Kapitel XXI
Kayleigh war nach einer Weile eingeschlafen, bewacht von ihrem Bruder, der sich neben sie aufs Bett gesetzt hatte. Es erinnerte ihn irgendwie an die Zeit kurz nach dem Tod ihrer Mutter. Da hatte Kayleigh auch immer Einschlafprobleme gehabt, so hatte es ihr Dad genannt. Im Grunde hatte sie Angst allein zu sein, so wie jetzt auch.
Adrian schlief auch irgendwann ein. Es kann nun mal ziemlich langweilig sein, jemanden beim Schlafen zu beobachten.
Die anderen drei unterhielten sich noch eine kleine Weile, ehe sich auch Jentrix schlafen legte. Dearon wollte die Wache übernehmen. Es sei sicherer, so seine Meinung, denn es könnte irgendwer auftauchen. Allerdings hatten sie, dadurch dass sie die Türen alle einen kleinen Spalt offen ließen, dafür gesorgt, dass niemand unbemerkt in den Raum kommen konnte. Nur war nun die Eingangstür für die normalen Leute offen, und die brauchten dann keinen magischen Schlüssel um hinein zu gelangen. So oder so, ob nun mit offener oder geschlossener Tür, war es riskant. In beiden Fällen könnte ein unerwünschter Besucher auftauchen und für reichlich Ärger sorgen.
Barry suchte sich einen Platz, von wo aus er die Eingangstür und auch die anderen beobachten konnten. Noch immer traute er Jentrix und Dearon nicht. Er kannte sie schließlich noch weniger als die Geschwister.
Wieder ein Alptraum und wieder das Erwachen in unbekannten Zimmer. Kayleigh hasste es.
Ein paar Minuten starrte sie an die dunkle Decke.
„Alles okay bei dir?“ flüsterte jemand.
Es war nicht ihr Bruder, denn der schlief noch, wie man deutlich hören konnte.
Dearon setzte sich zu ihr ans Bett.
Sie nickte nur, obwohl sie sich sicher war, dass er dies in der Dunkelheit kaum erkennen würde.
„Du hast ziemlich oft Alpträume, oder?“ stellte er fest.
Wieder nur ein Nicken von ihr.
„Manchmal hilft es, wenn man darüber redet!“ Es klang wie ein Angebot.
Aber Kayleigh wiegelte ab.
„Er wäre dann sicher sauer auf mich!“
„Dein Bruder?“ Dearon verstand nicht, was sie damit meinte. Sehr wohl aber, dass er den Grund nicht erfahren würde.
Für ein Moment herrschte Stille, außer dem Schnarchen ihres Bruders.
„Was hast du vorher gemacht?“ wollte sie dann von ihm wissen, „Ich meine, vor … deiner Reise!“
Er lachte leise auf.
„Reise klingt gut!“
Dann überlegte er kurz. Nicht was er ihr erzählen sollte, als vielmehr dachte er darüber nach was vorher war.
„Ich war auf dem Weg zu einem Casting!“ begann er.
„Casting?“ Ihr war bewusst geworden, dass sie bis jetzt außer den Namen und ihrem Alter nichts über Jentrix und Dearon wusste. Nun gut, sie wusste auch, dass beide aus Texas stammten und sich erst durch ihre Reise kennen gelernt hatten.
„Ich sollte für einen Teeniefilm vorsprechen!“ Er fand dies irgendwie komisch, denn das Lächeln war in seiner Stimme zu hören. Im Grunde war dies ein wenig komisch, da er nicht mehr Teenager war. Aber in der Filmwelt kann man mehr oder weniger mit dem Alter tricksen.
„Was ist passiert?“ frage sie leise nach, als er noch immer über sein Alter nachdachte und dann das Alter, was er hätte in dem Film haben sollen. Da lagen mehr als fünf Jahre dazwischen.
„Ich hab zuhause in L.A. meine Koffer gepackt, mich von meiner Verlobten verabschiedet und bin zur Wohnungstür raus!“
Das klang wenig spektakulär. Und so erzählte er weiter.
