Di 14. Jun 2011, 09:19
Kapitel VIII – das Erwachen
Cassidy war eingeschlafen und Ryan lies sie. Es brannte ihn, zu erfahren, wer Brisby war und was ihre eigenwillige Botschaft bedeuten sollte. Aber damit musste er wohl oder übel warten, bis Cassidy wieder wach geworden war.
Er griff nach seinem eigenen Handy und ging hinüber zur Küche. Er rief zu zuallererst einmal bei Felice an, um ihr zu sagen, dass Cassidy wieder bei ihm war.
Felice wollte unbedingt sofort zu ihm herüber kommen, vor allem, da sie es bei sich daheim nicht aushielt. Und weil sie unbedingt nach Chance suchen wollte und sich von Cassidy Antworten über die sonderbaren Geschehnisse erhoffte.
Ryan schaffte es nur mit Mühe, die gesprächige und aufgebrachte Freundin zu überzeugen, noch eine Weile zu warten und sich zu gedulden.
Im Grunde konnte er sie jetzt nicht auch noch hier gebrauchen. Ein merkwürdiges Mädchen im Haus war ihm nun mehr als genug.
Kurz nachdem er das Gespräch mit Felice beendet hatte, rief Ryan bei Ryker an. Ihm hinterließ er nur eine kurze Nachricht, dass er Cassidy gefunden hatte. Im Moment wollte er nicht mit dem Polizisten reden.
Er war einfach erschöpft von der Suche und verwirrt über das, was Cassidy erzählt hatte.
Ryan lies sich in seinen Sessel fallen und überlegte. Doch egal wie oft er darüber nach sann, was alles passiert war, er verstand es einfach nicht.
Und irgendwann schlief er einfach ein.
„Da bist du wieder!“
Die Feststellung des Doktors, der ihr amüsiert gegenüber saß, lies sie zusammen schrecken.
Diesmal war sie zwar nicht in das weiße Zimmer eingesperrt, welches sie wohl mitunter schon ihr Zuhause nennen konnte, aber dies hier war auch nicht wirklich besser.
Sie saß in Doktor Peeker´s Büro. Hinter ihr standen gleich zwei bullige Pfleger, die wenngleich nicht unbedingt wortgewandt aber zumindest kräftig zu sein schienen.
„Hattest du einen schönen Ausflug?“ wollte Doktor Peeker belustigt von ihr wissen und blickte auf eine Akte, die er allen Anschein nach kurz davor noch gelesen hatte.
„Wieso bin ich hier?“ wollte sie von ihm wissen, als sie endlich ihren Mut und ihre Stimme wiedergefunden hatte.
„Ich hab dir doch gesagt, dass du hier nicht weg kommen kannst!“ antwortete er nur und sah ihr tief in die Augen, „Außerdem solltest du wissen, dass es da draußen für dich viel zu gefährlich ist!“
Damit wies er auf ihren Arm.
Sie folgte seiner Geste und bemerkte, den Verband um ihren Unterarm.
Sofort richtete sich ihr Blick erschrocken auf ihr Gegenüber.
Sie brauchte ihre Frage nicht aussprechen.
Für einen kurzen Moment überlegte Doktor Peeker, was er ihr antworten sollte.
„Du kommst außerhalb dieser Einrichtung nicht klar. Du bist noch nicht mal auf den Hof gelangt, ohne dich zu verletzten!“ versuchte er ihr die Verletzung zu erklären.
Sie glaubte ihm kein Wort. Gab ihm aber dennoch keine Widerworte.
„Du bist hier, weil du hier her gehörst. Du bist krank.“
Cassidy hielt seinen Blick nicht mehr aus und lies ihn über die Wände des Büros gleiten. Fast so als suche sie dort irgendeine Antwort auf ihre ungestellten Fragen.
Neben einigen Diplomen und Auszeichnungen hingen auch zwei Fotos an der Wand. Eines musste ein Foto von der Familie des Doktors sein. Das andere war ein ziemlich altes Bild, leicht verblasst und in einem Rotton. Wer auch immer darauf abgebildet war, musste womöglich zu Peeker´s Familie gehören. Andernfalls hätte er dieses Foto auch nicht in seinem Büro hängen, dachte Cassidy sich.
Unter den Fotos war ein niedriges Regal mit verschiedensten Büchern bespickt.
