AT: if dream come true (Version 2)




Unterhaltungsliteratur in ihren verschiedenen Formen, wie beispielsweise Romane, Erzählungen, Kurzgeschichten, Berichte, Märchen und Sagen

AT: if dream come true (Version 2)

Beitragvon Nikita LaChance » Mo 18. Apr 2011, 13:01

Kapitel I - weiße Wände

„Farblos!“ war das Einzige, was ihr durch den Kopf ging, während sie sich in ihrem Raum umsah.
Die Wände weiß, der Boden weiß und sogar die wenigen Möbel waren Weiß.
Im Grunde war sie das Einzige was nicht in den Raum passte.
Sie war zwar blass aber nicht so schneeweiß wie der Raum um sich herum. Allerdings, so vermutete sie, sorgte ihre ebenfalls weiße Kleidung, bestehend aus einer Jogginghose und einem schlichten Baumwollshirt, dafür, dass sie noch heller und bleicher erschien als ohnehin.
Zumindest ihre langen dunkelbraunen Haare brachten etwas Farbe in das trostlose Zimmer. Und selbst wenn sie sich nicht im Spiegel sehen konnte, wusste sie doch, dass auch ihre blau-grünen Augen ein wenig Farbe beisteuerten.

Aber wieder trifteten ihre Gedanken ab, während sie auf das Weiß vor sich starrte.
Die Tabletten hatten sie schläfrig gemacht. Ruhig gestellt.
Sie konnte sich noch nicht einmal daran erinnern, ob sie farbig waren oder ebenfalls so weiß wie der Raum. Sie wusste nicht einmal mehr, wie viele man ihr verabreicht hatte.
Es kam ihr so vor, als hätte sie jegliche Erinnerung verloren. Als habe man ihren Geist lahm gelegt.
Nur wusste sie nicht warum.
Und wenige Minuten später war ihr dies auch egal. Die Wirkung der Tabletten setzte ein und alles um sie herum verlor jeglichen Reiz. Selbst die eigenen Gedanken.
Und so verlor sie sich wieder in dem weißen und stillen Raum.


„Wir mussten die Dosis erhöhen!“ erklärte eine ältere Schwester, während ihr Gesprächspartner angestrengt einige Papiere auf seinem Schreibtisch durch sah.
Für einen kurzen Augenblick glaubte die Schwester, der Mann hätte sie nicht gehört und so wollte sie ihren Bericht wiederholen.
Doch der Mann sah auf. Seine Miene zeigte nicht das geringste Interesse, so als ginge ihn die ganze Sache nichts an.
„Es wird immer schlimmer!“ meinte die Schwester und hielt ihm einen Patientenbericht entgegen.
Der Mann nahm ihn, überflog die hastig dahin geschmierten Notizen und gab den Bericht zurück.
„Wie geht es ihr jetzt?“ wollte er nur wissen. Selbst in seiner Stimme klang die Langeweile mit.
Der Fall schien ihn nicht wirklich zu interessieren. Es war für ihn ein Fall wie jeder andere.
„Wir konnten sie ruhig stellen, aber …!“
Der Mann bedeutete, dass sie nicht weiter zu reden brauchte. Er stand auf, nahm seinen weißen Kittel von der Stuhllehne und zog ihn sich über.
Ohne ein weiteres Wort zu der Schwester, ging er an ihr vorbei und verließ sein Büro. Zum ersten Mal an diesem Tag.
Im Grunde hatte er besseres zu tun, als sich schon wieder mit einem Irren auseinander zu setzten.

Einzig der Kittel unterschied ihn von den Leuten auf dem Gang und in dem großen Aufenthaltsraum, der einem riesigen Wohn- und Spielzimmer glich. Die meisten der Leute, die sich hier aufhielten waren soweit klaren Verstandes, dass sie ihn grüßten und sich sogar wie normale gesunde Menschen verhielten. Allerdings gab es auch einige Fälle, die wie gehirnlose Zombies wirkten, den Kopf schief gelegt und in die Ferne starrend, während ihnen der Speichel aus dem Mund lief.
Er beachtete sie nicht. Fühlte sich für sie nicht zuständig.
Die Schwester folgte ihm, wortlos. Aber sie schien Anteil an den Patienten ringsum zu nehmen. Ein oder zweimal fiel ihr Blick auf einen der ruhig gestellten und geistig abwesenden Bewohner und es juckte sie in den Fingern, hinzugehen und ihnen den Mund abzuwischen oder sie in eine bequemer hinzusetzen.

Der Mann stoppte an dem Zimmer mit der Nummer 0804. Davor stand ein Stuhl und darauf waren ein Zeichenblock und bunte Stifte, die man zuvor aus dem Zimmer entfernt hatte.
„Wir mussten ihr die Sachen wegnehmen!“ beteuerte die Schwester, „Sie hat sich so aufgeregt!“
Der Mann nickte nur und sah durch das kleine Fenster in der Tür.
Er konnte ein Mädchen erkennen, welches auf dem am Boden verschraubten Bett saß und abwesend auf die Wand ihr gegenüber starrte.
Er ließ sich noch einmal den Patientenbericht geben, studierte erneut die Medikation und warf einen prüfenden Blick in den Raum.
Kurz zuckten seine Mundwinkel. Aber er schwieg.

Er drückte der Schwester sofort den Bericht wieder in die Hände und besah sich den Zeichenblock. Er achtete nicht auf die Stifte, die sofort zu Boden fielen und über den Boden rollten.
Und während die Schwester die Stifte wieder einsammelte, blätterte er durch die Zeichnungen.
Dabei wurde seine Miene immer finsterer.

„Morgen früh, noch vor der ersten Medikation, will ich sie sehen!“ brummte er die Schwester an und ging mit dem Zeichenblock unter dem Arm zurück zu seinem Büro.
Die Schwester sah ihm irritiert nach, legte die Stifte wieder sorgsam auf den Stuhl ab und nachdem sie noch einmal einen kurzen Blick in den Raum geworfen hatte, ging auch sie wieder ihrer eigentlichen Arbeit nach und kümmerte sich um die anderen Patienten.


Die Zeit verging wie im Flug, war ihr erster klarer Gedanke.
Sie konnte sich lediglich daran erinnern, dass sie sich über irgendetwas aufgeregt hatte. Sie hatte so wild getobt und geschrien, dass man ihr anstatt der üblichen Pillen gleich noch eine Spritze verpasst hatte. Dabei war man alles andere als sanft mit ihr umgegangen und noch immer schmerzte ihr Arm so, als habe man ihn versucht ihr abzureißen.
Sie hatte sich gerade aufgesetzt, als auch schon ihre Tür aufging. Zwei bullige Herren in mintgrünen Anzügen, die ihrem ein wenig ähnelten, traten ein und zogen sie unsanft auf die Beine.
„Der Doc will dich sehen!“ erklärte einer nur kurz.
Sie antwortete nicht, sondern versuchte mit den beiden Männern schritt zu halten, die sie an den Armen hielten, als hätten sie Angst, dass sie ihnen unterwegs verloren ging.
Jetzt, da sie wieder bei Bewusstsein war, bemerkte sie wie kalt der weiße Steinboden war. Die Schuhe hatte man ihr vor langem schon abgenommen. Im Grunde hatte man ihr lediglich das Shirt und die Hose gelassen. Wohl notwendigerweise, da man nicht wollte, dass sie vollkommen nackt umher ging. Obwohl von umher gehen keine Rede sein konnte, da man sie die meiste Zeit in ihrem Raum einsperrte.
Ihre einzigen Freigänge, wenn man sie den so bezeichnen konnte, waren ihre Therapiebesuche in der Gruppe, bei der jeder sein Problem vortragen sollte und ein jeder irgendeinen Kommentar dazu abgeben konnte. Ob passend oder nicht. Sie selbst hatte irgendwann aufgehört irgendetwas in der Therapiegruppe zu erzählen, nachdem man sie zum dritten oder vierten Mal aus der Sitzung gezerrt und mit Medikamenten ruhig gestellt hatte, da sie die anderen Patienten nur verstöre.
Ihr zweiter Freigang war, wie es eben jetzt der Fall war, wenn einer der Ärzte persönlich mit ihr reden wollte. Allerdings sprach er da nie allein mit ihr. Seit einem Wutausbruch, bei dem sie versucht hatte, den Arzt zu verprügeln, waren immer gleich zwei Pfleger mit im Raum.

Wieder brachte man sie zu Doktor A. Peeker. Sie mochte ihn nicht, was nicht erst seit ihrem Angriff auf Gegenseitigkeit zu beruhen schien.
Doktor Peeker wirkte viel mehr wie ein Anwalt oder vielleicht auch wie ein Buchhalter. Stets in feinen Anzügen und mit gepflegten Haarschnitt. Lediglich wenn er seinen Kittel über gezogen hatte, erkannte man ihn auch als Arzt. Doch dieser hing, wie so oft über der Rückenlehne seines Stuhles.
„Setz dich!“ schimpfte er sogleich. Wie immer war er schlecht gelaunt. Sie hatte ihn noch nie in anderer Stimmung angetroffen.
Unsanft drängten sie die beiden Pfleger auf den Stuhl, der dem Bürostuhl des Doktors gegenüberstand.

Sie wartete. Die beiden Kerle neben sich stehend, konnte sie nichts anderes tun. Und die Zunge war ihr noch ein wenig schwer, nach dem letzten Medikamentencocktail, den man ihr verabreicht hatte.
Doktor Peeker sah auf ein Stück Papier, welches vor sich auf dem Tisch lag, studierte es kurz. Allerdings wirkte es so, als wolle er noch einmal überprüfen, was er ohnehin schon wusste. Es war seine Art, immer die Akten zu studieren, obwohl er sie längst auswendig kannte.
Jetzt da die Medikamente ihre Wirkung verloren hatten und sie wieder klare Gedanken fassen konnte, keimte in ihr die Ungeduld. Sie wollte endlich wissen, weswegen sie nun schon wieder beim Doktor vorgeladen worden war. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass sie außer dem Ausbruch am vergangenen Tag, irgendetwas getan hätte, was ihn dazu veranlasste, sie außerhalb der normalen Treffen zu sehen.

„Was war gestern los?“ wollte er wissen und sah ihr mit bohrendem Blick in die Augen.
Beide hatten sich nun schon so oft gegenüber gesessen, dass sie seine Art und Weise längst kannte und er ihr im Grunde keine Angst mehr machte.
„Nichts!“ kam ihr kaum hörbar über die Lippen. Noch immer fühlte sich ihre Zunge halb taub an und ihr war flau im Magen, da sie neben dem Abendbrot nun auch noch das Frühstück verpasste.
„Nichts?“ wiederholte er grimmig.
„Sie hat versucht mich mit einem ihrer Stift anzugreifen!“ meldete sich einer der Pfleger zu Wort und zeigte auf einen Kratzer am linken Arm.
Sie sah den Mann irritiert an. Daran konnte sie sich gar nicht mehr erinnern.
Dann wanderte ihr Blick wieder zu Doktor Peeker, der über die Aussage des Pflegers keinen Kommentar machte. Er zeigte nicht das geringste Interesse daran.
Sein Blick bohrte sich noch immer in die Augen seines Gegenübers, so als versuche er ihr die Gedanken aus dem Kopf zu ziehen.
„Was war der Grund, für deine Ausbruch!“ wiederholte er langsam und zog unter der Akte, die er zuvor noch studiert hatte, einen Zeichenblock hervor.

Sie wollte nicht antworten. Zum Teil, weil sie sich nicht mehr sicher war, weswegen sie getobt hatte. Zum anderen, war es egal, was sie ihm sagen würde. Er kannte längst ihre Antwort.
„Wir haben darüber geredet!“ Für einen kurzen Moment klang er, als versuche er ruhig auf sie einzureden. So als sei er ein guter Freund.
Nur seine Augen zeigten, dass er alles andere als ihr Freund sein wollte.
Er schlug den Zeichenblock auf und hielt ihn hoch.

Farben. Wild und durcheinander, so als habe man die Stifte ausprobiert.
Und mitten in dem bunten Chaos deutlich ein Gesicht.
Ein junger Mann, mit traurigem Blick.
„Chance!“ kam leise über ihre Lippen.
Dennoch hatte der Doktor sie gehört und sah sie wieder finster an.
„Wer?“ wollte er wissen. Er hatte ihr diese Frage so oft gestellt, dass er längst wusste, wer oder was Chance war. Oder sein sollte.
„Chance Moore, mein Bruder!“ Sie versuchte stark zu klingen, selbst wenn sie noch immer leicht benommen war und vermutlich wie ein schlaftrunkener Alkoholiker nach einer durchzechten Nacht klang.
Doktor Peeker drehte die Zeichnung zu sich, beäugte sie kurz und riss sie aus dem Block.
Mit großem Entsetzten musste sie nun mit ansehen, wie der Arzt das Bild zerknüllte und in den Papierkorb neben seinen Schreibtisch fallen lies.

Sie war aufgesprungen, noch ehe sie sich dessen bewusst war. Aber weit kam sie nicht. Sofort hatten die beiden Pfleger, rechts und links von ihr, sie wieder unsanft auf den Stuhl zurück gedrückt.
Der Doktor hielt ihr die nächste bunte Zeichnung vors Gesicht. Leider nicht nahe genug, sodass sie hätte den Zeichenblock an sich reißen und die Bilder vor ihrer Vernichtung hätte retten können.

Bei jeder Zeichnung, fragte der Arzt, wer oder was auf dem Bild zu sehen war. Und immer wieder, riss er das Bild, nachdem sie geantwortet hatte, aus dem Block und warf es zerknüllt in den Papierkorb.
Die meisten Bilder waren Portraits gewesen. Von Familie und Freunden. Und auch von einigen Fremden, bei denen sie sich noch nicht einmal sicher war, sie jemals getroffen zu haben.

„Das sind alles nur Hirngespinste!“ meinte Doktor Peeker plötzlich. Und auch wenn er nicht das erste Mal ihre Zeichnungen vernichtet hatte und diese nun nicht wirklich ärztliche Meinung verkündete, war sie entsetzt.
„Dein Bruder Chance und all die anderen Leute ...“ begann er, „... sie sind nicht real!“
Auch dies hatte er ihr mehrfach gesagt.
„Es wird Zeit, dass du aufwachst und erkennst, was Wirklichkeit ist!“
Ihr Blick fiel auf das zerknüllte Papier in dem Mülleimer. Noch immer wollte sie die Zeichnung wieder an sich reißen. Doch sie wusste, dass weder der Doktor noch die beiden Kerle neben ihr dies zulassen würde.
„Du bist allein!“
Ihr Blick richtete sich wieder auf den Arzt ihr gegenüber.
„Nein!“ Ihr Mund war schneller als ihr Verstand. Es war nicht das erste Mal, dass er ihr erklärte, dass sie allein war und sich ihre Familie und ihre Freunde nur ausgedacht hatte. Und es war auch nicht das erste Mal, dass sie ihm daraufhin so trotzig antwortete.
„Chance ist real! Er ist mein Bruder!“ fauchte sie ihn an und konnte sofort zwei starke Hände auf ihren Schultern spüren, die sie auf den Stuhl drückten.
„Und meine Freunde sind real!“ Sie wurde lauter.
„Und das hier ...“ sie wies um sich und dann auf ihr Gegenüber, „Das hier ist ein beschissener Alptraum!“
Doktor Peeker sah sie nur finster an. Keine weitere Gemütsregung war zu erkennen.

Dann richtete er sich an die beiden Pfleger.
„Bringt sie zurück in ihr Zimmer! Sie wird ohne ihr Frühstück auskommen müssen!“
Die beiden Männer packten sie wieder unter den Armen und zogen sie vom Stuhl, ehe sie auch nur ein Wort sagen konnte.

„Ich will nach hause!“ schrie sie, während die Pfleger sie über den Flur zurück zu ihrem Zimmer zerrten.
Einige der anderen Patienten sahen ihnen leicht verschlafen und irritiert nach.
„Das ist nicht real!“ wiederholte sie immer wieder und versuchte sich aus dem Klammergriff der beiden Männer zu befreien.
Noch ehe man sie wieder in ihr Zimmer gesperrt hatte, war die Schwester vom Abend aufgetaucht. Wieder hielt sie eine Spritze in der Hand, die man ihr sofort in den Arm stach.
Dann stieß man sie unsanft in das Zimmer, verschloss die Tür und lies sie einfach toben.
Es würde nicht lange dauern und das Beruhigungsmittel würde wieder anschlagen und sie in einen gedankenlosen Zombie verwandeln.

So sehr sie auch gegen die Tür schlug und schrie, es änderte nichts an der Tatsache, dass sie in dem kalten weißen Raum gefangen war.
Und allmählich setzte die Wirkung der Spritze ein.
Ihre Kräfte verließen sie und sie fiel einfach zu Boden.
„Ich will nach hause!“ kam schwach über ihre Lippen und ehe sie wieder ganz in ihrer Geistlosigkeit versank, war es als könne sie noch einmal das traurige Gesicht ihres Bruders sehen.

Doktor Peeker hatte einen Vermerk in der Krankenakte gemacht und griff zum Telefon.
Die Nummer, die er wählte kannte er bereits im Schlaf.
Und noch ehe sich jemand am anderen Ende meldete, gab er einen kurzen Befehl.
„Fangt an!“
Zuletzt geändert von Nikita LaChance am Do 28. Apr 2011, 08:55, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: AT: idct (Version 2)

Beitragvon Nikita LaChance » Di 19. Apr 2011, 09:53

Kapitel II – die Männer in schwarz

Vor wenigen Minuten noch hatte er mit dem Laptop auf seinem Schoß in seinem dunklem Zimmer gesessen und wie ein Verrückter geschrieben. Doch nun war sein Hirn auf einmal wie leer gefegt.
Er hasste es, wenn er mitten im Text steckte, den einen Moment noch voll in seiner Geschichte und dann im nächsten Moment ein totaler Blackout. Nicht nur, dass er dann manchmal nicht mehr seinen Satz zu ende schreiben konnte, da er ihm entfallen war. So wusste er auch nicht, wie er im Grunde weiter schreiben sollte. Und zu seinem Leidwesen konnte sich diese nervige Schreibblockade dann auch gleich noch ziemlich lange, mitunter einige Wochen, hinziehen.

Leise hatte er vor sich hin geflucht, den vorhandenen und unfertigen Text gespeichert und den Laptop zur Seite gestellt. Für ein paar Sekunden hatte er dann in den dunklen Raum gestarrt und angestrengt versucht die letzten Gedanken für seinen Roman wieder zu finden.
Er wusste nicht warum es ihm diesmal so schwer fiel, zu schreiben. Schließlich war es nicht sein erster Roman. Und er hoffte, es würde auch nicht sein letzter sein.
Für ihn war das Schreiben nicht nur zu Obsession geworden. Es war für ihn auch eine Art Therapie. Er konnte seinen Gefühlen in seinen Texten freien Lauf lassen, ohne wirklich befürchten zu müssen, deswegen irgendwie Ärger zu bekommen. Er konnte seine verrückten Ideen einbauen, die in der realen Welt nie funktioniert hätten.
Vermutlich erschienen einige seiner Texte deswegen auch ein wenig autobiografisch. Allerdings würde dies nur wiederum jemanden auffallen, der ihn auch wirklich kannte. Und manchmal war ihm, als kannten ihn nicht viele.

Da ihm noch immer nicht der Text einfiel stand er auf und verließ sein Zimmer.
Er machte sich nicht die Mühe, das Flurlicht an zuschalten. Vorsichtig stieg er die Treppen hinab und konnte, noch ehe er unten angelangt war erkennen, dass er nicht der einzige mit Schlafstörungen war.
Seine Schwester saß in der Küche, ein kleines Teelicht auf dem Tisch vor ihr und eine Tasse Tee in der Hand.
Im Grunde hatte er es auch nicht anders erwartet.
Er brauchte sie nicht fragen, weswegen sie gegen halb fünf am Morgen noch wach war. Oder wieder wach war, wie es vermutlich eher der Fall war.
Während er es von seiner Arbeit in der Bar gewohnt war, bis in die frühen Morgenstunden wach zu sein, hielten sie eher Alpträume lange wach. An manchen Tagen schien sie gerade mal für ein oder zwei Stunden zu schlafen und hatte dann auch dementsprechend dunkle Augenringe.
Er schenkte sich wortlos ebenfalls Tee ein, welchen er frisch gemacht auf der Anrichte vorfand, und setzte sich zu ihr.

„Solltest du nicht auch irgendwann mal schlafen?“ kam von ihr und sie sah ihn müde an. Das Kerzenlicht verpasste ihr noch dunklere Schatten unter den Augen.
„Das gleiche gilt für dich!“ antwortete er nur und nahm einen Schluck.
Grüner Tee, nicht unbedingt seine Lieblingssorte.
Für ein paar Sekunden herrschte Stille zwischen den Beiden. Unheimliche Stille.
Allerdings, was sollten sie erwarten.
Es würde niemand weiteres in die Küche kommen und sie ermahnen endlich schlafen zu gehen.
Sie waren allein im Haus.
Und das nun schon seit über einem Jahr.

„Felice kommt heut gegen zehn vorbei!“ meinte sie über ihre Teetasse hinweg, „Wir sollten vielleicht … ein wenig aufräumen!“
Er zog die Augenbrauen nach oben. Den Besuch seiner Freundin hatte er schon wieder vergessen. Allerdings hatte er, seit er Urlaub genommen hatte, regelrecht die Zeit aus den Augen verloren. Wenn die anderen Häuser in der Nachbarschaft nicht so bunt und leuchtend dekoriert wären, hätte er vermutlich auch vergessen, dass es Weihnachten war.
Oder vielmehr war es nun der erste Tag nach den Weihnachtsfeiertagen.
In ihrem Haus gab es nirgends Weihnachtsschmuck. Beide hatten es nicht übers Herz gebracht auch nur einen kleinen Engel oder dergleichen aufzuhängen.
Es war ihr erstes gemeinsames Weihnachten allein gewesen. Ohne Eltern. Und es fühlte sich irgendwie nicht echt an.
Es hatte auch keine Geschenke gegeben. Nicht einmal Kekse.
„Ihr wolltet einkaufen gehen, oder?“ kam von ihm. Er klang ein wenig belustigt, denn er wusste, dass sie nicht gerne in Einkaufshäusern bummeln ging.
Von ihr kam nur ein „Hmm!“, woraufhin er noch mehr schmunzelte.
„Dann kommst du wenigstens mal wieder unter andere Leute!“ meinte er daraufhin, nahm noch einen Schluck von dem bitteren Tee und kippte den Rest einfach weg.
„Wir sollten uns vielleicht noch eine Mütze Schlaf genehmigen, bevor Felice auftaucht!“ war sein Vorschlag und er ging, ohne auf sie zu warten, wieder hinauf in sein Zimmer.

Noch immer surrte der Laptop auf seinem Bett vor sich hin. Allerdings war ihm bis jetzt nichts mehr eingefallen, was er hätte schreiben können. So speicherte er erneut den Text, machte den Laptop aus und packte ihn auf den ohnehin vollen Schreibtisch. Dass er dabei ein paar Zettel vom Tisch fegte, war ihm im Moment egal.
Er müsste eh noch aufräumen, bevor Felice vorbei käme. Ein paar Zettel mehr auf dem Boden, würden da auch nicht weiter auffallen.


Sie hatte auf einem hohen Gebäude gestanden und den eisig kalten Wind auf ihrer Haut gespürt, der sich beinahe schon wie ein Sturm angefühlt hatte. Ihr Herz hatte so wild geschlagen, als sei sie gerade einen Marathon gelaufen und ängstlich hatte sie sich immer wieder umgesehen.
Nur hatte sie nichts erkennen können. Sie war allein auf dem Dach gewesen und es schien ihr auch niemand gefolgt zu sein.
Sie war dann immer weiter auf die Dachkante zugelaufen und hatte nach unten gesehen.
Alles erschien ihr so friedlich.
Ein letztes Mal hatte sie sich noch umgesehen und es war als hätte sie jemanden bemerkt. Ihm hatte sie ein letztes trauriges Lächeln geschenkt, ehe sie den allerletzten Schritt tat und fiel.
Es war nicht der Sturz oder vielmehr der Sprung gewesen, der sie in Panik versetzt hatte. Auch nicht der bevorstehende Tod. Sie hatte vor irgendetwas anderem Angst gehabt.

Und dann war sie aufgewacht. Schweißgebadet und schwer atmend.
An einen weiteren Schlaf war nicht mehr zu denken.
Es war nicht das erste Mal, dass sie davon träumte, wie sie starb. Oder vielmehr hatte sie immer wieder in einem fremden Körper gesteckt und miterlebt wie der Fremde starb. Mal mehr oder weniger freiwillig, mal nicht.
Im Grunde hatte sie seit frühester Kindheit immer wieder solch finstere Träume. Jemandes Tod zu sehen, war bei weitem nicht das was sie jede Nacht erleben wollte. Sie mochte zwar Horrorfilme, hatte aber nicht vor jede Nacht selbst eine Rolle darin zu spielen.
Danach war sie aufgestanden und hatte sich einen Tee gemacht.
Wenig später war ihr Bruder zu ihr gestoßen. Auch er schlief nicht viel. Allerdings gab er seinem neuen Roman die Schuld, in dem er sich regelrecht fest biss und alles um sich herum vergaß.

