Spiele- und Design-Entscheidungen (Teil 3)
Damit haben wir den Großteil der Spielmechanik geklärt. Diesmal geht es um das Inhaltliche.
Und dürfte beim Überfliegen der Texte aufgefallen sein. Die ältesten Zeitstempel reichen ins Jahr 2011 zurück. Doch das Spiel ist noch einmal deutlich älter als dieses Forum. Ursprünglich hatte ich ja auch ein anderes. Das Almafan-Forum bei Foren-City. Das Forum gibt es nicht mehr, da der Betreiber verschwunden ist. Wer damals 10 EUR für das Foren-Backup hingeblättert hat, damit er seine Daten in ein anderes Forum einpflegen kann, wurde bitter enttäuscht. Auf die Foren selbst konnte man kurz vor der Schließung nur noch sporadisch zugreifen. Allzu oft blieb die Seite aber weiß. Ich habe den Ernst der Lage leider auch erst mittendrin erkannt und daher per
Warum ist die Entwicklungszeit so lang?
Heute ist die Sache klar:
Eine Vollzeitarbeitsstelle plus Hin- und Herpendeln kostet je Tag 11 Stunden. Seit cirka eineinhalb Jahren bin ich aber im Homeoffice. Erst musste daheim einiges, dass stets aufgeschoben wurde, aufgeholt werden. Dann stand da noch ein Umzug an. Nach diesem waren wir sofort in die örtlichen Aktivitäten eingebunden. Besonders für unser Kind war es wichtig, möglichst schnell wieder Kontakte zu bekommen, um in der Fremde nicht einsam zu sein. Mir persönlich geben diese Kontakte wenig. Aber man muss für's Kind trotzdem die Zeit aufwenden, damit es irgendwie klappt. Seit ein paar Wochen pendelt sich wieder Normalität ein. Die Wohnung ist grob fertig, den Rest macht man nach Lust und Laune. Das ist der Punkt, wo die Zeiteinteilung freier wird. Das ist die Zeit, wo ich wieder mehr Zeit hatte, am Spiel zu werkeln. Den Patch vom Oktober habe ich zum allergrößten Teil in jenem Monat bearbeitet, obwohl im März die Fehlerliste veröffentlicht wurde.
Vor dem Homeoffice habe ich die Zugfahrten genutzt, Dinge für das Spiel auszuarbeiten. Aber umsetzen konnte ich sie nur am heimischen Recher. Und so stapelten sich die gewollten Inhalte auf Papieren und in Textdateien. Nur eingebaut wurde davon zeitbedingt nicht viel.
Was fraß aber vor der Arbeit mit dem Hin- und Herpendeln die Zeit? Unorganisiertheit und das - dam dam dam - Internet. Tatsächlich habe ich einfach viel Zeit damit verschwendet zu surfen, Bildergalerien von Stars zu durchforsten oder mich von YouTube unterhalten zu lassen. Auch heute schaue ich noch gern auf diese Art "fern". Aber meist ist es Kunstkritik oder Bildungsfernsehen. Geschmäcker ändern sich, Gewohnheiten auch.
Also jetzt wissen wir, dass ich all die Jahre viel Zeit verschwendet habe. Aber ab und an kam ja doch was bei rum. Was frisst denn also so viel Zeit während der Ausarbeitung?
Die Recherche. Wisst ihr, wenn man einen Plan erstellt hat, wie eine MAP auszusehen hat, ist es nur eine Sache von Stunden, bis sie fertig im Spiel implementiert ist, außer sie ist sehr komplex und enthält Teilgebiete und veränderbares Terrain. Dann werden das Tage. Auch eine neue Mission zu entwerfen und umzusetzen ist kein Ding von Äonen. Nebenquests mit wenig Varianten und einer losen Bindung zum Recht der Story sind in Null-Komma-Nix drin. Hauptaufgaben eher nicht.
Doch den meisten Aufwand in den letzten 10 Jahren hat tatsächlich die Recherche gekostet. Um ein möglichst detailgetreues, historisch korrektes Bild des Mittelalters zu schaffen, muss man sich von den Fantasyvorlagen ala Herr der Ringe oder Warcraft loseisen und sich mit echter Wissenschaft befassen. Sachbücher lesen, Dokumentationen schauen und sich Stück für Stück die Dinge herausnehmen, die man umsetzen kann und die man umsetzen will. Denn, ich will es ganz ehrlich sagen: Es bleibt weiterhin eine künstlerische Freiheit manche Dinge eben nicht nach Lehrbuch zu machen.
Schränkt reale Geschichte nicht ein?
Ja und das finde ich nicht schlimm.
