Re: AT: can't find my way home
von Nikita LaChance » Fr 7. Okt 2011, 08:45
Kapitel IV
Das Erste, was sie hörte war ein nerviges Piepsen. Und dann noch das eigenwillige Geräusch einer Maschine, die klang als würde man eine große und schwere Luftpumpe betätigen.
Während das Piepsen mit der Zeit immer schneller zu werden schien, verhielt sich das zweite Geräusch gleichbleibend.
„Jane Doe!“ hörte sie eine Stimme sagen, „Was für´n beschissener Name!“
Sie brauchte einen kurzen Moment, ehe sie die Worte verstand. So als müsste sie ihr Hirn auf die richtige Sprache einstellen.
Sie versuchte ihre Augen zu öffnen. Es fiel ihr schwer, so als habe man ihre Augenlider fest verklebt.
Und obwohl sie sich fühlte, als habe sie sehr lange geschlafen, war sie doch zu müde um aufzuwachen. Und zu schwach.
Nur langsam flogen ihre Augen auf. Anfangs war der Raum zu hell und alles unscharf.
Doch nach einem kurzen Moment erkannte sie neben ihrem Bett die Maschinen. Ein Monitor, der ihre Herzfrequenz anzeigte und dabei dieses nervige Piepsen von sich gab und daneben ein Beatmungsgerät. Ursache für das zweite Geräusch.
„Wow!“
Verwirrt sah sie sich nach der Stimme um.
„Wusste nicht, dass ich ein Dornröschen wecken kann!“
Vor ihrem Bett stand ein Mann, Anfang Dreißig. Sein kurzes blondes Haar war ein wenig zerzaust und seine Kleidung zerknittert.
Sie sah ihn nur müde an und versuchte sich zu erinnern, wer er war.
Doch noch ehe sie genauer nach grübeln konnte, versank alles um sie herum wieder in Dunkelheit.
Der Piepton verschwand, genauso wie der Mann und der Raum um sie herum.
Als sie erneut aufwachte, bemerkte sie als erstes, das der Druck in ihrem Hals weniger geworden war. Dennoch schmerzte es beim Atmen, so als leide sie seit Tagen unter einer schweren Halsentzündung.
Sie bemerkte auch, dass irgendetwas an ihrer Nase klebte. Und auch in ihrem Arm.
Irgendwie schien sie mit einem Male alles Mögliche zu bemerken.
Die Bettdecke, die einerseits frisch gewaschen roch, aber andererseits zu sauber roch. Genauso wie der Raum, der regelrecht nach Desinfektionsmitteln stank. Die Kleidung war kratzig. Und die Luft schmeckte eigenartig.
Sie sah sich um. Konnte aber nicht erkennen, wo genau sie war.
Die Beatmungsmaschine neben ihrem Bett war verschwunden. Aber der Monitor, der noch immer ihre Herzfrequenz anzeigte, die langsam ein wenig anstieg, hing noch immer an seinem Platz. Gnädigerweise schien jemand den Ton abgedreht zu haben.
Eine ältere Dame im Kittel kam in den Raum. Sie schritt wortlos ans Bett und nahm das Notizbrett, welches am Fußende hing in ihre Hand um es zu studieren.
Dann sah sie kurz zu der Patientin und ein freundliches Lächeln trat in ihr Gesicht. Deutlich war zu erkennen, dass dies zum Großteil gespielte Freude war. Ein antrainiertes Lächeln.
„Schön!“ meinte sie, steckte das Notizbrett zurück an seinen Platz und drehte sich wieder zur Tür.
„Der Doktor wird gleich vorbei kommen!“ gab sie noch von sich, bevor sie das Zimmer wieder verließ.
Der Doktor, ein etwas älterer Herr, der vielmehr wie ein Professor aus alten Filmen wirkte, war nur wenig später im Zimmer, in Begleitung einer Krankenschwester.
Noch bevor er überhaupt irgendetwas sagte, kontrollierte er die Daten auf dem Notizblatt der Patientin vor sich und warf einen Blick auf den Herzmonitor.
„Wir haben uns schon Sorgen um Sie gemacht!“ meinte er dann und trat etwas näher, sodass er nun neben dem Bett stand.
