
Kayleigh überflog ebenfalls den Text.
„Das ist nicht der richtige!“ meinte sie nur und klang irritiert.
Barry sah sie fragend an.
„Das ist nicht der Originaltext. Nur eine Art Zusammenfassung!“ versuchte sie zu erklären.
„Woher willst du das wissen?“ kam sofort von ihrem Bruder.
„Weil ich das Buch schon einmal gelesen hab, als Kind! Bis Barry es mir weggenommen hatte!“ antwortete sie.
„Und daran kannst du dich erinnern?“ Adrian konnte es sich nicht vorstellen, dass sie sich solange so etwas merken könnte.
„Der erste Schlüsselmeister … er hieß Thomas Learmont!“
Die Jungs sahen sie fragend an. Verstanden nicht, was sie damit zu erklären versuchte.
„Er wollte etwas von der Welt sehen und erschuf den ersten Schlüssel, bereiste die Welt und irgendwann schuf er weitere Schlüssel!“ erzählte sie, „Irgendwann ging der erste Schlüssel verloren und sein Sohn suchte nach ihm!“
„Das kannst du dir unmöglich alles gemerkt haben!“ kam sarkastisch von ihrem Bruder.
„Der Sohn hieß Vigilius und er … hat alles versucht, um den ersten Schlüssel wieder zu finden!“
Barry war irritiert. Er hatte zwar auch vor langer Zeit die Geschichte im Buch gelesen, aber er konnte sich an kaum irgendetwas darin erinnern.
Er sah noch einmal in das Buch hinein. Und dann blickte er Kayleigh fragend an.
„Die Namen ...“ meinte er nur und zeigte den anderen erneut den Text.
Die beiden Namen, die Kayleigh genannt hatte, tauchten plötzlich in den Zeilen auf. So als habe man sie eben hineingesetzt.

„Was passierte mit dem ersten Schlüssel? Kannst du dich daran erinnern?“ wollte Dearon wissen, „Ich meine, haben wir nun den ersten?“
„Ich glaube nicht!“ gab Kayleigh zu.
„Und woher willst du dass wissen?“ war Barrys Frage.
„Weil Vigilius der Spur folgt! Er sucht nach dem ersten Schlüssel und verfolgt ihn!“
„Wie?“
„Vigilius, Thomas zweiter Sohn, … er kann den ersten Schlüssel angeblich spüren.“ versuchte Kayleigh zu erklären.
„Und?“ Auch Jentrix verstand nichts.
„Wäre das hier, der erste Schlüssel ...“ Sie hielt die alte Karte hoch, „... dann hätte er ihn sich längst geholt!“
„Woher weißt du das?“ kam sofort von ihrem Bruder.
„Weil ich ihn schon einmal gesehen hab!“ gab sie zu.
„Du meinst den kleinen Jungen, der uns scheinbar verfolgt?“ wollte Barry wissen.
Kayleigh grübelte kurz.
„Ja!“ antwortete sie, „Aber ich hab ihn schon viel früher getroffen! Vor sechzehn Jahren!“
Wieder starrten sie alle an.
„Wo willst du den Typen getroffen haben? Vor sechzehn Jahren warst du … noch normal!“ meinte Adrian irritiert.
„Vigilius tauchte in der Bibliothek auf. Er hatte Onkel Jim bedroht, dass er ihm den ersten Schlüssel gibt!“ berichtete sie, „Onkel Jim hat Vigilius vertreiben können.“
„Hatte dein Onkel den ersten Schlüssel?“ fragte Jentrix gleich nach.
Kayleigh schüttelte den Kopf.
„Ich weiß nicht, wie viele Schlüssel Onkel Jim überhaupt hatte. Aber den ersten hatte er nicht!“ meinte sie, „Aber Vigilius ist nicht der einzige, der nach dem Schlüssel sucht!“
„Was meinst du damit?“
Die Jungs waren sich alle im Klaren, dass Vigilius nicht der einzige wäre. Jeder war an dem Schlüssel interessiert, zumindest jeder, der wusste was der Schlüssel konnte.
Kayleigh schien mit sich zu ringen.
„Du weißt irgendwas!“ stellte Barry fest, „Wer ist noch aufgetaucht?“
Noch immer wollte sie nicht antworten.
„Ich kann nicht …!“ Sie stand von ihrem Platz auf und ging ein paar Schritte. Es schien als wollte sie Abstand zwischen sich und den Jungs bringen.
„Du weißt wo der Schlüssel ist, oder?“ dachte Adrian sich.
„Nein!“
„Und wieso redest du dann nicht einfach?“ Adrian mochte es gar nicht, dass sie anscheinend ein Geheimnis hatte.
Kayleigh sah ihn kummervoll an.
„Ich kann es nicht sagen, weil du dann sauer auf mich bist!“ meinte sie bedrückt.
„Jetzt sag´s einfach!“ Adrian war im Moment viel verärgerter, dass sie nicht reden wollte.
„Ein paar Tage nachdem Vigilius aufgetaucht war, kam wieder jemand ins Haus! Er tauchte einfach so auf!“ stotterte sie herum, „Er verlangte nach Schlüsseln. Damals wusste ich nicht, was er meinte.“
Adrian sah sie verärgert an. Dies konnte unmöglich ein so großes Geheimnis sein, dass sie es nicht erzählen konnte.
„Mom … sie wusste es auch nicht!“
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 12:02

Kapitel XXV

„Was hat Mom damit zu tun?“ Adrian war irritiert. Hielt Kayleigh ihn zum Narren?
Sie wollte nicht weiter reden.
„Kayleigh!“ Er war ein wenig gereizt, „Was ist mit Mom?“
„Sie … sie war mit mir allein zu hause. Du warst im Feriencamp und Dad war mit Onkel Jim und Meryl in der Stadt unterwegs.“ Kayleigh sah unruhig umher. Im Grunde wollte sie das alles nicht erzählen. Es war ihr lang gehütetes Geheimnis. Nicht einmal ihr Vater wusste, was damals geschehen war. Und Onkel Jim? Er hatte es vielleicht geahnt, denn er schien sich schuldig zu fühlen, nachdem es passiert war.
„Was?“ knurrte Adrian. Auch die anderen drei sahen Kayleigh erwartungsvoll an.
„Wenige Tage nach Vigilius tauchte ein Fremder in dem Haus von Meryl auf. Er war plötzlich mitten im Zimmer gewesen und … Mom und ich, wir wussten nicht woher er kam. ...“ Kayleigh begann immer unsicherer zu werden und zu stottern, „Er wollte, dass wir ihm den Schlüssel geben. Ich glaube, er wollte den … ersten Schlüssel, oder so! Aber wir wussten nicht, was er wollte und dann hat er …“
Adrian zog verärgert die Augenbrauen zusammen. Sie kam einfach nicht auf den Punkt.
„Er zog eine Pistole und drohte uns. Er wollte den Schlüssel, aber wir hatten keine und wir … wussten nichts davon.“
Tränen sammelten sich in ihren Augen. Sie wollte nicht weiter erzählen, aber sie musste.
„Er drohte uns. Und als Mom … sie ist dazwischen gegangen … und … er hat abgedrückt … Mom ...“
Adrian sah seine Schwester mit großen Augen an. Er verstand noch immer nicht ganz was sie sagen wollte. Er ahnte, was vermutlich passiert war.
„Er hat Mom erschossen und … er wollte den Schlüssel … und dann hat er auf mich geschossen … Mom … starb und ich ...“
Kayleigh sah auf den Boden. Sie wollte Adrian nicht ansehen. Auch liefen ihr nun Tränen übers Gesicht.
Adrian schnappte nach Luft. Er konnte nicht glauben, was sie gerade erzählt hatte. Wollte es nicht glauben.
„Ich hab gesehen, wie sie gestorben ist.“ kam nur noch ganz leise von ihr.
Unmerklich fuhr sie mit ihrer eingegipsten Hand zu ihrem linken Schlüsselbein und hielt sie dort.
Jentrix sah dies und wirkte irritiert.

Für einen Moment herrschte Stille. Bedrückende Stille.
Irgendwie hatte niemand mit diesem Geheimnis gerechnet. Und allen Anschein nach hatte Kayleigh dieses Geheimnis auch noch eine Weile für sich behalten wollen.
„Deine Alpträume … du träumst davon, oder?“ wollte Barry wissen und sah sie prüfend an.
Kayleigh hob ihren Blick ein wenig und nickte. Sie lies langsam ihren Arm wieder sinken und gab damit eine kleine runde Narbe frei.
Jentrix verstand und auch Dearon schien es bemerkt zu haben.
Der Fremde musste auch auf sie geschossen haben.
„Wer wusste noch davon?“ platzte es aus Adrian.
Wie sie es erwartet hatte, war er wütend geworden.
Er sprang auf und war aufgebracht.
„Wer wusste davon?“ wiederholte er lauter.
„Niemand!“ Es war wie ein Flüstern.
„Wusste es Dad oder Onkel Jim?“
Sie sah ihm in die Augen.
„Als sie nach hause kamen, war der Fremde wieder gegangen.“ antwortete sie, „Onkel Jim … ich glaube, er hat etwas geahnt!“
Adrian schritt auf sie zu.
„Wieso … wieso hast du mir das nicht früher erzählt?“
Kayleigh war irritiert. Sie hatte es kaum über sich gebracht, ihm nun, nach nun sechzehn Jahren, davon zu erzählen. Im Grunde hatte sie es versucht, so gut es ging zu verdrängen.
„Wieso erzählst du es erst jetzt?“ Er stand vor ihr, griff nach ihrem freien Handgelenk und hielt sie fest, „Wieso?“
Barry sprang gleich als erster auf. Er befürchtete, dass Adrian seiner Schwester etwas antun könnte.
„Ich konnte nicht ...“ kam leise von ihr.
Adrian sah ihr finster entgegen.
„Es ist deine Schuld!“ meinte er plötzlich, lies sie los und ging an ihr vorbei zur Zimmertür, jedoch nicht, ohne sie dabei fast um zu rempeln.
Kayleigh stand wie erstarrt da und musste schlucken.
Die Jungs sahen sie noch immer fragend an.
Adrian ging aus dem Zimmer. Aufgebracht.
Und es dauerte eine Sekunde ehe sie reagierte. Dann lief sie ihm nach.
„Was jetzt?“ wollte Jentrix von Barry wissen.
Der schien ein wenig ratlos.
Die Antwort kam von Dearon:
„Du bleibst hier und bewachst unsere Sachen und wir bringen Kayleigh und ihren Bruder zurück!“
Barry überlegte kurz und stimmte dann zu.
Wenn die beiden Jungs ihr Gepäck inklusive ihrer Schlüssel in seiner Obhut ließen, konnten sie zumindest nicht einfach so abhauen. Und auch Adrian und Kayleigh waren ohne ihre Taschen und Schlüssel los gerannt.
Gesagt, getan. Barry hielt im Zimmer Wache, während Dearon und Jentrix den Geschwistern folgten.


Etwas ziellos lief Adrian umher. Er hatte das Hotel verlassen und stapfte wütend durch die Straßen. Noch immer war er sauer, dass Kayleigh ihm so etwas wichtiges verheimlicht hatte. Zudem schien sie auch noch viel mehr geheim vor ihm zu halten. Etwas, was wichtig sein würde.
In dem Ort schien es nur von Touristenfallen zu wimmeln. Viele Läden mit reichlich Schnickschnack und Schmuck. Auch die dazugehörigen Touristen waren da. Genossen das warme Wetter, die Aussicht und die nahen Strände.
Mehr oder weniger hatte Adrian zumindest beim kurzen Blick auf eine Infotafel heraus gefunden, wo er gerade war.
Porlamar auf Isla Margarita, einer Insel in der Karibik. Er hatte wissen wollen, wo er eine Kneipe oder ähnliches fand.
Nur lange konnte er die Tafel nicht studieren, da ihm seine Schwester auf den Fersen war. Und mit ihr Jentrix und Dearon.
Aber nach einer Weile fand er einen kleinen Pub.
Er ging sofort an die Theke und bestellte sich einen Schnaps.
Der Barkeeper sah ihn irritiert an, so als würde er jeden Moment nach einem Ausweis fragen. Aber dann schüttelte er nur den Kopf und gab Adrian sein Getränk.
Adrian kippte sich den Trink sofort runter und bestellte den nächsten.
In dem Moment kam Kayleigh zu ihm. Sie hatte noch immer Tränen in den Augen.
„Was machst du hier?“ wollte sie wissen.
„Lass mich in Ruhe!“ fauchte er sie an.
Sie wollte, dass er wieder mit zurück kam. Doch er war noch immer sauer auf sie.
Es war fast so als mache er sie für den grausamen Tod ihrer Mutter verantwortlich.
Er schrie sie an. Lauter noch, als bei ihrem letzten Streit.
„Verschwinde!“ schrie er und stieß sie von sich, „Du bringst nur Ärger!“
Im Grunde schien mehr der Alkohol aus ihm zu sprechen, denn inzwischen hatte Adrian bereits sein viertes Glas geleert.
Kayleigh sah ihn entsetzt an. Wusste nicht was sie sagen sollte.
„Vielleicht willst du lieber mit zu mir?“
Eine hochgewachsene Brünette, um die dreißig, hatte sich zu Adrian gesellt und strahlte ihn an.
Adrian musterte sie von oben bis unten.
Dann nickte er und suchte nach seiner Geldbörse. Erst nach langem Absuchen seiner Taschen fiel ihm wieder ein, dass er keinerlei Geld bei sich hatte.
„Ich mach schon!“ gab die Brünette von sich und zahlte für ihn.
Danach packte sie seinen Arm und ging mit ihm.

„Adrian!“ Kayleigh versuchte ihn zurück zu halten. Allerdings wehrte ihr Bruder sie ab.
„Verschwinde endlich! Ich brauch keinen Babysitter!“ maulte er angeheitert, „Ich brauch dich nicht!“
Damit verschwand er mit der Frau aus dem Pub.
Jentrix und Dearon hatten Kayleigh für einen Moment aus den Augen verloren. Doch nun als sie sie wiedergefunden hatten, lief Adrian mit einer Frau an ihnen vorbei und Kayleigh stand wie erstarrt da.
„Kayleigh?“ Dearon wusste nicht was er tun sollte.
Sie sah ihn hilflos an.
„Dein Bruder …?“
„Er braucht mich nicht mehr!“ meinte sie nur schwach und ging aus dem Pub.
Der Barkeeper sah ihr irritiert nach. Der Streit hatte ihn nicht wirklich interessiert. Allerdings hatte er ein Problem damit, dass eine Minderjährige in seinem Laden war.
Als sie mit den zwei Kerlen verschwand, war er beruhigt und ging seinem Geschäft wieder nach.


Adrian lies sich von der Brünetten in ein anderes Hotel bringen. Im Moment war er zu keinem klaren Gedanken mehr imstande. Unter anderem wegen dem Alkohol.
Die Brünette schien hier ein Zimmer zu haben, auf das sie ihn ohne weiteres mitnahm.
Adrian genoss ihre Verführungsversuche. Ablenkung war das, was er gerade gebrauchen konnte.
Vielleicht war dies ein Vorteil, dachte er sich kurz. Warum nicht einmal entspannen und genießen?