Ich brauche das Korsett, dass mir ein wenig vorschreibt, was ich unterbringen kann und was nicht. Dieses Korsett gab es in den ersten beiden Demos nicht. Deswegen finden sich auch antike, gut erhaltene Tempel neben mittelalterlichen Dörfern. Deswegen gibt es Rathäuser, Kirchen, Waffengeschäfte und Schmiede. Es gibt keine weiteren Berufsgruppen und keine weiteren Belange der Bevölkerung. Nicht einmal einen Acker, um das Lebensnotwendige anzubauen.
Mein Spiel war ein Abziehbild von anderen Spielen, die es in der Regel nicht besser machten. Zusammengeschustert aus unterschiedlichsten Epochen, sowohl die Städte mit ihrem "mittelalterlichen" Bauten, die meist aussehen, als seien sie frühestens aus dem 16. Jahrhundert und Ausrüstung, die selbstverständlich nicht viel dichter an der Zeit dran war, die man darstellen wollte. Obligatorisch gehört natürlich auch das klassische Samuraischwert dazu, dass völlig deplatziert auch durchs "europäische Mittelalter" geschleppt wird. Viele Dinge also, die ohne geschichtlichen Kontext einfach da sind. Wir schlucken die Pille, denn wir wissen oft nicht, was genau dieses Mittelalter ist und wieviel Fantasy in den einzelnen Details steckt. Im Regelfall kennt der Spieler die im Spiel auftauchende Epoche kaum oder gar nicht. Weswegen Fehler auch gar nicht auffallen.
Schwerer wiegt es bei historischen Dramen, die vorgeben, die Wirklichkeit abzubilden. Wir sehen Tavernen im Schummerlicht von 100 Kerzen, die sich zwar damals kaum einer leisten konnte, aber es sieht halt so schön aus. Wir sehen sprühende Funken an Schleifsteinen, was definitiv nicht gut für das bearbeitete Metall ist, Waffen rissig und spröde macht, aber ganz sicher nicht scharf. Wir sehen wie sich alle Welt versteht, obwohl die Dialekte, die wir heute bereits in einer Sprache haben, früher für große Verständigungsprobleme sorgten, da sie oft noch eigene Sprachen waren. Wir sehen industrielandwirtschaftlich bearbeitete, riesige Felder, die keine Familie und wohl auch keine Dorfgemeinschaft hätte bearbeiten können. Das ist das Mittelalter, das wir aus Filmen, Fernsehen und Videospielen kennen. Im Grunde nur ein Landidyll ohne Autos. Und selbstverständlich wird bis in die Nacht gefeiert. Liebesbeziehungen werden aus dem hier und jetzt in die Vergangenheit verpflanzt, ungeachtet, der gravierenden kulturellen Unterschiede in den Gesellschaften von heute und damals.
Ein gewollter, stärker betonter Realismus ist der Grund für viele Überlegungen geworden und sollte eben dazu führen, dass Demo 4 (heute Sacra Tibia 0.4) so ganz anders aussehen und sich spielen wird, als alle seine Vorgänger.
Und auch wenn reale Geschichte einschränkt, so bieten die vielen großen und kleinen Begebenheiten zwischen Bauern, Bürgern, Rittern, Fürsten und Königen unglaublich viel Stoff für abertausende Aufgaben, Situationen und Hintergründe für zig Charaktere. Außerdem ist das Spiel nach wie vor in einer fiktionalen Welt angelegt und daher sind Abweichungen kein sonderlich großes Problem. Schwieriger wäre es da schon, sich selbst große Königreiche auszudenken und viele Herrscherfamilien zu erdenken, die untereinander Krieg führen, Handel treiben oder irgendeine andere Art von Diplomatie betreiben. Also entlehnt man aus realer Geschichte die Komplexität und reale Ereignisse, um sie sich seiner Spielumgebung gefügig zu machen. Und die Freiheiten hat man. Denn besonders im ländlichen Raum und auf den unteren Stufen der Gesellschaft war vieles nicht verschriftlicht. Man hat also schon gewisse Freiheiten. Diese Lücken füllt man mit selbst erdachtem. So gibt man dem ganzen ein historisches Korsett, in der die Figuren rund um den Helden agieren.
Nehmen wir also vorweg: Auch Sacra Tibia wird ein bunter Mix aus realer Geschichte und reichlich Fiktivem.
Ein weiterer unglaublicher Vorteil, den reale Geschichte hat, ist die Gleichzeitigkeit von Ereignissen. Geschichte passiert nicht für eine einzelne Person. Der Plot, wenn korrekt eingewoben, wirkt bei mitlaufender Geschichte, weniger künstlich und aufgesetzt. Auf jeden Fall weniger bestimmend. Der Held ist halt nicht der Mittelpunkt der Welt, sondern ein kleines Rädchen.
Warum schon wieder Mittelalter?