Er bemerkte ihre Verwirrung und ihren Versuch sich aufzusetzen, sowie den Versuch irgendetwas zu sagen.
„Sie sollten noch ein wenig vorsichtig sein!“
Er sah sie besorgt an, so als müsse er überlegen, ob er ihr mehr über ihren Zustand verraten könnte oder ob es sie zu sehr belasten könnte.
„Wissen Sie noch was passiert ist?“ wollte er von ihr wissen.
Sie schüttelte nur ihren Kopf und sah ihn mit großen Augen an.
„Wissen sie, wo sie sind?“
Wieder ein Kopfschütteln ihrerseits.
Er atmete tief durch.
„Man fand Sie vor zwei Wochen schwer verletzt auf. Sie waren nicht mehr ansprechbar. Wir mussten Sie operieren und …“
Sie sah ihn nur mit großen Augen an und schien nicht wirklich mitzubekommen, was der alte Mann vor ihr von sich gab.
Er redete irgendetwas von einem schweren Schädeltrauma und von inneren Verletzungen. Sie habe mehrere Schnittwunden und Prellungen erlitten.
„Sie können sich wirklich an nichts erinnern?“ wollte er erneut wissen.
Und wieder schüttelte sie nur den Kopf.
„Können Sie sich an ihren Namen erinnern? Oder an irgendwen, den wir benachrichtigen können?“
Sie lies ihren Blick von dem Arzt vor ihr auf die Krankenschwester und wieder zurück wandern.
„Nein!“ gab sie schwach von sich.
Der Arzt musterte sie noch einmal und warf der Schwester einen seltsamen Blick zu.
„Gut! Sie sollten sich ein wenig ausruhen!“ meinte er dann zu seiner Patientin, „Ich werde später noch einmal nach Ihnen sehen!“
Damit ging er wieder, gefolgt von der Krankenschwester.
„Das ist ja mies!“
Der Blonde war zurück und stand mit vor der Brust verschränkten Armen in der offenen Tür.
Er musterte sie kurz und drehte sich wieder um und ging, noch ehe sie fragen konnte, wer er war.
Die Zeit verging schnell. Allerdings bekam sie auch nicht wirklich viel von dem Tag mit, denn kurz nachdem ihr Arzt gegangen war, war sie auch schon wieder eingeschlafen.
Und auch die nächsten Tage verbrachte sie mehr oder weniger schlafend.
Anfangs hatte man sie immer wieder gefragt, ob sie sich an irgendetwas erinnern könnte. Ob sie einen Unfall hatte oder ob sie vielleicht überfallen worden sei.
Die wichtigste Frage allerdings war immer wieder gewesen, wer sie sei. Und so sehr sie sich auch anstrengte, sie konnte sich an keinerlei Dinge erinnern, die vor dem Krankenhausaufenthalt gewesen waren. Sie konnte sich noch nicht einmal erinnern, wie sie überhaupt ins Krankenhaus gekommen war.
Am dritten Tag hatte man einen Psychologen hinzugezogen, der ihr zu verstehen gab, dass sie unter einer Amnesie leide. Man vermutete, dass dies durch ihre Verletzungen bedingt sei und sie sich früher oder später wieder an ihren Namen und ihre früheres Leben erinnern würde.
Währenddessen wolle man testen, in wie weit ihre Erinnerung Schaden erlitten hatte.
Und so saß sie am Morgen des vierten Tages in ihrem Krankenbett, mit einem Fragebogen in der Hand.
„Versuchen Sie, ob Sie den Test lesen und verstehen können!“ meinte der Psychologe, ein Doktor Harris, „Es geht nur darum zu sehen, in weit Ihr Gehirn geschädigt wurde!“
Sie nickte nur.
Eine Schwester kam in den Raum, flüsterte Doktor Harris etwas ins Ohr und wartete auf seine Antwort.
„Jane, Sie kommen doch einen Moment ohne mich klar?“ wollte er wissen und wartete auf ihre Antwort.
„Ja!“
„Ich bin gleich wieder da!“ meinte er, wobei er klang, als spreche er mit einem kleinen verängstigten Kind.
Dann stand er von seinem Stuhl, welchen er ans Bett gezogen hatte, auf und folgte der Krankenschwester aus dem Zimmer.