„Ich landete in Chicago, in der Nähe des Flughafens. Das ganze hat nur wenige Minuten gedauert.“
„Was hast du da gedacht?“ Sie konnte sich sehr gut an ihren ungewöhnlichen Reisestart erinnern. Etwas, was sie noch immer nicht so richtig glauben mochte.
Er lachte erneut.
„Ehrlich gesagt, hatte ich noch einen ziemlichen Kater, weil ich einen Tag vorher noch mit ein paar Kumpels eine Party geschmissen hatte. Also dachte ich, dass meine Kumpels mich einfach nach Chicago bugsiert haben.“
„Deine Kumpels …?“
„Das haben sie schon einmal mit mir gemacht, kurz nach meiner Verlobung. Und einmal hab ich den Streich auch einem von ihnen gespielt!“ verteidigte er sich kurz.
„Aha!“ Ein klein wenig erinnerte sie es an einen Film, den sie kurz vor ihrer Reise gesehen hatte. Nur dass dort die Streichspielenden nicht mehr erinnern konnten, wo sie ihr Opfer versteckt hatte.
„Ich bin also vollkommen verpeilt ins nächste Flugzeug zurück nach L.A. und erstmal wieder zu meiner Wohnung. Allerdings hätte ich wohl eher auf den Weg zum Casting machen sollen, als daheim noch einmal aufzutauchen zurück.“ meinte er bedrückt.
„Wieso?“
„Tja, meine Verlobte war …“ Er überlegte kurz, „... ziemlich beschäftigt! Sie hat sich mit irgendeinem Typen vergnügt, kaum dass ich aus der Wohnung war.“
Er holte Luft.
„Also hab ich mir gedacht, einfach weg zu gehen. Ich hatte meine Papiere und mein Gepäck und bin wieder aus der Tür raus. Und natürlich wieder irgendwo anders gelandet.“
Kayleigh grübelte kurz. Es kam ihr zu eigenartig vor, die Reise als einfachen Streich abzutun und das ganze dann noch einmal zu machen, wenn man doch die Wahl hatte.
„Tja, meine Verlobung war natürlich geplatzt und ich schmiss das Casting!“ beendete Dearon seine Erzählung.
„Du bist also Schauspieler?“ fragte sie müde. Nicht dass seine Erzählung so lahm gewesen sei. Viel eher war es schlichtweg der fehlende Schlaf, der sie nun wieder übermannen wollte.
„Nicht ganz!“
„Wie kann man nicht ganz Schauspieler sein?“
Er seufzte kurz.
„Als Kind hab ich zwei Jahre lang in einer Familienserie mitgespielt, an die sich keiner mehr erinnert. Ich war vier, als ich anfing als Schauspieler. Dann bekam ich nur noch sehr kleine Nebenrollen. Und meine größten Erfolge als Teeniedarsteller waren dann Nebenrollen im TV als Unfallopfer in einer Arztserie oder auch mal als Mordopfer in einem Krimi.“
„Aber es hat dir gefallen, oder?“
„Irgendwie schon. Aber ich bekam eine Zeit lang nur irgendwelche Rollen als bester Kumpel in Teenie-Soaps oder in Liebesschnulzen.“ antwortete er, „Ich hätte gern mal was in Richtung Action oder Mystery gemacht. So was wie Akte X oder so!“
Von Kayleigh kam nur noch ein leises „Mhm!“
„Du solltest wohl besser schlafen!“ meinte Dearon leise zu ihr.
Er bemerkte, dass Barry nur so tat als schliefe er. Aber im Moment war dies egal.
Kayleigh war eingeschlafen und ihm wurde ein klein wenig langweilig, also schnappte er sich seinen Laptop und spielte eines der vorprogrammierten Kartenspiele.
„Hey, Prinzessin! Aufwachen!“ Jentrix tippte ihr auf die Schulter.
„Wie spät ist es?“ wollte sie verschlafen wissen.
„Mhm … schwer zu sagen, bei dem ganzen hin und her! Wir müssten eigentlich einen ganz schön heftigen Jetlag haben!“ Er grinste kurz, „Also sagen wir es mal so, hier dürfte es Mittag sein!“
Kayleigh sah ihn irritiert an.
Er seufzte, so als habe sie seinen Witz nicht verstanden.