Auch hier gebe es eine einfache, kurze Antwort: Weil es das Zeitalter ist, über das ich am Meisten Bescheid weiß.
Version 0.1 war ja bereits der Versuch eines Mischmasches aus Mittelalter und Antike. Der Held geht zur Erledigung einer Quest in eine recht gut erhaltene antike Tempelanlage. Oder zumindest in etwas, was ich dafür hielt. Auch sonst gab es keine klare Definition, wann das ganze einzuordnen ist und welcher Epoche es am ehesten entspricht. Es war halt einfach früher.
Das änderte sich mit Version 0.2. Die Spielwelt war nun das reale Europa des beginnenden 13. Jahrhunderts. Startpunkt und einzig erreichbarer Teil der Spielwelt war der Süden der Insel Korsika. Man startete auf diesem Eiland im Jahre 1204. Es bot sich als Start an, da sie seit mindestens dem 6. Jahrhundert vor der Zeitenwende dünn besiedelt war und Mittelalter die Bevölkerungszahlen vielerorts zurückgingen, z.B. durch die julianische Pest im 6. Jahrhundert nach der Zeitenwende. Allerdings waren die geschichtlichen Hintergründe zur Besiedlung und Herrschaft der Insel wenig bis gar nicht vorhanden, weshalb auch diese Idee nicht lange hielt.
In der 3. Demo (heute Version 0.3) wurde daher eine Gegend gewählt, die besser kannte: meine alte Heimat Zittau. Und auch, wenn es um 200 Jahre nach vorn verlegt wurde, blieb es das Mittelalter. Allerdings sind Nachweise aus der Besiedlungsgeschichte vor dem Jahr 1250 rar gesät. So bietet sich jedoch die Möglichkeit, ein wenig Fiktion einfließen zu lassen. Also sich eine dörfliche Gemeinschaft vor der ersten urkündlichen Erwähnung zu erschaffen, losgelöst von all den Geschehnissen des Hochmittelalters.
Ab dem Jahr 2006 begann die Große Phase der Recherche. Ich habe auf meinen Zugfahrten und auch auf meiner Zivildienststelle vor dem Zubettgehen einige Bücher über mittelalterliche Geschichte und die Glaubenswelt der Menschen von damals gelesen. Es finden sich noch heute reichlich Notizen, die noch immer nicht gänzlich aufgebereitet sind. Das ging dann die Jahre nach dem Zivildienst weiter. Auch die Zugfahrten zu meiner Arbeitsstelle und wieder Heim, waren diesbezüglich sehr ergiebig. Doch zur Umsetzung kam es leider selten.
Mir war es ab der Version 0.4 alpha2 sehr wichtig, dass der Spieler ein anderes Mittelalter kennenlernt, als jenes, das uns Hollywood und Co einreden wollen. Es soll weniger so wirken, wie es aktuelle Spielfilme tun: Die Jetztzeit einfach ins Mittelalter verlegt. Ich möchte gängige Klischees umgehen. Es gibt nicht in jeder Taverne eine Schlägerei, ja nicht mal ein Besäufnis. Es wird keine Untateligen geben. Nicht immer sind gut und böse als solche zu erkennen. Grau ist das neue Schwarz-Weiß.
Die Recherche ist auch heute nicht abgeschlossen, aber ausgereift genug, dass insbesondere der neu gewählte Startpunkt genug Input bekommen wird.
Und so habe ich mir all die Jahre auch ganz grundlegende Fragen gestellt: Wie sahen Orte aus? Sind Burgen immer auf Bergen? Wie sah ein Ritter aus? Wie verhielten sich die Leute untereinander? War die Hygiene wirklich so schrecklich? Wie tief war der Glaube im Leben der Menschen verankert? Wie und wann weinten die Menschen, wie und wann lachten sie? Wie waren die Gemüter? Traf man sich wirklich nach Sonnenuntergang noch zum Umtrunk?
Das musste alles geklärt werden, damit es eben nicht nur ein lauwarmer Aufguss von hundertmal Gesehenem wird.
Viele Dinge habe ich ergoogelt, manches habe ich aus der Wikipedia. Aber unglaublich viel Recherchezeit habe ich mit dem Studium von Büchern und dem anschauen von Dokumentationen verbracht. Und ich weiß, da gibt es noch so viel mehr zu lernen und so viele Ansichten noch zu korrigieren. Aber ich will auch endlich loslegen.
Entgegen der sonstigen RPG-Maker-Spiele sollen die Figuren auch Tagesabläufe erhalten. Sie sollen aber nicht einfach regelmäßig von A nach B gehen, sondern tatsächlich arbeiten, sich treffen, reden und handeln. Der Müller mahlt das Mehl, der Schmied macht Hufeisen, beschlägt die Pferde, bessert Ausrüstung aus. Die Magd melkt die Kuh. Der Bauer bestellt die Felder. Der Grundherr kommt zur Inspektion in die Dörfer.