Sie versuchte sich auf den Test zu konzentrieren. Es sah aus, als habe man ihr einen bunt gemixten IQ-Test in die Hand gedrückt.
Und obwohl sie sich nicht an sich selbst erinnern konnte, so schien ihr der Test nicht schwer zu fallen.
Der Psychologe war schon überrascht gewesen, dass sie allen Anschein nach, trotz ihrer Amnesie, sprechen, schreiben und lesen konnte.
Sie bemerkte, dass jemand den Raum betreten hatte, sah aber nicht von dem Test auf.
Doktor Harris würde jeden Moment wieder seine Fragen stellen und sie würde, obwohl sie keine Lust auf seine Fragen hatte, brav antworten.
Doch die Fragen blieben aus und wer auch immer gerade in den Raum gekommen war, war neben das Bett getreten und sah auf den Test.
Verwundert stellte sie fest, dass es nicht Doktor Harris oder irgendeine Krankenschwester oder einer der wenigen Pfleger des Krankenhauses war, die sonst immer in dem Zimmer ein und ausgingen. Auch war es kein Arzt, der so nah neben ihr stand und den Test zu lesen versuchte.
„Wer...?“
Er schien überrascht zu sein, dass sie ihn bemerkt hatte. Noch überraschter allerdings, dass sie ihn so fragend anstarrte.
„Wer sind Sie?“ wollte sie von ihm wissen.
Er musterte sie, sah sich dann um, so als wolle er sichergehen, dass sie ihn meinte und trat einen Schritt zurück.
Noch immer gab er keine Antwort.
„Kenn ich Sie?“ wollte sie wissen.
Mit fragenden Blick schüttelte er den Kopf.
„Sie waren vorher schon hier!“ bemerkte sie und wieder schien er verblüfft zu sein, dass sie ihn gesehen hatte.
Doch wieder blieb er stumm. Er drehte sich um und ging in Richtung Tür.
Bevor er hinaus ging, sah er sie erneut an. Es schien, als wolle er sie irgendetwas fragen.
Dann verschwand er und wenig später war Doktor Harris zurück.
Den ganzen Nachmittag hatte sie über ihrem Test gesessen und nebenbei noch einige persönliche Fragen von Doktor Harris zu beantworten versucht. Allerdings waren die Fragen zu ihrem Leben schwieriger als die in dem Test.
„Ihre Amnesie scheint sich nur auf Ihr Leben zu beziehen!“ meinte Doktor Harris und klang ein klein wenig verwirrt, „Sie können sich an alles andere erinnern. Ich meine, Sie besitzen ein gutes Allgemeinwissen und ...“
Er lies seinen Blick über den Test schweifen.
„Sie scheinen eine gute Bildung genossen zu haben!“
Kurz danach hatte er sich von ihr verabschiedet und meinte, er werde am nächsten Morgen noch einmal nach ihr sehen und werde mit ihr bereden, was nun noch zu tun sei. Er hatte ihren Test mitgenommen, da er, wie er sagte, ihn genauer durchsehen wollte.
Sie sollte sich keine Gedanken machen und sich ausruhen.
Und somit war sie wieder allein. Mit sich und ihren Fragen.
Allmählich hatte sie sich schon daran gewöhnt, dass man sie mit Jane Doe ansprach. Dennoch mochte sie den Namen nicht.
Sie wollte endlich wissen, wer sie war und wo sie herkam. Irgendwer musste sie doch kennen.
Doch der kurze Besuch eines Police-Offiziers am Tag nach ihrem Aufwachen, hatte ihr keine guten Hoffnungen gemacht. Man hatte weder jemanden gefunden, der sich an sie erinnern konnte noch hatte man überhaupt irgendetwas über sie herausfinden können.
„Du kannst mich also sehen?“
Die Frage war irreführend.
Es war mitten in der Nacht und das Licht in ihrem Zimmer war erloschen. Nur schwach schien das Licht vom Korridor durch den kleinen Spalt ihrer offenen Tür.
Sie konnte sich nicht erinnern, dass sich die Tür überhaupt geöffnet hatte in den letzten Minuten.
