Re: Cottmos - Elric, der Erlöser
von Nikita LaChance » So 4. Sep 2011, 10:07
Kapitel II
Die Sonne stand hoch am Himmel, bracht das saftige Grüne der Wiesen zum leuchten. Der Duft von frisch geschlagenem Gras lag in der Luft und die Kühe und Schafe bildeten die einzigen Farbtupfer in dem Meer aus Grün.
Es war ein viel zu schönes Wetter, bei der man die Arbeit viel lieber ruhen lassen und faulenzen wollte. Einfach nur den Tag genießen.
Doch dazu war keine Zeit. Es gab immer irgendetwas zu tun, da konnte das Wetter noch so schön sein.
An einem Baum spielten Kinder. Sie trugen zwar Lumpen am Leib, doch dies störte sie nicht. Sie spielten irgendeinen Schwertkampf nach, wobei viel weniger darum ging, wer der Stärker war, als vielmehr um den Spaß, den es machte.
Eine Weile beobachtete er sie. Die spielenden Kinder. Vor vielen Jahren hatte er ebenso ausgelassen gespielt. Aber für ihn waren die Zeiten des Spielens längst vorbei und im Gegensatz zu den Kindern wusste er auch viel mehr von dem was geschehen war und noch geschehen sollte.
„Hey, Elric! Wo bleibst du?“
Er erschrak und riss sich von den spielenden Kinder los.
Ein alter Freund stand vor ihm und wartete. Mit ihm hatte er einst als Kind auch Ritter und Held gespielt und auch bei ihnen war es vielmehr um den Spaß als um den Sieg gegangen.
Elric nickte ihm zu.
„Ich komm schon!“
„Beeile dich lieber! Meine Schwester sucht dich schon!“ meinte sein Freund nur lachend zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter.
Gemeinsam gingen sie den steinigen Weg zum Dorf und unterhielten sich über dies und das.
Im Dorfzentrum herrschte wie immer reger Betrieb. Die jungen Mädchen liefen schnatternd über den Markt, die älteren Herren redeten lautstark über die vergangenen Tage und junge Burschen vertrieben sich die Zeit damit, den Mädchen Streiche zu spielen und ihnen hinterher zu pfeifen.
Als Elric mit seinem Freund auf dem Marktplatz ankamen, begannen die Mädchen zu tuscheln und zu kichern. Immer wieder warfen sie Elric Blicke zu.
Eines der Mädchen aber lächelte ihm besonders schüchtern zu, was Elrics Freunde, die auf ihn gewartet hatten, lautstark kommentierten. Das Mädchen wurde rot und tat so, als sei nichts gewesen.
Und während Elrics Freunde immer wieder versuchten die Mädchen anzuflirten und sich einen neuen Streich für sie auszudenken, saß Elric einfach nur bei ihnen und lauschte stumm.
Er mochte zwar einer von ihnen zu sein, aber er wusste viel mehr als sie und seine Aufgabe war auch eine andere als Felder zu bewirtschaften.
Der Tag verging wie im Fluge und Elric hatte nichts anderes getan, als bei seinen Freunden zu sitzen und die meiste Zeit zu lauschen. Jeder tat so, als gäbe es nichts anderes als ihr Dorf und ihre Feldarbeit. Sie dachten nicht an den Tyrannen, der in Eliargis saß und mit harter Hand über sie alle regierte.
Sie alle versuchten es zu verdrängen, was geschehen war und genossen die Ruhe, so trügerisch sie auch war. Sie wussten, dass überall um sie herum Gefahren lauerten. Aber niemand wollte daran denken.
Und auch Elric dachte nicht daran, was wirklich war, sondern vielmehr an das was sein könnte oder sogar sollte.
Am Morgen hatte ihn ein alter Bekannter aufgesucht und Elric wünschte sich, obwohl der Bekannte ein guter Freund war, dass er nie aufgetaucht wäre.
Sein Erscheinen bedeutete nichts Gutes.
Gunter, war einst ein hoher Ritter gewesen. Hatte im Diensten des Menschenkönigs gestanden. Doch seit einer verlorenen Schlacht hatte er sich zu ruhe gesetzt.
