Schlüssel der Welt




Unterhaltungsliteratur in ihren verschiedenen Formen, wie beispielsweise Romane, Erzählungen, Kurzgeschichten, Berichte, Märchen und Sagen

Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 11:52

Kapitel XI

Schweigend gingen sie die Straße entlang. Diesmal waren sie nicht in irgendeiner mit Touristen überfüllten Gegend gelandet. So war es ruhiger, als zuvor.
Und auch das Wetter war freundlicher. Fast schon frühlingshaft.
Unweigerlich stellten sie sich die Frage, wie lange sie nun schon wieder in einem Durchgang gesteckt hatten. Aber sie wussten nun, dass ihre Reisen sie nicht nur an die verschiedensten Orte mit den unterschiedlichsten Klimazonen und Temperaturen brachte, sondern dass sie mitunter auch ziemlich lange unterwegs waren, ehe sie irgendwo landeten. Vielleicht war dies wieder geschehen und es war nicht mehr Winter. Vielleicht war es schon längst Frühling?

„Der Typ hat sie doch nicht mehr alle!“ platzte es aus Adrian heraus und er unterbrach damit die Stille, die zwischen den dreien herrschte.
„Was meinst du?“ wollte seine Schwester wissen.
„Na ja, erst behauptet er, er will uns alles erklären und dann sagt er, dass er nichts weiß!“ fluchte Adrian genervt.
„Vermutlich weiß er mehr, als er sagen wollte!“ meinte Barry im ruhigen Ton ohne seinen Blick auf Adrian und Kayleigh zuzuwenden. Auch er dachte darüber nach, was es mit die Typen in Australien auf sich hatte.

„Ich wüsste gern, wo wir jetzt schon wieder stecken!“ seufzte auf einmal Kayleigh und sie blieb mitten auf der Straße stehen und sah sich um.
Zwar wirkte die Region irgendwie italienisch. Aber andererseits hätte es auch irgendeine andere Landschaft sein können. Vereinzelte Bauernhäuser und Farmen waren zu sehen. Schafe standen auf einer eingezäunten Wiese. Und das alles im Schatten von Bergen.
Ein paar ältere Menschen spazierten an ihnen vorbei. Aber sie sahen sich die Fremden nur kurz an und setzten dann ohne großes Interesse an ihnen ihren eigenen Weg fort.
„Also wenn ich hier wohnen würde, würde ich mich tierisch langweilen!“ kam es wieder von Adrian, der sich ebenfalls einen Überblick über die Landschaft verschafft hatte.
„Du hättest aber sicherlich kaum Zeit dich zu langweilen!“ meinte Kayleigh nur leise, „So ein Bauernhof erledigt seine Arbeit nicht von selbst!“
„Klar, ich und Bauer!“ spottete Adrian nur.
„Wir sollten weiter!“ bestand Barry und ging voran.
„Na gut, ich will hier auch nicht überwintern!“ antwortete Adrian ihm und setzte ebenfalls seinen Weg fort.
Kayleigh aber wartete noch. Irgendetwas beunruhigte sie. Zwar schien die ganze Gegend mehr als harmlos zu sein, recht friedlich irgendwie, aber dennoch spürte sie, dass etwas nicht stimmte.
Sie wollte gerade die Jungs zurückrufen, wenngleich sie nicht wusste, was sie ihnen sagen sollte, als sie einen alten Herrn bemerkte, der langsam auf sie zu humpelte.
Und je näher der Mann kam, umso unbehaglicher wurde das Gefühl.
Wie ein immer stärker werdender Magenkrampf fühlte es sich an. So als habe sie das Falsche gegessen.

„Buongiorno!“ grüßte der Alte auf Italienisch und zog freundlich die graue Schirmmütze von seinem Kopf.
Er sah harmlos aus, wie wohl jeder andere alte Mann. Und dennoch konnte sie noch immer spüren, dass etwas mit ihm nicht stimmte.
„Was wollen sie?“ kam es etwas lauter über ihre Lippen. Es klang ziemlich feindselig, wie sie selbst bemerkte. Aber sie wusste, dass sie dem Herrn nicht trauen konnte.
Er zog seine weißen Augenbrauen nach oben, sah sie fragend an und grinste dann.
„Ich habe euch kommen gesehen!“ meinte er dann in fast akzentfreien Englisch.
„Kayleigh?“ Die Jungs hatten erst jetzt bemerkt, dass sie nicht mit ihnen gegangen war und rannten etwas panisch zu ihr.
„Wer ist das?“ kam etwas zorniger von Adrian, als er es beabsichtigt hatte. Aber er hatte ihren Gesichtsausdruck gesehen und wusste, dass etwas nicht stimmte. Und auch er konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass der Mann gefährlich war. Zudem musste er, da er der ältere Bruder war, irgendwie seine kleine Schwester beschützen, dachte er sich.
Der Mann musterte die Jungen und begrüßte auch sie freundlich mit einem „Buongiorno!“
„Komm mit Kayleigh!“ Adrian packte seine Schwester an der Hand und wollte sie weg ziehen.
„Ihr kommt direkt aus Australien!“ kam von dem Mann, der sich weder durch die finsteren Blicke der Jungs noch durch die ebenso feindselige Stimmung des Mädchens beirren ließ.
„Woher wissen sie das?“ wollte Barry wissen und trat einen Schritt näher auf der Alten zu.
„Ich habe euch gesehen!“ kam nur leise geflüstert vom Alten, „Und ich kenne auch den Schlüssel, der euch her brachte!“
Alle drei sahen ihn fragend an.
„Matt hat euch geschickt!“ meinte der Alte und wartete auch eine Reaktion der drei.
„Du kennst ihn?“ Wieder war es Barry, der aussprach, was auch den anderen durch den Kopf ging.
Der Alte nickte nur.
„Was weißt du noch?“ Seine Stimme klang noch immer recht drohend. Er traute dem Alten nicht.
„Was soll das heißen, du kennst den Schlüssel?“ wollte Kayleigh wissen.
Der Alte sah sie musternd an, ging aber weder auf ihre Frage noch auf die von Barry ein. Er warf einen Blick über die Straße.
Ein paar Bauern waren stehen geblieben. Anscheinend wollten sie ihren alten Freund helfen, sollte er Ärger mit den Jugendlichen bekommen. Sie schienen ja nicht gerade freundlich zu sein. Was sie beredeten, verstanden sie nicht.

„Matt hat euch hierher geschickt!“ begann der Alte erneut, „Er glaubt anscheinend noch immer, dass ich ihm irgendwie helfen kann!“
Wieder gab es mehr Fragen als Antworten.
„Wobei helfen?“ Kayleigh hatte zwar noch immer das ungute Gefühl im Magen, aber ihre Neugier schien größer.
„Das Geheimnis der Schlüssel zu finden!“ flüsterte der alte Mann.
Nun starrten auch die Jungs ihn fragend an.
Kurz besah sich der Alte die drei Kinder, dann humpelte er einfach an ihnen vorbei, ohne irgendein weiteres Wort.
„Was sollte das jetzt?“ knurrte Adrian.
„Meinst du, Matt hat uns wirklich hierher geschickt?“ wollte Kayleigh von Barry wissen.
Der zuckte nur mit den Schultern und sah dem Alten nach.

Nach ein paar Schritten blieb der Alte stehen und drehte sich zu den drei um.
„Wollt ihr nun noch Antworten haben?“ rief er ihnen zu.
Barry nickte seinen Begleitern zu und ging langsam zu dem Alten.
„Was soll das?“ murmelte Adrian und sah seine Schwester an.
Sie war ebenso ratlos.
„Sollen wir wirklich …?“
„Irgendwie ist der Kerl eigenartig!“ meinte Kayleigh nur. Adrian wusste nicht ob sie Barry meinte oder den alten Mann. Denn eigenartig waren in seinen Augen beide.
Kayleigh drückte Adrians Hand, die sie die ganze Zeit gehalten hatte, und ging langsam, mit ihrem Bruder an der Hand, dem Alten und Barry nach.
„Wir müssen vorsichtig sein!“ meinte sie leise zu ihm. Und er nickte nur.

Der Alte führte die Drei ein paar Häuser weiter und hielt erst vor einem kleineren Haus an, welches den Eindruck machte, dass es so etwas wie die Dorfgaststätte sein könnte.
Davor standen ein paar Stühle und ein etwas wackeliger Holztisch.
„Das ist besser, als die ganze Zeit zu stehen!“ meinte der Alte und nahm sofort Platz.
Noch immer waren die drei misstrauisch und sahen sich um.
„Hier können wir reden ohne gestört zu werden!“ kam von dem Alten. Etwas belustigt musterte er erneut seine drei Gesprächspartner, die im Grunde anscheinend noch nicht viel zu sagen hatten.
Da sie sich aber noch immer nicht trauten sich zu setzten oder zu sprechen, stellte er sich erst einmal vor.
„Ich bin Bastiano!“ Er nahm erneut die Schirmmütze von seinem hellen Haupt und legte sie auf dem Tisch ab.
„Matthew kenne ich nun schon seit ein paar Jahren!“
Anscheinend erwartete er, dass seine Bekanntschaft zu Matt ausreichen würde, dass er in ihren Augen vertrauenswürdiger war.
„Und er wollte, dass ich ihm mehr über die Schlüssel verrate!“
Nun zeigten die Drei endlich eine Reaktion.
„Und was wissen sie?“ kam langsam von Barry und er zog einen Stuhl etwas vom Tisch weg, um sich dann in einem sicheren Abstand zum Alten zu setzten.
Der Alte schmunzelte.
„Ich weiß, ...“ begann er ruhig, „... das sie sehr alt sind!“
Kayleigh zog eine Augenbraue nach oben. Soviel hatte ihnen Matt auch schon erzählt.
Noch immer standen sie und ihr Bruder händehaltend vor dem Tisch.
„Die Geschichte der Schlüssel ist mehrere Jahrzehnte alt!“ korrigierte sich Bastiano. Doch noch immer war die Aussage wenig informativ.
„Man sagt, dass es am Anfang nur einen einzigen Schlüssel gab!“
„Also wieder nur ein Gerücht!“ knurrte Adrian sogleich.
Der Alte schüttelte den Kopf.
„Ja und nein!“ meinte er dann, „Denn an jedem Gerücht ist etwas wahres dran!“
Kayleigh wartete eigentlich noch immer darauf, dass er endlich mit der Wahrheit herausrückte. Aber anscheinend würde sie nie die ganze Sache erfahren. Anscheinend lag es in der Natur der Wissenden, niemals ihr Wissen mit anderen zu teilen.
„Der erste Schlüssel diente nur einem einzigen Mann. Doch als er einen weiteren Schlüssel schuf, begann das Chaos!“
Der Alte holte tief Luft und wartete auf irgendeine Reaktion.
„Der zweite Schlüssel kam abhanden und der Finder nutze ihn, für seine Zwecke!“
„Aber das ist sicherlich auch nur ein Gerücht!“ knurrte Adrian dazwischen, „Und wie erklärt das, dass es so viele gibt?“
Bastiano sah ihn fragend an.
„Es gab auf einmal nicht nur einen Reisenden und nur einen Schlüsselmeister!“ antwortete er dann.
„Was?“
„Der Schöpfer eines Schlüssels!“
Noch immer verstand keiner der Drei, wovon der Alte eigentlich redete.
„Nur ein Meister kann Schlüssel erschaffen und sie auch unbrauchbar machen. Aber nutzen können die Schlüssel viele.“ Bastianos Art zu Reden ermüdete allmählich.
„Aber wieso gibt es so viele Schlüssel?“ wiederholte Adrian seine Frage.
„Da könntest du genauso fragen, wieso es so viele Menschen auf der Welt gibt!“ kam vom Alten.
„Wie funktionieren sie?“ wollte nun Barry wissen.
„Keiner hat es wirklich herausgefunden!“ meinte Bastiano leicht nachdenklich, „Vielleicht Wunschdenken, Magie?“
„Wenn es am Anfang nur einen Schlüssel gab, wie … Wie hat ihn der Schöpfer benutzt?“ wollte Kayleigh auf einmal wissen, „War er dann auch ziellos umher gereist?“
Bastiano zog die Augenbrauen hoch.
„Der erste Schlüssel ...“ Wieder holte er tief Luft und schien seine Gedanken sortieren zu müssen, „Der Universalschlüssel brachte einen dahin, wohin man immer wollte! Er konnte jede Tür öffnen und jedes Ziel finden!“
Alle Drei sahen den Alten fragend an.
„Universalschlüssel?“
Bastiano lachte kurz. „So könnte man das Ding nennen!“ gab er zu.
„Wo ist der Schlüssel?“ Kayleigh brannte darauf mehr über den Originalschlüssel zu erfahren.
„Verschwunden!“ Bastiano schien nicht sehr begeistert darüber.
„Das Buch …!“ Adrian tippte seine Schwester von der Seite an.
Kayleigh fischte das Buch aus ihrer Tasche und hielt es sichtbar nach oben. Geben wollte sie es dem alten Mann nicht. So sehr traute sie ihm nicht.
„Matt sagt uns, dass es uns helfen könnte!“ erklärte Kayleigh kurz.
Bastiano nickte nur kurz.
„Ja, aber wie soll es uns nützen?“ kam von Adrian.
„Es heißt, dass einige ihre Reiseerlebnisse notiert haben. Meist haben die Reisenden ihre Geschichten dann vererbt oder sie wurden gestohlen.“ versuchte Bastiano zu erklären, „In vielen der Bücher war soviel über die Schlüssel notiert, dass ziemlich schnell Gerüchte entstanden.“
„Was für Gerüchte?“ wollte Barry wissen.
„Die Gerüchte über die Herkunft der Schlüssel!“
„Ja, aber wie kann uns dieses Buch hier nützlich sein?“ wiederholte Adrian genervt seine Frage. Er wollte endlich mal eine richtige Antwort hören, die nicht sofort neue Fragen aufkommen lies.
„Wir sollen die ursprüngliche Geschichte darin finden!“ flüsterte Kayleigh, „Das hat Matt gesagt!“
Wieder zog Bastiano die Augenbrauen hoch.
„Die ursprüngliche Geschichte ...“ murmelte er leise vor sich hin.
Dann richtete er seinen Blick wieder auf Kayleigh und Adrian.
„Ihr besitzt etwas sehr wertvolles!“ meinte er zu ihnen.
„Und was genau?“ knurrte Adrian sofort wieder.
Kayleigh stieß ihn von der Seite an.
„Wie können wir unsere Familie wiederfinden?“ kam es von Barry.
Nun sah ihn nicht nur Bastiano fragend an. Auch Kayleigh und Adrian warfen ihm fragende Blicke zu. Bisher hatten sie sich keine großen Gedanken darüber gemacht, dass auch er seine Familie vermissen könnte.
„Deine Familie?“ murmelte Bastiano, „Du wirst sie wiedersehen! Irgendwann! Mit Sicherheit!“
Er klang sich alles andere als sicher.
„Aber vermutlich wird es anders sein, als du es erwartest?“
Barry war wenig begeistert davon, dass es anders sein würde. Im Grunde wollte er es sich nicht vorstellen, was mit seiner Familie wohl schon längst passiert sei. In den Jahren seiner Reise hatte er immer mehr den Überblick über die Zeit verloren. So wirklich konnte er nicht mehr sagen, wie viele Jahre inzwischen vergangen waren, seit seines unfreiwilligen Reiseantritts. Und er selbst war immer wieder mal jünger, älter und wieder jünger geworden. So dass er im Grunde nicht einmal mehr wirklich sagen könnte, wie alt er nun wirklich war.
Sollte er seine Familie wirklich wiedertreffen, würde es anders sein, als er erwarten würde. Mit Sicherheit.
„Und ihr beide ...“ Er richtete seinen Blick auf Kayleigh und Adrian, „Ihr werdet irgendwann auch wieder nach hause finden!“
Kurz brach Schweigen aus. Wieso hatte er den Geschwistern nicht auch versprochen, dass sie ihre Familie wiederfinden würden? Wusste er da etwas, was sie nicht wussten?

„Woher wusstest du, dass wir auftauchen?“ fiel Kayleigh plötzlich ein.
„Was meinst du?“ Keiner der anderen Drei verstand, was sie meinte.
„Du wirst doch nicht die ganze Zeit in der Nähe der Tür, durch die wir gekommen sind, gestanden haben und gehofft haben, dass irgendwann mal jemand auftaucht!“ erklärte sie, „Also woher wusstest du, dass wir kommen?“
„Ich habe nicht die ganze Zeit bei der Tür gewartet!“ antwortete Bastiano verschmitzt, „Im Grunde habe ich euch erst auf der Straße entdeckt und bin euch gefolgt!“
„Also verfolgst du immer … Touristen?“ kam von Adrian.
„Nur wenn ich spüre, dass sie besonders sind!“
„Was meinst du damit?“
„Sie hat es auch gespürt! Du vielleicht auch und vielleicht auch er!“ Bastiano zeigte von einem zum anderen.
„Was?“ Wieder einmal schien es so, als wolle der Alte Adrian keine klare Antwort geben.
„Die Schlüssel!“
Kayleigh sah mit einem Male ziemlich verbissen drein.
„Einige können die Schlüssel spüren, andere können sie sehen!“ lachte Bastiano, „Und manchmal kann man auch einen Schlüsselträger spüren!“
„Warum?“ kam es leise von ihr.
„Es liegt vermutlich an der Magie der Schlüssel! Sie ziehen sich an. Wie Magneten!“ Bastianos Lächeln im Gesicht erstarb, „Daher ist es gefährlich!“
„Weil jemand anderes einen findet, ehe man ihn bemerkt?“
Bastiano nickte.
„Es gibt einige, die alle Schlüssel an sich reißen wollen, um die alleinige Macht über sie zu haben. Oder weil sie hoffen, irgendwie den verloren gegangenen ersten Schlüssel zu finden.“ kam leise von dem alten Mann.
Wieder kam bedrückende Stille auf.
Zwar wusste Kayleigh nun woher ihre plötzliche Magenverstimmung herrühren konnte, aber es beruhigte sie nicht im Geringsten. Adrian erging es nicht anders.
Und auch Barry war nicht im mindesten erleichtert darüber. Zwar war er schon sehr lange unterwegs, aber bisher hatte er noch nie soviel erfahren. Nur wusste er nicht, weswegen er gerade jetzt Antworten bekam. Jetzt wo er auf die Geschwister getroffen war.

„Wenn wir den Universalschlüssel finden würden, könnten wir dann unsere Familie wiederfinden?“ fiel Kayleigh ein.
„Wenn du weißt, wo sie ist?“
Kayleigh schüttelte den Kopf. Sie wusste nicht wo ihr Vater und ihre Tante waren.
„Du kannst kein Ziel bestimmen, wenn du nicht weißt, wo du hin möchtest!“ erklärte Bastiano ruhig, „Daher solltet ihr euch Zeit nehmen!“
„Zeit?“ Adrian war wieder kurz davor seinem Ärger Luft zu machen, „Was wenn unsere Familie längst irgendwo aufgetaucht ist und in Gefahr! Da kann man sich keine Zeit nehmen!“
„Du wirst sie dir nehmen müssen!“ Bastiano klang nun nicht mehr ganz so freundlich sondern etwas strenger, „Wenn du immer nur los stürmst, wirst du so manches übersehen, was dir hilfreich sein könnte!“
Adrian sah den Alten zerknirscht an.
„Außerdem ist es manchmal auch notwendig eine Pause zumachen. Immer nur reisen ist nicht gesund!“
Noch immer war Adrian wütend über die Aussage des Alten.
Kayleigh hatte das Buch wieder weggepackt und griff nach Adrians Hand.
„Benimm dich!“ schien sie ihm zu zuflüstert und drückte seine Hand zusammen. Es schien zu wirken. Adrian schluckte seinen Zorn runter, wenngleich er den Alten immer noch wutentbrannt anstarrte.
Bastiano schmunzelte kurz.
„So ist es richtig!“ meinte er dann, „Ihr müsst zusammen halten, um das alles zu überstehen!“
Kayleigh sah ihn fragend an.
„Zusammen werdet ihr sicherlich mehr herausfinden als allein!“ Dabei warf er Barry einen Blick zu.
Dann stand der Alte auf und humpelte auf die Haustür zu.
„Und nun solltet ihr weitergehen!“ meinte er und öffnete die Tür.
Und wie schon bei Matt war hinter der Tür nicht das zu sehen, was man dahinter erwarten würde.
Statt des Hausinneren sahen sie eine weitere Straße.
Bastiano winkte ihnen zu, dass sie durch die Tür treten sollten.
„Einen anderen Durchgang werdet ihr so schnell nicht finden!“ meinte er nur, als sie sich nicht von ihrem Fleck rührten.
Barry warf den Geschwistern einen fragenden Blick zu, stand dann von seinem Platz auf und ging zu der Tür hin.
„Achtet auf die Zeichen!“ meinte Bastiano nur, als Barry an ihm vorbei durch die Tür ging.
Kayleigh führte ihren Bruder an der Hand hinterher.
Sie warf Bastiano noch einmal einen fragenden Blick zu.
Der Alte warf für sie noch immer merkwürdig. Egal wie sehr er ihnen mit seinen Antworten auch geholfen haben mochte. Irgendetwas hatte er ihnen aber vorenthalten, dachte sie sich.
Dann verschwanden auch sie und Adrian in der anderen Landschaft, hinter der Tür.
Bastiano sah ihnen kurz nach. Dann schloss er die Tür und setzte sich wieder an den Tisch und holte tief Luft.
Er dachte kurz darüber nach, wie vielen Reisenden er schon begegnet war. Viele waren es nicht. Und bis jetzt hatte auch noch nie einer soviel wissen wollen. Außer Matt. Und dennoch hatte noch nie einer wissen wollen, woher er das alles wusste.
„Eigenartig!“ schmunzelte er nur und genoss die frühlingshaften Sonnenstrahlen.
Ruhe war wieder eingekehrt.
Wer weiß wie lange?
Nikita LaChance
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von Anzeige » So 3. Apr 2011, 11:52

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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 11:52

Kapitel XII

Sie hatten wieder einmal eine kühlere Gegend erwischt.
Auf den Straßen waren einige Passanten, so wie man es für eine normale Stadt erwartete. Was sie untereinander beredeten war nicht zu verstehen. Jedenfalls nicht für die drei Fremden.
Etwas orientierungslos spazierten sie umher.
Die Häuser sahen etwas eigenwillig aus. Sie waren hoch und schmal und hatten an ihren Giebeln einen hervorstehenden Balken. Aber nicht nur das machte sie ein wenig sonderbar. Sie schienen alle nicht gerade gebaut worden zu sein. Einige Fassaden waren irgendwie nach vorn geneigt.
Allerdings gab dies nicht den geringsten Hinweis, wo sie sich nun befanden. Nicht einmal Kayleigh schien diesmal den Ort zu kennen.

„Wir bleiben eh nicht lange hier, also ist es doch egal, wo wir sind!“ war Adrians Meinung.
Und so gingen sie weiter.
Bis Barry einwarf: „Und welche Tür nehmen wir?“
Abrupt blieben sie stehen und sahen sich um.
Sie waren auf einer Straße, rechts und links Häuser und überall Türen. Doch welche war für den nächsten Durchgang?
Sie konnten unmöglich jede einzelne Tür testen.
„Toll!“ seufzte Adrian.
Kayleigh schwieg. Bis jetzt hatte sie es immer irgendwie erkannt. Die richtige Tür. Doch nun schien sich diese Gabe gelegt zu haben. Sie konnte nichts erkennen. Weder eine glimmende Karte, noch irgendein leuchtender Durchgang. Auch ein weiterer Schlüsselträger war nicht zu spüren.
„Vielleicht woanders!“ murmelte sie und ging voran.
Zwar war die Stadt irgendwie interessant, aber sie waren keine Touristen und hatten eigentlich auch etwas anderes im Sinn, als sich alles anzusehen.