Als ihr Bruder wieder gegangen war, hatte sie noch wenige Minuten allein in der Küche gesessen und über ihren Traum nach gedacht. Nicht dass sie wirklich aus ihren Träumen schlau werden würde. Sie hoffte eigentlich nur, dass es nicht wieder einer dieser merkwürdigen Träume war, die wenig später wahr werden würden.
Sie hatte sich wieder schlafen gelegt. Allerdings lies der nächste Alptraum nicht lange auf sich warten, wenngleich sie sich nach dem Aufwachen nicht mehr daran erinnern konnte.
Knapp zwei Stunden hatte sie gerade mal geschlafen und dann beschlossen, den frühen Tag nun doch zu beginnen und was nützliches zu tun.
So hatte sie angefangen ihr Zimmer aufzuräumen. Hatte ihre Bücher und Zeichnungen sortiert und weggepackt, ihre Kleidung ordentlich in den Schrank geräumt und noch einiges anderes Chaos in ihrem Zimmer beseitigt.

Ihr Bruder hatte ebenfalls nicht mehr viel Schlaf gefunden, so schien es. Denn auch er war wenig später auf den Beinen.
„Frühstück?“ fragte er nur kurz, als er an ihrem Zimmer vorbei lief.
Sie hatte sofort alles fallen lassen und war ihm nachgegangen, in Richtung Küche.

Zumindest im frühen Tageslicht wirkte die Küche freundlich. Die beiden hatten es hin bekommen, mehr oder weniger regelmäßig das wenige Geschirr zu spülen und somit verhindert irgendeine merkwürdige Schimmelkultur zu züchten. Auch den Kühlschrank hatten sie weitestgehend immer mal wieder befüllt, so dass sie zumindest nicht verhungern würden.
Beide verbrauchten nicht wirklich viel und wenn es darauf ankam, konnten sie sich auch eine Zeit lang von Instand-Nudeln ernähren, ohne dass es ihnen am dritten Tag zum Hals heraus hing.
„Felice wird sauer sein!“ bemerkte er, während er im Kühlschrank nach etwas fürs Frühstück suchte.
Sie antwortete ihm nicht, nahm sich lediglich eine Tasse des kalten grünen Tees und setzte sich an den Tisch. Ihr war nicht wirklich nach Essen.
Noch immer vermieden beide darüber zu reden, weswegen sie so spät in der Nacht wach gewesen oder warum sie so früh schon wieder auf den Beinen waren. Dafür kannten sie sich zu gut.

Während er ein paar Eier in der Pfanne briet und den Toast zubereitete, den er ebenfalls im Kühlschrank gefunden hatte, beobachtete sie ihn.
Er sah wie immer müde aus. Seine blonden Haare zerzaust und das Gestrüpp in seinem Gesicht konnte man nicht mehr Drei-Tage-Bart nennen. Das graue T-Shirt und die Jogginghose trug er nun schon seit einigen Tagen.
„Wenn sie dich so sieht, wird sie auf alle Fälle sauer sein!“ murmelte sie über ihre Teetasse hinweg und er sah sie verwirrt an.
„Du weißt, dass sie und Ryan nach dem Einkaufsbummel hierher kommen wollen?“ erinnerte sie ihn.
„Bis dahin ist noch ein wenig Zeit!“ bemerkte er nur, rührte in den Eiern herum bereitete das Frühstück fertig zu.

Beide aßen in aller Ruhe. Keiner sagte ein Wort und auch das Radio, welches früher beinahe den ganzen Tag gelaufen war, blieb stumm.
Erst nach dem Essen redeten sie. Allerdings nur um zu klären, wer welche Räume sauber macht und wer diesmal dafür zuständig sei, den Kühlschrank neu zu befüllen.
Und dann waren sie beide wieder getrennt von einander beschäftigt.
Während er nun die Küche putzte und dann untere Bad und dann sein Zimmer aufräumen wollte, brachte sie das Wohnzimmer und dann das Bad in der oberen Etage auf Vordermann. Lediglich ein Zimmer ließen die beiden aus.
Das Zimmer ihrer Eltern, welches sie in der Zeit, seit ihrer Eltern nicht mehr da waren, lediglich zum Saubermachen betreten hatten.

Kurz vor zehn klingelte es an der Haustür. Beide waren soweit mit aufräumen und putzen fertig, dass sie nun ohne Gefahr Gäste ins Haus lassen könnten.
„Du solltest dich noch um das hier kümmern, während ich mit Felice weg bin!“ meinte sie nur und zupfte frech am Bart ihres Bruders. Er hatte es bis jetzt nicht geschafft zu duschen und sich zu rasieren, während sie längst bereit für ihren Ausflug war.
Er rollte nur mit den Augen und konterte dann frech, dass sie viel Spaß bei ihrem Shoppingbummel haben sollte. Er wusste, dass sie Shopping im Grunde hasste und eigentlich nur wegen ihrer Freundin mit ging.
Und diese stand nun auch freudestrahlend vor der Haustür und wartete.


Fast pünktlich um zehn Uhr stand Felice vor der Haustür, bereit für die geplante Flucht vor ihrer Familie, die ihr in den letzten Tagen gehörig den letzten Nerv geraubt hatte, und bereit für eine kleine Shoppingtour.
Die Blondine war bester Laune und begann, gleich nachdem ihre Freundin Cassidy zu ihr hinaus getreten war, von ihrem Weihnachtstag zu erzählen. Wie sich fast alle in ihrer Familie in den Haaren hatten und sich dann wenig später versuchten mit ihren Geschenken zu übertrumpfen oder wie der Weihnachtsbraten durch den Streit, wer ihn schlussendlich anschneiden darf, irgendwann auf dem Boden gelandet war. Zumindest der Teil mit dem Braten schien ein klein wenig übertrieben, wenn auch lustig.

Nach einer Weile, die sie bis zur nächsten Busstation ein paar Straßen weiter gegangen waren, verfiel Felice plötzlich in Schweigen und sah ihre Freundin besorgt an.
Nicht dass Cassidy je viel erzählte. Aber diesmal war sie doch auffällig schweigsam.
„Alles okay bei dir?“ wollte Felice von ihr wissen und sie nickte nur irritiert.
„Du siehst ziemlich fertig aus!“
„Schlecht geschlafen!“ kam nur leise von Cassidy. Das war noch nicht einmal gelogen.
Der Bus kam und beide stiegen ein. Sie hatten Glück und fanden auch zwei nebeneinander liegende Sitze.
„Ich kann dich wecken!“ meinte Felice, gleich nachdem sich Cassidy ans Fenster gesetzt und ihre Wange gegen die kühle Scheibe gepresst hatte.
„Ich bin aber nicht müde!“
„Du siehst aber so aus!“ Es klang ein wenig schnippischer, als es ursprünglich sein sollte.
Cassidy aber ignorierte es und sah nach draußen.

Und irgendwann, während die verschneiten Straßen an ihrem Fenster vorbeizogen, war sie eingenickt.
Stimmen drangen an ihr Ohr. Aber sie konnte weder genau verstehen, was sie sagten, noch wusste sie ob sie die Stimmen im Traum hörte oder ob sie im Bus waren.
Nur knapp zwanzig Minuten später wurde Cassidy von ihrer Freundin geweckt.
„Wir sind gleich da!“ meinte sie nur, woraufhin Cassidy nur nickte.

Kaum aus dem Bus, der sich in der Zwischenzeit stark gefüllt hatte, heraus, standen beide Mädchen vor dem Shoppingcenter.
Ein dreistöckiges Gebäude, größer als eine Lagerhalle und voller verschiedenster Geschäfte. Von Kleidung, über Schuhe, über Bücher, über Lebensmittel bis zu Drogeriewaren und Elektronik. Sogar ein kleiner Tierhandel hatte hier einen kleinen Shop.
Und in den Mittelgängen, zwischen Sitzbänken und einigen kleinen Brunnen, waren einige kleine Stände und eine Art kleiner Straßen-Café.
Cassidy sah sich müde um. Die Fenster der Geschäfte noch geschmückt mit Weihnachtsdekoration und auch von oben, vom Glasdach des Shoppingcenters, hingen riesige rote Schleifen und Weihnachtskugel. Und irgendwo in der Mitte des Centers würde wie jedes Jahr ein riesiger Weihnachtsbaum stehen, der über und über voll mit Weihnachtskugeln behangen war, sodass man die Nadeln des Baumes kaum sehen konnte, dachte sie sich.

Felice schien mehr oder weniger in ihrem Element. Ihre Augen wanderten von einem Geschäft zum anderen, so als würde sie noch nach dem richtigen suchen, bei dem sie beginnen wollte.
Dann aber erhaschte sie etwas auf dem Gang.
„Das ist doch was für dich!“ meinte sie lautstark und ging zu einem der kleinen Stände.
Cassidy war wieder aus ihren müden Gedanken gerissen und ging ihr langsam nach.
Der Stand war voller Dekokram. Elfen, Gnome, kleine Tierfiguren, Drachen und andere Fantasiegestalten.
Doch das, was Felice angezogen hatte, waren die Traumfänger. Alle in unterschiedlichen Größen und Farben.
Felice begutachtete alle Traumfänger, bevor sie einen raus suchte, der fast die Größe des Netzes eines Tennisschlägers hatte und mit grau-weißen Federn und türkisfarbenen Perlen besetzt war. Der erschien ihr genau richtig und sie kaufte ihn.
Doch nicht für sich, wie Cassidy feststellen musste.
„Damit du endlich mal richtig schläfst!“ meinte Felice grinsend und überreichte ihr das nun in einer Plastiktüte verpackte Stück.
Cassidy zog nur beide Augenbrauen hoch.
„Der fängt die schlechten Träume und lässt nur die guten durch!“ erklärte Felice und erhielt ein zustimmendes Nicken von dem Händler, der beide Mädchen neugierig musterte.

Cassidy bedankte sich leise.
„Hoffentlich funktioniert der auch!“ fügte sie noch hinzu, was Felice aber nicht hörte.
Die war schon wieder weiter gegangen.
Diesmal lag ihr Interesse bei einem Schaufenster mit Schmuck.
„Meinst du, ich könnte Chance eine Silberkette schenken?“ wollte sie von Cassidy wissen, die müde neben ihr stand.

Ihre Freundin allerdings antwortete ihr nicht. Für einen kurzen Moment hatte sie noch auf den Traumfänger in ihren Händen geblickt. Doch dann schien sich alles vor ihr aufzulösen.
Und ehe sie auch nur nach Felice rufen konnte, hatte sie jegliche Kraft verlassen und sie sackte einfach zusammen. Sie konnte nicht mehr richtig atmen und ihr Blick schweifte hilflos umher.


Sie konnte ihren Bruder sehen. Wie er sein Zimmer, welches er sich bis zum Schluss aufgehoben hatte, aufräumte und sich ein paar saubere Sachen heraussuchte.
Es konnte nicht viel Zeit vergangen sein, seit sie das Haus verlassen hatte.
Dann war er durch ein Geräusch aufgeschreckt worden. Es klang als hätte jemand die Haustür aufgetreten.
Verwirrt und erschrocken zugleich, hatte er sich den metallenen Baseballschläger, welchen er hinter seiner Zimmertür stehen hatte, geschnappt und schlich sich die Treppe nach unten.
Er konnte drei Männer in schwarzen Anzügen erkennen.
„Merkwürdige Verkleidung für Einbrecher!“ dachte er sich kurz und ging weiter. Er hatte für einen Moment vergessen, wie töricht er sich eigentlich verhielt.
Er wusste weder was die Männer wollten, noch war es überhaupt weise, sich allein gegen Drei stellen zu wollen.

„Was wollt ihr?“ mehr bekam er nicht über die Lippen.
Die Männer sahen sich kurz an, so als würden sie sich so absprechen, was sie als nächstes vor hätten.
Aber keine gab ihm eine Antwort.
Sie schritten näher auf ihn zu. Einer zog eine Waffe hervor. Es musste eine Waffe sein, so wie er den kurzen Stab, oder was auch immer es war, hielt.

„Chance Moore!“ meinte einer der Anzugträger und klag erfreut, „Wir können es einfach oder auch schwer für dich machen!“
Er hatte keine Ahnung woher sie ihn kannten. Er zumindest kannte keinen von ihnen. Und sie waren ihm auch nicht geheuer.
Er holte mit seinem Baseballschläger aus und versuchte einen der Männer damit zu treffen. Doch er schlug lediglich auf einen der merkwürdigen Stäbe.
Nur konnte er dem Mann den Stab nicht aus der Hand schlagen. Vielmehr war es so, dass durch den Treffer auf diese eigenwillige Waffe Strom durch den Baseballschläger gejagt wurde, sodass er ihn fallen lies.

Die drei Männer versuchten ihn nun einzukreisen. Die Tatsache, dass sie nicht sagten, was sie eigentlich von ihm wollten, erschien ihm noch beängstigender, als die Tatsache an sich, dass sie in sein Haus gekommen waren.
Einer von ihnen griff nach ihm und Chance schlug nach dem Mann. Er musste sich irgendwie verteidigen.
Und während er nach dem einen schlug, nutzte der zweite den Moment und drückte Chance die mysteriöse Waffe in die Seite.
Es war nicht der Druck, den man von einem Stock, dem man in die Seite gedrückt bekam, der Chance zusammen zucken lies. Es war viel mehr der Stromstoß der ihm durch den merkwürdigen Stab verpasst wurde. Fühlte sich an, als hätte er einen kräftigen Schlag oder Tritt in die Seite bekommen und dieses Gefühl wollte einfach nicht nachlassen.

„Lasst ihn in Ruhe!“ kam eine Stimme durch die Haustür und noch jemand betrat das Haus. Dieser Jemand stürzte sogleich auf den dritten Mann und versuchte diesen zu überwältigen.
Doch der Mann war schneller und vor allem stärker als sein Angreifer. Ohne große Mühe und vor allem ohne ein Wort, schulterte er seinen Angreifer und warf ihn zu Boden.
Chance versuchte ebenfalls einen Angriff. Allerdings bekam er jedes Mal, wenn er sich einem Mann zuwandt, von dem anderen den Stab in die Seite oder gegen den Arm gerammt und Stromstöße verpasst.
Allmählich fühlte er sich, als stünde er in einem Boxkampf von über zehn Runden. Alles tat ihm weh, selbst das Atmen. Und die Stromstöße machten ihn dößig.

Der Mann, der ihm zu Hilfe kommen wollte, war selbst schwer am Kämpfen. Sein Gegner erwies sich als stärker und merkwürdigerweise auch ruhiger.
Noch immer hatte er nicht diesen Stromstab zu Hilfe genommen. Er kämpfte mit bloßen Händen gegen Chance´s Helfer.
„Du kannst hier nichts tun!“ kam dem Mann über die Lippen und mit einem weiteren Schlag brachte er seinen Angreifer zu Fall. Der allerdings wollte sich gleich wieder aufschwingen, als er mit dem Fuß auf der Brust zu Boden gedrückt wurde.
„Du hättest dich nicht einmischen sollen!“ knurrte der Mann nur und richtete dann seinen Blick auf Chance, der völlig außer Atem war.
„Es kann einfach sein oder schwer!“
Chance wusste weder, was damit gemeint war, noch wollte er sich so einfach in seinem Haus überfallen lassen.
Wieder versuchte er einen Angriff auf die fremden Männer. Und wieder bekam er einen Stromstoß. Und dann einen zweiten.
Und dann gingen die Lichter einfach aus. Der Schmerz zu groß.


„Trägt Chance überhaupt Schmuck?“ wollte Felice wissen und begutachtete die Auslage des Juweliers.
Cassidy antwortete ihr noch immer nicht.
Felice sah zu ihr, wollte schon schimpfen, wie wenig hilfreich Cassidy heute war, als sie ihr Freundin auf dem Boden sitzend sah.
Sie war blass, noch ein wenig blasser als sonst, und sah panisch umher.
„Was ist los?“ wollte Felice gleich wissen und hockte sich hin.
Es dauerte einen Moment, ehe Cassidy ihren Blick auf sie richtete und sie hilflos ansah.
Das hatte nichts mehr mit Müdigkeit zu tun, dachte sich Felice. Irgendetwas stimmte nicht.
„Ich muss nach hause!“ presste Cassidy hervor, „Ich muss Chance helfen!“
„Was ist los?“ wiederholte Felice und wurde allmählich selbst panischer, „Du jagst mir Angst ein!“
Sie hatte schon häufiger mitbekommen, dass Cassidy geistig irgendwo anders war oder dass sie manchmal irgendetwas vorher sagte, was sie unmöglich vorher hätte wissen können. Aber dabei war sie noch nie so blass und vor allem noch nie so verängstigt geworden.

Cassidy suchte mit ihren Augen nach dem Ausgang.
„Ich muss zurück!“ Ihre Stimme war schwach, wenngleich sie in ihren eigenen Ohren schon schmerzhaft laut schien.
Sie wollte wieder aufstehen, doch noch immer schien alle Kraft sie verlassen zu haben.
So blieb sie auf den Boden sitzen, während die Passanten ringsum sie mit finsteren oder besorgten Blicken musterten.
Dann verschwamm alles vor ihren Augen allmählich und verlor seine Farben, bis schlussendlich alles nur noch ein weißes Nichts war. Sie konnte weder sehen noch hören, was um sie herum geschah.

Felice hockte vor ihrer blassen Freundin, die nun gar nicht mehr auf ihre Stimme reagierte und hielt ihre Hand.
„Was soll ich machen?“ Eine Frage an sich selbst und dennoch laut gestellt.
Ihr fiel nur ein, Chance anzurufen oder, wenn Cassidy nicht langsam wieder auf die Beine kam, einen Notarzt.
Felice war mit der Situation mehr als überfordert.
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Re: AT: if dream come true (Version 2)

Beitragvon Nikita LaChance » Do 28. Apr 2011, 08:58

Kapitel III - Hilflos

Gerade noch hatte sie so viele Farben und Geräusche um sich gehabt, dass die nun eingekehrte Stille sie erschreckte.
Sie fand sich auf dem Boden ihres weißen Zimmers wieder. Es war kalt, wie immer, und still.
Mühsam quälte sie sich auf die Beine und hinüber zu ihrem Bett.
Sie wollte sich nicht schlafen legen. Geschlafen hatte sie genug, fand sie.
Und dennoch fühlte sie sich nicht wirklich wach.
Sie griff nach der weißen Decke und legte sie sich um. Aber wärmer wurde ihr damit auch nicht.
Sie wusste nicht, ob das unkontrollierte Zittern ein Resultat ihrer Angst oder vielleicht durch die vielen Medikamente war, die man ihr immer wieder verpasste.

„Therapie!“ rief ein Pfleger, der plötzlich vor ihr aufgetaucht war. Er musste schon einige Minuten versucht haben, sie aus ihren wirren Gedanken zu holen. Er winkte genervt mit der Hand vor ihrem Gesicht herum.
„Komm schon, Mädchen!“ Er musste neu hier auf der Station sein. Alle anderen Pfleger hätten sie einfach mit sich gezerrt.
„Wo ist Chance?“
Der Pfleger sah sie irritiert an.
„Wo ist mein Bruder?“ Ihre Stimme war schwach.
„Ich versteh nicht!“ gab er zu und griff nach ihrem Arm, um ihr aufzuhelfen.
„Ich will zu meinen Bruder! Ich will nach hause!“ Ihr Blick wanderte unruhig umher.
Wäre sie richtig wach gewesen, hätte sie die Unwissenheit des neuen Pflegers ausgenutzt und hätte versucht weg zu rennen.
Nun aber lies sie sich von dem Mann aus ihrem Zimmer bringen. Dabei sah sie sich immer wieder suchend um.

Der Flur war weiß. So wie wahrscheinlich auch jeder andere Raum in der ganzen Klinik.
Nur schien der Flur lebendiger.
Die Patienten waren unterwegs. Einige zu ihren Therapiesitzungen, andere auf dem Weg zum Aufenthaltsraum. Einige waren in Begleitung von Pflegern oder Schwestern.
Cassidy schenkte dem ganzen Treiben keine Aufmerksamkeit. Sie suchte etwas oder vielmehr jemanden. Dabei war sie sich noch nicht einmal sicher, diesen Jemand hier zu finden.
„Das wird auch Zeit!“ Eine bullige Schwester mit schwarzer Kastenbrille auf der Nase, griff nach Cassidy´s Arm. Sie war bei weitem nicht so sanft und vorsichtig wie der Pfleger, der Cassidy los lies und irritiert drein sah.
Die Schwester zog Cassidy mit sich und setzte sie auf einen der Stühle, die man in einem Kreis aufgestellt hatte.
Dass Cassidy eigentlich der erste Patient im Raum war, schien die Schwester nicht zu stören. Doch es dauerte nicht lange und weitere Patienten kamen und nahmen auf den Stühlen Platz.
Der Pfleger, der Cassidy´s Begleiter war, stand hinter ihr. Seine Aufgabe, auch wenn er es nicht verstand, war, auf sie aufzupassen und wenn möglich einzugreifen. Er fühlte sich fehl am Platz, da Cassidy in seinen Augen eigentlich ein kleines harmloses Mädchen war.

Kaum dass alle Patienten auf ihren Stühlen saßen, ging das Geschnatter los. Vermutlich sollte einer nach dem anderen sprechen. Doch so war es eigentlich nur ein wildes Durcheinander. Keiner hörte so recht auf den anderen.
Cassidy und der Pfleger hinter ihr waren die Einzigen, die nicht sprachen. Die anderen Pfleger und die Schwester, die die Sitzung scheinbar leiden sollte, versuchten die anderen Patienten wieder zu beruhigen.
„Wach auf!“
Der Lärm ringsum wurde in ihren Ohren zu einem lauten und nervenden Rauschen. Cassidy achtete nicht auf das, was um sie herum vor sich ging. Sie starrte einfach nur vor sich hin.
„Du musst aufwachen!“ Die Stimme war lauter, als die Geräusche im Raum.
„Wach auf!“ Eine raue und ihr bekannte Stimme.
Cassidy versuchte sich auf die Stimme zu konzentrieren und sah sich langsam um. Sie konnte nicht ausmachen, woher die Stimme kam.
Für einen Moment war sie sich nicht mehr sicher, dass sie überhaupt irgendetwas gehört hatte.

Sie sah sich um und bemerkte erst jetzt, den großen Trubel um sich herum. Die Patienten schienen außer sich und die Pflegekräfte hatten alle Mühe, sie wieder unter Kontrolle zu bekommen.
„Bringt sie wieder zurück in ihre Zimmer!“ rief die Schwester den Pflegern zu.
Wie viel Zeit bis zu dem Tumult vergangen war und wie viel in dieser Sitzung überhaupt gesprochen wurde, hatte Cassidy in ihrem Dämmerzustand nicht mitbekommen.
Doch nun schien sie allmählich wieder wacher und klarer im Kopf zu werden.
„Wo ist mein Bruder?“ Die Frage hatte sie immer wieder gestellt. Bisher allerdings hatte ihr niemand eine Antwort darauf gegeben, die sie zufrieden stellte.
Die Schwester drehte sich kurz zu ihr um und funkelte sie böse an. Dann warf sie dem Pfleger hinter Cassidy einen ersten Blick zu, der ihm zu verstehen gab, dass er das Mädchen wieder in ihr Zimmer zurückbringen sollte.
Der Mann packte Cassidy wieder am Arm und zog sie vorsichtig aus ihrem Stuhl.
Diesmal allerdings nutzte Cassidy ihre Chance und riss sich sofort wieder von dem Pfleger los.
Noch bevor er erneut nach ihr packen konnte, war sie einfach los gerannt. Einfach durch die verstörten Patienten und die Pfleger, die sie zu händeln versuchen.

Auch auf dem Flur war Unruhe zu spüren. Irgendetwas musste passiert sein. Etwas, was Patienten sowie das Personal gleichermaßen beunruhigt hatte.
Cassidy war dies egal. Sie wollte einfach nur weg. Raus aus der merkwürdigen Einrichtung. Weg von dem kalten Weiß und den noch kälteren Ärzten und Schwestern.
„Wach auf!“ Wieder hallte die Stimme in ihrem Kopf wieder.

Vor ihr auf dem Flur tauchte Dr. Peeker auf und an seiner Seite waren drei weitere Pfleger. Doch sie waren nicht hier, um sich ihr in den Weg zu stellen und sie von ihrer Flucht abzuhalten.
Dennoch stoppte Cassidy erschrocken. Aber es waren weniger die Männer vor ihr, die sie beunruhigten.
Dr. Peeker hatte sie noch nicht entdeckt und auch die drei Pfleger waren abgelenkt. Vor ihnen war eine fahrbare Bahre, auf der ein blutiger Körper lag. Sie kamen anscheinend vom Innenhof der Einrichtung und waren vermutlich auf dem Weg zur Krankenstation, oder dergleichen.
Cassidy war es eigentlich egal. Sie wollte einfach nur weg.
Doch noch ehe sie wieder los laufen konnte, hatte Dr. Peeker sie erspäht und der Pfleger, der sich um sie kümmern sollte, hatte sie wieder eingeholt und nutzte ihren unachtsamen Moment aus, um sie zu Boden zu stoßen.
Mit einem Male war der Mann nicht mehr so freundlich und vorsichtig wie zuvor. Er presste Cassidy fest auf den Boden, sodass sie sich nicht mehr rühren konnte, so sehr sie es auch versuchte.
Dr. Peeker trat hinter der Bahre hervor und ging auf Cassidy zu. Er gab den Pflegern keine Anweisungen, dass sie weitergehen und die Bahre mit dem blutigen Körper darauf wegbringen sollten und so sahen sie sich kurz fragend an und dann zu Dr. Peeker.
Dieser ging vor Cassidy in die Hocke, um mit ihr einigermaßen auf Augenhöhe zu kommen.
„Das passiert, wenn man hier versucht weg zu laufen!“ raunte er ihr zu und wies auf die Bahre. Danach winkte er den Pflegern zu, dass sie endlich weiter gehen sollten.
„Hier kommt man nicht so einfach raus! Dass solltest du langsam eingesehen haben!“ bemerkte er und stand wieder auf.
Der Pfleger riss Cassidy unsanft nach oben und hielt ihre Arme so fest, sodass sie weder weg rennen noch irgendetwas anderes tun konnte.
„Wo ist mein Bruder?“ Cassidy lies sich weder von der Tatsache, dass sie festgehalten wurde noch dass man soeben versuchte jemanden, der offensichtlich mehr als nur schwer verletzt war, weg zubringen, beirren. Sie ignorierte auch die Drohung, die Dr. Peeker ihr entgegnet hatte und die noch immer in seinem harten Blick zu sehen war.
„Wo ist Chance?“
Dr. Peeker sah von ihr zu dem Pfleger.
„Bring sie in ihr Zimmer zurück!“ befahl er streng „Sie wird wohl heute wieder kein Essen brauchen!“

Cassidy wusste was das bedeutete. Nicht nur, dass man sie wieder in ihr Zimmer sperren und ihr erneut eine oder zwei Mahlzeiten vorenthalten würde, man würde ihr wieder Beruhigungsmittel verpassen. Und sie würde wieder zum emotionslosen Zombie mutieren.
„Ich will endlich nach hause!“ schrie sie auf ihrem Weg zurück zu ihrem Zimmer. So sehr sie sich auch zu befreien versuchte, es gelang ihr nicht.
Und wie befürchtet wartete in ihrem Zimmer bereits die Schwester mit der Spritze, die sie Cassidy sogleich wie sie ihren Raum betrat, in den Arm stach.
Weder der Pfleger noch die Schwester waren vorsichtig. Es war ihnen egal. Sie wollten Cassidy einfach nur wieder ruhig stellen.
Diesmal wirkte das Mittel schneller. Entweder man hatte die Dosis erneut erhöht oder es wirkte besser, da Cassidy nun schon seit mehr als einen Tag nichts mehr gegessen hatte.
Der Pfleger lies Cassidy wie eine leblose Puppe aufs Bett fallen und verließ mit der Schwester der Raum.