„Laut TV-Nachrichten ist es nun zwölf Uhr mittags!“ verbesserte er sich.
„Okay!“ kam daraufhin nur von ihr. Sie stand auf, wobei sie im ersten Moment erst mal ein wenig Mühe hatte. Noch immer erschien ihr der rechte Arm zu schwer. Aber dagegen konnte sie nichts tun.
Sie wollte als erstes aus dem Krankenhaushemd. Es war weder so richtig bequem noch in irgendeiner Weise vorteilhaft. So kramte sie in ihrem Rucksack nach einem T-Shirt, bei dem die Ärmel etwas lockerer waren, sodass sie es über ihren Gips bekam. Mit dem Shirt in der Hand ging sie ins Bad und lies die Tür hinter sich nur einen winzigen Spalt offen. Sie hatte mehr Angst davor, dass irgendein fremder Reisender durch die Tür kommen konnte, als davor, dass einer der Jungs durch den Türspalt linsen könnte.
Nachdem sie sich nun ohne gestört zu werden umgezogen und auf Toilette erleichtert hatte, kämmte sie ihre langen Haare mit den Fingern durch. Besser würde sie das schwarze Gewussel auch nicht frisieren können.
Als sie zu den Jungs in den Raum zurück ging, hielt Jentrix ihr gleich einen Becher Cappuccino hin und eine kleine orangefarbene Dose.
„Was ist das?“ wollte sie irritiert wissen.
„Aspirin! Könnte dir gegen die Schmerzen helfen!“ meinte er und zeigte auf ihren Gips, „Und hier gibt’s noch ein wenig Frühstück!“
Sie setzte sich an den Tisch, an dem bereits ihr Bruder und Dearon saßen, der schon wieder an seinem Laptop herumspielte. Barry saß auf dem Bett, mit Kayleighs Buch in der Hand und versuchte wie immer aus dem Wenigen darin schlau zu werden.
Jentrix setzte sich neben Kayleigh und starrte eine Weile seinen Kumpel an.
„Was gibt’s neues?“ platzte es ihm dann, da Dearon nicht reagierte.
„Nun, ein Erdbeben in Asien, ein Vulkanausbruch, der den Flugverkehr in Europa lahm gelegt hat, einen ewig andauerten Krieg … Also was genau interessiert dich daran?“ wollte dieser im Gegenzug wissen. Anscheinend hatte er gerade ein paar Nachrichten im Internet gesehen, dass er so genau aufzählen konnte, was in der Welt so passiert war.
Jentrix wusste dass Dearon nur so tat, als sei er genervt.
„Hast du … was über meine Familie gefunden?“ kam schüchtern von Kayleigh, die an einem belegten Brötchen herum kaute.
„Na ja, die Suche ist nicht ganz so einfach!“ stellte Dearon gleich fest, „Es ist ja nicht so, als hätten sie ein Peilgerät an sich.“
Kayleigh sah ihn erwartungsvoll an.
„Es gibt keine Nachrichten über ein plötzlich aufgetauchtes Paar! Sorry!“ verbesserte er sich.
Dennoch suchte er weiter.
„Mhm? Die Seite muss neu sein!“ kam dann von ihm.
Adrian neben ihm sah ebenfalls ein wenig irritiert drein.
„Eine Vermisstenwebseite!“ stellte dieser dann fest. An sich nichts besonderes. Nur war hinter einigen Namen ein Sternchen, ohne jedoch eine Erklärung was dies bedeuten könnte.
Dearon drehte den Laptop zu Kayleigh und Jentrix, damit auch sie einen Blick darauf werfen konnten.
„Ich glaube, die Sternchen sind Reisende!“ war Jentrix Meinung.
„Nicht ganz, glaube ich!“ Kayleigh zeigte auf die Namen ihrer Familie. Hinter dem Namen ihres Vaters und ihrer Tante war ein Sternchen, hinter dem von ihr und ihrem Bruder allerdings nicht.
„Und was ist es dann?“ wollte Jentrix von ihr wissen.
„Vielleicht ist es eher eine Liste der Vermissten, die man irgendwo gesehen hat!“ antwortete sie und wollte mit der linken Hand den Laptop zu sich ziehen.