„Du siehst mich, oder?“
Der Blonde war zurück. Er trug immer noch die selbe Kleidung, wie das erste Mal, das sie ihn gesehen hat.
„Ja? Wieso?“ Sie war irritiert. Nicht nur, dass sie ihn nicht kannte oder sich nicht an ihn erinnern konnte, so war er auch mitten in der Nacht in ihrem Krankenzimmer und es war weit nach der Besuchszeit.
Er trat näher an ihr Bett heran und lächelte.
„Gibt nicht viele, die mich mitbekommen!“ meinte er auf einmal und schien glücklich darüber.
„Wieso?“ Sie war sich noch immer unsicher, was sie von ihm halten sollte.
„Na gut, die alte Lady ein paar Zimmer weiter freut sich, wenn ich bei ihr auftauche. Aber die hält mich für ihren Enkel oder so!“
Sie verstand noch immer nicht, was er mitten in der Nacht in ihrem Zimmer zu suchen hatte.
„Und dann gibt’s noch diesen alten Kerl mit dem Raucherbein, der ständig rumschimpft. Ich glaube ein paar der Kinder auf der Pädiatrie freuen sich immer wenn ich auftauche und ein wenig die Krankenschwestern veralbere.“
„Ja, aber wieso bist du hier?“ Sie versuchte sich hinzusetzen, wobei ihre OP-Narbe an ihrem Bauch zwickte.
„Du ...“ er grinste sie an, „... bist bei weitem, die Interessanteste hier!“
„Ich versteh nicht ...?“
„Nicht schreien!“
Noch ehe sie darauf reagieren konnte, verschwand er. Er löste sich einfach in Luft auf.
Irritiert starrte sie auf die Stelle, an der zuvor noch der Blonde gestanden hatte.
„Buh!“
Er tauchte wieder auf und stand diesmal noch näher bei ihr.
„Ich hab also nicht nur Amnesie. Ich bin auch irre?“
Sein Lächeln schwand und er sah sie verdutzt an.
„Oh!“ meinte er nur und verschwand wieder.
„Super! Hab ja sonst keine Probleme!“ seufzte sie und legte sich wieder hin, „Mein Hirn hat einen Totalschaden!“
Die ganze Nacht hindurch wartete sie, dass der Blonde wieder erschien. Doch er kam nicht.
Und am Morgen, nachdem sie nur wenige Stunden geschlafen hatte, hatte sie den merkwürdigen Besuch als Traum abgetan.
Sie verriet Doktor Harris nichts davon. Er war ohnehin schon irritiert genug über ihren Gesundheitszustand.
Während er ihr erzählte, dass er ihren IQ-Test ausgewertet und sie dabei ziemlich weit oben im Durchschnitt zu sein schien, bemerkte sie den Blonden wieder.
Diesmal spazierte er über den Flur und hielt vor den Zimmer gegenüber ihrem. Sie konnte nicht erkennen, wer darin war. Aber sie konnte das Grinsen im Gesicht des Blonden sehen. Was auch immer er sah, es schien ihm zu gefallen.
Dann sah sie, wie eine der Krankenschwestern in ebendieses Zimmer ging, ohne den Blonden zu beachten, und die Tür schloss. Der Blonde lies sich davon nicht abhalten und ging einfach durch die geschlossene Tür.
„Ich werde jeden Tag für eine halbe Stunde vorbei kommen!“ verkündete Doktor Harris und riss sie somit aus ihren Gedanken, „Dann können wir sehen, an was Sie sich noch erinnern können!“
Sie nickte nur und blickte immer wieder in die Richtung des Zimmers, in das der Blonde verschwunden war.
„Wenn Sie entlassen werden ...“
„Wann?“ Ihre Frage brachte Doktor Harris kurz aus dem Konzept und er studierte die Unterlagen, die er auf seinem Schoß liegen hatte.
„Nun, wenn es keine weiteren Probleme gibt und alles gut läuft, kommen Sie in circa zwei Wochen hier raus!“ meinte er.
„Gut!“
„Nun ja!“ Doktor Harris versuchte zu ignorieren, dass sie so schnell wie möglich aus dem Krankenhaus wollte, „Wenn Sie hier entlassen werden, werden wir uns jeden zweiten Tag sehen. Schließlich gibt es ja immer noch ein große Lücken in ihrer Erinnerung!“
Sie nickte nur missmutig.