Nicht alle Dinge in der Welt sollen von Bedeutung sein, aber auch nicht alle Dinge von Bedeutung sollen sofort herausstechen. Ansehnlich soll es werden.
Vielleicht wird es nie fertig, aber es wird stets auf der Höhe der Zeit und der Forschung gehalten.
Warum ist das Startgebiet eine Insel? Ist das nicht so 0.2?
Ich hatte es ja schon mehrmals beschrieben - und der (an mich selbst gestellte) Vorwurf - stimmt schon, dass die Idee eines Startgebietes auf einer Insel keine sonderlich neue oder orginäle ist. Ich kopiere mich damit ja gewissermaßen sogar selbst. Aber ist das grundlegend schlecht?
Ich meine, bei Korsika hätte es gut funktioniert. Es ist eine reale Insel, die aufgrund von reichlich Fremdherrschaft in die fremdbesetzten Küstenregionen und die einheimischen Bergregionen charakterisiert war. Sozusagen eine Insel auf einer Insel. Diesen Umstand habe ich in der Version von 2005/2006 überhaupt nicht berücksichtigt, auch weil ich es nicht wusste. Stichtpunkt: Recherche. Zittau war ja auch keine Insel und es war als Startpunkt auserkoren. Das mag schon stimmen. Aber einen Ort der auf dem Festland liegt, muss man bei geringem Spielinhalt ja trotzdem irgendwie vom Rest abtrennen. Sonst rennt der Spieler in Weltgegenden rum, in die man noch keine Inhalte gepackt hat. Aber auch beim fertigen Spiel bietet sich eine Insel für den Beginn der Reise an. Warum?
Der Held hat eine abgeschlossene Heimat, die er zwar kennt, aber der Spieler nicht. Eine natürliche Grenze, wie Wasser oder ein Gebirge helfen dabei, den Spieler erst einmal seine nähere Umgebung zu verstehen, bevor man ihn in die unkannte Welt entlässt. Es gibt die Möglichkeit eine Familie und einen Freundeskreis zu implementieren und so den Spieler auf emotionaler Ebene zu fangen. Eine weite Welt zu Spielbeginn kann für das Heimatgefühl hinderlich sein und eventuell auch die Bindung an die Welt insgesamt erschweren. Wenn der Held aber erst einmal sein Dorf, die Menschen darin und die Nachbarorte kennt und einige Zeit darin verbracht hat, wird er wissen, was es heißt, diesen Flecken hinter sich zu lassen. Besonders der Start soll nicht generisch und austauschbar sein.
Will man dem Spieler also helfen, eine Beziehung zum Spiel aufzubauen, sind begrenzte Anfangsareale ideal dafür. Ich finde Inseln dafür noch passender als Gebirge. Denn letztere kann man auch ohne fremde Hilfe irgendwann übersteigen. Für die Überquerung eines Meeres jedoch benötigt man mindestens ein Boot oder eine Mitfahrgelegenheit. Und diese muss man sich in einer Art Tutorial erspielen. Unsichtbare Levelgrenzen entfallen, denn ein Meer ist eine Levelgrenze, die man nicht erklären muss.
Dieses Tutorial soll sich aber nicht wie eines anfühlen. Es ist einfach die natürliche Umgebung der Spielfigur. Die Leute in seinem Dorf kennen ihn und er ist in der Ferne eine unbedeutende Nummer. Ein Held von einer Insel ist halbisoliert. Halb deshalb, weil diese Insel natürlich trotzdem irgendwie Handel treibt, mit anderen Regionen der Welt. Sie ist also nicht unbekannt, sondern lediglich weit weg. Bestimmte Probleme und Intrigen bleiben so erst einmal fern. Alles wirkt lokal und direkt auf den Spieler, beziehungsweise seine Spielfigur ein. Mit allerlei Orten auf der Startinsel (deutlich mehr noch als damals in Version 0.2) gibt es auch reichlich zu entdecken. Und selbst wenn man die Insel später verlässt, schicken einen anfangs Missionen auch wieder zurück und sollen den Entdeckerdrang dahin erneut auslösen, weil sich Orte und Gefüge verändern.
Eine Insel bietet dem Spieler in aller Linie erst einmal die Gelegenheit, sich auf den Helden und seine Geschichte zu konzentrieren und seine Rolle im Gefüge zu kennenzulernen. Das der Protagonist dann als Weltfremder in die späteren Abenteuer stürzt ist dann für den Spieler nachvollziehbar. Denn er ist selbst weltfremd, kennt ja auch nur das Eiland und die Menschen darauf. Wenn er bereit ist, sich für diese in die Schlacht zu werfen, dann habe ich mit dem Startpunkt Insel bereits viel erreicht.