Aber Jentrix sah sie mit großen Augen an.
„Kannst du mal den Namen oder den Stern dahinter anklicken?“ Sie zeigte auf den Namen ihres Vaters.
„Und dann?“ fragte Jentrix und tat es ohne auf ihre Antwort zu warten.
Es öffnete sich eine kleine Detailinfo unter dem Namen, die lediglich ein Datum und einen Ort enthielt.
„Was ist das?“
„Russland, Militärbasis!“ las Kayleigh vor. Das war der Ort gewesen, wo man ihren Vater und ihre Tante erwischt hatte. Von ihrem Auftauchen gab es sogar einen Beweis auf Video, das nun ebenfalls einen Weg ins Internet geschafft hatte. Und das Datum hinter dem Ort, schien das Datum der Sichtung zu sein.
„Ist bestimmt nicht einfach, alle Vermissten raus zu suchen und dann noch raus zu kriegen, wo sie aufgetaucht sind!“ stellte Jentrix fest.
Dann fuhr er scrollte er die ganze Seite ab, suchte nach versteckten Buttons oder Links. Doch er fand außer der ungewöhnlichen und langen Liste nichts weiter.
„Hier steht nur nicht, wer sich die Mühe gemacht hat!“ war sein Resultat.
Kayleigh widmete sich wieder ihrem Essen zu, wobei sie nach grübelte, wer der Urheber der Seite sein könnte. Ihr fiel lediglich Matt aus Australien ein, der eine ganze Wand voller Vermisstenanzeigen in seinem Arbeitszimmer hatte. Aber ob er diese enorme Recherche fürs Internet ausgeweitet hatte?
Barry unterdessen hatte das Buch mehrmals durchgeblättert. Bei den ersten zwei Malen stand lediglich darin, dass es jemanden gab, der die Gefahr der Schlüssel und ihrer Nutzer sah und versuchte seine Familie zu beschützen. Wie er dies tat und wer er überhaupt war, stand allerdings nicht drin.
Dann war beim dritten Durchblättern der Text plötzlich verschwunden und es tauchte ein neuer auf. Er war viel länger und erzählte von einem Streit zweier Brüder.
Barry las den Text im Ganzen, aus Angst er könnte sofort wieder verschwinden. Doch nachdem er erneut ein paar Mal vor und zurückblätterte, in der Hoffnung auf weitere und wenn möglich brauchbarere Informationen, fand er den Text immer wieder auf den selben Seiten. Anscheinend hatte sich das Buch überlegt, nun nicht mehr seine Texte verschwinden zu lassen, was an sich ein recht eigenwilliger Gedanke war. Schließlich war das Buch kein Lebewesen! Jedenfalls nicht im klassischen Sinne!
Der Text blieb und mit ihm das Gefühl endlich ein klein wenig aus der Vergangenheit der Schlüssel erfahren zu haben. Nur war es zu wenig um genug über die Herkunft der Schlüssel zu wissen.
Frustriert legte Barry das Buch wieder weg. Es würde ihm nichts weiter verraten.
Für einen Moment herrschte wieder Schweigen unter den Fünf. Einzig aus dem Laptop kamen ein paar Geräusche, die vermutlich Musik sein sollten. Nur hatte Jentrix den Ton runter gedreht und sah sich etwas belustigt eine Videoaufnahme eines irritierten alten Mannes an, der an einer Tür ohne Wand drumherum vorbei läuft, als da jemand durch tritt und vor dem Alten auftaucht. Nun gut, dies war durchaus möglich, da die Tür, obwohl ohne stützende Wand drumherum, noch immer einen Türrahmen hatte. Allerdings schien dieser Clip weniger ein Überwachungsvideo zu sein, als vielmehr ein Scherzfilmchen.
„Wir müssen noch einmal zur Tankstelle!“ fiel Kayleigh plötzlich ein und alle Jungs sahen sie an.
„Du weißt aber schon, dass wir kein Auto haben?“ bemerkte Adrian mit leicht sarkastischem Unterton.
„Da ist ein Schlüssel versteckt!“ antwortete sie nur kurz und knapp.
„Und das weißt du weil?“ kam sofort von ihrem Bruder.