„In ein paar Tagen kommt jemand vorbei, der Ihnen erklären wird, was nun weiter passieren wird.“
Sie sah ihn fragend an.
„Solange Ihre Identität nicht geklärt ist, können wir Sie nicht sich selbst überlassen. Sie werden in einem Wohnheim unterkommen. Sie bekommen einen Arbeitsplatz und man wird Ihnen mit allem helfen!“
„Das ist doch Scheiße!“
Doktor Harris wartete auf eine weitere Frage ihrerseits. Doch sie blickte nicht ihn an, sondern den Blonden, der plötzlich wieder in ihrer Tür stand.
„Von einem Krankenzimmer ins nächste!“ schimpfte der Blonde. Doch Doktor Harris reagierte nicht auf ihn.
„Alles in Ordnung mit Ihnen, Jane?“ wollte Doktor Harris wissen und versuchte zu erkennen, was sie sah.
Sie riss sich von dem Blonden weg und sah ihren Psychologen irritiert an.
Scheinbar hatte er den Blonden weder gesehen, noch gehört.
„Kopf … Kopfschmerzen!“ meinte sie nur und der Doktor nickte.
„Sie sollten sich ein wenig ausruhen! Wenn die Schmerzen stärker werden, lassen Sie sich am Besten etwas von der Schwester geben!“ Damit stand Doktor Harris von seinem Platz auf und verließ das Zimmer.
„Was bist du?“ wollte sie wissen, gleich nachdem sie mit dem Blonden allein im Zimmer war.
Er ging zum Stuhl, auf dem zuvor noch Doktor Harris gesessen hatte, und setzte sich.
„Ich bin Eric!“ grinste er.
„Ja, aber was bist du?“
„Oh, sie haben Besuch, Jane?“ Eine Krankenschwester stand in der Tür.
Der Blonde, Eric, grinste der Schwester zu.
„Der Doktor meinte, Sie hätten Kopfschmerzen. Brauchen Sie etwas?“ wollte sie von ihrer Patientin wissen, wobei ihr Blick immer wieder auf Eric fiel.
„Nein?“
„Gut! Klingeln Sie, wenn was ist!“ Sie lächelte kurz. Aber ihr Lächeln galt vielmehr Eric, der keinen Hehl daraus machte, mit der Krankenschwester zu flirten.
Dann verschwand sie wieder, zog die Tür etwas ran und lies die beiden allein.
„Ich denk, dich kann kaum einer sehen!“
Er überlegte kurz.
„Na ja! Wenn ich will, bin ich für jeden sichtbar!“ meinte er dann, „Und nein, ich bin keine Halluzination!“
„Was dann?“
„Ein Geist?“ Er schien sich selbst ein wenig unsicher.
Sie sah ihn fragend an und er schien zu ahnen, was sie als nächstes wissen wollte.
„Ich bin nicht tot!“ meinte er selbstsicher, „Ich weiß nur nicht, wo ich bin! Ich mein, mein Körper!“
Sie nickte nur.
Für einen kurzen Moment herrschte Schweigen.
„Warum bist du hier?“
„Wie ich sagte, du bist interessant!“ meinte er. Er hatte es sich in dem Stuhl bequem gemacht und soweit nach unten gerutscht, dass sein Kopf auf der Lehne lag, während seine Beine bei ihr auf dem Bett lagen.
„Was hast du eigentlich in dem anderen Zimmer gemacht?“
Er blickte sie an und grinste begeistert.
„Was glaubst du? Da drüben war ne heiße Blondine!“ Er zwinkerte ihr zu, „Geist zu sein, hat auch Vorteile!“
„Du bist also ein Spanner!“ Über ihre Feststellung musste sie selbst schmunzeln.
„Sag nicht, du würdest das nicht ausnutzen, wenn du unsichtbar wärst?“
Seine grünen Augen schienen regelrecht zu leuchten, bei dem Gedanken daran.
„Du brauchst einen anderen Namen!“ meinte er nach einer Weile, „Jane Doe klingt doof!“
„Leider kann ich mich aber nicht an einen anderen Namen erinnern!“ seufzte sie. Sie mochte den Namen Jane ebenfalls nicht.