Auf der gegenüberliegenden Seite, links von ihr, standen zwei massive Aktenschränke.
Und hinter dem Schreibtisch des Doktors war ein großes Fenster, unter dem ein kleiner Schrank stand und somit das Fensterbrett breiter erscheinen lies.
Obwohl Cassidy schon mehrfach im Büro des Doktors gewesen war, hatte sie noch nie so genau darauf geachtet.
Sie riskierte ein Blick über die Schulter des Doktors und hinaus aus dem Fenster.
Sie konnte einen Parkplatz entdecken. Vermutlich der Parkplatz der Einrichtung.
Dann eine Straße und in einiger Entfernung eine Stadt.
Zu wenig Anhaltspunkte, um wirklich zu sagen, wo die Anstalt sich befand.
„... Wir sind hier um dir zu helfen und ...“ Der Doktor hatte die ganze Zeit mit ihr geredet und ihre geistige Abwesenheit scheinbar nicht bemerkt. Erst als er ihren grübelnden Gesichtsausdruck bemerkte, stoppte er mitten im Satz und drehte sich um.
„Das wird dir nicht weiterhelfen!“ meinte er und drehte sich wieder zurück zu ihr.
„Was?“
„Du versuchst heraus zu bekommen, wo du steckst!“ meinte er und schüttelte amüsiert den Kopf.
Und auf ein mal wurde es schwarz vor dem Fenster, so als hätte irgendwer einfach die Sonne ausgeschaltet.
Cassidy sprang erschrocken auf und hatte sofort die beiden Pfleger hinter sich stehen, die bereit waren, sie wieder auf den Stuhl zurück zu drängen oder in ihren Raum zu schleifen. Je nachdem was Doktor Peeker von ihnen verlangen würde.
„So erschrocken?“ lachte er und stand auf. Er ging um seinen Schreibtisch herum und kam näher auf sie zu.
„Keine Sorge, du wirst es bald wieder vergessen haben!“
Cassidy blickte von ihm zu Fenster und zurück.
„Das hier ist nicht real!“ entwich ihr.
„Nun ja, das ist Ansichtssache!“ war seine Antwort.
Sie wusste nicht was genau er damit meinte.
„Diese Einrichtung ist echt! Auch die Patienten!“ erklärte er, „Nur … ist nicht alles ganz so, wie es zu sein scheint!“
Seine Erklärung ergab noch immer keinen Sinn für sie.
„Schätzchen, du bist da, wo du seit deiner Kindheit eigentlich schon stecken solltest!“
Sie schüttelte nur den Kopf.
„Wir verfolgen dich schon lange. Und im Grunde bist du auch schon eine Weile hier.“
Wieder nur ein ungläubiges Kopfschütteln ihrerseits.
„Wir haben dich schon beinahe soweit, dass du uns vertraust!“
„Nein!“ schrie sie und wollte einen weiteren Schritt rückwärts machen. Nur dass die beiden Pfleger eben dies verhinderten und wie eine massive Wand hinter ihr standen.
„Was glaubst du, wieso du immer wieder hier landest?“ wollte Peeker von ihr wissen, „Weil du hier her gehörst! Weil wir dich hier haben wollen!“
„Wieso?“
Darauf gab er keine Antwort.
Er griff in seine Hosentasche und zog eine Spritze hervor, die er unmöglich hatte darin aufbewahren können.
Wieder schmunzelte er über ihren erschrockenen Blick.
„Nur ein kleiner Zaubertrick!“ lachte er und bedeutete den beiden Pflegern, dass sie Cassidy festhalten sollten.
Sie hatte keine Chance sich zu wehren und Doktor Peeker jagte ihr die Spritze in den Arm.
„Keine Angst, Schätzchen! Das Zeug betäubt dich nur ein wenig! Und schon bald wirst du dich hier wie zu hause fühlen!“ meinte er.
Dann wies er den beiden Männern an, Cassidy zurück in ihr Zimmer zu bringen.
Sie mussten sie fast schon tragen, da das Mittel ziemlich schnell zu wirken begann.
Und obwohl ihr Körper immer schwächer wurde, so schien zumindest ihr Geist noch recht wach zu sein.
Sie versuchte zu verarbeiten, was eben geschehen war.