Ohne ein weiteres Wort zu den beiden Jungs war Kayleigh wieder zurück gegangen. Sie musste nachdenken und konnte jetzt keine Gespräche gebrauchen.
Im Hotelzimmer wartete bereits Barry, der sich wieder ins Buch vertieft hatte, ohne jedoch etwas neues zu erfahren.
Er sah auf und wirkte irritiert, dass die drei ohne Adrian zurückgekommen waren.
„Wo … wo ist er?“ wollte er wissen.
„Er ist mit einem Mädel weg!“ gab Jentrix nur zu verstehen und setzte sich auf die Couch.
Dearon blieb hinter Kayleigh stehen, so als hätte er Angst, dass sie zusammenbrechen könnte oder einfach wieder davon läuft.
Aber sie blieb ruhig und nachdenklich stehen.
„Meine Schuld!“ meinte sie dann nur leise. Mehr zu sich als zu den anderen. Sie hatte diesen Gedanken schon viel länger, nur es schmerzte sie noch mehr, dass auch Adrian dies so sah.


Müde vom Alkohol und äußerst befriedigt durch Alexia, so der Name der Brünetten, lag Adrian im Bett. Seine letzte Beziehung war schon eine Weile her und obwohl er wohl fast jedes Mädchen hätte bekommen können, so war er doch niemand, der auf eine schnelle Nummer aus war.
Aber dennoch hatte er es eben genossen.
„Deine Schwester ...“ flüsterte Alexia und strich ihm über die Brust, „... sie sah traurig aus!“
„Was?“ Er war ein wenig irritiert, „Woher weißt du, dass das meine Schwester war?“
„Nun, Adrian Bachman, ich weiß so einiges über dich!“
Er setzte sich erschrocken auf. Er hatte ihr doch gar nicht seinen Namen genannt.


„Kannst du mir dein Handy leihen?“ bat Kayleigh Jentrix. Aufgeben wollte sie nicht.
Er gab es ihr und sah ihr, ebenso wie die anderen beiden, dabei zu, wie sie versuchte Adrian anzurufen und dabei auf und ab ging.
Jentrix hatte die Nummer des Handys, was er Adrian in Tijuana, kurz nach Kayleighs Unfall, gegeben hatte, eingespeichert.
Doch egal wie viele Male Kayleigh es versuchte, immer ging nur die Mailbox ran.
„Der Teilnehmer ist vorüber gehend nicht erreichbar!“ so die mechanische Stimme am anderen Ende.
Dass sie ihn nicht erreichen konnte, machte sie nur noch verzweifelter.
„Vielleicht … solltest du ihn in Ruhe lassen!“ kam von Barry. Obwohl er es im ruhigen Ton sagte, klang es in ihren Ohren ziemlich hart.
„Ich kann aber nicht!“ gab sie etwas verärgert zurück und wählte erneut.
Barry gefiel es gar nicht, dass Adrian vermutlich nun nicht mehr mit ihnen reisen würde. Aber Kayleigh schien für Barry interessanter. Zumindest verfügte sie über mehr Potential, dachte er sich.


„Was weißt du?“ wollte Adrian wissen.
Sie schmunzelte und klammerte sich an seinen Arm.
„Weißt du, du bist nicht der einzige Reisende!“ meinte sie, „Und nicht nur du suchst nach dem ersten Schlüssel!“
Noch immer wusste er nicht, wie er reagieren sollte. Ein klein wenig beängstigend war es schon, dass er ausgerechnet an jemanden geraten war, der womöglich gefährlich für ihn werden könnte.
Wieder schmunzelte sie.
„Woher weißt du das alles?“ Noch immer hinderte sein vorheriger Alkoholgenuss ihn daran klar zu denken.
„Mhm! … Angst?“ meinte sie belustigt, „Ich habe die Videoaufnahme gesehen. Von dir, deiner Schwester und deinen Begleitern.“
Adrian schwieg.
„War ganz schön mutig von euch, das Mädchen nach hause zu bringen!“
„Das war Kayleigh!“ gab er schwach von sich.
„Nicht jeder hätte so gehandelt! Ich vermutlich auch nicht!“ erzählte sie, „Auch wenn ich weiß, wie beängstigend das alles sein kann!“
Irgendwie schien es ihr Spaß zu machen, zu reden. Was sie genau damit bezweckte war nicht zu erkennen.
„Das Buch … wer hat es jetzt?“
Adrian sah sie fragend an. Das mit dem Buch dürfte sie nicht wissen.
„Deine Schwester?“
Durch eine unbewusste Regung hatte Adrian ihr geantwortet.
„Wusst ichs doch!“ seufzte sie, „Aber sie weiß nicht wie sie es benutzten soll! Oder?“
„Woher weißt du von dem Buch?“
„Ich besitze auch eines!“ gab sie zu verstehen, „Ich habe es von meiner Mutter geerbt!“


Kayleigh hatte nun schon zum x-ten Mal versucht, ihren Bruder anzurufen. Doch immer wieder ging nur die Mailbox ran.
„Jetzt hör auf!“ meinte Barry und wollte ihr das Handy wegnehmen, „Er will nicht mit dir reden!“
Sie sah ihn böse an.
„Lass ihn einfach! Er kann selbst über sein Leben entscheiden!“
Barry griff nach dem Handy, doch Kayleigh stieß ihn weg.
„Du hast mir nichts zu sagen!“ fauchte sie ihn an und ging ins Badezimmer.
Jentrix sprang sofort von der Couch auf und wollte ihr nachgehen. Doch Kayleigh schlug ihm die Tür vor der Nase zu.
„Lass sie!“ meinte Barry nur zu ihm. Er hoffte, dass sie sich wieder beruhigen würde und von allein wieder aus dem Zimmer kam.
Jentrix allerdings fand es weniger gut, dass sie sich im Bad einschloss.
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 12:03

Kapitel XXVI

Kayleigh hatte die Badezimmertür hinter sich zu gemacht. Sie wollte allein sein. Vor der Tür sprach Jentrix zu ihr, dass sie wieder heraus kommen sollte.
Wieso lies er sie nicht einfach in Ruhe? Oder kam einfach hinein?
Noch einmal wählte sie die Nummer von dem Handy, das Adrian bei sich trug. Aber wie zuvor meldete sich nur die Mailbox.
Für einen Moment schloss sie die Augen und dachte nach. Irgendwie musste sie doch hier raus kommen.


„Ist ganz schön schwer an dich heran zu kommen!“ meinte jemand und setzte sich zu ihm an den Tisch.
„Wie … hast du mich gefunden?“ Es hatte einen Moment gedauert, ehe er den jungen Mann erkannt hatte.
Sein Gegenüber grinste nur.
„Sagen wir es mal so, du hinterlässt eine kaum bemerkbare Spur!“
„Und was willst du nun?“
Wieder ein überlegenes Grinsen.
„Ich will wissen, was du heraus gefunden hast!“
Keine Antwort.
„Der erste Schlüssel, du weißt sicherlich wo er ist!“
Im ersten Moment überlegte er, ob er nicht einfach weglaufen sollte. Nur es würde recht eigenartig aussehen, dass er vor einem scheinbar harmlosen Zwanzigjährigen davon rennt. Außerdem würde er den anderen mehr oder weniger offen legen, wie er an die verschiedenen Orte gelangen konnte. Und das wäre natürlich nicht von Vorteil, wie unter anderem schon die Geschichte gezeigt hatte.
Also blieb ihm erstmal nichts als ruhig zu bleiben und mit zuspielen.
„Vielleicht sollten wir nicht hier reden!“ meinte er dann, mit einem Nicken zu den anderen Cafébesuchern.


Kayleigh ignorierte noch immer Jentrix. Es waren eigentlich nur wenige Minuten vergangen, die sie nun hinter der verschlossenen Badezimmertür stand. Aber es kam ihr wie eine Ewigkeit vor.
Zu viel ging ihr im Kopf herum.
Und dann als sie wieder in Gedanken an den Punkt gelangt war, wie sie sich mit ihrem Bruder gestritten hatte und er sie nicht mehr bei sich wollte, beschloss sie zu gehen.
Einfach weg.
Nach hause.
Ohne weiter darüber nachzudenken, wie sie nach hause käme, griff sie nach der Klinge und öffnete die Tür.


„Du besitzt ein Buch?“ Adrian sah Alexia irritiert an, „Das selbe wie Kayleigh?“
Alexia grinste ihn leicht verführerisch an.
„Nicht ganz das selbe! Jedes Buch ist ein klein wenig anders!“
Er wartete darauf, dass sie weiter redete, was sie auch tat.
„Meine Mutter führte eine Art Tagebuch ihrer Reisen.“
„Aber … dann ist es nicht so, wie ...“ fing Adrian an.
„Es ist eine Art Reiseführer!“ meinte sie schmunzelnd, „Ein Reiseführer, der ganz gerne mal leer ist und im nächsten Moment mit irgend einem verwirrenden Text aufwartet!“
Adrian zog fragend die Augenbrauen zusammen.
„Klar, mein Buch ist nicht ganz so wie das deiner Schwester! Meines weißt mehr oder weniger nur die Ziele meiner Mutter vor. Aber Kayleighs Buch … es weißt einem den Weg zum ersten Schlüssel!“
Er schluckte.
„Woher weißt du das?“ wollte er wissen.
Sie legte sich auf den Rücken und sah zur Decke. Nicht das dort irgendeine Antwort stehen würde.
„Nennen wir es … Intuition?“ kam von ihr, ohne dass sie ihn ansah.
„Was?“
„Mhm? Sagen wir es mal so, ich habe auch schon einmal einen Blick in das Buch werfen können. Aber es ist schwer, das Buch dazu zu bringen, eine richtige Antwort auszuspucken!“
Sie drehte sich wieder zu ihm.
„Du solltest ein wenig schlafen!“
Aber Adrian wollte nicht schlafen. Er wollte mehr wissen. Mehr über Alexia, mehr über das Buch, mehr …
„Wie kann man das Buch dazu bringen?“
„Gute Frage!“ kam nur von ihr, „Aber nun will ich mal was von dir wissen!“
Er wartete.
„Bist du wirklich sauer auf deine Schwester? Sie wollte dir sicherlich nicht wehtun, mit ihrer Lüge!“ meinte sie.
Adrian überlegte.
„Egal, ob du nun sauer bist oder nicht, sie ist deine Schwester! Du solltest darüber nachdenken, was du zu ihr gesagt hast und wie du dann reagiert hättest!“
Sie strich ihm übers Gesicht.
„Schlaf jetzt!“


Es war ein wenig kühler und auch dunkler im Raum. Dass sie nun nicht mehr in dem Hotel in Porlarmar war, wusste sie. Nur brauchte sie eine Weile, ehe sie wusste, wo sie war.
Überall war Staub und Unordnung. Nicht so als sei man zu faul gewesen, wieder alles an Ort und Stelle zu räumen. Vielmehr so als hätte irgendwer etwas gesucht.
Einige Möbelstücke waren zertrümmert und ein paar Türen aus dem Rahmen gerissen. Es sah alles recht fremd aus, doch Kayleigh wusste wo sie steckte.
Sie war in der oberen Etage des Hauses ihrer Tante gelandet. Nur wusste sie nicht genau, wie sie das gemacht hatte.
Sie ging die Treppe hinab, wobei sie vorsichtig sein musste, nicht über irgendetwas zu stolpern. Unten sah es nicht viel anders aus. Auch hier schien man alles durchgewühlt zu haben. Unklar ob es jemand war, der nach einem Schlüssel suchte oder einfach nur jemand, der die nun schon viermonatige Abwesenheit der Bewohner ausnutzte.
Kayleigh warf einen Blick aus dem staubigen Eingangsfenster. Ein Absperrband der Polizei flatterte davor im Wind. Logisch, dass die Polizei von einem Verbrechen ausging, wenn die Familie so plötzlich verschwand.
Eigentlich hatte sie irgendwie gehofft, dass sie hier etwas finden würde. Kurz hatte sie sogar daran gedacht, dass alles wieder so wie früher sein würde, wenn sie nach hause kommt.
Dass ihr Vater und ihre Tante und ihr Bruder da wären und sie nicht eine Gefangene der magischen Schlüssel.


Jentrix klopfte noch einmal gegen die Badezimmertür. Und wartete kurz.
„Jetzt lass sie doch in Ruhe! Sie kommt schon allein wieder raus!“ brummte Barry ihn an, ohne seinen Blick vom Buch zu heben. Bis jetzt war kein neuer Text aufgetaucht, also las er immer wieder die selben Zeilen.
Dearon sah zu Jentrix hinüber. Auch er machte sich Sorgen.
Noch immer kam keine Antwort aus dem Bad und so öffnete Jentrix die Tür. Vorsichtig, denn er wollte Kayleigh nicht unbedingt erschrecken oder sie in irgendeiner Weise überraschen.
Aber er kam sofort wieder zurück in den Raum.
„Sie ist weg!“ schrie er gleich.
Barry lies das Buch fallen und sprang auf.
„Wo ist sie hin?“ wollte er wissen.
„Das weiß ich doch nicht!“ maulte Jentrix ihn an.
Dearon überlegte kurz.
„Hat sie irgendeinen Schlüssel bei sich?“
Die beiden Jungs sahen ihn fragend an.
„Sie hat mein Handy, mehr weiß ich nicht!“ überlegte Jentrix.
Auch Barry konnte sich an keinen Schlüssel erinnern.
Jentrix griff sich Kayleighs Rucksack und schüttete ihn auf dem Bett aus. Dann begann er die Kleidung durch zu wühlen. Aber darin war kein einziger Schlüssel.
Für einen kurzen Moment starrten die Jungs auf die Wäsche. Und Jentrix musste innerlich schmunzeln. Weniger wegen dem Fan-Shirt einer Metalband auf die er auch stand, sondern wegen der Unterwäsche.
Barry stieß ihn von der Seite an und hielt ihm Kayleighs Tasche hin, in der sie sonst immer das Buch trug.
Auch die Tasche kippten sie über dem Bett aus. Das Foto ihrer Mutter fiel als erstes heraus, dann eine Menge Schlüssel, ein kleines Messer und ein kleines Portemonnaie-ähnliches Etwas.
Barry sah die Schlüssel durch.
„Sind alle da!“ stellte er irritiert fest.
Dearon ging ebenfalls alle Schlüsselkarten durch.
„Wo ist der Schlüssel von dem kleinen Mädchen?“
„Den muss sie haben?“ stellte Barry fest.
„Schöne Scheiße!“ fluchte Jentrix nur.


Kayleigh war wieder zu ihrem Lieblingsplatz im Haus gegangen. Der Bibliothek.
Müde und enttäuscht saß sie auf den Treppenstufen. Eine Vielzahl der Bücher fehlte.
Warum wollte sie unbedingt hierher kommen. Hier war es nicht anders als an einem anderen ihr unbekannten Fleck auf der Welt. Sie war allein. Ihre Familie verschollen.
Lange starrte sie gerade aus. Auf das Bild, was Onkel Jim an die Wand gemalt hatte. Unter dem sich eine falsche Tür befand.
„Scheiß Schlüssel!“ murmelte sie vor sich hin, während sie angestrengt auf das Gemälde starrte.


„Das Handy!“ fiel Jentrix wieder ein, „Sie hat mein Handy!“
Dearon überlegte nicht lange und reichte ihm seines.
Jentrix wählte und wartete.


Kayleigh erschrak. Sie hatte vergessen, dass sie das Handy einstecken hatte.
Sie sah auf den Display.
Jentrix.
Sie wusste nicht, ob sie ran gehen sollte oder nicht.