Er war es gewesen, der aus dem Bauernsohn Elric einen Krieger gemacht hatte. Nicht das er eine andere Wahl gehabt hätte.
Elric kannte ihn schon seit vielen Jahren und wenngleich er sich über das Wiedersehen freute, so war es doch das gewesen, was Gunter ihm am Morgen gesagt hatte.
Es hatte wie ein Märchen geklungen.
„Du musst noch heute aufbrechen!“ hatte Gunter ihm befohlen. Woraufhin Elric ihn nur verwirrt angesehen hatte.
„Du bist der Erlöser!“ hatte Gunter dann gebrummt, „Es ist deine Bestimmung gegen ihn anzutreten!“
Gunter hatte in seinen Erzählungen immer vermieden den Namen zu nennen, wenn er von ihm sprach. Ihm dem König.
„Ich weiß!“ war das einzige was Elric ihm daraufhin geantwortet hatte.
Er kannte die Geschichte zu genüge, hatte man sie ihm doch immer wieder erzählt.
Bevor Dracold den letzten Drachen hinrichten lies, hatte dieser ihm eine Prophezeiung gemacht, die das Leben des Königs und das von Elric nachhaltig verändern sollte.
„Ein junger Knabe wird dein Untergang sein!“ hatte der Drache unter Schmerzen gezischt.
Dracold hatte darüber gelacht. Er glaubte nicht daran und setzte seine Folter fort.
Bevor der Drache sein Leben aushauchte, brachte er erneut die Warnung an Dracold heraus und nannte sogar einen Namen.
„Elric aus Varhos!“
Der Drache starb und ungläubig hatte Dracold das riesige Geschöpf angesehen. Weshalb sollte sich das Tier so eine Geschichte ausdenken, wenn es dem Tode so nahe war? Dachte er sich.
Und obwohl er ein wenig Misstrauen an der Prophezeiung des Drachens hegte, schickte er seine Männer den ominösen Elric zu finden. Aber in Varhos gab es niemanden mit diesem Namen.
Daraufhin lies Dracold sich von einer alten Hexe, die sich sehr gut aufs Wahrsagen verstand, die Zukunft deuten.
Die Hexe sah ebenfalls das Ende des Königs durch einen Knaben besiegelt. Und als der König wild anfunkelte, dass man keinen Knaben namens Elric gefunden habe, meinte sie zu ihm, dass er noch nicht geboren sei. Der Knabe würde erst in fünfzig Jahren Dracolds Weg und das Schwert mit ihm kreuzen.
Dracold hielt die Deutung für eine Lüge. Er hätte sie töten lassen, hätte sie ihm nicht Treue geschworen. Dennoch fand er, sollte sie wissen, wo ihr Platz war und so verwandelte er sie in eine faulige und verrunzelte Gestalt, deren wahres Aussehen nun nicht einmal mehr zu erahnen war.
Die Hexe wusste, wie kostbar ihr Leben für sich und für andere noch war, allenfalls wäre sie viel lieber in den Tod gegangen, als alles zu verraten, woran sie selbst glaubte.
In der Laufe der Jahre rief Dracold die alte Hexe immer wieder zu sich, um sich die Zukunft immer wieder neu deuten zu lassen. Aber immer wieder sagte sie ihm, dass ein Knabe namens Elric für seinen Untergang sorgen würde.
Mit der Zeit jedoch verlor Dracold immer mehr den Glauben und die Geduld daran, ihrer Prophezeiung zu lauschen. So langsam glaubte er, dass ihn einst der Drache nur verspotten wollte und die Hexe diesen Streich nur noch weiter trieb.
Doch eines Tages erwähnte die Hexe, dass Elric nun geboren sei. Dass sie dies so beiläufig gesagt hatte, machte Dracold ein wenig misstauisch. Aber dennoch lies er seine Männer nach Elric suchen.
Und wieder kamen sie mit der Botschaft zurück, niemanden namens Elric in Varhos gefunden zu haben.
Er hätte ihnen auch Glauben geschenkt, doch deutlich hatte er es gespürt. Es war wie ein großer Druck in seinem Magen und er spürte, wie sich eine magische Kraft in Cottmos ausbreitete. Mitten in Varhos.