Sie liefen immer weiter. Und irgendwie war es langsam auch deprimierend, dass sie nicht weiter kamen. Jedenfalls nicht in dem Sinne, wie sie es wollten.
„Ich hab Hunger!“ entfuhr es Barry.
Adrian stimmte ihm zu. Kayleigh sagte nichts. Sie ignorierte ihren Hunger, denn sie hatte im Moment andere Dinge im Kopf.
Irgendwann blieben die Jungs einfach stehen und ließen ihre Rucksäcke fallen.
„Können wir nicht einfach mal Pause machen und was essen?“ maulte Adrian genervt.
Kayleigh war noch ein paar Schritte weiter gegangen. Sie hatte nicht bemerkt, dass die Jungs angehalten haben.
„Kayleigh!“ rief Adrian seiner Schwester nach und erst jetzt blieb auch sie stehen.
„Was?“
„Pause? Essen?“ wiederholte Adrian.
Sie gab ein unverständliches Geräusch von sich und ging zu den Jungs zurück. Dann lies auch sie ihren Rucksack vom Rücken gleiten und setzte sich darauf.
„Wo sollen wir was her bekommen?“ seufzte sie.
Wieso hatte keiner von ihnen daran gedacht, sich etwas mit zunehmen? Kleidung hatten sie doch auch gefunden.
Zwar gab es um sie herum auch einige Geschäfte, doch sie hatten auch kein Geld.
Barry erklärte ihnen, wie er dieses Problem oftmals gelöst hatte. Und wieder würden sie dabei das Gesetz brechen müssen. Sie hatten nicht wirklich eine Wahl. Entweder sie würden etwas zu essen stehlen oder müssten versuchen sich Geld zu erbetteln.
Adrian war für die etwas harmlosere Variante. Betteln.
Er ging auf den erstbesten Passanten zu und fragte nach etwas Kleingeld. Nur verstand sein Gegenüber ihn nicht. Oder wollte ihn nicht verstehen.
Er probierte es noch ein paar Mal und dann ging er einfach in ein Geschäft. Er sah sich darin um und wollte schon nach ein paar Müsliriegeln greifen. Doch dann traute er sich dann doch nicht und verließ das Geschäft ohne Beute.
Draußen meinte er zu seiner Schwester:
„Jetzt wissen wir wenigstens wo wir sind!“
Sie zog eine Augenbraue nach oben.
„Amsterdam!“ antwortete Adrian.
„Ich dachte eigentlich du wolltest was zu essen holen!“ kam von Barry.
Noch ehe Adrian darauf antworten konnte, fuhr Kayleigh dazwischen:
„Dann versuch du doch dein Glück!“
Barry sah sie kurz erschrocken an. Dann machte er sich auch auf den Weg in den Laden. Auch er ging darin auf und ab.
Kayleigh wartete einen Moment.
„Toll, große Reden schwingen und nun sich nicht trauen!“ beschwerte sie sich und ihr Bruder stimmte ihr mit einem Nicken zu.
Sie stand von ihrem Rucksack auf, sah sich um und ging dann zu einem älteren Herrn, der auf dem Fußweg herum spazierte. Sie setzte ein freundliches Lächeln auf und fragte ihn nach etwas Kleingeld.
Adrian sah verwundert dabei zu, wie der alte Mann seiner Schwester ein paar Münzen in die Hand drückte und ebenfalls grinste.
Kayleigh kam mit ihrer Beute zurück, dabei beobachtet von dem Herrn.
„Manchmal wünschte ich mir, ich könnte Gleichaltrige genauso anziehen!“ seufzte sie. Irgendwie schien sie selbst in ihrem jugendlichen Selbst noch die alten Männer zu reizen.
„Reichen wird das bestimmt noch nicht!“ kam nur von Adrian, der sich noch einmal zu Barry umsah, der sich noch immer nicht getraut hatte, nach etwas Essbarem zu greifen.
Kayleigh sah ebenfalls genervt nach Barry.
„Ich versuch mein Glück nochmal!“ gab sie sarkastisch von sich, drückte Adrian ihre Beute erstmal in die Hand und suchte sich den nächsten, den sie um Geld anbetteln konnte.
Und während Kayleigh noch ein paar Männer fand, die ihr etwas Kleingeld gaben, wobei sie ihr einen etwas zu begeistert schienen, kam Barry ohne Diebesgut wieder aus dem Geschäft.
„Was macht sie da?“ wollte er von Adrian wissen, der die Rucksäcke bewachte.
„Sie macht das, was sie am Besten kann. Alte Männer anlocken!“ kam nur von Adrian. Dass dies mit Sicherheit nicht das Beste war, was sie konnte, wusste er. Aber auch er hatte bemerkt, dass auffallend die älteren Herren hinter seiner Schwester her waren.

Nach ein paar Minuten kam sie zurück. Viel hatte sie zwar nicht zusammenbekommen, aber vielleicht würde es ja reichen. Sie hoffte es, denn sie mochte es nicht, wenn die Alten sie so angafften.
Sie holte sich von Adrian die vorher erbeuteten Münzen und ging dann auf ein Geschäft zu, dass wie eine Bäckerei aussah.
Die Jungs sahen ihr fragend nach und waren dann irgendwie erleichtert, als sie mit ein paar Brötchen und einer Flasche Wasser zu ihnen zurück kam.
„Mehr war nicht drin!“ meinte sie nur und teilte das Essen auf.
Die trockenen Brötchen konnten natürlich den Hunger nicht voll stillen und auch das Wasser würde nicht lange reichen, aber ohne Geld waren sie aufgeschmissen.
Nach ihrem kargen Mahl wollten sie wieder ihr Glück versuchen und nach einem neuen Durchgang Ausschau halten.
Doch wie schon zuvor war dies langwierig. Und von einem Durchgang keine Spur.
„Wieso klappt das nicht?“ murrte Kayleigh genervt.
So langsam versank die Sonne und es wurde noch kühler.
„Manchmal ...“ fing Barry an, „... dauert es, bis man eine Tür findet!“
„Toll!“ schnaufte Adrian nur.
„Ich hab schon manchmal mehrere Tage nach einer Tür gesucht!“ gab Barry zu.
Eine Aussage, die nicht unbedingt beruhigte.

„Was machen wir jetzt?“ wollte Adrian irgendwann wissen.
Sie waren nun erneut mehrere Stunden durch die Stadt geirrt. Zwar hatten sie schon viele Sehenswürdigkeiten gesehen und auch die Grachten entdeckt, aber sie hatten keinen Durchgang gefunden.
„Pause!“ kam von Kayleigh und sie blieb stehen, „Wir sollten unbedingt mal Pause machen!“
„Wir sollten ...“ Barry wollte eigentlich weiter, aber auch er war müde vom herum wandern.
„Wir sollten uns eine Unterkunft suchen!“ meinte Adrian.
Er sah sich um und entdeckte dann einen Eingang eines unbewohnt aussehenden Hauses.
„Besser als wenn wir hier draußen bleiben!“ meinte er und ging zum Hauseingang.
Kayleigh stimmte ihm zu, wenngleich das Haus nicht unbedingt einen guten Eindruck machte.
Die Tür klemmte ein wenig, aber sie war nicht verschlossen. Allerdings wollten sie nicht unbedingt zu weit hineingehen. Und so verschanzten sie sich in der Nähe der Tür.
Barry nutzte seinen Rucksack als Kissen und auch Adrian lehnte sich erschöpft an seine Tasche.
Nur Kayleigh blieb wach. Sie setzte sich in die Tür und nutzte das restliche Licht, um in dem Buch zu blättern.
Sie hoffte, irgendetwas darin zu finden.

Er wusste, dass er etwas wertvolles in seinen Händen hielt. Er wusste nur nicht, woher es kam. Nicht wirklich.
Doch er ahnte, dass viele auf der Suche nach dem Ding sein würde.

Kayleigh sah noch einmal auf die leicht vergilbten Seiten. Diese Zeilen hatte sie darin bis jetzt noch nie gesehen. Und sie ergaben auch nicht viel Sinn.
Aber es waren die einzigen Zeilen, die plötzlich darin aufgetaucht waren. So sehr sie auch im Buch blätterte, die anderen Seiten waren allesamt leer.

Und dann tauchten mitten im Buch weitere Worte auf. Alle in der selben Handschrift.

„... Obwohl der Schlüssel verloren war, waren sie noch immer hinter ihm her. Er musste eine Entscheidung treffen. ...“

Kayleigh fragte sich, wieso das Buch so plötzlich mit irgendeiner Geschichte aufwartete, die so wirklich keinen Sinn ergab.
Und dann nach einer Weile verschwanden die Worte auch wieder.
„Was soll das?“ murmelte Kayleigh genervt, „Kannst du nicht mal was nützliches zeigen?“
Nichts geschah.
„Klar! Warum sollte das auch so einfach sein?“
Noch eine Weile starrte sie auf die leeren Seiten, ehe auch sie die Müdigkeit besiegte.

Die ersten Sonnenstrahlen weckten Kayleigh, da sie noch immer im Eingang saß.
Kühl war es immer noch und auch der Hunger war da.
„Jungs! Wir sollten weiter!“ knurrte sie müde.
Barry hatte wenig Probleme mit den noch frühen Tag, Adrian hingegen war kein Morgenmensch und brauchte daher länger, um endlich aufzustehen.
Sie schulterten wieder ihre Rucksäcke und machten sich wieder auf die Suche nach einem Durchgang.
Und wieder schien die Suche erfolglos. Zudem machte der Hunger depressiv.
„Können wir nicht einfach …?“ fing Adrian gereizt an, ließ seinen Satz aber unbeendet.
Kayleigh grübelte, ob sie den Jungs sagen sollte, was sie im Buch gelesen hatte. Doch wie sollte sie erklären, was das bedeutet?
Nach einer ziemlich langen Wanderung machten sie wieder Pause und setzten ihre Taschen ab.
„Wieso ist hier denn kein Durchgang?“ wollte Kayleigh wissen.
Barry sah sie fragend an.
„Ehrlich gesagt, frage ich mich gerade, woher du wissen willst, dass da keine Tür ist!“ meinte er.
Adrian zog die Augenbrauen hoch.
„Woher weißt du, wann du einen Durchgang hast?“ wollte Kayleigh wissen.
„Testen!“ Es klang wie ein Seufzer von Barry. Doch im Grunde bestand seine bisherige Reise immer nur aus Suchen und Daumendrücken und wie er schon gesagt hatte, war es meist etwas langwierig ehe man eine neue Tür fand.
„Aber manchmal, ...“ fiel Barry ein, „... sind die Türen … sichtbar!“
„Sichtbar?“ Adrian verstand nicht.
„Ja! So als würden sie leuchten!“ gab Barry leise zu. So richtig verstand er es auch nicht.
Kayleigh wollte gerade etwas sagen, als jemand an ihr vorbei rannte und dabei ihre Umhängetasche mit sich zerrte.
Alle drei starrten entsetzt hinterher, ehe auch nur irgendwer reagierte.
„Scheiße!“ schrie Kayleigh plötzlich, sprang auf und rannte dem Dieb hinterher.
„Was?“ Adrian sprang ebenfalls auf, allerdings weniger wegen der gestohlenen Tasche, als vielmehr wegen seiner Schwester.
„Kayleigh lass ihn!“ rief er ihr hinterher.
„Er hat das Buch!“ war nur ihre Antwort.
Adrian tauschte kurz mit Barry einen Blick. Dann packte er seinen und ihren Rucksack und lief ihr nach.

Kayleigh war noch nie wirklich eine schnelle Läuferin gewesen. Schon im Sportunterricht hatte sie versagt. Und auch jetzt kam sie sich wie eine lahme Schnecke vor.
Sie hatte den Dieb klar vor sich, aber einholen konnte sie ihn nicht.

Adrian hatte Mühe hinterher zu rennen. Zwar war er kein sportlicher Versager, aber das zusätzliche Gepäck behinderte ihn sehr. Barry hatte keine Probleme, trug er doch nur seinen eigenen Rucksack mit sich.
„Wieso läuft sie dem Typen hinterher?“ wollte Barry wissen. Seiner Meinung nach gab es wichtigeres.
Adrian hielt kurz an, um zu verschnaufen. Er wollte gerade Barry bitten, für einen Moment Kayleighs Rucksack zu tragen, als er etwas leuchten sah.
Eine Tür. Eigentlich eine ganz gewöhnliche, dunkle Holztür. Und doch leuchtete sie.
„Ein Durchgang!“ entfuhr es ihm nur.
Barry hielt ebenfalls an und sah zur Tür. Er konnte zwar das Leuchten nicht erkennen, aber vielleicht hatte der Junge ja recht und sie hatten endlich einen Durchgang gefunden.
Nur war Kayleigh verschwunden.
„Was jetzt?“ wollte er wissen und sah Adrian fragend an.
„Ich ...“ Adrian wusste nicht so ganz, was er machen sollte.
„Ich kann nicht ohne meine Schwester weiter!“ meinte er dann.
Er griff den Rucksack von ihr und rannte wieder los.
Barry war wenig begeistert. Aber auch er lief dann weiter.

Kayleigh war dem Dieb in eine Seitengasse gefolgt. Und es sah so aus, als könnte er nicht weiter.
„Meine Tasche ...“ schnaufte Kayleigh, „... gib sie mir!“
Der Dieb aber schien ihr die Tasche nicht wiedergeben zu wollen. Er musterte sein Gegenüber kurz und grinste dann.
Er sagte irgendetwas zu ihr. Allerdings verstand Kayleigh nichts.
„Meine Tasche!“ Kayleigh versuchte energisch zu sein. Allerdings war sie noch immer zu erschöpft.
Und der Kerl war nicht nur größer sondern sah auch stärker aus als sie.
Er wedelte mit der Tasche vor Kayleigh herum. Anscheinend wollte er sich einen Spaß mit ihr machen.
Gerade als sie nach der Tasche greifen wollte, zog er sie zurück und griff nach ihrem Handgelenk.
Wieder sagte er etwas in der fremden Sprache. Allerdings klang das in keinster Weise freundlich.
Kayleigh versuchte sich loszureißen, aber selbst das misslang ihr.
Sie kam sich ziemlich dumm vor. Wieso war sie dem Typen allein gefolgt.

„Lass sie los!“
Endlich die Rettung.
Adrian und Barry kamen rechtzeitig. Beide stürmten auf den Dieb zu.
Der war nun nicht mehr so mutig, da er es gleich mit zwei Jungs zu tun bekam, die ihm überlegen waren.
Er ließ Kayleigh los und schien in seiner Sprache zu betteln.
Er hielt Kayleighs Tasche nach vorn, ein Zeichen, dass sie sie haben könnten.
Kayleigh nahm sie ihm ab und er lief schnell an den Jungs vorbei.
„War´s das jetzt?“ knurrte Barry, „Wir hatten eine Tür und nun...“
„Kannst du mal deine Klappe halten!“ fauchte Adrian ihn an.
Er gab Kayleigh ihren Rucksack wieder.
„Wir werden den Durchgang schon wiederfinden! Aber wir sollten nicht so lange hier rum hängen!“ meinte er dann und sah seine Schwester ernst an.
„Danke!“ kam nur leise von ihr.
Sie schulterte den Rucksack und hängte sich die eben gerettete Tasche wieder um.
„Na los jetzt!“ meinte Adrian nun und packte seine Schwester am Handgelenk und zog sie mit sich. Er hatte nicht vor sie schon wieder aus den Augen zu verlieren.

Den Durchgang wieder zu finden war nicht so einfach wie gedacht.
Sie hatten sich nicht gemerkt, wo sie lang gerannt waren.
Sie würden wieder ewig umher irren.
Schweigend gingen sie durch die Straßen.
Dann blieb Adrian stehen.
Da war es wieder. Das Leuchten.
Er hatte soeben einen neuen Durchgang gefunden. Kayleigh konnte es anscheinend auch sehen, denn auch sie schien erleichtert.
„Endlich!“ seufzte er nur.
Nikita LaChance
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 11:53

Kapitel XIII

Sie schritten durch die Tür und fanden sich wieder auf einer unbekannten Straße wieder. Dass sie immer wieder in der Fremde landeten, waren sie nun schon irgendwie gewohnt. Und dennoch war es mehr als nur beunruhigend nicht zu wissen, wo man gerade steckte.
Die Temperaturen waren die selben wie in Amsterdam. Es war recht kühl. Vereinzelt lagen noch ein paar Schneehaufen herum, vermischt mit Sand und Kies.
Kastenförmige Gebäude, die aussahen als hätte man Hochhäusern die obere Hälfte abgenommen, schienen das Stadtbild einzunehmen. Wenige Bäume zwischendrin, allesamt noch winterlich kahl.
„Sieht irgendwie komisch aus!“ meinte Adrian nur. Ihn erinnerte das Ganze irgendwie an eine Stadt, die er als Kind mit Bauklötzen zusammengebaut hatte.
Kayleigh sagte nichts dazu. So recht gefiel ihr die Stadt nicht. Einerseits erschien der Aufbau der Stadt sich kaum von den Hochhäusern überfüllten Städten, die sie kannte, zu unterscheiden, andererseits war die Stadt hier sichtbar kleiner, die Häuser nicht so hoch und es waren auch nicht so viele Autos und Menschen unterwegs.
Barry interessierte sich wenig für die Stadt. Im Grunde war es ihm schon immer mehr oder weniger egal gewesen, wo er steckte. Solange er irgendwie heil heraus kam.

Aber eines hatten in dem Moment alle drei gemeinsam. Sie hatten mächtigen Hunger. Und kein Geld.
„Was machen wir jetzt?“ wollte Kayleigh von ihrem Bruder wissen und sah sich um.
„Wir sollten erstmal nicht hier rumstehen!“ meinte dieser zu ihr.
Ein paar Jugendliche starrten sie an und tuschelten dann untereinander.
Soweit es Kayleigh und Adrian heraushörten, waren sie wieder in einer deutschsprachigen Gegend gelandet. Und die Jugendlichen machten sich gerade über sie lustig.
Kayleigh, Adrian und Barry gingen langsam weiter. Das Stadtbild änderte sich kaum. Vereinzelt kamen noch ein paar Häuser zum Vorschein, die wie Einfamilienhäuser einfach irgendwie zwischen die abgebrochenen Riesen gestellt wurden. Es passte nicht wirklich zusammen.
„Wir brauchen was zu Essen!“ seufzte Barry gelangweilt.
„Wir brauchen Geld!“ kam gleich von Adrian als Antwort.
Die drei steuerten allmählich die Hauptstraße entlang. Hier schien ein klein wenig mehr Verkehr zu sein. Allerdings noch längst nicht so viel, wie sie es aus ihrer Heimat gewohnt waren.
Die Straße führte über eine Brücke, unter der sich eine Eisenbahnstrecke entlang schlängelte. Und vor der Brücke eine Bäckerei.
Ein paar Tische standen draußen herum und ein paar Leute saßen bei den frischen Temperaturen draußen und genossen ihren Kaffee.
Hungrig starrten die drei eine Weile auf die Bäckerei und überlegten, wie sie sich diesmal etwas zu essen erbeuten könnten.

„Wir sollten ...“ begann Kayleigh und die Jungs sahen sie erwartungsvoll an.
„Wir sollten einen Schlüssel verkaufen!“
„Bist du verrückt?“ schrie Barry sie entsetzt an, „Wir können keinen Schlüssel verkaufen! Wir brauchen die Dinger!“
Auch Adrian war seiner Meinung.
„Ja und wie bekommen wir dann Geld und was zu Essen?“ gab Kayleigh nur zurück.
„Wir werden dafür keinen Schlüssel verkaufen!“ fauchte Barry sie an.
Kayleigh wollte ihm was entgegnen, schluckte ihre Worte aber runter. Gegen die zwei Jungs hatte sie eh nicht viel Stimmgewalt.

Aus der Bäckerei trat eine Gruppe Mädchen. Sie alle hatten sich ein paar Brötchen und einen Becher Kaffee zum Mitnehmen gekauft. Sie setzten sich auf die Stühle vor der Bäckerei und schnatterten laut.
Nebenbei tranken sie ihren Kaffee und nagten an ihrem Essen.
Allerdings waren sie nicht wegen der frischen Luft nach draußen gegangen. Viel eher schien in der Bäckerei Rauchverbot zu herrschen. Denn alle Mädels zündeten sich nacheinander eine Fluppe an und die schien besser zu schmecken als Kaffee und Brötchen.
Noch eine Weile saßen sie rum und lästerten, was das Zeug hielt. Dann standen sie gemeinsam auf und gingen, wobei sie ihre Getränke und ihr angenagtes Essen liegen ließen.
Adrian sah sich kurz um, dann ein kurzer Blick auf seine Reisegefährten und dann huschte er zu dem Tisch.
Schnell packte er die Kaffeebecher und die Brötchen zusammen und kam mit seiner Beute zu seinen Gefährten zurück.
Die Kaffeetrinker, die schon die ganze Zeit vor der Bäckerei saßen, starrten Adrian irritiert nach und schimpften dann lautstark. Sie waren es anscheinend nicht gewöhnt, dass jemand stehen gelassene Speisen klaute.

Adrian, Kayleigh und Barry gingen schnell weiter, um nicht noch mehr Aufmerksamkeit als sie es ohnehin schon taten zu erwecken.
Sie gingen über die Brücke und dann die leicht abfällige Straße hinab und landeten vor einem Gebäude, welches allem Anschein nach der Bahnhof der Stadt sein sollte. Zumindest stand dies an dem roten Ziegelsteinbau. Vor dem Gebäude ein Brunnen mit Figuren, die irgendetwas hielten, was entfernt an sehr lange Trompeten erinnerte und ein riesiger Parkplatz, der nicht mal zu einem Viertel belegt war.
Die Drei setzten sich auf die ziemlich ramponierte Bank gegenüber des Bahnhofgebäudes und teilten sich Adrians Beute untereinander auf. So eklig der Gedanke sein mochte, dass jemand unbekanntes von dem Zeug gegessen und getrunken hatte, so war doch der Hunger größer als der Ekel vor fremden Bazillen oder ähnlichem.
Und wie zuvor wurde ihr Hunger nicht vollständig gestillt. Doch niemand verlor darüber ein Wort.
Es war deprimierend, dass sie sich nicht einfach etwas zu essen kaufen konnten.
Doch Adrian und Kayleigh waren zu überraschend von zu Hause aufgebrochen, wenn man es so nennen könnte, als dass sie hätten an Geld oder Papiere denken können. Und auch Barry führte kein Geld mit sich. Wieso, wusste er selbst nicht genau. Aber er war schon so lange unterwegs, dass, falls er zu Reisebeginn Geld einstecken hatte, es längst aufgebraucht war.
Wieder grübelte Kayleigh darüber nach, wie sie an Geld kommen könnten. Ganz ohne Geld ging es nicht.
Und wieder fiel ihr nur ein, einen Schlüssel zu verkaufen. Irgendetwas mussten die Teile ja Wert sein!
Sie sah sich um. Der rote Ziegelsteinbau mit dem Brunnen davor auf der einen Seite. Gegenüber vom Parkplatz ein paar einzelne Häuser, eines mit einer Art Turm, daneben ein gelber Ziegelsteinbau mit der Aufschrift Post, dann ein grün gestrichenes mit einer extra Auffahrt, dann ein kleines Geschäft und dann ein weißes dreistöckiges Haus, mit leeren großen Fenstern in der unteren Etage. Am Parkplatz dran ein kleiner Imbiss, jedenfalls wies das Schild darüber darauf hin, und ein langgezogenes Gebäude mit einem roten „S“.
Wieder verfiel Kayleigh in Gedanken und ging mit ihrem Blick die Häuser ab und blieb dann schlussendlich bei dem kleinen Geschäft hängen.
„Ich bin gleich wieder da!“ meinte sie nur zu den Jungs und stand auf. Den Rucksack lies sie bei den Jungen stehen, die Umhängetasche mit dem Buch allerdings nahm sie mit. Noch einmal wollte sie das Buch nicht verlieren.
Die Jungs sahen ihr fragend nach. Aber sie waren der Meinung, dass sie nun wieder ihren Trick versuchen wollte, alten Männern Geld abzuluchsen.

Kayleigh betrat das Geschäft, wobei ein kleines Glöckchen ihr Eintreten verkündete. Die Verkäuferin hinter dem Glastresen neben der Tür schenkte ihr nur einen neugierigen Blick und kümmerte sich dann wieder ihrer Kundschaft zu.
Langsam schritt Kayleigh die wenigen Gänge ab. Glückwunschkarten, Geschenkpapier, Kalender und reichlich Schreibutensilien waren hier verstaut. Und in dem letzten Gang sogar noch eine ganze Wand unterschiedlichster Zeitschriften.
„Kann ich helfen?“ drang die etwas genervte Stimme der Verkäuferin zu Kayleigh hinüber.
Sie überlegte kurz.
Schlüssel oder auch nur ähnliche Karten hatte sie nicht entdeckt. Aber vielleicht hatte die gute Frau sie nicht offen hingestellt.
„Ich wollte nur wissen, ...“ versuchte Kayleigh in Deutsch, „... ob ich hier einen Schlüssel verkaufen kann!“
Die Verkäuferin zog eine Augenbraue nach oben.
„Was?“
„Einen Schlüssel? Ich würde gern einen verkaufen!“ Kayleigh war sich bewusst, dass sie mit ihrem Akzent schwer zu verstehen war.
„Schlüssel?“ wiederholte die Verkäuferin. Sie schien noch immer sehr genervt. Dass nun jemand irgendetwas von Schlüsseln faselte, hellte ihre Stimmung nicht im Geringsten auf.
Dann wedelte sie mit der Hand.
„Hier gibt es keine Schlüssel!“ platzte es etwas gereizt aus ihr heraus, „Schreibwaren! Keine Schlüssel!“
Sie warf Kayleigh einen strengen Blick zu und musterte sie.
Kayleigh musste sich eingestehen, dass sie sich soeben ziemlich lächerlich gemacht hatte. Sie hatte angenommen, dass sie hier einen Schlüsselhändler gefunden hatte. Aber die Frau hier wusste nicht einmal was sie von ihr wollte.

