Macht und Ehreniedergeschrieben von Hexagon
im 26. Jahr der Herrschaft Boleslav II., der Fromme, Sohn des verblichenen Boleslav I., aus dem Haus der Premysliden, dem König von Brahmen, einer der sieben Reichsfürsten der teutischen Lande, der im steten Streit um die Krone Brahmens mit dem Haus der Slavnikiden steht
im 15. Jahr der Herrschaft Otto III., Sohn des verblichenen Otto II., aus dem Haus der Liudolfinger, Sohn eines teutischen Königs und einer rhomäischen Prinzessin, somit Vereiner des alten Reiches, der im Süden zum König wurde und im Norden die Krone erhielt, der König der teutischen Lande und König der Tiber, Hegemon der Lombardei, Fronherr der Krone, Schirmherr und Herrführer der christlichen Lande
im Jahre 1309 nach der Thronbesteigung des Königs Seleukos I., eines Diadochen Alexanders des Großen
im Jahre 998 nach der Geburt des Propheten Jesus
im Jahre 714 nach der Thronbesteigung des Kaisers Diokletian auf den rhomäischen Thron
im Jahre 388 nach der Auswanderung des Propheten Mohammed von Mekka nach Medina
Die Niederschrift im Jahr meiner Wanderschaft durch die Bahm'schen und Wend'schen Lande.
So begeben hat es sich, wie ich selbst gesehen habe und durch Gehörtes ergänzte.
Die Burg von Budissin erhebt sich majestätisch auf ihrem Geröllberg im Osten der Bucht. Errichtet auf einer älteren Burg des alten Adels, zeigen sich von hier die Lokatoren als Besitzer und Schutzherren dieser Bucht, des gesamten Küstenabschnitts und des eigenen Hafens. Bis heute ist die Burg nie erobert worden. Im Besitz ist sie nun von Balian Chobry dem Älteren. Die verzollte Handelsroute zu den Inseln von Brahmen ist seine größte Einnahmequelle.
Am Ende dieses Tages wird das Schicksal seiner Familie beeiegelt sein. Balian Chobry, Ritter dieser Burg und Herr ihrer zugehörigen Ländereien, steht statuenhaft in seinem Schlafzimmer, oben im Wohnturm.
Es ist Mittagszeit. In einer Stunde wird Balian zum Duell erwartet. Es ist Turniertag. Balian Chobry wird mit der Lanze gegen seinen Lieblingsrivalen antreten, Balduin IV. von Sudet. Und auch Balians Sohn wird sich an diesem Tag duellieren. Zum ersten Mal.
Heinrichs Knappe Hagad hievt das Kettenhemd von einem Ständer und wendet sich zu Balian. Der Ritter breitet die Arme aus. Das Eisen soll sein Leben schützen.
Ritter Balian schaut durch die schmale Fensteröffnung ins Freie. Von hier, dem obersten Geschoss des steinernen Wohnturm, der ansonsten hölzernen Burg, überblickt er den Hof. Unten wehen die Standarten seiner Gäste im Wind. Dahinter öffnet sich das grüne Tal. Dort fließt die Sprey ostwärts in das Brahm'sche Meer.
In der waldigen Gegend, etwa eine oder anderthalb Tagesreisen südöstlich von Sitavia hat die Familie von Balian Chobry das Sagen. Von hier aus kontrolliert sie den ganzen Südosten, sind Schutzherren des Klosters Ostrada und wachen über die Häfen zu den Inseln Szerna und Sudet.
Burgen sind Machtdemonstrationen. Wer auf einer Anhöhe oder einem Hügel seine militärischen Bauten platziert, der will die Gegend im Auge behalten. Feinde sind von Weitem zu sehen. Besonders da Chobry die nähere Umgegend der Burg hat abholzen lassen.