Und auch wenn es für sie keinen Sinn ergab, so schien dies nicht die Realität zu sein. Auch wenn es sich so anfühlte.
Sie überlegte, was sie bisher alles über diesen Ort und den Doktor erfahren hatte.
Aber noch immer wusste sie mit diesem Wissen anzufangen.
Auf dem Flur begegneten sie Morgan mit einem kleinen Mädchen, welches sich ängstlich an seinen Teddybären klammerte.
Cassidy kam das Mädchen bekannt vor. Sie hatte sie schon einmal vorher gesehen.
„Ich will nach hause!“ jammerte das Mädchen nur.
„Das hier ist jetzt dein Zuhause!“ war nur Morgan´s Antwort.
Auch daran erinnerte sich Cassidy.
Allerdings war dies vielmehr so als würde sie einen Blick in ihre eigene Vergangenheit werfen.
Als Kind war sie schon einmal hier gewesen. Auf den weißen Fluren der Einrichtung. Nur hatte sie da längst kein Zuhause mehr.
Sie hatte erst kurz zuvor ihre Eltern verloren und war in einem Heim untergekommen. Niemand kannte sie oder verstand sie. Niemand konnte etwas mit ihr anfangen und mit ihren Panikattacken, die sie zumeist nachts bekam.
Man hatte es auf das tragische Ereignis geschoben. Und als Cassidy dann plötzlich zum ersten Mal in der Einrichtung aufgewacht war und man ihr erklärte, dass sie hier sei, da sie krank sei, hatte sie den fremden Leuten geglaubt.
Nur war es eigenartig, dass sie einerseits hier in der weißen Einrichtung war und dennoch immer wieder im Kinderheim aufwachte.
Irgendwann aber stoppten die Ausflüge. Sie konnte sich nicht mehr erinnern, was genau passiert war.
Irgendwer hatte sie heraus geholt und verhindert, dass sie wieder in der Anstalt landete.
Doch nun schien sich alles zu wiederholen.
Im Grunde hatte es nur wenige Jahre, nachdem sie in Chance´s Familie gelandet war, angefangen.
Es hatte damit begonnen, dass sie sich immer wieder in den weißen Fluren wiederfand.
Nur diesmal glaubte sie den Ärzten und Krankenschwestern nicht.
Sie wollte ihnen nicht glauben.
Allerdings ist es so eine Sache mit dem Willen. Irgendwann beginnt er zu brechen und man glaubt an das, was einem andere erzählen. Vor allem, wenn man an die Worte der anderen glauben will.
Die Pfleger legten Cassidy aufs Bett und verließen den Raum wieder.
Noch immer war sie bei klarem Verstand, während ihr Körper regungslos blieb.
Sie wusste nicht, ob das so von Peeker beabsichtigt war. Vielleicht war es ja seine Art sie so zu quälen.
Vielleicht erhoffte er sich so, dass sie diesmal hier bleiben würde.
Bisher hatte sie immer erst zurück in die Realität oder eben in die andere Welt, die ihr real erschien, gefunden, wenn sie hier eingeschlafen war. Dann war sie in der anderen Welt aufgewacht.
Wie sollte sie also diesmal hier raus kommen, wenn sie nicht schlief?
„Ryan?“
Er zuckte kurz zusammen.
Cassidy stand vor ihm und musterte ihn fragend.
Sie sah munter aus und war bei weitem nicht mehr so blass, wie kurz zuvor, als er sie wieder gefunden hatte.
„Es geht dir besser?“ Es war vielmehr eine Feststellung, als eine Frage seinerseits.
Sie lächelte nur.
„Dank dir!“
„Dann sollten wir Felice anrufen und ...“ weiter kam er nicht, da sie energisch den Kopf schüttelte.
„Warum nicht? Sie macht sich Sorgen!“
Cassidy seufzte kurz und rollte mit den Augen.
„Sie sorgt sich doch nur um Chance!“ meinte sie mit gespielter Eifersucht in der Stimme, „Alles was sie interessiert ist doch nur Chance!“
Ryan sah sie irritiert an.
„Aber Chance ist verschwunden und er ist ihr Freund, da ist es doch logisch, dass sie sich sorgt! Oder?“ war er der Meinung.
Cassidy rollte erneut genervt mit den Augen.
„Du scheinst auch an nichts anderes denken zu können!“ meinte sie und sah ihm tief in die Augen.