Jemand tippte sie von der Seite an und Kayleigh erschrak.
Eine junge Chinesin zog sie einen Gang zurück, sodass die Verkäuferin die beiden nicht sehen konnte.
„Du willst einen Schlüssel verkaufen?“ fragte die Chinesin in fast akzentfreiem Englisch.
Kayleigh starrte sie kurz an und nickte dann.
„Gut!“ lachte die Chinesin.
Ehe Kayleigh irgendetwas sagen konnte, knurrte ihr Magen laut auf, als wolle er ein Wörtchen mitreden.
Und wieder grinste die Chinesin.
„Brauchst wohl Geld?“ bemerkte sie und wieder nickte Kayleigh nur.
„Tja, die Gute hier ist kein Schlüsselhändler. Pech für uns beide!“ meinte die Chinesin dann, „Aber ich würde dir einen Schlüssel abkaufen!“
„Echt?“ Kayleigh schien mehr als überrascht.
„Klar! Und ich würd gern wissen, wo du herkommst!“
Wieder antwortete Kayleighs Magen mit einem lauten Knurren.
„Gut, wir essen was und du kannst mir dann einiges erzählen!“
Die Chinesin packte Kayleigh an der Hand und zog sie an der Verkaufstheke vorbei und zur Tür hinaus. Die Verkäuferin starrte beiden irritiert nach. Nicht nur das die Mädchen nichts gekauft hatte, so konnte sie sich nicht erinnern, dass die Chinesin ihren Laden betreten hatte.

Adrian und Barry starrten auf das Geschäft, indem Kayleigh verschwunden waren und grübelten, was sie dort trieb.
Dann sahen sie sie mit einem anderen Mädchen herauskommen.
„Wer ist das?“ fragte Adrian Barry, in der Annahme, dass er es wissen müsste.
Doch er wusste es nicht. Schließlich konnte er ja nicht jeden kennen, selbst wenn er schon sehr lange unterwegs war.
Beide Jungs warteten, dass Kayleigh zu ihnen herüber kam oder ein Zeichen von sich gab, dass sie zu ihr kommen sollten.
Doch die Mädchen unterhielten sich miteinander. Und die Jungen wussten nicht worüber. Dazu waren sie zu weit weg.

„Aber sag ihnen nichts!“ bat Kayleigh die Chinesin.
„Klar! Aber jetzt sollten wir etwas essen!“ antwortete diese nur und sah sich um.
„Ähm … dort drüben ist ein Bäcker mit einem kleinen Café!“ meinte Kayleigh nur und wies auf die Straße, die sie mit ihren Brüdern genommen hatte, bevor sie vor dem Bahnhofsgebäude rast gemacht hatten.
Die Mädchen beschlossen dorthin zu gehen. Sie gingen aber erst zu Adrian und Barry, um sie ebenfalls zum Essen einzuladen.
Die Jungs sahen erst sich und dann Kayleigh fragend an. Doch keiner von den beiden hatte etwas gegen ein kostenloses Mahl einzuwenden.
Zu Viert gingen sie zu dem besagten Bäcker, der sich nur wenige Meter von ihrem Rastplatz entfernt befand.
Zum Glück waren sie nicht zu dem Bäcker gegangen, wo sie vor einigen Minuten noch das Restessen mitgenommen hatten. Das wäre peinlich geworden, dachte sich Adrian nur.
Der gläserne Tresen war voller süßer Backwaren, sodass sich alle vier nicht entscheiden konnten, was sie Essen sollten.
Die Frau hinter dem Tresen, weit über die fünfzig, wartete und beantwortete Kayleighs Fragen, um was es sich bei den Kuchen und anderen Backwaren handelte, geduldig.
Schlussendlich bestellten sie sich reichlich Kuchen und Pizzabrötchen und für jeden etwas zu Trinken.
So als hätten sie seit Ewigkeiten nichts mehr gegessen, verschlangen die Jungs jeder drei Pizzabrötchen. Kayleigh hingegen lies sich etwas mehr Zeit mit dem Essen und aß auch nicht ganz so viel wie ihr Bruder und ihr neuer Kumpel.
Selbst die Chinesin aß langsam. Aber sie schien auch nicht das Problem gehabt zu haben, lange ohne Essen gewesen zu sein.
Diesmal wurde ihr Hunger endlich gestillt und diesmal ließen sie sich auch etwas zu Essen einpacken. Zwar trockene Brötchen, aber die konnten im Gegensatz zu den belegten Brötchen nicht so schnell verderben. Auch ein paar Wasserflaschen packten sich Kayleigh, Adrian und Barry ein.

Dann blieben sie noch ein wenig im Café sitzen, aßen langsam an einem Stück Apfelkuchen und unterhielten sich mit der Chinesin.
„Also das Nest hier, ist nicht wirklich berühmt!“ meinte sie, auf Adrians Frage hin, ob sie wüsste, wo sie sich befinden, „Aber die Nachbarstadt ist interessanter. Da ist ein riesiger Park. Soll irgendein Prinz oder so was ähnliches gebaut haben. Mit einem Schloss mitten im Park!“
„Und woher weißt du, wo wir sind?“ wollte Adrian gleich wissen.
„GPS!“ war nur die kurze Antwort von ihr.
Alle drei sahen ihre neue Freundin mit großen Augen an. Barry allerdings wusste nicht, was für ein Ding das sein sollte.
„Ihr seit ziemlich unvorbereitet!“ bemerkte die Chinesin, „Habt ihr irgendwas nützliches einstecken?“
„Kleidung!“ kam sofort von Barry.
„Klar!“ schmunzelte das Mädchen, „Aber ich meinte eher so was wie ein Handy, Laptop oder so was!“
„Funktioniert das denn?“ wollte Kayleigh wissen.
„Also mehr oder weniger funktioniert ein Handy fast überall. Und mit dem Laptop kann man auch fast überall ins Internet gehen!“
Adrian zog zwar die Augenbrauen zusammen, nickte aber.
Kayleigh bemerkte erst jetzt die Umhängetasche der Chinesin. Ein Laptop hätte genug platz darin und vielleicht auch noch eine dünne Jacke. Die Chinesin schien Technik anscheinend für nützlicher zu finden, als Kleidung.

„Habt ihr euch denn nicht vorbereitet?“ kam von der Chinesin die Frage und alle drei sahen sie irritiert an.
„Und du? Wusstest du sofort was dich erwartet?“ wollte Barry im Gegenzug wissen.
Lächelnd schüttelte sie den Kopf.
„Wie sollte man sich auf etwas vorbereiten, dass plötzlich passiert?“ meinte Adrian nur.
„Ich meinte ja, ob ihr euch nach … Reiseaufbruch nicht irgendwie kundig gemacht habt?“
„Man kann sich weder auf so etwas … spontanes nicht vorbereiten, noch bekommt man eine schlüssige Antwort darauf was passiert.“ Barry schien ein wenig gereizt.
„Entschuldige, so hab ich es nicht gemeint!“ kam beruhigend von der Chinesin.
„Von wo kommst du?“ Kayleigh versuchte abzulenken.
Die Chinesin sah auf und grinste wieder.
„Aus einem kleinen Dorf im Chinesischen Hochland.“ Sie richtete sich an Barry, „Und du hast recht, man kann sich nicht vorbereiten auf unvorhersehbare Dinge. Meine Familie besteht nur aus Bauern. Ich verschwand vor fünfzehn Jahren.“
Sie klang darüber nicht wirklich traurig.
„Es war schwer, am Anfang. Es war etwas neues. Wie eine neue Welt, denn ich war mitten in einer riesigen Stadt gelandet. Und das nur, weil ich eine kleine Karte geschenkt bekommen hatte.“
Die anderen Drei waren verstummt und lauschten der Geschichte der Chinesin.
„Ich fand es nicht so schlimm. Später! Ich hab jemanden getroffen, der mir dass mit dem Schlüssel erklärte und mir half damit umzugehen.“
„Und deine Familie? Vermisst du sie nicht?“ wollte Kayleigh wissen.
„Ein wenig!“ seufzte die Chinesin, „Aber es geht ihnen gut! Zwar mussten sie ihre Felder aufgeben, weil man dort ein paar neue Häuser hin gebaut hatte. Aber jetzt geht es ihnen gut!“
Kayleigh sah sie entsetzt an und so erklärte das Mädchen sofort, was sie meinte:
„Ich hatte nach einer Weile einen Job gefunden und konnte meinen Eltern das nötige Geld für einen Umzug schicken. Sie glauben, ich arbeite jetzt im Ausland.“
Sie schmunzelte erneut.
„Na gut, das stimmt ja auch irgendwie! Ich schicke ihnen immer noch Postkarten oder E-Mails oder rufe sie an. Nur gesehen, habe ich sie schon lange nicht mehr!“
Sie verstummte und dachte kurz nach.
„Was meinst du mit Arbeit? Drehst du krumme Dinger?“ wollte Adrian wissen und riss sie aus ihren Gedanken.
„Nein! Ich habe einen Blog im Internet. Chans unglaubliche Reise. Ich mache Fotos von den Gegenden und gelegentlich verkaufe ich ein paar Fotos oder ich verkaufe ein paar meiner Schlüssel. Und ich bin freier Mitarbeiter in einem Online Reisejournal, da kann ich ebenfalls von meinen Reisen berichten und bewerte nebenbei auch noch ein paar Hotels.“
„Und dein Chef macht das mit, dass du … ständig unterwegs bist und er nie weiß wo du gerade auftauchst?“ hinterfragte Adrian sofort.
„Heutzutage ist das alles ziemlich einfach! Fast alles kannst du übers Internet regeln. Selbst die Arbeit!“ erklärte sie.
Kayleigh nickte. Vorzustellen wäre es. So vernetzt wie die Welt nun war, würde man von überall arbeiten können ohne jemals seine Kollegen oder auch nur seinen Vorgesetzten je zu Gesicht zu bekommen.
„Und hast du schon mal jemanden auf deiner Reise getroffen, der verschollen war?“ wollte Kayleigh wissen und nicht nur die Chinesin sah sie fragend an.
„Ich meine, jemand der daheim als vermisst gilt?“
„Ich glaube nicht! Sucht ihr jemand bestimmtes?“ wollte die Chinesin dann von ihr wissen.
„Unseren Vater und unsere Tante!“ antwortete Adrian und Kayleigh fügte leise noch:
„Unseren Onkel!“ hinzu.
Die Chinesin überlegte kurz.
„Ihr solltet aufmerksam im Internet recherchieren. Manchmal findet man jemanden aber auch über die Nachrichten im Fernsehen wieder.“ war ihre Meinung, „Allerdings weiß man dann aber nicht mit Gewissheit ob der Gesuchte dort noch ist und es gibt auch keine Möglichkeit zu ihm zu kommen. Die Türen führen ja überall hin, nur nicht zu einem bestimmten Ziel!“
„Aber man könnte, wenn man weiß wo jemand ist, doch auf dem herkömmlichen Weg zu ihm gelangen!“ stellte Adrian fest.
„Ähm ...“ Über diese Möglichkeit hatte sie anscheinend noch nie nachgedacht.
Kurz brach Schweigen aus.
„Tja, ich muss jetzt mal wieder weiter!“ meinte die Chinesin dann, stand auf und ging zur Ladentür.
„Ihr solltet euch besser ausrüsten! Ein wenig Technik könnte nützlich sein!“ fand sie.
„Wie heißt du eigentlich?“ wollte Adrian auf einmal wissen.
„Oh, stimmt!“ grinste sie, suchte in ihrer Jackentasche und kam zu dem Tisch zurück.
Sie hielt ihm eine Visitenkarte entgegen.
„Wenn ihr Internet habt, schreibt mir mal!“ meinte sie.
Adrian starrte auf die Karte. Chinesische Schriftzeichen auf der einen Seite mit einer Erdkugel im Hintergrund und auf der anderen Seite der Name des Mädchens und ihre Email-Addresse.
„Chan Chuang Chi!“ erklärte die Chinesin ihren Namen, „Alle nennen mich aber nur Chan!“
Dann grinste sie Adrian an.
„Schreib mir!“
Damit ging sie wieder zur Tür und verschwand in der Stadt.
„Wir ...“ Adrian war für einen Moment sprachlos. Hatte die Chinesin ihn gerade angeflirtet?
„Wir sollten auch wieder weiter!“ setzte Kayleigh seinen Satz fort.
Sie standen auf, reichten der Dame am Tresen das Geschirr und verließen ebenfalls das Café.

„Brauchen wir wirklich … so ein Zeug was sie gesagt hatte?“ wollte Barry von seinen Begleitern wissen. Er selbst hatte noch nie irgendwelche technischen Hilfsmittel benötigt, selbst wenn manchmal eine Taschenlampe durchaus hilfreich gewesen wäre.
„Es könnte nützlich sein!“ seufzte Adrian nur, „Zumindest mit einem GPS wüssten wir wo wir sind!“
„Und hätten trotzdem kein Geld!“ kam sogleich von Kayleigh.
Sie suchten nach einer neuen Tür und gingen dazu weiter die Straße neben dem Bahnhof entlang. Die Häuser standen nicht mehr ganz so eng zusammen und kleinere Gärten tauchten neben der Straße auf.
An einem beigefarbenen Haus blieb Kayleigh stehen. Es war ein Einfamilienhaus mit einem kleinen Vorgarten, der im Moment ziemlich ungepflegt aussah.
„Hier!“ meinte sie zu den Jungs und ging auf das Haus zu.
„Das ist ein Scherz oder?“ wollte Adrian wissen. Er wusste, was sie sah. Sie hatte wieder einen Durchgang gefunden, denn auch er konnte die Haustür leuchten sehen.
Wohl oder übel mussten sie nun das fremde Grundstück betreten und durch die Tür gehen.
Kayleigh öffnete die Gartentür. Von dem gefährlichen Tier, was laut Schild hier hausen sollte, war nirgends etwas zu sehen oder zu hören.
Zielstrebig ging sie auf die Haustür zu und griff nach der Klinke.
„Da ist niemand zu hause!“ hörte sie plötzlich eine Stimme hinter sich. Eine neugierige Alte beobachtete die Drei, die kurz wie angewurzelt vor der Tür stehen blieben.
Dann ohne ein Wort zu der Alten, öffnete Kayleigh die Tür und ging mit den Jungs hindurch.
Entsetzten in dem Gesicht der Alten. Anscheinend hatte sie gerade beobachtet, wie jemand bei ihren Nachbarn eingebrochen war. Und doch schien die Tür geschlossen zu sein und die drei spurlos verschwunden.
Nikita LaChance
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 11:53

Kapitel XIV

„Wie lange eigentlich sollen wir noch hier rum sitzen?“
„Keine Ahnung!“
Die zwei saßen nun schon seit einigen Stunden fest. Kein Schlüssel funktionierte und auch keine Tür, jedenfalls nicht auf die Weise, auf die sie sie gebrauchen könnten. Und die einzige Tür, die nun aus dem Gebäude herausführte, führte nur in die eisige Kälte. Mitten in einen Schneesturm.
Das sie nun nicht so sehr frieren mussten hatten sie einem alten Generator zu verdanken, den sie gefunden und zum Laufen gebracht hatten. Wie lange der allerdings in Betrieb bleiben würde war ungewiss.
Nur eins war gewiss, sie waren allein.


„Wo zum Teufel sind wir jetzt schon wieder?“ knurrte Adrian genervt.
„Ist kalt hier!“ bemerkte Barry nur.
Einzig Kayleigh hatte nichts auszusetzen. Sie war zu sehr in Gedanken.
„Hallo?“
Alle drei sahen erschrocken auf.
Vor ihnen standen zwei junge Männer. Beide schienen ziemlich erschöpft zu sein.
„Ihr habt nicht zufällig einen Schlüssel?“ wollte einer der Männer wissen.
„Wie?“ Barry reagierte etwas gereizt.
„Wir sitzen hier schon eine Weile fest! Und unsere Schlüssel funktionieren nicht!“ meinte der eine.
Kayleigh musterte die beiden Männer.
Beide waren um die dreißig, ungefähr das Alter, was sie und ihr Bruder eigentlich hatten. Einer der beiden war ein regelrechter Riese. Er musste über 1,90m groß sein, größer als Barry oder Adrian. Der Riese hatte etwas längere braune Haare und einen Drei-Tage-Bart. Ebenso der Andere. Er war ungefähr so groß wie ihr Bruder und Barry und hatte einen gepflegten kurzen Irokesen.
„Habt ihr einen Schlüssel?“ fragte der Riese erneut.
Barry war wenig begeistert davon, dass jemand einen Schlüssel von ihnen verlangte.
„Vielleicht!“
Ihre Begleiter sahen Kayleigh etwas zornig an, so als habe sie soeben ein gut gehütetes Geheimnis verraten.
Kayleigh kramte ihre Schlüsselkarten hervor. Es waren nun schon fünf Stück. Sie sah kurz darauf. Allerdings konnte sie vom bloßen Draufsehen nicht erkennen, ob sie funktionieren würden.
Ihr Bruder sah ebenfalls auf die Karten. Zwar konnte auch er nicht feststellen, ob die Schlüssel funktionsfähig waren, aber er bemerkte etwas anderes.
„Da fehlt eine!“ stellte er fest.
Barry zog fragend eine Augenbraue hoch, sah ebenfalls auf die Karten in Kayleighs Hand und reagierte ebenfalls enttäuscht.
„Wir sollten die Schlüssel testen!“ meinte Kayleigh nur ausweichend.
„Du hast einen verkauft!“ knurrte Barry zornig, „Wieso hast du das getan?“
Kayleigh ignorierte ihn und drehte sich zu der Tür um, durch die sie soeben gekommen waren. Sie wollte gerade eine Schlüsselkarte in den schmalen Spalt zwischen Tür und Rahmen führen, als Barry sie am Arm packte und zu sich umdrehte.
„Wieso hast du einen Schlüssel verkauft?“ fauchte er sie an.
„Weil wir Geld brauchten!“ gab Kayleigh zurück.
„Ja, aber wir hätten den Schlüssel selbst noch brauchen können!“ zischte Barry wütend.
„Und selbst wenn, Geld brauchen wir auch!“ Kayleigh riss sich von Barry los.
Die beiden fremden Männer sahen irritiert drein.
Barry wollte Kayleigh erneut zurück ziehen, als Adrian ihn zur Seite zog und mit einem Kopfschütteln zu verstehen gab, dass es nichts mehr dazu zu sagen gäbe.
„Ja, aber... der Schlüssel!“ knurrte Barry etwas leiser zu ihm.
„Aber Geld brauchen wir auch!“ antwortete Adrian etwas ruhiger zu ihm. Zwar war auch er enttäuscht von seiner Schwester, da sie einfach ohne zu fragen, eine Karte verkauft hatte, die sie vermutlich noch brauchen würden. Aber nun war es eh zu spät und sie mussten erstmal weiter. Irgendwohin wo es nicht so kalt war.

Kayleigh probierte alle fünf Schlüssel an der Tür aus, aber keiner funktionierte.
„Barry!“ Sie drehte sich zu ihm um, „Gib mir mal einen von deinen Schlüsseln!“
Barry reagierte wütend und zischte sofort:
„Dir werd ich keinen meiner Schlüssel geben!“
„Dann probier halt selber!“ Kayleigh hatte keinen Lust auf einen Streit und trat zur Seite.
Barry funkelte sie böse an und holte dann ein kleines Etui aus seiner Hosentasche, in dem er seine Schlüsselkarten aufbewahrte. Er hatte deutlich mehr Schlüssel als das Geschwisterpaar.
Unter Beobachtung testete auch er alle seine Schlüssel an der Tür und auch bei ihm öffnete sie sich nicht.
„Wie viele Türen gibt’s hier?“ wollte Adrian wissen.
„Viele!“ kam nur als seufzende Antwort von dem Kerl mit dem Irokesen.
„Wo sind wir hier?“ wollte Kayleigh wissen.
„Eine russische Forschungsstation!“ erklärte der Riese, „In der Antarktis!“
Kayleigh sowie ihre Begleiter sahen ihn irritiert an.
„Woher willst du das wissen?“ hinterfragte Barry.
„Ich weiß es einfach!“
„Klar!“ Barry war noch immer zornig und ihm schien es egal, mit wem und weswegen er im Moment einen Streit anfangen könnte.
„GPS!“ meinte der Irokese, „Und dann gibt es hier auch genügend Hinweise!“
Er zeigte auf ein Schild nahe der Tür. Darauf ein paar seltsam anmutenden Schriftzeichen.
Barry verzog das Gesicht.
„Wir sollten die anderen Türen testen!“ meinte Kayleigh nur und ging den Flur entlang, an ihren Begleitern und an den zwei Fremden vorbei.
Allein auf dem Flur gab es fünf Türen, von den Schranktüren mal abgesehen. Und es dauerte eine Weile jede Tür mit ihren fünf Schlüsseln abzuchecken.
Noch immer etwas aufgebracht, tat es ihr Barry mit seinen Schlüsseln gleich.
Und wie bei ihr blieben die Türen geschlossen.

Kayleigh setzte ihren Rucksack ab und nahm auch die Umhängetasche ab. Das zusätzliche Gewicht belästigte sie nun nur.
„Du passt auf!“ meinte sie nur zu ihrem Bruder, der sie irritiert ansah.
Aber so wirklich konnte er nichts dazu sagen, denn sie machte sich auf die Suche nach weiteren Türen.
Adrian stellte seinen Rucksack daneben und sah seiner Schwester nach. Barry wartete einen Moment, so als müsse er überlegen. Aber nach einigen Minuten ging auch er ohne Rucksack los und versuchte irgendeinen Durchgang zu finden.

„Und wir sind wirklich in der Antarktis?“ hinterfragte Adrian.
„Jepp!“ kam nur als Antwort.
„Und du und die Kleine?“ wollte der Kerl mit dem Irokesen wissen.
„Was?“
„Seit ihr … zusammen?“
„Sie ist meine Schwester!“ Es klang, als hätte der andere wissen müssen, dass Kayleigh nicht seine Freundin war.
„Und wie lange seit ihr schon … unterwegs?“ fragte der Riese.
Adrian dachte nach.
„Weiß nicht genau!“ meinte er dann, „Eigentlich erst ein paar Tage?“
„Wann seit ihr gestartet? Und wo?“ wollte der andere wissen.
Wieder musste Adrian nachdenken. Im Grunde wusste er nicht welcher Tag jetzt gerade war, weswegen er nicht wirklich sagen konnte, wie lange er und seine Schwester nun schon auf Reisen bzw. von zu hause verschollen waren.
„Am 10. Januar!“ fiel ihm dann ein.
„Dieses Jahr? Dann seit ihr ja wirklich noch nicht so lange unterwegs!“ bemerkte der Irokese, „Dann seit ihr circa zwei Monate schon auf Reisen!“
Zwei Monate? Adrian kam es noch nicht so lange vor. Aber man hatte es ihnen ja schon gesagt, dass man mitunter etwas länger in den Durchgängen verschwunden bleibt.
„Und von wo kommt ihr?“ wurde ihm erneut als Frage gestellt.
„Kayleigh und ich ...“ Er überlegte kurz, ob er es verraten sollte. Aber was sollte schon passieren, wenn er es sagte?
„Wir kommen aus Boise, Idaho!“ antwortete er dann, „Woher Barry kommt, weiß ich gar nicht!“
Im Grunde hatte er bis jetzt auch noch nicht darüber nachgedacht, genauso wenig wie darüber, wie lange Barry schon unterwegs war.

Und während Adrian sich mit den beiden Männern unterhielt und wartete, untersuchten Kayleigh und Barry, mit einem Abstand zueinander, der verhinderte, dass sie sich gegenseitig angiften konnten, die Türen.
Nach etwas mehr als einer halben Stunde verzweifelter Suche, kehrten beide erfolglos zu Adrian und ihrem Gepäck zurück.
Adrian hatte die Rucksäcke mit den beiden Männern in einen Nebenraum gebracht, der durchaus eine Art Aufenthaltsraum sein konnte. Ähnlich wie in einer Jugendherberge, mit Sitzgelegenheiten und Regalen voller Bücher. Es fehlte lediglich ein Radion oder TV-Gerät und es hätte gemütlich sein können.
Hier war es etwas wärmer, wenn auch nicht viel. Vermutlich würde der Generator nicht mehr lange laufen und dann würde es erst richtig kalt werden!
Etwas niedergeschlagen verkündete Kayleigh von ihrem Misserfolg. Allerdings hatten sie noch nicht alle Türen untersucht.
„Das sind Dearon Kinkade und Jentrix Morgan!“ stellte Adrian die beiden Männer vor.
Dearon war der größere Kerl der beiden, wie er aber später erklärte aber auch der jüngere von ihnen. Er war gerade mal achtundzwanzig und somit ein Jahr jünger als Kayleigh. Jentrix war in Adrians eigentlichem Alter. Einunddreißig.
„Was ist das eigentlich für ein Name?“ wollte Barry irritiert wissen.
Jentrix schien ein wenig verlegen.
„Meine Mutter ist ein riesen Fan von Hentrix und hat den Namen ausgesucht, weil er ähnlich klingt!“ gab er zu.
Eine Weile unterhielten sich die Fünf. Tauschten ihre Erfahrungen aus, die sie auf ihren Reisen bis jetzt gemacht hatten. Allerdings verrieten sie nicht alles.
Wie die beiden Männer erzählten, stammten beide aus dem Staate Texas und obwohl beide aus verschiedenen Städten stammten und auch einen unterschiedlichen Beruf nachgegangen waren, waren sie nun schon seit mehr als drei Jahren zusammen unterwegs.