Damit haben wir den Großteil der Spielmechanik geklärt. Diesmal geht es um das Inhaltliche.
Und dürfte beim Überfliegen der Texte aufgefallen sein. Die ältesten Zeitstempel reichen ins Jahr 2011 zurück. Doch das Spiel ist noch einmal deutlich älter als dieses Forum. Ursprünglich hatte ich ja auch ein anderes. Das Almafan-Forum bei Foren-City. Das Forum gibt es nicht mehr, da der Betreiber verschwunden ist. Wer damals 10 EUR für das Foren-Backup hingeblättert hat, damit er seine Daten in ein anderes Forum einpflegen kann, wurde bitter enttäuscht. Auf die Foren selbst konnte man kurz vor der Schließung nur noch sporadisch zugreifen. Allzu oft blieb die Seite aber weiß. Ich habe den Ernst der Lage leider auch erst mittendrin erkannt und daher per
Warum ist die Entwicklungszeit so lang?
Heute ist die Sache klar:
Eine Vollzeitarbeitsstelle plus Hin- und Herpendeln kostet je Tag 11 Stunden. Seit cirka eineinhalb Jahren bin ich aber im Homeoffice. Erst musste daheim einiges, dass stets aufgeschoben wurde, aufgeholt werden. Dann stand da noch ein Umzug an. Nach diesem waren wir sofort in die örtlichen Aktivitäten eingebunden. Besonders für unser Kind war es wichtig, möglichst schnell wieder Kontakte zu bekommen, um in der Fremde nicht einsam zu sein. Mir persönlich geben diese Kontakte wenig. Aber man muss für's Kind trotzdem die Zeit aufwenden, damit es irgendwie klappt. Seit ein paar Wochen pendelt sich wieder Normalität ein. Die Wohnung ist grob fertig, den Rest macht man nach Lust und Laune. Das ist der Punkt, wo die Zeiteinteilung freier wird. Das ist die Zeit, wo ich wieder mehr Zeit hatte, am Spiel zu werkeln. Den Patch vom Oktober habe ich zum allergrößten Teil in jenem Monat bearbeitet, obwohl im März die Fehlerliste veröffentlicht wurde.
Vor dem Homeoffice habe ich die Zugfahrten genutzt, Dinge für das Spiel auszuarbeiten. Aber umsetzen konnte ich sie nur am heimischen Recher. Und so stapelten sich die gewollten Inhalte auf Papieren und in Textdateien. Nur eingebaut wurde davon zeitbedingt nicht viel.
Was fraß aber vor der Arbeit mit dem Hin- und Herpendeln die Zeit? Unorganisiertheit und das - dam dam dam - Internet. Tatsächlich habe ich einfach viel Zeit damit verschwendet zu surfen, Bildergalerien von Stars zu durchforsten oder mich von YouTube unterhalten zu lassen. Auch heute schaue ich noch gern auf diese Art "fern". Aber meist ist es Kunstkritik oder Bildungsfernsehen. Geschmäcker ändern sich, Gewohnheiten auch.
Also jetzt wissen wir, dass ich all die Jahre viel Zeit verschwendet habe. Aber ab und an kam ja doch was bei rum. Was frisst denn also so viel Zeit während der Ausarbeitung?
Die Recherche. Wisst ihr, wenn man einen Plan erstellt hat, wie eine MAP auszusehen hat, ist es nur eine Sache von Stunden, bis sie fertig im Spiel implementiert ist, außer sie ist sehr komplex und enthält Teilgebiete und veränderbares Terrain. Dann werden das Tage. Auch eine neue Mission zu entwerfen und umzusetzen ist kein Ding von Äonen. Nebenquests mit wenig Varianten und einer losen Bindung zum Recht der Story sind in Null-Komma-Nix drin. Hauptaufgaben eher nicht.
Doch den meisten Aufwand in den letzten 10 Jahren hat tatsächlich die Recherche gekostet. Um ein möglichst detailgetreues, historisch korrektes Bild des Mittelalters zu schaffen, muss man sich von den Fantasyvorlagen ala Herr der Ringe oder Warcraft loseisen und sich mit echter Wissenschaft befassen. Sachbücher lesen, Dokumentationen schauen und sich Stück für Stück die Dinge herausnehmen, die man umsetzen kann und die man umsetzen will. Denn, ich will es ganz ehrlich sagen: Es bleibt weiterhin eine künstlerische Freiheit manche Dinge eben nicht nach Lehrbuch zu machen.
Schränkt reale Geschichte nicht ein?
Ja und das finde ich nicht schlimm.