Die Ritter kontrollieren das umliegende Gebiet im Auftrag ihres Lehnsherren, ziehen in seinem Namen Abgaben der Bauern ein. Die Ritter zu Budissin sind als Nachkommen der beauftragten Lokatoren direkt dem brahm'schen König verantwortlich. Wenn ein Krieg ausbricht oder eine Fehde ausgefochten wird, ziehen sie für ihn als berittene Kämpfer ins Feld. Doch im Lauf der Jahrhunderte hat sich ihr Aufgabenfeld deutlich erweitert.
Alles beginnt mit den Ministerialen, auch Dienstmannen genannt. Als unfreie Mitglieder an adligen Höfen können Sie durch Tüchtigkeit aufsteigen. Die Könige beginnen, ihre Dienstmannen auch zum Kriegsdienst heranzuziehen. Zuvor war das dem Adel vorbehalten. Wer seinen Lehnsherren auf Feldzügen begleitet, erringt die Chance, sich zu bewähren und belohnt zu werden. Aus den berittenen Kriegern formt sich ein eigener Stand unterhalb des Hochadels.
Wer es als Ritter zu Ehre und Sold bringt, lebt auf einer Nurg. Ritter bekommen eigenes Land. Das bedeutet Ehre und Wohlstand. Aber es ist auch eine Verantwortung. Nun müssen sie weit mehr leisten, als ihrem Herrn in den Krieg zu folgen. Burgen sind Wohnung und Verwaltungssitz, Gericht und Gefängnis, Grenzposten oder Mautstation. Sie haben Bedeutung für die Ackerwirtschaft und den Forst. Manch Ritter beschäftigt sich mehr mit Ernteerträgen und den Marktpreisen für Ochsen, als mit dem Stählen und Erhalten der eigenen Wehrkraft.
Einer von ihnen ist nun Balian Chobry, Ritter und Herr zu Budissin. Sein Name und der seines Sohnes Balian, der Jüngere, finden sich in der Stammlinie der Lokatoren, die vor nicht einmal zehn Generationen dieses Land im Namen des teutischen Königs in Besitz nehmen sollten, um es urbar zu machen und es zu erschließen.
Im Wohnturm hört der Burgherr das Gemurmel der Turniergäste, das Wiehern der Pferde, das Lachen der Männer. Es riecht nach Ochsen und Kühen. Glasfenster gibt es nicht auf dieser Burg und nicht auf irgendeiner anderen Burg in den ganzen brahm'schen Landen. Selbst der Hochadel kann sich bestenfalls Waldglas leisten. Milchig-trübe, runde Scheiben, die kaum Licht durchlassen. Selbst das ist zu teuer für Ritter. Sie schließen ihre Fensteröffnungen manchmal mit Häuten oder Pergament, meist aber mit einfachen Holzläden. Gegen den Windzug stopfen sie Stroh oder Moos in die Ritzen. Die ohnehin kalten Räume steinerner Bauten werden so auch noch finster.
Nun aber ist endlich Frühjahr. Das Sonnenlicht taut Wege und frierende Glieder auf. Die Zeit für die Liebslingsbeschäftigung bricht an. Die Zeit der Leibesertüchtigung durch Turniere.
Balian blickt zufrieden an sich herab. Die Rüstung wiegt schwer, über fünfzig Pfund. Und sie sitzt wie eine Haut aus Eisen und Leder. Seinen schweren Metallhelm, inner mit einer gepolsterten Haube versehen, wird Balian erst kurz vor dem Turnierkampf aufsetzen. Als er noch Kind war, sind nahe Sitavia bei einem Turnier mehrere Ritter unter dem Helm erstickt oder an einem Hitzschlag gestorben. Balian atmet ein. Ihm ist jetzt schon heiß.
Ein gestepptes Unterhemd und gepolsterte Kniehosen schützen vor Druckstellen. Und sie sind warm. Darüber trägt den Plattenrock, auch Spangenharnisch genannt. Von außen sieht er aus wie ein Kettenhemd. Darüber verstecken sich Eisenplatten. Wohin auch immer diese Entwicklung der Rüstung führen wird, für das Turnier werden sie wohl immer prächtiger, doch im Kriege wohl unpraktisch.