Mehr gelangweilt als hungrig nagte Adrian an seinem Brötchen.
„Was ist mit eurer Familie?“ wollte Kayleigh wissen und durchbrach die entstandene Stille, „Vermisst ihr sie?“
Jentrix und Dearon sahen sie irritiert an.
„Vermissen? Ja!“ gab Jentrix zu, „Aber sie wissen, dass es mir gut geht!“
Kayleigh zog die Augenbraue nach oben.
„Na ja, ich schreibe ihnen öfters mal eine E-Mail oder eine Postkarte!“
„Sie wissen, … was du machst?“
Jentrix lachte kurz.
„Sie wissen nur, dass ich viel unterwegs bin!“ gab er schmunzelnd zu, „Sie denken ich sei als Fotograf unterwegs!“
Kayleigh nickte nur, so als habe sie verstanden.
„Bei mir ist es so ähnlich!“ erklärte Dearon gleich, noch ehe sie ihn fragen konnte.

Wieder kam Stille auf.
Barry misstraute noch immer den beiden Männern und war sauer auf Kayleigh für ihren Verrat. Sie war mit dem Buch beschäftigt, welches wie immer keine klaren Aussagen machte. Und Adrian knabberte an seinem Brötchen, während Jentrix und Dearon sich überlegten, was sie nun machen könnten.
Und nach einer Weile waren alle bis auf Barry und Kayleigh eingenickt.

Als Adrian wieder aufwachte, bemerkte er sofort, dass es kühler geworden war.
„Der Generator ist aus!“ bemerkte Dearon nur. Er hatte sich schon eine weitere Jacke über gezogen.
Auch Jentrix und Barry trugen eine Kleidungsschicht mehr.
Adrian griff nach seinem Rucksack, um es ihnen gleich zu tun und sich ebenfalls etwas wärmer anzuziehen. Und dann bemerkte er, dass etwas fehlte oder vielmehr jemand.
„Wo ist Kayleigh?“
Barry zuckte nur mit den Schultern.
Ihr Rucksack und ihre Umhängetasche waren noch da. Allerdings schien das Buch zu fehlen. Ebenso wie sie.
Er wollte gerade nach ihr rufen, als er etwas poltern hörte.
Alle vier gingen zur Tür, welche die ganze Zeit nur angelehnt war.
Wieder hörten sie das Poltern und dann ging die Tür auf.
„Was ist?“ Kayleigh war wieder da. In ihren Händen ein paar Konservendosen.
„Wo warst du?“ wollte ihr Bruder sofort wissen.
„Hab nur nach einer Tür gesucht!“
Er zog eine Augenbraue hoch und wies auf die Dosen.
„Du hast alles aufgegessen!“ meinte sie nur, „Und ich hab noch ein paar Spagetti gefunden!“
„Spagetti?“
Kayleigh zeigte ihm ihren Dosenfund. Zwar konnte man die Schrift nicht deuten, aber das Bild zeigte deutlich, was in den Dosen war.
„Willst du das kalt essen?“ hinterfragte Adrian gleich.
„Wenn du genug heiße Luft produzierst, können wir die Spagetti ja damit aufwärmen!“ murrte sie sofort und stellte ihren Fund auf einem Tisch ab.
Adrian entgegnete nichts dazu. Er starrte seine Schwester nur irritiert an. Im Gegensatz zu den anderen schien sie kein Problem mit der Kälte zu haben. Sie hatte nicht wie die anderen eine weitere Kleiderschicht angelegt. Sie trug noch immer nur ihre Jeans und die Lederjacke, die sie hatte aus der Klamottenladen mitgehen lassen. Das Buch hatte sie unter ihre Jacke gestopft, wie man deutlich erkennen konnte.
„Was ist?“ murrte sie erneut, da ihr Bruder sie so anstarrte.
Er schüttelte nur den Kopf und machte sich wieder auf die Suche nach einer weiteren Jacke, die er sich sofort überzog.

Nachdem sie die Spagetti kalt gegessen hatten, da ihnen unter anderem keine andere Wahl blieb, saßen sie wieder etwas gelangweilt herum.
Barry saß abseits von den anderen, wobei er alle vier im Auge behielt, so als könnten sie jeden Moment etwas schlimmes anstellen.
Adrian unterhielt sich mit Jentrix und Dearon. Unter anderem wollte er mehr über sie wissen und dann tauschten sie ihre Kenntnisse über Filme aus, die sie gesehen hatten.
Kayleigh saß ebenfalls etwas entfernt von den Jungs und blätterte im Buch. Wie immer auf der Suche nach irgendeiner Antwort.
Aber wie zuvor blieben die Seiten leer.
Genervt wollte sie schon aufgeben. Wie sollte sie eine Antwort darauf finden, wie sie von hier verschwinden könnte?
„Irgendwas muss doch funktionieren?“ murmelte sie und lies die Seiten durch ihre Finger gleiten, fast so wie bei einem Daumenkino.
Und plötzlich war da etwas zu sehen.
Hastig blätterte sie zurück. Die Seiten waren wie zuvor leer, jedenfalls bis zur Buchmitte.
Da waren plötzlich zwei Wörter, die aber wie so oft keinerlei Sinn ergaben.
„Jims Tür!“
Kayleigh starrte darauf.
„Was soll das heißen?“
Eine Antwort darauf erhielt sie nicht. Ganz im Gegenteil. Die Worte verschwanden wieder, so als wären sie ausgebleicht.

Und dann war da wieder ein Poltern zu hören und dann Schritte.
Es war anscheinend noch jemand gekommen. Und auch dieser Jemand war wenig begeistert von der Kälte.
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 11:54

Kapitel XV

„Wieso funktioniert der Scheiß nicht?“ Die Stimme war laut und wütend. Immer wieder rüttelte jemand an den Türen und trat wütend dagegen.
„Scheiß kalt hier!“

„Meint ihr, es hat sich noch jemand hierher verirrt?“ flüsterte Adrian seinen neuen Freunden zu.
Sie zuckten mit den Schultern.
Angespannt lauschten sie alle auf die näher kommenden Schritte und auf die zornige Stimme.
Adrian sprang auf. Ihm war der Gedanke gekommen, dass der Neuankömmling ihnen vielleicht hier heraus helfen könnte.
Er ging zur Tür, die sie wieder angelehnt hatten, um die restliche Wärme drinnen zu behalten. Hätten sie sie geschlossen, wäre der Fremde vermutlich bei ihnen im Raum gelandet.
„Adrian, nicht!“ protestierte Barry leise. Er hatte ein ungutes Gefühl.
Ebenso wie Kayleigh. Ausgerechnet jetzt kam ihr die Warnung von Matt in den Sinn.
Aber ehe sie ihren Bruder packen konnte, hatte er schon die Tür geöffnet und stand im Flur.

Der Fremde, ein blonder Hüne, erschrak kurz. Er hatte nicht mit einem anderen Menschen gerechnet.
Er musterte Adrian. Dann wurde sein Blick noch zorniger als ohnehin und er schritt auf ihn zu.
„Ich will deine Schlüssel!“ war alles was er sagte.

Kayleigh war kreidebleich. Sie hatte gehofft, dass ihre Vorahnung sich als falsch herausstellen würde.
Leise stand sie von ihrem Platz auf, schlich an die Tür und versteckte sich neben dem Eingang.
Barry starrte auf den Flur, jedenfalls soweit er von seinem Platz aus sehen konnte. Adrian hatte er dabei nicht im Blick, was ihm missfiel. Im Kopf ging er durch, was er jetzt tun müsste oder könnte.
Jentrix und Dearon schienen ein wenig ratlos zu sein. Einerseits spürten sie die Anspannung, die so plötzlich aufgekommen war, aber andererseits waren sie noch nicht in solch einer Situation gewesen. In den Jahren, die sie zusammen schon unterwegs waren, hatten sie sich immer wieder gegenseitig den Rücken gedeckt und auch waren sie noch nie in einer so großen Gruppe Reisender gewesen.

„Wo sind deine Schlüssel?“ wollte der Hüne wissen und zog aus seinem Hosenbund ein Messer hervor. Es war eine Art Jagdmesser mit Holzgriff.
Drohend hielt er das Messer vor Adrian.
„Deine Schlüssel!“ wiederholte der Fremde.
Er war Adrian so nah gekommen, dass er ihm nun ohne weiteres das Messer an den Hals halten konnte. Und Adrian war zu perplex um darauf richtig zu reagieren.
Der Blick des Fremden fiel kurz auf den Raum, aus dem Adrian gekommen war, und dann wieder auf den Jungen vor ihm. Und als er Adrians schuldbewussten Ausdruck bemerkte, musste er grinsen.
Dort mussten die Schlüssel des Jungen sein, dem war er sich sicher.
Mit einem Wink mit dem Messer wies er Adrian voraus zu gehen. Damit ihm der Junge nicht davon huschen konnte, hielt er ihn am Arm fest.
Adrian kam sich so dumm vor.

Kayleigh lauschte angespannt auf die näher kommenden Schritte.
Barry war ebenfalls langsam aufgestanden und lauschte.

Dann tauchte Adrian in seinem Blickfeld auf. Das Gesicht ängstlich und hilflos. Und gleich hinter ihm der Fremde.
Der reagierte blitzschnell, als er die drei Jungen im Raum erblickte. Er zog Adrian näher an sich heran und hielt ihm nun das Messer richtig an den Hals. Sie sollten sehen, dass er es ernst meinte und den Jungen töten würde, falls sie ihm zu nahe kämen.
„Ich will eure Schlüssel!“ brummte er.
Der Hüne war so mit den drei jungen Männern beschäftigt und so sehr darauf bedacht, seine Geisel, die sich allmählich ein wenig zu sträuben begann, nicht zu verlieren, dass er Kayleigh nicht bemerkt hatte.
Sie stand noch immer neben der Tür. Entsetzen in ihrem Gesicht.
Sie nestelte an ihrem rechten Jackenärmel herum und suchte nach einer Idee, wie sie ihren Bruder aus dieser Situation retten könnte. Aber so richtig fiel ihr nichts ein.

„Die Schlüssel!“ der Hüne wurde ungeduldig und presste sein Messer stärker gegen Adrians Hals, sodass ein kleiner Schnitt auftrat.
Jentrix und Dearon sahen zu Barry und dann zu Adrian. Sie vermieden es zu Kayleigh zu sehen, um sie nicht zu verraten. Aber auch sie wussten nicht genau, was sie nun tun sollten. Zwar kannten sie den Jungen nicht so genau, aber sie wollten auch nicht daran schuld sein, sollte er sterben.

Der Fremde war nun mit Adrian als Geisel fast in die Mitte des Raumes gelangt und wartete zornig auf die Herausgabe der Schlüsselkarten. Ihm war der Junge egal, solange er die Schlüssel bekommen und hier aus der Kälte wieder weg kommen würde.
Kayleigh schlich sich leise von hinten an den Mann heran.
Die Jungen konnten nicht erkennen was sie vorhatte.

Und dann, noch bevor sie irgendetwas tun konnte, drehte er sich zu ihr um. Einerseits verwirrt, da er nicht mir gerechnet hatte, andererseits wütend über ihren Versuch, ihm etwas anzutun.
Und sie hätte ihn auch angreifen können, wenn Barry sie nicht mit seinem Blick verraten hätte.
Noch ehe wirklich einer richtig reagieren konnte, stieß der Hüne Adrian von sich und griff nach Kayleigh.
Sie schien ihm eine viel leichtere und mit Sicherheit auch Erfolg erfolgversprechendere Geisel zu sein.
Bevor er sie zu packen bekam, hatte sie nach ihm geschlagen.
Er schien ebenso wie die Jungen irritiert zu sein. Aber er spürte einen brennenden Schmerz.
Sie hatte ihn getroffen. Allerdings nicht mit der Hand.
Bis jetzt hatte keiner mitbekommen, dass sie ein kleines Küchenmesser in der rechten Hand hielt.
Mit diesem hatte sie dem Hünen tief in die Hand gestoßen.
Wild fluchend versuchte er erneut nach ihr zu greifen und gleichzeitig sie mit seinem Jagdmesser zu treffen. Doch weder das eine noch das andere gelang ihm, da sie einen Schritt nach hinten machte. Allerdings stolperte sie bei ihrem Fluchtversuch und landete auf ihrem Hintern.
Erschrocken sah sie zu dem wütenden Hünen hinauf.
Noch immer war seine Wut auf sie gerichtet, da sie ihn verletzt hatte.
Adrian und Barry sahen darin ihre Chance und stürmten gleichzeitig auf ihn zu.

Der Angriff kam zu überraschend.
Adrian stieß den Mann zu Boden, während Barry versuchte, ihm dass Messer aus der Hand zu reißen. Aber noch immer schien der Mann erheblich stärker zu sein, als sie beide.
Nun hatte sich auch Kayleigh wieder aufgerafft und griff ebenfalls an.
Jentrix und Dearon wollten ebenfalls eingreifen, allerdings war es schwierig an den Mann heran zu kommen.
Der stieß Adrian mit seinem Fuß von sich, wobei er diesen im Magen traf. Barry versuchte noch immer dem Kerl das Messer abzunehmen, doch der Kerl packte ihm mit einer Hand fest am Hals. Zwar konnte er ihn so schlecht würgen, schmerzhaft war es trotzdem.
„Lass das Messer los!“ fauchte Kayleigh den Mann an und hielt ihm ihr kleines Küchenmesser an den Hals.
Bedrohlich erschien es ihm nicht und so lies er von Barrys Hals ab und versuchte nach ihr zu greifen.
Aber nun griff Jentrix seinen Arm und hielt ihm davon ab.
„Lass dein Messer los!“
Barry erhielt Hilfe von Dearon und gemeinsam rissen sie dem Mann das Messer aus der Hand.
Der war noch immer zornig, doch nun ohne Waffe konnte er nicht viel gegen sie ausrichten.
„Was machen wir jetzt mit dem Arschloch?“ wollte Barry wissen.
„Fesseln!“ kam nur von Adrian, der sich noch immer vor Schmerzen krümmte.

Barry nutzte den Gürtel des Kerls, um ihn die Hände fest zubinden und da er laut herum brüllte, knebelten sie ihn mit einem Tuch, dass sie im Raum gefunden hatten. Zwar konnte er noch immer Geräusche von sich geben, aber er war nicht mehr so nervtötend laut.

Kayleigh hockte neben ihrem Bruder.
„Alles okay bei dir?“ wollte sie besorgt wissen.
Er nickte nur und hielt sich den Bauch. Der Tritt war nicht ohne gewesen und würde noch eine Weile schmerzen.
„Damit müssen wir wohl jetzt öfters rechnen!“ fiel ihm ein.
„Vermutlich!“ kam nur leise von ihr, „Wahrscheinlich ist Onkel Jim deswegen gegangen!“
Adrian sah seine Schwester fragend an. Doch bevor er etwas zu ihr sagen konnte, hatte Barry eine viel wichtigere Frage.

„Wie kommen wir hier nun weg?“ wollte er wissen.
„Er muss doch ein paar Schlüssel haben!“ bemerkte Jentrix mit einem Kopfnicken in Richtung ihres überwältigten Angreifers.
Gemeinsam mit Jentrix und Dearon durchsuchte Barry die Taschen des Fremden, dem dies nicht gefiel.
Nach einer Weile zogen sie ein Etui aus seiner Jackentasche hervor, welches voller Schlüsselkarten war.
„So viele?“ staunte Barry. Es mussten über fünfzig sein.
Auch Jentrix und Dearon waren über die Menge erstaunt.
„Jetzt müssen wir sie nur noch testen!“ seufzte er aber sogleich.
Kayleigh und Adrian warfen Blick auf die Karten. Dann sah Adrian zu seiner Schwester hinüber. Doch die schüttelte nur den Kopf.
„Die funktionieren nicht!“ meinte sie dann und die drei Jungen sahen sie fragend an.
„Sie funktionieren nicht!“ gab sie noch einmal leise von sich. Doch erklären konnte sie nicht, woher sie das wusste.

„Ich werd sie testen!“ meinte Barry nur und ignorierte Kayleighs Aussage.
„Ich komm mit!“ Jentrix warf einen Blick auf seinem Kumpel, der bedeuten sollte, dass er auf den Hünen und auf das Geschwisterpaar ein Auge werfen sollte, während er nach einem Ausgang suchte.
Dearon nickte nur stumm und ging zu seiner Tasche zurück. Das Jagdmesser des Fremden lag neben ihm. Nur zur Sicherheit.

Während nun Barry und Jentrix gemeinsam die Schlüssel testeten, herrschte Stille zwischen den vier im Raum gebliebenen.
„Was meintest du vorhin?“ wollte Adrian von seiner Schwester wissen und durchbrach im Flüsterton das Schweigen, „Das mit Onkel Jim?“
„Er ist gegangen!“ gab sie flüsternd zurück.
„Wie?“ Adrian hatte keine Ahnung was sie damit meinte.
„Er ...“ fing sie erneut an, „... er ist nicht verschwunden! Er ist einfach gegangen! Vermutlich wollte er uns beschützen!“
Sie war sich nicht so sicher, aber nun da sie selbst gesehen hatte, wie gefährlich das Reisen war, hatte sie eine Ahnung was geschehen sein könnte.
Adrian dachte nach. Er wusste nicht viel über das Verschwinden seines Onkels. Es war vor vierzehn Jahren gewesen und soweit er wusste gab es keinerlei Anzeichen weswegen er verschwand oder wohin. Doch irgendwie hatte er das Gefühl, dass seine Schwester ihm irgendetwas darüber verheimlichte.

Nach ein paar Minuten hatten es Jentrix und Barry aufgegeben nach einer Tür zu suchen. Es waren einfach zu viele Schlüssel und zu viele Türen.
Entmutigt und genervt kamen sie zurück in den Raum, ließen sich neben ihren Taschen nieder und grübelten. Dass Kayleigh womöglich recht haben könnte, wollten sie nicht wahrhaben. Denn das würde bedeuten, dass sie noch lange in der Kälte gefangen waren.
Und während die Jungen darüber nachdachten, was sie noch für Möglichkeiten hatten, von dem Fleck weg zukommen, hatte sich Kayleigh wieder das Buch gegriffen.
Doch wie immer war es leer und nutzlos.
Egal wie oft sie vor und zurückblätterte, die Seiten blieben leer.

„Ist sie immer so?“ wollte Jentrix von Adrian wissen.
Adrian warf nur einen flüchtigen Blick zu seiner Schwester hin und nickte dann.
„Sie ist ein Büchernarr. Bei meiner Tante saß sie eigentlich immer in der Bibliothek und hat gelesen. Ob sie irgendwas anderes macht, weiß ich gar nicht!“ bemerkte er.
Kayleigh hob nur kurz eine Augenbraue, ehe sie sich wieder auf das leere Buch konzentrierte.
Und dann standen da wieder nur die Worte „Jims Tür!“
„Das hilft mir nicht weiter!“ murmelte sie betrübt. Diesmal blieben die Worte stehen. Nur erkannte sie noch immer nicht den Sinn.

„Raus gehen können wir nicht! Es ist viel zu kalt und wir würden uns wahrscheinlich nur verirren!“ meinte Adrian zu den anderen.
„Ja! Also entweder wir finden raus, welcher Schlüssel funktioniert oder wir finden eine neue Tür, die wir noch nicht getestet haben!“ gab Barry zurück.
„Ja, aber mit unseren Schlüsseln haben wir schon alles durchprobiert!“ protestierte Jentrix genervt.
„Ja, und es gibt keine weitere Tür!“ fügte Dearon hinzu.
„Und unsere Schlüssel haben wir auch ausgetestet!“ erklärte Adrian.
Und wieder kamen sie zu dem Punkt, dass sie irgendeine Tür übersehen haben mussten. Auch wenn sie die Schlüssel des Fremden noch nicht alle ausgetestet hatten.

„Jims Tür?“ murmelte Kayleigh vor sich hin. Sie verstand noch immer nicht, was das bedeuten sollte.
Sie ging noch einmal durch, was sie alles über ihn wusste. Im Grunde wusste sie nicht sehr viel über ihren Onkel. Nur dass er Bücher liebte, so wie sie. Und dass er nett war. Und dass er einige Geheimnisse hatte. Und dass er verschwunden war, obwohl er doch seine Familie liebte.
Und dann fiel es ihr wieder ein. Er war nicht verschwunden. Er war gegangen.
„Jims Tür!“ Diesmal sagte sie es lauter, als geplant und so war es nicht verwunderlich, dass die Jungs zu ihr fragend herüber sahen.
Aber sie reagierte nicht auf deren Blicke.

Sie ging auf die Wand neben der Tür zu. Die einzige Wand, an der kein Regal oder irgendein Bild hing.
Irritiert beobachteten die Jungs sie.
Und dann ein entsetzter Aufschrei von Adrian.
Damit hatte niemand gerechnet.
Kayleigh hatte sich mit dem Küchenmesser, welches sie wieder in ihrem Jackenärmel versteckt hatte, die linke Handinnenfläche aufgeschnitten.
Es tat weh. Brannte. Und blutete.
„Was soll das?“ Adrian war aufgesprungen und stürmte zu ihr hinüber.
Aber noch immer reagierte sie nicht auf ihn oder die anderen.
Mit ihrer blutigen Hand zeichnete sie ein riesiges Rechteck an die Wand. So groß wie die Tür daneben.
„Was soll das, Kayleigh?“ wollte Adrian noch immer wissen und da sie ihn noch immer ignorierte, drehte er sie unsanft zu sich um.
Aber ihr Blick ging wieder zurück an die Wand mit ihrer blutigen Zeichnung.
„Kayleigh!“ Diesmal schrie er sie fast an.
„Jims Tür!“ meinte sie nur, „Es ist, wie Jims Tür!“
„Bist du jetzt völlig durchgeknallt?“
„Ich weiß, wie er verschwunden ist!“ kam von ihr und sie sah ihm mit ernstem Blick in die Augen, „Er ist gegangen, um uns zu schützen!“
Adrian verstand nicht, was sie meinte.
„Er verschwand aus der Bibliothek! Aber er ging nicht durch die Tür!“ erklärte sie.
„Kayleigh, was sollte das?“ Er zeigt auf das blutige Geschmiere an der Wand.
Sie sah kurz auf die Wand, dann auf den Schnitt in ihrer Hand und grinste frech.
„Ich … hatte keinen Stift!“ erklärte sie, während sie das Messer in ihren Ärmel zurück steckte.

Barry, sowie Jentrix und Dearon bedachten das Geschwisterpaar mit einem fragenden Blick. Ihrer Meinung nach, hatte Kayleigh nun den Verstand verloren.
„Wahrscheinlich sind deswegen so wenig Mädchen auf Reisen!“ flüsterte Jentrix Dearon zu.

Adrian bemerkte das Leuchten, welches die Schmiererei umgab.
„Es ist eine Tür!“ meinte Kayleigh zu ihm, „Es ist wie die Tür, die Jim geschaffen hatte!“
„Was?“ Irritierte starrte Adrian seine Schwester an.
„Onkel Jim zeichnete eine Tür an die Wand in der Bibliothek. So verschwand er!“
„Woher willst du wissen, dass das funktioniert? Oder funktioniert hat?“
„Ich war dabei, als er gegangen ist!“ versuchte sie zu erklären, „Und es ist die selbe Tür, durch die wir … und Dad und Tante Meryl gegangen sind!“
Adrian wollte etwas sagen, aber so schnell ihm sein Gedanke gekommen war, so schnell war er auch wieder verschwunden. Und so sah er sie nur sprachlos an.

Kayleigh lies ihren Bruder stehen und ging zu Barry hinüber, der sie ebenso fragend ansah, wie die anderen zwei. Auch der Fremde glaubte, dass das Mädchen ihren Verstand verloren hätte.
„Die Schlüssel!“ bat sie ruhig.
Barry hielt ihr das Etui des Fremden hin. Er wusste nicht, was er sagen oder fragen sollte.
Und ohne weiteres nahm sie das Etui und ging zu der Blutzeichnung zurück.
Ohne groß im Etui zu suchen, zog sie einfach eine Karte hervor und hielt diese dann an die Wand. Mitten in das Rechteck.
Gespannt warteten alle darauf, dass irgendetwas passierte.

„Es funktioniert nicht!“ meinte Adrian enttäuscht. Zwar hatte er nicht daran geglaubt, aber schon irgendwie gehofft, dass sie recht hatte.
„Doch!“ flüsterte sie und drückte gegen die Wand.
Ein Klicken war zu hören und das Rechteck gab nach.
Es war wie bei Tante Meryl, als sie plötzlich die Wand geöffnet und einen geheimen Durchgang freigelegt hatte.
„Das …?“ Er war sprachlos.