„Was ist´n das hier für´ne Bruchbude?“ fluchte jemand aus der oberen Etage.
„Keine Ahnung!“ kam von einer zweiten Stimme, nicht weniger genervt.
Sie schienen den Raum, in dem sie gelandet waren zu durchsuchen und warfen immer wieder mit Zeug um sich.
Kayleigh saß noch immer auf den Stufen in der Bibliothek und sah in Richtung des Lärms. Das Handy hatte endlich aufgehört zu klingeln.
„Man irgendwie kommt mir die Bude bekannt vor!“ fiel dem einen ein und wieder flog irgendetwas auf den Boden.
„Ach ja, Klugscheißer, wo sind wir?“
„Der Name von dem Nest ist mir gerade entfallen. Aber hier ist eine vierköpfige Familie verschwunden. Alle vier auf einmal!“
„Und? Ist das so was ungewöhnliches?“
Der erste überlegte kurz.
„Na ja, wenn man bedenkt, dass schon vorher ein paar Leute hier verschwunden sind! Alle aus der selben Familie!“
„Ja, und?“ Der zweite interessierte sich wenig für seine Geschichte.
„Na ja! Ein Familienfluch oder so!“
Kayleigh lauschte noch immer den Stimmen über ihr. Sie schienen im selben Zimmer wie sie zuvor gelandet zu sein.
„Hauen wir lieber wieder ab! Hier gibt’s nichts!“ war plötzlich die Meinung des einen.
Doch der Zweite erkannte schnell das Problem.
„Die Tür funktioniert nicht! Wir müssen uns eine andere suchen!“
Damit verließen die beiden das Zimmer und suchten einen anderen Durchgang. Doch wie Kayleigh zuvor fanden sie viele Türen aus dem Rahmen gerissen. Aber auch sie gingen nicht gerade zimperlich mit den verbliebenen Türen um. Jede Tür, die sich nicht mit einem Schlüssel öffnen lies, traten sie ein.
Irgendwann gingen sie die Treppe hinunter, um unten weiter zu suchen.

Kayleigh aber saß noch immer in der Bibliothek. Sie wusste, dass die Eindringlinge sie bald finden würden.
Es gab hier gerade mal zwei Türen, die eine aus der Bibliothek hinaus auf den Flur und die zweite, magische. Und auf den Flur zu rennen, wäre wahrscheinlich keine gute Idee.
Aber keine der beiden Türen zeigte an, dass sie ein Durchgang sein würden.
Innerlich fluchte sie.
Wie sollte sie hier wegkommen?
Und dann klingelte erneut das Handy in ihrer Hand.
„Hast du gehört? Da ist noch was!“ kam von draußen.
„Oder jemand!“ meinte der andere.
Und die Schritte kamen in ihre Richtung.
Panik überkam Kayleigh und sie sprang auf. Das Handyklingeln hatte sie abstellen können, aber noch immer steckte sie fest.


„Verdammt nochmal!“ fluchte Jentrix, „Wieso geht sie nicht ran?“
Er war kurz davor das Handy auf den Boden zu schmeißen. Nur war dies im Moment das einzige Handy, das sie hatten. Und es war nicht seines!
Barry war sauer. Jetzt hatte er beide Geschwister verloren. Und ohne Kayleigh würde er nicht hinter das Geheimnis des Buches oder dem ersten Schlüssel kommen, das wusste er.
Dearon hatte Kayleighs Kleidung wieder in den Rucksack gestopft. Er wollte einfach nur irgendetwas tun.
„Meinst du, ...“ fing er an, „dass sie zurück kommt?“
Jentrix sah ihn irritiert an.
„Wie sollte sie das machen? Wer weiß wo sie nun steckt!“ kam von ihm, „Du weißt selbst, dass die Schlüssel ihr Ziel willkürlich auswählen. Niemand kann selbst bestimmen, wo er landet!“
Barry schüttelte wissend den Kopf.
„Einige können es! Und Kayleigh … vielleicht auch?“ Das letzte klang eher wie eine Frage, als wie eine Feststellung.
Jentrix sah ihn zerknirscht an und wählte erneut.


Kayleigh ging langsam rückwärts von der Bibliothekstür weg. Ihren Blick darauf geheftet.
Die Männer vor der Tür kamen immer näher.
Und schon bald stand sie mit dem Rücken zur Wand.
„Ich will zu Onkel Jim!“ flüsterte sie nur aus Angst.
Und dann ging hinter ihr die gezeichnete Tür auf, sodass sie beinahe hinein fiel.
Sie wusste selbst nicht wie, aber sie hatte soeben, den Durchgang geöffnet.
Eine Möglichkeit zur Flucht.
Und ehe die Fremden die Bibliothek betraten, war sie wieder verschwunden.


Adrian war eingeschlafen und als er wieder aufwachte, war er allein.
Irritiert sah er sich um.
„Ich sollte nicht mehr trinken!“ so seine Feststellung.
Auf dem Kissen neben ihm lag ein kleiner Zettel.
„Ich kenne noch einige andere Geheimnisse. Wenn du reden willst, ruf an!“ Dahinter eine Handynummer und mit einem kleinen Herzchen als I-Punkt ihr Name.
Er drehte den Zettel um. Und da stand eine weitere kleine Notiz.
„Rede mit deiner Schwester! Ihr braucht einander!“
Kurz grübelte er nach.
Dann zog er sich an, steckte sich den Zettel in die Hosentasche und machte sich auf dem Weg zu dem Hotel.
Sicherlich würde dort zumindest seine Schwester auf ihn warten. Das hatte sie bis jetzt immer gemacht.
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 12:03

Kapitel XXVII

Sie waren ein paar Straßen entlang gegangen und schlussendlich durch eine Lagerhaustür getreten. Dass sie dahinter keine Lagerhalle vor fanden, wussten sie.
„Schade, ich dachte, du lädst mich mal zu dir nach hause ein!“ meinte der Zwanzigjährige mit gespielter Enttäuschung.
Der andere sah ihn nur finster an. Es war klar, dass er den jungen Burschen nicht bei sich daheim haben wollte.
„Misstrauisch wie immer!“
„Warum sollte ich es nicht sein? Du hast mich schon mehr als einmal bedroht, Vigilius!“ antwortete der ältere.
Der Zwanzigjährige grinste nur.
„Nenn mich lieber Liu, klingt nicht so alt!“ meinte er dann.
„Du bist aber alt!“ konterte der andere.
Vigilius überlegte kurz, grinste und entgegnete:
„Mag sein, aber du siehst zumindest älter als ich aus, Matt!“
Matt fand dies nicht so lustig.
„Was willst du eigentlich von mir?“ wollte er wissen. Er machte keinen Hehl daraus, dass er Vigilius nicht mochte.
„Du weißt, was ich will!“ Vigilius sah ihn erst an. Auch er hatte seinen Frohsinn wieder abgelegt.
„Wo ist der erste Schlüssel?“
Er zog die Augenbrauen zusammen und zuckte kaum merklich mit dem Mund, so als wolle er Vigilius jeden Moment anbrüllen.
„Ich weiß es nicht! Das habe ich dir schon einmal gesagt!“ knurrte Matt nur.
Vigilius lies sich nicht beirren.
„Das ist eigenartig!“ meinte er im ersten Tonfall, „Du hast die Geschichte des ersten Schlüssel doch geschrieben!“
Keine Regung von Matt. Er wollte weder etwas verraten, noch wusste er wirklich etwas.
„Das Buch … wo ist es jetzt?“ wollte Vigilius wissen.
„Keine Ahnung!“
„So?“ Vigilius lief ein wenig hin und her, „Ich dachte es ist ...“
Er machte fast eine dramatische Pause.
„Ich dachte, das Buch ist bei deiner Nichte und deinem Neffen!“
Matt sah ihn entsetzt an und verriet damit so einiges.
„Ja, ja! Ich weiß einiges! Über dich und über deine Familie!“
Matt gefiel dies gar nicht und so schwieg er. Es hätte eh nicht viel gegeben, was er hätte sagen können.
„Nur eines weiß ich nicht! Wo der erste Schlüssel ist!“


Jentrix versuchte erneut Kayleigh zu erreichen. Er wählte und wartete. Doch wieder hörte er nach einer Weile nur die Mailbox.
„Jetzt geh endlich ran!“ schimpfte er und probierte erneut, mit dem selben Ergebnis.
„Vielleicht sollten wir ihren Bruder anrufen!“ fiel Dearon ein.
„Und was sollen wir ihm sagen? Dass wir seine Schwester verloren haben?“ entgegnete Jentrix ihm gereizt.
„Wenn es ihn überhaupt interessiert!“ fügte Barry hinzu. Auch er war sauer. Aber mehr auf Kayleigh, da sie einfach verschwunden war. Sie war einfach davon gelaufen. Und nun hatte er keine Möglichkeit den ersten Schlüssel zu finden, denn das Buch verweigerte ihm Antworten. Selbst die wenigen Zeilen waren wieder verschwunden und das Buch leer, so als wolle es nur in Kayleighs Nähe sein. Aber das Buch war doch kein Lebewesen?

Wieder wählte Jentrix seine Handynummer.
Und diesmal, nahm Kayleigh das Gespräch an.
Aber sie sagte nicht viel.
„Ich komm nicht zurück!“
„Aber …?“ Jentrix wusste einen Moment lang nicht, was er sagen sollte. Wie sollte man jemanden zurück halten oder zurück wünschen, wenn er dies selbst nicht wollte?
„Aber wieso nicht?“ fragte er dann.
„Ich … kann nicht!“ antwortete sie nur, „Tut mir leid!“
Damit legte sie wieder auf.
Dearon sah seinen Freund fragend an. Er wartete darauf zu erfahren, was Kayleigh gesagt hatte.
Jentrix drehte sich zu ihm und blickte abwechselnd vom Handy auf Dearon.
„Was?“
„Sie … sie hat aufgelegt!“ Jentrix klang irritiert, „Sie meint, sie kann nicht zurück kommen!“
Auch Barry sah ihn nun mit zusammengezogenen Augenbrauen an.
„Sie? Wieso sollte sie so was sagen?“ Dearon verstand nicht, „Aber ihr Bruder … sie wird doch zu ihrem Bruder zurück wollen?“
Darauf wusste Jentrix keine Antwort.


Wieder war sie in einem ihr unbekannten Haus gelandet. Auch hier war es wesentlich frischer, als in dem Hotel der venezuelanischen Insel.
Das Zimmer, in dem sie stand, war über und über mit Büchern voll. Gerade Mal ein Sessel war im Raum, so als habe sich der Besitzer hier ein Lesezimmer eingerichtet.
So wie das Zimmer eingeräumt war, kam es ihr bekannt vor.
Kayleigh lauschte an der Zimmertür. Doch niemand war zu hören und so ging sie leise hinaus.
Auch im Flur lagen einige Bücher. Und Staub, wenn auch nicht so viel wie im Haus ihrer Tante.
Neugierig schlich Kayleigh immer weiter.
Noch immer wusste sie nicht wo sie war oder ob es hier gefährlich sein könnte. Sie ging in jedes Zimmer.
Es gab in der oberen Etage neben einem kleinen Bad auch ein Schlafzimmer. Im Erdgeschoss war dann ein Arbeitszimmer, ein großes Wohnzimmer, bei dem auch eine Essecke mit eingebaut war, eine winzige Küche, vielmehr eine Kochnische, und ein weiteres Bad.
Überall lagen Bücher, aber auch Fotoalben und alte Zeitungen.
Kayleigh warf einen Blick darauf und stellte dann fest, dass die Zeitungen aus aller Welt stammten. Die jüngste Ausgabe, war nur knapp einen Monat alt.
Der Eigentümer des Hauses war also schon eine kleine Weile nicht mehr hier gewesen.
„Ob er wieder kommen würde?“ fragte Kayleigh sich. Vielleicht könnte sie hier für immer bleiben?
Kurz spielte sie mit dem Gedanken. Wo auch immer sie war, keiner kannte sie. Sie könnte neu anfangen.
Aber allein?
Allein wollte sie nicht sein! Sie wollte ihre Familie zurück haben! Ihren Bruder, ihren Vater und ihre Tante!
Sie lies sich auf die Couch im Wohnzimmer fallen und dachte nach.
Was sollte sie nun tun?

Während sie so da saß und vor sich hin starrte, bemerkte sie unter dem ganzen Wust von Zeitungen einzelne Fotos. Sie fielen auf, da sie bunt hervor leuchteten.
Sie ging hin, schob die Zeitungen zur Seite und begutachtete die Fotos.
Auf einigen waren ihr unbekannte Leute zu sehen. Aber dann fand sie eines, was unmöglich hätte dort sein können.
„Was soll das?“ platzte laut aus ihr heraus.
Sie hielt gerade ein Foto ihrer Familie in den Händen. Aber es war keines der wenigen Fotos, wo sie mit ihrem Bruder, ihrem Vater und ihrer Tante darauf zu sehen war.
Es war ein viel älteres Foto. Darauf waren auch ihr Onkel Jim und ihre Mutter zu sehen.
Wann das Foto aufgenommen worden war, wusste sie nicht mehr. Aber es musste vor schätzungsweise siebzehn Jahren gewesen sein.
Auf der Rückseite stand nur: „Glückliche Zeiten!“
Wer außer ihre Familie könnte dieses Foto besitzen?
Für einen kurzen Moment dachte sie darüber nach, das Foto ihrem Bruder zu zeigen. Vielleicht hätte er eine gute Idee deswegen. Aber er wollte ja nichts von ihr wissen.
Dennoch steckte sie sich das Foto ein.
Vielleicht wäre es keine gute Idee hier in dem Haus zu bleiben? Was wenn der Eigentümer doch wieder käme und es sich herausstellen würde, dass er der Mörder ihrer Mutter wäre oder ein gefährlicher Dieb, der das Haus der Tante mit geplündert hatte? Oder irgendein anderer Irrer?
Immer eigenwilliger wurden ihre Gedanken und je mehr Gefahren sie sich in ihren Gedanken ausmalte, umso ängstlicher wurde sie. Sie war allein! Ohne Schlüssel und vor allem ohne Waffen und schwach und schutzlos!
Sie lief zur Haustür und sah durch das kleine Fenster in der Tür.
Eine asphaltierte Straße war davor. Keine Menschenseele zu sehen.
Sie öffnete die Tür einen Spalt breit und frischer Wind blies ihr entgegen.
Nicht unbedingt von Vorteil nur mit einem Achselshirt herumzulaufen.
Da entdeckte sie neben der Tür eine grüne Armeejacke. Jedenfalls ähnelte sie einer Armeejacke. Und obwohl sie ihr zu groß war, zog sie sie über und ging vorsichtig aus dem Haus auf die ihr unbekannte Straße.


Vigilius ging mit Matt durch die Straßen.
„Ist nett hier!“ lachte er und tat, als sei er gerade auf einer Sightseeingtour.
Matt allerdings war nicht so begeistert, was aber weniger an der Umgebung als vielmehr an seiner Begleitung lag.
„Komm schon, sei nicht so beleidigt!“ meinte Vigilius. Im Moment sah er sich klar im Vorteil, da er so einiges über Matt zu wissen schien. Nur hatte er bis jetzt nicht verraten wie viel.
„Ehrlich gesagt, ist die Gegend hier viel schöner als die in Australien, wo du die meiste Zeit haust!“ plapperte Vigilius.
„Kann dir doch egal sein, wo ich wohne!“ brummte Matt nur zurück, „Wo willst du eigentlich mit mir hin?“
„Ich dachte, wir gehen nun zu dir!“ erklärte Vigilius frech, „Dein Haus habe ich schon mal gesehen!“
Wieder sah Matt seine Begleitung finster an.
„Nun ja, du bist nicht der einzige der andere beobachtet!“ meinte dieser nur.
Nach ein paar weiteren Straßen erreichten sie ein kleines zweistöckiges weiß gestrichenes Haus.
„Mhm … nicht so groß wie dein Elternhaus!“ kam von Vigilius. Es machte ihm Spaß Matt zu ärgern.
Beide betraten das Haus.
„Vielleicht wirst du ja endlich mal reden!“ Diesmal klang Vigilius Stimme nicht mehr so fröhlich. Er hatte seinen finsteren und bedrohlichen Ton wiedergefunden.