Ryan wusste nicht, was er denken sollte.
Vor allem, als sie näher kam und ihn einfach küsste, setzte sein Verstand für einen Moment aus.
„Du solltest doch einfach mal an was anderes denken!“ flüsterte sie und setzte zu einem zweiten Kuss an.
Doch Ryan stoppte sie und drückte sie sanft von sich.
„Was soll das hier?“ fragte er verwirrt.
Sie sah ihn kurz mit großen Augen an, so als verstünde sie seine Frage nicht und dann schüttelte sie ungläubig den Kopf.
„Komm schon, sag nicht, du hast es dir nicht einmal vorgestellt?“ wollte sie von ihm wissen, „Glaubst du, ich weiß nicht, wie du mich manchmal ansiehst?“
Ryan wusste nicht, was er darauf entgegnen sollte. Er kannte Cassidy nun schon so lange, wie sie zu Chance´s Familie gehörte.
Sie kam wieder näher und wollte ihn erneut küssen. Doch wieder wies er sie von sich.
„Das bist nicht du!“ stellte er fest.
Er kannte Cassidy.
„Warum kannst du es nicht einfach genießen?“ flüsterte sie.
Ryan wusste, dass irgendetwas faul war.
„Du bist nicht echt!“ stellte er fest.
„Warum sagst du das?“ Es war nicht auszumachen, ob sie ihm diesen Vorwurf übel nahm oder ob sie beleidigt war, dass er sie nicht wollte. Im Grunde schien sie mit einem Male völlig emotionslos.
„Du bist ein Narr!“ meinte sie mit einem Male, „So eine Gelegenheit wirst du nie wieder bekommen!“
Ryan stieß sie von sich und machte ein paar Schritte, nur um von ihr weg zukommen.
„Du bist nicht Cassidy!“ schrie er sie an, „Wo ist sie?“
„Oh, komm schon, Dummchen! Ich bin echt!“ meinte sie nur. Für sie schien es ein Spiel zu sein und er würde keine Antwort von ihr erhalten.
„Komm schon, gib´s zu! Sie ist alles woran du denkst!“
Er schüttelte den Kopf und verfluchte sich innerlich selbst dafür, dass er sich auf dieses Gespräch überhaupt einließ.
„Du hättest sie einfach links liegen lassen können! Du hättest dich nicht um sie kümmern müssen! Sie ist nicht mit dir verwandt! Ja, noch nicht einmal mit Chance! Wieso hängst du nur an dieser Spinnerin? Sie wird dir nur Ärger bringen!“ kam von der falschen Cassidy vor ihm.
Ryan sah sie finster an, wusste nicht, was er ihr entgegnen sollte und ging dann einfach zur Haustür.
Er wollte einfach nur raus. Weg von dem mysteriösen Ding, was seiner Freundin so ähnlich sah und sie dennoch nicht war.
Felice saß auf ihrem Bett und versuchte sich abzulenken. Doch das Buch in ihren Händen erfüllte nicht im geringsten seinen Zweck.
Vor einigen Minuten hatte Ryan sie angerufen und ihr erklärt, dass er Cassidy wieder gefunden hätte. Allerdings hatte er ihr nicht erklären wollen, wo ihre beste Freundin gesteckt hatte.
Und nun wartete sie darauf, dass er sie anrief, um ihr zu sagen, dass sie gemeinsam überlegen konnten, wie sie Chance helfen könnten.
Plötzlich flog ihre Zimmertür auf und ihre Mutter stapfte herein.
Dem Gesichtsausdruck zu urteilen, war sie stinksauer.
„Solltest du nicht lernen?“ war das erste was ihr ihre Mutter an den Kopf warf.
„Es sind Ferien!“ entgegnete Felice ihr. Sie verstand nicht, was das Problem war. Noch von ein paar Tagen hatte ihre Mutter ihr eingetrichtert, dass Felice sich um den Besuch zu kümmern hätte. Und den einen Tag mit Cassidy hatte sie nur unter stundenlangen Betteln von ihrer Familie frei bekommen.
„Aus dir wird nie etwas vernünftiges werden!“
Felice starrte ihre Mutter entsetzt an.