„Sie hat … eine Tür erschaffen?“ Jentrix und Dearon sahen Barry fragend an.
„Wir sollten gehen, ehe die Tür verschwindet!“ rief Kayleigh zu ihnen hinüber.
Noch immer verstand keiner von ihnen, was so eben geschehen war.
„Hey!“ protestierte sie und sie suchte ihre Sachen zusammen, „Wenn ihr nicht hier bleiben wollt, sollten wir jetzt gehen!“
„Ähm …! Gut!“ Adrian riss sich zusammen und suchte ebenfalls ihre Sachen zusammen.
„Hier!“ Kayleigh drückte Barry das Etui mit den Schlüsseln wieder in die Hand. Er starrte sie noch immer fragend an.
Sie packte das Buch in die Umhängetasche, hängte sie sich um und setzte sich ihren Rucksack wieder auf.
„Kommt ihr nun?“ fragte sie erneut.
Und endlich reagierten auch sie. Schnell packten sie ihre Sachen wieder zusammen. Dearon packte sogar das Jagdmesser in seinen Rucksack.
Und dann gingen sie auf die gezeichnete Tür zu.

„Und das funktioniert wirklich?“ wollte Dearon wissen.
„Es muss!“ flüsterte Kayleigh leise.
Gerade als sie durchschreiten wollten, hielt Kayleigh inne.
„Wir sollten ihn mitnehmen!“ bemerkte sie und zeigte auf den gefesselten Hünen.
„Der Kerl wollte dir und Adrian was antun!“ warf Barry ein.
„Ja, aber wenn er hier bleibt, erfriert er!“
Kayleigh sah ihn eindringlich an.
Zähneknirschend half Barry dem Fremden auf die Beine.
„Wehe, du stellst was an!“ drohte er ihm und zerrte ihn mit sich.
Zu sechst gingen sie durch die Tür, die eigentlich keine war.
Allen voran Kayleigh, dann Jentrix und Dearon, und dann Barry und Adrian, die gemeinsam den Fremden durch die Tür zogen.
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 11:56

Kapitel XVI

Im ersten Moment glaubte er, dass er nur schlecht geträumt hatte.
Ein Geräusch hatte ihn geweckt.
Vorsichtig schlich er sich aus dem Wohnzimmer, wo er vorm Fernseher eingeschlafen war, zu seinem kleinem Arbeitszimmer.
Er hoffte, er hätte sich verhört. Nur schlecht geträumt.
Dennoch wollte er kein Risiko eingehen und wählte den Notruf.
Aber auch war er neugierig und öffnete die Tür.

Ein Mädchen und fünf Männer, wovon einer geknebelt und gefesselt war, standen da. Sie erschraken als sie ihn bemerkten.
Und ehe er fragen konnte, wer sie waren oder was sie wollten, zeigte das Mädchen auf die Tür neben dem großen Regal und ging darauf zu.
Er wusste, dass dort nichts weiter war, außer einer kleinen Kammer, in dem er seit Jahren ein paar Putzmittel und auch Büromaterialien und andere unnütze Dinge verstaut hatte.
Das Mädchen hielt eine kleine Karte gegen die geschlossene Tür und öffnete sie dann. Doch die Tür öffnete sich nicht wirklich, schien geteilt oder nur transparent geworden zu sein und die Kammer sah plötzlich einer Landschaft gleich, die er nicht zu ordnen konnte.
Sie winkte den Männern zu, ihr zu folgen, was sie auch ohne was zu sagen taten. Allerdings ließen sie den gefesselten Typen zurück.
Und dann schloss sich die Tür wieder.
Der Gefesselte schien nicht wirklich begeistert zu sein und strampelte wild. Und er wurde noch aggressiver als er die Sirenen der Polizei hörte.
Da erschien es dem überraschten und müden Bewohner gesünder, den Mann der Polizei zu überlassen.

„Was war das gerade?“ wollte Dearon wissen. Er war ein klein wenig irritiert.
Nicht nur, dass das Mädchen eine Tür geschaffen hatte, so hatte sie doch auch den Kerl gerettet, der ihr und ihrem Bruder etwas hatte antun wollen. Und nun hatte sie sich anscheinend auch noch dazu entschlossen, ihm und Jentrix zu vertrauen. Oder war das ein Trick von ihr?
Barry schien das selbe durch den Kopf zu gehen. Er sah Kayleigh fragend an.
Doch die schien sich eher für ihre Umgebung zu interessieren, als irgendwelche Antworten geben zu wollen.

Sie standen vor einem kleinem Holzhaus, in mitten eines schneebedeckten Nadelwaldes. Das Haus sah im ersten Moment unbewohnt aus. Aber das täuschte, denn sofort trat ein älterer Herr aus der Tür und fragte etwas. Nur was, konnten sie nicht verstehen. Erfreut über ihr Auftauchen war er allerdings nicht, soviel konnten sie aus dem Tonfall entnehmen.
„Wir sollten weiter und uns irgendwo eine neue Tür suchen!“ bemerkte Adrian nur.
„Wieso ist es eigentlich schon wieder so kalt hier?“ knurrte Barry und versuchte den Reißverschluss seiner Jacke noch höher zu ziehen, als es ging.
Kayleigh ging ihrem Bruder nach, ohne irgendetwas zu sagen. Die Kälte brannte auf ihrer offenen Wunde. Doch sie ignorierte es.
Jentrix und Dearon grübelten kurz, was sie nun machen sollten.
„Ich versteh nicht, wie sie das gemacht hat!“ meinte Dearon zu seinem Kumpel, „Niemand erschafft eine Tür!“
„Merkwürdig ist es schon!“ gab dieser nur zurück, „Aber ich würde gern mehr über sie wissen!“
„Hey! Sie ist minderjährig!“ protestierte Dearon gleich.
„Erstens hab ich das so nicht gemeint und zweitens ist sie schon neunundzwanzig!“
Dearon schüttelte den Kopf.
„Sie sieht aber nicht so aus und das könnte Probleme geben!“ meinte er nur.
Dann folgten sie beide Barry und den Geschwistern.

Sie gingen auf der einzigen Straße entlang, die es gab. Mitten durch den Nadelwald, ohne zu wissen, wo sie eigentlich waren.
„Wieso ist es eigentlich so weit?“ maulte Adrian irgendwann, „Hier muss doch irgendwo ein Haus sein!“
Kayleigh seufzte nur kurz. Weder die Kälte noch die Wanderung machten ihr viel aus. Aber dennoch wollte sie endlich ein Haus finden. Wenn schon nicht, um einen Übergang zu haben, dann wenigstens um mal wieder ein Dach über den Kopf zu haben und sich ausruhen zu können.
„Können wir nicht einfach mal Pause machen?“ rief Jentrix und auch Barry stimmte seiner Bitte zu.
Also stoppten sie mitten auf der Straße.
„Kein Auto! Kein Haus! Nichts!“ stellte Adrian fest, „Wir sind mitten im Nirgendwo!“
Kayleigh sah sich erneut um. Sie waren mitten im Nirgendwo. Es war keine einzige Menschenseele zu sehen.

„Deine Hand!“ meinte jemand zu ihr und sie erschrak.
Dearon hielt ein Tuch in der Hand. Damit verband er ihre Schnittverletzung.
„Das ist besser, als wenn du hier weiter rum blutest!“ sagte er scherzhaft.
Von ihr kam nur ein etwas zaghaftes Danke.
Er wollte sie gerade nach ihrer sonderbaren Kraft fragen, als Barry meinte, er hätte ein Haus gefunden.
Inmitten der Bäume schaute ein Holzhaus hervor.
„Endlich!“ kam sofort von Jentrix und Adrian.
So als hätte der Anblick ihnen neue Kraft verliehen, stürmten sie zu dem Haus zu.
Das Haus sah moderner aus als das, durch das sie gekommen waren.
„Und jetzt?“
Sie waren etwas ratlos. Sollten sie jetzt alle Schlüssel durchprobieren? Schon wieder?
Kayleigh ging die Veranda hinauf und klopfte einfach an die Tür.
Und wartete.
Adrian zuckte nur mit den Schultern, als Barry ihn mit fragendem Blick ansah.
Im Haus war nichts zu hören und so klopfte Kayleigh erneut.
Noch immer blieb es still.
„Wir könnten hier übernachten!“ meinte sie dann zu den Jungen, „Wir müssen nur die Tür aufbekommen!“
Mit großen Augen sahen die Jungs zu ihr.
„Was? Wir brauchen auch mal eine Pause!“ versuchte sie zu erklären.
„Ist ja gut!“ seufzte Barry und ging zu ihr an die Tür.
Er blickte kurz auf das Schloss und dann trat er einfach gegen die Tür. Und obwohl das Schloss modern war, so war die Holztür dem Tritt nicht gewachsen.
Barry machte eine einladende Geste.
„Jetzt ist es offen!“ meinte er grinsend.
Vermutlich hatte er sich öfters so irgendwo Zutritt verschafft, dachte sich Kayleigh, schwieg aber.

Gleich hinter der Tür war das Wohnzimmer mit Holz vertäfelten Wänden und einem grauen Teppich, der zu den drei Sofas passte. Ein kleiner Kamin gleich neben der Eingangstür, den sie sofort anzündeten, um den Raum aufzuwärmen.
Es gab sogar eine kleine Küche, mit Mikrowelle und anderen modernen Küchengeräten, die man in der rustikalen Gegend nicht erwartet hätte.
Bei ihrem Rundgang, wobei sie sofort alle Türen öffneten und einen Spalt weit offen ließen, entdeckten sie auch noch ein Badezimmer, ein Schlafzimmer und unter dem Dach noch einen weiteren Raum mit Sitzgelegenheiten und Betten.
Im ganzen hätte hier eine sechsköpfige Familie Platz gefunden.
„Ein Ferienhaus!“ bemerkte Jentrix und zeigte einen in mehreren Sprachen bedruckten Infozettel, auf dem das Inventar des Hauses vermerkt war, sowie einer Telefonnummer des Vermieters und einer Notfallnummer.
„Wir sind also in Finnland!“ war Dearons Feststellung, als auch er einen Blick auf den Zettel warf.
Begeistert war niemand so wirklich darüber, aber wie Jentrix treffend bemerkte, konnten sie im Moment wenig dagegen unternehmen.

Sie saßen alle beisammen. Der Kamin hatte den Raum ein klein wenig aufgeheizt, wenngleich noch immer die Eingangstür offen war und somit ein Großteil der Wärme nach draußen ging. Auch hatten sie es geschafft, den Strom anzuschalten. So hatten sie nun alles, außer Essen.
Doch im Moment war Hunger ihre kleinste Sorge.
„Wie hast du … die Tür …?“ Barry brachte keine anständige Frage zusammen.
Kayleigh sah ihn mit großen Augen an. Sie wusste es selbst nicht so recht. Irgendwie war es so, als hätte sie es gespürt, behauptete sie.
„Was meintest du damit, dass du dabei warst als Onkel Jim verschwunden ist?“ wollte Adrian von seiner Schwester wissen.
Kurz sah sie ihn an, als wolle sie ihm keine Antwort geben. Doch sie wusste, dass er sie immer weiter danach fragen würde.
„Ich kam in die Bibliothek, als er gerade die … gezeichnete Tür öffnete!“ versuchte sie zu erklären, „Er sagte nur, ich soll es niemanden sagen!“
Barry zog eine Augenbraue nach oben.
„Es hätte mir doch auch niemand geglaubt, wenn ich erzählt hätte, dass mein Onkel in der Wand verschwunden ist!“ protestierte sie, „Der Durchgang hatte sich gleich nach ihm geschlossen!Und niemand hätte irgendetwas entdeckt!“
Adrian war nicht zufrieden mit der Antwort, aber wohl oder übel musste er ihr glauben.
„Und war er … ein Schlüsselmeister?“ wollte Jentrix wissen.
Nun sahen beide Geschwister ihn fragend an.
„Bis jetzt ist aber noch niemals einer dabei gewesen, der Türen erschaffen kann!“ warf Barry ein.
„Ja, aber niemand weiß das genau! Es sind doch alles nur Gerüchte!“ platzte es aus Kayleigh heraus, der die ganze Fragerei zu viel wurde.
Sie konnte sich selbst nicht erklären, woher sie oder ihr Onkel die Fähigkeit hatten. Wäre sie nicht selbst dabei, würde sie nicht einmal an diese sonderbare Art zu Reisen denken.
„Wie kannst du …?“ fing Dearon an, doch Kayleigh sprang vom Sofa auf.
„Ich geh schlafen!“ sagte sie bestimmt, schnappte sich ihren Rucksack und ihre Umhängetasche und ging ins Dachgeschoss hinauf, wo sie sich ein Bett suchte.
Sie hatte keine Lust auf weitere Gespräche oder auf eine Art Rätselraten. Sie wollte endlich ein wenig Ruhe.

Dearon sah ihr verwirrt nach und dann, so als erwarte er von Adrian eine Antwort, zu ihm. Doch Adrian wusste nicht, wie er ihr Verhalten erklären sollte.
„Schlaf wäre gut!“ warf Jentrix ein und streckte sich auf einem der Sofas aus.
Adrian nahm seine Tasche und ging ebenfalls nach oben, um sich ein Bett zu suchen.
Nun waren nur noch Dearon, Jentrix und Barry im Wohnzimmer. Und während Dearon einen Laptop aus seiner Tasche hervor zog und wie er erklärte, den Akku auflud, wollte Jentrix von Barry wissen, woher er die Geschwister kannte.
Doch viel konnte oder wollte Barry nicht preisgeben. Er verriet nur, wie er sie getroffen hatte und dass sie seitdem reisten. Er meinte, er hätte selbst gern mehr über die beiden gewusst.
Noch eine Weile saßen die drei jungen Männer zusammen, wenngleich sie sich nicht viel zu sagen hatten. Dearon hatte herausgefunden, dass es im Haus sogar einen Internetanschluss gab, und nutzte diesen sogleich aus um seine E-mails zu checken und auch gleich eine an seine Familie zu schicken. Jentrix war nach einer Weile sogar auf dem Sofa eingeschlafen.
Nur Barry blieb mehr oder weniger wach. Er wollte nicht den Fehler begehen, dass einer der beiden ihn vielleicht überfallen und ihm die Karten abnehmen könnte oder schlimmeres.

„Schläfst du schon?“ wollte Adrian flüsternd wissen, als er in eines der vier Betten unter dem Dach kletterte.
„Meinst du, wir finden sie wieder?“ kam als Gegenfrage und Kayleigh schaute unter ihrer Bettdecke hervor.
Er überlegte kurz, ehe er flüsternd antwortete.
„Ich hoffe es!“
Für eine Weile herrschte Ruhe und man konnte den Wind übers Dach streifen hören.
„Und du weißt nicht, warum du das kannst?“
Sie schüttelte nur den Kopf.
„Vielleicht … weiß niemand genau … was hier passiert!“ stellte Adrian fest, wobei seine Stimme mehr als müde klang.
Und kurz danach war er eingeschlafen.
Und mit der aufkommenden Stille, schlief auch Kayleigh ein.

Selbst Barry schlief irgendwann ein. So sehr er es auch versuchte, gegen die Müdigkeit konnte er letztendlich nichts tun.
Dearon hatte sich in das Schlafzimmer verzogen. Er fand das Bett wesentlich bequemer als eines der Sofas. Jentrix war es egal, er schlief tief und fest.

„Ich will den Schlüssel!“ Die Stimme hallte ihr noch immer im Kopf. Laut und bedrohlich.
Aufgeschreckt saß sie im Bett und versuchte sich im Dunkeln zu orientieren.
Sie brauchte einen Moment ehe sie wieder wusste, wo sie war.
Im Bett neben sich hörte sie ihren Bruder schlafen bzw. schnarchen, was ihr ein kleines Schmunzeln ins Gesicht trieb. Es war zugleich auch ein beruhigendes Zeichen. Sie war wenigstens nicht allein verloren gegangen.
Da sie keinen Schlaf mehr fand, schlich sie die Treppe hinunter. Dort, im Wohnzimmer fand sie neben den schlafenden Jungs auch Dearons Laptop, der noch immer am Stromnetz angeschlossen war.
Allen Anschein nach, waren Jentrix und Dearon besser vorbereitet als sie. Sie hatten sogar einen Adapter für die Steckdose dabei.
Kurz sah sie sich um, so als würde sie etwas schlimmes aushecken, was niemand bemerken sollte.
Und dann, schaltete sie den Laptop ein. Sie hatte eigentlich damit gerechnet, dass er mit einem Passwort geschützt wäre. Doch dem war nicht so.
Ohne große Schwierigkeiten konnte sie mit dem Laptop ins Internet gehen.
Sie gab in dem Suchfeld des Browsers den Namen ihres Vaters ein. Und fand, so wie zuvor schon ihr Bruder, eine Menge an Informationen. Allerdings nicht das, was sie suchte. Und wie schon ihr Bruder stieß sie auf die Vermisstenanzeige ihrer Familie und auch fand sie die Links, die eigenartigerweise immer wieder auftauchten. Auch den Blog von Chan fand sie.
Ein neuer Eintrag, nur wenige Tage alt, berichtete von dem Treffen der Chinesin mit dem Geschwisterpaar. Nur kurz hatte Chan erwähnt, dass die Geschwister ihren Vater und ihre Tante suchen würden und bat um Hinweise. Doch allen Anschein nach, hatte niemand sie gesehen oder es wollte einfach nur niemand etwas dazu sagen.
Kayleigh ging zurück auf die Startseite und suchte nach den aktuellen Nachrichten. Sie hoffte, so irgendeinen Hinweis auf ihren Vater oder Tante Meryl zu finden. Doch auch hier gab es zu viele Informationen. Nachrichten von Erdbeben, Kriegen oder anderen wichtigen und auch weniger wichtigen Dingen, die alltäglich in der Welt vor sich gingen.
Nur dass, was sie zu finden hoffte, fand sie nicht.

„Was machst du da?“
Kayleigh zuckte zusammen. Dearon stand hinter ihr und starrte auf den Bildschirm.
„Ich … wollte ...“ stammelte sie, „Ich wollte nur … mal sehen …!“
Er zog eine Augenbraue hoch, klappte den Laptop einfach zu und setzte sich neben sie.
Beschämt sah sie zu Boden.
„Ich hatte gehofft, dass ich was über meinen Dad finde!“ erklärte sie flüsternd.
„Und? Was gefunden?“
Sie schüttelte nur den Kopf.
„Vielleicht ist er … noch irgendwo zwischendrin!“ versuchte er sie zu beruhigen, „Vielleicht ist er noch irgendwo in einem Durchgang!“
Sie nickte nur.
„Du solltest vielleicht noch ein wenig schlafen gehen!“ meinte Dearon dann zu ihr, zog den Stecker vom Laptop und nahm ihn mit sich ins Schlafzimmer.
Deprimiert stand Kayleigh auf und ging ebenfalls zurück ins Bett. Und nach einer Weile fand auch sie ihren Schlaf wieder.

Erst gegen Mittag, zumindest musste es ungefähr Mittag sein, wachte auch der letzte der Fünfergruppe auf.
Verschlafen versammelten sie sich mit ihrem Gepäck im Wohnzimmer.
„Wieso gibt’s hier nichts zu essen?“ murrte Adrian verschlafen und gähnte erstmal herzhaft.
Zwar war die Küche mit der neuesten Technik ausgestattet, aber Lebensmittel fehlten. Die müssten sich die Gäste selbst besorgen.
„Also laut dem Zettel gibt es ein paar Kilometer weiter einen Laden!“ meinte Dearon wissend.
„Und wer geht?“ gähnte Jentrix gleich.
Das Kaminfeuer war in der Nacht erloschen und die geöffnete Tür kühlte den Raum schnell aus. So war es kaum wärmer als zuvor in der Forschungsstation.
Keiner wollte gehen und keiner wollte mit einem der anderen allein hier im Haus zurückbleiben. Niemand traute dem anderen und so machte Kayleigh den Vorschlag, dass sie alle gehen könnten.
Mit Glück fänden sie einen neuen Durchgang.
„Und wie weit ist es bis zum Laden?“ kam sofort von Adrian, der keine Lust auf eine lange Wanderung verspürte.

Doch es waren mehrere Kilometer bis zum besagten Geschäft. Und die Landstraße zog sich einsam dahin. Merkwürdigerweise kam ihnen kein Auto entgegen.
„Vielleicht ist das auch nur zur Urlaubszeit voll hier!“ bemerkte Dearon nebenbei.
Der Laden war klein, aber passte zur Umgebung und der wenigen Leute, die hier wohnten. Die Kunden und Verkäufer sahen die Gruppe neugierig und irritiert an. Anscheinend waren sie zwar Fremde mit soviel Gepäck gewöhnt, aber nicht um diese Zeit.
„Wir sollten nur eingepackte Sachen nehmen!“ erklärte Jentrix und packte eine Großpackung Müsliriegel in den kleinen Einkaufskorb, „Die halten zumindest länger, als offenes Zeug!“
Sie luden den Korb mit eingeschweißten Lebensmitteln und Mineralwasser voll und wollten bezahlen.
Doch der Mann an der Kasse bestand auf Euros, etwas was Dearon und Jentrix, sowie Barry und Adrian nicht bei sich hatten. Allerdings hatte Kayleigh ein paar Scheine einstecken.
„Das ist von Chan!“ erklärte sie, „Für den Schlüssel!“
„Wieviel hast du bekommen?“ wollte Dearon sogleich wissen.
„Hmm ...“ Kayleigh zählte das Geld durch, „Fünfzig Euro und fünfzig Dollar!“
Jentrix sah erstaunt aus und meinte dann, dass sie zu wenig Geld bekommen hätte.
Nur erklären, wieviel ein Schlüssel wert sei, konnte er nicht.
„Jedenfalls mehr, als das was sie dir gegeben hat!“ lachte er, „Chan ist ein gerissenes Luder!“
Viel hatte sie zwar nicht bekommen, doch es würde ihnen zumindest jetzt helfen, dachte sich Kayleigh und sagte nichts dazu.
Allerdings reichten die fünfzig Euro nicht für ihren Einkauf und so mussten sie einige Lebensmittel liegen lassen.
Mit ihrem Einkauf dann gingen sie wieder die Straße entlang.
„Meinst du, hier ist irgendwo eine Tür?“ flüsterte Adrian seiner Schwester zu.
Sie sah sich um und schüttelte dann den Kopf.
„Selbst wenn, jetzt wäre es zu auffällig!“ bemerkte sie dann, „Hier sind zuviele Leute! Und wenn wir keinen Durchgang fänden, hätten wir ein großes Problem mit den Bewohnern!“
Barry stimmte ihr zu, wenngleich er es nicht gut fand, nicht weiter zu kommen.
„Wir sollten erstmal zurück zum Haus, oder?“ wollte Dearon wissen.
Die Geschwister sahen Barry fragend an, so als würde er wissen, was nun zu tun sei.
„Gut! Erstmal zurück und aufwärmen! Und morgen sollten wir dann nach einer Tür suchen!“ bestimmte er.

Schweigend gingen sie den Weg wieder zurück. Er erschien ihnen sogar noch länger, als er vorher war. Zudem hatte es angefangen zu schneien.
„Ist es noch weit?“ kam gleich wieder von Adrian genervt. Er wollte sich wieder hinlegen. Nicht nur dass ihm schon wieder kalt wurde, so wurde er auch müde vom Wandern.
Keiner reagierte auf seine Frage und so kehrte wieder Stille ein.
Plötzlich blieb Kayleigh, die zwischen den Jungs unterwegs war, stehen und hockte sich hin. Sie hatte etwas gesehen.
„Was ist los?“ wollte Jentrix, der hinter ihr gelaufen war, wissen.
Kayleigh hob etwas von der Straße auf und starrte darauf.
„Was hast du da?“ Adrian wollte es sehen, „Ein Schlüssel?“
Sie schüttelte nur den Kopf und zeigte es ihm.
Es war ein altes in Mitleidenschaft gezogenes Foto.
„Das ist nur ein Foto! Können wir weiter?“ beschwerte sich Barry.
„Das gehörte Dad!“ meinte Kayleigh zu ihrem Bruder, der ebenso entsetzt darauf starrte, „Er hat es immer in seiner Brieftasche gehabt!“
Auf dem Foto war eine junge brünette Frau zu sehen, die mit einem Buch in der Hand auf einem Ast in Bodenhöhe saß. Die Frau sah direkt zum Fotografen und ihre grünen Augen stachen hervor.
„Das ist Dads Foto! Er ist hier!“ schrie Kayleigh gleich und sah sich um.
Aber von ihrem Vater oder ihrer Tante war nichts zu sehen. Es gab nicht einmal Spuren in dem flachen Schnee.
„Wer ist das?“ Jentrix tippte auf das Bild.
„Das ist unsere Mutter!“ erklärte nur Adrian.
„Und wo ist sie? Ist sie auch verschwunden?“
„Sie ist seit sechzehn Jahren tot!“ gab Adrian nur von sich.
Barry, der einen kurzen Blick auf das Foto geworfen hatte, sah ihn mürrisch an.