Kayleigh ging durch die Straßen. Alles war hier fremd. Aber dennoch schien es hier friedlich zu sein.
Sie war in einem historischen Stadtteil angelangt. Jedenfalls sahen die Häuser, als wären sie alle im neunzehnten Jahrhundert errichtet worden.
„Hallo!“
Kayleigh erschrak. Sie war so von der Umgebung fasziniert gewesen, dass sie nicht so recht mitbekam wo sie hin lief.
„Du bist neu hier, oder?“ wollte ihr Gegenüber wissen.
Unsicher nickte sie.
„Keine Angst!“ Eine ältere Dame stand ihr gegenüber. „Hast du dich verlaufen?“
Kayleigh überlegte und schüttelte dann den Kopf.
Dann fiel ihr etwas ein.
„Wohnen sie hier in der Stadt?“ fragte sie etwas schüchtern die Dame.
„Seit meiner Geburt!“ gab diese stolz zu, „Ist ein schönes Fleckchen hier!“
Kayleigh nickte nur und zog das vor wenigen Minuten gefundene Familienfoto hervor.
„Ähm … Kennen sie jemanden auf diesen Foto?“
Irgendwie fragte sie sich selbst, was sie davon erhoffte.
Die Dame zog eine Brille hervor und begutachtete dann eine Weile das Foto.
„Hm?“ kam dann erstmal von ihr.
Kayleigh wartete.
„Nun ja, der eine Mann hier kommt mir bekannt vor!“ Sie zeigte auf Onkel Jim.
„Wissen sie wann er hier war?“
„So genau weiß ich das nicht!“ gab die Alte zu, „Ist ein netter Mann! Scheint nur einsam zu sein!“
Kayleigh sah sie noch immer fragend an.
„Ich glaube, er war vor knapp einem Monat hier! Er hat jemanden gesucht!“
Nun wurde Kayleigh erst richtig hellhörig.
„Er war hier? Wo? Wo genau?“ wollte sie wissen.
„Nun er ist wie jedes Mal in der Stadt gewesen. In der Bibliothek und bei der Polizei. War immer traurig, wenn er keine Neuigkeiten fand.“ antwortete die Frau.
Kayleigh gefiel dies wenig. Wen genau suchte ihr Onkel eigentlich. Er war vor vierzehn Jahren von zu hause verschwunden und tauchte nach Jahren in … Ja, wo war sie eigentlich?
Die Frage stellte sie der alten Dame, die irritiert ansah.
„Kindchen, du bist hier in St. Catharines, Ontario!“ meinte sie, „Wie kannst du nicht wissen wo du bist? Wie bist du denn hier her gekommen?“
Kayleigh konnte ihr darauf keine wahre Antwort geben.
„Ich … hab einen Bus genommen und bin dann eingeschlafen!“ log sie, „Ich muss meine Station verpasst haben!“
„Und warum fragst du nach James Matthews?“ wollte die Frau wissen.
„Ich ...“ So richtig wusste sie keine Antwort darauf.
„Von zu hause weggelaufen?“ schlussfolgerte die Dame, „Dann solltest du besser nach hause gehen!“
„James Matthews ist mein Onkel!“ gab Kayleigh etwas leiser zu.
„So? Dann versuch es bei ihm zu hause!“
Wieder sah Kayleigh die Frau irritiert an.
„Er wohnt nur ein paar Straßen weiter! Immer nur in die Richtung!“ Die Frau zeigte die Straße entlang, die Kayleigh gerade eben gekommen war. Sie nannte ihr auch noch den Straßennamen.
„Ich hoffe, du findest ihn!“ meinte die alte Dame freundlich und wandte sich zum Gehen um.
Für einen Moment fragte sich Kayleigh dann, wieso die Frau sie angesprochen hatte, als diese sich noch einmal zu ihr umdrehte.
„Vielleicht hast du ja Glück und er ist da, Kayleigh!“ meinte die Alte und verschwand wenig später in einem Hauseingang.
Das die Frau ihren Namen wusste, gefiel Kayleigh gar nicht. Vielleicht war es keine gute Idee gewesen, hierher zu kommen und vor allem allein durch die Straßen zu laufen.
Schnell lief sie wieder zurück zu dem Haus, durch das sie die Stadt betreten hatte.


„Irgendwie siehts hier nicht anders aus, als in deinem anderen Heim!“ war Vigilius Feststellung, als er seinen Blick wandern lies.
„Falls du wissen willst, wo das Buch ist, kann ich dir nicht weiter helfen!“ knurrte Matt nur und lies sich auf seiner Couch nieder.
Vigilius setzte sich ihm gegenüber.
„Es ist bei … wie war ihr Name? Kayleigh oder bei ihrem Bruder Adrian!“ meinte er, „Ist doch richtig, oder?“
„Ich denke ja!“
„Und der Typ, der mit den beiden unterwegs ist?“
Matt tat als wüsste er nicht Bescheid.
„Er war ein mächtiger Schlüsselträger! So könnte man es zumindest ausdrücken!“ erklärte Vigilius, „Kayleigh und Adrian scheinen zwar stärker zu sein, aber noch wissen sie nicht alles!“
„Ich weiß nicht, wer das war!“ brummte Matt.
„Oh, wirklich? Ich hab euch in Cooper Pedy gesehen! Also lüg nicht!“
Matt antwortete nicht. Er konnte sich nicht an den Namen des Begleiters von Kayleigh und Adrian erinnern.
„Na gut!“ gab sich Vigilius geschlagen, „Zurück zu der Geschichte im Buch!“
„Darüber kann ich dir genauso wenig sagen, wie über den Scheiß Schlüssel!“ schrie Matt, „Als ich die Geschichte geschrieben hatte, war ich ein Teenager und ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich sie jemals zu ende geschrieben habe!“
Vigilius sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.
„Ich weiß also weder genau was in dem Buch steht und ich weiß nicht, wo der Schlüssel versteckt ist!“
„Ich glaube dir nicht!“ meinte Vigilius gleich.
Dann lies er seinen Blick erneut durch den Raum schweifen. Er bemerkte eine Weltkarte, die reichlich gekritzelt war. Überall Kreuze und Linien in verschiedenen Farben und bunte Kringel.
„Du hast also auch etwas gesucht!“ schlussfolgerte Vigilius und zeigte zu der Karte, „Was hast du verfolgt? Den Schlüssel oder deine Familie?“
Matt zuckte nur mit den Mundwinkeln.
„Also hast du doch eine Idee, wo der Schlüssel sein könnte!“
Wieder nur ein Zucken von Matt.
„Du solltest an deine Familie denken!“ drohte Vigilius. Er brauchte nichts weiter zu sagen.
Matt kannte Vigilius schon seit einiger Zeit. Er wusste von dessen Fähigkeiten und da er ihn immer wieder gefunden hatte, wusste Matt, dass Vigilius seine Spur lesen konnte. Auch wenn er gerade in ein anderes Land geflohen war. Sicherlich konnte Vigilius auch die Spur von Matts Familie aufnehmen und ihnen wer weiß was antun.
„Ich erinnere mich, dass der Schlüssel erst in England und dann in New York war. Dann ging er wieder nach England zurück. Aber wo er nun ist, kann ich nicht sagen!“ antwortete Matt betrübt.
Mit einem Male sah Vigilius in Richtung Tür. Irgendetwas hatte ihn abgelenkt.


Kayleigh hatte ein flaues Gefühl im Magen. Schon mehrmals hatte sie dieses Gefühl gehabt.
Ein Schlüsselträger musste in der Nähe sein.
Das Gefühl wurde immer stärker, je näher sie dem Haus kam. Dennoch wollte sie dorthin. Es musste Antworten geben. Ganz gleich welcher Art!
Vielleicht war der Schlüsselträger ja ihr Onkel?
Langsam ging sie auf die Haustür zu. Sie sah den Namen an der Klingel.
Der Name ihres Onkels. Vorher als sie gegangen war, war ihr der nicht aufgefallen.
Sie griff nach der Klinke und drückte sie.


Vigilius starrte gebannt auf die Tür. Er konnte es spüren. Einen Schlüssel.
„Sieht aus, als wäre jemand aus deiner Familie hier gelandet!“ freute er sich.
Matt allerdings sah die Sache nicht so gut. Er sah verbittert zur Haustür. Auch er konnte den Schlüssel spüren.
Vigilius stand auf und ging auf die Tür zu.
„Wollen doch mal sehen, wer es ist!“ meinte er und riss die Tür auf.
Doch niemand war davor.
Vigilius sah irritiert drein. Es war bis vor wenigen Sekunden noch jemand vor der Tür gewesen und noch immer konnte er den Schlüssel spüren.
Auch Matt wirkte verunsichert.


Kayleigh war wieder in der oberen Etage des Hauses. Sie wollte zwar wissen, ob ihr Onkel im Haus sei, aber so recht traute sie der Sache doch nicht. Also wollte sie einen kleinen Abstand zwischen sich und dem anderen Schlüsselträger wissen.
Sie war sogar im gleichen Zimmer gelandet und öffnete leise die Zimmertür.
Irgendetwas stimmte nicht.
Sie konnte nicht nur einen Meister spüren.
„Zwei?“ murmelte sie irritiert vor sich hin. Sie schloss die Tür wieder leise und überlegte was sie tun sollte.


Vigilius schloss die Eingangstür leise und sah dann zu Matt.
„Jemand ist hier!“ meinte er und suchte mit seinem Blick den Raum ab. Dann richtete er seinen Blick nach oben an die Decke und grinste.
Auch Matt sah nach oben. Er wollte schon rufen, dass egal, wer sich in der oberen Etage befand, schnellstens verschwinden sollte. Doch er verkniff es sich.
Er musste Vigilius ablenken.
„Wollen doch mal sehen, wer da ist!“ flüsterte Vigilius und ging leise zur Treppe.
„Er wird wissen, dass wir hier sind!“ entgegnete Matt lauter, in der Hoffnung dass der fremde Besucher ihn gehört haben würde.
Vigilius warf ihm einen bösen Blick zu.
Schnell ging er dann die Stufen hinauf. Noch immer darauf bedacht nicht unnötigen Lärm zu machen.
Matt wusste nicht so recht was er machen sollte. Er hatte nun eigentlich die Chance unbemerkt zu verschwinden. Doch er wollte auch wissen, ob wirklich jemand aus seiner Familie sich gerade im Haus befand.


Kayleighs Herz schlug bis zum Hals. Alles in ihr schrie, dass sie verschwinden sollte. Doch noch immer war sie neugierig, ob sie ihren Onkel gefunden hatte.
Sie wollte gerade die Türklinke greifen, als das Handy in ihrer Tasche klingelte.
Das hatte ihr gerade gefehlt.
Erschrocken und sicher, dass die beiden im Haus sie nun mit großer Sicherheit bemerkt hatten, machte sie wieder einen kleinen Schritt von der Tür weg und stieß dabei gegen einen Bücherstapel, der sofort zusammenfiel.
Das Handy klingelte immer weiter.
„Wieso habe ich es nicht einfach abgestellt?“ fragte sie sich.
Sie konnte spüren, dass einer der Schlüsselträger immer näher kam.
Panik überkam sie und der Entschluss, doch endlich zu verschwinden war größer als der Wunsch nach einem möglichen familiären Wiedersehen.
Sie wollte gerade wieder zur Tür zurück gehen, als sie etwas entdeckte.
Es war weder ein Schlüssel noch etwas ähnliches.
Inmitten des Bücherstapels hatte ein Fotoalbum gelegen, dass beim Umfallen des Stapels offen liegen geblieben war.
Es waren ein paar ihr bekannte Fotografien drin.
„Onkel Jim?“ entfuhr es ihr. Dieses Album konnte nur seines sein, da war sie sich sicher. Und nun wusste sie auch, wie das Familienfoto im Haus gelandet war.
Sie hob das Album auf und wollte es durchblättern.
Kurzzeitig hatte die Neugier wieder die Kontrolle übernommen. Doch das erneute Handyklingeln riss sie aus ihren Gedanken und der Druck im Magen wurde immer stärker.
Der andere war nicht mehr weit entfernt.
Sie sah, wie die Klinke sich bewegte. Sofort griff sie selbst danach.


Vigilius öffnete vorsichtig die Tür. Er hoffte noch immer, das der andere Reisende ihn noch nicht bemerkt hatte.
Er hatte ein Handy klingeln hören. Und er konnte die Spur des ersten Schlüssels wahrnehmen. Es musste entweder Kayleigh oder Adrian auf der anderen Seite der Tür sein.
Aber kaum war die Tür einen Spalt breit offen, war der Druck im Magen verschwunden und auch die Spur war verloren.
„Verdammt!“ fluchte er laut.
Gerade wollte er sich zu Matt umdrehen, bemerkte er auch dessen Fehlen.
Er hatte soeben zwei Schlüsselmeister verloren.
Und es würde schwierig werden sie wieder zu finden.
Wütend trat er gegen die Tür.


Jentrix wollte erneut wählen, als die Zimmertür aufging.
Irritiert sah er Adrian an. Mit ihm hatte er nicht gerechnet.
Auch die anderen beiden sahen ihn verwundert und schuldbewusst zugleich an.
„Wo ist Kayleigh?“ wollte Adrian sogleich wissen. Er spürte, dass etwas nicht stimmte.
„Sie ist verschwunden!“ gab Jentrix gleich zu, „Ich versuche sie schon die ganze Zeit zu erreichen!“
„Verschwunden?“ Adrian war, wie erwartet wütend, „Wie lange schon?“
Jentrix sah ihn mit einer Mischung aus Wut und Schuldbewusstsein an.
„Seit circa zwölf Stunden schon!“ gab er dann zu, „Ungefähr, nachdem du sie in der Bar zur Schnecke gemacht hast!“
Adrian wollte darauf etwas entgegnen, doch er verkniff es sich. Sicherlich waren weniger Jentrix oder die anderen beiden Schuld am Verschwinden seiner Schwester, als er.
„Hast du … hast du sie erreichen können?“ fragte er dann zaghaft und zeigte auf das Handy in Jentrix Hand.
„Sie sagte, dass sie nicht mehr zurück kommt!“ antwortete Jentrix nur.
„Was?“ Adrian wollte nicht glauben, was er hörte.
„Sie ...“
Weiter kam Jentrix nicht, da die Badezimmertür aufging und Kayleigh heraustrat.
Sie trug eine zu große grüne Jacke und ein größeres Buch.
Sie sah die beiden Jungen müde an.
„Jentrix … Adrian ...“ Sie lächelte kurz und brach zusammen.
Nikita LaChance
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 12:04

Kapitel XXVIII

Seit Tagen hatte es geregnet und das ganze Gebiet in ein riesiges Feuchtgebiet verwandelt. Flüsse waren über die Ufer getreten und überfluteten Straßen und Häuser. Vereinzelt rissen die Ströme aus schmutzigem Wasser Autos und Häuser mit sich.
Überall Chaos. Viele Menschen, die versuchten ihr Gut und Leben zu retten.
Und mittendrin ein Paar, dass nicht so recht in die Gegend gehörte. Nicht nur, dass nun die ganze Umgebung fremd aussah, so wussten die beiden noch nicht einmal, wo sie waren.