„Sie sollte endlich aufgeben!“ knurrte die Schwester kaum hörbar und verschloss die Tür wieder.
„Aufgeben?“ Der Pfleger war leicht irritiert. Er kannte weder die Station noch das Mädchen und ihre Geschichte.
„Sie fragt immer wieder nach diesem Chance. Dabei müsste sie doch wissen, dass er nicht hier ist!“ meinte sie und ging wieder in Richtung Schwesternzimmer.
Der Flur war wieder ruhig, da man es geschafft hatte, alle Patienten in ihre Zimmer zurückzubringen. Einigen hatte man mit Tabletten zur Ruhe verholfen, andere hatten sich freiwillig wieder zurück gezogen.
„Aber es gibt ihn, oder?“ wollte er wissen und versuchte mit der Schwester Schritt zu halten.
Diese blieb stehen und sah ihn ernst an.
„Du solltest nicht so viele Fragen stellen!“ meinte sie zu ihm, „Es kann schnell passieren, dass du selbst hier landest!“
Der Pfleger schluckte kurz und nickte dann.
„Dr. Peeker wird sie schon unter Kontrolle bekommen!“ war das letzte was die Schwester von sich gab, bevor sich sich ins Schwesternzimmer zurück zog.


„Wach auf!“ Die Stimme war rau, aber sanft.
„Sollten wir nicht doch einen Arzt rufen?“ wollte jemand wissen.
Noch immer war alles in einer Art weißem Nebel gehüllt und auch die Stimmen schienen viel zu weit weg zu sein.
„Cassidy! Bitte!“ Sie erkannte die Stimme ihrer Freundin wieder. Sie klang besorgt.
„Komm schon, mach die Augen auf!“ Sie erkannte die raue Stimme und versuchte sich darauf zu konzentrieren.
Allmählich tauchte sie wieder aus dem weißen Nebel auf und die Stimmen um sie herum wurden wieder lauter. Fast so als hätte man den Filter ausgeschaltet.
„Da bist du ja wieder!“

Cassidy hatte endlich ihre Augen wieder geöffnet, obwohl sie sich selbst nicht einmal bewusst war, dass sie sie geschlossen hatte. Ebenso wenig hatte sie mitbekommen, dass sie vollkommen zusammengebrochen war und auf dem Boden der Einkaufspassage lag.
Felice saß neben ihr und hielt ihre Hand. Noch immer sah sie sehr erschrocken und bedrückt drein.
Cassidy wollte sich aufsetzen, aber jemand hielt sie zurück.
„Vorsichtig!“ Erst jetzt bemerkte sie, dass sie nicht nur Felice bei ihr war.
„Ryan?“
Ein Schmunzeln huschte über sein Gesicht. Dennoch war Besorgnis in seinen blauen Augen zu sehen.
„Geht´s wieder?“ wollte er wissen und half ihr sich hinzusetzen.
Cassidy lief rot an. Die ganze Sache war ihr mehr als peinlich. Nicht nur dass sie vor ihren beiden Freuden zusammengebrochen war, so hatte sie nun auch noch die Aufmerksamkeit einiger ihr unbekannter Menschen erregt, die ihr neugierig entgegen starrten.

Eine ältere Dame, ihrer Kleidung nach zu urteilen, eine Verkäuferin vom Backshop, hielt Cassidy einen Becher Wasser hin.
„Vielleicht sollten sie zu einem Arzt gehen!“ meinte sie besorgt und Cassidy fühlte sich noch schlechter als ohnehin.
Sie nahm den Wasserbecher und starrte irritiert hinein.

„Hey?“
Cassidy zuckte zusammen. Sie wusste, dass sie schon wieder kurz abgedriftet war.
Ryan nahm ihr den Wasserbecher ab und stellte ihn neben sich auf den Boden. Dann strich er ihr die Haare aus dem Gesicht und zwang sie ihn anzusehen.
„Genug jetzt!“ meinte er ernst und wartete auf eine Reaktion von ihr.
Felice sah ihn mit großen Augen an, da sie nicht wusste was gerade vor sich ging.
„Wir sollten dich jetzt lieber nach hause bringen!“ gab Ryan dann zu verstehen und half Cassidy vorsichtig auf die Beine.
Schwindelgefühl überkam sie und sie griff nach seinen Armen.
Für eine kurzen Moment verschwamm wieder alles in einem merkwürdigen Weiß und sie glaubte darin zu ertrinken.

„Cassidy!“ Wieder riss Ryan sie aus ihrem Traum.
Und wieder zwang er sie, ihn anzusehen.
„Du musst dich konzentrieren, okay?“
Cassidy nickte stumm.
„Was … was ist eigentlich los?“ Felice hatte ihre Stimme wiedergefunden, starrte noch immer ungläubig Ryan und Cassidy an und verstand nicht was da gerade passiert war.
„Ich erklär es dir unterwegs! Wir sollten erst mal hier raus!“ meinte Ryan nur zu ihr, „Wir haben für heute genug Aufmerksamkeit erweckt!“
Felice griff ihre Tasche und auch den Beutel mit Cassidy´s Traumfänger und nahm dann Cassidy´s linke Hand, so als hätte sie Angst, dass Cassidy ohne sie weggehen würde.
Ryan packte seine Einkauftüte, die neben ihm gestanden hatte, und warf einen Arm um Cassidy, um sie zu stützen.
Unter anderen Umständen hätte Cassidy wahrscheinlich protestiert, dass sie alleine laufen konnte. Aber im Moment war sie noch immer recht schwach auf den Beinen und mit ihren Gedanken woanders.

Sie bekam kaum mit, dass Felice und Ryan sie zu seinem roten Pick-Up-Truck brachten und sie zwischen sich setzten.
Sie spürte kaum, dass Felice während der Fahrt ihren Arm um sie gelegt hatte und ihr mit der anderen Hand immer wieder über den Kopf strich, so als müsse sie Cassidy beruhigen. Vermutlich aber war es eher so, dass diese Aktion Felice beruhigte, da sie um ihre Freundin besorgt war.
Erst als Ryan in die Straße zu Cassidy´s Haus einbog, schien sie wieder wach zu werden.
„Wir sind zu spät!“ kam leise über Cassidy´s Lippen und ihre Augen wurden immer größer.
„Was meinst du?“ wollte Felice von ihr wissen.
„Wo ist Chance?“ Cassidy starrte auf die Straße vor sich.

„Was...?“ Ryan bremste abrupt. Nicht dass er zu schnell gefahren sei oder dergleichen. Nur ein Polizist versperrte ihm die Fahrbahn und lies ihn nicht weiter fahren.
„Was ist da vorne los?“ wollte Felice gleich wissen.
Cassidy wurde unruhig und machte sich von ihrem Sicherheitsgut los. Sie riss sich von Felice los und versuchte an ihrer Freundin vorbei aus dem Wagen zu steigen.
„Scheiße!“ fluchte Ryan. Er wollte noch nach Cassidy greifen, aber erwischte sie nicht. So machte er sich selbst los und sprang ebenfalls aus dem Wagen.
Felice, noch immer erschrocken, über das was gerade vor sich ging, folgte ihm.

Cassidy war an dem Polizisten, der die Straße versperrte vorbei und auf ihr Haus zu gerannt. Doch sie kam nicht sehr weit.
Vor dem Haus waren weitere Polizisten und auch einige Polizeiwagen, deren Licht die Umgebung blau färbte.
„Sie können hier nicht durch, Miss!“ meinte einer der Männer vor ihr und versuchte sie wieder hinter die Absperrung zu drängen.
Doch Cassidy ignorierte ihn. Sie wollte unbedingt in das Haus.
Ryan und Felice tauchten neben ihr auf und auch sie wollten an den Polizisten vorbei zu dem Haus.
„Sie können hier nicht rein!“ Der Polizist wurde lauter und auch ein wenig genervter.
„Chance … Wo ist Chance?“ war das einzige was Cassidy hervor brachte. Sie sah immer wieder von dem Mann vor sich hinüber zu ihrem Wohnhaus.

„Miss, sie müssen hier weg ...“ Wieder versuchte der Polizist sie zurück zu drängen.
Dann packte sie jemand von hinten an den Armen und hielt sie einfach fest. Cassidy wollte sich losreißen, aber schaffte es nicht.
„Beruhige dich!“ flüsterte ihr jemand ins Ohr und erst jetzt bemerkte sie, dass es Ryan war.
„Aber Chance … er braucht Hilfe!“ flehte sie.
Felice neben ihr wurde immer blasser und sah ihre Freundin schockiert an. Dann starrte sie wieder in Richtung Haus.
„Was … was ist los?“ wollte sie von Cassidy wissen.
„Chance … er ….“ Cassidy brachte keinen Satz mehr zusammen. Tränen liefen ihr übers Gesicht.
Ryan hielt sie fest und versuchte gleichzeitig herauszubekommen, was eigentlich los war.
„Das kann ich ihnen nicht sagen!“ war die strenge Antwort des Polizisten vor ihm, „Sie sollten jetzt wieder von hier verschwinden!“
„Aber sie wohnt hier!“ Ryan wurde etwas lauter und der Mann vor ihm zuckte kurz zusammen.
„Sie können hier trotzdem nicht weiter!“ Der Polizist musterte kurz die drei Gestalten vor sich, so als überlege er, ob er sie nicht vielleicht doch durch lassen sollte.

„Ich will zu Chance!“ bettelte Cassidy und auch Felice jammerte allmählich neben ihr.
Der Polizist wurde unruhiger. Nicht nur, dass nun beide Mädchen heulten, so sah der Kerl vor ihm so aus, als würde er sich jeden Moment den Weg zum Haus durch kämpfen.
„Was ist hier los?“ Alle vier richteten ihren Blick auf den Mann in ziviler Kleidung, der vom Haus zu ihnen herüber kam. Er wirkte recht müde und auch besorgt.
„Der Mann hier behauptet, hier zu wohnen!“ versuchte der Polizist zu erklären.
Dieser nickte nur und kam näher.
Ryan und Cassidy erkannten ihn sogleich und noch bevor Ryan fragen konnte, was eigentlich los sei, hatte Cassidy ihn nach ihrem Bruder gefragt.
„Wir wissen nicht, wo er ist!“ gab er zu und legte eine Hand auf Cassidy´s Schulter.
Sie schüttelte nur ungläubig ihren Kopf und versuchte abermals einen Schritt aufs Haus zuzumachen. Ryan packte sie noch fester und starrte dem Mann vor sich ernst ins Gesicht.
„Ein Nachbar hat bemerkt, wie vier Männer in das Haus eingedrungen sind. Laut seiner Angabe ist es scheinbar zu einem Kampf gekommen ...“ versuchte der Mann zu erklären.
„Oh mein Gott!“ platzte es aus Felice heraus, „Wo ist Chance? Geht´s ihm gut?“
„Nun ...“ begann der Mann, doch Cassidy fiel ihm ins Wort.
„Er ist nicht mehr hier!“ Sie klang dabei so sicher, dass der Polizist und der Mann neben ihm sie mit großen Augen ansahen.
„Er wurde … anscheinend entführt!“
Felice gab ein undefinierbaren Piepser von sich, fast so als hätte sie Schluckauf, und noch mehr Tränen liefen ihr über die Wange.
Cassidy wurde immer blasser und allmählich verliesen sie wieder ihre Kräfte.
„Er … braucht Hilfe!“ flüsterte sie und griff nach Ryan´s Hand.
„Bring sie hier weg!“ gab der Mann Ryan zu verstehen, „Sie kann nicht hier bleiben!“
Ryan wusste nicht, was er sagen sollte und nickte nur.
Er warf seinen Arm um Cassidy´s Taille und drückte sie eng an sich und legte den anderen Arm um Felice´s Schultern. Er führte beide Mädchen wieder zu seinem Wagen zurück.
„Pass auf sie auf!“ rief ihm der Mann nach.
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Beitragvon Nikita LaChance » Fr 6. Mai 2011, 09:10

Kapitel IV - Träume

Auf der kurzen Fahrt zu Ryan´s Haus hatte keiner der drei auch nur ein Wort gesagt. Cassidy saß geistesabwesend zwischen ihren beiden Freunden und starrte auf die Straße vor sich. Felice versuchte immer wieder Chance auf dem Handy zu erreichen. Doch immer hörte sie nur ein merkwürdiges Rauschen am anderen Ende der Leitung und dann brach der Empfang ganz ab.
Ryan wohnte nur zwei Straßen weiter und sein Haus war kleiner als das von Chance und Cassidy. Allerdings wohnte er nun schon seit mehr als zehn Jahren allein darin. Nur gelegentlich hatte er mal eine Freundin, die für einige Zeit Bett und Tisch mit ihm teilte. Allerdings war auch dies nun schon einige Jahre her.
Felice war erst zwei Mal bei Ryan zu Besuch gewesen und beide Male war sie dabei in Begleitung von Chance und Cassidy gewesen. Es war nicht so, dass Felice Ryan nicht mochte. Er war in ihren Augen eigentlich ein netter und lustiger Kerl, wenn er wollte. Aber es war seine für sie oft eigenwillige Art und sein Geschmack was die Einrichtung, Musik und seine Ordnung anging, die ihr nicht so sehr gefiel. Allerdings konnte sie nicht von ihm erwarten, dass er sich nur wegen ihr ändert und öfters mal das Haus aufräumt oder reinigt.

Das erste was Felice gleich nach Betreten des Hauses bemerkte, war der Geruch nach Hund, der noch in der Luft war. Ebenso wie der Duft nach Pizza und altem Bier. Sie beachtete nicht den Stapel alter Zeitung neben der Eingangstür oder den Korb mit den leeren Flaschen daneben. Zumindest versuchte sie es.
Ryan führte Cassidy, die noch immer mit ihren Gedanken woanders zu sein schien, ins Wohnzimmer und setzte sie auf die Couch.
Felice hatte ihre Einkauftüten im Flur abgestellt und war ihnen gefolgt. Sie sah immer wieder zwischen beiden hin und her, so als erwarte sie eine Erklärung von ihnen. Doch keiner sprach.
Ryan ging kurz in in sein Schlafzimmer und kehrte dann mit einer Decke zurück, die er Cassidy um die Schultern legte.

„Was ist mit ihr?“ wollte Felice wissen und Ryan sah sie kurz an, so als hätte er vergessen, dass sie eigentlich auch noch im Raum war.
Ryan richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das Mädchen vor sich und strich ihr die Haare aus dem Gesicht.
„Cassidy!“ Er klang besorgt.
Felice kam näher. Noch immer verstand sie nicht was vor sich ging. Und noch mehr bedrückte sie, dass sie nicht wusste, was mit ihrem Freund war. Oder wo er war.
„Cassidy!“ wiederholte er, „Was ist passiert?“
Cassidy blinzelte kurz und schien allmählich wieder aus ihrer Apathie heraus zu kommen.
„Sie ist einfach im Kaufhaus zusammen gebrochen und ich ...“ versuchte Felice zu erklären, doch Ryan schüttelte nur den Kopf, ohne überhaupt zu ihr zu sehen.
Er hockte vor Cassidy und hatte ihre Hände gegriffen.
„Was ist mit Chance passiert?“ fragte er sie leise.
Felice wollte bereits protestieren, dass sie nicht wissen könne, was passiert war, als Cassidy Ryan kaum hörbar antwortete:
„Er wurde angegriffen und dann … dann haben sie ihn mitgenommen!“
Felice starrte ihre Freundin mit großen Augen an. Gänsehaut lief ihr über den Körper und sie hatte das Gefühl als hätte man ihr soeben den Boden unter den Füßen weggezogen.
„Woher … woher willst du das wissen?“ kam irritiert von ihr.
Cassidy richtete ihren Blick auf sie und schien kurz zu überlegen, was sie ihr antworten sollte.
„Ich hab es … gesehen!“ gab sie schlussendlich zu, wobei sie zu Boden sah.
Sie fühlte sich mit einem Mal wieder müde. So müde wie kurz zuvor im Kaufhaus.
„Ich versteh nicht … Wie …?“ Felice musste sich setzen. Sie ignorierte die zusammengeknüllten Shirts auf dem alten Sessel und lies sich darauf fallen.
Cassidy war wieder still geworden. Entweder wollte sie nicht antworten oder sie war schon wieder in ihrer Gedankenwelt verloren.
Ryan wartete einen Moment und drückte kurz Cassidy´s Hand, um ihre Aufmerksamkeit wieder zu bekommen. Sie sah ihn müde an. Tränen hatten sich erneut in ihren Augen gesammelt.

„Sie weiß es einfach!“ meinte er und stand wieder auf.
„Wie kann sie das wissen?“ Felice klang ein wenig wie ein kleines Kind, was immer wieder mit neuen Fragen ankam, „Wieso sagt sie, dass sie es gesehen hat? Sie war doch nicht da!“
Ryan holte kurz tief Luft und strich sich durch die langen Haare.
„Verdammt!“ knurrte er lautstark und beide Mädchen zuckten kurz zusammen und sahen ihn erschrocken an.
„Sie … träumt manchmal von Sachen, die passieren!“ versuchte er zu erklären.
Cassidy´s Blick wanderte von ihm zu ihrer Freundin, die sie ungläubig musterte, bevor sie mit ihrer nächsten Frage kam.
„Träumt?“ Felice schüttelte ungläubig den Kopf, „Wie?“
Ryan rollte genervt mit den Augen. Das war nicht seine Stärke. Er hasste es irgendetwas groß erklären zu müssen, vor allem wenn es etwas war, von dem er sich sicher war, dass sie niemand so recht verstand. Im Grunde verstand er die ganze Sache noch nicht einmal.
„Cassidy hat öfters solche merkwürdigen Träume und manchmal werden sie wahr!“ Er warf Felice einen Blick zu, der sie bedeutete, keine weiteren Fragen zu stellen.
Allerdings hielt sie sich nicht an die unausgesprochene Bitte.
„Ich weiß nicht, wieso sie solche Träume hat und ich weiß auch nicht wie das ganze funktioniert!“ brummte er genervt, „Ich weiß nur, dass es nicht unbedingt angenehm für sie ist!“
Cassidy sah wieder vor sich auf den Boden, so als versuche sie so den bohrenden Blicken ihrer Freundin zu entgehen.
Felice wusste nicht so recht, wie sie auf diese Neuigkeit reagieren sollte. Einerseits glaubte sie nicht so recht an die Geschichte mit Vorhersagen und andererseits war sie ein wenig verärgert, dass Cassidy ihr diese sonderbare Gabe vorenthalten hatte.

„Dann … wusste sie vorher, dass Chance entführt wird?“ war sogleich ihre nächste Frage.
Ryan schien nun immer mehr die Geduld zu verlieren.
„Hör zu. Cassidy kann weder vorherbestimmen was sie träumt, noch wann und ob diese Träume wahr werden!“ versuchte er Cassidy zu verteidigen.
„Ich hab es nicht vorher gesehen!“ kam leise von Cassidy und die Augen ihrer Freunde richteten sich sofort auf sie.
„Ich hatte heute früh nur ein komisches Gefühl.“
„Wie?“ Felice hatte ihre Freundin kaum verstanden.
„Was passiert hab ich erst gesehen, als es passierte.“
Ryan sah sie ungläubig an.
Auch Felice schien ihr nicht so recht zu glauben.
„Hätte ich es gewusst, hätte ich versucht es zu verhindern!“ murmelte Cassidy und zog die Decke noch enger um sich zusammen.
Felice wollte erneut Fragen stellen, als ihr Handy klingelte. Für einen Moment glaubte sie, dass es womöglich Chance sei, um ihr zu sagen, dass es ihm gut ginge.
Aber er war es nicht.
Noch ehe sie einen Ton ins Handy gesagt hatte, wurde sie erst blasser und dann rot im Gesicht.

„Mom!“ versuchte sie der lauten Stimme am anderen Ende dazwischen zu reden, „Nein, mir geht es gut!“
Doch allen Anschein nach, war die Mutter der anderen Meinung. Und auch wenn Cassidy und Ryan es nicht wirklich wollten, so konnten sie doch das ganze Gespräch mitverfolgen, so laut sprach Felice´s Mutter.
„Du kommst sofort nach hause! Es ist viel zu gefährlich ...“ schimpfte die Mutter.
„Ich bin aber hier bei Ryan und Cassidy und ...“
Weiter kam Felice nicht. Ihre Mutter forderte, dass sie sofort nach hause kam. Dort würde es besser und vor allem sicherer zu sein, als bei einem ihr Fremden.
Natürlich kannte ihre Mutter Ryan und auch Cassidy. Schließlich wohnten sie alle in der selben Nachbarschaft. Aber es war vielmehr so, dass Felice´s Mutter die beiden und Chance nicht mochte und deshalb nicht als Felice´s Freunde tolerierte.
„Du kommst sofort nach hause oder ich lasse dich von einem der Cops abholen!“ schrie die Mutter durchs Telefon.
Felice wusste, dass ihre Mutter ihren Worten Taten folgen lassen würde und das würde weitaus unangenehmer werden, als es sich im Moment anhörte.
Noch einmal warnte ihre Mutter sie, sogleich nach hause zu kommen und legte dann auf.
Felice starrte einige Sekunden ungläubig auf das Handy und richtete dann ihren Blick auf ihre beiden Freunde.
„Ich … ähm ...“ Sie wusste nicht was sie sagen sollte.
Dann stand sie auf, machte ein paar Schritte in Richtung Tür und stoppte dann wieder. Unschlüssig, ob sie gehen oder bleiben sollte. Vor allem wollte sie wissen, ob Cassidy vielleicht mehr über Chance´s Verbleib wusste.
„Ich … ähm ...“ begann sie erneut, „Ich bleibe nicht lange!“
Ryan nickte nur. Er wusste, was für eine herrische Frau Felice´s Mutter sein konnte.
„Ich bin … gleich wieder da!“ meinte sie und machte wieder einen Schritt weiter auf die Tür zu.
Und hielt dann wieder inne.
Ihren Blick auf Cassidy gerichtet, die sie fragend ansah, meinte sie schlussendlich:
„Wir finden ihn! Zusammen!“
Cassidy nickte nur. Wie sollte sie sonst reagieren? Sie wollte ihren Bruder unbedingt wieder finden.
Felice packte ihre Tüten und verließ das Haus.
Sie musste nur drei Häuser weiter gehen und war daheim. Bei ihren Eltern und ihren Verwandten, die noch immer zu Besuch waren. Natürlich alle in heller Aufregung, da die Polizei noch immer ganz in ihrer Nähe einen Tatort untersuchte. Da niemand so recht wusste, was wirklich geschehen war, war die Aufregung noch größer.


„Verdammte Scheiße!“
Er war so schnell gerannt wie er nur konnte und doch war er zu spät gekommen.
Im Grunde wusste er nicht so recht, warum er überhaupt hier war. Er wohnte weder in der Straße noch kannte er jemanden hier. Jedenfalls nicht wirklich.
Finster starrte er auf die Polizeiwagen und das Treiben rund um das zweistöckige Einfamilienhaus.
Er war nicht der einzige, der den Polizisten bei der Arbeit zusah. Aber er war bei weitem der Auffälligste unter ihnen.
Seine Jeanshose war ausgebleicht und an einigen Stellen zerschlissen, sein schwarzes Shirt ein wenig löchrig und seine schwarze Lederjacke war ebenfalls schon ein wenig älter. Auffälliger als seine abgetragene Kleidung waren allerdings seine Haare. An den Seiten kurz und dunkelblond und in der Mitte zu einem knapp zehn Zentimeter hoher Irokesen gestylt.
Er passte so gar nicht in die Gegend. Doch niemand schien ihn zu bemerken.
Daher versuchte er sein Glück und hoffte näher an das Haus heranschleichen zu können, ohne dass ihn jemand aufhielt.
Allerdings kam er nicht sehr weit.
Gerade als er die erste Polizeisperre passiert hat, ohne dass ihm der Officier überhaupt seine Aufmerksamkeit schenkte, kam ihm ein älterer und müde drein blickender Mann entgegen.
Er war zivil gekleidet, trug ab versteckt an seinem Gürtel eine Dienstmarke, die unter seiner Jacke hervor blinzelte.