Kayleigh schien wie ausgewechselt. Sie wollte unbedingt ihren Vater finden und lief einfach los, weiter die Straße entlang.
„Warte doch mal!“ rief Adrian ihr hinterher und lief ihr nach.
„Dad muss hier irgendwo sein!“ antwortete sie ihm nur, ohne anzuhalten.
So sehr sie auch nach ihrem Vater oder einer Spur Ausschau hielt, es war nichts zu sehen. Und je weiter sie lief, um so verzweifelter wurde sie.
„Kayleigh, bleib stehen!“
Endlich hatte Adrian sie eingeholt und packte sie am Arm.
„Er ist hier irgendwo!“ meinte sie nur und blickte sich weiter um.
„Vermutlich ist er schon wieder woanders!“ entgegnete Adrian ihr. Eine Tatsache, die er selbst nicht wahrhaben wollte, „Wenn wir weiter rennen, verlieren wir uns selbst!“
„Aber …!“ Kayleigh war mehr als verzweifelt und verstand nicht, dass ihr Bruder nun, nachdem sie endlich ein Zeichen hatten, aufgeben wollte.
„Hör zu, wir gehen erstmal zum Haus zurück und morgen fragen wir nach Dad!“ meinte Adrian zu ihr.
Jentrix, Dearon und Barry hatten die beiden auch endlich eingeholt und stimmten ihm zu.
„Es wird schon dunkel und da finden wir eh keine Spuren mehr!“ fügte Barry hinzu.
Niedergeschlagen gab sie nach und sie machten sich auf dem Weg zum Haus. Allerdings mussten sie dazu wieder einige Meter zurück gehen, da sie mehr oder weniger am Haus vorbei gelaufen waren.
„Morgen früh suchen wir weiter!“ versprach Adrian seiner Schwester.
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 11:57

Kapitel XVII

Kaum einer würde ihm glauben, dass er nun schon seit über einhundert Jahren auf der Suche war. Wahrscheinlich lag das aber auch daran, dass er ein Zehnjähriger war. Zumindest körperlich.
Auch würde keiner ihm glauben, wie er so jung geblieben ist oder besser wieder so jung wurde.

Seine Suche hatte ihn schon überall hingeführt. Und nun war er wieder auf eine Spur gestoßen. Oder zumindest hatte er etwas gefunden, was ihm auf seiner Suche helfen könnte.
Er hatte seine Ziel in Australien aus den Augen verloren. Aber nun, in einer kleinen Stadt mitten in Finnland hatte er einen neuen Hinweis erhalten.

„Hallo!“ grüßte er freundlich. An seine kindliche Stimme hatte er sich längst gewöhnt, wenngleich er aber seine ältere Erscheinung vermisste. Doch im Moment konnte er nicht viel daran ändern, und so hieß es das beste aus der Situation zu machen.
Das ältere Paar, beide über die vierzig, sah ihn verwundert an. Sie wussten nicht wie sie hierher gekommen waren und waren auch nicht der Witterung angepasst, trugen nur einfache dünne Pullover und Halbschuhe. Nicht passend für den aufkommenden Schneefall.
Sie wollten von ihm wissen, wo sie waren. Doch sie glaubten es ihm nicht.
„Hast du … meine Tochter und meinen Sohn gesehen?“ Der Mann sah sich verwundert um, „Die müssten doch auch hier sein?“
Ein Grinsen huschte dem Jungen über das Gesicht.
„Ja! Ich kann sie hinbringen!“ meinte er.
Die Frau schien ein klein wenig misstrauischer zu sein.
Das brachte den Jungen zum Umdenken.
„Ähm … Ich habe zwei Fremde gesehen. Das könnten sie sein!“ meinte er weniger fröhlich, „Haben sie denn ein Foto?“
Der Mann nickte und griff in seine hintere Hosentasche.
Der Junge beobachtete ihn scharf und starrte dann wie gebannt auf die Geldbörse, die der Mann hervor gezogen hatte. Etwas darin leuchtete.
„Das hier ...“ murmelte der Mann und zeigte ihm ein Familienfoto.
„Ja! Das sind die beiden!“ Wieder war ihm zu schmunzeln zumute, doch der Junge verkniff es sich.
Noch immer sah die Frau das Kind fragend an.
„Ich kann sie hinbringen!“ erklärte der Junge und packte den Mann bei der Hand.
„Sag uns nur, wo sie sind! Deine Eltern machen sich bestimmt schon Sorgen!“ meinte die Frau bestimmt. Sie hatte seinen Blick auf die Geldbörse des Mannes bemerkt und es gefiel ihr nicht. Sie hatte nicht vor, sich mitten im Nirgendwo von einem Knirps ausrauben zu lassen.
Der Junge sah sie missbilligend an.
„Wir sollten gehen!“ flüsterte sie dann dem Mann zu und zog ihn von dem Jungen weg.
Aber der stellte sich ihnen erneut in den Weg, den Blick auf die Geldbörse geheftet. Er wollte schon danach greifen, als der Mann ihn zur Seite schob.
Was nützte ihm nun sein Wissen, wenn er doch in diesem schwachen Körper gefangen war.
Das Paar lief an ihm vorbei. Sie wussten gar nicht wohin sie laufen sollten. Sie wussten nur, dass sie von dem sonderbaren Kind weg mussten.
So liefen sie die Straße aus der kleinen Stadt hinaus und fanden sich recht bald noch tiefer im Nirgendwo wieder als sie ohnehin schon steckten.
Nach einer Weile und nachdem sie sich sicher waren, dass der Junge nicht mehr hinter ihnen war, blieben sie stehen um zu rasten.
„Das kann unmöglich sein!“ schnaufte der Mann, „Wie sind wir hierher gekommen?“
Die Frau hingegen schien weniger etwas gegen die eigenartige Reise zu haben.
„Sie sind bestimmt auch hier!“ meinte sie nur.
„Und er vielleicht auch!“ fügte sie mehr zu sich selbst gerichtet hinzu.

Nun hatte er seine einzige Spur erneut verloren. Aber es ärgerte ihn noch mehr, dass er den Mann hat einfach so gehen lassen, wo er doch etwas sehr wertvolles bei sich trug.
Er musste ihnen folgen. Und er würde sie auch wiederfinden, denn viel gab es nicht in der Richtung, in die sie gelaufen waren. Früher oder später würde er sie finden.

Es war kalt und in ihrer dünnen Kleidung wurde es ihnen auch nicht wärmer. Wenn sie nicht irgendeine Unterkunft finden würden, würden sie früher oder später erfrieren.
Es blieb ihnen nichts anderes übrig als weiter zu gehen.
„Was hast du noch in deinem Portmonee?“ wollte die Frau von ihrem Begleiter wissen. Sie war neugierig darauf zu erfahren, was den Jungen interessiert haben könnte. Sollte er nur hinter Geld her gewesen sein?
„Da ist nichts besonderes drin!“ gab er nur zurück.
Sie lies sich seine Geldbörse zeigen. Ein paar wenige Geldscheine, ein paar alte Kassenbons und eine Visitenkarte eines Autohändlers. Und ein paar Fotos.
Neben dem Familienfoto neuerem Datums war noch eines einer jungen hübschen Frau, die mit einem Buch in der Hand auf einem Ast saß.
Doch dann bemerkte sie noch etwas anderes, etwas hinter dem Foto.
„Was ist das?“ wollte sie von dem Mann wissen und versuchte es herauszuziehen. Doch es schien an dem Foto zu kleben, sodass sie es mit heraus zog.
„Das? Das kenn ich nicht!“ bemerkte er und begutachtete es.
Es war ein wenig kleiner als das Foto. Er musste es schon länger dort stecken haben, da es an dem Foto fest hing.
Es sah aus wie eine kleine Visitenkarte mit einem vergilbten Motiv. Vielleicht ein altes vergessenes Geschenk seiner Tochter. Er konnte sich nicht daran erinnern, woher er es hatte.
Dann bemerkte er etwas anders und zwar den Jungen. Er war ihnen gefolgt und kam nun näher.
„Wir müssen weg hier!“ meinte er nur zu der Frau und zog sie mit sich.
Wieder liefen sie davon. Ins Ungewisse.
Der Mann hatte noch nicht einmal das Foto zurück gepackt. Zusammen mit der Geldbörse hielt er es in der Hand.
Der Junge war ihnen unheimlich.
Die Frau bemerkte recht bald ein Haus, welches ein wenig hinter Bäumen versteckt stand.
„Dort rein!“ meinte sie nur zu dem Mann und gemeinsam rannten sie darauf zu.
Das Haus schien unbewohnt zu sein und dennoch war es in einem guten Zustand.
Als sie an der Tür ankamen und anklopften, war scheinbar keine Menschenseele da und dennoch war die Tür nicht verschlossen. Und so gingen sie einfach hinein.

Wieder einmal hatte er versagt. Er hatte das ältere Pärchen aus den Augen verloren und somit die einzige Spur zu seiner Beute. Seit über hundert Jahren nun schon suchte er danach.
Der Familienschatz, wenn man es so nennen wollte. Ein Erbe, das er für sich allein beanspruchte. Etwas womit sein Bruder allen Anschein nach nichts anfangen konnte.


1869, in Lincoln,Grafschaft Lincolnshire in England. Dort hatte er seinen Bruder das letzte Mal gesehen. Und da, im elterlichen Haus, war es auch das erste Mal passiert, dass er verschwand.
Es war immer schwierig gewesen zwischen den Brüdern. Aufgewachsen in gutbürgerlichen Verhältnissen, wobei sie nie herausgefunden hatten wie sie die Kosten für solch ein Leben aufbrachten.
Doch nach einiger Zeit hatten sie ein Familiengeheimnis herausgefunden. Und irgendwann würden die beiden Jungen das Geheimnis besitzen.
„Du kannst es nicht haben, Vigilius!“ brüllte ihn sein Bruder an.
Der Vater enthielt sich wie immer dem Streit. Er wusste nicht, wie er ihn unterbinden könnte. Und er gab sich die Schuld an dem Streit. Schließlich war er es der ihn mehr oder weniger entfacht hatte. Unbeabsichtigt!
„Aber der Schlüssel gehört mir!“ schrie Vigilius zurück. Sein Vater hatte es so genannt.
Schlüssel. Dabei sah es nicht einmal so aus. Vielmehr war es eine kleine, winzig kleine Zeichnung.
Und obwohl der Vater einen weiteren Schlüssel geschaffen hatte, wie er meinte, war es doch der erste Schlüssel auf den Vigilius aus war. Keiner der anderen schien so mächtig wie dieser zu sein.
Selbst hatte er noch nie einen Schlüssel benutzt. Vermutlich auch sein Bruder nicht. Aber der Vater war öfters unterwegs.
Vigilius hatte ein Gespür für den Schlüssel entwickelt und ihn immer wieder gefunden, egal wohin ihn auch der Vater versteckte.
„Gib endlich auf und lass den Schlüssel bei Vater!“ befahl der Bruder.
„Aber er gehört mir! Und Vater ist alt!“ schrie Vigilius zurück.
Das war zu viel und der Bruder gab ihn dafür eine schallende Ohrfeige, nicht ohne selbst dafür eine gelangt zu bekommen. So begann eine Schlägerei unter den Brüdern.
Dann stieß der Bruder Vigilius gegen eine Tür und obwohl die Tür verschlossen war, fiel er hindurch und verschwand.

Wo er landete wusste er nicht. Er hatte auch keine Ahnung wie genau er wieder nach hause finden sollte. Aber er schaffte es. Nachdem er immer wieder durch verschiedene Türen gegangen war, gelangte er wieder nach hause.
Und doch schien es nicht mehr das vertraute Daheim zu sein.
Wie er später erfuhr, war er einen Monat lang verschwunden gewesen.
„Wo ist der Schlüssel?“ war gleich seine erste Frage an seinen Bruder.
Der war weniger erfreut über die Frage. Er versuchte Vigilius zu ignorieren und sortierte einige Papiere.
„Ich will ihn haben!“ knurrte Vigilius zornig.
„Er ist weg!“ war nur die knappe ebenso zornige Antwort des Bruders, „Vater scheint dir ja weniger wichtig zu sein!“
Vigilius starrte ihn irritiert an.
„Er ist gegangen!“ antwortete der Bruder sogleich, „Ist besser, wenn du wieder verschwindest!“
Damit war das Gespräch für den Bruder beendet und er widmete sich wieder den Papieren.

Vigilius ging auf sein Zimmer und packte ein paar wenige Sachen, darunter eine kleine Zeichnung, die ihm sein Vater einst geschenkt hatte. Und während er darüber nachdachte, was er nun tun sollte, bemerkte er etwas, was sich wie ein dünner Faden aus Licht aus seinem Zimmer zur Tür des Vaters zog.
Er folgte ihm und war verwundert, denn der Lichtfaden ging hinter der Tür nicht weiter.
Ein Schmunzeln huschte ihm übers Gesicht. Der Schlüssel, das Erbe, welches seiner Meinung nur ihm zustand, war zwar verschwunden, aber er hatte nun eine Spur gefunden. Und er wollte ihr folgen.
Ohne sich von seinem Bruder zu verabschieden ging Vigilius mit einem Schlüssel in der Hand durch die Tür. Er hatte seinen Vater nie gefragt, wie der Zauber funktionierte, aber das war auch egal. Solange er funktionierte.

Immer wieder fand er eine Spur. Sie zog sich immer weiter durch viele Länder und viele Jahrzehnte. Ein oder zwei Mal ging er durch eine Tür und wunderte sich, dass er auf einmal jünger wurde. Nicht viel, scheinbar.
Sein Vater hatte ihm darüber nichts erzählt. Ob es Türen gab, die die Zeit anhielten? Oder die verjüngen konnten?
Im Grunde hatte sein Vater nie viel über die Schlüssel und die Türen erzählt. Und doch wussten seine Söhne so manches.

Vigilius zog Nutzen aus seiner nie zu enden wollenden Reise. Er sammelte einen kleinen Reichtum an, den er meist für seine Verpflegung und Unterkunft brauchte. Nun wusste er zumindest, wie sein Vater hatte den Lebensstandart finanzieren hatte können.
Immer wieder fand er eine Spur, ähnlich dem Lichtfaden daheim oder wie ein Gefühl oder ein kleines Summen oder dergleichen. Und genauso schnell schien sich die Spur wieder zu verlieren.

Nur einmal kam er auf seinen Reisen wieder daheim an. Allerdings war das Haus nun leer und baufällig. Von seinem Bruder keine Spur. Vielleicht hatte er ohne seinen Vater nicht mehr das Haus halten können, war verarmt oder schlimmeres.
Und obwohl ihn der Gedanke, seinen Bruder nie wieder sehen zu können, betrübte, konnte er an nichts anders als an den Schlüssel seines Vaters denken.
So ging er wieder auf die Suche, überwand wieder viele Jahre und kam in viele verschiedene Länder. Mal spürte er mehr mal weniger den gesuchten Schlüssel. Immer wieder aber fand er andere Schlüssel.
Es waren sonderbarer weise immer mehr geworden. Und nicht alle waren von seinem Vater erschaffen worden. Und nicht alle funktionierten gleich.
Er traf in den Jahren auch auf Schlüsselträger. Nur hatten diese scheinbar nicht so viel Glück bei ihrer Reise, denn sie reisten umher ohne ihr Ziel zu kennen.

Es war nun das Jahr 2000, er nun eigentlich schon einhundertfünfzig Jahre alt, wenngleich sein Körper ihn nur knapp fünfzig aussehen lies. Bis jetzt hatte er immer wieder eine Verjüngungstür gefunden.
Im ersten Moment wusste er nicht wo er sich befand. Die Gegend von rotem Sand bedeckt und heiß. Und dann spürte er ihn wieder. Seinen Schlüssel.
Ein dunkelhaariger Mann ging an ihm vorbei und drehte sich dann verwirrt zu ihm um. Fast so, als würde er ihn kennen. Doch dann beschleunigte der Mann seine Schritte und ging weiter.
Vigilius sah ihm kurz nach. Er hatte einen sonderbaren Druck gespürt. Fast so wie eine Welle, die von dem Mann ausging.
„Ich will den Schlüssel!“ war sogleich das erste, das Vigilius dem Mann entgegen brachte, als er ihn endlich eingeholt hatte.
Der Mann, über dreißig, lies sich auf keine Gespräche ein und ging sofort zum Kampf über. Und wieder wurde Vigilius durch eine Tür gestoßen, ohne dass er dagegen etwas tun konnte.
Vigilius fand sich in einer ihm unbekannten Gegend wieder. Und obwohl er alles versuchte, er kam nicht voran. Und so schrie er nach Hilfe, aus Angst dass er sich womöglich verletzt hatte, bei dem Sturz durch die Tür.
Aber er hörte seine Stimme nicht. Es war ein Krächzen.
Und als er die Reaktion der ersten Menschen, die ihm entgegen traten bemerkte, wusste er was passiert war.
Er war erneut durch eine der verjüngenden Türen gegangen. Doch diesmal war er nicht nur wenige Jahre jünger geworden. Er war nun wieder ein Baby.
Sein jahrhundertealter Geist steckte in dem Körper eines Säuglings fest. Und er konnte nichts dagegen tun.

So musste er gezwungener Maßen seine Suche einstellen.
Er hatte Glück. Kam in eine nette Pflegefamilie, die ihn trotz seiner merkwürdigen Art, viel zu wissen, liebte. Sie taten es damit ab, ein Genie bekommen zu haben.
Vigilius wusste, dass er aufpassen musste, nicht zu viel seines Wissens über die Welt preis zu geben. Und vor allem nichts über die Schlüssel.
Zehn Jahre später spürte er ihn wieder. Den Schlüssel seines Vaters. Er wusste zwar nicht wo sich der Schlüssel befand, aber er konnte ihn deutlich spüren.
Und trotz der Liebe seiner neuen Familie wollte er es erneut wagen, ihn zu suchen.
Gefangen in seinem kindlichen Körper, mit einen zu alten Geist, brach er einfach wieder auf.

Und in Australien traf er erneut auf jemanden, der mit dem Schlüssel zu tun hatte. Die beste Spur seit langem.
Nikita LaChance
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 11:58

Kapitel XVIII

Kayleigh war zu aufgebracht. Sie hatte weder Hunger noch konnte sie sich richtig beruhigen, so dass Adrian sie einfach zu Bett schickte.
Aber auch da fand sie keine Ruhe. Immer wieder war sie kurz davor einfach los zulaufen und auf eigene Faust nach ihrem Vater und die Tante zu suchen.
Irgendwann hatte sie das Buch hervorgeholt und immer wieder darin herum geblättert, auf der Suche nach einer Antwort. Nur fand sie keine.
Wütend warf sie das Buch durch den Raum und lies sich auf das Bett fallen.

Die Jungs hatten den Kamin wieder entzündet und aßen. Keiner sprach ein Wort mit dem anderen.
Nach einer Weile stand Barry auf und wollte nach Kayleigh schauen.
Als er nach oben ging, wo Kayleigh schon die Nacht zuvor geschlafen hatte, stolperte er fast über das Buch. Er schlich zu Kayleigh ans Bett.
Sie war eingeschlafen, wobei sie das Foto ihrer Mutter in der Hand hielt.
Barry starrte eine Weile auf das Foto. Dann griff er sich eine Decke und legte sie Kayleigh über.
Er überlegte kurz, schnappte sich das Buch und setzte sich damit auf das Bett neben ihr. Er wollte sie im Moment nicht allein lassen. Vermutlich würde sie sonst nur auf dumme Gedanken kommen.

Adrian starrte auf die Flammen und grübelte. Dass er seine Schwester so aufgebracht gesehen hatte, war schon sehr lange her.
„Wie ist deine Mutter gestorben?“ platzte es aus Dearon hervor. Er empfand die Frage selbst nicht unbedingt als taktvoll, aber er war neugierig.
Adrian sah ihn verwirrt an.
„Ich weiß es nicht so genau!“ meinte er dann, „Zu dem Zeitpunkt war ich im Feriencamp und ...“
„Aber dein Dad muss dir doch irgendwas gesagt haben!“ kam von Jentrix.
„Er hat nichts weiter gesagt! Und jedes mal wenn jemand davon was sagte, ist Kayleigh … ausgetickt!“ antwortete Adrian, „Sie ...“
Die Jungs sahen ihn fragend an.
„Vielleicht war es ein Unfall!“ bemerkte Adrian. Sicher war er sich nicht dabei.
„Wie meinst du das jetzt?“
„Kayleigh lag selbst eine Weile im Krankenhaus. Und eine Weile, glaube einen Monat oder so, hat sie mit niemanden mehr geredet.“ Adrian klang recht bedrückt.
Die Jungs sahen ihn stumm an.
„Ähm … besser ihr sprecht sie nicht deswegen an! Okay?“
Sie nickten verständnisvoll, auch wenn sie eigentlich mehr wissen wollten.

„... Es war seit vielen Jahren verloren gegangen. Verschollen. Und dennoch, obwohl niemand wusste wo es war und ob es überhaupt existierte war jeder danach auf der Suche.
Es waren auf einmal so viele Reisende auf der Suche. Einige waren vorsichtig dabei. Sie wollten weder auffallen, noch jemanden verletzten. Doch es gab auch jene, denen das alles egal war. ...“
Barry konnte sich nicht daran erinnern, was genau damals in dem Buch gestanden hatte. Aber diesen Text hatte sein Bruder nicht geschrieben. Da war er sich sicher.
Als er noch einmal auf die Seite sah, verblasste der Text wieder.
Auch daran konnte er sich nicht erinnern. Aber das war doch dasselbe Buch, dass sein Bruder für seine Geschichte genommen hatte? Er hatte ihn nie gefragt, woher das Buch stammte.

„Ich will den Schlüssel!“ Wieder war es die Stimme, bedrohlich und finster, die Kayleigh aufschrecken lies.
Wieder saß sie aufrecht und versuchte sich zu orientieren.
Dann zuckte sie erneut zusammen.
Barry hatte sie sanft an der Schulter gepackt, um sie zu beruhigen.
„Du hast nur schlecht geträumt!“ meinte er ruhig zu ihr.
„Wo ist Adrian?“ wollte sie nur müde wissen.
„Er ist unten bei den anderen beiden!“
Sie wollte schon aufstehen, als er sie zurückhielt.
„Du solltest noch eine Weile schlafen! Es passiert schon nichts!“
Sie wollte ihm widerreden, aber er schüttelte nur den Kopf. Im Grunde war sie zu müde, um zu diskutieren und so legte sie sich wieder hin.
„Schläfst du nicht?“ wollte sie dann von Barry wissen.
Er schmunzelte nur, wollte aber keine Antwort geben. Er war es gewohnt wenig zu schlafen. Außerdem musste doch irgendwer Wache halten!

Wieder richtete sich Barrys Aufmerksamkeit auf das Buch, nachdem Kayleigh wieder eingeschlafen war.
Der Text, der nun erschien, schien recht wirr und unsortiert. Fast so als habe jemand einfach alles hinein geschrieben, was einem in dem Moment in den Sinn kam.
So stand irgendetwas über einen Thomas darin, der mit seinem Schlüssel durch die Welt reiste, da es ihm daheim nicht mehr gefiel. Dann tauchte etwas auf, über den Streit zweier Brüder und einem verloren gegangenen Erbe. Und dann plötzlich irgendetwas über einen Jäger, der in unmittelbarer Verbindung mit einem Schlüssel stehen sollte.
Alles ergab keinen Sinn.
Von vielen Schlüsseln und Reisenden war die Rede. Dass alle nach dem einen Schlüssel suchten, doch niemand so recht wusste, wo sie mit ihrer Suche beginnen sollten.
Und dann, stand etwas verwirrendes über eine Familie im Buch, deren Schicksal ungünstig mit dem ersten Schlüssel verwoben schien. Zumindest nannte das Buch es einen uralten Familienfluch.
Es war unverständlich. Vollkommen sinnfrei.
Und wieder löste sich der Text ins Nichts auf.
„Tolles Ding!“ brummte Barry nur.
Der plötzlich auftauchende Text aber ergab einen Sinn. Zumindest war er weniger verwirrend als der vorherige.
„Gefahr! Ein Jäger folgt der Spur der Schlüssel!“
Er schüttelte nur den Kopf. Und beim erneuten Blick auf die Textzeile stand nur noch das Wort „Gefahr!“ da.
Ein sehr deutlicher Hinweis. Irgendwie beunruhigend.

Kayleigh erwachte erneut durch einen Alptraum. Seit dem Reisebeginn hatten sich ihre schlechten Träume vermehrt. Und sie hasste es.
Kurz nach dem Tod ihrer Mutter hatte sie immer wieder Alpträume und schlief deshalb immer weniger. Sie musste sogar deswegen zu einem Psychologen. Und nach knapp einem Jahr hatten die Träume aufgehört. Oder zumindest hatte sie den Auslöser dafür verdrängt.
Leise kletterte sie aus dem Bett und schlich sich an Barry, der mit dem Buch in der Hand eingeschlafen war, vorbei die Treppe hinunter.
Dort schliefen die Jungs auf den Sofas. Einzig der Laptop gab Geräusche von sich. Anscheinend hatten sie über Internet TV oder ähnliches gesehen.
Kayleigh suchte sich was zu essen. Wenigstens hatten die Jungs genügend übrig gelassen.
Mit einer eingeschweißten Wiener und einem Müsliriegel in der Hand ging sie vor die Tür und setzte sich auf die Verandabrüstung.
Die morgendliche Kälte störte Kayleigh nicht. Im Gegenteil, sie genoss sie. Ebenso wie die Stille.