Er grübelte einen Moment und dann verkündete er stolz:
„Ich nenn dich Stevie!“
Er sah sie begeistert an.
„Nach dem Ort hier!“ erklärte er, „Stevenson! Stevie!“
Sie nickte nur, unsicher was sie von dem neuen Namen halten sollte.
Er stand von seinem Platz auf und blickte sich um.
„Ich sollte dich schlafen lassen!“ meinte er zu ihr und sah selbst ein wenig müde drein.
„Wir sehen uns! Stevie!“ Damit löste er sich wieder in Luft auf.
Irritiert sah sie sich um und erwartete, dass er jeden Moment wieder auftauchte.
Doch er blieb fern.
Die Krankenschwester schien ein wenig irritiert, da sie den jungen Mann nicht habe gehen sehen. Aber sie meinte, sie fand es nett, dass er Jane besucht habe.
Am nächsten Abend, nach dem Abendessen, tauchte Eric wieder auf. Er sah sich kurz in ihrem Zimmer um, so als erwarte er, dass jeden Moment noch jemand auftauche.
Dann setzte er sich wieder auf den Stuhl neben ihrem Bett.
„Sie wissen noch immer nichts über dich!“ verkündete er und sah sie verwundert an, so als hätte sie mehr Antworten als er.
„Woher willst du das wissen?“
„Ich bin der weltbeste Spion!“ lachte er, „Hab mich ein wenig umgehört!“
„Du bist kein Spion! Du bist ein Geist!“ verbesserte sie ihn.
„Spion! Klingt cooler!“
Sie rollte nur mit den Augen.
„Was bist du? Fünf?“ scherzte sie.
„Ich bin älter als du! Schätzungsweise um die zwölf bis sieben Jahre älter!“ versicherte er ihr, „Hab bei deinem Pychodoc ein wenig geschnüffelt!“
Sie sah Eric irritiert an.
„Sie haben dich auf Anfang bis Mitte Zwanzig geschätzt!“ meinte er, „Keine auffälligen Merkmale oder Narben. Abgesehen von denen, die du jetzt hast, durch die OP und den vermutlichen Unfall. Keine Eintragung als Vermisste oder als Verbrecher … Du bist ein großes Fragezeichen für sie!“
„Oh!“ mehr wusste sie nicht zu sagen.
„Tut mir leid, Kleine!“
Vor der Tür liefen einige Krankenschwestern vorbei. Niemand schaute in ihr Zimmer und so hatte niemand Eric bemerkt.
„Willst du hier raus, Stevie?“ Die Frage kam geflüstert über seine Lippen, so als wolle Eric verhindern, dass sie jemand anders zu hören bekam.
Sie sah ihn fragend an.
„Ich meine, du willst doch nicht in die nächste Einrichtung gehen, oder?“
„Was meinst du?“
„Solange die nicht wissen, was mit dir passiert ist oder wer du bist, bist du unter Beobachtung!“ versuchte Eric zu erklären. Er sah besorgt aus.
„Wieso?“
„Harris glaubt, dass du dir das vielleicht selbst zugefügt hast! Und dass deine Amnesie nur eine Show ist!“
Sie sah ihn entsetzt an.
„Ich hab ihn telefonieren gehört. Der Typ, der hier vorbei kommen soll, leitet ein Wohnheim für psychisch Labile!“ Eric schüttelte den Kopf, „Wenn du erst mal da drin steckst, wird’s nicht leicht für dich!“
„Du lügst! Oder?“ Sie hoffte, er habe sich das alles ausgedacht, um sie zu erschrecken.
Eric schüttelte nur den Kopf.
Eric wartete einen Moment, dass sie ihm eine Antwort geben würde, ob sie gehen wollte oder nicht.
Sie selbst war sich unschlüssig, ob sie ihm glauben sollte oder nicht.
„Ich geh lieber wieder!“ Er klang enttäuscht, „Schlaf gut, Stevie!“
Damit war er auch schon wieder verschwunden.
Zum ersten Mal, seit sie im Krankenhaus zu Bewusstsein gekommen war, träumte sie.