Die Jungs hatten Kayleigh aufs Bett gelegt und ihr die Jacke ausgezogen.
Adrian saß mit schuldbewusstem Blick bei ihr. Er wusste nicht was er sagen sollte, wenn sie wieder zu sich kam.
Barry hatte ein neues interessantes Buch gefunden. Kayleighs magisches Buch hatte ihn enttäuscht, indem es einfach keinen Text mehr zeigte und so widmete er sich dem Fotoalbum zu, welches Kayleigh plötzlich mitgebracht hatte.
Jentrix saß auf dem Bett gegenüber von Kayleigh und grübelte. Er verstand nicht so recht, wo sie herkam und wie sie es geschafft hatte, wieder zurück zu finden.
Dearon hatte sich bereit erklärt, etwas zu essen zu besorgen.
„Eigenartig!“ kam auf einmal von Barry. Er hatte gerade mal die ersten vier, fünf Seiten des Albums durchgeblättert.
„Was?“ Jentrix und Adrian richteten ihren Blick auf ihn.
„Die Fotos hier drin ...“ meinte Barry nur und er ging zu den beiden Jungen hinüber um ihnen zu zeigen, was daran so eigenartig war.
Doch die beiden Jungen wussten noch immer nicht, was so merkwürdig sein sollte.
„Das hier, ...“ Er zeigte auf ein recht altes Bild, auf dem ein Pärchen in feiner Kleidung vor einer bemalten Leinwand in Pose stand, „Das sind meine Großeltern!“
„Und?“
„Die Fotos hier drin sind von meiner Familie!“ stellte Barry fest.
„Deine Großeltern?“ Adrian kamen die Fotos bekannt vor. Doch er konnte sich nicht erinnern, wann er sie zuletzt mal gesehen hatte.
Barry blätterte weiter und zeigte auf das nächste Bild.
„Meine Eltern, mein Bruder und ich!“
Auch dieses Foto hatte Adrian schon einmal gesehen.
Jentrix hingegen, wusste noch immer nicht, was so besonders an dem Fotoalbum sein sollte.
„Kayleigh hat das Fotoalbum deiner Familie gefunden, und weiter?“ wollte er wissen.
„Ja, aber wo hat sie das her?“ Barry sah zu Kayleigh hinüber, die noch immer ohne Bewusstsein war.
„Du solltest sie schlafen lassen!“ kam von Jentrix, „Sie muss ganz schön fertig sein!“
Adrian stand auf und nahm Barry das Fotoalbum weg.
„Lass sie damit in Ruhe!“ knurrte er ihn nur an und setzte sich dann auf die Couch, wo er sich das Album ansah. Barry wollte ihm das Buch nicht allein lassen und so setzte er sich neben ihn.
Gemeinsam sahen sie sich die Fotos an und gelegentlich erklärte Barry, wen er darauf erkannte. Das erste Viertel des Album schien mit Fotos voll zu sein, die Barry kannte. Seiner Aussage nach, waren dies alles Familienbilder. Seiner Familie.
Doch dann gab es Bilder, die nach der Zeit seines Verschwindens aufgenommen worden waren.
„Wer ist das?“ wollte er auf einmal wissen und zeigte auf einen jungen Mann von knapp zwanzig Jahren mit dunklen Haaren.
„Das ist Onkel Jim?“ stellte Adrian fest.
„Jim?“
„Ja, er ist vor vierzehn Jahren verschwunden!“ Adrian zog die Augenbrauen fragend zusammen, „Aber wieso ist ein Bild von ihm hier drin?“
Barry fiel eine Antwort ein.
„Vermutlich weil dein Onkel und mein Bruder ein und die selben sind!“
Irritiert sah Adrian ihn an. Das ganze ergab irgendwie Sinn und dennoch war es ziemlich fragwürdig.
Sie blätterten das ganze Album durch. Und während Barry die Bilder am Anfang des Albums kannte, so kannte Adrian den Großteil der jüngeren Fotos. Aber dann waren da noch Fotos, die er nicht kannte. Sie waren nach Onkel Jims Verschwinden gemacht worden. Und irritierenderweise waren es Bilder von Tante Meryl, Adrian, seiner Schwester Kayleigh und ihrem Dad. Es sah fast so aus, als hätte sie irgendwer verfolgt.
Die letzten Bilder waren vom Jahreswechsel.
Jentrix hatte sich zu Kayleigh aufs Bett gesetzt und ihre Stirn gefühlt. Sie hatte Fieber. Vermutlich durch Überanstrengung, dachte er sich.
Gerade als er ihr ein kühles Tuch holte, kam Dearon zurück. Neben Essen und Trinken hatte er auch eine Zeitung mitgebracht. Er wollte wissen, was sonst noch in der Welt los sei.


Hilflos mussten sie mit ansehen, wie alles im Wasser versank. Sie waren nun genauso in Gefahr, wie die Anwohner selbst.
Wie konnte ihnen das nur passieren? Sie waren durch eine Tür gegangen und hatten dabei ihre Familie aus den Augen verloren. Und danach folgte eine Tür nach der anderen, dahinter immer wieder neue ihnen unbekannte Gegenden. Aber keine einzige Spur der Vermissten. Und dann hatten sie einen eigenartige Jungen getroffen. Er hatte ihnen gedroht und so waren sie geflohen. Und wieder in der Fremde gelandet. Zwischen drin waren sie jünger geworden.
Sie hatten keine Ahnung, wie sie nun da gelandet waren. Und sie wussten auch nicht, ob sie noch einmal so viel Glück haben würden.
Einfach durch eine Tür und weiter?
Im Moment gab es keine Tür. Keine die irgendwie sicher war. Das Wasser war zu stark und sie mussten, wie die Anwohner, der Ortschaft in der sie gelandet waren, fliehen.
Sie folgten einfach dem Strom aus Menschen. Wohin sie gingen wussten sie nicht, da sie kein Wort verstanden. Doch das war egal, solange sie bald wieder in Sicherheit wären.


Die Stunden vergingen.
Adrian und Barry hatten das Fotoalbum von vorn bis hinten durch gesehen und sich gegenseitig erklärt, wen sie auf den Fotos erkannten. Dabei bemerkten sie immer mehr, dass sie allen Anschein nach aus ein und der selben Familie zu stammen schienen.
Barry musste demnach Onkel Jims verschwundener Bruder sein, den er seit Jahren zu finden versuchte. Und Onkel Jim war Barrys jüngerer Bruder James.
Dearon hatte erst die Zeitung gelesen und danach wie immer seine E-Mail durchgesehen. Aus Langeweile und Neugierde hatte er dann das Buch durchgesehen. Aber auch er konnte keinen brauchbaren Text darin finden.
Nun aber war es kurz nach ein Uhr in der Früh und die Jungen schliefen. Bis auf Jentrix, der mal wieder Wache hielt.
Er hatte sich vor den Fernseher gesetzt und sah sich einen etwas langweiligen Film ohne Ton an. Nicht dass der Ton etwas an der filmischen Qualität geändert hätte.

Kayleigh hatte die ganze Zeit geschlafen. Zum ersten Male hatte sie durch geschlafen, wenn man es mal so nennen könnte.
Doch nun schien sie mal wieder einen Alptraum zu haben.
Jentrix ging zu ihr und wollte nach ihr sehen, als sie sich plötzlich erschrocken aufsetzte.
Irritiert und verängstigt sah sie sich um.
„Ist alles okay mit dir?“ wollte Jentrix wissen.
Kayleigh brauchte eine Weile, ehe sie richtig wach war. Dann nickte sie, kletterte aus dem Bett und ging ein paar Schritte.
Ein wenig schwindelig war ihr. Entweder hatte sie nicht genug geschlafen oder sie war einfach nur zu geschwächt, weil sie seit einer Weile nichts gegessen hatte.
Sie ging ins Bad, wobei ihr Jentrix folgte und vor dem Bad stehen blieb. Er wollte sicher gehen, dass sie nicht wieder einfach verschwand.
Doch sie kam wieder ins Zimmer zurück, nachdem sie sich erleichtert und mit kaltem Wasser erfrischt hatte. Zu Jentrix´s Sorge um sie sagte sie nichts.
Leise ging sie zur Couch und setzte sich vor den Fernseher. Schlafen wollte sie nicht. Sie starrte müde auf den stummen Film.
Jentrix ging zur Küche und holte ihr etwas zu Essen. Ohne große Worte hielt er es ihr hin.
„Du solltest was essen!“ meinte er nur, als sie nicht reagierte.
Lust hatte sie zwar keine, aber sie nahm das Sandwich und kaute darauf herum.
Sie brauchte eine Weile, ehe sie das Sandwich gegessen hatte. Danach widmete sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem tonlosen Film zu.
„Wo warst du gewesen?“ kam flüsternd von Jentrix.
„Zuhause!“ gab sie nur müde zurück.
Er wollte schon fragen, wie sie es angestellt hatte, wieder die Tür zurück zu finden. Aber er wusste, dass sie es ihm nicht verraten würde.
Nach einer Weile war Kayleigh vor dem TV eingeschlafen.
Jentrix allerdings blieb wach und tat als interessiere er sich für den Film.


Sie waren in einem Auffanglager angelangt. Tausende von obdachlosen Menschen waren hier untergekommen. Alle mehr oder weniger hilflos und verzweifelt.
Einige Hilfsorganisationen verteilten ihre Güter und versorgten die Verletzten.
„Vielleicht können die uns zurück nach hause bringen!“ meinte Meryl leicht verzweifelt. Sie wusste längst nicht mehr, warum sie hier gestrandet war. Es war alles zu unwirklich.
„Versuchen können wir es!“ Auch ihr Bruder wusste nicht, wie er auf die Situation reagieren sollte.
Warum war er Meryl gefolgt? Warum ging er mit ihr immer wieder durch diese merkwürdigen Türen?
Er wusste keine Antwort darauf. Während sie am Anfang gehofft hatte, ihren vermissten Mann wieder zu finden, dessen Handschrift sie auf einer sonderbaren Karte gelesen hatte, wollte er einfach nur zu seinen Kindern zurück.
Irgendwie war die Karte der Grund dafür, dass soviel geschehen war, fiel ihm ein. Doch war sie wirklich von Jim, Meryls Mann?
Er versuchte sich zu den Helfern vorzudrängen und als er dann auch irgendwann mit einem sprechen konnte und ihn fragte, ob es eine Möglichkeit gäbe, dass man sie heim brächte, verneinte man. Allerdings war der Gefragte auch der Meinung, dass der Herr aus der evakuierten Gegend stammte. Selbst die Beteuerungen, dass er doch eigentlich aus Idahos Hauptstadt Boise stammte, nahm ihm niemand ab. Für sie war er einfach nur ein verwirrter Mann.
Außerdem hätte niemand Zeit für solch eine Aktion. Sie waren nur da um den Leuten vor Ort zu helfen.
Wohl oder übel waren sie nun dort eine Weile gefangen. Es sei denn sie würden wieder eine magische Tür finden. Nur wo würden sie dann landen?


Als Jentrix wieder aufwachte, war es gegen neun Uhr. Der Fernseher lief noch immer tonlos.
Barry und Adrian saßen in der Küche. Barry mit dem Buch und Adrian hatte sich Dearons Laptop geliehen.
„Wo ist Kayleigh?“ wollte Jentrix verschlafen wissen.
Adrian sah auf. Für eine Sekunde wirkte er so, als wüsste er es nicht.
„Sie ist mit Dearon unterwegs! Sie wollten etwas zum Frühstück holen!“ antwortete er dann.
Jentrix strich sich über seine Haare und streckte sich ausgiebig.
„Du bist eingeschlafen!“ kam nur kurz von Barry.
Jentrix sagte nichts dazu und suchte sich in der Küche einen sauberen Becher, um ein wenig Wasser zu trinken.
„Kayleigh hat bis heut früh Wache gehalten!“ fügte Barry hinzu. Es klang ein wenig vorwurfsvoll.
„Bis jetzt hast du noch keine Wache gehalten!“ antwortete Jentrix nur, was Barry mit einem finsteren Blick beantwortete.
Schnell widmete er sich wieder dem Buch zu.
Vor wenigen Minuten waren wieder ein paar neue Zeilen aufgetaucht. Allerdings standen sie, wie der vorherige Text einfach mittendrin und der richtige Zusammenhang fehlte noch.
Es war ein kurzer Einblick in die Familie von Thomas Learmont und einigen Geschehnissen nach seinem Verschwinden. So wurde erwähnt, dass sein ältester Sohn selbst eine Familie gründete, während der jüngere, Vigilius, selbst verschwand und auf der Suche war.
Wo sich allerdings der erste, von allen gesuchte, Schlüssel befand, verriet das Buch noch immer nicht.


Kayleigh spazierte mit Dearon durch die Straße und machten ihre Planung.
„Meinst du, wir könnten heute wieder aufbrechen?“ wollte sie von ihm wissen, während er sich nach einem kleinen Obststand umsah.
„Vermutlich schon!“ bekam sie zur Antwort, „Wenn mit dir alles in Ordnung ist!“
Kayleigh rollte leicht genervt mit den Augen.
„Was sollte mit mir nicht in Ordnung sein?“ fragte sie.
Dearon wusste nicht wie er darauf reagieren sollte und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf das Obst.
„Vielleicht sollten wir davon etwas mitnehmen.“ meinte er.
Kayleigh naschte von ein paar Trauben. Dann packte sie einfach mehrere Sorten Obst ein. Äpfel, Trauben und ein paar Bananen. Dearon schmunzelte, vor allem weil Kayleigh einfach weiter Trauben aß.
Sie kauften noch ein paar Flaschen Wasser und eingeschweißte Snacks, auch frische Brötchen und ein paar Scheiben Wurst und Schinken.
Dann machten sie sich wieder auf den Weg zurück.
„Wie ...?“ begann Dearon.
„Du willst wissen, wie ich es gemacht habe!“ seufzte sie.
Er nickte nur.
„So genau weiß ich es nicht, ich habe einfach nur daran gedacht, wo ich hin will!“ erklärte sie nachdenklich.
„Du hattest die Karte von dem Mädchen aus London dabei, oder?“
Kayleigh sah ihn irritiert an. Die Karte hatte sie schon wieder vergessen.
Sie kramte in ihrer Hosentasche und fand die Karte. Sie zog sie hervor und sah drauf.
Die Karte sah ziemlich mitgenommen aus. Aber sie wirkte eher wie ein altes Stückchen Papier. Die Karte zeigte keinerlei Anzeichen, dass sie etwas besonderes sei.
„Ich glaube nicht, dass das der erste Schlüssel ist!“ meinte sie sogleich.
Dearon zuckte nur mit den Schultern.
„Wir sollten zu den anderen zurück!“ meinte er dann nur.