„Was willst du hier?“ wollte der Mann wissen und stellte sich ihm in den Weg.
„Das selbe könnte ich dich auch fragen, Ryker!“ knurrte der jüngere den Polizisten vor sich an.
Der Mann überlegte kurz und sah sich um.
„Du hast hier nichts zu suchen!“ gab er dann zu verstehen, „Wenn sie dich erwischen, könntest du ziemliche Probleme bekommen!“
Der Mann mit dem Irokesen zuckte nur mit den Schultern und sah sich um.
„Wo sind sie hin?“ wollte er dann wissen.
„Das sollte nicht dein Problem sein, Lennox! Verschwinde lieber von hier!“
„Du wusstest es vorher, oder?“ Es war vielmehr eine Feststellung als eine Frage, die Lennox, der Mann mit den blauen Haaren, machte.
„Verschwinde lieber!“ Ryker wurde allmählich zorniger und er machte einen weiteren Schritt auf den anderen zu.
Dieser musterte ihn noch einmal mit finsteren Blick und drehte sich dann um.
„Du wusstest es und hast es nicht verhindert! Und nun jammerst du, dass du versagt hast! Nicht wahr?“ spottete Lennox.
Ryker wusste nicht wie er reagieren sollte. Einerseits wollte er sich die Unterstellung nicht bieten lassen, andererseits wollte er sich allerdings nicht auf den Streit mit dem anderen Mann einlassen.
„Bei wie vielen willst du noch versagen?“
„Was willst du überhaupt hier? Die ganze Sache hier geht dich nichts an!“ knurrte Ryker zurück.
Ein kurzes Schmunzeln trat in das Gesicht des jüngeren.
„Ich werd nicht tatenlos daneben stehen!“ gab er nur zur Antwort. Er sah sich noch einmal um, wobei er etwas länger in die Richtung der gegenüberliegenden Straßenseite blickte und sein Blick finsterer wurde, und dann ging er wieder.

Ryker starrte dem Mann eine Weile nach, ehe auch sein Blick auf die gegenüberliegende Straßenseite fiel. Für einen kurzen Moment glaubte er, dort einen Mann in einem schwarzen Anzug gesehen zu haben.
„Haben sie was gefunden?“
Ryker wurde aus den Gedanken gerissen. Die Geräusche um ihn herum wurden wieder lauter und das Bild wieder klarer, so als hätte er von analogen Fernsehbild auf digitales umgeschaltet.
Neben ihm stand ein uniformierter Officer und sah ihn fragend an.
„Nein! Ich dachte, ich hätte jemanden gesehen!“ gab Ryker zu verstehen.
„Wir haben ein paar merkwürdige Briefe und so was gefunden!“ gab der Officer dann zu verstehen und Ryker fragte sich, warum der Mann ihn vorher gefragt hatte, ob er etwas entdeckt hätte.
„Was meinen sie mit merkwürdig?“ wollte Ryker wissen und folgte dem Officer zurück ins Haus.
„Anscheinend war dieser Chance nicht ganz klar im Kopf!“ meinte der Officer und bereute sogleich, was er gesagt hatte.
Ryker ignorierte die Aussage. Er wusste, dass er früher und später noch mit Cassidy und ihren Freunden sprechen musste. Er hoffte nur, dass er nicht noch mehr negative Nachrichten überbringen müsste.


„Warum hast du sie angelogen?“ wollte Ryan wissen. Er hatte ein Glas Wasser aus der Küche geholt, vor Cassidy´s Nase gestellt und sich dann ihr gegenüber gesetzt.
Sie sah ihm etwas hilflos in die Augen.
„Du hast es vorher gesehen, oder?“
Sie nickte nur.
„Ich hab nur gehofft, dass es nicht passiert!“ gab sie dann leise zu.
„Und gab es da noch mehr?“
„Ich weiß nicht!“ Cassidy hatte nicht wirklich eine Antwort darauf.
„Felice wusste nichts von deiner Fähigkeit. Wieso? Sie ist doch deine beste Freundin!“ Ryan klang ein wenig vorwurfsvoll.
„Ich hab es versucht!“ antwortete sie und sah wieder zu Boden, „Das war kurz bevor ihre Oma gestorben war. Als ich es gesehen hab, wollt ich es ihr sagen. Aber sie hat mir nicht geglaubt.“
Ryan sah sie irritiert an.
„Und dann … Ich wollt es ihr öfters sagen.“
Sie verstummte kurz.
„Toll!“ knurrte er und fuhr sich durch die Haare, „Du hast sie trotzdem angelogen!“
„Niemand glaubt mir!“ kam leise von ihr, „Nicht mal meine Eltern haben es geglaubt!“
Ryan stand auf und setzte sich neben sie.
„Ich wollte diese dumme Fähigkeit nie haben! Ich weiß doch nie wann der ganze Mist passiert!“ schimpfte Cassidy und wieder stiegen ihr Tränen in die Augen.
„Was hast du noch gesehen?“ wollte er wissen und legte seinen Arm um sie.
„Es wird immer schlimmer!“ flüsterte sie nur, „Manchmal weiß ich nicht mehr, was Wirklichkeit ist und was Traum!“

„Das hier ist die Wirklichkeit!“ erklärte ihr Ryan.
„Woher willst du das wissen?“ war ihre Frage, die sie nicht aussprach.
„Du musst einfach nur daran denken, was real ist! Zaubern und Fliegen ist nicht real! Das hier ...“ Er wies auf den Raum vor sich, „Das hier ist echt! Deine Freunde und dein Bruder sind echt!“
Sie antwortete nicht darauf.
In Gedanken war sie schon wieder bei dem sonderbaren Traum, den sie nun beinahe jede Nacht hatte.
Er war schlimmer als alle anderen Träume.
Nur wusste sie nicht wirklich, ob es ein Traum war.

Vielleicht waren ihr Bruder, Ryan und Felice nicht real. Und das, was sie als Traum vermutete Realität?
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Re: AT: if dream come true (Version 2)

Beitragvon Nikita LaChance » Fr 13. Mai 2011, 11:25

Kapitel V – Gefangen

Als Cassidy ihre Augen öffnete, erschrak sie für einen kurzen Moment. Sie wusste nicht, wie lange sie geschlafen hatte.
Sie wusste, was sie noch kurz zuvor gesehen hatte oder wo sie gewesen war.
Eindeutig nicht hier!
Nicht in dem sterilen weißen Raum. Nicht in den weißen Sachen. Und vor allem war sie nicht allein gewesen.
Ryan war bei ihr gewesen. Zusammen hatten sie bei ihm auf der Couch gesessen und er hatte sie versucht zu trösten, dass ihr Bruder Chance recht bald wieder zu hause sei.
Irgendwann war sie dann neben ihm eingedöst.
Glaubte sie zumindest!
Und wenn dem nicht so war? Warum hatte sie noch den Geruch von altem Bier und Pizza deutlich in der Nase? Und warum hatte sie das Gefühl, noch die Wärme von Ryan, der sie an sich gedrückt hatte, zu spüren?

„Schön, dass du wieder wach bist!“
Cassidy wurde aus ihren Gedanken gerissen.
Vor ihr stand eine hochgewachsene Blondine in einem feinen Businessanzug. Die Frau wirkte ein wenig wie eine Anwältin oder vielleicht auch wie eine Vertreterin für Pharmaartikel, was vermutlich viel eher in diese Einrichtung passte.
Allerdings was sollte sie dann von Cassidy.
„Ich wollte mal sehen, wie es dir geht!“ meinte die Frau, sah sich in dem weißen Raum um und steuerte dann auf den Stuhl zu.
Sie zog den Stuhl näher zu Cassidy heran und setzte sich, sodass die beiden sich gegenüber saßen und anstarrten.
Cassidy wartete noch immer darauf, zu erfahren wer die Frau war und was sie wirklich von ihr wollte.
„Dr. Peeker war der Meinung, dass ich mein Glück mit dir versuchen sollte!“ erklärte sie.
„Womit?“ wollte Cassidy wissen und musterte die Frau erneut.
Die Frau überlegte kurz und holte ein Aufnahmegerät aus ihrer Jackentasche. Sie hielt es kurz sichtbar hoch und schaltete es dann an.

„Mein Name ist Morgan Riviera!“ stellte sie sich endlich vor, „Ich bin neu hier in der Einrichtung und Dr. Peeker denkt, dass du vielleicht heute lieber mit mir als mit ihm reden willst!“
Cassidy sah sie misstrauisch an. Nicht nur, dass sie bisher noch nie mit einem anderen Arzt als Dr. Peeker oder in ihrer Therapiegruppe mit den Schwestern geredet hatte, so war es doch ungewöhnlich dass eine völlig Fremde sich nun um sie kümmern sollte.
„Erzähl mir einfach alles. Ich werde dir zuhören!“ versprach Morgan und lächelte freundlich. Zumindest sollte es freundlich wirken. Allerdings hatte Cassidy gelernt, dass ein freundlich aussehendes Lächeln bei weitem nicht bedeutete, dass der Mensch hinter dem Lächeln alles andere als nett war.
Cassidy wartete. Sie wollte weder mit der Fremden reden noch hatte sie große Hoffnung, dass es an ihrer gegenwärtigen Situation irgendwas ändern würde.
Morgan sah sie eindringlich an. Und nach wenigen Minuten Schweigen von beiden, war es mit ihrer Geduld vorbei.
„Wenn du so stur bleibst, wird es nicht besser werden!“ meinte sie. Das freundliche Lächeln verschwunden.
„Was soll schon besser werden? Die Lügen oder vielleicht der Medikamentencocktail?“ spottete Cassidy und musterte die Frau vor sich erneut.
Morgan schaltete das Aufnahmegerät ab und sah kurz darauf, als überlege sie, warum sie es überhaupt dabei hätte.

„Das, was du als Wahrheit glaubst,“ fing Morgan plötzlich an, „ist die Lüge!“
Cassidy hatte nicht viel erwartet. Natürlich waren alle der gleichen Meinung. Cassidy sei geistig gestört und habe sich eine fremde Welt zusammen gesponnen.
„Was soll das für eine Wahrheit sein?“ Cassidy wusste nicht, wie weit sie bei Morgan gehen konnte. Sie hatte schon ein oder zwei der Krankenschwestern soweit gehabt, dass sie ihr vertrauten und sie netter behandelten oder sie nicht die ganze Zeit im Auge behielten. Das hatte Cassidy natürlich auch zu nutzen gewusst und hatte versucht aus der Einrichtung auszubrechen.
Doch immer wieder hatte man sie geschnappt, noch ehe sie einen Ausgang gefunden hatte.
Manchmal erschien es ihr, als gäbe es keinen Ausgang. Im Grunde wusste sie noch nicht einmal wo genau die Einrichtung war.
Vielleicht gab es ja nichts anderes.
Cassidy wollte es nun bei Morgan probieren. Morgan kannte ihre kleinen Tricks noch nicht und mit viel Glück könnte Cassidy einen erneuten Versuch zur Flucht starten. Allerdings kannte Cassidy auch Morgan nicht und wusste daher nicht, womit die Frau aufwarten könnte, um sie aufzuhalten.
Zumindest hatte Morgan keine Beruhigungsspritze bei sich. Und es war auch kein Pfleger im Raum, der Cassidy zurückhalten könnte.

„Du bist nun schon seit deinem siebenden Lebensjahr hier!“ begann Morgan zu erzählen, „Zuvor warst du von einer Pflegefamilie zur nächsten gereicht worden.“
Cassidy´s Miene verfinsterte sich.
„Du warst ein Problemkind!“
Selbst wenn dies stimmen sollte, so fand Cassidy selbst, war das noch lange kein Grund sie in eine psychiatrische Einrichtung zu stecken.
„Die ganze Zeit ...“ Morgan machte eine Pause, als genieße sie es, Cassidy ihre Lebensgeschichte vorzutragen. „... Die ganze Zeit erzählst du immer wieder von deiner Familie!“
„Halten sie den Mund!“ platzte es aus Cassidy heraus. Sie wusste, was sie als nächstes zu hören bekäme.
„Nur du hast keine Familie mehr!“ Morgan´s Lächeln war wieder da. Allerdings nicht so freundlich wie zuvor.
„Du bist allein!“
Cassidy sprang auf und wollte schon auf Morgan zu, als die Tür aufsprang und zwei Pfleger in den Raum stürzten. Erschrocken blieb Cassidy wie angewurzelt stehen, wie auch die beiden Pfleger.
Morgan allerdings erhob sich mit siegreichem Grinsen im Gesicht und spazierte in Richtung Tür.
„Kindchen, du solltest dich langsam ergeben! Ertrage diese Wahrheit!“ meinte sie im Gehen, „Es ist besser als dein restliches Leben hier zu verbringen!“
Damit verschwand Morgan und die beiden Pfleger verließen wieder den Raum.

Cassidy hatte nicht nur ihre Chance auf einen weiteren Fluchtversuch verpasst, selbst wenn sie im Nachhinein wusste, dass er zum Scheitern verurteilt war. Sie hatte sich auch von der Fremden provozieren lassen.
Sie lies sich wieder auf ihr Bett fallen und starrte verärgert auf den Boden zu ihren Füßen.
Sie wollte es nicht wahrhaben.
Keine Familie? Keine Freunde? Ein Leben in der Psychiatrie?
Es durfte einfach nicht wahr sein!
Sie hoffte es.


Ryker beherrschte den Wechsel zwischen den beiden Welten nun so gut, dass er es manchmal nicht wirklich mitbekam. Es waren nur winzig kleine Details, die ihm zeigten, wann er in der Realität war und wann nicht.
Als sein Handy klingelte, war er sich im ersten Moment nicht sicher, ob dies gerade wirklich passierte oder er mal wieder träumte.
Vor allem als er den Namen auf dem Display erkannte.
„Laramie?“ fragte er mit gedämpfter Stimme.
„Sie sind dem Mädchen auf der Spur!“ kam im brummigen Ton zurück.
„Sie ist bei ihrem Freund!“ erklärte Ryker nur.
Sein Gesprächspartner allerdings war ganz anderer Meinung.
„Du solltest sie da raus holen und verstecken!“
Ryker verstand nicht was genau Laramie damit meinte. Allerdings hatte der andere längst aufgelegt, bevor er ihn danach fragen konnte.
„Toll!“ seufzte Ryker nur, legte ebenfalls auf und rieb sich müde die Augen.
Es war zu viel passiert.
Erst war er zu einem Einsatz gerufen worden, bei dem ein Mann, den er auch noch gut kannte, scheinbar entführt worden war. Und danach hatte er einen alten Bekannten wieder getroffen, von dem er nicht erwartet hatte, ihn genau beim Haus des Entführten wieder zu sehen. Und nun erklärte ihm sein alter Bekannter, dass die Schwester des Entführten nun auch noch in Schwierigkeiten sei, ohne jedoch genau zu erzählen wie oder warum.

Er überlegte kurz, ob er einfach bei dem Mädchen oder dem Freund, bei dem sie eigentlich noch stecken sollte, anrufen sollte. Nur um sicherzugehen, dass es ihr gut ging und Laramie übertrieben hätte.
Allerdings wusste er, dass Laramie nie übertrieb oder überhaupt irgendwie scherzte.
Und irgendetwas sagte ihm, dass etwas nicht stimmte.
Er schnappte sich seine Wagenschlüssel und beschloss einfach vorbei zu fahren.
Nur zur Sicherheit. Und mit viel Glück wusste sie ja etwas über die Entführung ihres Bruders.


Ryan war auf der Couch eingedöst und als er wieder aufwachte, war es in seinem Haus dunkel und ruhig. Nicht das er erwartet hatte, dass irgendwer plötzlich eine Party in seinem Haus schmiss oder sich von allein der Fernseher oder das Radio eingeschaltet hätte.
Er hatte jedenfalls nicht erwartet allein zu sein.
„Cas? Cassie?“
Er streckte sich und rief erneut nach ihr.
Sie hatte neben ihm auf der Couch gesessen, die Beine auf der Sitzfläche. Er hatte sie fest im Arm gehalten, weswegen sie eigentlich regelrecht an seine Seite gepresst war.
„Cassie?“ rief er erneut.
Die Decke, die er ihr umgelegt hatte, lag noch immer auf der Couch. An der Stelle, wo sie zuvor noch gesessen hatte. Sogar ihre Schuhe standen noch da, wo sie sie abgestellt hatte. Und ihre Jacke lag auf dem Sessel.
Alles war da, wo es war, bevor er eingedöst war. Nur Cassidy war verschwunden.
Ihm war unklar, wie sie aus seiner Umarmung hatte verschwinden können, ohne dass er aufgewacht war. So tief konnte er doch nicht geschlafen haben.
Und selbst wenn sie gegangen war, warum waren dann noch ihre Schuhe da und ihre Jacke?

Ryan lief noch einmal alle Räume ab.
Allmählich bekam er Panik. Er verstand nicht, wie sie einfach verschwinden konnte und vor allem warum.
Er wählte Cassidy´s Nummer. Allerdings klingelte das Handy in ihrer Jacke.
So rief er Felice an, in der Hoffnung, dass Cassidy, wie auch immer, vielleicht zu ihr gegangen sei.
Nur war Cassidy weder bei Felice, noch wusste sie wo ihre Freundin stecken könnte
Ryan fluchte lautstark, sodass Felice ihn kurz zurecht stutzen musste, nicht so ins Handy zu schreien.
„Ich werd zu ihrem Haus rüber fahren. Vielleicht ist sie da!“
Felice wollte mitkommen, selbst wenn sie somit den Ärger ihrer Mutter auf sich ziehen würde.
Allerdings wollte Ryan nicht, dass sie mit kam.
„Bleib du wo du bist. Vielleicht kommt sie bei dir vorbei!“ meinte er, „Ruf mich an, wenn sie auftaucht!“
Er musste ihr versprechen, dass er sich ebenfalls bei ihr meldete, sollte er Cassidy finden.
Er legte auf, zog sich Schuhe und Jacke an und machte sich kurz danach mit seinem Pick-Up auf den Weg zu Cassidy´s Haus.
Er hoffte, sie dort zu finden.
Er wollte nicht, dass sie ebenfalls spurlos verschwand, wie sein bester Kumpel. Er war es Chance schuldig, dass er auf dessen kleine Schwester aufpasste.


„Sie ist ziemlich stur!“ war Morgan´s Meinung.
Sie saß nun Dr. Peeker gegenüber, dessen Kittel wie immer hinter ihm über der Stuhllehne hing.
Er antwortete ihr nicht, sondern studierte weiter die Papiere vor sich.
Dann als er endlich auf sah, umspielte ein siegessicheres Lächeln seine Lippen.
„Wir werden sie schon bald soweit haben!“
Morgen sah ihn fragend an.
„Wieso ist sie überhaupt so wichtig?“ wollte sie von ihm wissen.
„Sie hat Potential!“ war seine Antwort.
„Und warum hat man sie dann nicht früher geschnappt?“
Dr. Peeker rollte ein wenig genervt mit den Augen. Morgan war zwar neu in dieser Einrichtung, aber bei weitem nicht den ersten Tag unter ihm angestellt. Sie wusste, was wirklich vor sich ging und vor allem wusste sie von Dr. Peeker´s Vorhaben.
„Wir hatten sie bereits früher hier!“ antwortete er mit finsterer Miene, „Nur ist sie uns wieder weggenommen worden!“
Morgan nickte nur irritiert.
„Wir haben bereits vor sechzehn Jahren versucht sie zu erwischen. Da war sie fast vier. Aber sie ist uns damals durch die Finger gegangen.“
Wieder nur ein Nicken ihrerseits, da sie die Geschichte mehr oder weniger aus der Akte kannte, die man ihr irgendwann mal in die Hand gedrückt hatte.
„Dabei hat sie allerdings ihre Eltern verloren ...“ fuhr Dr. Peeker fort. Nur klang er dabei nicht so, als wäre das ein besonderes tragisch Ereignis gewesen.
„Sie kam ins Heim, dann zu verschieden Pflegeeltern. Und während dieser Zeit haben wir sie versucht zu schnappen. Sie war auch ein paar Monate hier, auch wenn sie sich vermutlich nicht mehr daran erinnert. Leider erinnert sie sich auch nicht mehr daran, wer sie hier raus geholt und zurück gebracht hat. Dem Typen würd ich gern eins auswischen!“ knurrte Dr. Peeker.
„Wie lange ist sie jetzt eigentlich schon hier?“ wollte Morgan wissen.
„Nachdem sie uns damals wieder entwischt war, haben wir sie aus den Augen verloren. Ehrlich gesagt, sind wir erst durch ihren Bruder Chance wieder auf sie gestoßen.“ Dr. Peeker schmunzelte, „Die beiden haben keine Ahnung von ihren Fähigkeiten!“
„Wie lange …?“ fing Morgan erneut an.
„Oh … Noch haben wir sie nicht komplett gebrochen!“ seufzte Dr. Peeker, „Aber es sind auch erst zwei Monate!“
Morgan schien erstaunt.
„Haben sie nicht Angst, dass sie es hier raus schafft?“
Er überlegte kurz und schüttelte grinsend den Kopf.
„Sie hat keine Kontrolle über ihre Fähigkeiten. Sie landet immer wieder hier!“ meinte er, „Und selbst wenn, sie hier raus käme. Da draußen, ist es weit gefährlicher für sie!“
Morgan hatte eine Ahnung, was er meinte. Sie hatte zwar noch nie so recht heraus bekommen, ob es wahr war, was angeblich auf Cassidy lauern würde. Aber sie hatte so manche Gerüchte gehört.


Cassidy grübelte nach. Im Grunde war sie dankbar, dass diese Morgan ihr nicht wieder irgendwelche Medikamente verpasst hatte, die sie ruhig stellten. Allerdings hatte man ihr noch immer kein Essen gebracht.
Nur war sie überhaupt hungrig.
Nicht nur, dass sie allmählich immer mehr an ihrem Verstand zweifelte, so begann sie langsam an die Geschichten von Dr. Peeker zu glauben.
Sie wusste, sie war zwanzig.
Sie wusste ihren Namen. Cassidy.
Sie wusste Vance war der Familienname ihrer leiblichen Eltern, die bei einem Brand ums Leben gekommen waren. Sie selbst hatte Glück gehabt und war rechtzeitig gerettet worden.
Selbst die Erinnerungen an die Adoptionen in verschiedene Pflegefamilien, die mit ihr, warum auch immer nicht klar kamen, stimmte mit dem überein, was Dr. Peeker seit einiger Zeit zu erklären versuchte.
Allerdings war er der Überzeugung, dass sie mit sieben nicht von der Familie Moore adoptiert wurde, die bereits einen zehn Jahre älteren Sohn hatten.
Nach Peeker´s Meinung, war sie seit Jahren hier in der Einrichtung. Doch warum?

Hatte sie sich ihre Freunde und ihre Familie wirklich nur eingebildet?
Es kam ihr immer so real vor, wenn sie mit Chance, Felice oder Ryan gesprochen hatte.
Was war nun Traum und was Realität?
Allein für diese Frage gehörte sie hier her, dachte sie mit einem selbstironischen Schmunzeln.

Sie wusste das irgendetwas nicht stimmte.
Warum hatte sie keinen Hunger? Das war zumindest eine der vielen Fragen, die ihr durch den Kopf gingen.
Konnte ein Traum den Körper soweit täuschen, dass er sich gesättigt fühlte, selbst wenn man seit Tagen nicht gegessen oder getrunken hatte?
Wenn ja, wollte sie einfach wieder zurück in den Traum. Oder in die Realität?
Sie war sich längst nicht mehr sicher, was was war.

Sie schloss die Augen, holte tief Luft und versuchte sich zu konzentrieren.
Nur die Stille um sie herum, war so unangenehm, dass es ihr schwer fiel den Gedanken an den weißen sterilen Raum los zulassen.
„Einfach nur weg!“ murmelte sie vor sich hin.

Und irgendwann verschwand die Stille und alles.
Als sie ihre Augen wieder öffnete, war der weiße Raum verschwunden.
Die Luft war trocken. Trockener als zuvor und vor allem roch sie modrig.
Einerseits war sie froh, dass sie scheinbar aus der Einrichtung raus war. Andererseits, war dies hier nicht unbedingt ein Ort, der ihr gefiel.
Sie steckte in einem Raum mit grauen Betonwänden, die teilweise mit Graffiti beschmiert waren. Die Fenster waren, soweit noch vorhanden, so sehr verdreckt, dass sie kaum Licht hindurch ließen.
Die Zimmertür hing kaum mehr in den Angeln und war scheinbar vor einiger Zeit eingetreten worden.
Cassidy machte einen Schritt, nur um dann erschrocken festzustellen, dass sie ohne Schuhe unterwegs war. Bei näher Betrachtung musste sie feststellen, dass sie zwar nicht mehr die weiße Kleidung aus der Einrichtung trug. Sie trug nun ein dünnes langärmeliges schwarzes Shirt und eine einfache Jeans und keine Schuhe.
Der Boden unter ihren Füßen war mit Staub, Scherben und allerlei Unrat bedeckt. Sogar ein paar Überreste eines Vogels war unter dem Dreck auszumachen.
Dennoch hatte sie nicht vor wie angewurzelt stehen zu bleiben und darauf zu hoffen, dass vielleicht irgendwann jemand vorbei kommen und sie finden würde. Sie wusste ja noch nicht einmal wo sie war.
Sie versuchte die Schmutz zu ignorieren und nicht auf irgendetwas spitzes zu treten. Allerdings war dies nicht so einfach. Und schneller als gedacht, war sie in eine Scherbe getreten, noch ehe sie den Flur erreicht hatte.
Dieser teilte sich in ungefähr sechs weitere Räume, alle im selben jämmerlichen Zustand, wie der aus dem sie gerade getreten war.
Selbst die Wohnungstür hing in Einzelteilen in dem Rahmen und Cassidy hatte ein wenig Mühe auf den Hausflur hinaus zu treten.
Sie zählte zwei weitere Wohnungen und sah dann die Treppe, die nach unten führte. Nach oben führte lediglich eine verrostete Leiter. Vermutlich auf das Dach.
Cassidy beschloss nach unten zu gehen. Sie hoffte dort den Ausgang zu finden und vielleicht auch eine Antwort auf die Frage, wo sie sei.