„Weil ich den Schlüssel gesehen habe! So wie in London!“
Barry und Adrian nickten. Sie waren schließlich mehr oder weniger dabei gewesen. Jentrix und Dearon allerdings schienen ein klein wenig überrascht.
„Wie kommt es, dass du die Schlüssel erkennst und finden kannst und sogar die Durchgänge siehst?“ wollte Jentrix wissen.
„Und wie kannst du selbst eine Tür schaffen?“ war Dearons Frage.
„Ich … ich weiß nicht?“ Das stimmte sogar. Sie hatte keine Ahnung, woher ihre sonderbaren Kräfte stammten, wenn man es so nennen konnte. Allerdings hatten sowohl ihr Bruder Adrian als auch Barry ein paar funktionierende Schlüssel und die passenden Türen dazu gesehen. Da blieb eigentlich nur noch die Frage, woher sie die Fähigkeit hatte, einen Durchgang zu erschaffen. Dass sie nun anscheinend auch Schlüssel über Entfernungen spüren konnte, verriet sie lieber nicht.
„Nun gut, dann sollten wir uns den Schlüssel holen!“ kam sofort von Barry. Es war immerhin ein Schlüssel, ob nun im Moment brauchbar oder nicht. Er musste ihn bekommen, eh es ein anderer tat.
Also war dies beschlossene Sache.
Sie sammelten ihr Zeug wieder zusammen und zogen sich ihre Jacken wieder über. Kayleigh allerdings musste sich eine Jacke ihres Bruders leihen, da sie keine Möglichkeit sah, mit ihrem Gipsarm in ihre Jacken zu passen. So sah sie ein wenig lustig aus, da ihr Bruder größer als sie und die Jacke dementsprechend länger war. Das war im Grunde egal, so lange sie ihren Zweck erfüllte.
Sie gingen den Weg entlang, den Jentrix und Dearon in der Nacht genommen hatten. Nun am Tage sah die Gegend ein klein wenig anders aus.
„Wo sind wir eigentlich?“ wollte Adrian wissen, nur um die stille Wanderung durch die Straßen zu vertreiben.
„Mexiko!“ kam von Barry, der sich an Kayleighs Vermutung der Nacht erinnerte.
Bald schon sahen sie eine Straße, die neben einem Zaun verlief und ein Schild.
„Wir sind an der Grenze? Wow!“ meinte Adrian plötzlich, „Wir sind fast zuhause!“
Kayleigh sah ihn mit großen Augen an. Ihr Zuhause war nicht wirklich in der Nähe. Sie waren, so wie es das Straßenschild verriet, in Tijuana und auf der anderen Seite lag San Ysidro, Kalifornien. Boise, Idaho, ihr Zuhause, lag als noch in weiter Ferne.
„Wenn wir Papiere hätten, wäre es vermutlich einfach, über die Grenze zu gehen!“ kam von ihr, wobei sie ihren Bruder scharf ansah, „Allerdings kommst du mit den Schlüsseln schneller voran. Da braucht man keinen Ausweis!“
Adrian seufzte.
„Schneller ja! Wäre aber schön, wenn man sein Ziel selber wählen könnte!“ bemerkte er.
Sie nickte.
„Und wenn wir nach hause laufen, werden wir Dad und Meryl wahrscheinlich nicht verfolgen können!“ fügte er hinzu.
„Finden!“ verbesserte seine Schwester ihn.
Und wieder brach Schweigen aus.
Sie betraten die Tankstelle und Kayleigh blieb erschrocken stehen. Im Laden stand der selbe Kerl wie schon in der Nacht.
„Was ist?“ wollte Dearon gleich wissen. Irgendwie schien er immer ein wachsames Auge auf sie zu haben oder er hatte einfach nur ein gutes Gespür dafür, wenn es jemanden nicht so gut ging.
„Er … hat mich gestern … belästigt!“ kam leise und zaghaft von ihr.
Alle vier Jungs sahen den Mann finster an. Dass Adrian deswegen sauer war, war ja noch zu verstehen. Immerhin war er ihr großer Bruder. Bei den anderen dreien war diese Reaktion etwas irritierend.