Aber konnte es wirklich sein? Seit der Prophezeiung des Drachens waren gerade mal sechsundvierzig Jahre vergangen.
Und während Dracold erneut seine Männer auf die Suche nach seinem Widersacher nach Varhos schickte, hatte man dort bereits reagiert und den Jungen in Sicherheit gebracht.
Als Dracolds Männer in Varhos ankamen, war Elric längst verschwunden und so sehr sich Dracold auch bemühte ihn zu finden, schien der Knabe unter einem elfischen Zauber zu stehen. Er konnte ihn einfach nicht ausfindig machen. Und zu seinem Entsetzten erschwerte sich die Suche, denn es gab plötzlich nicht nur einen Elric. Viele Männer und Jungen in ganz Cottmos besaßen mit einem Male den Namen, so als wollte man den König damit verärgern.
Während die Nacht allmählich herein brach, herrschte noch immer reges Treiben im Dorf. Einzig die Kinder lagen bereits in ihren Betten und schliefen. Die Alten saßen bei der Taverne.
Elric saß bei seinen Freunden und während diese lautstark miteinander sprachen, wobei irgendwie jeder den anderen zu übertönen versuchte, saß er nur still zwischen ihnen und lauschte.
Obwohl jeder im Dorf von seiner Bürde wusste und dass es für ihn der letzte friedliche Tag in trauter Runde war, redete niemand darüber. Zum einen, um ihm den Abschied nicht unnötig zu erschweren und zum anderen, da die Soldaten von Dracold immer wieder durch die Lande zogen und jeden, der schlechtes über ihren König sprach, gefangen nahmen.
Elric war dankbar für ihr Schweigen und so gern er auch bei ihnen war, so musste er aufbrechen. Auch ihretwegen.
Er, der große Erlöser. Er, der nichts weiter als ein Bauer war von knapp zwanzig Jahren. Ein junger Kerl, der immer auf der Hut sein musste, da man ihn suchte.
Elric konnte sich lange Zeit, eigentlich seit er die Geschichte, dass ausgerechnet er der Erlöser sein sollte, nicht vorstellen, weswegen. Was sollte ein einsamer Bauer auch schon gegen einen großen Magier ausrichten können?
Noch vor Tagesanbruch verließ er sein kleines Haus. Er hatte nun knapp vier Jahre, seit seiner Flucht aus Varhos, hier gelebt. Es war zwar klein und durch die hölzernen Bretterwände zog öfters der Wind hindurch oder sogar der oftmals peitschende Regen, aber er mochte das Haus.
Es war so wie er. Unscheinbar und dennoch mit einem gewissen Charme.
Elric hatte sich ein kleines Bündel gepackt, in dem er nur einen alten Brief seiner Eltern, sein einziges Erinnerungsstück an sie, etwas Brot und Trockenfleisch hatte. Mehr konnte er auf seine Reise nicht mitnehmen.
„Du kommst zu Fuß! Ich werde dich dann bis zu den Tueris bringen!“ hatte Gunter ihm gesagt. Auch dass er zum Morgengrauen am Waldrand mit einem Pferd auf ihn warten würde.
Leise, obwohl dies nicht nötig war, da er allein lebte, stahl sich Elric aus seinem Haus.
Er wollte gerade los laufen, als ihn jemand ansprach.
„Elric?“ Es war eine junge Mädchenstimme und wäre es nicht noch so dunkel gewesen, hätte er gesehen, wie das Gesicht des Mädchens errötete.
„Mina? Was machst du hier?“ fragte er erschrocken und besorgt.
„Ich wünschte, du müsstest nicht gehen!“ stotterte sie leise.
Elric wusste, wer sie war. Sie war die jüngere Schwester seines Freundes und hätte er nicht so eine schwierige Aufgabe zu meistern, hätte er sie längst um eine Verabredung gebeten.
„Ja!“ seufzte er kaum hörbar, „Es tut mir leid!“
„Du wirst doch zurückkommen? Versprich es!“ bettelte sie mit fester Stimme und Elric musste schmunzeln. Er konnte sich vorstellen, wie viel Überwindung sie es gekostet hatte, ihn mitten in der Nacht anzusprechen.