Als sie wenig später dann bei den anderen wieder angelangt waren, hatte Kayleigh die Trauben längst vernascht.
„Endlich!“ kam sogleich von Barry, „Ich hab Hunger!“
Kayleigh ignorierte seinen Spruch und setzte sich neben ihren Bruder und Jentrix.
Gemeinsam aßen alle fünf Frühstück.
Dearon hatte den Ton des Fernsehers wieder angedreht. Es liefen gerade Nachrichten.
„... In Polen traten durch massive Regenfälle die Flüsse über die Ufer ...“ hörten sie gerade und dann schwenkte die Kamera über die Gegend.
Deutlich konnte man die weg gespülten Häuser sehen und hilflose Menschen, die alles verloren hatten.
„Hey, das sah aus wie Dad!“ bemerkte Adrian mit einem Male.
Auch Kayleigh hatte es gesehen.
„Wieso sind sie dort?“ platzte es aus ihr heraus.
Jetzt wussten sie zwar, wo ihre Tante und ihr Vater waren, doch was nutzte ihnen diese Information.
„Da kommen wir aber nicht so einfach hin!“ kam von Barry.
Resignierend stimmten die Geschwister ihm zu.
„Was ist mit dem Buch?“ wollte Dearon auf einmal wissen.
Barry sah ihn fragend an, denn er hatte die meiste Zeit in das Buch gestarrt.
„Da fehlen ein paar Seiten!“ meinte Dearon dann.
Irritiert sahen ihn nun auch Adrian und Kayleigh an. Bis jetzt hatte niemand von ihnen bemerkt, dass irgendetwas mit dem Buch nicht stimmte.
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 12:04

Kapitel XXIX

Vigilius war wütend auf sich. Gleich zwei mächtige Schlüsselmeister waren ihm durch die Finger gegangen. Auch die Spur, die sie und ihre Schlüssel hinterließen, verblasste zu schnell. Anscheinend hatten beide, wie auch immer, gelernt, ihre Spuren zu verwischen.
Bei dem einem wusste er noch nicht einmal genau, wen er gespürt hatte und so wusste er auch nicht, wo er nun suchen sollte. Bei dem anderen Schlüsselmeister, Matt, hatte er zumindest einen Anhaltspunkt, wo er ihn finden könnte.
Und so öffnete Vigilius die Tür des Hauses in St. Catharines in Ontario und kam durch eine Tür in Coober Pedy, Australien, wieder heraus. Er wusste, wo er nach Matt suchen musste. Schnell lief Vigilius durch die staubigen Straßen und ignorierte die irritierenden Blicke, die man ihm nach warf. Er war bei seinem Durchschreiten der Tür unvorsichtig gewesen und man hatte ihn gesehen, sowie das was hinter der Tür lag.
Endlich, nach einem ziemlich langen schnellen Marsch, fand er Matts Haus. Wie die meisten Häuser der Gegend war es zum Teil in die Erde bzw. den Fels gebaut, denn während es an der frischen Luft zu heiß war, herrschten im Haus angenehmere Temperaturen.
Dass Vigilius nicht auf direktem Weg zu Matt gelangen konnte, ärgerte ihn. Aber Matt hatte ungebetene Besucher ausgesperrt, indem er die einzige Tür, die sein Haus hatte, offen lies. Okay, zumindest hielt dies Schlüsselreisende fern. Normale Einbrecher hielt dies logischerweise nicht fern.
Vorsichtig schlich sich Vigilius ans Haus heran. Wie erwartet, war die Haustür einen Spalt breit offen. Von der Straße war dies nicht zu sehen, aber von Nahem schon.
Leise öffnete er die Tür. Hier drin war es angenehm kühl. Und still.
Vigilius sah sich im ganzen Haus um. Er sah die dunklen Holzmöbel im Wohnzimmer, die Kochnische und die Kammern. In einer der Kammern waren die Wände mit Suchanzeigen und einer riesigen Weltkarte, voll gespickt mit Pins, tapeziert.
Vigilius zog eine Augenbraue nach oben. Er war noch nie hier gewesen, im Gegensatz zu dem anderen Wohnhaus in Kanada. Da schien Matt weniger vorsichtig zu sein.
Und obwohl hier alles mehr oder weniger interessant war, fand er nicht das, weswegen er eigentlich hier her kam.
Nirgends eine frische Spur von Matt. Nicht einmal eine Spur irgendeines Schlüssels.
Matt war also woanders hin geflohen. Nur wohin?


„Also, was machen wir jetzt?“ wollte Dearon wissen. Ihm war wohl bewusst, dass die Geschwister gern auf den schnellsten Weg zu ihren Eltern gehen wollten. Allerdings wussten sie nicht genau, wo sie suchen sollten.
„Wir sollten die Buchseiten suchen!“ kam sofort von Barry, der damit natürlich mal wieder seine Autorität beweisen wollte. Allerdings reagierte keiner der anderen darauf.
„Kayleigh, was meinst du?“ wollte ihr Bruder wissen.
Sie überlegte. Einerseits wollte sie zu ihren Eltern, andererseits war es auch wichtig das Buch wieder zu vervollständigen. Im Grunde hatte sie zu viele unbeantwortete Fragen im Kopf. Am meisten interessierte sie auch, was es mit dem Fotoalbum auf sich hatte.
Sie wusste nun zumindest, dass Barry ihr unbekannter verschwundener Onkel ist. Sie hatte Onkel Jim ein paar Mal von ihm sprechen gehört. Soweit sie wusste, war Barry älter als Jim. Wie viel wusste sie nicht.
„Das Buch hat Vorrang!“ meinte Barry ein klein wenig gereizt.
Kayleigh warf ihm einen finsteren Blick zu.
„Ich weiß nicht, ...“ antwortete sie dann, „... wir sollten erstmal hier weg gehen! Und dann sehen wir weiter!“
Sie wusste nicht, was wirklich das nächste Ziel sein sollte. Sie hatte keine Ahnung, wo sie irgendwas oder irgendwen finden würde bzw. wo sie zu suchen hatte.
„Wir können nicht einfach drauf los reisen!“ motzte Barry.
„Bis jetzt hatten wir auch kein Ziel oder auch nur die Möglichkeit an ein bestimmtes Ziel zu gelangen!“ kam sogleich im scharfen Ton von Jentrix.
Kayleigh bemerkte, dass Dearon ihr kurz einen Blick zu warf. Sie wusste weswegen. Und sie war dankbar, dass er nichts dazu sagte.
Adrian zog einen Schlüssel hervor und verschloss die Zimmertür, nur um sie gleich danach wieder mit dem Schlüssel zu öffnen.


„Vielleicht ist er ja bei Kayleigh und Adrian? Oder vielleicht bei den anderen beiden?“ murmelte Vigilius vor sich hin.
Angestrengt starrte er auf die Weltkarte und fuhr mit den Finger eine imaginäre Reiseroute entlang. Doch was auch immer er sich davon erhoffte, es funktionierte nicht.
Wütend darüber riss er die Karte von der Wand. Die Pins flogen ab. Aber ansonsten geschah nichts.
Die Steckbriefe waren die nächsten, die er von der Wand riss.
Vigilius fand keine Antwort auf seine Frage. Er wusste nicht, wo er suchen sollte. Er wollte den ersten Schlüssel und den würde er nicht so einfach finden. Er bedurfte einer Hilfe oder auch nur einem kleinen Hinweis, über den Verbleib des Schlüssels. Und einen Hinweis konnten entweder das Buch, was sich in Kayleighs Obhut befand, oder Matt, der das Buch selbst geschaffen hatte.
Aber von beiden fehlte jede Spur.
Vigilius würde von vorn beginnen müssen zu suchen. Vielleicht würden Kayleigh und ihr Bruder oder Matt den Schlüssel vor ihr finden. In dem Fall müsste er ihn nur dem Finder abnehmen. Nur dazu musste Vigilius denjenigen finden.
Er ging.


Jeder hatte sich seine Jacke übergezogen, da sie eigentlich damit gerechnet hatten, dass es kühl sein würde. Nur war das Wetter, was sie erwartete genau das Gegenteil.
Es war sehr warm und nass.
„Wo sind wir jetzt schon wieder gelandet?“ fluchte Adrian genervt. Er trug die Jacke, die Kayleigh mitgebracht hatte. Ihm gefiel sie und passte ihm auch besser als ihr.
„Kommt mir bekannt vor!“ meinte Jentrix nur knapp und sah sich um, „Thailand, vermutlich!“
Vor ihnen war eine Straße, auf der zum Großteil nur Mopeds und Motorräder unterwegs waren. Es war ein wahrer Strom dieser Gefährte.
Apartmenttürme und riesige Plakatwände bestimmten das Stadtbild, oder zumindest den Teil, in dem sie nun gelandet waren.
Woran allerdings Jentrix erkannt haben wollte, dass sie in Thailand gelandet waren, wussten die anderen nicht.
„Vielleicht sollten wir nicht hier stehen bleiben!“ meinte Adrian und Kayleigh stimmte ihm nickend zu.
Wie schon so oft, fielen die Fünf nicht weiter auf. Was aber mal wieder daran lag, dass sie in einer Stadt voller Touristen gelandet waren.
Dennoch wollten sie nicht einfach hier herumstehen.
Adrian ging voran, ohne näheres Ziel. Ihm folgte seine Schwester und danach Jentrix und Dearon. Die beiden hatten sich an die Gesellschaft des Geschwisterpaares zu sehr gewöhnt, als dass sie sie nun allein lassen wollten. Barry allerdings wäre die beiden gern wieder los. Er konnte sie noch immer leiden und irgendwie misstraute er ihnen ein wenig.
„Was wollen wir hier?“ platzte es aus ihm heraus.
Die Vier sahen sich zu ihm um. Irritiert.
„Ich meine, wieso sind wir nicht … Wieso suchen wir nicht weiter nach dem Schlüssel oder den verlorenen Buchseiten?“ wollte er wissen.
„Weißt du denn, wo er ist?“ kam als Gegenfrage von Adrian.
„Bestimmt nicht hier!“ gab Barry zurück, „Sie hätte uns woanders hinbringen können!“
Kayleigh schwieg, sah aber finster drein.
„Wieso hast du uns nicht... nach England oder so gebracht? Dorthin, wo auch der erste Schlüsselmeister war?“ schrie Barry Kayleigh empört entgegen.
„So funktioniert das nicht! Die Schlüssel bestimmen ihr Ziel selbst!“ verteidigte Adrian seine Schwester.
„Aber sie beherrscht die Schlüssel! Sie kann das Ziel wählen!“ Barry war außer sich.
Kayleigh wollte ihn ignorieren. Aber Barry lies ihr keine Wahl.
„Sie hat es doch schon einmal gemacht! Sie ist verschwunden und hat den Weg wieder zurück gefunden! Sie kann also das Reiseziel vorherbestimmen!“ wetterte er, „Wieso also hat sie das jetzt nicht wieder gemacht?“
„Wenn es dir nicht passt dann verschwinde doch!“ schrie Kayleigh ihm entgegen. Sie war wütend auf ihn.
Dann drehte sie sich einfach um und ging voran.
Barry wollte noch etwas dazu sagen, aber er wusste nicht was.
Die Jungs gingen Kayleigh hinterher.
Der Streit hatte einige Leute neugierig gemacht und so sahen sie dem Mädchen nach.

Nach einer ziemlich langen Wanderung durch die Straßen waren sie alle nicht nur erschöpft sondern auch durchnässt.
„Wie lange wollen wir noch hier rum irren?“ kam von Adrian, der allmählich keine Lust mehr hatte weiter zu gehen.
Kayleigh aber wollte nicht stehen bleiben. Sie wusste zwar nicht wohin sie gehen sollten, aber sie wollte weiter.
„Kayleigh! Warte doch mal!“ schimpfte Jentrix und hielt sie am Arm fest, da sie nicht sofort reagierte.
„Gibt´s denn keine Tür?“ wollte Dearon wissen, wobei er sich an Adrian wandte.
Barry sah mürrisch drein. Er war der Gruppe nach gelaufen, denn weg wollte er nicht. Er fühlte sich nicht nur ein klein wenig verantwortlich für das Geschwisterpaar, da es zu seiner Familie gehörte, er erhoffte sich dadurch selbst einen Hinweis auf den ersten Schlüssel.
Adrian, wie auch Kayleigh, sah sich um. Aber beide erkannten keinen Durchgang.
„Was machen wir jetzt?“
„Wir sollten uns irgendwo eine Unterkunft suchen!“ antwortete Adrian Dearon.
„Tja, nur können wir uns kein Hotelzimmer nehmen. Wir haben kein Geld!“ kam sofort von Jentrix.
„Super!“ war Barry ironische Meinung dazu.
Kayleigh sah sich erneut um.
Die Fünf waren soweit gegangen, dass sich die von Apartmenttürmen umsäumten Straßen mit verwinkelten Gassen und alten Teakhäusern abwechselten.
„Wir sollten uns vielleicht hier irgendwo verstecken!“ meinte sie dann und zeigte auf die Holzhäuser.
„Meinst du?“ Adrian war sich nicht so sicher.
So schritten sie weiter voran, durch die labyrinthartigen Gassen, auf der Suche nach einem leeren Haus, in dem sie rasten könnten.
Und nach einer Weile fanden sie auch eines.

Es war eine kleine Holzhütte, durch dessen Dach der Regen tropfte. Möbel oder ähnliches waren nicht darin. Aber als kurzzeitiger Unterschlupf war die Hütte ausreichend.
Sofort ließen sie ihre Taschen fallen und holten ihr Essen hervor. Die Wanderung hatte sie auf alle Fälle sehr hungrig gemacht.
Danach machten sie es sich weitestgehend bequem.
Während Jentrix bereits vor sich hin döste und Adrian ebenfalls schon eingeschlafen war, hielt Dearon diesmal Wache. Barry starrte vor sich hin und Kayleigh blätterte in dem Fotoalbum, welches sie nun ebenfalls in ihrer Umhängetasche spazieren getragen hatte.
Neugierig begutachtete sie die alten Familienfotos. Sie fand ein paar weitere Fotos, auf denen ihre Mutter und auch Onkel Jim mit darauf waren.
„Glückliche Zeiten!“ erinnerte sie sich an die Aufschrift auf dem einzelnen Foto, welches sie in dem kanadischen Haus gefunden hatte.
Weiter vorn fand sie auch ein Hochzeitsfoto ihrer Tante. Sie musste da wohl um die zwanzig Jahre alt gewesen sein. Auch Onkel Jim sah recht jung aus. Und glücklich.
Lange sah sie auf das Bild und stutzte.
Wieso kam ihr das Gesicht so bekannt vor? Natürlich war es ihr Onkel, den sie auf den Fotos sah. Nur auf dem Hochzeitsfoto hatte er etwas längere dunkle Haare und einen dunklen Vollbart.
Noch eine Weile grübelte sie darüber. Dann fiel es ihr wieder ein.
Sie hatte den dunkelhaarigen und vollbärtigen Typen erst vor einer Weile gesehen.
„Matt!“ entfuhr es ihr auf einmal und Barry zuckte zusammen.
„Was?“ Er setzte sich neben sie und starrte auf das Foto.
„Das ist Matt!“ meinte sie zu ihm und tippte auf den Bärtigen.
„Der Typ aus Australien?“ wollte Barry wissen.
„Er ist Jim! Matt ist Jim!“
Barry überlegte und verglich das Foto mit seinen Erinnerungen und kam wenig später auf den selben Nenner.
„Ihr solltet schlafen!“ meinte Dearon zu den Beiden, „Vor allem du, Kayleigh!“
Sie rollte nur etwas genervt mit den Augen. Schlafen wollte sie nicht.
Noch einmal blätterte sie das Fotoalbum durch, ehe es ihr Barry abnahm, da auch er der Meinung war, dass sie noch ein wenig schlafen sollte.
Widerwillig legte sie sich hin, mit dem Rucksack als Kissen. Ihre vielen Gedanken hielten sie wach.

„Das ist ja eigenartig!“ hörte sie und wachte auf. Das sie scheinbar durch geschlafen hatte, überraschte sie.
„Was ist so eigenartig? Das Buch macht doch schon die ganze Zeit, was es will!“ entgegnete Adrian Barry.
„Ja, aber der Text ist neu!“
Kayleigh setzte sich schlaftrunken auf. Irgendeiner der Jungs hatte sie mit einer Jacke zugedeckt.
Vermutlich Jentrix, der neben ihr saß und auf einem Sandwich kaute, welches vom vorherigen Tag noch übrig war.
„Was ist los?“ wollte Kayleigh wissen.
„Barry hat anscheinend was neues entdeckt!“ erklärte er nur und hielt ihr eine Flasche Wasser hin, „Du solltest was trinken!“
Kayleigh tat wie geheißen und wartete noch immer darauf zu erfahren, was denn so interessantes in dem Buch aufgetaucht war.
Und nach ein paar Minuten kam Barry mit dem Buch zu ihr.
„Das musst du sehen!“ meinte er und drückte ihr das Buch in die Hand.
Kayleigh sah hinein und brauchte einen Moment, ehe sie die Worte verstand.