Sie ging immer weiter nach unten, wobei selbst auf den Treppen mehr Unrat und Dreck als freie und begehbare Flächen auszumachen war.
Beide Füße bluteten und schmerzten, sodass sie am liebsten einfach ihren sonderbaren Spaziergang abgebrochen hätte. Nur was würde ihr das bringen?
Sie hatte bereits vier Etagen hinter sich gebracht, als sie ein eigenartiges Gefühl überkam.
Sie sah sich um. Nach unten war es nicht mehr weit. Sie konnte deutlich das Ende der Treppe erkennen und Licht, welches vermutlich aus einer der unteren Wohnungen oder sogar dem Ausgang kam und den Hausflur erhellte.
Bis jetzt hatte das wenige Licht, was von den verfallenen Wohnungen in den Hausflur drang ausgereicht, um einigermaßen sicher voran zu kommen. Die Elektrizität musste schon vor langer Zeit ausgeschaltet worden sein. Cassidy hatte den Lichtschalter im Haus mehrfach probiert.

Sie warf noch einmal einen Blick nach oben und erschrak.
Irgendetwas hatte sich da oben bewegt.
Für einen Vogel war es zu groß. Und vor allem zu schnell.
Ringsum schien alles an Geräuschen, wie der Wind, der durch die Wohnungen pfiff oder die Vögel, die irgendwo vor dem Haus zwitscherten, zu verstummen.
Was auch immer dort oben war, es kam auf sie zu. Verdunkelte alles.
Es glitt einfach in der Treppenmitte hinab wie ein schwarzer Schatten.
Cassidy bekam Panik. Sie rannte die Treppe weiter hinab.
Allerdings kam sie nicht sehr weit, da mitten zwischen den beiden Etagen ein Treppenstück weggebrochen war. Beinahe wäre sie in ihrer Panik hinab gestürzt.
Sie konnte noch rechtzeitig anhalten und war auf ihren Hintern geplumst.

Unter ihr waren die Trümmer der Treppe. Einige rostige Eisenstangen ragten nach oben und zusammen mit den Unrat, der sich zusätzlich angesammelt hatte, war es alles andere als Sicher, dort hinab zu springen.
Cassidy sah sich blitzschnell um.
Sie konnte nur noch den kurzen Treppenabsatz zurück rennen und ihr Glück hinter der Wohnungstür neben dem Treppenaufgang versuchen. Zumindest sah diese Tür noch ein wenig stabiler aus, als die anderen im Haus.
So lief sie zurück und wollte gerade in die Wohnung hinein schlüpfen, als etwas nach ihr griff.
Sie konnte nicht erkennen was es war. Oder wer es war.
Dunkelheit hatte sie umfangen und alle Geräusche, selbst ihre eigene Stimme, waren mit einem Male verstummt.
Cassidy versuchte sich loszureißen, als sie ein starker Schmerz durch fuhr. Es war als hätte man ihr mehrere zackige Messerklingen über den Unterarm gezogen oder als hätte ein Raubtier sie mit seiner Klaue gepackt und versucht ihren Arm zu zerkratzten.
Sie schrie. Tonlos.
Sie schaffte es, wenn auch unter Schmerzen, frei zu kommen und rannte einfach in die Richtung, in der sie die Wohnung vermutete.
Sie konnte deutlich spüren, wie das Schattenwesen abermals nach ihr griff. Es verfehlte sie nur knapp und erwischte lediglich ein paar Haare.
Cassidy rannte in der Dunkelheit gegen die Tür, zwang sich daran vorbei und drückte sie von der anderen Seite zu.
Was sie auch immer nun ausgesperrt hatte, es wollte unbedingt zu ihr und versuchte die Tür zu zerkratzten. Sonderbarerweise das einzige Geräusch in der Stille.
Nach einigen Minuten aber wurde Cassidy klar, dass das Ding mit ihr spielte. Es wäre ein Leichtes die Tür einzudrücken, wenn es das wöllte. Und die Klauen lies es nur sanft über die Tür gleiten, so als wollte es Cassidy nur Angst einjagen.
Das zumindest hatte es geschafft.
Sie zitterte wie Espenlaub. Ihr tat alles weh und neben den zerschundenen Füßen, hatte sie nun auch noch ziemlich tiefe Striemen auf ihrem linken Unterarm.

„Ich will nach hause!“ war ihr einziger Gedanke.
Sie lies nur kurz locker und sofort drückte das Schattending von der anderen Seite gegen die Tür, ohne sie jedoch aufzupressen.
Tränen liefen Cassidy über die Wangen. Sie wusste nicht was sie tun sollte. Sie wollte einfach nur weg.
Sie stemmte sich wieder gegen die Tür. Wusste aber, dass sie nicht mehr lange gegen das Ding ankommen würde.
Irgendwann würde es mit seinem Spiel aufhören und einfach eindringen. Und würde sie vermutlich in Fetzen reißen.
Nach einer Weile lehnte sich Cassidy mit dem Rücken gegen die Tür und versuchte sie zu zu halten, da ihr die Arme weh taten. Und wenige Minuten später rutschte sie die Tür hinab und lies sich zu Boden fallen, da auch ihre Beine nachgaben.
Im Sitzen versuchte sie nun die Tür zu versperren. Immer wieder drückte das Wesen prüfend dagegen, ohne jedoch wirklich Druck auszuüben.
Cassidy schloss die Augen und hoffte, der Alptraum möge bald vorbei sein.
Sie wollte weg.
Sie wollte zurück zu ihren Freunden und ihrem Bruder. Zurück nach hause.
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Re: AT: if dream come true (Version 2)

Beitragvon Nikita LaChance » Di 24. Mai 2011, 08:57

Kapitel VI - Verloren

Die Schwester war in Begleitung eines ziemlich kräftig gebauten Pflegers, als sie mit einem Teller undefinierbaren Breis in Cassidy´s Raum trat. Nicht nur dass man den Schwestern und einigen schwächeren Pflegern untersagt hatte allein in den Raum des Mädchens zu gehen, so würde die Schwester dies auch mit Aussicht auf einen Extrabonus verweigern. Sie hatte einmal miterlebt, wie weit Cassidy gehen konnte.
Nun standen beide ziemlich überrascht in dem leeren Zimmer.
Die Augen des Pflegers musterten sofort jeden Winkel des Raumes, da er damit rechnete, dass sie sich irgendwo versteckt hielt.
Aber es gab keine Versteckmöglichkeiten.
Und auch keine Patientin.

Die Schwester wurde weiß im Gesicht, drückte dem Pfleger den Teller in die Hand und lief aus dem Raum und über den Flur.
Während sie auf dem Weg zu Dr. Peeker´s Büro war, wählte sie mit ihrem Haustelefon den Wachdienst. Es war nicht das erste Mal, dass sie dies tat. Und mit Sicherheit würde es auch nicht das Letzte Mal sein.
Eiligst gab sie dem Wachdienst durch, dass erneut ein Patient aus dem Zimmer verschwunden sei und irgendwo umher lief, wo er nicht zu sein hatte.
„Wer ist es diesmal?“ wollte die Stimme am anderen Ende wissen und klang ein klein wenig gelangweilt, da öfters mal einer der mental labilen Patienten über die Flure streunte. Allerdings fanden sich die Patienten zumeist ein Stockwerk tiefer oder höher wieder oder hatten sich lediglich Zugang zum Innenhof verschafft, wo sie zumeist ziellos herum liefen.
„Cassidy Vance!“ brüllte die Schwester leicht atemlos in ihr Telefon.
Der Wachmann am anderen Ende war sofort hellwach. Auch er kannte Cassidy und ihre Ausbruchsversuche.
Seiner Reaktion nach, nahm die Schwester an, hatte er Cassidy auch schon einmal gegenüber gestanden. Vielleicht war er derjenige, dem sie bei ihrer Flucht das Bein gebrochen hatte. Sie fragte sich noch immer, wie dies Cassidy gelungen war, da das Mädchen eigentlich ziemlich zierlich war.
Die Schwester hörte nicht weiter auf die Befehle des Wachmanns, die eigentlich an seine Kollegen und nicht an sie gerichtet waren, und legte auf.
Sie hatte auch endlich das Büro von Dr. Peeker erreicht und ohne Anzuklopfen riss sie die Tür auf.

Dr. Peeker und Morgan sahen sie erschrocken an.
„Sie ist verschwunden!“ kam etwas atemlos von der Schwester, „Cassidy ist aus ihrem Raum verschwunden!“
Morgan sprang aus ihrem Stuhl auf und ging in Richtung Tür.
Dr. Peeker allerdings blieb sitzen und sah nachdenklich drein.
„War die Tür verschlossen?“ wollte er wissen.
Morgan und die Schwester wirkten beide irritiert.
Dann bestätigte die Schwester die Annahme des Doktors und wartete noch immer darauf, dass er auf den Ausbruch Cassidy´s reagierte.
Wieder überlegte er kurz.
„Sie wird schon bald wieder hier sein!“ glaubte er und griff in aller Ruhe nach seinem Telefon.
Wieder starrten ihn die beiden Frauen verwundert an.
„Aber, ich dachte, sie ist wichtig!“ meinte Morgan und musterte den Doktor.
Er nickte nur und wählte eine zweistellige Nummer auf dem Telefon und wartete auf eine Antwort.
„Sollten wir sie nicht suchen?“ wollte Morgan wissen.
Wieder nur ein Nicken, während er dem Klingeln am anderen Ende lauschte.
„Sie wird recht bald wieder hier sein!“ war seine Überzeugung und er bedeutete der Schwester den Raum zu verlassen.
Morgan stand noch immer ziemlich irritiert zwischen dem Schreibtisch und der nun wieder geschlossenen Tür.
Sie verstand nicht, weswegen Dr. Peeker so ruhig blieb. Er hatte ihr doch zuvor noch bestätigt, dass er Pläne mit Cassidy und ihren Fähigkeiten hätte.
Wieso also unternahm er nun nichts?

„Ja?“ Endlich meldete sich jemand am anderen Ende.
„Wie weit seit ihr?“ wollte Dr. Peeker wissen. Noch immer klang er ziemlich ruhig, so als habe er alles unter Kontrolle.
„Wir haben das Mädchen gefunden! Gab keine Probleme!“ war die Antwort.
„Gut! Bringt sie her!“ Dr. Peeker machte sie eine kleine, für Morgan nicht identifizierbare Notiz auf dem Papier vor sich.
„Wir sind auf dem Weg!“ versicherte die männliche Stimme am anderen Ende.
„Ich habe noch einen Auftrag für euch!“
Morgan lauschte interessiert, wenngleich sie noch immer ziemlich irritiert dreinschauend an ihrem Fleck verharrte, so als erwarte sie selbst noch irgendeinen Befehl von ihm.
„Seht nach Cassidy! Sie ist schon wieder gewechselt!“ Dr. Peeker´s Stimme war noch immer ruhig und entspannt, so als sei nichts besonderes vorgefallen.
„Sie wird wieder bei ihren Freunden sein!“ meinte er noch und legte auf, ehe der Mann am Telefon noch irgendetwas antworten konnte.
Dann richtete Dr. Peeker seine Blick auf Morgan und lächelte sie amüsiert an.
„Sie wird schon bald wieder hier sein!“ versicherte er Morgan und suchte auf dem Schreibtisch nach einer dünnen Akte, die er ihr reichte.
„Sie kümmern sich um Ange! Sie wird soeben hierher gebracht!“ meinte er und schickte sie wortlos aus seinem Büro.
Er war sich sicher, dass Cassidy nicht lange fern bleiben würde. Ihr war bisher keine Flucht gelungen. Immer wieder war sie in der Einrichtung gelandet.
Er müsste nur ihren Willen brechen, so dass sie für immer hier blieb. Und dann könnte er ihre Fähigkeiten für sich nutzen.


Ryker fuhr die Straße entlang, die er vor wenigen Stunden erst verlassen hatte. Er fuhr an dem Haus vorbei, vor dem noch immer das Absperrband der Polizei hing. Allerdings waren nun keine Polizisten mehr da und auch die Schaulustigen hatten recht schnell den Ort wieder verlassen.
Sein Ziel war nun aber nicht das Haus, in dem Cassidy und ihr Bruder Chance wohnten, sondern das Haus von Ryan, einem Freund der beiden.
Noch bevor er das Haus erreichte, sah er, dass Ryan´s Wagen nicht davor stand.
„Wo steckt der Kerl?“ fluchte Ryker und fuhr auf die Auffahrt.
Er hatte Ryan gesagt, er solle sich um Cassidy kümmern und nun schien der Kerl nicht daheim zu sein.
Ryker sprang aus seinem Wagen, ging zum Haus und klingelte.
Irgendwie hoffte er, dass entweder Ryan oder sogar Cassidy selbst ihm öffnen würden.
Aber nichts geschah.
Kein Licht brannte, keine Schritte waren zu hören und niemand reagierte auf sein Klingeln.

Ryker überlegte kurz, ob er vielleicht zu Cassidy´s Freundin, mit der sie Stunden zuvor zusammen war, fahren und sie fragen sollte, wo Cassidy steckte. Allerdings wusste er, wie gereizt die Mutter des Mädchens reagieren konnte, wenn man sie belästigte.
So versuchte er, Ryan auf dem Handy zu erreichen. Zu seinem Glück hatte der junge Mann vor einiger Zeit zugestimmt, dass sie ihre Nummern austauschten. Ursprünglich hatten sie dies getan, weil es Chance nach dem Tod der Mutter nicht wirklich gut ging und er und Ryker sich schon etwas länger kannten. Auch mit Cassidy hatte Ryker schon länger ein mehr oder weniger freundschaftliches Verhältnis und hatte immer wieder geholfen, wenn einer der beiden, Cassidy und Chance, in irgendwelchen Problemen steckten.

Es dauerte einen Moment, ehe sich Ryan meldete.
„Ich kann jetzt nicht reden!“ schimpfte Ryan gereizt, noch ehe Ryker ihm sagen konnte, was er wollte.
Ryker erkannte sofort, dass etwas nicht stimmte und sofort ging er zurück zu seinem Wagen.
„Was ist passiert?“ wollte er wissen.
„Cassidy ist verschwunden!“ kam nur von Ryan.
Ryker konnte hören, dass Ryan mit seinem Wagen unterwegs war.
„Den einen Moment war sie noch bei mir und dann ist sie plötzlich weg!“ Ryan klang verzweifelt, „Es ist wie damals!“
Ryker wusste, auf was Ryan anspielte.
Vor etwa vier Jahren war Cassidy kurz nachdem sie bei ihm auf der Couch eingenickt war, spurlos verschwunden. Ryan und Chance hatten sie erst im ganzen Haus und dann in der Stadt gesucht und waren dabei Ryker begegnet, der ihnen bei der Suche half. Nach fast einem halben Tag erhielt Ryker dann einen Anruf von einem Polizeikollegen aus einer Stadt, die mehr als vierhundert Kilometer entfernt lag. Man habe ein Mädchen gefunden, welches auf den Straßen, der ihr fremden Stadt, herum irrte und nicht mehr wusste wie sie heimkommen sollte. Sie war es, die um Ryker´s Hilfe gebeten hatte. Und so hatte Ryker sie wieder nach hause gebracht, wobei er niemanden erzählt hatte, wie er dies in nur wenigen Minuten bewerkstelligt hatte.
Cassidy selbst hatte nicht wirklich darüber geredet, wie sie hatte so schnell den Ort wechseln können. Sie sagte nur, dass sie von dem Ort geträumt hätte und plötzlich dort aufgewacht wäre.

„Wir finden sie!“ versicherte Ryker Ryan, „Hast du eine Idee, wo sie stecken könnte?“
Er wusste selbst, dass dies eine ziemlich eigenwillige Frage war. Vor allem da Ryan höchstwahrscheinlich ziemlich ziellos umher streifte.
„Wenn ich´s wüsste, müsst ich sie nicht suchen!“ schimpfte Ryan und legte einfach auf.
„Toll!“ seufzte Ryker, setzte sich wieder ans Steuer und startete den Wagen.
Er überlegte, woher Laramie wusste, dass Cassidy wieder einmal in Schwierigkeiten steckte.
Er musste das Mädchen wiederfinden, ehe sie in die Fänge der Männer geriet, die nun auch ihren Bruder erwischt hatten.


Als sie ihre Augen wieder öffnete, war noch immer alles um sie herum in dunkle Schatten gehüllt. Und noch immer war jedes Geräusch, bis auf das spielerische Kratzen des Wesens hinter der Tür, verstummt.
Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren, wusste nicht mehr was Traum und was Realität war.
Nur tat ihr alles so sehr weh, dass dies hier Realität sein musste.
Sie wollte schreien. Um Hilfe rufen. Doch auch ihre Stimme war tonlos, wie alles andere.

Vor ihr tauchte etwas auf und sie erschrak. Befürchtete, dass das Monster sie ausgetrickst hätte und längst im Raum war.
Anfangs schwer zu erkennen, aufgrund der Dunkelheit, erschien ein eigenartiger Mann vor ihr.
Er war um die dreißig und hatte blaue Haare.
Cassidy hatte ihn schon einmal irgendwo gesehen, dem war sie sich sicher.
Dennoch wusste sie nicht, wie sie auf sein Auftauchen reagieren sollte.

Der Mann musterte erst sie und blickte dann verstimmt auf die Tür. Er sprach nicht, machte auch sonst keine Anstalten ihr mitzuteilen, warum er da war.
Er schritt näher heran und legte eine Hand an die Tür, so als wolle er sie zuhalten.
Das Wesen auf der anderen Seite wurde aggressiver und seine Schläge, gegen die Tür härter. Es versuchte nun nicht mehr zu spielen. Es wollte unbedingt in den Raum und scheinbar befürchtete es nun, nicht mehr hinein zu können.
Cassidy sah aus ihrer Position zu dem Mann auf und beobachtete ihn, wie er konzentriert auf die Tür blickte, so als könne er hindurch sehen.
Dann hörte sie ein Geräusch, dass einem starken Windhauch glich und gleichzeitig wie etwas, was man über den Boden schob. Und dann gab es einen lauten Knall und splitterndes Glas. Zumindest hörte es sich so an, als seien einige Fensterscheiben zu Bruch gegangen.

Cassidy war verwundert und erleichtert zugleich, dass wenigstens die Geräusche zurückgekehrt waren.
Und allmählich löste sich auch der Schatten wieder auf und gab die Sicht auf die trostlos verwüstete Wohnung frei, in der sich Cassidy versteckt hatte.
Noch immer musterte sie den Mann, der seinen Blick wieder von der Tür genommen hatte und sie anstarrte.
Sein Ausdruck irgendetwas zwischen genervt und besorgt.
„Was willst du hier?“ seine Frage.
Sie war sich im ersten Moment nicht sicher, ob sie sich seine Stimme nur eingebildet hatte und starrte ihn verwundert an.

Er lies von der Tür ab, sah sie finster an und wiederholte seine Frage.
„Ich … weiß nicht, ... wo ich hier bin!“ gab sie leise zu verstehen. Überrascht von ihrer eigenen wieder gewonnenen Stimme.
Er schüttelte nur den Kopf und sah sich kurz um.
Dann hockte er sich zu ihr und musterte sie erneut.
„Du hast also keine Ahnung, was los ist?“ murmelte er und klang ziemlich ungläubig.
Sein Blick fiel auf ihren verletzten Arm.
„Wie lange bist du schon hier?“ wollte er plötzlich wissen und sie fragte sich, warum er das wissen wollte.
Sie antworte nicht. Sagte nur leise, dass sie wieder nach hause wolle.
Er nickte nur und sah sich erneut um, so als suche er jemanden, der helfen könnte.

Er musterte sie erneut und legte seine Hand auf ihre Augen.
Panisch griff sie nach seiner Hand und versuchte sie wegzuziehen. Doch er packte ihre Hände einfach und hielt sie fest.
„Lass mich …!“ fing sie an. Im Grunde hatte sie nicht mehr genug Energie um sich zu wehren, doch sie wollte nicht so einfach aufgeben.
„Du musst dich konzentrieren!“ flüsterte er und hielt ihre Hände fester, als sie sich zu befreien versuchte.
„Konzentrier dich darauf, wo du hin willst!“ meinte er und kam näher heran.
Sie verstand nicht was er bezweckte. Dennoch versuchte sie an zu hause zu denken. An ihre Freunde und ihren Bruder. Sie versuchte an alles mögliche zu denken, nur nicht an das Schattenwesen und den weißen Raum und Dr. Peeker.

Sie spürte, wie seine Hände und seine Wärme verschwanden. Auch der modrige Raum um sie herum verschwand.
Sie riss ihre Augen auf und erstarrte sogleich.
Sie war nicht mehr in dem verfallenen Gebäude.
Sie stand inmitten einer Straße und ein großer Wagen raste auf sie zu.
Sie konnte sich nicht rühren. Nicht nur, dass sie kaum mehr Kraft hatte, sich auf den Beinen zu halten, so war sie so verängstigt, dass ihr einziger Gedanke war, dass der Wagen sie jeden Moment erfassen und verletzen würde.

Mit quietschenden Reifen kam der Wagen vor ihr zu stehen. Nur wenige Zentimeter trennten sie und die Stoßstange des Gefährts.
Cassidy zitterte vor Angst und vor Kälte.
Sie bekam nicht mit, wie der Fahrer aus seinem Wagen sprang und auf sie zu gestürmt kam.
„Verdammte Scheiße!“ schimpfte er, „Was sollte das? Ich hätte dich beinahe erwischt!“
Sie brauchte einen Moment ehe sie registrierte wer vor ihr stand.
„Ryan?“ kam nur schwach von ihr und sie versuchte nach ihm zu greifen.

Er schien erleichtert und verärgert zugleich zu sein.
Er tat den letzten Schritt auf sie zu und packte sie. Für einen kurzen Moment umklammerte er sie fest.
Cassidy versuchte sich wieder zu befreien. Nicht nur dass es ihr ein wenig unangenehm war, dass er sie so fest umarmte, so tat es doch auch weh.
„Ich hab dich überall gesucht!“ schimpfte er und lies wieder von ihr ab.

Hinter seinem Pick-Up hatte sich bereits eine lange Schlange gebildet und die Autofahrer hupten verärgert.
Ryan aber ignorierte sie kurz und musterte Cassidy.
Dann blickte er verärgert drein, griff ihre Hand und zog sie wortlos zur Beifahrerseite. Er schob sie in den Wagen und ging dann wieder auf die Fahrerseite und stieg ein.
Er startete den Pick-Up, nur um ihn an den Straßenrand zu fahren und dort zu parken. Die Wagen hinter ihm fuhren hupend vorbei.

„Was ist passiert?“ wollte Ryan von ihr wissen und stellte den Motor ab.
Cassidy traute sich nicht ihm in die Augen zu sehen. Sie wusste nicht was sie sagen sollte. Vor allem schämte sie sich ihm Sorgen bereitet zu haben. Vermutlich würde sie von Felice noch eine Standpauke für ihr Verschwinden erhalten.
„Ich such dich schon seit über sechs Stunden!“ schimpfte er verärgert, „Wo, zum Teufel, warst du?“
„Ich … weiß nicht!“ Das war noch nicht einmal gelogen.
Sie zitterte noch immer und allmählich kehrte die Müdigkeit wieder zurück. Sie kam sich vor als sei sie mehrere Kilometer herum gewandert.
Wieder fiel sein Blick auf ihre Verletzung und er wollte schon danach fragen. Aber er wusste, dass er keine wirkliche Antwort darauf erhalten würde.
Er zog seine Jacke aus und legte sie ihr über die Schulter.

„Vielleicht sollten wir dich zu einem Arzt bringen!“ seufzte er und startete den Wagen wieder.
Er wollte gerade wieder auf die Straße lenken, als sie nach ihm griff und mit großen Augen ansah.
„Bitte! Ich will nicht zu einem Arzt!“ bettelte sie und klang beinahe wie ein kleines Kind, „Es ist nicht so schlimm! Ich will nur nach hause!“
Er überlegte kurz was er nun tun sollte. Und nickte dann.
Er hatte sie gerade er wiedergefunden und hatte nun auch nicht wirklich vor sie gleich wieder aus den Augen zu verlieren. Vor allem wusste er nicht, wie er dem Arzt ihre Verletzung erklären sollte.
Er wusste nur, dass er, wenn sie wieder bei ihm waren, Ryker anrufen müsste und ihn irgendwie um Hilfe bitten musste. Ryker schien schließlich mehr über die Sache mit Cassidy´s Ausflügen zu wissen.