„Such du den Schlüssel!“ meinte Jentrix zu ihr, „Der da, macht keine Probleme!“
Sie sah ihn panisch an. So wie er es gesagt hatte, klang es, als würden die Jungs den Kerl verprügeln wollen.
„Der Schlüssel!“ erinnerte er sie.
„Ihr tut ihm aber nichts!“ gab sie scharf zurück.
Er nickte, wenn auch genervt.
Erst dann suchte sie nach dem Schlüssel und zog ihn dann hinter einem Reihe Bierdosen hervor. Dass er niemanden sonst aufgefallen war, lag vermutlich daran, dass er mehr oder weniger wie ein Sticker an dem Wandregal hinter dem Bier klebte.
Sie hielt den Schlüssel, auf dem ein Werbemotiv einer wohl älteren Biersorte war, hoch, sodass ihn die Jungs sehen konnten.
„Wir sollten wieder los!“ meinte Barry dann, wobei die anderem ihm zustimmten.
Auch Kayleigh war dafür, dass sie wieder aufbrachen. Sie mussten nur noch einen Durchgang finden.
Der Typ von der Tankstelle sah immer noch ein wenig verängstigt aus, so als befürchte er noch immer, jeden Moment von den Jungs verprügelt zu werden. Allerdings war er auch irritiert, dass sich die Fremden so für einen Sticker begeistern konnten.
Die Jungs gingen zur Eingangstür und wartenden eigentlich nur noch darauf, dass Kayleigh zu ihnen aufschloss, als diese plötzlich stehen blieb und zur Hintertür des Ladens sah.
„Was ist?“ kam von Barry, „Ich denk wir wollen weiter?“
Kayleigh war sich nicht so sicher. Sie spürte wieder diesen sonderbaren Druck in der Magengegend.
Aber diesmal war es weniger ein Schlüssel, der dieses Gefühl bei ihre verursachte. Es musste etwas größeres sein.
„Kayleigh?“
Noch immer starrte sie auf die Hintertür.
Nun starrte auch der Tankwart hin, wusste aber nicht, was sie sah.
„Da geht’s nicht raus! Ist abgeschlossen!“ meinte er nur.
Aber dann ging die Tür auf.
„Wir sollten verschwinden!“ kam von Kayleigh. Panik in ihrer Stimme.
Sie ging mit dem neuen Schlüssel auf die Eingangstür zu, noch ehe sie sah, wer durch die Tür trat.
Sie hielt den Schlüssel noch nicht einmal richtig an die Tür, als sie sie öffnete.
Alle schienen irritiert zu sein, was sie auf der anderen Seite der Tür zu sehen bekamen. Es war nicht mehr Mexiko. Es schien ebenso staubig zu sein, aber viel lauter.
„Los!“ brüllte Kayleigh die Jungs an, „Wir müssen gehen!“
Die Jungs wussten nicht, weswegen sie so panisch reagierte. Dann aber sahen sie, wer durch den anderen Durchgang trat.
„Er schon wieder?“ bemerkte Barry. Nun wollte auch er weg.
Er ging voran, gefolgt von Kayleigh und den anderen drei.
Der Tankwart war einerseits überrascht, dass die Hintertür anscheinend nicht verschlossen war, andererseits war da noch die sonderbare Gruppe, die verschwunden war. Dass die Gegend vor der Tür nicht mehr die richtige war, war noch verwirrender.
Was nun geschah, war nicht minder irritierend.
Durch die Hintertür war ein Junge von knapp zehn Jahren getreten. Er sah verärgert aus. Ohne ein Wort zu dem Verkäufer, ging er zur Vordertür und hielt irgendein Kärtchen dagegen, ehe er die Tür öffnete. Auch bei ihm war auf der anderen Seite der Tür nicht mehr die mexikanische Ortschaft zu sehen. Hier war plötzlich eine ziemlich grün bewaldete Gegend.
Der Junge ging durch die Tür und verschwand.
Der Mann zweifelte an seinem Verstand und ging zur Hintertür, nur um festzustellen, dass diese wirklich verschlossen war. Und auch hinter der Vordertür war keine andere Landschaft als die übliche zu sehen.
Was war hier also geschehen?