„Mit dir alles okay?“ wollte jemand wissen und stellte sich hinter sie.
Gerade eben noch hatte Kayleigh in Stille gegessen und den Sonnenaufgang beobachten können, und nun würde man sie wieder mit Fragen bombardieren. Dabei wusste sie selbst nicht die Antworten, die man von ihr erwartete.
„Kayleigh?“
Sie drehte sich kurz um. Jentrix stand zitternd hinter ihr. Er schien nicht so recht zu wissen, ob er sich zu ihr stellen und sie umarmen sollte oder ob er wieder hineingehen sollte, wo es nicht ganz so frisch war.
„Mir geht’s gut!“ meinte sie nur und sah wieder in die schneebedeckte Ferne.
Noch immer überlegte er, was er tun oder sagen sollte. Dann stellte er sich direkt neben sie und blickte in die selbe Richtung wie sie.
„Wir werden sie finden!“ meinte er dann ohne zu ihr zu sehen.
„Aber wie?“ Es war wie ein leises Seufzen von ihr, zu leise, als dass er es hätte gehört.

Barry erwachte, als ihm das Buch aus den Händen geglitten und zu Boden gefallen war.
„Kayleigh?“
Sie lag nicht mehr im Bett und plötzlich bekam er Panik. Er sprang auf und stürmte die Treppe hinunter, wodurch er Adrian und Dearon weckte.
„Wo ist sie?“ war das einzige was Barry hervor brachte.
Die beiden Jungen verstanden nicht, wovon er redete und sahen ihn müde an.
Barry stürzte zur Eingangstür und blieb dann erstarrt stehen.
„Was ist?“
Kayleigh sah ihn irritiert entgegen. Noch immer saß sie auf der Brüstung, Jentrix neben sich.
„Ich dachte schon ...“ Barry hatte geglaubt, sie sei davon gerannt, um ihren Vater zu suchen.
Nun da er gesehen hatte, dass es ihr gut ging, beruhigte er sich wieder. Allerdings passte es ihm nicht, dass sie allein mit Jentrix war.
„Wir sollten … frühstücken!“ brachte er dann hervor und ging wieder hinein.
„Wir …!“ Jentrix zeigte in Richtung Tür, wartete aber, dass Kayleigh von der Brüstung sprang und voraus ging.

Dearon hatte ein Internetradiosender angeschaltet und so lief irgendein Countrysong. Ansonsten war es ruhig im Wohnzimmer, wo sie alle zusammen saßen und das wenige aßen, was sie den Tag zuvor gekauft hatten.
„Was machen wir jetzt?“ wollte Jentrix kauend wissen und sah in die Runde.
„Keine Ahnung!“ kam sofort von Barry und er richtete seinen Blick auf Kayleigh.
Die wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie wollte nach ihrem Vater und ihrer Tante suchen. Aber in welche Richtung waren sie gegangen? Waren sie überhaupt noch in dieser Gegend?
„Vielleicht sollten wir weiter!“ meinte Adrian, woraufhin Kayleigh ihn entsetzt ansah.
Wieder kam Stille auf und auch der Song im Radio endete.
Dann kamen die Nachrichten und neben dem fast schon alltäglichen politischen Neuigkeiten und einigen Informationen zu irgendwelchen Stars und Ländern, in denen gerade mal wieder irgendetwas passierte, gab es einen Bericht, der ihr Interesse erregte.
Auf einer Militärbasis in Russland war angeblich ein Paar aufgetaucht und sorgte damit für einigen Ärger, da niemand wusste wie sie so plötzlich dorthin gelangen konnten. Und genauso plötzlich war das Paar auch wieder verschwunden. Und kurz danach soll dann noch ein Kind an der selben Stelle wie das Paar aufgetaucht und auf ebenso mysteriöse Weise, wie das Paar wenige Minuten davor, wieder verschwunden sein.
Alle sahen sich an. Anscheinend war das Paar auch Reisende.
„Wo genau war das?“ wollte Kayleigh noch einmal wissen. Aber niemand hatte etwas genaueres heraushören können.
„Sie haben nichts gesagt!“ meinte Dearon ruhig.
Kayleigh sah ihn böse an. Das hatte sie nicht wissen wollen.
„Hey, beruhig dich mal wieder!“ meinte ihr Bruder zu ihr und stieß sie von der Seite an, „Wir können nicht sicher sein, dass sie es waren!“
Auch das hatte sie nicht hören wollen.
Sie stand ohne ein weiteres Wort auf und ging nach oben. Sie wollte ihre Sachen wieder zusammenpacken.

„Toll!“ seufzte Adrian genervt.
Barry sah ihn irritiert an, stand dann ebenfalls auf und ging ihr nach.
Oben angekommen, sah er, wie sie mit dem Buch in der Hand auf dem Bett saß. Es sah aus, als überlege sie, ob sie es nun einpacken sollte oder nicht.
„Wo willst du jetzt hin?“ wollte er von ihr wissen.
„Ich finde sie doch nicht!“ gab sie nur leise von sich. Dann zeigte sie auf das Buch.
Noch immer stand darin nur ein Wort.
„Gefahr!“
Barry wusste nicht, was sie nun von ihm erwartete.
„Wir müssen vorsichtig sein! Es gibt eine Menge Leute, die nach den Schlüsseln jagen. Und die gehen nicht unbedingt freundlich vor, um an einen Schlüssel zu kommen!“ meinte er.
„Ich weiß!“ dachte sie sich, sagte es aber nicht.
Sie schlug das Buch wieder zu und packte es in ihre Tasche. Dann ging sie mit ihrem Reisegepäck die Treppen hinunter zu den anderen.
Die Jungs sahen sie nervös an.
„Was machen wir jetzt?“ wollte sie wissen.
„Ähm …!“ Keiner von ihnen wusste so recht, was sie antworten sollten.
„Wir sollten weiter nach Dad und Meryl suchen!“ meinte Adrian zu Kayleigh, „Aber wir wissen nicht wo sie jetzt sind!“
„Und dann gibt es auch keinen Weg zu ihnen zu kommen. Jedenfalls nicht auf unsere Art!“ fügte Dearon hinzu.
Kayleigh seufzte kurz und nickte.
„Aber mit dem Buch ...“ fing Barry an, der ebenfalls wieder hinab gestiegen war, „mit dem Buch könnten wir sie finden!“
Nun sahen ihn die anderen fragend an.
„Aber wie soll das gehen?“ wollte Adrian wissen.
„Was für ein Buch? Das Ding was sie immer liest?“ fragte Jentrix sofort nach. Er und Dearon wussten nicht, was das für ein besonderes Buch war, was Kayleigh mit sich trug.
„Es kann helfen!“ kam etwas leiser von Barry, so als sei er sich plötzlich nicht mehr so sicher.
„Wie soll es helfen? Da steht doch nichts drin und wenn, dann ergibt es keinen Sinn!“ meinte Adrian sofort.
„In dem Buch steht nicht drin wie wir unseren Dad und unsere Tante finden!“ gab Kayleigh zu verstehen.
„Nein! Das steht leider nicht drin! Und wie er...“ Barry zeigte auf Dearon, „... schon sagte, kommen wir nicht so einfach zu ihnen. Aber wenn wir ...“
Er verstummte kurz, so als müsse er seine Idee noch einmal überdenken.
„Wenn wir den ersten Schlüssel finden würden, könnten wir überall hin, wohin wir wollen!“
„Den ersten Schlüssel?“ Jentrix verstand die Idee ebenso wenig wie die anderen.
„Den … Universalschlüssel!“ meinte Barry noch einmal.
„Aber...?“
„Wir müssten nur die Originalgeschichte im Buch finden! Das hat doch auch der Typ in Italien gesagt!“ erklärte Barry erneut.
Kayleigh schwieg. In ihr arbeitete es.
Mit dem Universalschlüssel könnten sie ihr Ziel frei wählen. Sie müssten nur wissen, wo sie hin reisen sollten. Sie mussten nur wissen, wo sich die Gesuchten befanden.
„Ein Versuch wäre es wert! So unglaubwürdig es auch klingt!“ meinte Adrian plötzlich.
Noch immer schwieg Kayleigh. Es gab eh nichts was sie noch sagen könnte.

„Wir sollten weiter!“ meinte sie plötzlich.
„Wirklich?“ Dearon sah sie fragend an.
„Wir müssen es so versuchen! Vielleicht finden wir … unterwegs noch weitere Hinweise auf unsere Familie!“ antwortete sie.
„Also suchen wir jetzt den Schlüssel?“ fragte Adrian nach.
Barry nickte. „Was anderes bleibt uns anscheinend nicht übrig!“ meinte er.

Sie sammelten ihre Sachen wieder zusammen und machten sich zum Aufbruch bereit.
Kayleigh schloss die Küchentür, zog eine ihrer Schlüsselkarten hervor und öffnete die Tür dann wieder.
Was genau sich nun dahinter verbarg erkannten die Fünf nicht. Es war laut und viele bunte Lichter waren zu sehen.
Aber vermutlich war es besser, als hier in Finnland darauf zu warten, ein neues Zeichen der Vermissten zu bekommen.
Außerdem, dass spürte Kayleigh, war ihnen jemand auf der Spur. Jemand, der vermutlich sehr gefährlich war.
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 11:59

Kapitel XIX

Es war warm. Zumindest wärmer als gerade eben noch in Finnland.
Und es war laut.

Bunte Lichter, viele Menschen und hohe Häuser. Das konnte Kayleigh erkennen.
Auch dass sie mal wieder mitten auf einem Fußweg gelandet waren, so als seien sie aus … Ja, wo waren sie eigentlich?
„China?“ überlegte Kayleigh etwas lauter, als sie die Schriftzeichen über der Tür zu entziffern versuchte. Zwar war sie in dieser Sprache sowie in den vielen anderen asiatischen Sprachen nicht bewandert, aber mehr oder weniger konnte sie die Zeichen auseinander halten.
„Nicht ganz!“ meinte Jentrix zu ihr und starrte auf sein Handy.
Die anderen vier sahen ihn fragend an.
„Hongkong!“ antwortete er gleich und tippte irgendetwas in sein Handy.
Wieder musterten sie ihn fragend. Doch er ignorierte sie und telefonierte.
Er erzählte dem Typen am anderen Ende, wo er gerade steckte und wollte wissen, ob sie sich treffen könnten. Anscheinend konnten sie, denn er verabschiedete sich von der Gruppe und entschwand ohne ein weiteres Wort in der Menschenmenge auf dem Fußweg.

Und nun bekamen sie mit, dass es ungünstig war, mitten auf dem Weg zu stehen. Immer wieder drängte sich irgendwer an ihnen vorbei, sei es nun um auf dem Fußweg weiter zu gehen oder die Tür hinter ihnen zu durchschreiten.
Dearon sah kurz Jentrix nach, dann richtete er sich an die anderen drei.
„Wir sollten uns einen etwas ruhigeren Platz suchen!“ meinte er zu ihnen.
Kayleigh war voll und ganz dafür. Sie mochte die vielen Menschen nicht.
„Und was wird mit ihm?“ wollte sie dann etwas ruhiger wissen.
„Der wird uns schon wiederfinden! Solange wir nicht durch eine Tür verschwinden!“ antwortete er grinsend.
„Wo geht er eigentlich hin?“ interessierte Barry. In dem Geschnatter der überfüllten Straße ging sein wütender Ton unter.
Dearon grübelte kurz nach.
„Ich glaube ein Bekannter von ihm wohnt hier!“ meinte er dann kurz und knapp.
„Ja, aber ich glaube, Hongkong ist nicht so klein, dass sie sich sofort über den Weg laufen!“ stellte Adrian dann fest.
Dearon rollte leicht genervt die Augen.
Kayleigh wollte wissen, warum Jentrix plötzlich die Gruppe verlassen hatte. Was plante er?
Aber sie behielt ihre Fragen für sich.
Sie hatte Mühe sich nicht umrennen zu lassen.
„Können wir gehen?“ kam nur leise von ihr.
„Na los! Probieren wir es da vorn!“ Dearon zeigte auf die Leuchtreklame eines McDonalds´, mehr war von dem Restaurant nicht zu erkennen.
„Klar, in Asien Pommes und Burger essen! Voll einheimisch!“ war Adrians sarkastische Ansicht.
Dearon ignorierte ihn und ging voran.
„Los!“ Kayleigh tippte ihren Bruder an, Dearon zu folgen und schnappte sich zugleich auch dessen Hand. Sie wollte ihn in der Menge nicht verlieren.
Barry trottete hinterher. Er war die vielen verschiedenen Gegenden und die mitunter großen Menschenansammlungen gewöhnt. Er hatte in den vielen Jahren schon so viele Plätze bereist und Menschen getroffen. Natürlich hatte er mitunter fast immer die einheimische Küche genießen dürfen bzw. müssen.
Sein etwas größeres Problem nun war eigentlich nur eines: Wieso vertrauten Adrian und Kayleigh den beiden Fremden?

In dem McDonalds herrschte, wie wohl in jedem anderen in einer Großstadt, reger Betrieb. Unter den vielen Asiaten waren auch einige Touristen, wohl weißlich erkennbar an Rucksack und Kamera.
„Wollt ihr was essen?“ fragte Dearon gleich beim Eintreten die anderen.
Kayleigh schüttelte nur den Kopf. Die beiden Jungs hingegen nahmen Dearons Angebot an und bestellten dann eine ordentliche Portion zu Futtern.
Eingeschüchtert saß Kayleigh neben ihrem Bruder, sah sich immer wieder um und dann zu ihm. Sie bewunderte ihn ein klein wenig, dass er in der Menschenmasse nicht auch in Panik verfiel wie sie. Aber wahrscheinlich hatte Adrian das noch nicht mal mitbekommen.
Ganz im Gegensatz zu Dearon, der sie scharf musternd ansah.
Er hatte ihr zumindest einen Milkshake vor die Nase gestellt, mit der Begründung, dass sie wenigstens irgendwas zu sich nehmen müsste.
„Mit dir alles in Ordnung?“ wollte er dann wissen, als ihr Blick wieder einmal ringsum gewandert und dann bei ihm stehen geblieben war.
Verschämt nickte sie nur und starrte erschrocken auf ihren Becher.
„Sie hat Angst!“ kam plötzlich von ihrem Bruder.
Dearon sah ihn fragend an.
„Fremde Menschen!“ gab Adrian kauend zu verstehen, „Sind zu viele an einem Fleck! Da kriegt sie Panik von!“
Barry warf nur kurz eine Blick zu Kayleigh hinüber, die etwas blass um die Nase da saß und nur ihr Getränk anstarrte. Bis jetzt hatte er nicht wirklich viel über die Geschwister erfahren. Er wusste über sie kaum mehr als über die anderen zwei, die sich ihnen angeschlossen hatten.

Adrian hatte, kaum dass er aufgegessen hatte, ein Gespräch mit einem der Mädchen in dem Laden aufgenommen. Sie schien eine Schülerin, höchstens eine Studentin von Hongkong zu sein und hatte ihn die ganze Zeit schon angeflirtet. Dass sich die beiden nur kaum mit einander verständigen konnten, schien die ganze Sache nur noch interessanter zu machen.
Stolz kam Adrian zum Tisch zurück.
„Sie kennt eine kleine Bar! Da könnten wir doch hingehen!“ meinte er. Eigentlich richtete er sich damit mehr an seine Schwester als an die anderen, doch er bedachte sie dennoch mit einem fragenden Ausdruck im Gesicht.
Kayleigh war wenig begeistert.
„Hey, so jung werd ich sicherlich nicht nochmal sein!“ erklärte er ihr, „Ich will doch nur mit ihr ein wenig trinken gehen!“
Er klang ein klein wenig wie ein kleines Kind, dass unbedingt auf die Süßigkeiten bestand, die man ihm vor die Nase hielt.
Dearon sah sich um und stimmte dann zu.
„Ein klein wenig Spaß sollte man sich ab und zu gönnen!“ meinte er dann.
Barry war es egal. Auch er genoss ganz gerne seine zurück gewonnene Jugend.
Kayleigh wurde natürlich überstimmt und schwieg.
Und so folgten sie dem Hongkong-Girl mit ihren zwei Freundinnen in eine kleine Bar, die nur wenige Häuser weiter war.
Der einzige Vorteil, so dachte sich Kayleigh, bestand darin, dass hier im Moment nicht so viele Leute waren und dass man etwas länger an seinem Getränk nippen konnte, ohne dumm angesehen zu werden.

Während Adrian nun inmitten der drei Mädchen saß und mit ihnen trank, saß Kayleigh ihm gegenüber und beobachtete ihn in Sorge. Sie wusste ebenso wenig über ihn und seine Gepflogenheiten wie er über sie. Aber sie hatte vor Jahren einen Streit zwischen Adrian und ihrem Vater mitbekommen, bei dem es darum ging, dass er in betrunkenen Zustand großen Ärger gemacht hatte. Was genau Adrian angestellt hatte, wusste Kayleigh nicht. Doch es konnte nichts gutes sein, denn sonst war das Verhältnis zwischen ihm und ihrem Vater gut. Besser als es mit ihr war.
Auch Barry beobachtete das ganze mit gemischten Gefühlen. Allerdings hatte er weniger Sorge Adrians Trinkerei wegen, als vielmehr Sorge darum, dass sie verraten werden und ihre Schlüssel verlieren würden.
Dearon hingegen war weder gegen das Trinkgelage noch wirklich dafür.
Er saß neben Kayleigh und hatte seinen Laptop vor sich liegen.
Dass die Gruppe, nun mit den drei Asiatinnen anstelle von Jentrix, an einem Tisch für sich saß, war dabei enorm von Vorteil.
Eine Weile tippte Dearon auf seinem Laptop herum, anscheinend eine Mail an die Familie. Dann sah er auf und zu Kayleigh.
„Ich glaube, ich hab hier was gefunden!“ meinte er leise zu ihr.
Adrian war zu beschäftigt die drei Mädels zu unterhalten, als das er etwas anderes mitbekam.
Kayleigh rückte näher zu ihm und sah auf den Monitor.
Und dann hielt sie die Luft an.
„Das … kann nicht sein!“ kam dann nur leise von ihr.
Dearon hatte allen Anschein nach eine Aufzeichnung des Überwachungsvideos gefunden, von dem sie in Finnland vor wenigen Stunden gehört hatten.
Wie im Radio erwähnt, waren plötzlich ein Mann und eine Frau durch eine Tür in den Raum getreten und dann durch die gegenüberliegende Tür wieder verschwunden. Die herbeieilenden Wachmänner, die von überall herkamen, sogar aus der Richtung in die das Paar entschwunden war, sahen sehr ratlos aus. Und noch irritierender waren sie, als durch eine Tür ein kleiner Junge auftauchte, geschätzte zehn Jahre alt, und als er die ganze Meute Wachmänner vor sich sah, wieder kehrt machte und durch die selbe Tür wieder hin fort rannte. Nur waren die Männer, die nur wenige Sekunden später durch eben diese Tür kam, allen Anschein nach niemanden begegnet.
Die Kamera war nicht im aller besten Winkel zu den Türen angebracht und nur durch eine Tür konnte man einen Blick werfen. Und hinter der Tür durch die der Junge geflohen war, war in dem einen Moment eine sandige Landschaft zu sehen und dann als die Männer die Tür geöffnet hatten, war da nur ein grauer schwach beleuchteter Flur.

Kayleigh lies das Video erneut ablaufen, wobei ihr Barry über die Schulter sah.
„Das sind die Beiden!“ kam nur leise von ihr.
Dann pausierte sie den Clip, sodass er bei dem Jungen anhielt, bevor er das Blickfeld der Kamera wieder verließ.
„Das ist ...“ begann sie flüsternd zu Barry, „... der Junge aus Australien!“
Barry zog die Augenbrauen zusammen. Er konnte sich an keinen Jungen erinnern.
„Ich hab ihn dort gesehen!“ bestand Kayleigh etwas energischer, sodass Adrian kurz zu ihr hinüber sah. Aber die Mädels und der Schnaps, den sie ihm einschenkten, war interessanter.
„Meinst du, er ist es, vor dem uns das Buch warnt?“
Barry zuckte mit den Schultern.
„Kayleigh, du solltest dir mal ein wenig Spaß gönnen!“ kam plötzlich von Adrian. Er klang nicht mehr nüchtern genug für ein vernünftiges Gespräch.
„Ständig so verbissen!“ meinte er und nahm einen weiteren Schluck, „Solltest mal an dich denken!“
„Hör auf zu trinken!“ antwortete sie nur, wenngleich ihre Stimme viel zu schwach klang, als von ihm in irgendeiner Weise ernst genommen zu werden.
„Du bist nicht meine Mutter!“ meinte er dann und wandte sich wieder den Mädchen zu.
Kayleigh schnappte nach Luft, aber ihr fiel nichts ein, was sie ihm entgegnen könnte. Und so starrte sie ihn und die Mädchen nur böse an.
Gerade als Adrian sich das nächste Glas greifen wollte, nahm es ihm jemand aus der Hand.
„Wenn man nichts verträgt, sollte man es lassen!“ so die Meinung desjenigen.
„Das war mein Trink!“ brummte Adrian verärgert und wollte gerade etwas lauter werden.
„Bleib ruhig, Kleiner!“ Es war Jentrix, der in einem Zug das Glas leerte und sich dann zu ihm und den Mädchen setzte.
Diese schienen von ihm begeistert und begannen nun auch ihn zu bezirzen. Aber er war nicht daran interessiert und richtete sich an seinen Kumpel.
„Was gibt’s neues?“
„Nicht viel!“ antwortet Dearon ihm, „Nur ein Video von ihrem Vater ...“ Er zeigte auf Kayleigh. „... und einen Trinker!“ Damit zeigte er auf Adrian, der ihn finster ansah.
Jentrix nickte nur und nahm Adrian erneut ein Schnapsglas ab.
„Du solltest echt nicht trinken!“ meinte er zu ihm, „Man weiß unter anderem nie, was die Mädels noch vorhaben!“
Nun sahen ihn auch die Mädchen finster an und begannen über ihn zu schimpfen. Allerdings nur in chinesisch, so dass weder Jentrix noch die anderen vier sie verstanden.
Dann standen die drei verärgert auf und gingen einfach.
„Ihr seid alle gleich! Glaubt, dass ihr euch alles erlauben könnt!“ meinte eine von ihnen, ehe sie gingen.
Jentrix grinste nur. Adrian sah die ganze Sache weniger locker.
„Und nun darfst du zahlen!“ stellte Jentrix fest, „Clevere Mädchen!“
Adrian überlegte kurz und dann stimmte er verärgert zu.
„Toll!“ schimpfte Kayleigh sofort, „Wir haben kein Geld für so einen Unsinn!“
Sofort fühlte sich Adrian angegriffen und keifte zurück.
„Das geht dich nichts an!“
„Klar doch, schließlich ist es unser Geld!“
„Du kannst ja gehen, wenn es dir nicht passt!“
Kayleigh musste schlucken.
„Ich brauch schließlich keinen Babysitter!“ fauchte Adrian erneut und sprang auf, um an die Bar zu gehen.
Jentrix hielt ihn zurück und da ihn die Jungs finster ansahen, schluckte Adrian seinen Ärger runter.
Kayleigh war rot angelaufen und sah auf den Tisch vor sich. Sie wusste, dass Adrian es nicht so gemeint hatte. Zumindest hoffte sie es!

„Wo warst du eigentlich?“ wollte Barry wissen und unterbrach die aufgekommenen Stille am Tisch.
Jentrix sah ihn fragend an.
„Du warst eine Weile weg!“
Barry sah ihn bohrend an und Jentrix gab nach einer Weile nach.
„Ich hab ...“ Er sah zu Dearon, der ihm zunickte. „... nur ein paar Fotos verkauft!“
„Fotos?“ Kayleigh hatte ihre Stimme wiedergefunden.
„Ja, manchmal mach ich Landschaftsfotos, die ich dann verkaufe!“ erklärte er, „Mit viel Glück natürlich!“
Barry glaubte ihm gar nicht und forderte einen Beweis.
„Beweis?“ Jentrix grübelte kurz. Dann kramte er in seinem Rucksack und holte eine Digitalkamera hervor. Sie war keines dieser kleinen Kameras, die die Touristen meist herum tragen. Viel eher sah diese einer teureren, wenn nicht sogar schon Profitechnischen Kamera ähnlich.
„Ich habe hier einen Freund besucht und ihm ein paar Fotos verkauft.“
Noch immer war Barry nicht überzeugt. Kayleigh hingegen schien ein klein wenig beeindruckt zu sein.
„Irgendwie muss man doch zu Geld kommen!“ kam von Dearon.
„Und rein zufällig ist hier ein Freund von dir?“ fragte Barry misstrauisch.
„Okay, Dearon und ich waren schon circa drei Mal in Hongkong und meinen Kumpel kannte ich schon durchs Internet und hab ihn auch schon ein paar Mal auf … sagen wir es mal, normalen Weg getroffen.“ erklärte Jentrix, „Es ist so was wie mein Beruf! Ich mache Fotos und verkaufe sie. Manchmal sind es nur Bilder für Postkarten oder für eine Internetseite und mal landen sie auf einem Poster.“
Kayleigh war es egal. Im Moment interessierte sie weniger was Jentrix getan haben könnte. Sorge bereitete ihr nun vielmehr ihr Bruder, der verärgert war, dass man ihn nicht weiter trinken und feiern lies. Und auch Barry, der wahrscheinlich jeden Moment Jentrix an den Hals springen würde.
Der schien dies ebenfalls vorauszusehen.
„Okay! Ich werd erstmal zahlen und dann sollten wir weiter!“
Damit stand er auf und zahlte an der Bar.
Dearon packte währenddessen seinen Laptop wieder ein und wartete, dass irgendwer aufstand.