Der Text berichtete etwas über Thomas zweiten Sohn, ohne aber dessen Namen zu nennen. Kurz erklärte das Buch noch einmal, dass Thomas der erste Schlüsselmeister gewesen war, derjenige der mehr oder weniger unbeabsichtigt eine große Suche angezettelt hatte. Thomas hatte zwei Söhne, die sich beide um seinen zu erst geschaffenen Schlüssel stritten und während der jüngere Sohn, Vigilius, auf einem Recht an dem Schlüssel bestand, versuchte der ältere den Schlüssel zu schützen und versteckte ihn.
Das Buch allerdings erzählte nicht wohin Thomas älterer Sohn den Schlüssel gebracht hatte.
Auch war nicht zu erkennen, was genau auf den fehlenden Seiten gestanden haben könnte.

„Viel bringt uns das aber nicht!“ meinte Kayleigh leicht enttäuscht, wobei Barry ihr zustimmte.
Und plötzlich tauchten ein paar neue Zeilen im Buch auf.
„Was soll das jetzt bedeuten?“ wollte Barry irritiert wissen.
Viel Sinn ergaben die neuen Sätze nicht.
Jemand hätte dem Schreiber gesagt, er wolle den Text vervollständigen und riss die Seiten einfach heraus. Und dieser Jemand hätte die Seiten versteckt. Nur verriet das Buch erneut weder Namen noch die Verstecke.
So schnell wie der Text aufgetaucht war, verschwand er wieder.
„Warum nicht mal eine klare Antwort?“ seufzte Kayleigh.
„Was machen wir eigentlich jetzt?“ wollte ihr Bruder wissen. Ihm war der Text im Buch egal.
„Wir suchen uns am besten eine Tür!“ antwortete Dearon, „Hier bleiben, bringt sicherlich nicht viel!“
Kayleigh nickte. Nur Barry schien wieder einmal anderer Meinung.
„Meinst du nicht, dass das Buch es uns verraten hätte, wenn der Schlüssel oder die Seiten hier irgendwo wären?“ fragte sie ihn, nahm das Buch wieder an sich und packte es ein.
Sie setzte sich ihren Rucksack wieder auf und die Jungen taten es ihr nach.
Wenige Minuten später liefen sie schon wieder durch die Gassen. Und wie den Tag zuvor fanden sie keinen Durchgang.
„Kannst du nicht irgendwas machen?“ wollte Barry wissen. Diesmal lag kein Vorwurf in seiner Stimme.
Doch Kayleigh reagierte nicht. Irgendetwas beunruhigte sie. Sie hatte wieder den Druck im Magen. Besorgt sah sie sich um.
„Was ist los?“ wollte Dearon wissen.
Aber noch immer reagierte sie nicht.
„Wir sollten hier weg!“ meinte sie plötzlich und wollte los laufen. Aber sie hielt abrupt inne.

„Hallo, Kayleigh!“
Nikita LaChance
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 12:05

Kapitel XXX

„Hallo, Kayleigh!“
Noch immer stand sie regungslos da und starrte ihr Gegenüber an. Die Jungs waren ein wenig irritiert und auch besorgt. Der Fremde könnte Gefahr bedeuten.
„Du hast dich gar nicht verändert!“ meinte der Fremde.
Und jetzt reagierte Kayleigh endlich.
„Toller Witz!“ meinte sie nur leise.
Der Fremde schmunzelte.
„Kayleigh, wer ist der Kerl?“ wollte ihr Bruder wissen.
„Ähm …,“ sie wirkte ein klein wenig beschämt, „... das ist Mica., ein alter Freund!“
Der Fremde zog eine Augenbrauen nach oben und meinte dann scheinbar belustigt:
„Alter Freund? Wir haben uns zwar im Streit getrennt, aber nur ein alter Freund?“
Kayleigh lief rot an und Adrian wirkte ein wenig neugierig. So wenig wie er über die Jobs seiner Schwester wusste, so wenig wusste er auch über ihre Freunde und ihr Liebesleben Bescheid. Er wusste nur, dass sie im Moment weder Arbeit noch einen Freund hatte. Eigentlich so wie er.
Kayleigh fand ihre Fassung wieder.
„Was machst du hier?“ wollte sie von Mica wissen.
Er überlegte kurz.
„Ich habe jemanden gesucht!“ antwortete er knapp.
„Wie lange?“ brummte Barry.
„Was?“ Mica verstand nicht, was Barry meinte.
„Wie lange bist du schon hier?“
Noch immer schien Mica nicht zu verstehen, was Barry von ihm wissen wollte. Oder er tat zumindest so.
„Du trägst mindestens einen Schlüssel bei dir! Wie lange bist du nun schon hier?“
Mica seufzte kurz.
„Ich bin einer Spur gefolgt und zufällig hier gelandet!“ gab er zu.
Nun wurde auch Kayleighs Blick finsterer. Wenn er über die Schlüssel Bescheid wusste, würde er Ärger bedeuten.
Auch Adrian, Jentrix und Dearon erkannten, dass der Fremde ihnen vermutlich die Schlüssel abnehmen wollte. Freiwillig aber würden sie keinen einzigen abgeben.
„Du dürftest wissen, dass du mir vertrauen kannst!“ meinte Mica zu Kayleigh. Es klang, als spiele er auf irgendein gemeinsames Erlebnis an, von dem kein anderer außer die beiden wusste.

Der Regen hatte allmählich wieder eingesetzt und wurde stärker. Im Sommer nach Thailand zu kommen war nicht unbedingt die beste Idee, nicht dass sie es sich hätten aussuchen können.
Es dauerte nicht lange und ihre Kleidung war wieder vollkommen durchnässt und noch immer standen sie in der Gasse.
„Vielleicht sollten wir nicht hier stehen bleiben!“ meinte Mica zu Kayleigh.
„Wir gehen weiter!“ kam im scharfen Ton von Barry.
Kayleigh wusste nicht so recht. Einerseits kam es ihr sonderbar vor, dass ihr alter Freund auf einmal hier auftauchte, andererseits, hoffte sie, dass sie ihm noch vertrauen konnte.
„Ich könnte euch helfen!“ Mica ignorierte Barrys strengen Blick. Er sah direkt zu Kayleigh.
„Was meinst du?“ wollte sie wissen.
„Als erstes könnte ich euch ein Bad, was zu essen und einen trockenen Platz anbieten!“ erläuterte er.
„Und?“ diesmal kam der scharfe Ton von Adrian, der sich neben seiner Schwester positionierte.
Mica zog die Augenbrauen nach oben und wirkte ein wenig überrascht.
„Und ich könnte euch, bei eurer Suche helfen!“
„Kayleigh, wir gehen!“ Barry griff nach Kayleighs Hand und wollte sie wegziehen. Er misstraute dem Fremden.
„Was für eine Suche?“ kam schwach über Kayleighs Lippen.
Wieder wirkte Mica, als hätte man ihn dabei ertappt, dass er etwas Geheimes ausspioniert hätte.
„Ihr sucht nach eurer Familie!“ antwortete er, „Und ihr sucht nach dem sagenumwobenen ersten Schlüssel!“
Barry zog an Kayleighs Hand, doch sie riss sich von ihm los.
„Was genau weißt du?“ Nun klang auch sie etwas zorniger.
„Müssen wir das hier im Regen bereden?“ protestierte Mica, „Komm schon, Kayleigh!“
Sie überlegte kurz, sah zu ihrem Bruder und zu Jentrix und Dearon, die sie fragend ansahen, und dann richtete sie sich wieder zu Mica.
„Na gut! Bad, Essen und Informationen, klingt gut!“ antwortete sie ihm, „Aber ich bin nicht allein!“ Das letzte klang mehr nach einer Drohung, doch Mica schmunzelte darüber.
Er ging zu der nächstbesten Tür, hielt eine kleine Karte dagegen und öffnete den Durchgang.
„Vertraust du mir?“ Er machte eine einladende Geste und wartete.
Ohne auf Barry zu achten, der natürlich strickt dagegen war, die Einladung des Fremden anzunehmen, ging Kayleigh durch die Tür. Adrian lief ihr sofort nach, er wollte sie nicht wieder aus den Augen verlieren. Auch Jentrix und Dearon folgten, mehr aus Neugier und auch ein klein wenig Gewohnheit. Nur Barry brauchte noch einen Moment, ehe auch er, zerknirscht, durch die Tür trat.
Erst als alle durchgegangen waren, durchschritt Mica selbst die Tür.

Überrascht stellte Kayleigh fest, dass sie und ihre Begleiter in einem kleinen Haus gelandet waren. Es sah recht gemütlich aus.
„Willkommen in meinem Zuhause!“ kam von Mica und er schritt an den Fünf vorbei, nachdem er seine Haustür einen kleinen Spalt breit öffnete und mit einer Art Türstopper fest klemmte.
Kayleigh setzte ihren Rucksack und die Tasche ab, während die Jungs noch immer wie angewurzelt dastanden.
„Okay!“ meinte sie und sah sich um, „Wo ist das Bad?“
Mica sah sie kurz an und schmunzelte dann über den Blick, mit dem Barry Kayleigh bedachte.
„Gerade aus, neben der Küche!“ antwortete er dann und zeigte in die erwähnte Richtung.
Kayleigh ging mit ihrem Rucksack in der Hand zum Bad. Sie bemerkte recht schnell, dass Mica alle Türen, bis auf die Haustür, entfernt oder umgebaut hatte. So war die Badezimmertür eine Schiebetür mit buntem Glaseinsatz und lediglich ein Perlenvorhang diente als Sichtschutz zwischen Küche und Wohnzimmer.
Kayleigh nutzte die Möglichkeit, die sich für sie nun ergeben hatte. Schnell huschte sie unter die Dusche, wobei sie natürlich Mühe hatte sich einen Plastikbeutel als Schutz über ihren Gips zu bekommen.

„Setzt euch, Jungs!“ meinte Mica und verschwand kurz in der Küche, nur um dann mit kleinen Colaflaschen wieder zu kommen.
„Woher kennst du sie?“ wollte Adrian wissen, setzte nun ebenfalls seinen Rucksack ab und nahm eine Cola.
„Kayleigh? Wir waren Arbeitskollegen!“ antwortete Mica, „Und dann waren wir eine Zeit lang zusammen!“
Jentrix und Dearon entledigten sich ebenfalls ihrer Taschen und nahmen dankend das kalte Getränk entgegen.
„Was heißt eine Zeit lang?“ platzte es aus Jentrix heraus.
„Fünf Jahre!“ Es klang wie eine trockene Bemerkung.
Jentrix nickte nur und wirkte ein wenig verstimmt.
Adrian interessierte es, welche Arbeit Kayleigh gemacht hatte. Mica hatte sie bei der gemeinsamen Arbeit in einer Pflegeeinrichtung kennen gelernt. Anfangs seien sie nur gute Freunde gewesen.
„Wieso habt ihr euch getrennt?“ wollte Jentrix wissen.
Mica suchte nach den richtigen Worten.
„Ich glaube, es war ...“ Mica klang unsicher, „... weil ich in eine andere Stadt gezogen bin?“
„Wohl eher, weil du nach dem Umzug eine neue Freundin hattest!“ Kayleigh stand wieder im Raum.
„Okay!“ gab Mica zu.
„Wo bleibt das Essen?“ fragte Kayleigh, ehe einer der Jungs weiteres aus ihrer Vergangenheit erfragen konnten.
„Eine große Portion Spagetti?“ wollte Mica von ihr wissen und ging bereits in die Küche, um das Essen zuzubereiten, ehe Kayleigh ihm antworten konnte.

Adrian verschwand als nächster im Badezimmer, um zu duschen und sich umzuziehen, während Kayleigh sich neugierig die Fotos auf dem Kamin im Wohnzimmer ansah.
Jentrix und Dearon inspizierten ebenfalls das Wohnzimmer. Nur Barry saß angestrengt vor sich hin starrend neben den Taschen im Sessel. Er misstraute Mica, so wie er auch noch immer Jentrix und Dearon misstraute.
„Wer ist das?“ wollte Dearon wissen und zeigte auf ein kleines Foto eines Kindes.
Kayleigh musste genauer hinsehen und war irritiert.
„Ich!“ meinte sie dann.
Es war nicht das einzige Foto, auf dem sie zu sehen war. Mica hatte auch noch zwei Fotos dastehen, die aus ihrer gemeinsamen Beziehung stammten. Und wie sie, hatte auch Mica sich kaum verändert.
Er hatte noch immer diesen strubeligen Haarschnitt, wie damals. Nur war er nicht wie sie, wieder jünger geworden. Er war sechsunddreißig, und somit im Moment zwanzig Jahre älter als sie.
Jentrix beobachtete Kayleigh aus seinen Augenwinkeln heraus, was Dearon mitbekam. Ein Stoß von ihm in die Rippen riss Jentrix wieder aus seinen Gedanken.
„Was?“ wollte Jentrix unausgesprochen wissen, woraufhin Dearon nur den Kopf schüttelte.
Kayleigh bemerkte nichts davon.
Nachdem Adrian aus dem Bad zurück kam, nutzten auch Dearon und danach Jentrix die Dusche.
Und nach einer Weile stand dann endlich auch das Essen auf dem Tisch, bei dem alle reichlich zulangten. Zum einen hatten sie seit einer Weile nichts richtiges mehr gegessen und zum anderen wussten sie nicht, wann sie die nächste richtige Mahlzeit haben würden.
Barry war verstimmt und ruhig. Immer wieder sah er zu Kayleigh und Mica hinüber, die nebeneinander saßen.

Während des Essens hatten sie kaum miteinander gesprochen, aber gleich danach wollte Kayleigh wissen, was Mica zu erzählen hatte und vor allem, wie er ihr helfen wollte.
„Ich weiß zwar nicht, wo dein Dad oder deine Tante stecken, ...“ fing Mica an.
„Wie willst du uns dann helfen? Wenn du wüsstest wo der Schlüssel ist, hättest du ihn doch selbst geholt!“ fiel Barry ihm ins Wort.
Mica sah ihn irritiert an.
„Ich weiß nicht, wo der erste Schlüssel steckt!“ gab er dann zu, „Aber ich weiß ein paar andere Sachen!“
Barry wollte wieder etwas zornig entgegnen, als Kayleigh ihn finster ansah und dagegen protestierte, dass er sich, wie sie sagte, wie ein Arschloch benahm. Adrian verkniff sich das Lachen, während die andere beiden Jungs fragend zwischen Kayleigh und Barry hin und her sahen.
„Was weißt du?“ richtete sich Kayleigh an Mica.
„Ich weiß von dem Buch!“
Nun reagierten alle ein wenig überrascht und teilweise besorgt.
„Was genau … weiß du?“ fragte sie nach.
Mica erzählte ihr den Teil der Geschichte von Thomas Learmont und seinen Söhnen, die sie selbst schon kannte.
„Es heißt auch, dass alle wahren Schlüsselmeister aus ein und der selben Familie sind!“ Die Bemerkung klang wie beiläufig erwähnt, „Sie sind die stärksten aller Schlüsselträger!“
Kayleigh nickte, obwohl sie nicht wirklich verstanden hatte, was er damit meinte.
„Dein Onkel, zum Beispiel, ist ein ziemlich mächtiger Schlüsselmeister!“
Barry sah Mica fragend an. Unter anderem, da er nicht wusste, welchen von Kayleighs Onkeln, ob ihn oder seinen Bruder Jim, er gemeint hatte.
„Du und dein Bruder seit auch ziemlich stark!“
„Ja, aber wir sind nicht mit Onkel Jim oder ihm hier ...“ Adrian zeigte auf Barry, „... blutsverwandt!“
Mica sah zu Barry.
„Wirklich?“ Er klang nicht wirklich überrascht. Viel eher wirkte er so, als wisse er mehr, als er sagen wollte.
Dann erzählte er weiter.
„Ein richtig guter Schlüsselmeister kann Türen und die Schlüssel dazu erkennen. Einige sind sogar in der Lage andere Schlüsselträger zu spüren und die stärksten können sogar der Spur eines Schlüssels und sogar einem bestimmten Träger folgen.“
Kayleigh nickte und flüsterte nur: „Vigilius!“
„Ja, der ist auch so einer!“ bemerkte Mica, „Er ist einer der ersten Schlüsselmeister und beherrscht es neben dem Spurenlesen bestimmter Schlüsselträger oder Schlüssel auch immer das richtige Ziel zu finden!“
Dearon wirkte irritiert. Irgendwie war es zu viel und doch zu wenig Information für ihn.
„Vigilius kann das richtige Ziel finden? Was meist du damit?“ fragte er nach.
Es war Kayleigh, die ihm antwortete:
„Vigilius kann bestimmen, wo er landet, wenn er durch eine Tür tritt.“
„Matt aber auch!“ fiel Adrian ein.
Mica reagierte auf den Namen mit einem Wimpernzucken.
„Und wie Kayleigh!“ bemerkte Barry.
„Das war Zufall!“ kam leise von ihr.