„Vor allem nicht, wenn du immer nur mit diesen Versagern zusammen hängst!“
Felice wusste auf wen ihre Mutter anspielte. Sie hatte noch nie einen Hehl daraus gemacht, was sie für Felice´s Freunde empfand. Allerdings hatte sie dies noch nie so verächtlich geäußert.
„Eine Geisteskranke und zwei Herumtreiber!“ fluchte die Mutter und griff nach dem Foto, welches bei Felice auf dem Schreibtisch stand. Es war ein Bild von ihr mit ihren drei Freunden. Eben denen, die ihre Mutter soeben beschimpfte.
„Das sind meine Freunde!“ Felice Stimme klang nicht so stark, wie sie wollte.
„Jetzt nicht mehr! Du wirst sie nicht mehr sehen!“
„Du kannst mir nicht verbieten, meine Freunde zu sehen!“ entgegnete Felice noch immer mit schwacher Stimme.
„Oh doch, ich kann!“ gab ihre Mutter mit Hass in der Stimme zurück, „Ich werde nicht zulassen, dass du mir noch weiter Schande machst! Deine schulischen Leistungen sind ein deutliches Zeichen dafür, dass du ein totaler Versager bist! Du wirst nie irgendwo hin gehören! Du wirst immer nur ein Niemand bleiben, wenn du mit den Verrückten zusammen bist!“
Für einen Moment blieb Felice die Stimme weg. Sie wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte.
Doch dann war es, als wäre sie zum ersten Mal wach geworden.
„Du kannst mir nicht vorschreiben, mit wem ich befreundet bin!“ schrie sie auf einmal zurück. Das erste Mal das sie ihrer Mutter lautstark widersprach.
„Du bist meine Tochter und du ...“ fing die Mutter wieder an, aber Felice schrie ihr einfach dazwischen.
„Ich bin kein kleines Kind mehr!“
Felice stand mit einem Mal vor ihrer Mutter und stieß sie aus dem Zimmer.
„Ich lass mir von dir nichts mehr vorschreiben!“
Das Gesicht der Mutter konnte schon nicht mehr roter werden.
„Du weißt nicht, was du dir für Ärger eingebrockt hast!“ entgegnete sie.
Felice antwortete ihr nicht.
„Du weißt nicht, was dich erwartet, wenn du jetzt gehst!“
Felice verstand nicht was, ihre Mutter damit meinte.
Aber im Grunde war es ihr egal, sie wollte hier einfach nur raus. So stürmte sie an ihrer Mutter vorbei und wollte das Haus verlassen.
Doch kaum hatte sie ihr Zimmer verlassen, bemerkte sie, dass sie nicht wirklich in ihrem Zuhause steckte.
Alles war eine viel dunklere Version ihres wirklichen Heimes. Außer der Mutter war niemand im Haus und es gab auch keine wirklichen Geräusche.
Entsetzt drehte sie sich zu ihrer Mutter um und erstarrte.
„Kindchen, deine beiden Freunde werden dir noch eine Menge Ärger bereiten!“
Es war längst nicht mehr die Stimme ihrer Mutter. Die Stimme war verzerrt und ein wenig tiefer.
„Das hier ist nicht echt!“ kam Felice nur über die Lippen.
„Es ist so echt, wie ich es will!“ entgegnete ihr die Frau mit dem Gesicht ihrer Mutter lächelnd, „Und du solltest dir deinen Plan nach Chance zu suchen noch einmal reiflich überlegen!“
Felice schüttelte nur den Kopf.
„Es könnte ohne deine Freunde viel einfacher sein! Einfacher und vor allem ohne Gefahr!“
Noch ehe Felice eine passende Antwort gefunden hatte, spürte sie, wie jemand nach ihrer Hand griff und sie aus dem Haus zerrte.
Zu verwirrt, um überhaupt mit zu bekommen, was vor sich ging, ging sie mit.
Erst vor dem Haus bemerkte sie, dass es Ryan war, der sie gepackt hatte.
Dennoch riss sie sich von ihm los. Unsicher ob er real war.
„Was ist hier los?“ wollte sie von ihm wissen.
„Ihr beide steckt in einem Traum!“
Beide drehten sich erschrocken zur Straße.
Dort stand ein blau-haariger Punker und hinter ihm Ryan´s Pick-Up.
„Man hat euch versucht zu trennen!“ erklärte er, „Ganz schön fies!“
Ryan wollte ihn schon fragen, was das alles soll, doch der Punker warf ihm einen stechenden Blick zu.