Ich brauche das Korsett, dass mir ein wenig vorschreibt, was ich unterbringen kann und was nicht. Dieses Korsett gab es in den ersten beiden Demos nicht. Deswegen finden sich auch antike, gut erhaltene Tempel neben mittelalterlichen Dörfern. Deswegen gibt es Rathäuser, Kirchen, Waffengeschäfte und Schmiede. Es gibt keine weiteren Berufsgruppen und keine weiteren Belange der Bevölkerung. Nicht einmal einen Acker, um das Lebensnotwendige anzubauen.
Mein Spiel war ein Abziehbild von anderen Spielen, die es in der Regel nicht besser machten. Zusammengeschustert aus unterschiedlichsten Epochen, sowohl die Städte mit ihrem "mittelalterlichen" Bauten, die meist aussehen, als seien sie frühestens aus dem 16. Jahrhundert und Ausrüstung, die selbstverständlich nicht viel dichter an der Zeit dran war, die man darstellen wollte. Obligatorisch gehört natürlich auch das klassische Samuraischwert dazu, dass völlig deplatziert auch durchs "europäische Mittelalter" geschleppt wird. Viele Dinge also, die ohne geschichtlichen Kontext einfach da sind. Wir schlucken die Pille, denn wir wissen oft nicht, was genau dieses Mittelalter ist und wieviel Fantasy in den einzelnen Details steckt. Im Regelfall kennt der Spieler die im Spiel auftauchende Epoche kaum oder gar nicht. Weswegen Fehler auch gar nicht auffallen.
Schwerer wiegt es bei historischen Dramen, die vorgeben, die Wirklichkeit abzubilden. Wir sehen Tavernen im Schummerlicht von 100 Kerzen, die sich zwar damals kaum einer leisten konnte, aber es sieht halt so schön aus. Wir sehen sprühende Funken an Schleifsteinen, was definitiv nicht gut für das bearbeitete Metall ist, Waffen rissig und spröde macht, aber ganz sicher nicht scharf. Wir sehen wie sich alle Welt versteht, obwohl die Dialekte, die wir heute bereits in einer Sprache haben, früher für große Verständigungsprobleme sorgten, da sie oft noch eigene Sprachen waren. Wir sehen industrielandwirtschaftlich bearbeitete, riesige Felder, die keine Familie und wohl auch keine Dorfgemeinschaft hätte bearbeiten können. Das ist das Mittelalter, das wir aus Filmen, Fernsehen und Videospielen kennen. Im Grunde nur ein Landidyll ohne Autos. Und selbstverständlich wird bis in die Nacht gefeiert. Liebesbeziehungen werden aus dem hier und jetzt in die Vergangenheit verpflanzt, ungeachtet, der gravierenden kulturellen Unterschiede in den Gesellschaften von heute und damals.
Ein gewollter, stärker betonter Realismus ist der Grund für viele Überlegungen geworden und sollte eben dazu führen, dass Demo 4 (heute Sacra Tibia 0.4) so ganz anders aussehen und sich spielen wird, als alle seine Vorgänger.
Und auch wenn reale Geschichte einschränkt, so bieten die vielen großen und kleinen Begebenheiten zwischen Bauern, Bürgern, Rittern, Fürsten und Königen unglaublich viel Stoff für abertausende Aufgaben, Situationen und Hintergründe für zig Charaktere. Außerdem ist das Spiel nach wie vor in einer fiktionalen Welt angelegt und daher sind Abweichungen kein sonderlich großes Problem. Schwieriger wäre es da schon, sich selbst große Königreiche auszudenken und viele Herrscherfamilien zu erdenken, die untereinander Krieg führen, Handel treiben oder irgendeine andere Art von Diplomatie betreiben. Also entlehnt man aus realer Geschichte die Komplexität und reale Ereignisse, um sie sich seiner Spielumgebung gefügig zu machen. Und die Freiheiten hat man. Denn besonders im ländlichen Raum und auf den unteren Stufen der Gesellschaft war vieles nicht verschriftlicht. Man hat also schon gewisse Freiheiten. Diese Lücken füllt man mit selbst erdachtem. So gibt man dem ganzen ein historisches Korsett, in der die Figuren rund um den Helden agieren.
Nehmen wir also vorweg: Auch Sacra Tibia wird ein bunter Mix aus realer Geschichte und reichlich Fiktivem.
Ein weiterer unglaublicher Vorteil, den reale Geschichte hat, ist die Gleichzeitigkeit von Ereignissen. Geschichte passiert nicht für eine einzelne Person. Der Plot, wenn korrekt eingewoben, wirkt bei mitlaufender Geschichte, weniger künstlich und aufgesetzt. Auf jeden Fall weniger bestimmend. Der Held ist halt nicht der Mittelpunkt der Welt, sondern ein kleines Rädchen.
Warum schon wieder Mittelalter?
Auch hier gebe es eine einfache, kurze Antwort: Weil es das Zeitalter ist, über das ich am Meisten Bescheid weiß.
