Re: Gesichter der Liebe
von vlindertje » Mi 24. Aug 2011, 08:32
Kapitel I
"Ich habe dich noch nie so glücklich gesehen." Er kann sich noch gut daran erinnern, als sie ihm dies sagte. Es war Abend und sie lehnte an seiner Brust. Er hatte nicht sehr drauf reagiert. Wenn er sich recht erinnert, so gut wie gar nicht. Ihre Worte, die hatte er wahrgenommen, doch was darüber hinaus geht, hat er ihr gegenüber keine Reaktion gezeigt. "Es war schön, dich so erlebt, dich so kennen gelernt zu haben." Er hat nicht nachgefragt, was sie damit meine oder von wann sie sprach. Er wußte es. Der Tag war lang gewesen und beide waren ziemlich müde. Vermutlich hatte sie einen falschen Zeitpunkt gewählt, um ihm zu sagen, daß sie niemals vergessen wird, ihn so glücklich gesehen zu haben, so glücklich und frei.
Noch eine Zeit lang lag er wach in seinem Bett. Ihre Worte wiederhallten in seinem Kopf, während der Schlaf ihn zu übermannen drohte. Ja, er war sehr glücklich gewesen und sie war es auch. In jener Nacht hätte er am liebsten die ganze Welt mit ihr bereist und vielleicht wird er es eines Tages auch tun. Träume sind zum Leben da. Der Tod ereilt einen jeden von uns viel zu schnell oder unsere Gesundheit macht uns einen Strich durch die Rechnung und wir können uns nicht mehr ohne fremde Hilfe bewegen oder das Alter macht uns mahnend bewußt, daß wir unsere Träume, Fantasien und Ideen viel früher hätten leben sollen. Vorerst lebte der Traum in der Fantasie - in seiner, in ihrer. Wer weiß daß schon so genau?
Er hatte sie diese spezielle Nacht auf Händen getragen. Buchstäblich sogar, was selbst sie in erstaunen versetzte. Nie würden sie diesen Moment vergessen, soviel stand fest. Seine Hände umfaßten ihren Po und schon hatte er sie hoch gehoben und ließ sie auch so schnell nicht wieder hinunter. Genau diesen Moment meinte sie, als sie jene Sätze äußerte. Natürlich gab es in dieser Nacht noch so viel mehr wundervolle Augenblicke, doch dieser Eine war so intensiv. Er strahlte von innen her, war glücklich und lebte nur in dem Moment. Ihr ging es gleich. Es gab keinen Raum für andere Gedanken oder gar Sorgen. Es war Freiheit. Absolutes losgelöst sein von Zeit und Raum.
In jener Nacht wurde immer wieder deutlich, wie viel sie einander geben konnten und geben würden - gern und ohne etwas zu fordern. In jener Nacht wurde deutlich, wie nah sie sich standen und wie glücklich beide es macht, Dinge, Erfahrungen und Erlebnisse miteinander zu teilen. Ihre Verbundenheit geht weit über dem hinaus, was sichtbar, für andere wahrnehmbar, ist. Es ist nicht nur eine erotische Spannung, oder wie man die körperliche Anziehungskraft, Leidenschaft oder jenen Trieb beschreiben würde. Obwohl beide es sehr genossen, so stellt es nicht den Grundbaustein ihrer Verbundenheit dar. Es gleicht eher einem Sahnehäubchen auf einer leckeren, fruchtigen Torte.
Natürlich hatte sie sich von ihm irgendeine liebevolle oder spritzig freche Reaktion gewünscht. Ein Lächeln hätte ihr schon genügt oder eine Berührung. Irgendetwas, was ihr bestätigt, daß auch er diesen Moment nie mehr vergessen wird. Doch es war spät am Abend und beide sehr erschöpft vom Tagewerk. Außerdem weiß sie genau, daß er nie vergessen wird. Er kann es nicht, er wird es nicht können. Es gibt Momente im Leben, von denen man sicher weiß, daß sie einen ein Leben lang begleiten und dieser war so einer - für beide.