„Cassidy braucht Hilfe!“
Beide starrten ihn mit großen Augen an.
„Wo ist sie? Ist sie auch hier?“ wollte Ryan wissen und auch Felice sah sich um.
Die ganze Straße schien verändert und doch die selbe zu sein.
Der Punk antwortete ihnen nicht und bedeutete ihnen, sich in den Wagen zu setzten und los zu fahren.
„Was meintest du damit, dass sie uns trennen wollen?“ fragte Ryan kaum dass er und Felice zu dem Punk in den Wagen gestiegen waren. Ryan ärgerte sich darüber, dass der Fremde nun hinter dem Steuer seines Wagens saß und ihn anließ.
„Sie versuchen Cassidy zu kontrollieren. Und da sie immer wieder zurück gefunden hat, wollten sie euch von ihr wegbringen!“
Noch immer verstanden die beiden nicht das geringste, was ihnen der eigenartige Kerl zu erklären versuchte.
„Ihr hättet ihr besser zuhören sollen!“ meinte er genervt, als er mitbekam, dass die beiden im Grunde total ahnungslos waren.
Die Szenerie vor dem Wagen änderte sich schnell und recht bald waren sie auf einer Art Highway, wenngleich sie weder so schnell noch so weit gefahren waren.
„Wo ist Cassidy nun?“ wollte Ryan noch immer wissen.
„Im Moment in großen Schwierigkeiten!“ war die einzige Antwort, die er erhielt und der Punk machte auch keine Anstalten, dass er weitere Auskünfte geben würde.
Cassidy versuchte sich zu konzentrieren. Noch immer war ihr Körper regungslos. Sie wusste nicht, ob sie erst wenige Minuten oder doch schon Stunden auf ihrem Bett lag und die Decke anstarrte.
Und obwohl sie schlafen wollte, unter anderem weil sie sich erhoffte so wieder zurück nach hause zu kommen, gelang es ihr nicht.
Ihre Gedanken kreisten um so viele verschiedene Dinge. Dinge, die sie für wahr hielt und welche, die zu unwirklich erschienen.
Noch immer war sie sich nicht im Klaren, ob die Anstalt ein Traum war oder Wirklichkeit. Doch egal was es war, sie wollte hier nur weg.
Sie glaubte eine Stimme zu hören. Irgendwer rief nach ihr. Doch sie kannte die Stimme nicht.
Die Stimme rief ihr zu, sie solle sich konzentrieren.
Nur worauf, verriet sie nicht.
Und egal, wie sehr sich Cassidy auch zu konzentrieren versuchte, nichts geschah.
Nach einer halben Ewigkeit, wie es ihr schien, spürte sie ein leichtes Kribbeln in ihrem Körper, welches immer stärker wurde. So als würden alle ihre Glieder mit einem Male aufwachen.
Und das Kribbeln, welches nun beinahe schon zu schmerzhaft war, weckte sie vollends auf.
Blitzschnell saß sie wieder aufrecht. Eine Bewegung, die sie schwindelig werden lies.
Sie hatte die Kontrolle über ihren Körper wieder. Einerseits war sie erleichtert darüber, andererseits was nützte ihr dies, wenn sie immer noch eingesperrt war.
Dennoch ging sie zur Tür und griff nach dem Knauf, der vorher noch nicht da war.
Im ersten Moment tat sich gar nichts. Sie drehte ihn noch einmal und dann noch einmal.
Und beim dritten Versuch hörte sie das Klicken im Schloss. So als hätte jemand einen Schlüssel gedreht.
Die Tür ging auf und Cassidy sah sich verwundert um.
Wieder hörte sie die Stimme in ihrem Kopf. Eine Stimme, die sie schon einmal gehört zu haben glaubte, und zwar nicht erst vor wenigen Minuten.
Es war wie ein Deja-Vu als ihr die Stimme den Weg über den Flur wies und immer wieder sagte, sie solle sich konzentrieren.
Cassidy rannte barfuß über die weißen Flure der Anstalt. Einige der Patienten starrten ihr nach. Einige verwundert und andere wiederum feuerten sie an, als sei sie gerade bei einem Wettrennen. Und im Grunde war es dies auch.
Sofort hatte sie mehrere Pfleger hinter sich, die sie wieder einzufangen versuchten.