Version 0.1 war ja bereits der Versuch eines Mischmasches aus Mittelalter und Antike. Der Held geht zur Erledigung einer Quest in eine recht gut erhaltene antike Tempelanlage. Oder zumindest in etwas, was ich dafür hielt. Auch sonst gab es keine klare Definition, wann das ganze einzuordnen ist und welcher Epoche es am ehesten entspricht. Es war halt einfach früher.
Das änderte sich mit Version 0.2. Die Spielwelt war nun das reale Europa des beginnenden 13. Jahrhunderts. Startpunkt und einzig erreichbarer Teil der Spielwelt war der Süden der Insel Korsika. Man startete auf diesem Eiland im Jahre 1204. Es bot sich als Start an, da sie seit mindestens dem 6. Jahrhundert vor der Zeitenwende dünn besiedelt war und Mittelalter die Bevölkerungszahlen vielerorts zurückgingen, z.B. durch die julianische Pest im 6. Jahrhundert nach der Zeitenwende. Allerdings waren die geschichtlichen Hintergründe zur Besiedlung und Herrschaft der Insel wenig bis gar nicht vorhanden, weshalb auch diese Idee nicht lange hielt.
In der 3. Demo (heute Version 0.3) wurde daher eine Gegend gewählt, die besser kannte: meine alte Heimat Zittau. Und auch, wenn es um 200 Jahre nach vorn verlegt wurde, blieb es das Mittelalter. Allerdings sind Nachweise aus der Besiedlungsgeschichte vor dem Jahr 1250 rar gesät. So bietet sich jedoch die Möglichkeit, ein wenig Fiktion einfließen zu lassen. Also sich eine dörfliche Gemeinschaft vor der ersten urkündlichen Erwähnung zu erschaffen, losgelöst von all den Geschehnissen des Hochmittelalters.
Ab dem Jahr 2006 begann die Große Phase der Recherche. Ich habe auf meinen Zugfahrten und auch auf meiner Zivildienststelle vor dem Zubettgehen einige Bücher über mittelalterliche Geschichte und die Glaubenswelt der Menschen von damals gelesen. Es finden sich noch heute reichlich Notizen, die noch immer nicht gänzlich aufgebereitet sind. Das ging dann die Jahre nach dem Zivildienst weiter. Auch die Zugfahrten zu meiner Arbeitsstelle und wieder Heim, waren diesbezüglich sehr ergiebig. Doch zur Umsetzung kam es leider selten.
Mir war es ab der Version 0.4 alpha2 sehr wichtig, dass der Spieler ein anderes Mittelalter kennenlernt, als jenes, das uns Hollywood und Co einreden wollen. Es soll weniger so wirken, wie es aktuelle Spielfilme tun: Die Jetztzeit einfach ins Mittelalter verlegt. Ich möchte gängige Klischees umgehen. Es gibt nicht in jeder Taverne eine Schlägerei, ja nicht mal ein Besäufnis. Es wird keine Untateligen geben. Nicht immer sind gut und böse als solche zu erkennen. Grau ist das neue Schwarz-Weiß.
Die Recherche ist auch heute nicht abgeschlossen, aber ausgereift genug, dass insbesondere der neu gewählte Startpunkt genug Input bekommen wird.
Und so habe ich mir all die Jahre auch ganz grundlegende Fragen gestellt: Wie sahen Orte aus? Sind Burgen immer auf Bergen? Wie sah ein Ritter aus? Wie verhielten sich die Leute untereinander? War die Hygiene wirklich so schrecklich? Wie tief war der Glaube im Leben der Menschen verankert? Wie und wann weinten die Menschen, wie und wann lachten sie? Wie waren die Gemüter? Traf man sich wirklich nach Sonnenuntergang noch zum Umtrunk?
Das musste alles geklärt werden, damit es eben nicht nur ein lauwarmer Aufguss von hundertmal Gesehenem wird.
Viele Dinge habe ich ergoogelt, manches habe ich aus der Wikipedia. Aber unglaublich viel Recherchezeit habe ich mit dem Studium von Büchern und dem anschauen von Dokumentationen verbracht. Und ich weiß, da gibt es noch so viel mehr zu lernen und so viele Ansichten noch zu korrigieren. Aber ich will auch endlich loslegen.
Entgegen der sonstigen RPG-Maker-Spiele sollen die Figuren auch Tagesabläufe erhalten. Sie sollen aber nicht einfach regelmäßig von A nach B gehen, sondern tatsächlich arbeiten, sich treffen, reden und handeln. Der Müller mahlt das Mehl, der Schmied macht Hufeisen, beschlägt die Pferde, bessert Ausrüstung aus. Die Magd melkt die Kuh. Der Bauer bestellt die Felder. Der Grundherr kommt zur Inspektion in die Dörfer.