Die Fahrt zurück zu seinem Haus verlief wortlos.
Cassidy hatte nur müde auf die Straße vor sich gesehen.
Ryan hatte sie immer wieder aus seinen Augenwinkel heraus beobachtet, so als habe er Angst, dass sie jeden Moment wieder verschwinden könne.
Er half ihr beim Aussteigen und führte sie ins Haus.
„Setz dich auf die Couch!“ befahl er und verschwand in Richtung Bad.
Sie tat wie befohlen.
Als er zu ihr kam, saß sie zitternd da und sah auf den Boden vor sich, so als hätte sie Angst vor seiner Reaktion.
Ryan hatte eine kleine Schüssel mit warmen Wasser und einem sauberen Tuch sowie einigem Verbandsmaterial aus dem Bad mitgebracht und hockte sich nun vor Cassidy auf den Boden.
Er wusste nicht um welche Verletzung er sich zuerst kümmern sollte.
Cassidy sah ihm noch immer nicht in die Augen. Sie reagierte auch nicht, als er sie bat ihren Arm frei zu machen.
Erst als er ihren zerfetzten Ärmel nach oben schob, sah sie erschrocken auf.
Er sagte nichts dazu, sah sie aber entschuldigend an, als er begann ihren Arm mit dem nassen Tuch zu säubern.
Danach verband er wortlos die Verletzung und kümmerte sich um ihre Füße.
Er befreite sie vorsichtig von allen Schmutz, sodass er einen besseren Blick auf die Verletzungen hatte. Einige der Schnitte waren tiefer und einige kleine Glassplitter hatten sich ins Fleisch gebohrt.
Ryan hatte schon früher Verletzungen versorgt. Allerdings waren dies einige Schnitte oder Abschürfungen, die er sich selbst oder ein paar seiner Kumpels sich mal bei einem Motorrad- oder auch Skateboardsturz zugezogen hatten. Ja, einmal hatte einer seiner Kumpels sogar eine ziemlich dünne Glasscheibe mit der Hand zerschlagen und verletzt.
Cassidy´s Verletzungen sahen aber nicht aus, als sei sie gestürzt oder habe sich an Glas geschnitten. Es sah aus, als habe ein Tier sie angegriffen.

„Was ist passiert?“ fragte er erneut, als er ihre Füße versorgte und danach bandagierte.
Sie überlegte kurz, was sie ihm sagen sollte. Doch egal, was sie ihm entgegnen würde, es würde wie eine Lüge klingen und daher entschied sie sich für die Wahrheit.
„Ich wurde von einem Schatten angegriffen!“
Er sah sie verwirrt an.
„Ich war erst in einem weißen Raum. Einem Krankenhaus oder so. Sie wollten mich nicht gehen lassen und dann war ich plötzlich in irgendeiner Ruine.“ Cassidy wusste, dass es für Ryan keinen Sinn ergab. „Und dort hat mich ein Monster angegriffen!“
Er nickte ungläubig und stand wieder auf. Er räumte die Wasserschüssel und den restlichen Verband wieder weg und kam dann mit einer Tablette und einem Glas Wasser zurück.
„Gegen die Schmerzen!“ meinte er nur und hielt ihr das Glas und die Tablette entgegen.
Sie war zu müde, um ihm zu widersprechen und nahm die Tablette mit einem großen Schluck Wasser ein.

Cassidy lies sich einfach zur Seite fallen und rollte sich auf der Couch zusammen.
Ryan musterte sie kurz und legte ihr sogleich eine Decke über.
„Ich will nicht ins Krankenhaus zurück!“ murmelte sie schlaftrunken.
Er antwortete ihr nicht darauf, sondern strich ihr die Haare aus dem Gesicht.
Er machte sich Sorgen. Er wusste nicht, was mit ihr passiert war. Und sein bester Kumpel war verschwunden.

Ein Handyklingeln riss ihn aus den Gedanken.
Er sah noch einmal kurz zu Cassidy, die schon wieder kurz davor war einzuschlafen.
Dann holte er sein Handy hervor.
Er rechnete damit, dass Felice ihn anrief, um zu erfahren, ob er Cassidy nun endlich gefunden hätte. Oder vielleicht Ryker.
Aber es war nicht sein Handy was klingelte.
Es war das Telefon von Cassidy.
Irritiert sah er darauf.
„Brisby!“ las er auf dem Display. Ein Name, der ihm gar nichts sagte.

Er nahm das Gespräch an und wollte schon entgegnen, dass Cassidy nicht ans Telefon kommen könnte.
Doch die weibliche Stimme am anderen Ende sagte nur:
„Sag ihr, dass wir uns treffen müssen!“ und legte wieder auf.
Nikita LaChance
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Re: AT: if dream come true (Version 2)

Beitragvon Nikita LaChance » Di 31. Mai 2011, 08:22

Kapitel VII – Fragen

Es war ein unsanftes Erwachen für ihn. Nicht nur, dass man ihn mit Lederriemen am Bett festgemacht hatte, so hatte man ihm eine kräftige Ohrfeige verpasst.
Chance sah erschrocken in das Gesicht des schwitzenden Kerls vor ihm. Er kannte weder ihn noch wusste er wo er sich befand.
Der Mann vor ihm ignorierte die Frage nach seinem Aufenthaltsort und trat zur Seite.
Ein zweiter Mann mit blondem Haar und Arztkittel trat näher an Chance heran.
„Guten Morgen, Mister Moore!“ seine Begrüßung klang wenig freundlich, „Oder sollte ich mittlerweile Guten Abend sagen?“
Es schien ihn zu belustigen, dass Chance ihn erschrocken musterte.

„Wo bin ich hier?“ schrie Chance erneut heraus.
Der Arzt vor ihm schüttelte nur den Kopf.
„Nicht so laut, Mister Moore!“ meinte er nur.
„Was wollen sie? Ich gehör hier nicht hin!“ Chance zerrte an seinen Fesseln. Allerdings fügte er sich somit nur Schmerzen zu, als dass er sie lockern oder zerreißen konnte.
Der Arzt atmet tief durch.
„Es hat eine Weile gedauert sie aufzuspüren!“ kam vom Arzt und er schritt im Raum umher wie ein ruheloses Tier auf der Suche nach einer Beute. Nur dass seine Beute wehrlos vor ihm lag.
„Wieso? Ich hab nichts getan!“
Chance wollte einfach nur hier raus. Nicht nur der Arzt vor ihm machte ihm Angst.
„Sie sind talentiert!“ stellte der Mann vor ihm fest, ohne wirklich zu sagen, was er damit meinte.
„Eine Geschichte zusammen zu schreiben ...“ Er zeigte Chance ein anerkennendes Nicken, ehe er fort fuhr. „Aber sie wissen nicht wirklich, was sie da geschrieben haben! Oder?“
Chance verstand rein gar nichts.

Er hatte noch vor einiger Zeit … Waren es nur Stunden oder schon Tage? … an seinem zweiten Roman gearbeitet. Und wie so oft lies er sich einfach von seinen Träumen leiten. Im Grunde war die Idee für sein aktuellstes Werk aus einem seiner wirren Träume entsprungen und er hatte ihn lediglich weiter gesponnen. Unter anderem, weil er wissen wollte wie er ausging.
„Wovon reden sie?“ Seine Stimme zitterte.
„Ihr letztes Werk! Wie nannten sie es?“ Der Mann tat als müsse er lange nachdenken. „'Dream on'?“
Chance sah den Mann mit großen Augen an.
„Aber sie sollten die Geschichte wirklich 'Traumwanderer' nennen! Klingt einfach besser!“ meinte der Mann.
Chance hatte ursprünglich auch vorgehabt den Titel seines Romans zu ändern. Doch hatte er niemanden davon erzählt. Er hatte den neuen Titel noch nicht einmal irgendwo vermerkt.
„Woher wissen sie das?“
Der Arzt grinste ihn nur an.

Wieder zerrte Chance an seinen Fesseln. Wie gern würde er dem Kerl eine rein hauen. Doch wieder kam er nicht los.
„Was hat meine Geschichte hiermit zu tun? Verdammt noch mal!“ wollte er wissen. Allmählich wechselten seine Gefühle von Angst zu Wut. Wut darüber, dass er gefangen war und dass der Kerl vor ihm seinen Spaß darin fand, sich über ihn lustig zu machen.
Wieder tat der Mann so als müsse er lange überlegen.
„Denken sie einfach selbst darüber nach!“ meinte er dann, „Worum geht es in ihrem Roman?“
Chance sah ihn zornig an.
„Um beschissene Träume!“ knurrte er zurück.
Der Mann nickte.
„Und weiter?“
„Um Menschen, die zwischen den Träumen hin und her reisen!“
Wieder ein selbstgefälliges Nicken.
„Aber ... was ... hat … das … hiermit … zu tun?“ fragte Chance erneut, wobei er zwischen jedem Wort eine Pause machte, so als wollte er, dass der andere die Frage klar und deutlich verstand.
„Alles!“
Die Antwort half Chance auch nicht weiter.

„Es gibt sie wirklich! Die Traumwanderer!“ meinte der Mann vor Chance auf einmal und schien erneut belustigt über Chance verwirrten Gesichtsausdruck.
„Und sie selbst sind einer!“
Chance schüttelte ungläubig den Kopf.
„Wir waren schon lange auf der Suche nach ihnen!“ verkündete der Arzt, „Na gut, eigentlich haben wir ihre Schwester gesucht!“
Chance wurde auf einmal ganz blass. Cassidy würde verrückt vor Sorge um ihn sein.
„Dass wir über sie gestolpert sind, war somit eigentlich reiner Zufall!“ gab der Arzt zu, „Cassidy und sie sind sogar ziemlich talentierte Wanderer!“
„Lassen sie sie in Ruhe!“ schrie Chance ihn an und zerrte erneut erfolglos an seinen Fesseln.
„Immer schön ruhig bleiben!“ meinte der Arzt nur, „Sie werden sie schon bald wieder sehen! Keine Sorge!“
„Lassen sie meine Schwester in Ruhe!“
Der Arzt lachte und ging zur Zimmertür.
„Sie wissen nicht zufällig, wie ihr Roman ausgeht? Wäre interessant das zu erfahren!“ meinte er und trat aus dem Raum.

„Lasst mich hier raus!“ schrie Chance noch lange nachdem der merkwürdige Mann gegangen war.
Irgendwann war er heiser. Seine Gelenke taten ihm weh und sogar sein Kopf schmerzte.
Er verstand noch immer nicht, was sein Roman mit der ganzen Sache zu tun hatte.
Er hatte doch nur irgendwas eigenwilliges zusammen gesponnen. Etwas über das Reisen in Träumen.
Über Menschen, die von der einen in die andere Welt wechseln konnten. Sie konnten Dinge in Träumen ändern und somit die Realität ändern.
Er hatte es selbst in einem Traum gesehen.
Chance dachte kurz nach.
Nicht nur seine Träume hatten in zu dem Roman inspiriert.
Im Grunde genommen hatte er auch ziemlich viel von den Träumen seiner Schwester in die Geschichte eingebaut.
Manchmal waren es einfach nur kurzlebige Ereignisse gewesen, von denen sie ihm erzählt hatte. Einmal von einem Rummelplatz, den sie angeblich besucht hatte. Ein anderes mal hatte sie von einem Ausflug in die Sahara erzählt. Nur um ihm wenig später zu sagen, dass dies viel zu heiß und zu trocken sei. Irritierender Weise hatte sie einen Sonnenbrand gehabt, so als sei sie wirklich dort gewesen.
Aber sie hatte auch von Träumen berichtet, die selbst ihm einen Schauer über den Rücken jagten. So erzählte sie einmal von einem Mann, der sie verfolge und keine Mühen scheute um sie zu einzufangen und einzusperren, wie ein exotisches Tier. Sie berichtete auch von einem Krankenhaus. Zumindest war sie sich sicher, dass es ein Krankenhaus war, wo viele Menschen gefangen gehalten wurden.
Und dann gab es noch die Träume, über die sie nicht so gern berichtete. Träume, die wenig später wahr wurden.
Träume von Tod und Unglück. Meist sah Cassidy, wie jemand, ihr Fremdes in Not geriet.
Gespenstischer Weise wurden die meisten ihrer Träume wahr. Leider die weniger guten.
Allerdings hatten sie beide nie erfahren, ob nicht auch einer ihrer anderen, freundlicheren Träume wahr geworden ist. Keine Medien würden über so etwas berichten, wenn es nicht erzählenswert und erschreckend genug war.

Cassidy hatte von Dingen gewusst, ehe sie passiert waren.
Sie wusste von der Krebserkrankung ihres Vaters, noch Monate bevor er zum Arzt gegangen war und sich hatte untersuchen lassen. Sie wusste auch wann er starb, bevor es geschah. Und tagelang war sie so aufgekratzt gewesen und hatte einfach nicht mehr schlafen wollen, dass sich Chance und die Mutter schon Sorgen machten, dass Cassidy selbst nun auch ein Fall für das Krankenhaus sei.
Noch lange Zeit nach der Beerdigung des Vaters hatte sie sich schuldig gefühlt und immer wieder davon gemurmelt, dass sie hätte etwas unternehmen müssen.
Und dann letztes Jahr, war es wieder geschehen, dass sie von etwas träumte, was ihre Familie betraf.
Während sie sich immer wieder schnell von ihren Träumen über das Unglück anderer erholte, wenn man dies so nennen konnte, war sie diesmal wieder so unruhig, wie kurz vor dem Tod des Vaters.
Anfangs wollte sie nicht damit raus rücken. Reagierte immer unruhig, wenn ihre Mutter das Haus verließ.
Und dann eines Morgens als ihre Mutter zur Arbeit aufgebrochen war, hatte Cassidy Chance angeschrien, er solle sie anrufen. Ihre Mutter solle umkehren und nach hause kommen.
Ihre Panik hatte ihn angesteckt.
Doch dann wurde sie plötzlich blasser als sie es ohnehin schon war und brach zusammen.
Ein paar Stunden später hatte dann Ryker vor der Tür gestanden und ihm erzählt, dass ihre Mutter bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Genau zu der Zeit, als Cassidy zusammengebrochen war.

Immer wieder hatte Chance sich gefragt, wie Cassidy solche Dinge wissen konnte.
Aber er hatte nie auch nur wirklich eine Antwort gefunden.
Noch beängstigender allerdings war, dass er ihren Erzählungen so viel Vertrauen geschenkt hatte. Er hatte geahnt, dass sie wahr würden.
Noch viel mehr. Er wusste es.
Er selbst hatte auch eigenwillige Träume gehabt, in denen er glaubte, wirklich dort zu sein.
Einmal hatte er von einem Mädchen geträumt, welches er seit langem bewundert hatte, die ihm aber nie Beachtung geschenkt hatte. Im Traum war er einfach zu ihr gegangen und hatte sich vorgestellt wie toll es wäre, wenn er mit ihr an einen einsamen Strand wäre. Im Traum hatte es funktioniert.
Und als er sie den nächsten Tag in der Stadt wieder traf hatte sie ihn mit großen Augen angesehen und ihm dann für eine Muschel gedankt, die er ihr im Traum gegeben hatte. Nur dass sie diese nun um den Hals trug.

Chance wusste nicht weswegen er gefangen war.
Er glaubte nicht daran, dass es wegen seinem Roman war.
Aber je mehr er über den Inhalt der Geschichte nachdachte um so erschreckender erschien sie ihm.
Er hatte eine Szene geschrieben, die der seiner Entführung fast bis ins kleinste Detail übereinstimmte. Lediglich seinen Retter, der ebenfalls überwältigt wurde, hatte er nicht an dieser Stelle des Romans verewigt.
Wenn er genau darüber nachdachte, hatte er sogar die Begegnung mit dem mysteriösen Arzt aufgeschrieben. Wort für Wort.
Das musste nur ein dummer Scherz sein.
Aber Chance wusste längst dass dies kein Scherz war.

Wieder versuchte er sich an den Inhalt seiner Story zu erinnern. Irgendetwas musste ihm doch helfen, hier weg zu kommen.
Er hatte über die Traumwanderer geschrieben. Wie sie zwischen den Welten wechselten, als würden sie Dimensionstore durch schreiten. Wie sie Träume änderten und somit Dinge der realen Welt änderten.
Und dann fielen ihm die Männer in Schwarz ein.
Sie waren, so jedenfalls hatte er es sich für seinen Roman ausgedacht, da, um dafür zu sorgen, dass Traumwanderer mit ihren Taten keine Schaden anrichteten. Im Grunde waren sie so etwas wie die Wächter der Träume.
Wenn man es so wollte, waren sie eigentlich die Guten.
Aber Chance hatte selbst geschrieben, dass die Wächter auf die Jagt gingen. Sie suchten nach jemanden oder etwas. Was genau, dass wusste er nicht. Darüber hatte er sich zu dem Zeitpunkt des Schreibens noch keine Gedanken gemacht und gehofft, dass die richtige Eingebung zum gegeben Zeitpunkt noch kommen würde.
Er hatte auch über Cassidy, Felice und Ryan geschrieben.

Und wieder überfiel ihn die Panik.
Er hatte geschrieben, dass seine Schwester und seine Freunde nach ihm suchen würden. Sie würden sich somit in Gefahr begeben.
Chance zerrte erneut an seinen Fesseln. Er musste unbedingt hier raus. Wo immer er auch war.
Wenn alles so wie in seinem Roman geschehen würde, würde er frei kommen. Von allein.
Allerdings war er in seinem Roman nicht ans Bett gebunden. Er hätte dann einfach den Wachmann, der nach ihm sehen sollte überwältigt und wäre aus dem Gebäude geflohen, welches in seiner Vorstellung irgendwo auf einem einsamen fabrikähnlichem Gelände befand.
Nur wie viel von seinem Roman war nun Wirklichkeit? Oder vielmehr wie viel von seinem aufgeschriebenen Traum war real geworden?

Er hatte nie wirklich darüber nachgedacht, ob seine Träume oder überhaupt Träume wahr werden könnten.
Er hätte es nie für möglich gehalten. Zumindest wenn er nicht mitbekommen hätte, dass Cassidy´s Träume oder vielmehr Alpträume wahr wurden. Oder auch seine eigenen Träume.


Draußen vor seiner Tür war Tumult zu hören.
Er konnte nicht ausmachen, was da los war und so starrte er angestrengt auf die Tür.
Nur kurz hatte er sich in dem Raum umgesehen. Zu dunkel um wirklich etwas zu erkennen. Vermutlich gab es weder Tapete noch Wandfarbe. Alles schien ein einziges Grau zu sein. Und mehr als das Bett an dem er festgemacht war, hatte er nicht ausmachen können.

Ein Kampf, ging ihm durch den Kopf, als er die Schreie und Flüche vor der Tür vernahm.
Dann wurde es still.
Er wusste nicht, ob dies wirklich ein gutes Zeichen war oder nicht.
Erschrocken und angespannt starrte er auf die Tür.
Und als sie aufsprang konnte er im ersten Moment nichts erkennen außer einem dunklen Schatten, der durch die Tür auf ihn zu kam.
Als sich seine Augen an das herein strömende Licht gewöhnt hatten, sah er auf dem hellen Flur vor dem Zimmer zwei leblose Männer. Er wusste nicht ob sie nur bewusstlos waren oder sogar tot.
Doch darüber konnte er nicht lange nachdenken, als die Gestalt neben ihm sich an seinen Fesseln zu schaffen machte.

„Du?“ Chance sah den Mann neben sich mit großen Augen an, „Was machst du hier?“
Der Mann antwortete nicht, löste Chance´s Fesseln und half ihm, wenn auch ein wenig unsanft, auf die Beine.
„Du solltest eigentlich nicht hier sein!“ meinte Chance irritiert.
Das war nicht das erste Mal, dass er dies feststellte.
Chance hatte über diesen Mann geschrieben.
Dunkelblonde Haare, grau-blaue Augen, knapp 1,85m groß und eine sportliche Figur und um die dreißig Jahre alt.
Der Mann packte Chance erneut am Arm und zog ihn zur Tür. Dort sah er erst um die Ecke ehe er Chance mit sich nach draußen zog.

Der Mann führte Chance über die Flure. Alle in einem hellen Ton. Einer Mischung aus Weiß und Gelb.
Zwar konnte Chance einige Stimmen hören, aber konnte niemanden sehen.
Es war, als würde der Mann sie immer wieder rechtzeitig in ein Versteck führen, wo sie kurz ausharrten, bis die Personen, die über den Flur gingen oder nach kurzer Zeit sogar panisch bis wütend über den Flur rannten, fort waren.

Nach einiger Zeit erreichten beide ungesehen einen große Tür.
Chance warte noch immer darauf zu erfahren, warum der Mann ihm half oder was wirklich vor sich ging.
Doch sein Retter, der ihm nun bereits zum zweiten Mal zu Hilfe geeilt war, blieb stumm und bedeutete Chance das selbe zu tun.
Und Chance hörte auf zu fragen. Er hoffte, dass er und sein Retter nicht wieder in die Fänge der schwarz gekleideten Männer geraten würden. Er hoffte, dass der Rettungsversuch nicht wieder schief ging.
Der Mann packte nach der großen metallenen Klinge und öffnete die Tür. Dahinter schien nichts zu sein. Dennoch zerrte er Chance mit sich in das Nichts.

Allerdings blieb es nicht lange ein weißes Nichts.
Recht bald war die Luft erfüllt von einer frischen Meeresbrise und Smog.
Chance sah sich irritiert um und musste schnell feststellen, dass er bereits einmal an diesem Ort gewesen war. Als Kind, noch bevor Cassidy zu seiner Familie gestoßen und er mit seinen Eltern noch allein gewesen war.
„Jetzt können wir reden!“ meinte sein Retter und lies Chance Arm los.
„Was war das? Wo sind wir? Und wieso bist du hier?“ Chance hatte keine Ahnung welche seiner Fragen die wichtigste war.
Der andere schüttelte nur den Kopf.
„So hab ich das nicht geschrieben!“ stellte Chance fest und lies seine Blick erneut erst über seinen Retter und dann über seine Umgebung schweifen.

„Du kannst das Leben nicht schreiben!“
Chance sah ihn mit großen Augen an.
Der andere wollte sich in Bewegung setzten. Vermutlich hatte er keine Lust so lange an einem Fleck zu verharren, da sie ja eigentlich auf der Flucht waren.
„Wir sind wirklich hier, oder?“
Der andere nickte.
„Wir sollten erst mal weg hier! Die SV werden nicht lange brauchen, um uns zu folgen!“
„Wer?“
„Die Männer in Schwarz!“ Der andere klang nicht begeistert darüber, Chance aufklären zu müssen, „Du hast über sie geschrieben!“
Chance überlegte kurz. Wartete dennoch auf eine bessere Erklärung des anderen.
„Die Signum Vigilare! Die Wächter!“ knurrte dieser nur genervt.
„Richtig!“ meinte Chance nickend, „Aber …?“
„Was?“
„Wieso bist du hier? Du solltest bei Cassidy sein!“ stellte Chance fest und sein Gegenüber sah ihn merkwürdig an.
„Ich hab versucht dir zu helfen!“ meinte er dann nur, „Du hast meine Hilfe viel dringender nötig!“
Damit setzte er sich in Bewegung und Chance folgte ihm, fast schon automatisch. Er hatte nicht vor hier stehen zu bleiben. Wobei er nicht wusste, ob er wirklich an dem Ort seiner Kindheitserinnerungen war oder ob er sich das ganze nicht doch einbildete und er vielleicht noch immer gefangen in dem grauen Raum war.

„Cassidy muss sich selbst befreien!“ kam kaum hörbar von Chance´s mysteriösen Retter.
„Was?“
„Sie ist schon zu lange hier! Zu lange in deren Händen! Ich kann ihr nicht helfen!“ gab der andere zu und vermied es Chance anzusehen.
„Ich verstehe rein gar nichts!“
Chance packte den Mann am Arm und zwang ihn stehen zu bleiben und ihn anzusehen.
„Was ist hier los? Liam?“
Sein Begleiter sah ihn mit finsterem Blick an.
„Du hast keine Ahnung was los ist!“ meinte er und riss sich los, „Die ganze Sache ist deine Schuld!“
Chance wusste weder wovon Liam sprach noch wollte er sich für irgendetwas beschuldigen lassen, für das er nichts konnte.
„Du hast etwas ausgelöst und musst es daher beenden!“
Er verriet Chance nicht, was er meinte.
Er schritt voran, so als wäre er sich sicher, dass Chance ihm folgen würde. Und dieser auch tat.
„Wieso hast du mir wirklich geholfen?“ wollte er erneut wissen.
„Du solltest nicht so viele Fragen stellen!“ knurrte der andere und rieb sich mit den Fingern die Schläfen, so als wolle er sich Kopfschmerzen weg massieren.
Chance wartete noch immer auf eine Antwort.
„Weil ich hoffe, dass du es stoppen kannst!“
Chance wollte schon fragen, was er stoppen sollte, als Liam fort fuhr.
„Was auch immer hier los ist! Die Tode und Selbstmorde der letzten Zeit zum Beispiel sind nicht normal. Ebenso das Verschwinden von einigen Leuten! … Und noch viele andere Dinge!“
Liam ging nicht näher darauf ein, was er mit anderen Dingen meinte.
Und Chance fragte nicht.
Er war wieder in seine Gedanken versunken.
In seinem Roman hatte er ebenfalls versucht herauszufinden, was vor sich ging.
Vielleicht sollte er einfach mitspielen in dem wahr gewordenen Traum.