Allein anlegen kann Balian die Rüstung nicht. Knappe Hagad schließt die letzte Schnalle und schlägt Balian auf die Schulter. Das Zeichen, dass er fertig ist. Hagad ist fast vier mal fünf Winter alt, seit zwölf Jahren in den Diensten Balians, enger Freund seines Sohnes und ein geschickter Kämpfer. Bald wird Balian ihn für den Ritterschlag empfehlen.
Als Schutz- und Wachmänner, Richter und Gefängnisaufseher in einer Person spielen Ritter in dünn besiedelten Gebieten eine wichtige Rolle. Durch Hilferufe und Entsatze von Klöstern verstehen sich Ritter oft nicht mehr nur als weltliche, sondern auch als geistliche Krieger. Als "miles chrsti", Soldaten Christi. Dichter Formen daraus ganze Tugendkataloge. Auch Balian Chobry sieht sich durch seine Hegemonie über Ostrada als Diener des Höchsten.
Vom Ritter wird die ergebene Liebe zu Gott verlangt, die Achtung der Lehre, Furcht vor der Hölle, Schutz der Armen, gutes Benehmen, braves und anständiges Handeln, Vater und Mutter zu ehren, auf den Rat weiser Menschen zu hören, Hass zu ertragen und vieles mehr.
Die Realität bleibt häufig hinter dem Ideal zurück. So klagte Petrus von Blois: "Sobald sie mit eem Rittergürtel geschmückt sind, plündern und berauben sie die Diener Christi und unterdrücken erbarmungslos die Armen. Sie geben sich dem Nichtstun hin und Trunkenheit hin, sie schänden den Namen und die Pflichten des Rittertums. Wenn unsere Ritter einen Feldzug unternehmen, werden die Pferde nicht mit Waffen, sondern mit Wein beladen, nicht mit Lanzen, sondern mit Käse, nicht mit Speeren, sondern mit Bratspießen."
Doch bevor Balian an das Festmahl denken kann, liegt vor ihm noch das Turnier.
Hoch oben im Turmzimmer greift Hagad zur Standarte mit dem Wappen Balians. Der Ritter bewegt seine Arme. Nur ein leises Rascheln ist zu hören. Kein Quietschen, kein Scheppern. Die Rüstung ist in Form und Balian Chobry ist es auch. Er verlässt das Turmzimmer, geht langsam die Holzstufen hinab.
Es ist kühl. Die Steinmauern seines kürzlich umgerüsteten Wohnturm speichern keine Wärme. Zuvor war hier alles aus Holz. Das ist zwar wärmer, aber nicht so widerstandsfähig und feuerfest. Die Fensteröffnungen sind zugig und nur in einem Raum gibt es einen Kamin. Über dem Feuer erhitzte Pfannen verbreiten in den anderen Räumen nur zeitweise ein wenig Wärme. Die beliebten Wandteppiche sind nicht bloßer Schmuck. Sie sind Wärmedämmung. Fast das ganze Jahr wird das Gemäuer kalt bleiben, in Felsenburgen wie dieser wird auch die Feuchtigkeit aufziehen. Kein Wunder, dass schon jetzt viele Bewohner Gliederschmerzen plagen.
Wer es sich leisten kann, der wärmt sich im Badezuber. Jede Burg braucht eine sichere Wasserzufuhr. Am Besten sind Brunnen im Burginneren. Im Extremfall werden deshalb bis zu 300 Ellen tiefe Schächte in den Boden getrieben, um an das Grundwasser zu gelangen. Denn eine Festung, die bei der Belagerung auf dem Trockenen liegt, ist nutzlos.
Als Balian die Stufen hinabsteigt, passiert er kaum erleuchtete Räume. Kerzen sind teuer. Bienenwachs ist noch teurer. Die meisten Kerzen bestehen aus Rindernierenfett oder Hammeltalg. Mehr Licht verbreiten Fackeln. Doch die rußen stark und schwärzen so nach und nach Mobiliar und Wandteppiche. Niedrigpreisig sind Fackeln aus Kienspänen und Talglampen. Die Leuchten aus Tierfett rußen und verbreiten einen ranzigen Gestank.