„Ich werde zurückkommen! Ich kann doch nicht deinem Bruder mein Haus überlassen!“ scherzte er.
Auch ihr huschte ein Lächeln übers Gesicht.
„Ich werde zurückkommen, denn hier gibt es ja noch etwas, was ich mir wünsche!“ meinte Elric.
Für einen Moment verstand Mina nicht, was er meinte.
„Wenn ich zurückkomme, werde ich um deine Hand bitten. Wenn du mich dann noch willst!“sprach er.
Mina schlang ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn.
„Aber vergiss mich nicht!“ mahnte sie und lies ihn wieder los.
Elric nickte.
Langsam ging die Sonne auf und färbte den Himmel rot.
„Jetzt geh!“ meinte sie zu ihm und stieß ihn sanft voran.
„Ich werde aufpassen, dass mein Bruder dein Haus heil lässt!“ rief sie ihm nach.
Elric winkte nur kurz, ohne sich noch einmal nach ihr umzusehen. Er war sich sicher, dass sie weinte. Doch er wusste nicht, ob er sein Versprechen auch wirklich einhalten konnte. Er hoffte es.
Gunter wartet ungeduldig mit zwei Pferden am Waldrand. Er war nicht der Typ, der gerne lange auf irgendetwas oder irgendjemanden wartete. Auch war es ihm nicht recht, einen jungen Bauern zu einem aussichtslosen Kampf abzuholen. Wie gern hätte er Elric gesagt, dass die ganze Prophezeiung nur eine Lüge sei und er in Sicherheit. Wie gern hätte er selbst das Schwert mit König Dracold gekreuzt.
Für ihn gab es nichts mehr zu verlieren.
„Gunter?“ Elric hatte ihn endlich erreicht.
„Wird auch Zeit!“ brummte Gunter nur und reichte ihm die Zügel eines grauen Schecken.
Elric schwang sich in den Sattel, warf noch einmal einen kurzen Blick auf sein Dorf, welches in die Morgenröte getaucht war, und ritt Gunter hinterher.
Vieles ging Elric durch den Kopf. Zuviel.
„Wie weit ist es?“ wollte Elric wenig später von seinem Begleiter wissen.
„Die Tueris erwarten uns nur knapp einen Tagesritt entfernt. Wir werden uns mit ihnen beraten, wie wir weiter vorgehen!“ antwortete Gunter und warf ihm einen etwas mitleidigen Blick zu.
Elric nickte nur knapp und verfiel wieder in Schweigen.
So ritten beide dahin, größtenteils schweigend.
Gunter kannte Elric bereits seit einigen Jahren. Er war mit seinem Schutz beauftragt worden und seiner Ausbildung als Schwertkämpfer, wobei sich Elric anfangs noch etwas schwer tat.
Elric hingegen wusste nicht viel über Gunter. Außer, dass dieser einst ein Ritter gewesen sein musste. Gunter hatte auch nie viel über sich selbst erzählt. Selbst wenn er betrunken seine Geschichten herunterleierte.
Wie Gunter es gesagt hatte, warteten die Tueris bereits auf sie.
Die Tueris waren eine Rebellengruppe, die hauptsächlich aus dem Menschenvolk stammte. Es waren zum Teil Männer über dreißig, fast alle schon kampferprobt und von vielen Schlachten gezeichnet. Die wenigen jungen Männer schienen fast alles Bauern zu sein. Auch waren Frauen unter den Rebellen, wenn auch nur knapp zwei Hand voll. Aber auch sie scheuten einen Kampf nicht.
Sie alle kämpften für den Frieden Cottmos.
„Willkommen!“ grüßte ein dunkelhäutiger Hüne und verbeugte sich vor Elric. All die anderen taten es ihm nach.
Elric wusste nicht, was er tun sollte und sah Gunter verwirrt an. Dieser gab aber keine passende Antwort.
Der Hüne, gekleidet in einer braunen mit einzelnen Goldmünzen und Ringen verzierte Lederrüstung, lächelte Elric freundlich an.