Diese Energie, diese Spannung zwischen ihnen, etwas, was sie niemals für möglich gehalten hätten. So etwas erlebt man nicht sehr oft. Wenige kommen in den Genuß, dies gemeinsam, zu Zweit, erfahren zu können. Es gleicht einem Schatz in dem Spiel der zwischenmenschlichen Beziehungen, denn nur das Zusammenspiel beider Teilnehmer macht so viel Glück möglich. So mancher hat dieses Glück nicht, sondern ist ständig auf der Suche. Sie allerdings können beide genießen, beide sich an den gleichen Dingen erfreuen.
Kleine, kurze Zeitabschnitte, in denen alles perfekt ist, wie es ist. Augenblicke, die, obwohl vergänglich, nie vergehen. Leben heißt lieben und genießen. Leben heißt frei zu sein, und sei es nur für einige Momente. Glücklich zu sein bedeutet sich fallen zu lassen - nicht denken, sondern im hier und jetzt sein. Diese eine Nacht war so ein besonderer Moment. Es war Genuß pur gekröhnt mit einem Hauch von Freiheit. Solche Erlebnisse bedürfen keiner Erklärung, keiner näheren Hinterfragung, keiner Zweifel im Nachhinein in denen der Verstand einen zu Mahnen sucht. Solche Erlebnisse entstehen aufgrund des Gefühls des Augenblicks und sind losgelöst von Zeit, Raum und Verstand. Solche Erlebnisse sind es, wofür es sich zu Leben lohnt.
Kapitel II
Was bedeutet es frei zu sein? Was bedeutet es zu lieben? Wie kann man Liebe definieren? Schon so manches Gespräch der beiden drehte sich um dieses Thema. Eine klare und eindeutige Anwort auf all diese Fragen konnten sie bisher noch nicht finden. Vielleicht ist es auch nicht so wichtig, diese eine genau perfekte Antwort zu kennen. Vielleicht gibt es diese eine Antwort nicht. Liebe hat viele Gesichter. Liebe hat unheimlich viele Facetten. Sicher ist, daß sie das Wichtigste ist, was es gibt. So jedenfalls war immer ihre Meinung und er pflichtete ihr bei. Sicher ist auch, daß, wenn wir zu schnell leben und uns keine Ruhe gönnen, um zu verweilen, wir keine Zeit für Herz und Gefühle finden .
"Wie würdest du Liebe definieren?" "Nun, es gibt verschiedene Arten der Liebe. Mal abgesehen von der Erotischen natürlich, gibt es auch eine spezielle Art von Liebe in der Familie - eine Liebe, eine tiefe Verbundenheit." "Also kann man ein Gesicht der Liebe mit tiefer Verbundenheit definieren?" "Denke schon." "Ich glaube, ich liebe zu viel." "Wieso?" "Ich liebe die Menschen, die Tiere, einfach das Leben. Es berührt mich oft sehr tief in meinem Herzen. Vielleicht kann man es auch als ein Gesicht der Liebe definieren. Wie wäre es mit tiefen, von Herzen kommenden Mitgefühl." "Klingt nicht schlecht." "Dann gibt es auf jedenfall noch die Liebe, die sich von Grundsätzen leiten läßt, wie zum Beispiel davon, daß man seinen Nächsten lieben und ihm nichts schlechtes wünschen oder tun sollte und dann noch die, wie ich finde, sehr Wichtige - die Liebe auf einem höheren Level." "Du meinst die geistige Verbundenheit, Vertrautheit und Zuneigung." "Ja, ich finde sie extrem wichtig und schön, wenn man diese mit jemanden erleben kann. Für Außenstehende ist davon, auf den ersten Blick, nichts zu merken oder zu sehen, doch diese zwei betreffenden Personen wissen genau, daß so eine Art tiefster Vertrautheit und Offenheit, diese wunderschöne, besondere Art der Liebe zwischen ihnen besteht." "So wie bei uns." "Ja. Ich finde dieses Gesicht der Liebe irgendwie am Schönsten, denn existiert einmal so etwas zwischen zwei Menschen, läßt sie sich so schnell nicht erschüttern und bleibt bestehen. Ich meine, selbst bei der erotischen Liebe kann früher oder später mal eine schwierige Zeit oder Durststrecke entstehen. Es gibt genügend äußere Umstände, die einem das Leben manchmal schwer machen und mitunter dieses Gesicht der Liebe hinter einem Mantel verstecken. Bei der Geistigen, ich nenne sie mal "das höhere Level der Liebe", ist die "Lust" nicht erschöpft, denn körperliche Leidenschaft ist davon nicht abhängig." "Also ist es am Schönsten, wenn sich geistige, tiefe Verbundenheit mit der körperlichen, erotischen Liebe verbindet und diese dann eine Einheit zwischen zwei Menschen darstellt." "Ja, ich denke schon."