Nicht alle Dinge in der Welt sollen von Bedeutung sein, aber auch nicht alle Dinge von Bedeutung sollen sofort herausstechen. Ansehnlich soll es werden.
Vielleicht wird es nie fertig, aber es wird stets auf der Höhe der Zeit und der Forschung gehalten.
Warum ist das Startgebiet eine Insel? Ist das nicht so 0.2?
Ich hatte es ja schon mehrmals beschrieben - und der (an mich selbst gestellte) Vorwurf - stimmt schon, dass die Idee eines Startgebietes auf einer Insel keine sonderlich neue oder orginäle ist. Ich kopiere mich damit ja gewissermaßen sogar selbst. Aber ist das grundlegend schlecht?
Ich meine, bei Korsika hätte es gut funktioniert. Es ist eine reale Insel, die aufgrund von reichlich Fremdherrschaft in die fremdbesetzten Küstenregionen und die einheimischen Bergregionen charakterisiert war. Sozusagen eine Insel auf einer Insel. Diesen Umstand habe ich in der Version von 2005/2006 überhaupt nicht berücksichtigt, auch weil ich es nicht wusste. Stichtpunkt: Recherche. Zittau war ja auch keine Insel und es war als Startpunkt auserkoren. Das mag schon stimmen. Aber einen Ort der auf dem Festland liegt, muss man bei geringem Spielinhalt ja trotzdem irgendwie vom Rest abtrennen. Sonst rennt der Spieler in Weltgegenden rum, in die man noch keine Inhalte gepackt hat. Aber auch beim fertigen Spiel bietet sich eine Insel für den Beginn der Reise an. Warum?
Der Held hat eine abgeschlossene Heimat, die er zwar kennt, aber der Spieler nicht. Eine natürliche Grenze, wie Wasser oder ein Gebirge helfen dabei, den Spieler erst einmal seine nähere Umgebung zu verstehen, bevor man ihn in die unkannte Welt entlässt. Es gibt die Möglichkeit eine Familie und einen Freundeskreis zu implementieren und so den Spieler auf emotionaler Ebene zu fangen. Eine weite Welt zu Spielbeginn kann für das Heimatgefühl hinderlich sein und eventuell auch die Bindung an die Welt insgesamt erschweren. Wenn der Held aber erst einmal sein Dorf, die Menschen darin und die Nachbarorte kennt und einige Zeit darin verbracht hat, wird er wissen, was es heißt, diesen Flecken hinter sich zu lassen. Besonders der Start soll nicht generisch und austauschbar sein.
Will man dem Spieler also helfen, eine Beziehung zum Spiel aufzubauen, sind begrenzte Anfangsareale ideal dafür. Ich finde Inseln dafür noch passender als Gebirge. Denn letztere kann man auch ohne fremde Hilfe irgendwann übersteigen. Für die Überquerung eines Meeres jedoch benötigt man mindestens ein Boot oder eine Mitfahrgelegenheit. Und diese muss man sich in einer Art Tutorial erspielen. Unsichtbare Levelgrenzen entfallen, denn ein Meer ist eine Levelgrenze, die man nicht erklären muss.
Dieses Tutorial soll sich aber nicht wie eines anfühlen. Es ist einfach die natürliche Umgebung der Spielfigur. Die Leute in seinem Dorf kennen ihn und er ist in der Ferne eine unbedeutende Nummer. Ein Held von einer Insel ist halbisoliert. Halb deshalb, weil diese Insel natürlich trotzdem irgendwie Handel treibt, mit anderen Regionen der Welt. Sie ist also nicht unbekannt, sondern lediglich weit weg. Bestimmte Probleme und Intrigen bleiben so erst einmal fern. Alles wirkt lokal und direkt auf den Spieler, beziehungsweise seine Spielfigur ein. Mit allerlei Orten auf der Startinsel (deutlich mehr noch als damals in Version 0.2) gibt es auch reichlich zu entdecken. Und selbst wenn man die Insel später verlässt, schicken einen anfangs Missionen auch wieder zurück und sollen den Entdeckerdrang dahin erneut auslösen, weil sich Orte und Gefüge verändern.
Eine Insel bietet dem Spieler in aller Linie erst einmal die Gelegenheit, sich auf den Helden und seine Geschichte zu konzentrieren und seine Rolle im Gefüge zu kennenzulernen. Das der Protagonist dann als Weltfremder in die späteren Abenteuer stürzt ist dann für den Spieler nachvollziehbar. Denn er ist selbst weltfremd, kennt ja auch nur das Eiland und die Menschen darauf. Wenn er bereit ist, sich für diese in die Schlacht zu werfen, dann habe ich mit dem Startpunkt Insel bereits viel erreicht.