„Ich bin Latis!“ stellte er sich vor und gab Elric die Hand.
Elric, noch immer verwirrt, nannte seinen Namen, obwohl ihn wohl schon jeder wusste, und alle schienen erfreut darüber ihn nun endlich persönlich kennen zu lernen.
„Warum treffen wir uns hier und nicht im Dorf?“ wollte Gunter wissen. Ihm war die ganze Freundlichkeit und Vorfreude der anderen egal.
Latis wandte sich ihm zu: „Wir haben eine Armee Dracolds ausgemacht. Sie haben das Dorf Pavog, welches nur knapp zehn Meilen entfernt von hier liegt, dem Erdboden gleichgemacht.“
Gunter sah ihn finster an.
„Sie machen Jagt auf uns Rebellen und töten jeden, der einen von uns beherbergt oder anderweitig geholfen hat.“ mischte sich eine Frau ein und alle begannen zu schimpfen. Sie waren alle erbost darüber, dass des Königs Soldaten jeden angriffen.
Latis hob seine Hand und schlagartig kehrte Ruhe ein.
„Wir sollten die Chance nutzen und sie jetzt angreifen!“ entfuhr es der Frau.
„Raya, still jetzt!“ rief Latis ihr scharf zu. Dann wandte er sich wieder Elric zu:
„Wir haben auf dich gewartet und dir deine Rüstung sowie dein Schwert mitgebracht!“
Elric nickte nur. Ihm war flau im Magen. Er hatte nicht gedacht, dass er so schnell in den Kampf ziehen müsste.
„Du solltest dich erst ein wenig ausruhen! Ich werde mich mit Gunter beraten!“ meinte Latis und auf seinen Wink hin, führte Raya Elric in ein kleines Zeltlager.
„Hier!“ sagte sie nur und klang dabei nicht mehr so rau wie zuvor, sondern fast mütterlich.
Im Zelt war eine kleine Decke auf dem Boden ausgebreitet. Elric, zu müde vom Reiten, legte sich hin und war auch sofort eingeschlafen.
„Steh auf, Junge!“ brummte jemand vor dem Zelt und tippte Elric gegen den Fuß.
Er schreckte hoch und kroch verschlafen aus dem Zelt.
Gunter stand vor ihm, ungeduldig wie immer.
„Latis gibt dir jetzt deine Rüstung!“ brummte Gunter nur und ging voran.
Gunter sah etwas müde aus, so als habe er die wenigen Stunden kein Auge zugetan.
Ein paar Zelte weiter stand Raya und winkte ihnen zu, ihr zu folgen. Sie führte die beiden zum höchsten aller Zelte, indem mindestens fünf Mann gleichzeitig hätten schlafen können.
Nur war dieses Zelt, wie sich herausstellte, kein Nachtlager, sondern vielmehr eine Waffenkammer, wo Latis bereits auf sie wartete.
Auf einer Seite lagen lange hölzerne Lanzen, auf der anderen Bögen mit vollen Köchern und Schwerter in unterschiedlichsten Arten und Größen.
Mitten im Zelt stand eine Art Kleiderpuppe aus Holz, auf der ein schwarzer Lederharnisch hing. Er war verziert mit zahlreichen Silbernieten und einer silbernen Zeichnung eines vogelartigen Wesens. Davor stand ein Schwert von circa 1,20 Metern Länge. Der Griff des Schwertes war komplett in blau gehalten und wies ein sonderbares Relief auf, welches Schuppen glich. Zum Griffende wuchs eine fünffingerige Drachenklaue heraus, die einen klaren runden Kristall umschlossen hielt.
Elric war fasziniert von dem Schwert.
„Dies ist Solith. Der Griff ist aus den Knochen eines mächtigen Drachens. Es ist ein starkes Schwert!“ erzählte Raya fast schon schwärmerisch.
„Jedes Schwert ist nur so stark, wie der, der es führt!“ meinte Gunter und schob Raya aus dem Zelt.
„Du solltest deine Rüstung anlegen!“ Latis wies auf den Lederharschnisch und das Schwert, „Und dies hier!“
Er reichte Elric ein Hemd, eine dunkle Lederhose und Stiefel.