Es war ein recht wirrer Traum. Irgendetwas über ein Irrenhaus und lauter Verrückter und sie gefangen mittendrin.
Sie wusste nicht genau, ob es Eric´s Anstoß war, dass sie nun fort wollte. Oder ob er ihr nun einen noch triftigeren Grund geliefert hatte, hier abzuhauen.
Sie mochte das Krankenhaus nicht. Und irgendwas sagte ihr, dass sie diese Abneigung gegen Krankenhäuser und Ärzte schon früher hatte.
Sie mühte sich aus dem Bett, riss sich die Nadel vom Tropf aus dem Arm und ging langsam zur Zimmertür.
Der Korridor war hell erleuchtet, wie immer. Doch es war still.
Sie verließ ihr Zimmer und stützte sich an der Wand ab, während sie den Flur entlang ging.
„Jane? Wo wollen Sie hin?“
Erschrocken blieb sie stehen und sah sich um.
Die Nachtschwester kam mit schnellen Schritten auf sie zu und packte sie am Arm.
„Kopf … Kopfschmerzen!“ stotterte die junge Frau, „Ich wollte nach einer Tablette fragen!“
„Sie hätten klingeln können!“ meinte die Schwester und half ihr wieder zurück ins Zimmer und wieder ins Bett.
„Nächstes Mal klingeln Sie! Verstanden!“
Die Nachtschwester verließ nur kurz das Zimmer und kam dann mit einer Tablette zurück. Sie achtete genau darauf, dass ihre Patientin die Tablette auch schluckte.
„Und jetzt schlafen Sie!“
Wohl oder übel blieb Jane, nein Stevie, nichts anderes übrig als sich wieder hinzulegen.
Und leider musste sie nun auch feststellen, dass ihr die Nachtschwester keine Kopfschmerz- sondern eine Schlaftablette gegeben hatte.
Unfreiwillig schlief sie nun wieder ein.
„Hey, Stevie!“
Eric´s Stimme weckte sie. Er stand neben ihrem Bett und sah besorgt drein.
„Was ist los?“ wollte sie wissen und setzte sich auf.
„Du hast das Frühstück verpasst!“ meinte er und setzte sich. Diesmal allerdings nicht auf den Stuhl sondern neben sie aufs Bett.
„Was?“ Sie war noch nicht wirklich wach.
„Haben dich also ausgeknockt?“ murmelte er.
„Die Nachtschwester hat mich erwischt und hat mir eine Tablette gegeben!“ erklärte sie.
„Wolltest also doch raus!“
Sie nickte nur und er grinste sie stolz an.
„Ich helf dir!“ meinte er dann und verschwand plötzlich wieder. Und mit ihm das Gewicht auf dem Bett.
Nur wenige Sekunden später tauchte Eric wieder auf. Diesmal blieb er bei der Zimmertür stehen und schloss sie.
„Hab dir was mitgebracht!“ Er hielt ein paar Kleidungsstücke hoch und kam damit auf sie zu.
Sie sah erst ihn und dann die Sachen irritiert an.
„Na ja, wenn du hier raus spazieren willst, kannst du das ja schlecht in dem Nachthemd machen!“ erklärte er, „Die Sachen sind von jemanden auf der Kinderstation! Müsste dir passen!“
„Aber das wird auffallen!“ war sich Stevie sicher.
„Du ziehst das Zeug an, versteckst deine langen Haare unter dem Basecap ...“ Er winkte kurz mit einem Yankey-Basecap, „... und die werden denken, dass du einer der Besucher bist!“
Noch immer sah sie ihn irritiert an.
„Ins Bad, umziehen und dann hauen wir hier ab!“ meinte er und zeigte auf die Badtür.
Sie überlegte kurz und stand dann auf. Die Idee endlich hier raus zu kommen und vor allem, dass Eric einen Plan zu haben schien, schien ungeahnte Energien in ihr frei zu setzten.
Mit den Sachen in der Hand trat sie ins Bad.
„Ich halt hier Wache! Und wenn eine Schwester reinkommt, wird sie denken, dass ich dich besuche!“ erklärte Eric durch die geschlossene Badezimmertür.
Stevie hoffte nur, dass er seinen Spannertrieb nicht gerade jetzt ausleben und ins Zimmer kommen würde.