Viele Tage, Nächte und Gespräche verliefen ähnlich, wenn auch über andere Themen. Das Thema der Liebe und deren verschiedene Gesichter allerdings, scheint immer wieder und alle Menschen zu beschäftigen. Man begibt sich auf die ewige Suche nach dem Glück, der Freiheit, der Liebe. Mitunter ist man so mit der Suche beschäftigt oder verrennt sich in seinen Gedanken, daß man verpaßt, die Gegenwart wahr zu nehmen. Ein weiser Spruch meint dazu, daß Liebe in der Vergangenheit nur eine Erinnerung ist, Liebe in der Zukunft, nur eine Fantasie und das wahre Liebe nur im hier und jetzt lebt. Leider wird dies eben nur all zu oft vergessen, dabei ist es bei jeder einzelnen Facette der Liebe so.
Sanft küssen die Sonnestrahlen den Boden. Es ist noch sehr früh am Morgen. Es ist der Beginn des Sommers. Er schaut aus dem Fenster und weiß, daß sie ihn am liebsten voller Lebensfreude und Energie in den Tag holen würde. Sie hatte es schon oftmals getan. Er war immer wieder fasziniert und überrascht von ihrer Begeisterung. Sie nahm schon immer alles intensiv wahr und genoß das Leben. Trotz aller so genannter Schicksalsschläge, ließ sie sich nie ihrer Freude berauben und ihre Begeisterungsfähigkeit half ihr dabei. Sie selbst hat ihre Freude gern mit jedermann geteilt. Es ist ein Gesicht der Liebe, eine Facette, eine Art, diese zu zeigen.
Er gramt in seiner kleinen Tasche. Ein winziges zerknülltes Papier befindet sich in seiner Hand. "Tiefe Verbundenheit; von Herzen kommendes Mitgefühl; auf Grundsätzen beruhend = Verstand; höheres Level = geistige Verbundenheit, Vertrautheit, Zuneigung; Offenheit; Leidenschaft/Erotik/körperliche Anziehungskraft; Selbstlosigkeit." Sie hatte bei ihrem Gespräch nebenher einige Stichpunkte notiert oder diese im nachhinein festgehalten. Genau weiß er es nicht mehr. Warum ihm vorhin die Selbstlosigkeit nicht eingefallen ist, als er über ihr Gespräch von damals nachdachte? Selbstlosigkeit ist so wichtig. Es lieben zu geben ohne etwas zurück zu verlangen oder zu fordern. Sich selbst geben. Gern geben. Jemanden gern zu geben soll einen glücklicher machen, als wenn man der Empfänger der Gaben ist, obwohl man sich darüber natürlich auch sehr freut. So jedenfalls hatte er es gelesen und kann dies inzwischen auch bestätigen. Sie hatte schon immer nach diesem Prinzip gelebt und war glücklich damit.
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"Nichts ist entspannender, als das anzunehmen, was kommt." Dalai Lama