Danach verließ Latis das Zelt und stellte sich vor den Zelteingang, sodass niemand hineinsehen konnte.
Elric zog sich um. Das Leder war anfangs kühl auf seiner Haut, aber wie er schnell feststellte, wärmte es ungemein. Viel besser als seine alte Leinenhose.
Als er neu gekleidet und gerüstet heraustrat, das Schwert in der Hand, sahen die Tueris, die sich neugierig vor dem Zelt versammelt hatten, überrascht aus.
Der blonde Mann vor ihnen, hatte nun nichts mehr mit dem Bauern gemein, der er vorher noch gewesen war. Er sah nun vielmehr einem Prinzen gleich. Einem jungen freundlichen Herrscher.
Elric spürte, wie ihn die Gewandung veränderte. Er fühlte sich stark und seiner Aufgabe gewachsen.
Gunters besorgten Gesichtsausdruck bemerkte er nicht. Und wenn, hätte er diesen Blick nicht zu deuten gewusst.
Mit einem Mal jubelten alle lautstark. Immer wieder riefen sie seinen Namen, so als würden sie sich damit Glück wünschen. Einzig Gunter schwieg.
Es kam ihm wie ein Verrat vor. Er hatte Elric unterrichtet. Er hatte ihm die Wahrheit über seine Bestimmung gesagt. Er hatte Elric um sein friedliches Leben als Bauer betrogen. Ein Leben mit Frau und Kindern.
Er hatte ihm eine vielleicht wunderschöne Zukunft genommen und ihm dafür diese kalte und raue Wirklichkeit gegeben. Einen Kampf, den Elric für Menschen austrug, die er nicht einmal kannte. Einen Kampf, der entscheidend war für alles Leben auf Cottmos.
„Ich werde jetzt aufbrechen und wir treffen uns bald wieder. In Ankuni!“ sagte Gunter und riss Elric von seinen Bewunderern los.
„Wieso musst du gehen? Ich dachte, du kämpfst mit uns?“ meinte Elric etwas enttäuscht.
„Nein! Meine Aufgabe war es, dich zu den Tueris zu bringen. Nun muss ich zum Dorf zurück und die anderen auf die baldige Schlacht vorbereiten.“ antwortete Gunter und lies sich sein Pferd bringen.
Elric sah ihn etwas hilflos und verwirrt an.
„Keine Angst! Latis wird auf dich achten und dir zur Seite stehen!“ meinte Gunter, „Auch wenn er vielleicht nicht so streng ist wie ich!“
Elric schmuzelte und reichte Gunter die Hand.
„Dann sehen wir uns in Ankuni!“ meinte Elric mit einem stolzen Lächeln.
Gunter ergriff die Hand und umarmte Elric kurz. Für Gunter war es, als würde er sich von seinem Sohn verabschieden.
„Wir sehen uns in Ankuni! Paß auf dich auf, Junge!“ flüsterte Gunter, lies Elric wieder los und schwang sich auf sein herbeigeholtes Pferd. Er winkte Latis noch einmal zu und ritt davon.
Wenig später rissen auch die Tueris ihr Lager ab und rüsteten sich für die bevorstehende Auseinandersetzung mit dem Feind.
Latis gab das Signal zum Aufsitzen und seine Mannen taten wie befohlen.
Auch Elric stieg auf ein Pferd. Man hatte ihm einen prächtigen Schimmel, mit edlem Zaumzeug und nach frischen Leder duftendem Sattel, gegeben.
Etwas nervös ritt er an Latis Seite, während der Rest ihnen folgte.
Elric versuchte sich zu beruhigen, indem er sich vorstellte, er sei daheim. Daheim bei seinem Häuschen und seinem Feld. Längst stand das Getreide in vollen Ähren und es wurde langsam Zeit für die Ernte.
Elric dachte daran, wie er vor ein paar Tagen noch mit seinem Freund, Minas Bruder, durchs Dorf geritten war. Daran wie die Mädchen ihn angesehen hatten. Er hatte das genossen.