Stevie zog sich langsam aus und sah zum ersten Mal auf ihren Körper.
Sie hatte noch immer das Pflaster auf ihrem Bauch, welches die OP-Wunde verdeckte. Ein wenig höher als es für eine Blinddarm-OP war. An ihren Armen waren ebenfalls einige Pflaster und Verbände und so auch an ihren Beinen.
Stevie zog sich die Sachen, die ihr Eric gebracht hatte an. Er hatte ihr ein weites T-Shirt und ein blau-kariertes langärmeliges Hemd, sowie eine weite Jeans mitgebracht und ebenso ein paar Turnschuhe. Und während er doch bei der Kleidung einigermaßen die richtige Größe erwischt hatte, so waren die Turnschuhe etwa drei Nummern zu groß.
Sie stopfte etwas Klopapier in die Schuhe, bis sie mehr oder weniger passten und schnürte die Schuhe fest, sodass sie sie nicht unterwegs verlieren würde.
Dann trat sie an den Spiegel, um sicher zu gehen, dass sie auch alle ihre Haare unter dem Basecap verbergen würde.
Verwundert musterte sie ihr Spiegelbild.
Sie hatte rotbraunes Haar und grüne Augen mit braunen Sprenkeln um die Pupille. Sie war verwundert, dass dies nicht ausreichte um sie zu identifizieren.
„Bist du fertig?“ drang Eric´s Stimme durch die Tür.
Sie setzte sich das Basecap auf, atmete tief durch und öffnete die Badezimmertür.
„Fertig!“ verkündete sie und er grinste siegessicher.
„Verhalt dich so, als hättest du jemanden besucht und wir gehen zusammen hier raus!“ meinte er.
„Aber du verschwindest nicht gleich wieder, oder?“ Sie war sich der ganzen Sache nicht mehr so sicher.
„Ich werd solange sichtbar bleiben, bis wir hier raus sind!“ versprach er und öffnete die Zimmertür.
Er spähte kurz hinaus und trat dann auf den Flur.
Stevie sah unsicher aus ihrem Zimmer und bemerkte, dass neben den Schwestern nun auch einige Besucher über die Flure liefen.
Eric´s Plan, sich unter die Besucher zu mischen, würde funktionieren.
Sie schloss die Tür hinter sich und ging mit gesenkten Kopf neben Eric, der sich benahm, als sei er wirklich nur zu Besuch hier gewesen.
Während Eric jeder Schwester einen schönen Tag wünschte und mit ihnen flirtete, wäre Stevie am liebsten einfach nur im Boden versunken oder eben einfach nur los gerannt.
Doch zum Rennen fehlte ihr die Kraft. Sie war froh, dass sie es ohne Probleme zum Ausgang schaffte. Niemand schien zu bemerken, dass sie ein wenig schwach auf die Beine war und dass Eric sie stützte.
Kaum draußen überfiel sie kurz Panik.
„Was jetzt? Ich meine, ich weiß nicht wohin!“ Sie sah Eric mit großen Augen an.
„Erstmal weg hier!“ meinte er nur, „Am besten mit dem Taxi oder mit dem Bus in die Innenstadt!“
Während er sich nach einer Bushaltestelle umsah, wartete sie noch immer darauf, dass sie jemand zurück ins Krankenhaus zerren würde.
„Stevie!“ Er schüttelte sie kurz und riss sie aus ihrer Panikattacke raus, „Wenn du jetzt ausflippst, schnappen sie dich gleich wieder!“
Sie nickte nur.
„Wir nehmen den Bus da! In deiner Tasche müsste auch Geld sein!“ meinte er und zeigte auf die Hosentasche, die mit einem Reißverschluss versehen war.
Stevie öffnete die Tasche und fand ein paar Geldscheine.
„Ich pass auf dich auf, okay!“
Sie nickte nur und lies sich von ihm zum Bus führen.
Der Busfahrer sah nur gelangweilt drein. Verlangte von ihr nur das Geld für eine Fahrkarte und interessierte sich nicht weiter für sie.
Stevie suchte sich einen Platz weit hinten im Bus und sank in den Sitz.
Sie hoffte, dass niemand sie holen kommen würde.