Im Erdgeschoss ist es laut und warm. Um den Burgherren herum werkeln Weiber und Männer in der Küche. In Burgen wie dieser wird auf einem gemauerten Herd über offenem Feuer gekocht. Darüber wölbt sich ein sogenannter teutischer Schlott, ein begehbarer Kamin. Mittlere und große Burgen betreiben eine von der Küche getrennte Bäckerei, die sogenannte Pfisterei. Unter der Küche, im kühlen Untergeschoss, lagert Eingemachtes. Marmeladen, getrockneter Fisch, Pökelfleisch, dazu Bier und Wein in Fässern. In der Küche riecht es nach Fett, Schweiß und Tierkot.
Denn in vielen Burgen liegen die Ställe für den kostbarsten Besitz der Ritter, ihre Pferde, in der Nähe des Hauptgebäudes. Schweine- und Kuhstallungen liegen abseits. Dort hausen häufig auch die für die Tiere zuständigen Knechte.
Schweine und Kühe liefern das begehrte Fleisch. Wild gibt es selten. Doch der wichtigste Bestandteil in der Nahrung ist über alle Stände hinweg Getreide. Es kommt als Brot, Grützebrei oder Bier auf den Tisch, seltener als Fladen, Brezel oder Lebkuchen. Die soziale Ordnung lässt sich am Essen ablesen. Je heller das Brot eines Menschen ist, desto reicher ist er. Bauern essen Schwarzbrot, Vermögende Weißbrot aus Weizen. Gepökelter Fisch ersetzt das seltene Fleisch. Es ist eine wichtige Ergänzung des eintönigen Speiseplans. Ritter und Adel gehen hart gegen Wilddiebe vor, bis hin zur Todesstrafe.
Der Lebensstil von Rittern auf kleineren Burgen unterscheidet sich wenig von den Bauern, über die soe herrschen. Der Frankoritter Wolfram aus der Familie von Eschenbach schrieb einst nieder: "Wo ich oft vom Pferd gestiegen, wo man mich den Hausherrn nennt, daheim in meinem eigenen Haus, da haben Mäuse nichts zu lachen, wenn sie sich ihr Futter stehlen. Man muss es nicht vor mir verstecken, weil dort nichts vorhanden ist."
Balian greift nach einem kleinen Laib Brot und einem Himpen Bier, schenkt seiner Magd ein Lächeln und verlässt die Küche in Richtung Speisesaal. Hagad bedeutet dem Küchenjungen, mehr Brot und Bier zum Turnierplatz zu bringen. Sein Herr wird später humgrig sein und durstig.
Im Speisesaal der Familie sind alle weertvollen Besitztümer weggeräumt. Der Raum wirkt kahl. Reiterfeste geraten manchmal außer Kontrolle. Dann fechten Ritter Fehden mitten in der Burg aus, anstatt auf dem Schlachtfeld. Als Balian ein Kind war, geriet ein Turnier in Lúban zu einem ernsten Kleinkrieg. Ritter aus dem Gefolge der Arzberger Grafen bekriegrten sich dabei mit Anhängern des Königs von Brahmen in der kleinen Schlacht von Lúban.
Der Burgherr stapft hinüber in den Pferdestall. Vom Innenhof aus sind alle Bereiche der Burg zugänglich. Doch von den Mauern könnten eingefallene Angreifer immernoch beschossen und bekämpft werden. Von Ferne hört er die Rufe der Krogierer. Fahrende Leute, die lauthals die Ankunft der Ritter am Turnierplatz begrüßen und ihre Taten rühmen. Sie sind die Stadionsprecher wie einst in Rhomäa.