„Wir sollten weiter!“ flüsterte Kayleigh Barry zu.
„Wieso?“ knurrte dieser zurück, „Glaubst du ihm das Ding mit den Fotos?“
Sie nickte kurz.
„Aber … du weißt selbst, dass sie gefährlich sein könnten!“
Dearon wies auf einen Kerl an der Theke hin, der etwas zornig einen Blick auf sie richtete.
„Im Moment ist, glaub ich, der da gefährlicher!“
„Er hat es auf unsere Schlüssel abgesehen!“ meinte Kayleigh leise.
Dearon nickte.
Barry gab nach.
„Na gut!“ Dann sah er sich zu Dearon um. „Aber ich vertrau euch trotzdem nicht!“
Jentrix hatte dies gehört und schmunzelte.
„Also schnell weg hier!“
Er griff nach seinem Rucksack und setzte ihn sich auf.
Bei Adrian brauchten sie ein wenig Überredungskunst. Er hatte keine große Lust weiter zu gehen, aber er konnte nicht viel gegen die Jungen ausrichten. Wohl oder übel blieb ihm keine Wahl.
So griff auch er sich seinen Rucksack und ging mit.

Etwas wütend stapfte Adrian voraus und ging beinahe zu weit.
Barry hatte eine Tür gefunden, so wie Adrian und Kayleigh sie bisher gefunden hatten. Die Tür hatte geleuchtet, ebenso der dazu gehörige Schlüssel.
Er öffnete die Tür und ein verdunkelter Raum wurde sichtbar.
Adrian stürmte als erstes hinein, gefolgt von Kayleigh, die sich noch immer Sorgen um ihn machte.

„Was wollt ihr hier?“ schrie ihnen sofort jemand entgegen.
Ein bulliger Typ mit einem Baseballschläger stand ihnen gegenüber. Zornig über den ungebetenen Besuch.
Er holte aus.
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Re: Schlüssel der Welt

Beitragvon Nikita LaChance » So 3. Apr 2011, 11:59

Kapitel XX

„Was wollt ihr hier?“
Der bullige Typ mit dem Baseballschläger in der Hand war wenig erfreut über den ungebetenen Besuch. Und zeigte er auch überdeutlich.
Ohne auf irgendeine Antwort der Fremden zu warten, holte er aus und schlug nach ihnen.
Adrian, der als erstes durch die Tür gegangen war und somit in Schlagweite war, entging nur knapp dem Baseballschläger. Allerdings stolperte er bei dem Versuch dem Schlag zu entgehen und landete auf seinem Hintern.
Von unten gesehen, wirkte der Kerl mit dem Schläger noch bedrohlicher.
Mit einem Male schien er wieder nüchtern. Und Panik überkam ihn.

Der Mann holte erneut mit dem Schläger aus und zielte auf den Jungen am Boden.
Doch er traf ihn nicht.
Jemand hatte sich schützend dazwischen geworfen und somit den Hieb abgewehrt, der dem Jungen reichlich Schmerzen verpasst hätte.
Noch ehe der Mann erneut zuschlagen konnte, hatten ihn plötzlich drei weitere junge Kerle angegriffen und ihm den Schläger entrissen.
„Los weg hier!“ schrie einer von ihnen.
Erschrocken, der Überzahl der Einbrecher wegen, starrte der Mann ihnen entgegen.
Es waren vier Jungen und ein Mädchen. Aber sie wirkten weniger wie Einbrecher, als vielmehr wie Touristen.
Einer half dem Blonden auf die Beine und sofort liefen sie durch die Tür hinaus, aus der sie in die Wohnung gekommen waren.
Irritiert und zugleich doch noch ein wenig wütend starrte der Mann ihnen nach.

„So ´ne Scheiße!“ schnaufte Adrian, als sie endlich das Treppenhaus hinter sich hatten und endlich auf der Straße gelandet waren.
„Das hätte ganz schön ins Auge gehen können!“ antwortete ihm Jentrix nur.
Noch immer liefen die Fünf schnell die Straße entlang. Sie hatten keine Lust Bekanntschaft mit der Polizei zu machen. Mit Sicherheit würde der Typ, den sie ja mit ihrem Auftauchen überrascht hatten, sie anrufen.
Im ersten Moment war es ihnen viel wichtiger von der Stelle zu kommen, als heraus zu finden, wo sie gelandet waren.
Sie bemerkten nur, dass es staubig zu sein schien. Allerdings waren es frühlingshafte Temperaturen, obwohl es hier schon früher Abend zu sein schien, und der Regen hing in der Luft.

„Kayleigh?“
Nach einer Weile bemerkten sie endlich, dass sie immer langsamer geworden war.
Natürlich war sie nicht unbedingt die Sportlichste und Dauerlauf war auch nicht ihre Sache, aber das war im Moment nicht ihr größtes Problem.
„Hey, was ist los?“ wollte Dearon von ihr wissen.
Sie war einfach stehen geblieben und schien Probleme zu haben, sich auf den Beinen zu halten.
Sie sah ihn nur mit großen Augen an.
„Ich weiß nicht!“ kam dann nur leise von ihr. Ihr war schwindelig und sie wurde immer blasser.
Nun gingen auch die anderen drei zu ihr, um zu sehen, was mit ihr los war.
Alle schienen ein klein wenig ratlos zu sein.
Bis Barry plötzlich einfiel, was passiert sein konnte.
„Du hast den Schläger abbekommen, oder?“
Adrian sah seine Schwester fragend an.
In dem ganzen Durcheinander hatte er nicht wirklich mitbekommen, wer sich zwischen ihn und den Schläger geworfen hatte.
Sie nickte nur. Sie hatte einfach nur versucht schlimmeres zu verhindern und der Mann hatte sie auf ihrem rechten Unterarm getroffen.
„Zeig deinen Arm!“ kam sofort von Barry. Er griff nach ihrem Handgelenk, doch sie zog den Arm schmerzverzerrt zurück.
„Gib mir deine Tasche!“ meinte Adrian und half ihr die Umhängetasche abzunehmen. Dann half er ihr noch mit dem Rucksack, den er Barry in die Hand drückte.
„Deine Jacke …“ Dearon half ihr vorsichtig heraus.
„Das sieht nicht gut aus!“ war sofort die Reaktion, als sie den geschwollenen Unterarm bemerkten.
Adrian sah reichlich schuldbewusst drein und wusste nicht was er sagen sollte.
„Wir sollten … Ich meine, dass sollte sich ein Arzt ansehen!“ bemerkte Jentrix sogleich.
Kayleigh wollte Kopfschütteln. Aber das war keine gute Idee, da ihr schon schwindelig war.

Langsam gingen sie weiter. Sie waren in einer ihnen unbekannten Gegend und hatten auch keine Ahnung, wo sie einen Arzt finden könnten.
Barry trug nun zusätzlich noch Kayleighs Rucksack und Adrian ihre Tasche.
Sie hatte zwischen drin immer wieder einen kleinen Schwindelanfall. Dennoch mühte sie sich den Weg entlang. Ohne Auto blieb ihr eh keine andere Wahl.
Nach einer Weile fanden sie endlich ein Straßenschild, auf dem auf ein Krankenhaus hingewiesen wurde. Und das gleich in zwei Sprachen.
„Mexiko.“ kam von Kayleigh. Der Schmerz wechselte sich gelegentlich mit innerem Sarkasmus ab. Allerdings, sobald sie ihren rechten Arm irgendwie bewegte überkam sie sofort wieder ein Anflug von Schwindelgefühl.
Nach knapp zwanzig Minuten hatten sie endlich das Krankenhaus gefunden. Es sah recht modern aus.
„Was wollen wir denen erzählen?“ fragte sich Kayleigh.
„Ja?“ Das wollte auch Adrian wissen.
„Wir sagen einfach, dass du gestürzt bist!“ fiel Jentrix ein.

Im Krankenhaus wurden sie nach einer kurzen Wartezeit aufgerufen. Niemand stellte unnötige Fragen, zu denen sie sich hätten noch ein plausible Antwort einfallen lassen müssen. Man nahm ihnen ab, dass sie einfache Rucksacktouristen seien und Kayleigh gestürzt sei.
Nachdem der obligatorische Fragebogen ausgefüllt war, wurde Kayleighs Arm erst einmal geröntgt und nach einer weiteren kurzen Wartezeit erklärte man ihr was los war.
Von dem ganzen medizinischen Gerede verstand Kayleigh gerade mal das Wesentliche: Ihr rechter Unterarm war gebrochen.
Dabei interessierte es sie weniger, dass dies eine der häufigsten Frakturen war.
Sie wollte einfach nur wieder weg.
„Sie bekommen noch einen Gipsverband und etwas gegen die Schmerzen!“ hörte sie den Arzt sagen.
Sie nickte nur und versuchte ihren Arm still zu halten.
„Und sicherheitshalber werden wir sie heute Nacht zur Beobachtung hier behalten!“
Das hörte sie gar nicht gern. Und dementsprechend reagierte sie auch.
Sie mochte weder Ärzte noch das Krankenhaus.
„Bitte, Miss!“ Der Arzt versuchte sie zu beruhigen, was ihm aber nicht gelang. Also rief er einen ihrer Begleiter herein. Allerdings lies er Adrian nicht zu ihr, da er zu sehr nach Alkohol roch.
Barry schien ebenfalls recht ratlos und hatte keine Ahnung, wie er Kayleigh wieder beruhigen sollte.
„Bitte, ich will nicht hier bleiben!“ flehte sie ihn an.
Doch er wusste nicht, was er dazu sagen sollte.
„Es ist doch nur für heute Nacht!“
Eine Antwort, die ihr nicht gefiel.
Der Arzt und die Gipsschwester, die sich an ihrem Arm zu schaffen machte, sahen keine andere Möglichkeit als sie auf chemischen Wege ruhig zu stellen. Kayleigh bekam nicht einmal mit, dass der Arzt ihr eine Spritze verpasste.
Barry durfte Kayleigh noch mit auf ihr Krankenzimmer begleiten. Sie war zu dösig um sich noch dagegen zu wehren, dass man sie ins Krankenbett steckte.
„Das wird schon wieder!“ war alles was Barry ihr noch entgegen brachte, ehe man ihn wieder aus dem Zimmer schob.
„Es besteht die Möglichkeit einer Gehirnerschütterung, daher sollte sie über Nacht hier bleiben!“ erklärte der Arzt Barry.
Er konnte nichts dagegen sagen. Wäre Kayleigh wirklich gestürzt, hätte sie sich womöglich eine Gehirnerschütterung zuziehen können. Aber sie war nicht gestürzt. Dennoch konnte er die Lüge nun nicht einfach so auffliegen lassen. Und vielleicht wäre ein wenig Schlaf für Kayleigh auch gut, dachte er sich.
„Wir haben ihre Telefonnummer?“ wollte der Arzt auf einmal wissen.
Barry sah ihn fragend an und nickte dann unsicher.
Jentrix hatte eine Handynummer auf den Fragebogen geschrieben.

Als Barry zu den anderen zurück ging, wollten sie sofort wissen, was nun los sei. Sie hatten nicht viel mitbekommen. Er erklärte ihnen, was er wusste.
„Was machen wir nun?“ wollte Adrian von ihm wissen.
„Wir werden uns hier in der Nähe ein Motelzimmer nehmen!“ warf Jentrix gleich ein. Er hatte sich von einer Krankenschwester eine Adresse geben lassen.
Gesagt getan. Sie fanden nur wenige Straßen weiter ein billiges Motel.
„Was ist mit der Telefonnummer?“ wollte Barry dann sofort wissen.
Jentrix sah ihn erst fragend an, dann kramte er in seinem Rucksack und warf Adrian ein Handy zu.
„Kannste haben!“ meinte er nur zu ihm.
Adrian verstand gar nichts.
„Das ist die Nummer, die ich im Krankenhaus angegeben habe!“
Adrian nickte nur irritiert.
„Ich hab noch ein Handy!“ Jentrix zeigte ein etwas moderneres Klapphandy hoch.
Er erklärte dann, dass er das Handy von seinem Kumpel in Hongkong erbettelt hatte und Kayleigh hatte geben wollen. Er fand, dass sie es gebrauchen könnte.
Mehr allerdings wollte er dazu nicht sagen und auch Dearon behielt seine Meinung für sich.
„Und nun?“ seufzte Adrian wenig später müde.
„Warten wir!“ kam nur von Barry. Im Grunde nervte es ihn, dass er schon wieder fest saß. Er wollte weder Adrian noch Kayleigh zurücklassen. Nur lag dies nicht nur daran, dass Kayleigh mehr oder weniger im Besitz des Buches war.


Mitten in der Nacht wachte Kayleigh auf. Wieder durch einen Alptraum. Seit Reisebeginn wurden die Alpträume immer heftiger.
Von dem Schmerz- sowie dem Beruhigungsmittel benebelt sah sie sich um. Sie wusste nicht, wo sie war. Und noch mehr machte es ihr Angst, dass sie weder ihren Bruder noch die anderen Jungs sah.
Sie kletterte aus dem Bett und schlich zur Zimmertür. Doch als sie bemerkte, dass sie ein Krankenhaushemd trug, ging sie zum Bett zurück. Zu ihrem Glück hatte man ihre Kleidung über einen Stuhl gehängt. Mühselig kämpfte sie sich in ihre Jeans und ihre Boots. Allerdings schaffte sie es nicht die Schuhe zuzuschnüren. Auch packte sie es nicht so einfach das Hemd auszuziehen und so griff sie einfach nur ihr T-Shirt und schlich halb umgezogen aus dem Raum.
Sie hatte Panik, dass ihr Bruder sie nun zurück gelassen hatte, stahl sie sich aus dem Krankenhaus. Allen Anschein nach interessierte es niemanden.


Das Handyklingeln begann langsam zu nerven.
„Willst du nicht mal ran gehen?“ wollte jemand von Adrian wissen.
Adrian war noch zu schlaftrunken, um wirklich mit zu bekommen, was vor sich ging.
Also griff Jentrix nach dem Handy.
Etwas irritiert sah er drein.
„Ihre Freundin ist verschwunden!“ meinte jemand am anderen Ende, nachdem man ihm erklärte, dass man bereits das Krankenhaus abgesucht hätte.
„Wie kann …?“
„Es tut uns leid! Aber wir können da nicht viel machen!“ kam etwas hilflos zurück, „Wenn sie wollen, werden wir es der Polizei melden!“
Jentrix riss die Augenbrauen nach oben. Vermutlich wäre die Polizei einzuschalten keine gute Idee.
Er antwortete dann, dass sie sich kümmern würden und legte auf.
„Was is los?“ brummte Adrian müde und auch Barry sah ihm fragend entgegen.
„Deine Schwester ...“ begann Jentrix und sofort schien Adrian hellwach.
„Was ist mit ihr?“
„Sie ist verschwunden!“
Adrian riss die Augen weit auf. Und auch Barry sah ihn ungläubig an.
Jentrix gab wieder, was man ihm gerade eben am Handy erklärt hatte. Bei dem Kontrollgang habe man plötzlich bemerkt, dass Kayleighs Zimmer leer war und dass man das ganze Krankenhaus erfolglos nach ihr abgesucht hätte.
„Das ist deine Schuld!“ platzte es plötzlich aus Adrian heraus.
„Wie?“
„Du wolltest doch, dass sie ins Krankenhaus geht! Und nun ist sie wahrscheinlich durch eine Tür verschwunden!“ fauchte Adrian Jentrix wütend an.
„Aber du hast doch die Tasche mit den Schlüssel mitgenommen!“ fiel Barry ein, „Sie hatte keinen Schlüssel mehr!“
Adrian fand dies wenig hilfreich und sah ihn deshalb finster an.
„Wir sollten sie suchen!“ warf Dearon ein.
Alle sahen ihn fragend an. Wo genau sie nun suchen sollten, wussten sie nicht. Mehr oder weniger konnte Kayleigh überall sein.


Es hatte zu regnen begonnen und somit war es recht kühl geworden. Das Krankenhaushemd klebte und der eingegipste Arm schien extra schwer.
Kayleigh irrte durch die Straßen. Sie wusste nicht wohin sie gehen sollte. Wusste nicht wohin die Jungs verschwunden waren.
Es musste nun schon einige Stunden her sein, dass sie aus dem Krankenhaus geflohen war. Genau wusste sie es nicht. Sie wusste noch nicht einmal wo sie nun war.
Irgendwann blieb sie stehen und sah sich um. Aber die Gegend war ihr fremd. Und dann fiel ihr plötzlich ein, dass es vielleicht besser wäre, dahin zurück zu gehen, wo sie die Jungs zuletzt gesehen hatte.
Nur hatte sie längst die Orientierung verloren und jeder Versuch zurück zu gehen, führte sie nur noch mehr in die Irre.
Wieder blieb sie stehen. Verzweifelt und ängstlich.
Als sie ihre Augen schloss, bemerkte sie etwas. Es war wie ein leichtes Zwicken im Magen. Und sie wusste, was es war.
Sie konnte einen Schlüssel spüren. Zumindest glaubte sie es.
Vermutlich, so hoffte sie, würde sie ihren Bruder so wiederfinden. Sie konzentrierte sich auf die imaginäre Spur und begann ihr zu folgen.


Adrian war stinksauer.
„Wir müssen sie suchen!“ wiederholte Dearon.
„Wir sind hier im Nirgendwo und wissen nicht wo sie steckt!“ brüllte ihn Adrian an.
„Wir können aber nicht hier warten!“ warf Barry ein.
„Verschwindet hier!“ Adrian stieß Jentrix in Richtung Tür.
„Es tut mir leid ...“ versuchte sich dieser zu verteidigen.
Doch Adrian wollte weder eine Entschuldigung noch irgendetwas anderes von ihm hören.
„Verschwindet von hier! Lasst mich in Ruhe!“ brüllte er erneut.
Jentrix sagte nichts mehr. Er war sauer, dass man ihm die Schuld gab.
„Los wir gehen!“ meinte er zu Dearon und schnappte sich seinen Rucksack.
Dearon sah kurz zu Barry und Adrian und dann nahm auch er sein Gepäck.
Ohne ein weiteres Wort verließen beide den Raum.
Barry blickte Adrian fragend an.
„Was jetzt?“
„Lass mich in Ruhe!“ gab Adrian müde zurück. Er kam sich verloren vor. Jetzt waren nicht nur sein Vater und seine Tante verschwunden, nun war auch seine Schwester weg.


Kayleigh folgte der Spur, die der Schlüssel hinterließ.
So gelangte sie an eine Tankstelle. Unvorstellbar, dass dort einer der Jungs sein würde. Aber vielleicht irrte sie sich ja auch.
Sie betrat die Tankstelle. Dort bemerkte sie den Schlüssel, den sie die ganze Zeit gefolgt war. Aber keine Spur von ihren Begleitern.
Ein älterer Herr stand hinter der Theke und sah sie mit großen Augen an.
Anscheinend wusste er im ersten Moment nicht, was er von dem Mädchen halten sollte.
Dann aber grinste er.
„Verlaufen?“ wollte er wissen.
Aber Kayleigh antwortete nicht. Sie tat, als würde sie sich für die wenigen Waren im Tankstellenshop interessieren.
Der Kerl kam näher. Sein Atem roch übel, als er direkt hinter ihr stehen blieb.
„Brauchst du ein Bett für die Nacht?“ fragte er gierig.
Kayleigh wirbelte herum und stand Angesicht zu Angesicht zu dem Kerl. Von Nahem war er noch beängstigender.
Wieder grinste er süffisant.
Sie schluckte kurz und versuchte sich an ihm vorbei zu drängen. Aber er hielt sie fest.
„Nicht so schnell, Kleine!“ Er musterte sie.
„Bist wohl aus dem Krankenhaus abgehauen und weißt nicht wohin!“ meinte er dann.
„Lassen sie mich los!“ kam nur leise von ihr. Die Angst hatte ihr mehr oder weniger die Stimme geraubt.
Aber der Mann wollte sie nicht gehen lassen.
Also holte sie aus und schlug ihm mit dem gegipsten Arm in die Leistengegend. Das schien ihn genug abzulenken, dass er sie losließ. Vor allem aber war es schmerzhaft genug für ihn.
Kayleigh nutzte die Chance und rannte davon.
Egal wie viele Schlüssel hier in der Tankstelle zu finden waren, das war es nicht wert.
Sie lief ein paar Straßen weiter und als sie sich sicher war, dass ihr niemand folgte, lies sie sich in einer Seitenstraße nieder.
Sie kauerte sich ängstlich zusammen, hielt ihr T-Shirt fest umklammert und starrte vor sich hin.


„Jentrix, was machen wir jetzt?“ Dearon lief seinem Freund nach.
Der wusste es nicht wirklich.
„Meinst du nicht, wir sollten nach ihr suchen?“
Jentrix sah ihn böse an.
„Wenn du weißt wo!“ gab er dann zurück und ging weiter.
Sie waren eine Weile die Straße entlang gegangen, ohne wirkliches Ziel. Einerseits waren sie sich einige, dass sie nach dem Mädchen suchen sollten. Andererseits aber wollten sie auch ihren eigenen Weg gehen.
Nach einer Weile blieb Jentrix plötzlich stehen und starrte in Richtung einer Tankstelle.
„Ist das Kayleigh?“ fragte er seinen Kumpel.
„Wo?“
Dearon wusste nicht, wo er sie gesehen haben wollte. Er konnte sie jedenfalls nicht entdecken.
Und dann rannte Jentrix los.
„Was jetzt?“ konnte Dearon nur noch hinterher rufen.

Er hatte sich nicht geirrt. Ein paar Straßen weiter hatte er sie endlich gefunden. Allerdings reagierte sie nicht.
„Kayleigh?“
Er tippte ihr sanft auf die Schulter und sie zuckte erschrocken zusammen. Ängstlich schlug sie nach ihm und schrie, er solle sie in Ruhe lassen.
„Kayleigh, ich bin´s!“
Es dauerte eine Weile ehe sie sich etwas beruhigte. Mit großen Augen sah sie ihn an.
Dearon war Jentrix nachgerannt und schien ebenso überrascht zu sein.
„Kayleigh ...“
Jentrix drehte sich kurz zu ihm um.
„Ruf ihren Bruder an und sag Bescheid!“
Dearon nickte und tat wie geheißen.
„Kayleigh, beruhig dich wieder!“
Endlich sah sie ihn an. Und dann fiel sie ihm um den Hals. So als sei er der einzige Rettungsanker, den sie greifen konnte.
„Ich bring dich zu deinem Bruder!“ flüsterte Jentrix nur und hielt sie fest, „Er wartet schon auf dich!“
Dearon hatte wieder aufgelegt.
„Adrian wartet im Motel!“ meinte er und setzte seinen Rucksack ab, um seine Jacke auszuziehen, die er Kayleigh um die Schultern legte.
Jentrix schaffte es Kayleigh auf den Arm zu nehmen. Allerdings blieb ihm auch nicht viel anders übrig, da sie sich an ihm fest geklammert hatte.
Es ging etwas langsamer voran.

Sie erreichten endlich wieder das Motel.
Dearon klopfte an die Zimmertür und Adrian riss sie auf.
„Kayleigh!“ Er war mehr als erleichtert sie zu sehen und riss sie Jentrix förmlich aus den Armen.
Und als sie ihren Bruder sah, fiel sie ihm um den Hals und lies sich von ihm ins Zimmer tragen.
Ohne ein weiteres Wort traten Jentrix und Dearon ein und schlossen die Tür.
Barry war es, der sich bedankte.
„Ich hab gedacht, dass du mich zurück lässt!“ flüsterte Kayleigh ängstlich und wieder liefen ihr Tränen übers Gesicht.
Adrian wusste nicht, was er daraufhin sagen sollte und hielt sie einfach fest. In jedem anderen Moment wäre es ihm peinlich gewesen, sie so an sich zu drücken. Aber nun erschien es ihm fast so, als hätte er sie nach langer Zeit wieder gefunden. So als sei sie seit vielen Jahren vermisst worden.
Nach einer Weile lies er sie los.
„Du solltest jetzt etwas schlafen!“ meinte er zu ihr. Aber sie wollte ihn nicht loslassen.
„Ich lass dich nicht allein!“ musste er ihr versichern. Er wusste, dass er vor kurzem noch etwas ganz anderes zu ihr gesagt hatte. Doch nun bereute er es. Sie war im Moment alles, was von seiner Familie noch vorhanden war.
Nikita LaChance
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Registriert: So 27. Mär 2011, 09:30

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