Auch sein Freund war stolz gewesen, denn dass er bei Elric war, bescherte auch ihm sehnsüchtig schmachtende Blicke. Auch war er stolz darauf, dass Elric ausgerechnet ihn gebeten hatte, auf sein Haus und sein Feld zu achten, bis er wieder käme.
Dann erinnerte Elric sich an Mina und plötzlich fragte er sich, weswegen er sie nicht viel früher angesprochen hatte.
„Wir sind bald da!“ weckte Latis ihn aus seinen Gedanken.
„Du solltest wachsam sein!“ meinte Raya, die hinter den beiden Männern ritt. Sie war bewaffnet mit einem Langbogen und ein voller Köcher hing auf ihrer Schulter.
„Sie hat recht!“ meinte Latis ruhig zu Elric, „Du solltest mit deinen Gedanken beim Kampf sein! Über Vergangenes kannst du später noch immer nachsinnen. Doch eine Unachtsamkeit jetzt, könnte dich den Kopf kosten!“
Elric nickte nur stumm. Es war nicht einfach für ihn. Er war nicht der geborene Krieger. Nur ein Bauer.
Schon von weitem hörte man das Kampfgeschrei des Feindes. Wieder machten sie ein Dorf dem Erdboden gleich.
Als die Tueris näher heran waren, konnten sie die feindliche Armee sehen.
Mit ihren roten Rüstungen ähnelten sie wilden Feuerflammen. Blut war an ihren Rüstungen kaum erkennbar. Erbarmungslos töteten sie jeden Dorfbewohner und ließen sich von den Neuankömmlingen nicht weiter stören.
Elric riss sein Schwert nach oben, hielt es hoch über sich und schrie laut:
„Für den Frieden Cottmos!“
Es war ihm spontan eingefallen, dass er irgendetwas sagen musste. Unter anderem, um sich selbst zu motivieren.
„Für Cottmos!“ stimmten die Tueris mit ein und schon ritten alle auf den Gegner zu.
Pfeile surrten durch die Luft, Schwerter trafen aufeinander und Lanzen stachen aufeinander ein.
Während die Tueris ein bunt gemischter Haufen von Kriegern, Bauern und anderen Dörflern waren, die wohl fast aus allen möglichen Ecken Cottmos stammten, und somit auch ihre Kleidung und Rüstung bunt war, waren die Feinde alle in der selben Farbe gewandet. Von Kopf bis Fuß rot.
Elric schlug sich gut. So gut er eben konnte. Er hatte seine Gedanken aufs Kämpfen umgestellt und er hätte auch nicht die Zeit gehabt an irgendetwas anderes zu denken.
Wieder zog ein Pfeil nur knapp an ihm vorbei. Doch er selbst konnte sich nicht mit dem Bogenschützen befassen, dafür aber Raya, die noch immer wild um sich schoss und hoffte, dass ihr Köcher nicht zu früh leer werden würde.
Ein neuer und gefährlicherer Gegner stellte sich Elric entgegen. Auf einem schwarzen Hengst kam ein besonders prunkvoll gerüsteter Krieger auf ihn zu. Der Rüstung nach musste er der Anführer der finsteren Krieger sein. Wild entschlossen nur gegen Elric anzutreten, ignorierte der Reiter alle anderen Feinde, die sich ihm entgegenstellten. Seine Soldaten würden sich schon um sie kümmern. Sein Interesse galt einzig und allein Elric.
Noch ehe Elric seinen ersten Angriff gegen den neuen Gegner starten konnte, hatte dieser mit dem Schwert nach ihm geschlagen. Nur mit viel Mühe konnte Elric den Schwerthieb abwehren. Sofort entbrannte zwischen Elric und dem Krieger ein harter Schwertkampf hoch zu Pferde. Immer wieder griff der Gegner mit harten und schnellen Schwertstreichen an und Elric hatte alle Mühe dem etwas entgegenzusetzten.
Der rote Reiter machte mit einem Male überraschend einen Satz von seinem Pferd und riss Elric zu Boden, wo der Kampf nur weiter stattfinden sollte.