Im Stall inspiziert Balians Sohn, Balian der Jüngere, etwa zwanzig Winter alt, gerade sein Ross, auf dem.er ins Turnier ziehen will. Er soll vom Vater in ein paar Jahren die Leitung der Burg übernehmen. Hat Balian Chobry das richtige getan, als er seinem Sohn dir Telnahme am Turnier erlaubte? Es ist dad erste Mal für den jungen Stammhalter. Gesund wird er wohl bleiben, aber wie steht es im Falle einer Niederlage um die Turnierehre des Jungen? Schlimmer noch, die Kirche verurteilt die Ritterspiele. Wer im Turnier stirbt, dem drohen Höllenqualen.
Von klein auf werden Rittersöhne darauf trainiert, im Kampf zu bestehen. Schon mit sechs oder sieben Jahren kommen die Junhen in die Obhut eines Onkels, eines älteren Bruders oder eines Erziehers.
Die Jungen lernen Schwimmen, Bogenschießen, höfisches Zeremoniell und den Faustkampf, Ringen, das Aufstellen von Vogelfallen, vor allem aber das Reiten. Denn im Kampf muss ein Ritter sein Pferd ohne Zügel lenken können. Allein dadurch, dass er sein Gewicht verlagert oder durch seine Schenkel Drück ausübt. Seine Hände müssen frei sein, damit er eine Lanze oder ein Schwert führen kann.
Nebenbei lernen die Halbwüchsigen auch Provence, die Weltsprache in diesen Tagen. Auch wenn die Kirchen und Klöster in Latein kommunizieren und das weiter als die Reiche und Länder. Dazu Minnesang und etwas Lesen und Schreiben.
Viele Jungen ziehen als Pagen auf die Burg ihres Lehnsherren. Dort knüpfen sie Bande zu ihrem künftigen Lehnsherren. Denn wer in der Schlacht kämpft, der muss seinen Gefährten blind vertrauen können. Balian der Jüngere hat die Lehre durchlaufen wie Balian Chobry einst. Im Herbst hatte er den Ritterschlag empfangen, nun streitet er in seinem ersten Duell als Ritter.
Für die Bedenken des Vaters ist es jetzt zu spät. Das Turnier beginnt. Das Wort Turnier leitet sich aus dem lateinischen "tornare" ab, will heißen "drehen" oder "wenden". Mittlerweile ist das Turnier nicht mehr bloße Gefechtsübung, sondern ein Ereignis großer Beliebtheit mit förmlichen Einladungen und festlichen Ritualen. Ritters bewähren sich nicht mehr nur auf dem Schlachtfeld. Auch auf dem Turnier ringt man um Ehre. Dort wo Adlige, Edelfrauen und andere Ritter sie von hölzernen Tribünen aus gut sehen können.
Balian steigt auf sein Pferd und trottet erhobenen Hauptes zum Turnierplatz. Knappen sehen zu ihm auf. Er nickt einem einstigen Kampfgefährten zu. Sein Reittier hat eine stolze Höhe von vier bis viereinhalb Ellen am Widerist. Das ist die Schulter des Tieres.
Es ist fastdreizehn Uhr. Gleich geht es los.
Balian nimmt am Turnei Teil, dem Turnier im engeren Sinne. Dabei kommandiert der Burgherr seine Männer in einer nachgestellten Schlacht. Balian klappt sein Helmvisier herunter. Dann wird das Trennseil fallen gelassen. Balian und seine Männer reiten los, fallen vom Trapp in den Galopp, dann in den gestreckten Lauf. Unter den Hufen spritzt die Erde hoch. Die Gegner Rasen aufeinander zu, prallen aufeinander.
Der Burgherr steckt Schläge ein, aber hält sich im Sattel. Rasch wendet er, reitet zurück, wendet erneut und stürmt wieder auf die Kontrahenten zu. Metall prallt auf Metall. Holz prallt auf Holz. Gestrafftes Leder prallt auf gestrafftes Leder. Die Reiter rufen einander Wortfetzen zu, Pferde wiehern. So geht es mehrere Minuten. Dann ist das Spektakel vorbei.