Nur um zum Schluss endlich aufzuwachen.
Und sicher daheim feststellen, dass es eben alles nur ein Traum war.
Ein verrückter und ziemlich lebhafter Traum.
Nikita LaChance
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Re: AT: if dream come true (Version 2)

Beitragvon Nikita LaChance » Di 14. Jun 2011, 09:19

Kapitel VIII – das Erwachen

Cassidy war eingeschlafen und Ryan lies sie. Es brannte ihn, zu erfahren, wer Brisby war und was ihre eigenwillige Botschaft bedeuten sollte. Aber damit musste er wohl oder übel warten, bis Cassidy wieder wach geworden war.
Er griff nach seinem eigenen Handy und ging hinüber zur Küche. Er rief zu zuallererst einmal bei Felice an, um ihr zu sagen, dass Cassidy wieder bei ihm war.
Felice wollte unbedingt sofort zu ihm herüber kommen, vor allem, da sie es bei sich daheim nicht aushielt. Und weil sie unbedingt nach Chance suchen wollte und sich von Cassidy Antworten über die sonderbaren Geschehnisse erhoffte.
Ryan schaffte es nur mit Mühe, die gesprächige und aufgebrachte Freundin zu überzeugen, noch eine Weile zu warten und sich zu gedulden.
Im Grunde konnte er sie jetzt nicht auch noch hier gebrauchen. Ein merkwürdiges Mädchen im Haus war ihm nun mehr als genug.
Kurz nachdem er das Gespräch mit Felice beendet hatte, rief Ryan bei Ryker an. Ihm hinterließ er nur eine kurze Nachricht, dass er Cassidy gefunden hatte. Im Moment wollte er nicht mit dem Polizisten reden.
Er war einfach erschöpft von der Suche und verwirrt über das, was Cassidy erzählt hatte.

Ryan lies sich in seinen Sessel fallen und überlegte. Doch egal wie oft er darüber nach sann, was alles passiert war, er verstand es einfach nicht.
Und irgendwann schlief er einfach ein.


„Da bist du wieder!“
Die Feststellung des Doktors, der ihr amüsiert gegenüber saß, lies sie zusammen schrecken.
Diesmal war sie zwar nicht in das weiße Zimmer eingesperrt, welches sie wohl mitunter schon ihr Zuhause nennen konnte, aber dies hier war auch nicht wirklich besser.
Sie saß in Doktor Peeker´s Büro. Hinter ihr standen gleich zwei bullige Pfleger, die wenngleich nicht unbedingt wortgewandt aber zumindest kräftig zu sein schienen.
„Hattest du einen schönen Ausflug?“ wollte Doktor Peeker belustigt von ihr wissen und blickte auf eine Akte, die er allen Anschein nach kurz davor noch gelesen hatte.
„Wieso bin ich hier?“ wollte sie von ihm wissen, als sie endlich ihren Mut und ihre Stimme wiedergefunden hatte.
„Ich hab dir doch gesagt, dass du hier nicht weg kommen kannst!“ antwortete er nur und sah ihr tief in die Augen, „Außerdem solltest du wissen, dass es da draußen für dich viel zu gefährlich ist!“
Damit wies er auf ihren Arm.
Sie folgte seiner Geste und bemerkte, den Verband um ihren Unterarm.
Sofort richtete sich ihr Blick erschrocken auf ihr Gegenüber.
Sie brauchte ihre Frage nicht aussprechen.

Für einen kurzen Moment überlegte Doktor Peeker, was er ihr antworten sollte.
„Du kommst außerhalb dieser Einrichtung nicht klar. Du bist noch nicht mal auf den Hof gelangt, ohne dich zu verletzten!“ versuchte er ihr die Verletzung zu erklären.
Sie glaubte ihm kein Wort. Gab ihm aber dennoch keine Widerworte.
„Du bist hier, weil du hier her gehörst. Du bist krank.“
Cassidy hielt seinen Blick nicht mehr aus und lies ihn über die Wände des Büros gleiten. Fast so als suche sie dort irgendeine Antwort auf ihre ungestellten Fragen.

Neben einigen Diplomen und Auszeichnungen hingen auch zwei Fotos an der Wand. Eines musste ein Foto von der Familie des Doktors sein. Das andere war ein ziemlich altes Bild, leicht verblasst und in einem Rotton. Wer auch immer darauf abgebildet war, musste womöglich zu Peeker´s Familie gehören. Andernfalls hätte er dieses Foto auch nicht in seinem Büro hängen, dachte Cassidy sich.
Unter den Fotos war ein niedriges Regal mit verschiedensten Büchern bespickt.
Auf der gegenüberliegenden Seite, links von ihr, standen zwei massive Aktenschränke.
Und hinter dem Schreibtisch des Doktors war ein großes Fenster, unter dem ein kleiner Schrank stand und somit das Fensterbrett breiter erscheinen lies.
Obwohl Cassidy schon mehrfach im Büro des Doktors gewesen war, hatte sie noch nie so genau darauf geachtet.
Sie riskierte ein Blick über die Schulter des Doktors und hinaus aus dem Fenster.
Sie konnte einen Parkplatz entdecken. Vermutlich der Parkplatz der Einrichtung.
Dann eine Straße und in einiger Entfernung eine Stadt.
Zu wenig Anhaltspunkte, um wirklich zu sagen, wo die Anstalt sich befand.

„... Wir sind hier um dir zu helfen und ...“ Der Doktor hatte die ganze Zeit mit ihr geredet und ihre geistige Abwesenheit scheinbar nicht bemerkt. Erst als er ihren grübelnden Gesichtsausdruck bemerkte, stoppte er mitten im Satz und drehte sich um.
„Das wird dir nicht weiterhelfen!“ meinte er und drehte sich wieder zurück zu ihr.
„Was?“
„Du versuchst heraus zu bekommen, wo du steckst!“ meinte er und schüttelte amüsiert den Kopf.
Und auf ein mal wurde es schwarz vor dem Fenster, so als hätte irgendwer einfach die Sonne ausgeschaltet.
Cassidy sprang erschrocken auf und hatte sofort die beiden Pfleger hinter sich stehen, die bereit waren, sie wieder auf den Stuhl zurück zu drängen oder in ihren Raum zu schleifen. Je nachdem was Doktor Peeker von ihnen verlangen würde.
„So erschrocken?“ lachte er und stand auf. Er ging um seinen Schreibtisch herum und kam näher auf sie zu.
„Keine Sorge, du wirst es bald wieder vergessen haben!“
Cassidy blickte von ihm zu Fenster und zurück.
„Das hier ist nicht real!“ entwich ihr.

„Nun ja, das ist Ansichtssache!“ war seine Antwort.
Sie wusste nicht was genau er damit meinte.
„Diese Einrichtung ist echt! Auch die Patienten!“ erklärte er, „Nur … ist nicht alles ganz so, wie es zu sein scheint!“
Seine Erklärung ergab noch immer keinen Sinn für sie.
„Schätzchen, du bist da, wo du seit deiner Kindheit eigentlich schon stecken solltest!“
Sie schüttelte nur den Kopf.
„Wir verfolgen dich schon lange. Und im Grunde bist du auch schon eine Weile hier.“
Wieder nur ein ungläubiges Kopfschütteln ihrerseits.
„Wir haben dich schon beinahe soweit, dass du uns vertraust!“
„Nein!“ schrie sie und wollte einen weiteren Schritt rückwärts machen. Nur dass die beiden Pfleger eben dies verhinderten und wie eine massive Wand hinter ihr standen.
„Was glaubst du, wieso du immer wieder hier landest?“ wollte Peeker von ihr wissen, „Weil du hier her gehörst! Weil wir dich hier haben wollen!“
„Wieso?“
Darauf gab er keine Antwort.
Er griff in seine Hosentasche und zog eine Spritze hervor, die er unmöglich hatte darin aufbewahren können.

Wieder schmunzelte er über ihren erschrockenen Blick.
„Nur ein kleiner Zaubertrick!“ lachte er und bedeutete den beiden Pflegern, dass sie Cassidy festhalten sollten.
Sie hatte keine Chance sich zu wehren und Doktor Peeker jagte ihr die Spritze in den Arm.
„Keine Angst, Schätzchen! Das Zeug betäubt dich nur ein wenig! Und schon bald wirst du dich hier wie zu hause fühlen!“ meinte er.
Dann wies er den beiden Männern an, Cassidy zurück in ihr Zimmer zu bringen.
Sie mussten sie fast schon tragen, da das Mittel ziemlich schnell zu wirken begann.
Und obwohl ihr Körper immer schwächer wurde, so schien zumindest ihr Geist noch recht wach zu sein.

Sie versuchte zu verarbeiten, was eben geschehen war.
Und auch wenn es für sie keinen Sinn ergab, so schien dies nicht die Realität zu sein. Auch wenn es sich so anfühlte.
Sie überlegte, was sie bisher alles über diesen Ort und den Doktor erfahren hatte.
Aber noch immer wusste sie mit diesem Wissen anzufangen.

Auf dem Flur begegneten sie Morgan mit einem kleinen Mädchen, welches sich ängstlich an seinen Teddybären klammerte.
Cassidy kam das Mädchen bekannt vor. Sie hatte sie schon einmal vorher gesehen.
„Ich will nach hause!“ jammerte das Mädchen nur.
„Das hier ist jetzt dein Zuhause!“ war nur Morgan´s Antwort.
Auch daran erinnerte sich Cassidy.
Allerdings war dies vielmehr so als würde sie einen Blick in ihre eigene Vergangenheit werfen.

Als Kind war sie schon einmal hier gewesen. Auf den weißen Fluren der Einrichtung. Nur hatte sie da längst kein Zuhause mehr.
Sie hatte erst kurz zuvor ihre Eltern verloren und war in einem Heim untergekommen. Niemand kannte sie oder verstand sie. Niemand konnte etwas mit ihr anfangen und mit ihren Panikattacken, die sie zumeist nachts bekam.
Man hatte es auf das tragische Ereignis geschoben. Und als Cassidy dann plötzlich zum ersten Mal in der Einrichtung aufgewacht war und man ihr erklärte, dass sie hier sei, da sie krank sei, hatte sie den fremden Leuten geglaubt.
Nur war es eigenartig, dass sie einerseits hier in der weißen Einrichtung war und dennoch immer wieder im Kinderheim aufwachte.
Irgendwann aber stoppten die Ausflüge. Sie konnte sich nicht mehr erinnern, was genau passiert war.
Irgendwer hatte sie heraus geholt und verhindert, dass sie wieder in der Anstalt landete.

Doch nun schien sich alles zu wiederholen.
Im Grunde hatte es nur wenige Jahre, nachdem sie in Chance´s Familie gelandet war, angefangen.
Es hatte damit begonnen, dass sie sich immer wieder in den weißen Fluren wiederfand.
Nur diesmal glaubte sie den Ärzten und Krankenschwestern nicht.
Sie wollte ihnen nicht glauben.
Allerdings ist es so eine Sache mit dem Willen. Irgendwann beginnt er zu brechen und man glaubt an das, was einem andere erzählen. Vor allem, wenn man an die Worte der anderen glauben will.


Die Pfleger legten Cassidy aufs Bett und verließen den Raum wieder.
Noch immer war sie bei klarem Verstand, während ihr Körper regungslos blieb.
Sie wusste nicht, ob das so von Peeker beabsichtigt war. Vielleicht war es ja seine Art sie so zu quälen.
Vielleicht erhoffte er sich so, dass sie diesmal hier bleiben würde.
Bisher hatte sie immer erst zurück in die Realität oder eben in die andere Welt, die ihr real erschien, gefunden, wenn sie hier eingeschlafen war. Dann war sie in der anderen Welt aufgewacht.
Wie sollte sie also diesmal hier raus kommen, wenn sie nicht schlief?


„Ryan?“
Er zuckte kurz zusammen.
Cassidy stand vor ihm und musterte ihn fragend.
Sie sah munter aus und war bei weitem nicht mehr so blass, wie kurz zuvor, als er sie wieder gefunden hatte.
„Es geht dir besser?“ Es war vielmehr eine Feststellung, als eine Frage seinerseits.
Sie lächelte nur.
„Dank dir!“
„Dann sollten wir Felice anrufen und ...“ weiter kam er nicht, da sie energisch den Kopf schüttelte.
„Warum nicht? Sie macht sich Sorgen!“
Cassidy seufzte kurz und rollte mit den Augen.
„Sie sorgt sich doch nur um Chance!“ meinte sie mit gespielter Eifersucht in der Stimme, „Alles was sie interessiert ist doch nur Chance!“
Ryan sah sie irritiert an.
„Aber Chance ist verschwunden und er ist ihr Freund, da ist es doch logisch, dass sie sich sorgt! Oder?“ war er der Meinung.
Cassidy rollte erneut genervt mit den Augen.
„Du scheinst auch an nichts anderes denken zu können!“ meinte sie und sah ihm tief in die Augen.

Ryan wusste nicht, was er denken sollte.
Vor allem, als sie näher kam und ihn einfach küsste, setzte sein Verstand für einen Moment aus.
„Du solltest doch einfach mal an was anderes denken!“ flüsterte sie und setzte zu einem zweiten Kuss an.
Doch Ryan stoppte sie und drückte sie sanft von sich.
„Was soll das hier?“ fragte er verwirrt.
Sie sah ihn kurz mit großen Augen an, so als verstünde sie seine Frage nicht und dann schüttelte sie ungläubig den Kopf.
„Komm schon, sag nicht, du hast es dir nicht einmal vorgestellt?“ wollte sie von ihm wissen, „Glaubst du, ich weiß nicht, wie du mich manchmal ansiehst?“
Ryan wusste nicht, was er darauf entgegnen sollte. Er kannte Cassidy nun schon so lange, wie sie zu Chance´s Familie gehörte.
Sie kam wieder näher und wollte ihn erneut küssen. Doch wieder wies er sie von sich.
„Das bist nicht du!“ stellte er fest.
Er kannte Cassidy.
„Warum kannst du es nicht einfach genießen?“ flüsterte sie.
Ryan wusste, dass irgendetwas faul war.
„Du bist nicht echt!“ stellte er fest.
„Warum sagst du das?“ Es war nicht auszumachen, ob sie ihm diesen Vorwurf übel nahm oder ob sie beleidigt war, dass er sie nicht wollte. Im Grunde schien sie mit einem Male völlig emotionslos.
„Du bist ein Narr!“ meinte sie mit einem Male, „So eine Gelegenheit wirst du nie wieder bekommen!“

Ryan stieß sie von sich und machte ein paar Schritte, nur um von ihr weg zukommen.
„Du bist nicht Cassidy!“ schrie er sie an, „Wo ist sie?“
„Oh, komm schon, Dummchen! Ich bin echt!“ meinte sie nur. Für sie schien es ein Spiel zu sein und er würde keine Antwort von ihr erhalten.
„Komm schon, gib´s zu! Sie ist alles woran du denkst!“
Er schüttelte den Kopf und verfluchte sich innerlich selbst dafür, dass er sich auf dieses Gespräch überhaupt einließ.
„Du hättest sie einfach links liegen lassen können! Du hättest dich nicht um sie kümmern müssen! Sie ist nicht mit dir verwandt! Ja, noch nicht einmal mit Chance! Wieso hängst du nur an dieser Spinnerin? Sie wird dir nur Ärger bringen!“ kam von der falschen Cassidy vor ihm.
Ryan sah sie finster an, wusste nicht, was er ihr entgegnen sollte und ging dann einfach zur Haustür.
Er wollte einfach nur raus. Weg von dem mysteriösen Ding, was seiner Freundin so ähnlich sah und sie dennoch nicht war.


Felice saß auf ihrem Bett und versuchte sich abzulenken. Doch das Buch in ihren Händen erfüllte nicht im geringsten seinen Zweck.
Vor einigen Minuten hatte Ryan sie angerufen und ihr erklärt, dass er Cassidy wieder gefunden hätte. Allerdings hatte er ihr nicht erklären wollen, wo ihre beste Freundin gesteckt hatte.
Und nun wartete sie darauf, dass er sie anrief, um ihr zu sagen, dass sie gemeinsam überlegen konnten, wie sie Chance helfen könnten.

Plötzlich flog ihre Zimmertür auf und ihre Mutter stapfte herein.
Dem Gesichtsausdruck zu urteilen, war sie stinksauer.
„Solltest du nicht lernen?“ war das erste was ihr ihre Mutter an den Kopf warf.
„Es sind Ferien!“ entgegnete Felice ihr. Sie verstand nicht, was das Problem war. Noch von ein paar Tagen hatte ihre Mutter ihr eingetrichtert, dass Felice sich um den Besuch zu kümmern hätte. Und den einen Tag mit Cassidy hatte sie nur unter stundenlangen Betteln von ihrer Familie frei bekommen.
„Aus dir wird nie etwas vernünftiges werden!“
Felice starrte ihre Mutter entsetzt an.
„Vor allem nicht, wenn du immer nur mit diesen Versagern zusammen hängst!“
Felice wusste auf wen ihre Mutter anspielte. Sie hatte noch nie einen Hehl daraus gemacht, was sie für Felice´s Freunde empfand. Allerdings hatte sie dies noch nie so verächtlich geäußert.
„Eine Geisteskranke und zwei Herumtreiber!“ fluchte die Mutter und griff nach dem Foto, welches bei Felice auf dem Schreibtisch stand. Es war ein Bild von ihr mit ihren drei Freunden. Eben denen, die ihre Mutter soeben beschimpfte.
„Das sind meine Freunde!“ Felice Stimme klang nicht so stark, wie sie wollte.
„Jetzt nicht mehr! Du wirst sie nicht mehr sehen!“
„Du kannst mir nicht verbieten, meine Freunde zu sehen!“ entgegnete Felice noch immer mit schwacher Stimme.
„Oh doch, ich kann!“ gab ihre Mutter mit Hass in der Stimme zurück, „Ich werde nicht zulassen, dass du mir noch weiter Schande machst! Deine schulischen Leistungen sind ein deutliches Zeichen dafür, dass du ein totaler Versager bist! Du wirst nie irgendwo hin gehören! Du wirst immer nur ein Niemand bleiben, wenn du mit den Verrückten zusammen bist!“
Für einen Moment blieb Felice die Stimme weg. Sie wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte.
Doch dann war es, als wäre sie zum ersten Mal wach geworden.

„Du kannst mir nicht vorschreiben, mit wem ich befreundet bin!“ schrie sie auf einmal zurück. Das erste Mal das sie ihrer Mutter lautstark widersprach.
„Du bist meine Tochter und du ...“ fing die Mutter wieder an, aber Felice schrie ihr einfach dazwischen.
„Ich bin kein kleines Kind mehr!“
Felice stand mit einem Mal vor ihrer Mutter und stieß sie aus dem Zimmer.
„Ich lass mir von dir nichts mehr vorschreiben!“
Das Gesicht der Mutter konnte schon nicht mehr roter werden.
„Du weißt nicht, was du dir für Ärger eingebrockt hast!“ entgegnete sie.
Felice antwortete ihr nicht.
„Du weißt nicht, was dich erwartet, wenn du jetzt gehst!“
Felice verstand nicht was, ihre Mutter damit meinte.
Aber im Grunde war es ihr egal, sie wollte hier einfach nur raus. So stürmte sie an ihrer Mutter vorbei und wollte das Haus verlassen.
Doch kaum hatte sie ihr Zimmer verlassen, bemerkte sie, dass sie nicht wirklich in ihrem Zuhause steckte.
Alles war eine viel dunklere Version ihres wirklichen Heimes. Außer der Mutter war niemand im Haus und es gab auch keine wirklichen Geräusche.
Entsetzt drehte sie sich zu ihrer Mutter um und erstarrte.
„Kindchen, deine beiden Freunde werden dir noch eine Menge Ärger bereiten!“
Es war längst nicht mehr die Stimme ihrer Mutter. Die Stimme war verzerrt und ein wenig tiefer.
„Das hier ist nicht echt!“ kam Felice nur über die Lippen.
„Es ist so echt, wie ich es will!“ entgegnete ihr die Frau mit dem Gesicht ihrer Mutter lächelnd, „Und du solltest dir deinen Plan nach Chance zu suchen noch einmal reiflich überlegen!“
Felice schüttelte nur den Kopf.
„Es könnte ohne deine Freunde viel einfacher sein! Einfacher und vor allem ohne Gefahr!“

Noch ehe Felice eine passende Antwort gefunden hatte, spürte sie, wie jemand nach ihrer Hand griff und sie aus dem Haus zerrte.
Zu verwirrt, um überhaupt mit zu bekommen, was vor sich ging, ging sie mit.
Erst vor dem Haus bemerkte sie, dass es Ryan war, der sie gepackt hatte.
Dennoch riss sie sich von ihm los. Unsicher ob er real war.
„Was ist hier los?“ wollte sie von ihm wissen.

„Ihr beide steckt in einem Traum!“
Beide drehten sich erschrocken zur Straße.
Dort stand ein blau-haariger Punker und hinter ihm Ryan´s Pick-Up.
„Man hat euch versucht zu trennen!“ erklärte er, „Ganz schön fies!“
Ryan wollte ihn schon fragen, was das alles soll, doch der Punker warf ihm einen stechenden Blick zu.
„Cassidy braucht Hilfe!“
Beide starrten ihn mit großen Augen an.
„Wo ist sie? Ist sie auch hier?“ wollte Ryan wissen und auch Felice sah sich um.
Die ganze Straße schien verändert und doch die selbe zu sein.
Der Punk antwortete ihnen nicht und bedeutete ihnen, sich in den Wagen zu setzten und los zu fahren.

„Was meintest du damit, dass sie uns trennen wollen?“ fragte Ryan kaum dass er und Felice zu dem Punk in den Wagen gestiegen waren. Ryan ärgerte sich darüber, dass der Fremde nun hinter dem Steuer seines Wagens saß und ihn anließ.
„Sie versuchen Cassidy zu kontrollieren. Und da sie immer wieder zurück gefunden hat, wollten sie euch von ihr wegbringen!“
Noch immer verstanden die beiden nicht das geringste, was ihnen der eigenartige Kerl zu erklären versuchte.
„Ihr hättet ihr besser zuhören sollen!“ meinte er genervt, als er mitbekam, dass die beiden im Grunde total ahnungslos waren.

Die Szenerie vor dem Wagen änderte sich schnell und recht bald waren sie auf einer Art Highway, wenngleich sie weder so schnell noch so weit gefahren waren.
„Wo ist Cassidy nun?“ wollte Ryan noch immer wissen.
„Im Moment in großen Schwierigkeiten!“ war die einzige Antwort, die er erhielt und der Punk machte auch keine Anstalten, dass er weitere Auskünfte geben würde.


Cassidy versuchte sich zu konzentrieren. Noch immer war ihr Körper regungslos. Sie wusste nicht, ob sie erst wenige Minuten oder doch schon Stunden auf ihrem Bett lag und die Decke anstarrte.
Und obwohl sie schlafen wollte, unter anderem weil sie sich erhoffte so wieder zurück nach hause zu kommen, gelang es ihr nicht.
Ihre Gedanken kreisten um so viele verschiedene Dinge. Dinge, die sie für wahr hielt und welche, die zu unwirklich erschienen.
Noch immer war sie sich nicht im Klaren, ob die Anstalt ein Traum war oder Wirklichkeit. Doch egal was es war, sie wollte hier nur weg.

Sie glaubte eine Stimme zu hören. Irgendwer rief nach ihr. Doch sie kannte die Stimme nicht.
Die Stimme rief ihr zu, sie solle sich konzentrieren.
Nur worauf, verriet sie nicht.
Und egal, wie sehr sich Cassidy auch zu konzentrieren versuchte, nichts geschah.
Nach einer halben Ewigkeit, wie es ihr schien, spürte sie ein leichtes Kribbeln in ihrem Körper, welches immer stärker wurde. So als würden alle ihre Glieder mit einem Male aufwachen.
Und das Kribbeln, welches nun beinahe schon zu schmerzhaft war, weckte sie vollends auf.
Blitzschnell saß sie wieder aufrecht. Eine Bewegung, die sie schwindelig werden lies.

Sie hatte die Kontrolle über ihren Körper wieder. Einerseits war sie erleichtert darüber, andererseits was nützte ihr dies, wenn sie immer noch eingesperrt war.
Dennoch ging sie zur Tür und griff nach dem Knauf, der vorher noch nicht da war.
Im ersten Moment tat sich gar nichts. Sie drehte ihn noch einmal und dann noch einmal.
Und beim dritten Versuch hörte sie das Klicken im Schloss. So als hätte jemand einen Schlüssel gedreht.
Die Tür ging auf und Cassidy sah sich verwundert um.
Wieder hörte sie die Stimme in ihrem Kopf. Eine Stimme, die sie schon einmal gehört zu haben glaubte, und zwar nicht erst vor wenigen Minuten.
Es war wie ein Deja-Vu als ihr die Stimme den Weg über den Flur wies und immer wieder sagte, sie solle sich konzentrieren.

Cassidy rannte barfuß über die weißen Flure der Anstalt. Einige der Patienten starrten ihr nach. Einige verwundert und andere wiederum feuerten sie an, als sei sie gerade bei einem Wettrennen. Und im Grunde war es dies auch.
Sofort hatte sie mehrere Pfleger hinter sich, die sie wieder einzufangen versuchten.
Cassidy konzentrierte sich nur auf ihren Fluchtweg und merkwürdigerweise, schien keiner der Männer sie einzuholen.
Sie wusste nicht, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war.
Sie erreichte recht bald die Tür zum Treppenhaus. Eigentlich war diese immer verschlossen, doch als Cassidy sich darauf konzentrierte, wie sie sie öffnen wolle, sprang die Tür einfach auf und sie konnte hindurch laufen.
Ohne dass sie die Tür überhaupt berührte, fiel sie hinter ihr auch wieder ins Schloss und ihre Verfolger waren einen Moment damit beschäftigt, sie aufzuschließen.