Cassidy konzentrierte sich nur auf ihren Fluchtweg und merkwürdigerweise, schien keiner der Männer sie einzuholen.
Sie wusste nicht, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war.
Sie erreichte recht bald die Tür zum Treppenhaus. Eigentlich war diese immer verschlossen, doch als Cassidy sich darauf konzentrierte, wie sie sie öffnen wolle, sprang die Tür einfach auf und sie konnte hindurch laufen.
Ohne dass sie die Tür überhaupt berührte, fiel sie hinter ihr auch wieder ins Schloss und ihre Verfolger waren einen Moment damit beschäftigt, sie aufzuschließen.
Cassidy lief die Stufen hinauf, stolperte ein, zwei Mal und nach einer Weile erreichte sie die Tür zum Dach. Und wie zuvor, brauchte sie sich nur Vorstellen, sie zu öffnen und es geschah.
Wieder schloss sich die Tür hinter ihr wie von Geisterhand und sperrte ihre Verfolger aus oder in dem Fall ein.
Das Dach war kalt und zugig.
„Du hättest nicht hier rauf kommen sollen!“
Erschrocken drehte sich Cassidy um und musste erkennen, dass Doktor Peeker bereits auf dem Dach stand, während die Pfleger noch immer mit der Tür beschäftigt waren.
„Ich hab dir schon einmal gesagt, dass es aus der Einrichtung kein Entkommen gibt!“ meinte er zu ihr, „Und selbst wenn du wieder zu hause aufwachen würdest, nur ein paar Minuten oder Stunden wärst du wieder hier! Du landest immer wieder hier! Bis du ganz hier bleibst!“
Cassidy schüttelte den Kopf und versuchte im Rückwärtsgehen den Abstand zum Doktor zu vergrößern.
„Niemand würde dich zu hause vermissen!“ meinte er.
„Doch!“ schrie sie zurück, „Mein Bruder und meine Freunde!“
Er schüttelte belustigt den Kopf.
„Wir können sie vergessen lassen! Wir können alles ändern!“
Cassidy schritt immer weiter rückwärts ohne wirklich darauf zu achten, wie weit sie gehen konnte, bis er sie kurz besorgt ansah.
Es war nur eine kurze Reaktion seinerseits. Wenn man nicht genau hinsah, würde man sie noch nicht einmal bemerken.
„Du solltest nicht weiter gehen!“ meinte er. Es klang viel mehr wie ein Befehl.
„Wenn du runter stürzt, wirst du sterben!“
Sie sah ihn kurz irritiert an und warf dann einen Blick hinter sich.
Es war tief und unter ihr lag der Innenhof der Anstalt.
Er schien ihre Gedanken zu kennen.
„Ja, dass ist mit der Patientin geschehen!“ erklärte er, während er langsam auf sie zu schritt.
„Sie hatte ebenfalls versucht hier weg zu laufen und sprang. Und starb!“
Cassidy sagte nichts.
„Sie ist nicht nur hier vom Dach gefallen!“ meinte er und wartete auf eine Reaktion ihrerseits.
„Du hast es doch gesehen, oder?“
Cassidy wusste nicht, ob er auf einen ihrer Träume anspielte. Sie hatte eine Frau springen gesehen.
Und sie hatte auch gewusst, was mit der Frau danach geschehen war.
„Das ist deine Fähigkeit! Du siehst was geschieht!“ meinte er und für einen Moment klang er so, als hätte er Mitleid.
„Nur wenige Traumwanderer besitzen auch in ihrem anderen Leben die Fähigkeiten, die sie im Traum haben!“
Noch immer sagte Cassidy kein Wort. Sie beobachtete ihn, wie er immer näher kam und bemerkte auch die Pfleger, die sich endlich aufs Dach gekämpft hatten.
Sie überlegte noch immer, was sie nun tun sollte.
„Aber alles wird enden, wenn du springst! Du wirst sterben! Vielleicht wachst du noch einmal kurz auf, nur um mitzubekommen, dass du auch in der anderen Welt stirbst!“
Doktor Peeker war nur noch wenige Schritte von ihr entfernt und auch die Pfleger kamen immer näher.
Zuletzt geändert von Nikita LaChance am Di 26. Jul 2011, 09:45, insgesamt 1-mal geändert.