Jetzt erst zeigt sich, den Anführer von Balians Gegnern hat es aus dem Sattel gehoben. Er liegt benommen am Boden. Blut ist keines geflossen. Als siegreicher Ritter darf der Burgherr seinen gefangenen Kondrahenten abführen oder ein Lösegeld fordern. So ist es Sitte. Balian nimmt ihm die Rüstung ab und schlägt seinem Rivalen kumpelhaft mit seinem Panzerhandschuh auf die Schulter.
Ein Metallkleid anfertigen zu lassen ist extrem teuer. Die Hersteller der Rüstungen, die Plattner, entwickeln immer prächtigere. Mancher Ritter verkauft Ländereien um bei diesem Wettrüsten mithalten zu können. Ihre Macht schwindet auch dadurch.
Erschöpft, aber zufrieden steigt Balian Chobry vom Pferd. Er nimmt seinen Helm ab und blickt zu seinem Sohn. Balian der Jüngere tritt im Tjost an. Das ist eine junge Disziplin. Neben dem Buhurt, einer Schlacht zu Fuß und dem Turnei, ist sie recht kurzweilig. Aber gerade aus dem Moment zieht sie offenbar ihre Faszination. Dabei treten zwei Reiter gegeneinander an und versuchen, ihr Gegenüber mit einer Lanze aus dem Sattel zu stoßen. Hier einer und da einer. Es würde mich nicht wundern, wenn so manche Maid in diesem Teil des Turniers die wahre Kriegskunst sieht, da ihr Angebeteter ohne Kampfgetümmel besser auszumachen ist und allein für sich steht.
Da mit scharfen Waffen gekämpft wird, sind Verletzungen keine Seltenheit und auch Tote hat es schon gegeben. Blutergüsse sind die regelmäßig. Schwere Verletzungen sind Unfälle aber dennoch. Oder Attentate,als Rache für alte Demütigungen. Der Turnierkampf ist immer ein Risiko. Viele Kämpfer Zielen mit der Lanze auf den Kopf des Gegners.
Der Sohn Balians reitet los. Der Vater schaut gebannt zu. Die Duellanten kommen einander näher. Mit einem einzigen Hieb gegen die Brust hebt Balian der Jüngere seinen Gegner vom Pferd. Dieser fällt zu Boden, winkt schwach. Er gibt unverletzt auf. Es ist vierzehn Uhr. Balians Sohn hat gesiegt. Der Burgherr ist zufrieden. Nun weiß er die Zukunft seines Rittergeschlechts in guten Händen.
Wenn Balian der Jüngere etwa Ende Zwanzig ist, wird er die Burg übernehmen und heiraten. Die Familie hat schon eine Braut im Auge, die Tochter eines Kampfgenossen Balian Chobrys wird bald im richtigen Alter sein.
Vater und Mutter werden dann vielleicht zum nahen Kloster Ostrada ziehen, um dort die letzten Jahre zu verbringen. Viele Ritter und Adlige erkaufen sich durch Schenkungen und Geldzahlungen das Recht, im Alter von Mönchen und Laienbrüdern oder Nonnen versorgt zu werden. Noch jedoch stehen Balian einige gute Jahre als Ritter bevor. Hagad eilt herbei und nimmt seinem Herrn den schweren Helm ab. Gemeinsam gehen sie nach drinnen. Balian will raus aus der Rüstung. Er schwitzt. Er hat Durst. Sein Kopf ist langsam. Der Küchenjunge hält pflichtschuldig einen Humpen Bier hoch und Balian nimmt ihn schweigend an.
Für ein Bad ist keine Zeit. Die Sieger wollen feiern, die Verlierer ihren Frust ertränken. Balian Chobry hat auftischen lassen. Wildschwein und Huhn, Brot und Bier und den besten Wein. Er hat sich das Fest einiges kosten lassen.
Nun gekleidet in edle Stoffe, betritt er mit Frau und Sohn den Festsaal. Derbe Witze und Musik verstummen. Balian hebt den Kelch. Es ist achtzehn Uhr. Das Licht der Abendsonne fällt in den Festsaal.
Das Turnier ist vorbei, die Feierstunde ist gekommen.
Ende