Ehe noch irgendwer weitere Fragen stellen konnte, räumte Mica den Tisch ab. Barry tat als würde er ihm helfen und ging ihm zur Hand.
„Was weißt du noch?“ wollte er flüsternd wissen.
„Ich weiß, dass du bereits drei Mal zu hause gewesen bist, aber immer wieder gegangen bist!“ antwortete Mica ebenfalls flüsternd, so dass niemand anderes außer Barry es hören konnte, „Es ist unter anderem deine Schuld, dass dein Bruder James seine Familie verlassen hat!“
Mit den Worten lies Mica Barry stehen und ging zu den anderen, die wieder im Wohnzimmer Platz genommen hatten.
Für einen Moment wusste Barry nicht, wie er reagieren sollte. Er misstraute Mica und mit seiner Aussage eben, machte er sich auch nicht beliebter. Um sich abzureagieren, ging Barry ins Bad.

„Ihr seid schon ganz schön lange unterwegs!“ bemerkte Mica, als er sich Kayleigh gegenüber setzte.
Neben ihr hatten auf der einen Seite Jentrix und auf der anderen Seite ihr Bruder Platz auf der dunklen Couch genommen. Dearon saß auf dem Sessel neben Jentrix, wohl um aufzupassen, dass er nichts Dummes anstellte.
„Seit Januar!“ antworte Kayleigh nur.
Mica rechnete kurz nach.
„Also seit fünf Monaten und sieben Tagen!“ Er klang ein wenig beeindruckt.
„Woher weißt du das?“ wollte Adrian gleich wissen, „Ich meine, woher weißt du genau, wie viele Tage das sind?“
Mica strich sich ertappt durch die Haare.
„Ihr seit … am zehnten Januar von zu hause verschwunden. Und ihr seit vor einer Weile in Italien gewesen, dann in Asien und Mexiko und auch in London.“
Nun wurde auch Kayleigh etwas hellhörig.
„Du hast uns verfolgt?“ dachte sie.
Wieder brauchte Mica einen Moment ehe er antwortete.
„Nicht ganz!“ meinte er nur.
„Was heißt das?“ Adrian wirkte so, als würde er Barry in Sachen Wutausbruch Konkurrenz machen wollen.
Kayleigh war ebenfalls wenig begeistert von Micas vager Aussage.
„Ich habe eure Spur verfolgt!“ gab Mica dann zu, „Aber nicht nur eure Spur!“
Kayleigh konnte ihren Bruder gerade noch abhalten, wütend aufzuspringen.
„Ich habe Matt bei seiner Suche geholfen! Er wollte, dass ich nach seiner Familie suche!“
Mica sah Kayleigh tief in die Augen.
„Er wollte, dass ich dich und deinen Bruder sowie euren Vater und eure Tante finde!“
„Was?“ Adrian verstand nicht.
Kayleigh hingegen fühlte sich in ihrem Verdacht bestätigt. Ihr Onkel Jim und Matt waren ein und die selbe Person.
„Wieso hat er sich umgenannt?“ stellte sie unbeabsichtigt als Frage.
„Weil er euch schützen wollte!“
„Schützen?“ Wieder wollte es Adrian genauer wissen.
„Er wusste, wie gefährlich die Schlüssel waren. Und er wusste, dass einige Schlüsselmeister ihm folgten und ihn überall finden würden.“
Mehr wollte Mica nicht sagen. Besorgt sah er zu Kayleigh hinüber.
Sie hatte verstanden, was er lieber ungesagt lassen wollte. Ihr Bruder allerdings verstand es noch immer nicht.
„Barry hat euch einmal besucht.“ gab Mica zu verstehen, „Aber er war nicht der einzige, der in das Haus eures Onkels kam. Und einige wollten nicht einfach wieder gehen.“
Kayleigh stand einfach auf und ging aus dem Raum.
Adrian sah ihr irritiert nach, während Jentrix ihr hinterher ging.

Kayleigh stand in der Küche, die Hände auf der Spüle abgestützt und starrte auf das leere Spülbecken vor sich.
Sie bemerkte Jentrix nicht sofort.
„Alles okay bei dir?“ wollte er wissen.
„Mir war nur … kurz schwindlig!“ log sie.
Auch Mica war ihr nachgegangen. Er stand hinter Jentrix. Er ahnte weswegen sie den Raum verlassen hatte, ebenso wie es vermutlich auch Jentrix tat.
Ohne etwas zu sagen, ging Mica zurück zu den anderen.

„Was ist los?“ kam sofort von Adrian, der in die Küche zu seiner Schwester gehen wollte.
Mica schüttelte nur den Kopf.
„Lass sie!“
Adrian sah ihn fragend an.
Dearon war der Grund für Kayleighs Reaktion wieder eingefallen.
„Der Tod deiner Mutter!“ meinte er nur.
Mica nickte und Adrian setzte sich wieder wortlos.
„Dein Onkel glaubte, dass wenn er geht und seinen Namen ändert, würdet ihr sicher sein!“ erklärte Mica, „Eine Zeit lang hat das auch funktioniert!“
„Woher weißt du soviel über unsere Familie? Du kannst unmöglich alles wissen, wenn du vor Jahren mit Kayleigh zusammen warst!“ wollte Adrian wissen.
Mica erzählte ihm dann, dass er Jim schon kannte, bevor dieser seine Familie verlassen hatte. Er war damals noch ein Kind gewesen und Jim sei bei ihm verletzt zu hause aufgetaucht. Was passiert war, hatte Jim ihm nicht erzählen wollen, aber wie Mica schnell mitbekommen hatte, hatte es etwas mit Schlüsseljägern zu tun. Und plötzlich war er selbst mit drin und war ein Reisender. Mit Jim hatte er dann versucht mehr über die Schlüssel und ihre Nutzer heraus zu finden. Heraus kam eine ziemlich lange Liste Vermisster.
Und dann als Jim heraus fand, dass nun auch der Rest seiner Familie mehr oder weniger ein Opfer der Schlüssel geworden und verschwunden war, hatte er ihn gebeten, ihm beim Suchen zu helfen.
„Wie wolltest du das anstellen?“ hinterfragte Dearon.
„Durch das Internet und Überwachungsvideos!“ gab Mica zu.
„Du bist der Erfinder der komischen Seite?“ wollte Adrian wissen.
Mica zog fragend eine Augenbraue nach oben. Nickte aber dann.
„Ich hab gehofft, so mehr Hinweise zu bekommen. Über euren Verbleib und über den Verbleib der anderen Verschwundenen.“ erklärte er.

Barry hatte sich beruhigt und erfrischt. Er stand noch in der Badezimmertür, als er Kayleigh und Jentrix in der Küche bemerkte.
Sie stand noch immer an der Spüle und verkniff sich die Tränen. Aber so recht wollte es ihr nicht gelingen.
Jentrix sagte nichts. Worte hätten eh nicht viel gebracht.
Er ging einfach zu ihr hinüber, griff nach ihrem Arm und drehte sie zu sich.
Barry wusste nicht wie er reagieren sollte. Er kam sich vor, als würde er gerade etwas Verbotenes sehen, dabei nahm Jentrix Kayleigh nur in seine Arme.
Es wirkte. Irgendwie. Nicht das die Umarmung verhinderte, dass Kayleigh zu weinen begann. Aber sie half und tat gut.
Und noch dankbarer als für den Trost war Kayleigh, dass Jentrix nichts sagte.

„Weißt du, wo Dad und Meryl sind? Ich meine, mein Dad und meine Tante!“ wollte Adrian wissen.
„Ich weiß nicht, wohin sie jetzt verschwunden sind. Sie waren zuletzt bei der Flut in Polen. Aber sie sind schon weiter gereist.“ antwortete Mica bedrückt, „Ich hab sie bis jetzt noch nicht wieder gefunden. Tut mir leid!“
Adrian verfiel wieder in nachdenkliches Schweigen und auch Dearon wusste nichts zu sagen.
Ein paar Minuten später kamen Jentrix und Kayleigh, noch immer mit Tränen in den Augen, ins Wohnzimmer zurück.
„Können wir hier schlafen?“ kam leise von ihr.
Mica sah sie mit großen Augen an. Er hatte sie lange nicht mehr so nieder geschlagen gesehen. Im Grunde hatte er sie so nah vor sich seit einigen Jahren nicht mehr gesehen.
„Ja, ja natürlich!“ meinte er dann und sprang von seinem Platz auf, „Ich hab oben zwei Gästezimmer und hier unten auf der Couch kann auch noch jemand schlafen!“
„Kann ich ...“ Kayleigh wollte sich einfach nur hinlegen.
Mica sagte ihr, welches Zimmer sie nehmen könne, blieb aber selbst unten bei den Jungs, zu denen sich Barry wieder gesellt hatte.
Kayleigh ging allein nach oben, nahm sich das kleinere der Gästezimmer und verkroch sich unter der Bettdecke, so als sei sie eine Art Schutzschild. Deutlich konnte sie die Geräusche von unten hören. Mica hatte irgendwas von einem Fußballspiel gesagt, welches er ansehen wollte und die Jungs hatten nichts dagegen gehabt.

Stunden später, nachdem sie zwei Spiele und einen Film gesehen hatten, hatten sich auch die Jungs zu Bett begeben. Nur noch Mica und Barry waren auf und saßen Tee trinkend im Wohnzimmer.
„Du wusstest, dass ich mehrmals im Haus meiner Eltern war? Woher?“ wollte Barry wissen.
„Jim wusste es!“
Barry sah ihn irritiert an.
„Dein Bruder hatte die ganze Zeit versucht, dich zu finden, doch du bist wieder verschwunden.“ Mica klang vorwurfsvoll.
Für ein paar Minuten herrschte Schweigen.
„Was weißt du noch über mich?“
„Damals hast du nicht nur Kayleigh und ihren Bruder getroffen!“ antwortete Mica nur knapp. Es schien als wartete er darauf, dass Barry sein Geheimnis selbst verriet.
Aber er sagte nichts dazu.
Ein paar Minuten lang dachte Barry nach und bat dann Mica weder Kayleigh noch Adrian etwas davon zu erzählen.

Gegen neun Uhr wollte Mica das Frühstück vorbereiten, als er Kayleigh in der Küche sitzend antraf. Sie hatte vor sich das Buch und das frisch gefundene Fotoalbum auf dem Esstisch liegen. Aber weder das eine noch das andere konnten ihr irgendwelche Antworten geben.
„Wie lange bist du schon wach?“ wollte er wissen und erschreckte sie.
„Ein Weilchen!“ Sie klappte beide Bücher wieder zu und packte sie in ihre Umhängetasche, die neben ihrem Stuhl stand.
„Du hast immer noch Alpträume?“ Es war weniger eine Frage als vielmehr eine Feststellung.
Kayleigh antwortete nicht darauf, aber allein ihre Gestik verriet sie.
Mica wechselte selbst das Thema.
„Weck du die Jungs und ich zaubere uns was zu Essen!“ bat er sie und sie tat wie geheißen.
Während sie die Treppe nach oben ging, da alle außer Barry in dem Gästezimmern übernachtet hatten, holte Mica das Buch wieder aus Kayleighs Tasche.
Er blätterte kurz darin. Viel Text fand er nicht vor und das wenige, was darin stand, wusste er selbst.
Dann packte er leise das Buch wieder zurück. Gerade noch rechtzeitig, denn Barry wachte langsam auf. Er hatte die Nacht auf der Couch verbracht.

Nach ein paar Minuten kam Kayleigh wieder nach unten, gefolgt von den drei Jungs.
Es folgte ein fast wortloses Frühstück.
„Ihr solltet euch noch was zum Mitnehmen zurecht machen!“ meinte Mica und alle sahen ihn irritiert an.
Dann stimmte Kayleigh ihm zu.
„Ich muss auch bald los!“ wieder nur eine beiläufige Bemerkung von Mica, die Interesse erweckte.
„Wo willst du denn hin?“ wollte Barry wissen, der sogleich Verrat witterte.
„Jim steckt in Schwierigkeiten!“ antwortete Mica nur, „Ich muss ihn finden!“
Kayleigh nickte nur, als wüsste sie wovon er redete.
„Und ihr müsst auch weiter!“
Wieder richteten sich alle Blicke auf Mica.
„Ihr müsst die verlorenen Buchseiten finden!“ antwortete er.
„Weißt du, wo sie sind?“ fragte Adrian.
Mica stand auf, holte einen Zettel und gab ihn Kayleigh.
„Was ist das?“ wollte sie von ihm wissen.
„Meine Handynummer und meine E-Mail-Adresse!“ meinte er, „Für den Fall, dass du reden willst oder Hilfe brauchst!“
„Und wie hilft uns das jetzt weiter?“ kam von Barry.
Mica zog ein weiteres Stück Papier hervor. Diesmal aus seiner Hosentasche. Und wieder gab er es Kayleigh.
Diesmal war es ein Flyer eines Museums mit der Werbung einer Antikensammlung.
„Du meinst dort sind die Buchseiten? Wo genau?“ hakte sie nach.
„Wo genau, weiß ich auch nicht! Aber du wirst die Seiten erkennen!“ antwortete Mica nur.
„Und wie sollen wir dahin kommen?“ platzte es, wieder im leicht gereizten Ton, aus Barry heraus.
Mica zog beide Augenbrauen hoch und sah ihn ungläubig an.
„Kayleigh wird das hin bekommen!“ meinte er dann, ohne weitere Erklärung.
Keiner fragte weiter. Jeder machte sich etwas zu Essen für unterwegs.

„Gut, ich muss dann mal los!“ meinte Mica dann. Er benötigte keine extra Tasche, wie die anderen, denn er konnte ohne Probleme hin und her reisen.
Kayleigh und die Jungs setzten sich ihre Rucksäcke wieder auf und warteten kurz.
Mica drückte Kayleigh zum Abschied noch einmal fest an sich und wünschte ihr Glück. Den Jungs gab er nur die Hand und zu Jentrix meinte er flüsternd, dass er auf Kayleigh gut aufpassen sollte. Jentrix war irritiert über die Bitte oder vielmehr den Befehl von Mica.
Dann entfernte Mica den Türstopper, schloss die Tür und öffnete sie wieder mit dem Schlüssel und verschwand.
„Und nun? Wie kommen wir jetzt zu dem Museum?“ wollte Barry leicht gereizt wissen.
Kayleigh ignorierte ihn, zog irgendeine ihrer Karten hervor und fuhr damit zwischen Tür und Rahmen entlang. Dann öffnete sie die Tür und ging hindurch.
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