Elric erkannte erst jetzt, dass sein Gegner fast einen Kopf kleiner und viel schlanker als er war. Dennoch durfte er dessen Stärke nicht unterschätzen. Aggressiv kämpfte der Krieger.
Noch gelang es Elric alle Schwerthiebe abzuwehren und größeren Schaden zu verhindern. Auch schaffte er es, den Spieß umzudrehen und seinen Gegner anzugreifen.
Das Geschehen um sich herum, nahmen weder Elric noch sein Angreifer wahr. Sie kämpften zu erbittert gegeneinander, waren sich sogar fast ebenbürtig. Denn Elric konnte es deutlich spüren, dass sein Gegner über deutlich mehr Kampferfahrung verfügte als er selbst. Zudem liesen seine Kräfte allmählich nach, während der kleinere Feind noch immer wild weiter kämpfte.
Elric sammelte noch einmal seine gesamte Kraft und schaffte es den Gegner zu Fall zu bringen. Elric stellte sich siegessicher über ihn, wollte ihm das Schwert drohend an den Hals halten und ihm die Wahl zwischen Tod und Aufgabe lassen.
Doch er erstarrte und hielt mitten ihn seinem Angriff an.
Vor Elrics Füßen lag der Helm seines Gegners. Er war ihm beim Sturz wohl verloren gegangen.
Verwirrt sah Elric auf die rot gepanzerte Gestalt vor ihm.
„Aber ... Du bist ein Mädchen!“ entfuhr es Elric entsetzt.
In dem Moment, indem er seine Entdeckung geäußert hatte, hatte ihm sein Gegner das Schwert in die Brust gerammt.
Elric lies sein Schwert fallen und ging auf die Knie. Heißer Schmerz durchzog seinen ganzen Körper und ihm war als sei all seine Kraft auf einmal verloren gegangen.
Das Mädchen vor ihm lächelte kalt und riss sein Schwert aus Elrics Brust.
„Und du willst der Erlöser sein!“ spottete sie und stieß ihn mit einem Fußtritt um.
Elric sah zum Himmel.
Eine riesige Regenwolke öffnete ihre Tore und es schien als wolle der Regen all das Blut von eben wegspülen.
Allmählich drifteten Elrics Gedanken ab und der Kampf schien vergessen. In seinen Gedanken verließ er das Schlachtfeld, ging zurück. Zurück bis nach hause. Zu Mina. Er sah sie bei seiner Hütte auf ihn warten und winken.
Dann wurde alles schwarz.
Die rote Kriegerin triumphierte lautstark und ihre Armee, ganz gleich, dass sie fast alle noch im Kampf waren, taten es ihr gleich. Ihr Jubelruf konnte nur eines bedeuten. Sie hatte gesiegt.
Und ihrer Armee war es gelungen, mehr als die Hälfte der Rebellen zu töten.
So als wäre der Tod Elrics das Zeichen, den Kampf aufzugeben, endeten die Schlachten.
Der rote Feind jubelte und grölte siegessicher, während die Tueris entsetzt und geschwächt zur Kriegerin und dem Toten zu ihren Füßen blickten. Die Kriegerin hatte ihnen alles genommen. Sämtliche Hoffnung.
Einzig Raya, die ebenfalls schon mehr tot als lebendig war, hatte noch ein wenige Kampfgeist inne. Sie zog den letzten Pfeil aus ihren Köcher und schoss ihn auf die Kriegerin. Aber der Pfeil war zu schwach und verfehlte nur knapp sein Ziel.
Ein Signal ertönte, von dem unklar war, woher es kam. Die feindliche Armee, von denen ebenfalls nur die Hälfte überlebt hatte, machte sich zum Rückzug bereit. Nicht, dass sie aufgaben. Nein, sie hatten ihren Auftrag bestens erfüllt und wurden nun zurückgerufen.
Ein paar Tage später würden sie erneut angreifen und mit Sicherheit hätten sie keine gefährlichen Gegner mehr. Denn den gefährlichsten hatten sie gerade besiegt.
Elric, den Erlöser.
Zuletzt geändert von Nikita LaChance am Fr 9. Sep 2011, 08:54, insgesamt 1-mal geändert.