Cassidy lief die Stufen hinauf, stolperte ein, zwei Mal und nach einer Weile erreichte sie die Tür zum Dach. Und wie zuvor, brauchte sie sich nur Vorstellen, sie zu öffnen und es geschah.
Wieder schloss sich die Tür hinter ihr wie von Geisterhand und sperrte ihre Verfolger aus oder in dem Fall ein.
Das Dach war kalt und zugig.
„Du hättest nicht hier rauf kommen sollen!“
Erschrocken drehte sich Cassidy um und musste erkennen, dass Doktor Peeker bereits auf dem Dach stand, während die Pfleger noch immer mit der Tür beschäftigt waren.
„Ich hab dir schon einmal gesagt, dass es aus der Einrichtung kein Entkommen gibt!“ meinte er zu ihr, „Und selbst wenn du wieder zu hause aufwachen würdest, nur ein paar Minuten oder Stunden wärst du wieder hier! Du landest immer wieder hier! Bis du ganz hier bleibst!“
Cassidy schüttelte den Kopf und versuchte im Rückwärtsgehen den Abstand zum Doktor zu vergrößern.
„Niemand würde dich zu hause vermissen!“ meinte er.
„Doch!“ schrie sie zurück, „Mein Bruder und meine Freunde!“
Er schüttelte belustigt den Kopf.
„Wir können sie vergessen lassen! Wir können alles ändern!“
Cassidy schritt immer weiter rückwärts ohne wirklich darauf zu achten, wie weit sie gehen konnte, bis er sie kurz besorgt ansah.
Es war nur eine kurze Reaktion seinerseits. Wenn man nicht genau hinsah, würde man sie noch nicht einmal bemerken.
„Du solltest nicht weiter gehen!“ meinte er. Es klang viel mehr wie ein Befehl.
„Wenn du runter stürzt, wirst du sterben!“
Sie sah ihn kurz irritiert an und warf dann einen Blick hinter sich.

Es war tief und unter ihr lag der Innenhof der Anstalt.
Er schien ihre Gedanken zu kennen.
„Ja, dass ist mit der Patientin geschehen!“ erklärte er, während er langsam auf sie zu schritt.
„Sie hatte ebenfalls versucht hier weg zu laufen und sprang. Und starb!“
Cassidy sagte nichts.
„Sie ist nicht nur hier vom Dach gefallen!“ meinte er und wartete auf eine Reaktion ihrerseits.
„Du hast es doch gesehen, oder?“
Cassidy wusste nicht, ob er auf einen ihrer Träume anspielte. Sie hatte eine Frau springen gesehen.
Und sie hatte auch gewusst, was mit der Frau danach geschehen war.

„Das ist deine Fähigkeit! Du siehst was geschieht!“ meinte er und für einen Moment klang er so, als hätte er Mitleid.
„Nur wenige Traumwanderer besitzen auch in ihrem anderen Leben die Fähigkeiten, die sie im Traum haben!“
Noch immer sagte Cassidy kein Wort. Sie beobachtete ihn, wie er immer näher kam und bemerkte auch die Pfleger, die sich endlich aufs Dach gekämpft hatten.
Sie überlegte noch immer, was sie nun tun sollte.
„Aber alles wird enden, wenn du springst! Du wirst sterben! Vielleicht wachst du noch einmal kurz auf, nur um mitzubekommen, dass du auch in der anderen Welt stirbst!“
Doktor Peeker war nur noch wenige Schritte von ihr entfernt und auch die Pfleger kamen immer näher.
Zuletzt geändert von Nikita LaChance am Di 26. Jul 2011, 09:45, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: AT: if dream come true (Version 2)

Beitragvon Nikita LaChance » Di 26. Jul 2011, 09:44

Kapitel IX – viele Wege

Eine Weile war Chance seinem mysteriösen Begleiter gefolgt. Er wusste nicht, ob er ihm trauen konnte. Allerdings schien der Mann, über den er vor einiger Zeit noch geschrieben hatte, weit aus weniger gefährlich als die Männer in Schwarz.
Zu viel ging Chance durch den Kopf und er wusste nicht, welche Frage er wohl als erstes stellen sollte.
„Kannst du damit endlich mal aufhören?“ brummte Liam plötzlich, ohne sich zu ihm umzusehen.
Chance verstand nicht, was er damit meinte.
„Deine Gedanken … Es ist fast so als würdest du mich anschreien!“
„Was?“ Noch immer war Chance irritiert und sah seinen Begleiter fragend an.
Dieser stoppte und drehte sich zu ihm um.
„Manchmal glaube ich, ich hätte dich zurück lassen sollen!“ seufzte Liam kurz. Er klang ein wenig zu überzeugend, so dass Chance schon damit rechnete, jeden Moment allein dazustehen.
„Nein! Ich hab nicht vor dich hier stehen zu lassen!“ erklärte Liam mit einem genervtem Augenrollen.
„Du liest meine Gedanken!“ stellte Chance überrascht fest.
„Wow, jetzt erinnert er sich doch noch an einen Teil aus seinem Roman!“ meinte Liam mit gespieltem Stolz.
„... alle meine Gedanken?“
Liam´s Mundwinkel zuckten kurz und ein belustigtes Grinsen war für einem Moment in seinem Gesicht zu sehen.
„Das ist ein Scherz, oder?“
„Du scheinst ziemlich überrascht zu sein!“ bemerkte Liam nur und klang zugleich wieder genervt, „Wäre nett, wenn du einem deine Gedanken nicht gleich so aufdrängst!“
Chance sah ihn nur mit großen Augen an.
„Ja, ich bin ein Telepath!“ kam von Liam, „Und anders als die meisten Leute besitze ich meine ach so tollen Fähigkeiten auch, wenn ich nicht in irgendwelchen Träumen herum geistere!“
Chance nickte nur.
„Und ja, es ist manchmal ziemlich praktisch!“
Chance sagte nichts. Im Grunde führte er gerade ein seinerseits wortloses Gespräch mit seinem merkwürdigen Begleiter und Retter.
„Im Moment allerdings, geht es mir gerade tierisch auf den Keks!“
Wieder nur ein Nicken von Chance.

Liam holte tief Luft und sah ihn finster an.
„Wäre nett, wenn du jetzt einfach mal aufhörst!“ knurrte er Chance an.
Chance verstand nicht so recht, was Liam damit meinte. Im Grunde machte er doch gar nichts. Er sprach nicht. War still.
Und doch so schien es, als schrie er Liam förmlich an.
Tonlos.
Noch einmal holte Liam tief Luft.
„HÖR ENDLICH AUF!“
Chance riss die Augen weit auf.
Liam hatte nichts gesagt. Und dennoch hatte Chance seine Stimme gehört.
„Es funktioniert mehr oder weniger auch anders herum, wenn ich es will!“ meinte Liam nur, „Allerdings ist es so rum noch anstrengender!“
„Wozu …?“
„Woher soll ich wissen, warum ich es kann?“ beantwortete Liam seine ungestellte Frage, „Ich besitze die Fähigkeit einfach. Genauso wie du mehr oder weniger in die Zukunft sehen kannst!“
Chance schüttelte nur den Kopf.
„Du bist genauso wie Cassidy einfach nur zu ungeübt mit deinen Fähigkeiten! Ihr könnt beide nicht vorher bestimmen was ihr sehen wollt oder wessen Zukunft!“
„Und du kannst von jedem die Gedanken lesen?“ wollte Chance wissen.
Allmählich waren sie wieder weiter gegangen, ohne wirklich auf ihre Umgebung zu achten.
„Nicht wirklich! Es gibt einige Leute, die es schaffen mich aus ihren Gedanken heraus zu halten. Und auf weite Entfernungen kann ich auch nicht in die Gedanken von jemanden eindringen!“ erklärte Liam und beantwortete sogleich eine weitere Frage von Chance, „Cassidy liegt außerhalb meiner Reichweite!“
„Ich muss zu ihr!“ gab Chance noch einmal leise von sich.
„Das wäre eine schlechte Idee!“ war Liam´s letztes Wort und er beschleunigte seine Schritte wieder.

Chance folgte ihm. Schweigend.
Und obwohl er wusste, dass Liam jeden seiner Gedanken lesen konnte und vermutlich auch würde, konnte er es einfach nicht abstellen.
Noch immer fragte er sich, wo er hinein geraten war und wie er da wieder heraus finden sollte. Und vor allem was er nun tun sollte.
„Wir müssen heraus bekommen, was passiert ist!“ flüsterte Liam ihm zu, ohne sich zu ihm umzusehen.


Ryker hatte der Nachricht von Ryan erhalten, dass Cassidy wieder bei ihm sei. Einerseits war er beruhigt. Andererseits hatte er ein ungutes Gefühl.
Und dieses Gefühl betraf unter anderem etwas was Laramie ihm gesagt hatte.
Es wurde Zeit dass er seinen alten Bekannten einen Besuch abstattete und sie beide von Angesicht zu Angesicht über das Problem redeten, was womöglich noch viel größer war, als sie im Moment vermuteten.
In der realen Welt würde er Laramie nie finden. Oder nicht mit den üblichen Mitteln. Allerdings war Ryker kein gewöhnlicher Polizist und ebenso wie Laramie nicht an diese Welt gebunden.
Ryker setzte seinen Wagen wieder in Bewegung und fuhr einfach die Straße vor ihm entlang. Immer gerade aus.
Irgendwann verschwanden die anderen Wagen und auch die gesamte gewohnte Umgebung ringsum.
Einzig die Straße vor ihm blieb.

Den Übergang in die andere Welt bemerkte Ryker längst nicht mehr. Er wusste einfach wann er gewechselt hatte, oder glaubte es zumindest zu wissen.
Nach nur wenigen Metern tauchte vor dem Wagen eine Tür auf. Sie schien mehr oder weniger in der Luft über der Straße zu schweben.
Ryker hielt den Wagen an und stieg aus.
Die Tür vor ihm war alles. Es gab kein Gebäude ringsum. Und vermutlich konnte man die Tür ohne Probleme umkreisen.
Ryker wartete kurz. So als erwarte er, dass sich das Haus um die Tür noch aufbaute.
„Laramie!“ rief er dann und nach ein paar Sekunden, öffnete sich die Tür vor ihm.

Licht fiel auf die Straße und Ryker konnte einen mit Büchern überfüllten Raum erkennen, der nach billigem Wiskey und nach feuchtem Holz roch.
Ein bärtiger Mann im Holzfäller-Outfit und mit einem zerschlissenen Basecap, welches die aschblonden Haare bedeckte, trat in den plötzlich erschienen Eingang.
„Wird auch Zeit!“ grüßte der Mann nur und trat zur Seite.
Ohne sich weiter darüber den Kopf zu zerbrechen, stieg Ryker durch die wandlose Tür und fand sich sogleich in einem alten Haus wieder.
Die Tapeten an den Wänden waren zu Teil längst vergilbt und wirkten viel eher als gehörten sich schon seit Jahrzehnten ausgetauscht. Ebenso wie das Mobiliar, welches bunt zusammengewürfelt und zum Teil mit Papieren und Büchern bedeckt war.
„Ziemlich eigenwilliger Trick!“ meinte Ryker nur und folgte seinem alten Bekannten weiter in den Raum hinein.
„Man muss nur wissen, wie man sich versteckt!“ bekam er nur als Antwort.

Auf einem alten Tisch an der fensterlosen Wand bemerkte Ryker ein Funkgerät. Ein ziemlich altes Modell, womit man vermutlich zuletzt vor über fünfzig Jahren zuletzt gearbeitet hatte.
„Vielleicht solltest du dich setzten!“ meinte der Mann nur zu ihm und drückte ihm ein Glas mit brauner Flüssigkeit in die Hand.
Ryker musterte das Glas und nippte kurz.
Definitiv nicht sein Getränk. Vermutlich Jim Beam oder dergleichen.
Dann suchte er sich einen freien Platz und setzte sich.

„Cassidy ist nicht mehr bei ihren Freunden!“ bemerkte Laramie noch bevor Ryker irgendetwas sagen konnte.
„Woher …?“
Laramie wies nur kurz auf das Funkgerät, welches stumm war. Ryker war sich nicht einmal sicher, ob das Gerät überhaupt noch irgendeinen Nutzen haben könnte, außer als Dekoration.
„Peeker hat sie schon länger in den Fingern!“ meinte Laramie und nippte an seinem eigenen Wiskeyglas.
Ryker wollte gerade einwerfen, dass Cassidy schon einmal aus den Fängen der Traumwächter geholt worden war.
Doch Laramie schüttelte nur den Kopf, ehe Ryker auch nur einen Ton sagte.
„Diesmal ist sie zu tief drin. Ich hab keine Ahnung, ob sie überhaupt irgendwer raus holen kann!“
„Aber es ist schon einmal …!“ begann Ryker erneut. Sein Glas noch immer in der Hand.
Laramie leerte seines in einem Zug, stellte es auf einen der Bücherstapel und ging zu seinen überfüllten Schreibtisch hinüber, der als solcher kaum noch zu erkennen war.
Er brauchte nicht lange zu suchen und holte einen Zeitungsbericht hervor, den er an Ryker übergab.
Der Bericht war bereits mehrere Jahre alt und im Grunde kannte Ryker ihn längst, noch ehe er ihn lesen musste.

„Wir haben schon einmal versagt!“ seufzte Laramie kurz und füllte sein Glas nach.
„Aber wir müssen sie da raus holen. Sie und Chance!“ bestand Ryker. In der einen Hand seinen noch immer unangerührten Wiskey und in der anderen den Zeitungsbericht.
„Chance ist nicht mit ihr zusammen. Und sie in Peeker´s Einrichtung.“ Laramie nippte kurz an seinem Glas, ehe er fort fuhr, „Diesmal hat Peeker die Einrichtung besser geschützt und seine Leute sind ebenfalls besser!“
Ryker musterte kurz den alten Mann vor sich.
„Aber wir können sie nicht in Peeker´s Händen lassen! Wir müssen sie da raus holen!“
Laramie Mundwinkel zuckten kurz nach oben.
„Es geht um mehr als nur um ein Mädchen! Dass ist dir hoffentlich klar!“
Für einen kurzen Augenblick verstand Ryker nicht, was Laramie damit meinte.
„Selbst, wenn wir Cassidy aus Peeker´s Einrichtung herausholen, es würde nicht lange dauern, bis sie wieder in seinen Fängen wäre. Und selbst wenn, es uns gelingen sollte, sie vollends zu befreien, so ändert das nichts am gesamten!“
Ryker sah ihn mit großen Augen an.
„Alle Traumwanderer sind in Gefahr. Nicht nur Cassidy und ihr Bruder!“ meinte Laramie mit ernster Stimme, „Die Wächter sind längst keine Wächter mehr. Sie sind Jäger!“
„Aber was genau haben sie vor?“ Ryker´s Stimme klang mit einem Male schwächer als gewohnt.
„Das … ist eine gute Frage!“ Laramie leerte erneut das Glas in einem Zuge, „Aber vermutlich nichts gutes!“
Ryker schwieg. Dass Peeker und die Signum Vigilare, wie die Traum-Wächter eigentlich hießen, nichts gutes im Schilde führten, war im längst bewusst.
Nur wollte er sich nicht damit abfinden, dass er Cassidy nicht helfen könne.
Irgendetwas musste man doch machen können.
Gar nichts zu tun, würde ebenfalls Versagen bedeuten, fand er.


Ryan und Felice sahen den Punker irritiert an.
„Wo steckt sie?“
Noch immer wollte er keine Antwort geben. Er lies sich noch nicht einmal von Ryan´s finsterem Ton beeindrucken.

Die Straße oder vielmehr der Highway schien endlos zu sein. Doch egal wie sehr sich Felice und Ryan anstrengten, sie konnten keinen Anhaltspunkt ausmachen, wo sie sich genau befanden. Im Grunde schien, außer der Straße, auf der sie fuhren, gar nichts dazu sein.
„Wo bringst du uns hin?“ wollte Felice wissen und klang ein klein wenig panisch.
„Wenn man in Bewegung ist, finden sie einen nicht ganz so schnell!“ bekam sie von dem Punk nur als Antwort.
Ryan musterte den Kerl, der sich hinter das Steuer seines Wagens gesetzt hatte erneut.
Irgendwie kam er ihm bekannt vor. Nur konnte er im Moment nicht genau sagen, wo er ihn schon einmal gesehen hatte.
„Wie ist eigentlich dein Name?“ wollte er dann wissen.
„Lennox!“
Der Punk interessierte sich nicht im Geringsten für Smalltalk und auf aufwendige und vermutlich sinnlose Erklärungen hatte er im Moment auch keine Lust und so starrte er weiter gerade aus auf die Straße.

„Wo finden wir Cassidy?“
Ein kurzes Zucken des Kiefers von Lennox verriet Ryan, dass dieser noch immer nicht antworten wollte.
„Wo?“ diesmal wurde Ryan lauter und sogar Felice zuckte kurz zusammen.
„Wo sie steckt, kann ich dir nicht sagen!“ antwortete Lennox endlich, „Aber wenn wir Glück haben, findet sie uns!“
Beide Freunde sahen sich irritiert an und dann auf den ihnen unbekannten Fahrer.
„Man hat euch drei von einander getrennt! Nicht ohne Grund!“ begann Lennox erneut, „Sie hoffen so, dass sie Cassidy schwächen!“
„Wer?“ Felice´s Frage war kaum mehr als ein Flüstern.
Lennox rollte genervt mit den Augen.
„Die Wächter!“ Er hasste es, wenn er Antworten geben musste, die der andere eigentlich schon wusste oder zumindest wissen sollte. Er war der Auffassung, dass beide bereits alles von Cassidy erfahren hätten. Aber vermutlich waren sie nicht aufmerksam gewesen. Oder schlimmer noch, hatten alles als dummes Märchen abgetan.
„Was genau sie mit ihr vorhaben, kann ich euch nicht sagen!“ antwortete er gleich, noch bevor einer der beiden etwas in der Richtung fragen konnten.
„Sie wird uns finden!“ murmelte er vor sich hin und steuerte den Wagen weiter über den Highway.


Noch immer stand Cassidy am Rand vom Dach. Der Wind war eisig und schien sie einerseits von der Dachkante zurück stoßen zu wollen. Andererseits aber auch von hinten gegen sie zu drücken.
„Von hier aus geht’s nicht weiter!“ meinte Doktor Peeker und kam näher auf sie zu.
Er schritt langsam, so als sei er darum bemüht sie nicht zu erschrecken. Sein Lächeln im Gesicht allerdings ließ erkennen, dass er bei weitem nicht so freundlich war, wie sein langsames und vorsichtiges Voranschreiten vermuten ließ.
„Wenn du springst, bist du tot!“
Cassidy ignorierte ihn. Zumindest versuchte sie es.
Sie wusste längst nicht mehr, was Wirklichkeit war und was Traum. Sie wusste nur, dass sie hier weg wollte.
In dem seelenlosen weißen Kasten war sie allein. Gefangen.
Sie wollte zu ihren Freunden. Zu ihrem Bruder.
„Sie sind nicht echt!“ kam von Doktor Peeker.
Immer wieder schienen seine Worte keinen Sinn zu ergeben. Einmal schien es, als wolle er sagen, dass die Einrichtung die reale Welt sei und Cassidy nur eine verwirrte Patientin. Und ein anderes Mal, waren Cassidy´s Freunde real.
„Was ist echt?“ fragte sie leise. Mehr zu sich, als zu irgendwem auf dem Dach.
Dennoch hatte Doktor Peeker sie gehört.

„Alles!“
Sie sah sich zu ihm um. Eine blitzschnelle Bewegung, die sie kurz aus dem Gleichgewicht geraten lies.
„Die Einrichtung ist echt!“ lachte er. Er war nur noch wenige Meter von ihr entfernt.
„Und deine Freunde … sie sind auch echt!“
Cassidy schüttelte nur den Kopf.
Doktor Peeker machte einen weiteren Schritt.
„Wir können alles so machen, wie wir es wollen! Wenn du hier vom Dach springst, können wir dich auch vor den Füßen deiner Freunde landen lassen. Oder vor dem Empire State Building. Oder … dem Gran Canyon.“ Er schien noch immer belustigt darüber, dass sie ihn so erschrocken ansah, „Im Grunde können wir alles so ändern, dass du irgendwo anderes vom Dach gesprungen bist.“

Nur noch zwei Schritte und er könne sie greifen.

„Tod wärst du dann auf jeden Fall!“ meinte er.
„Wie kann das hier echt sein?“ schrie sie ihn an, „Das hier ist nicht echt!“
Wieder ein gehässiges Lächeln des Doktors.
„Wenn sie nicht wollen das ich springe, dann ändern sie es doch!“ brüllte Cassidy ihm entgegen und drehte sich wieder zu der Dachkante um.
„Das … können wir nicht ändern!“ meinte er, „Wer den Tod wählt, wird auch sterben!“
Cassidy ignorierte seine wirren Worte.

Noch ein Schritt.

„Du solltest es nicht tun!“ Mit einem Male schwang so etwas wie Sorge in Doktor Peeker´s Stimme mit.

Cassidy holte tief Luft.
Und sprang.
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Re: AT: if dream come true (Version 2)

Beitragvon Nikita LaChance » Di 26. Jul 2011, 09:45

Kapitel X – die Geschichte

Danielle saß gelangweilt vor ihrem Computer. Nicht, dass ihr die Arbeit nicht Spaß machte. Für gewöhnlich liebte sie ihren Job, amüsierte sich köstlich über die seltsamen Briefe, die manchmal durch ihre Finger glitten oder lachte mit ihren Kolleginnen über den neuesten Klatsch und Tratsch oder aber auch über irgendein lustiges Video, welches eine von ihnen im Internet gefunden hatte.
Doch im Moment war es Danielle so, als wäre dies hier nicht ihr wahres Ich. Oder vielmehr, als wäre das Büro um sie herum, nicht die reale Welt.

Es war nicht das erste Mal, dass sie so dachte und bei weitem würde dies auch nicht das letzte Mal sein.
Ein leiser Piepton riss sie aus ihren Gedanken und sie warf einen Blick auf ihr Handy.
„Und?“ Mehr stand da nicht.
Ihr Freund Andrew wartete genauso ungeduldig auf eine Antwort wie sie. Und beide waren sich nicht sicher ob sie überhaupt eine Antwort erhalten würden.

Vor ein paar Wochen hatten Andrew und sie auf einen jungen Mann getroffen, den sie zuvor noch nie gesehen hatte. Für einen Augenblick lang hatte er ein wenig verloren gewirkt, ehe er sie dann zum Tee einlud.
Wenn Danielle jetzt so darüber nachdachte, erschien dieses Zusammentreffen mehr als eigenartig. Nur hatten sich beide keine großen Gedanken gemacht.
Jedenfalls bis der Mann ihnen etwas erzählte.

Die Geschichte des Mannes erschien viel zu fantastisch. Zu irreal, als sie zu glauben.
Und doch schien an der Geschichte etwas dran zu sein.

So wie der Mann seine Geschichte erzählt hatte, war er auch wieder verschwunden.
Allerdings nicht ohne ein Wort der Warnung.

Doch so sehr sich Andrew und Danielle auch danach an die Warnung zu erinnern versuchten, sie konnten sich einfach nicht mehr daran erinnern.
Und auch das Treffen mit dem Mann erschien nur noch eine verschwommene Erinnerung zu sein.

Nach einer Weile hatten die beiden das Treffen auch schon wieder vergessen.
Jedenfalls bis Danielle einen Anruf bekam.

„Es ist passiert!“
Danielle hatte einen Moment gebraucht, ehe sie die Stimme erkannt hatte.
„Ich muss ihn finden!“ hatte die Stimme am anderen Ende gemeint.
„Wie?“ war alles was Danielle hatte fragen können.
„Ich weiß nicht! Ich hoffe, du kannst mir helfen!“
Es klang wie eine verzweifelte Bitte.
Danielle wollte schon erklären, dass sie nicht wüsste, wie sie eine Hilfe sein könnte. Doch dann war ihr plötzlich wieder das Treffen mit dem fremden Mann in den Sinn gekommen und dessen eigenwillige Geschichte.
„Ich werd´s versuchen!“ war alles was sie versprechen konnte.

Danach hatten Danielle und ihr Freund Andrew alles versucht, näheres über den fremden Mann und seine Geschichte in Erfahrung zu bringen.
Es erschien manchmal ziemlich aussichtslos zu sein. Aber irgendwie hatten sie dann doch wenige Dinge in Erfahrung bringen können.
Wie weit diese Informationen weiter helfen würden, würde sich noch zeigen.

Doch dies war nicht der einzige Grund gewesen, weswegen Danielle vor fast zwei Tagen jemanden angerufen hatte, den sie ihm Grunde noch nie wirklich begegnet war.
Sie hatte auch nicht mehr als einen Satz gesagt, wohl wissend, dass sie ihren eigentlichen Gesprächsteilnehmer nicht erreicht hatte. Dann hatte sie aufgelegt.


Kaum war Danielle nach ihrem langen und langweiligen Arbeitstag daheim angekommen, kam ihr Andrew bereits entgegen.
Er brauchte nichts sagen. Sie wusste, was er wissen wollte und schüttelte nur den Kopf.

Gemeinsam gingen sie ins Wohnzimmer.
Egal wie wohnlich und bequem alles aussah. So richtig daheim fühlten sich beide nicht.
Ein Ordner lag auf dem Wohnzimmertisch. Beide hatten immer wieder hinein gesehen oder auch Dinge hinein getan.
„Meinst du, dass reicht?“ wollte Andrew von ihr wissen.
„Es muss!“ seufzte Danielle nur und streckte sich ausgiebig auf der Couch.
„Wann?“
Das fragte sich Danielle auch. Im Grunde hatte sie schon längst damit gerechnet, dass etwas passierte.
Doch im Moment erschien es viel zu ruhig.

„Ich hoffe, es geht ohne Probleme von statten!“ seufzte sie nur, kuschelte sich näher an ihren Freund, der sogleich einen Arm um sie schlang.
„Hoff ich auch!“ gab er müde von sich, „Aber wenn das stimmt, was der Kerl gesagt hat, kann es ziemlich schlimm werden!“
Danielle schwieg. Sie wollte im Grunde nicht über die Folgen nachdenken.
Manchmal wünschte sie sich sogar, dass sie erst gar nichts davon erfahren hätte.

Doch dann, so glaubte sie, hätte sie auch eine Menge verpasst.
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